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Innovationen für eine zukunftsfähige Entwicklung | APuZ 7/1996 | bpb.de

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APuZ 7/1996 Ökologische Umorientierung der Industriegesellschaft Innovationen für eine zukunftsfähige Entwicklung Umweltschutz im deutschen Betriebsalltag. Eine Bestandsaufnahme in mikropolitischer Perspektive Unternehmerisches Umweltverhalten in Abhängigkeit von externen Einflüssen. Stand und Perspektiven Der Rhein -Ein langer Weg zum grenzüberschreitenden Umweltschutz

Innovationen für eine zukunftsfähige Entwicklung

Rudi Kurz

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Ausgangspunkt der Überlegungen ist eine Mindestanforderung an zukunftsfähige Politik: die Erhaltung des Naturvermögens für zukünftige Generationen. Angeknüpft wird damit an die Diskussion um Sustainable Development: nachhaltige Entwicklung. Es wird nach den Konsequenzen dieser Ausgangsprämisse gefragt und gezeigt, daß es durch eine umfassende Strategie der Innovation gelingen kann, staatliche Ressourcenbewirtschaftung und Öko-Diktatur abzuwenden. Dazu bedarf es weiterhin neuer Technologien und Dienstleistungskonzepte (Effizienzrevolution). Der Schwerpunkt der Innovationsaktivität muß sich allerdings verlagern hin zu neuen Lebensstilen und Wohlstand, der mit geringerem Ressourceneinsatz auskommt (Suffizienzrevolution), sowie zu neuen Institutionen und Regeln (institutionelle Innovationen). Selbst wenn man die Zukunftsdebatte auf den Erhalt des Naturvermögens begrenzt, wird deutlich, daß gravierende gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen notwendig sind.

Zukunft hat Hochkonjunktur. Inspiriert durch die herannahende Jahrtausendwende und angetrieben durch eine zunehmend unwirtliche Gegenwart gewinnt die Debatte über Zukunftsgestaltung an Intensität. Tonangebend sind bislang die Technologen mit neuen Visionen (Informationszeitalter, virtuelle Welten etc.) und die auf Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bedachten Ökonomen. Dem soll im folgenden eine andere Perspektive entgegengesetzt werden:

Als zukunftsfähig kann eine Politik nur dann gelten, wenn die ökologische Grundlage, das Natur-vermögen, erhalten bleibt. Angeknüpft wird damit an eine Diskussion, die seit etwa einem Jahrzehnt unter dem Stichwort Sustainable Development (nachhaltige bzw. dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung) geführt wird. Zu untersuchen sind die Konsequenzen, die sich aus einer solchen Perspektive ergeben. Dazu muß zunächst der Begriff Sustainable Development -Nachhaltigkeit -präzisiert werden. Dann ist nach Strategien zu fragen, durch die sich Nachhaltigkeit realisieren ließe. Abschließend gilt es, die Durchsetzungschancen der strategischen Optionen zu prüfen

I. Nachhaltige Entwicklung und Zukunftsfähigkeit

Tabelle: CO2-Emissionen 1990 und 2050 Quelle: Eigene Zusammenstellung.

1. Intergenerative Verteilungsgerechtigkeit als soziokulturelle Herausforderung Ausgehend vom Brundtland-Report der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung von 1987 über den Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 bis zur Klimakonferenz in Berlin 1995 hat sich der Begriff Sustainable Development bzw. nachhaltige Entwicklung einen festen Platz in der politischen Diskussion gesichert. Im Brundtland-Report wird er wie folgt definiert: „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Zukunftsfähigkeit wird hier als intergenerative Verteilungsgerechtigkeit verstanden. Der Wohlstand der heutigen Generation darf nicht zu Lasten des Wohlstands zukünftiger Generationen gehen. Wenn das Naturvermögen schrumpft, wird zukünftigem Wohlstand die Grundlage entzogen.

Das implizite Werturteil der intergenerativen Verteilungsgerechtigkeit lautet: Gleichverteilung. Über viele Jahrzehnte stand diese außer Frage, denn es galt als selbstverständlich, daß es jeder nachfolgenden Generation bessergehen würde als der vorhergehenden. Daß es weltweit zu einer intensiven Debatte über Nachhaltigkeit gekommen ist, zeugt von der Erschütterung dieses Fortschrittglaubens. Intergenerative Verteilungsgerechtigkeit kann als Problemstellung überhaupt erst dann virulent werden, wenn sich die Zweifel an der bislang herrschenden Fortschrittsdoktrin mehren. Damit wird ein prägendes Element der westlichen Kultur in Frage gestellt und eine gesellschaftliche Orientierungskrise ausgelöst Zukunftsfähigkeit ist folglich nicht ohne Kulturkritik zu haben, ohne eine Auseinandersetzung mit der * individuellen und gesellschaftlichen Unfähigkeit zu intelligenter Selbstbeschränkung und wohl-dosiertem Umgang mit Ressourcen Auf den Prüfstand gestellt werden muß demnach ein Wirtschafts-und Gesellschaftssystem, das Wohlstands-mehrung ganz überwiegend eindimensional auf die Wirkungskette Wohlstand durch Güterproduktion und Güterproduktion durch Nutzung natürlicher Ressourcen reduziert hat. Wenn der intergenerative Verteilungskonflikt thematisiert wird, können auch intragenerative Verteilungskonflikte (Nord-Süd-Verteilung und interpersonelle Verteilung in jeder Gesellschaft) nicht ausgeklammert bleiben; daraus ergibt sich zusätzlicher gesellschaftlicher Konflikt-und Diskussionsstoff. 2. Kann das Naturvermögen durch andere Vermögensarten ersetzt werden?

Wenn der gegenwärtige Lebens-und Wirtschaftsstil zu einer Schrumpfung des Naturvermögens führt, muß dies nicht notwendig den Wohlstand zukünftiger Generationen einschränken -sofern dem Verzehr an Naturvermögen eine Zunahme des produzierten, künstlichen Kapitals, des Humankapitals oder des Sozialkapitals (Funktionsfähigkeit und Stabilität sozialer Beziehungen) gegenübersteht. Wenn zukünftige Generationen diese Zunahme als vollwertiges Substitut akzeptieren, tritt kein Wohlstandsverlust ein. Einzelne Elemente des natürlichen Kapitalstocks können vollständig aufgezehrt werden, sofern dadurch künstliches Kapital geschaffen wird, das diesen Verlust (mehr als) ausgleicht, z. B.der Spaziergang im „Cyberspace“ den Waldspaziergang.

Die Frage ist, ob und inwieweit zukünftige Generationen künstliches Kapital als Ersatz für zerstörtes Naturkapital zu akzeptieren bereit sein werden. Die Antwort darauf kennen wir nicht. Zu unterstellen, die Präferenzen zukünftiger Generationen würden weitgehend den heutigen entsprechen, mag für die unmittelbar nachfolgenden Generationen und im Bereich der physischen Grundbedürfnisse möglicherweise vertretbar sein, als langfristige Orientierung taugt diese Fiktion nicht. Ohne Anmaßung von Wissen kann also nicht Substituierbarkeit unterstellt werden. Substituierbarkeit ist auch dann nicht gegeben, wenn für einzelne Funktionen einer Ressource (z. B. Erdöl als Heizmaterial) ein gleichwertiger Ersatz (z. B. Solarenergie) gefunden ist, denn niemand kennt die Funktionen, die diese Ressource in Zukunft noch erfüllen könnte. Die Idee der Substituierbarkeit erweist sich damit als wenig begründet Wenn aber Limitationalität gilt, wird die Naturnutzung zum Engpaßfaktor, der die gesamte Entwicklung bestimmt. 3. Managementregeln einer zukunftsfähigen Entwicklung

Erstens: Regenerierbare Ressourcen (z. B. Wälder) dürfen nicht stärker genutzt werden, als ihre Regenerationsrate oder ihre Absorptionsfähigkeit es zulassen. Ein völliger Nutzungsverzicht ist nicht erforderlich, eine zu intensive Nutzung würde aber einzelne Funktionen beeinträchtigen oder das Nutzungspotential insgesamt angreifen oder zerstören. Zweitens: Nichtregenerierbare Ressourcen können im strengen Sinne nur erhalten bleiben, wenn ihr Verbrauch auf Null gesenkt wird Es muß versucht werden, die Funktionen, die sie heute erfüllen, durch regenerierbare Ressourcen zu ersetzen (z. B. Erdöl durch Holz).

Drittens: Erhaltung der Artenvielfalt verlangt nicht die Erhaltung jeder einzelnen Art -im Evolutionsprozeß verschwinden und entstehen ständig Arten -, sondern ein Abbremsen des Artensterbens, das durch zunehmende Nutzungsansprüche des Menschen verursacht ist 4. Ökonomieverträglichkeit und Sozialverträglichkeit Wo konkret die Grenzen der Nutzung des Natur-vermögens liegen, ergibt sich nicht unmittelbar aus ökologischen Zusammenhängen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Sie müssen vielmehr in einem politischen Prozeß der Zielfindung und -formulierung festgelegt werden. Dabei spielt eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle: Erkenntnisse naturwissenschaftlicher Forschung, ökonomische Kosten-Nutzen-Überlegungen (Risikoabwägung), ethisch-moralische Wertungen, Macht-und Gruppeninteressen. Die Festlegung der strategischen Ziele kann keineswegs den Experten überlassen bleiben. Welchen Stellenwert Nachhaltigkeit in einer Gesellschaft hat, zeigt sich erst im Ergebnis eines gesellschaftlichen Diskurses. Sozialverträglichkeit und Ökonomieverträglichkeit gehen dadurch in die Nachhaltigkeitsziele ein, daß diese in einem gesellschaftlichen Prozeß zustande kommen, der ganz wesentlich von ökonomischen und von sozialen Argumenten geprägt wird. Sozial-und Ökonomieverträglichkeit muß also nicht ex post noch hergestellt werden. Das schließt selbstverständlich nicht aus, ständig nach Möglichkeiten zu suchen, um unerwünschte ökonomische und soziale Nebenwirkungen eines Nachhaltigkeitsziels (weiter) abzuschwächen. Dies gelingt durch Innovation. 5. Ableitung eines Nachhaltigkeitsziels am Beispiel Klimaschutz Am intensivsten wird die Diskussion um ökologische Begrenzungen im Bereich des Klimaschutzes geführt. Die weltweiten CO 2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger betragen rund 20 Milliarden Tonnen pro Jahr. In den Industrie-ländern liegt die Pro-Kopf-Emission bei ca. 16 Tonnen jährlich, in den Entwicklungsländern bei einer Tonne. Nach Erkenntnissen der Klimaforschung müßten die CO 2-Emissionen bis zum Jahr 2050 halbiert werden, damit die Erwärmung der Erdatmosphäre nicht außer Kontrolle gerät. Zugleich wird sich aber bis 2050 die Weltbevölkerung von heute fünf auf ca. zehn Milliarden Menschen verdoppeln. Bei gleichem Recht auf CO 2-Emission für alle Menschen ergibt sich, daß die Pro-Kopf-Emissionen auf das Niveau, das heute die Entwicklungsländer realisieren, gesenkt werden muß. In den Industrieländern müßte dazu eine Reduktion der Pro-Kopf-Emissionen auf ein Sechzehntel des heutigen Niveaus erreicht werden, und die Länder des Südens müßten einen Entwicklungspfad einschlagen, der nicht mit einer Erhöhung ihrer gegenwärtigen Pro-Kopf-Emission verbunden ist (vgl. Tabelle). 6. Konsequenzen und strategische Handlungsoptionen Wenn die Erhaltung des Naturvermögens Conditio sine qua non einer zukunftsfähigen Entwicklung ist, so stellt sich die Frage: Wie kann die Überlastung der Öko-Systeme abgebaut sowie der Verbrauch nicht-regenerierbarer Ressourcen eingeschränkt und gleichzeitig der Wohlstand gesichert oder weiter gesteigert werden? Offensichtlich kann dies nur gelingen, wenn Wohlstand wesentlich effizienter, weniger ressourcenaufwendig als bislang erzeugt wird -das heißt: durch Innovation.

Die durch ein Land (eine Region) verursachte Umweltbelastung läßt sich in drei Komponenten zerlegen, die als strategische Handlungsfelder einer zukunftsfähigen Entwicklung dienen können: 1. Umweltbelastung pro Einheit des Sozialprodukts: Um diese zu senken, muß die Effizienz der Ressourcennutzung gesteigert, das heißt z. B. mehr Endenergie aus einem Liter Heizöl gewonnen werden. Dazu bedarf es einer Effizienzrevolution die sich auf neue Technologien und auf neue Organisationsformen stützt.

2. Sozialprodukt pro Einwohner: Gefordert ist hier ein Rückgang des Pro-Kopf-Verbrauchs an Gütern und Dienstleistungen. Damit dadurch das Wohlstandsniveau nicht sinkt, müssen neue Formen der Bedürfnisbefriedigung gefunden werden, d. h. ein Lebensstil, der die Erreichung eines gegebenen Wohlfahrtsniveaus mit weniger Güter-und Dienstleistungsverbrauch ermöglicht, eine Suffizienzrevolution

3. Zahl der Einwohner: Durch Bevölkerungspolitik müßte die Zahl der Einwohner gesenkt werden. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf Effizienz-und Suffizienzrevolution, weil dies für Industrieländer zunächst die wichtigsten Handlungsfelder sind. Während die Effizienzrevölution im wesentlichen die Herausforderung des Unter-nehmenssektors kennzeichnet, steht Suffizienzrevolution für eine Innovationsleistung, die primär im Haushaltssektor zu erbringen ist.

II. Effizienzrevolution

1. End-of-the-pipe-Technologien Diese Art von technologischer Innovation war historisch gesehen die erste Antwort auf Überlastungserscheinungen in der Umwelt, eine Art „Krisenmanagement“ zur vorläufigen Kontrolle akuter Gefahren. Dem Produktionsprozeß werden Reinigungstechniken nachgeschaltet, zum Beispiel Filter zur Minderung von Schadstoffemissionen (Kläranlage, Rauchgasentschwefelungsanlage, Katalysator etc.). Eine solche end-of-the-pipe-Politik ist ökologisch nur begrenzt effizient, weil Umwelt-belastungen nicht vermieden, sondern lediglich in eine weniger gefährliche Form gebracht werden, z. B. Luftschadstoffe konzentriert in Filtern, die als Sondermüll deponiert werden. Sie ist außerdem teuer für die betroffenen Unternehmen. Allerdings konnte dadurch ein neuer Markt mit zweistelligen Wachstumsraten entstehen, auf dem Deutschland Weltmarktführer ist: die Umweltschutztechnik (messen, regeln, filtern, reinigen, entsorgen). 2. Prozeßinnovationen Produktionsintegrierter Umweltschutz hat zum Ziel, Belastungen durch die Umgestaltung des Produktionsprozesses zu verringern. Ökologisch motivierte Innovationen im Produktionsprozeß führen zu Kostensenkungen z. B. durch Einsparen von Rohstoffen und Energie oder Vereinfachung von Produktionsabläufen. Im Vergleich zu traditionellen end-of-the-pipe-Lösungen verbessert sich nicht nur die ökologische, sondern auch die ökonomische Effizienz der Produktion. 3. Produktinnovationen Durch ökologische Optimierung der Produkte lassen sich Ressourcenverbrauch und Emissionen sowohl in der Herstellungs-als auch in der Nutzungs-und der Entsorgungsphase reduzieren -und Risiken von einem Unternehmen bzw. einer Branche abwenden, die aus einer umfassenderen Produktverantwortung (von der Wiege bis zur Bahre) entstehen können. Rücknahmeverpflichtungen lassen sich durch Produktdesign und Materialauswahl kostengünstiger erfüllen. Weil Recycling in der Regel Downcycling ist (d. h. minderwertige Wiederverwertung), kommt zusätzlich der Verlängerung der Produktlebensdauer ökologische Bedeutung zu die z. B. von der Reparaturfreundlichkeit und der Austauschbarkeit einzelner Module abhängt. Rechtzeitige Produktinnovation kann verhindern, daß der ökonomische Struktur-wandel Unternehmen in die Krise stürzt. 4. Strategische Innovationen Aufgabe der strategischen Unternehmensführung ist die Ausrichtung des Produktprogramms an Veränderungen in den (ökologischen) Rahmenbedingungen. Handlungsfähigkeit gewinnt, wer nicht nur auf ein bestimmtes Produkt fixiert ist, sondern sich an einem Bedürfnisfeld (Ernährung, Mobilität, Kommunikation etc.) orientiert und über die Kompetenz verfügt, dieses umfassend zu bearbeiten. Die Abkehr von einem rein produktorientierten Denken führt z. B. Energieunternehmen dazu, daß sie ihr Geschäftsfeld nicht mehr im Verkauf von Primärenergie sehen, sondern in der Bereitstellung von warmen und beleuchteten Räumen, also dem Angebot sogenannter Nutzenergie. Ihr Selbstverständnis wandelt sich damit vom bloßen Energielieferanten zum Energiedienstleister. Ziel ist die Minimierung der Nutzenergiekosten, und der effizienteste Weg dahin können Investitionen auf der Nachfrageseite sein (Prinzip des Least Cost Planning).

III. Suffizienzrevolution

1. Bedürfniskritik Gesucht sind neue Wohlstandsmodelle, die Bedürfnisbefriedigung mit weniger Ressourceneinsatz ermöglichen. Die Ökonomie sieht Bedürfnisse in der Regel als exogen vorgegebene Daten. Sie unterstellt damit letztlich, daß der Wirtschaftsprozeß selbst keine Rückwirkungen auf die Bildung und Veränderung von Präferenzen hat. Dies ist offensichtlich unzutreffend und versperrt die Sicht auf eine ganz zentrale Fragestellung: Wenn sich die „Produktion“ von Bedürfnissen im Wirtschaftsprozeß schneller vollzieht als die Produktion von Gütern, so ist diese Art des Wirtschaftens ungeeignet, ihrem eigentlichen Zweck zu dienen: der Reduzierung von Knappheit. Vielmehr reproduziert und verschärft sie Knappheit. Der Wirtschaftsprozeß wird demnach das Wohlfahrtsniveau nicht anheben -im Gegenteil: Unter Berücksichtigung der Abnahme des Naturvermögens sinkt das gesellschaftliche Wohlfahrtsniveau. Das System ist dann weder ökonomisch noch ökologisch zukunftsfähig

Zu diesen rein theoretischen Überlegungen hat z. B. Tibor Scitovsky einige empirische Anhaltspunkte geliefert Er gibt zunächst die Annahme auf, daß im Marktverhalten die tatsächlichen Präferenzen der Konsumenten zum Ausdruck kommen, trennt Güterversorgung bzw. Einkommen von Zufriedenheit und mißt diese gesondert. In einem Beobachtungszeitraum von 25 Jahren haben sich die Einkommen um mehr als 60 Prozent erhöht, und dennoch hat der Anteil der Menschen, die sich als „sehr zufrieden“ bezeichnen, kaum zugenommen. Die Zufriedenheit der Menschen hängt also -zumindest jenseits eines Mindestniveaus -nicht entscheidend von der Höhe des Einkommens und der damit möglichen Gütervielfalt ab.

Um aus der skizzierten Wohlstandfalle herauszukommen, muß eine genauere Analyse der Bedürfnisse erfolgen. Dabei geht es nicht um Entlarvung falscher oder künstlicher Bedürfnisse. Vielmehr gilt es den -in der ökonomischen Analyse vernachlässigten -Prozeß der Bedürfnisentwicklung zu nutzen. Das Suchen nach neuen Erfahrungen und das Erlernen der Bedürfnisfähigkeit muß auf andere Objekte ausgerichtet werden, weg von stoffintensiver Bedürfnisbefriedigung und hin zu sanfteren Alternativen (z. B. vom schnellen Auto zur Bahn und zum Fahrrad). Zukunftsfähiger Konsum verlangt also keine neue Dimension von Einschränkungen der Wahlfreiheit der Konsumenten, sondern die (Wieder-) Öffnung neuer Dimensionen der Bedürfnisbefriedigung. Das Wohlstandsniveau muß nicht sinken -zumal dann nicht, wenn die Umorientierung von findigen Unternehmern und kluger Politik unterstützt wird 2. Innovative Nutzungskonzepte Weniger Konsum ist nicht gleichbedeutend mit Wohlfahrtsverlust. Die Attraktivität des Besitzes von Gütern nimmt ab, weil -die Opportunitätskosten der Gütervielfalt steigen („Jenseits einer gewissen Anzahl werden die Dinge zu Zeitdieben“ -ihr „Zusatznutzen“ (z. B. als Statussymbol)

sinkt bzw. sich ins Gegenteil verkehrt (soziale Ächtung); -erkannt wird, daß sich immaterielle Bedürfnisse (z. B. Anerkennung) nur unzureichend materiell (durch Demonstrationskonsum) befriedigen lassen.

Durch neue Formen der Güternutzung eröffnen sich Möglichkeiten, die privaten und die sozialen Kosten im Konsumbereich zu senken. Der geringe Nutzungsgrad von Privat-Pkw, Waschmaschinen, Schlagbohrmaschinen etc. läßt sich durch gemeinschaftliche Nutzung (Car-Pools usw.) wesentlich erhöhen. Durch „nutzen statt kaufen“ sinkt die Zahl der Geräte und damit der Ressourcenverbrauch. 3. Grenzen der Marktkoordination Suffizienzrevolution stellt auch den Markt als dominierenden Mechanismus zur Koordination individueller Pläne in Frage Die Nutzung von anonymen Märkten und allgemein anerkannten Tauschmitteln (Geld) senkt zwar die Kosten der Güterbeschaffung (Transaktionskosten) -zumal wenn die Qualität dieser Güter immer mehr normiert und standardisiert wird Dies wird aber auch als Deprivation von sozialen Kontakten und damit als Verlust begriffen. Daher gilt es, den Güter-und Leistungsaustausch auch als Teil der sozialen Beziehung zu sehen und zu nutzen. Das Gespräch und die Verkaufsverhandlungen zwischen Hersteller und Verbraucher gibt beiden etwas über den reinen Warenwert Hinausgehendes: dem Hersteller die Gelegenheit, die Mühen und das Einzigartige seines Produkts mitzuteilen, evtl, auch Anregungen zur Produktverbesserung zu erhalten; dem Kunden ein Erlebnis, eine Erinnerung. Die Transaktionskosten werden sich zwar erhöhen, doch verliert dieses Argument mit immer weiter fortschreitender Verkürzung der Arbeitszeit an Bedeutung.

In einer Vielzahl von Experimenten werden diese Gedanken bereits realisiert, z. B. durch Direktvermarktung von landwirtschaftlichen Produkten, lokale Tauschsysteme (mit eigener „Tauschwährung“), Kredite gegen Naturalleistungen. Insgesamt geht es nicht um ein Zurück zur Tauschwirtschaft, sondern um eine Neu-Abgrenzung der Sphäre des anonymen Marktes im Rahmen eines stärker auf lokale Zusammenhänge und Bindungen ausgerichteten und auf der Wiederentdeckung von Produktion und Konsumtion als Teil zwischenmenschlicher Beziehungen beruhenden Wirtschafts-und Lebensstils.

IV. Institutionelle Innovationen

Institutionen und Regeln schaffen einen Ordnungsrahmen, der Entscheidungsprozesse vor-strukturiert und damit zur Reduzierung von Komplexität und Ungewißheit beiträgt. Insofern sind sie für das effiziente Funktionieren einer Gesellschaft unerläßlich. Damit sie ihre Funktion erfüllen können, benötigen sie ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit. Sie müssen aber der Revision zugänglich sein und bei grundlegend veränderten Bedingungen reformiert werden -sonst wird aus ihnen ein Entwicklungshemmnis. Da Zukunftsfähigkeit Langzeitpolitik verlangt, sind einerseits institutioneile Innovationen gesucht, die den Mangel an Langzeitorientierung im politischen System ausgleichen. Gesucht sind zum anderen Institutionen, die Kommunikation, Konfliktaustragung und Konsensfindung unterstützen. 1. Wohlstandsmessung Nur eine Gesellschaft, die über ein unverzerrtes und klares Bild ihrer Lage, ihrer Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit verfügt, kann rationale Entscheidungen über ihre Zukunft treffen. Ein gesamtwirtschaftliches Rechnungswesen, das nur auf die Veränderung der Güter-und Dienstleistungsversorgung abstellt, bietet keine ausreichende Entscheidungsgrundlage. Zukunftsfähige Politik verlangt daher die Erstellung einer umfassenden umweltökonomischen Gesamtrechnung.

Die amtliche Statistik und ihre politische Interpretation müssen sich lösen von der Fixierung auf eindimensionale Größen (z. B. die Wachstumsrate des Sozialprodukts). Neue Regeln der Wohlstandsmessung sind wichtig, weil sie bewußtseinsprägend und politikbestimmend wirken. 2. Der ordnungspolitische Kernbereich Der Schwerpunkt einer Politik der Nachhaltigkeit liegt auf der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Nutzungsgrenzen und Umweltqualitätsziele. Daraus lassen sich Mengenpfade ableiten (Nutzungsmengen, Immissionsmengen). Es sind daher Instrumente erforderlich, die die Einhaltung dieser Mengenvorgaben gewährleisten. Das Instrument, das dies am wirksamsten und kostengünstigsten sicherstellen kann, ist die Zertifikatslösung: Der Staat legt die Gesamtnutzungsmenge (und einen Reduktionspfad) fest, gibt an die Verschmutzer frei handelbare Verschmutzungsrechte aus und überläßt die Allokation der (abnehmenden) Nutzungsmenge dem Markt. Statt durch Mengenpolitik könnte der Staat auch durch Abgaben (Steuern oder Sonderabgaben) die Umwelt-nutzung zurückdrängen. Der Mengenpfad läßt sich bei diesem Vorgehen zwar nicht exakt einhalten, doch haben Abgabenlösungen politische Vorteile (z. B. „double dividend“ durch die Art der Mittel-verwendung). In denjenigen Bereichen, in denen ein Mengenpfad (noch) nicht definiert ist, kommt der Stärkung des Haftungsprinzips (mit Versicherungspflicht) besondere Bedeutung zu. Dies bewirkt auf breiter Basis schadensverhütende Aktivitäten (Vorfeld-und Breitenwirkung). Wenn es gelingt, Mengensteuerung (über Zertifikate oder Abgaben) und Haftung zu realisieren, dann können direkte Eingriffe in die Vertragsfreiheit durch Ordnungsrecht (Ge-/Verbote) auf ein Minimum reduziert werden.

Da Ordnungsrecht weiterhin zur Anwendung kommen wird, öffnet sich auch hier ein weites Feld für innovative Lösungen. Das Ordnungsrecht kann effizienter gestaltet werden durch Nutzung von Privatisierungsmöglichkeiten, Verfahrensvereinfachungen und Steigerung der Effizienz von Umweltbehörden (durch Qualifikationsmaßnahmen, Leistungsanreize, Verbesserung der technischen und personellen Ausstattung).

Durch Regulierungsreform ließe sich in einigen Beispielen mehr Wettbewerbsfreiheit mit ökologisch positiven Effekten verbinden. Marktordnungen, die -wie in der Elektrizitäts-oder der Verkehrswirtschaft -eine Einschränkung des Wettbewerbs zulassen, führen vielfach zu Mittel-verschwendung und Innovationsdefiziten. Durch Reform der zum Teil jahrzehntealten Regulierun19 gen ließen sich ökologische und ökonomische Verbesserungen erzielen (höherer Auslastungsgrad, geringerer Ressourceneinsatz). 3. Ökologische Strukturpolitik Zukunftsfähigkeit kann durch staatliche Innovationsförderung unterstützt werden. Weitgehend unumstritten ist dies im Bereich der Grundlagenforschung. Gerade im ökologischen Struktur-wandel liegen die Probleme allerdings ganz überwiegend nicht im Forschungs-und Entwicklungsbereich, sondern in der Markteinführung. Diese wird aber wirkungsvoll durch die veränderten Rahmenbedingungen und die daraus resultierende Veränderung der relativen Preise gefördert. Subventionen für „Zukunftsindustrien“ erübrigen sich dann weitgehend. Im Einzelfall können auch strukturpolitische Maßnahmen zur Abfederung der Folgen des ökologischen Strukturwandels für „Verlierer“ -Branchen und -Regionen begründet sein („Konversionsprogramme“). Jenseits dieser traditionellen Ansätze muß der Staat vor allem die Rolle des Katalysators (nicht nur Mediators) im Strukturwandel übernehmen. Von besonderer Bedeutung erscheint die Erstellung und regelmäßige Fortschreibung eines „Nationalen Umweltpolitikplanes“ wie er z. B. schon von den Niederlanden und von Österreich vorgelegt worden ist Dies soll kein Schritt zur Planwirtschaft, sondern Kristallisationspunkt einer Zukunftsdiskussion sein und die (In-) Konsistenz unterschiedlicher Zielvorstellungen aufzeigen. 4. Langzeitorientierung Politiker denken und handeln (überwiegend) in Zeithorizonten, die durch ihre Amtsperiode bestimmt sind. Krisenmanagement beansprucht sie so sehr, daß für Langzeitpolitik wenig Raum bleibt. Zudem sind sie in starkem Maße dem Einfluß von Interessengruppen ausgesetzt, die für ihre Wiederwahl von Bedeutung sind. Zur Überwindung dieser Schwächen des demokratischen Systems gibt es eine Vielzahl von Vorschlägen zur Schaffung ergänzender Institutionen. Friedrich A. von Hayek hat zum Beispiel die Einführung einer zweiten Kammer vorgeschlagen, die durch eine lange Amtsperiode von den Zwängen der Tagespolitik frei sein sollte In der Bundesrepublik liegen überwiegend positive Erfahrungen mit unabhängigen Institutionen wie der Deutschen Bundesbank, dem Bundeskartellamt oder auch den Rechnungshöfen vor. Je nach konkreter Ausgestaltung und Kompetenz könnten daher unabhängige Institutionen -ein Ökologischer Rat, eine Bundesumweltzentrale o. ä. -eine wichtige Funktion haben. Das gesellschaftliche Anliegen der Zukunftsfähigkeit kann aber insgesamt nicht an eine Institution delegiert werden, sondern bedarf des Zusammenwirkens einer Vielzahl von Akteuren. 5. Kommunikation und Konsensfindung Der Politikbetrieb hat gerade in den letzten Jahren eine Vielzahl von neuen Formen der Kommunikation und Konsensfindung hervorgebracht: Runde Tische, Enquete-und Zukunftskommissionen mit unterschiedlichem Rang und Besetzungsmuster, Bürgerforen, Mediationsverfahren, Werkstattgespräche, sektorale Konsensgespräche. Der wohl wichtigste Beitrag all dieser Gremien und Institutionen ist die Förderung gemeinsamer Lernprozesse und die Lockerung starrer Fronten und Abwehrhaltungen. Obwohl damit ein nicht geringer Aufwand verbunden ist und vieles (scheinbar) ergebnislos bleibt, ist ihr Beitrag zum Aufbau einer neuen Kommunikationskultur nicht zu unterschätzen. Gerade in Umweltfragen hat sich gezeigt, daß kompetente Auseinandersetzung nicht den Experten und Politprofis überlassen werden muß, sondern Bürgerbeteiligung möglich und fruchtbar ist. Politik der Nachhaltigkeit verlangt daher eine Stärkung der Beteiligungsmöglichkeiten und -rechte der Bürger, dazu gehört auch ein verbesserter Zugang zu Umweltinformation.

V. Innovationen im politischen System zur Verbesserung der Durchsetzungschancen

1. Modernisierung des politischen Systems Wenn Zukunftsfähigkeit einen neuen Wirtschaftsund Lebensstil, einen neuen Kulturentwurf erfordert, wäre es eine Überforderung, die Lösung vom hoheitlich agierenden Staat zu erwarten. Dies muß ganz wesentlich im nichtstaatlichen Bereich realisiert werden. Ohne Änderungen im ordnungspolitischen Rahmen würde es allerdings sehr rasch zu Überforderung und Frustration der Privaten kom-men. Erfolge im ordnungspolitischen Kernbereich sind also unerläßlich. Die Reformkräfte im staatlichen Bereich können sich aber nur durchsetzen auf der Basis einer aktiven, wachen und engagierten Öffentlichkeit. Wegen der Bedeutung für den ökologischen und politischen Modernisierungsprozeß muß in dieses öffentliche Gut investiert werden -zum Beispiel durch Erziehung und Bildung. Am Gemeinwohl interessierte Staatsbürger können nicht einfach vorausgesetzt werden. Wie staatliches Investieren in öffentliches Engagement im einzelnen aussehen könnte, läßt sich am besten akteursbezogen diskutieren. 2. Reformkräfte und Akteure Jeder Bürger ist zugleich Betroffener und Akteur einer Politik der Nachhaltigkeit. Bewußt oder unbewußt ist er Teil von Akteursgruppen, aus deren Interessen, Verhalten und Verhaltensänderungen sich die Dynamik jeder Politik erklären läßt. Es ist hier nicht möglich, auf alle für eine Politik der Nachhaltigkeit wichtigen Akteursgruppen einzugehen,, vielmehr können nur zwei Beispiele -Wissenschaft und Umweltverbände -herausgegriffen werden Für alle Akteursgruppen gilt: Es gibt Verhaltensfreiräume, die für mehr oder weniger umweltverträgliches Verhalten genutzt werden können. Auch deshalb ist der Ort der Moral nicht allein der Ordnungsrahmen. Ohne „Sustainability-Ethos“ wird zukunftsfähige Entwicklung nicht vorankommen. So begrenzt die Verhaltensfreiräume der Akteure auch sein mögen, es wäre ein Fehler, sie zu übersehen und zu unterschätzen.

Da Nachhaltigkeit nicht nur eine Frage für Umweltexperten ist, sondern auch eine Veränderung der (Ernährungs-, Wohn-, Arbeits-, Freizeit-) Kultur beinhaltet, kann jeder Bürger an diesem Veränderungsprozeß teilnehmen. Schritte zur Nachhaltigkeit können in kleinen, überschaubaren Projekten gegangen werden, die primär als praktische Lebensgestaltung und nicht als politischer Akt begriffen werden: Stadt-Land-Partnerschaften, Car-Sharing-Initiativen, Entwicklungsprojekte für den Norden, regionale Nachhaltigkeitskonzepte, flexible Beschäftigungsmodelle, Wohn-und Siedlungsprojekte etc. In solchen Projekten kann sich die Phantasie und Kreativität einer Vielzahl von Menschen ausdrücken. Das schafft nicht nur einen Ausgleich zum bislang theorielastigen Diskurs, sondern füllt die Idee der neuen Wohlstands-modelle mit praktischem Inhalt Staatliche Politik sollte günstige Rahmenbedingungen für das Experimentieren mit neuen Lebens-und Wirtschaftsformen schaffen, z. B. durch die Einführung eines Bürgergeldes, das auf unbürokratische Weise ein Mindesteinkommen sichert und kulturprägende Wirkung haben könnte. 3. Wissenschaft Besondere Hoffnungen sind immer wieder auf eine Führungsrolle der Wissenschaft gesetzt worden. Die Wissenschaft kann solche Erwartungen aus verschiedenen Gründen nur teilweise erfüllen: Erstens aufgrund ihrer begrenzten Fähigkeit zur Erkenntnis der Wirklichkeit: Wissenschaftler bewegen sich im Denkschema wissenschaftlicher Paradigmen, die sich -auch wenn unlösbare „Rätsel“ auftreten -nur sehr langsam verändern. Erkenntnisfortschritt ist auch ein soziologischer Prozeß, der mit Schulenbildung, Karrierechancen und verlorenen Investitionen in ein bestimmtes Wissen zu tun hat.

Zweitens aufgrund ihrer Wertneutralität: Hat die Wissenschaft nur die Erkenntnis der Wirklichkeit (Unterscheidung zwischen wahren und falschen Aussagen) zum Gegenstand, oder ist es auch ihre Aufgabe, an der Gestaltung der Wirklichkeit mitzuwirken? Wissenschaftliche Politikberatung muß die Gratwanderung riskieren zwischen Elfenbeinturm und Ideologie und kann dabei am ehesten bestehen, wenn sie auf wertende Prämissen nicht völlig verzichtet, sondern diese klar kenntlich macht.

Der Staat kann das Interesse des Wissenschaftssystems an einer Politik der Nachhaltigkeit durch Entfaltung von Nachfrage steigern, z. B. durch die Vergabe von Projektmitteln oder die Einsetzung von wissenschaftlichen Beratergremien und Kommissionen. 4. Umweltverbände Besonders Umweltverbände haben in der Debatte um Zukunftsfähigkeit eine wichtige Funktion als „Schrittmacher“ und als „ethosbildende Kraft“ Sie wirken auch als transaktionskostensenkende Institution: Da sich die Bürger in umweltpolitischen Fragen nicht auf unmittelbare Wahrnehmung verlassen können und sie der Streit der Experten oft ratlos zurückläßt, sind sie in ihrer Urteilsbildung zunehmend auf intermediäre Institutionen angewiesen, die ein Vertrauenskapital aufgebaut und deren Aussagen deshalb Glaubwürdigkeit haben. Diese Funktion wird teilweise von Unternehmen und Umweltverbänden auch schon kommerziell genutzt (Öko-Sponsoring). Verstärkt durch die Aufmerksamkeit der Medien haben Umweltverbände einen Einfluß gewonnen, der weit größer ist, als in ihren Budgets oder Mitarbeiterstäben zum Ausdruck kommt. Zur Stärkung dieser Reformkraft muß die staatliche Politik vor allem deren Mitspracherechte ausweiten (z. B. Verbandsklage). Von Staatsgeldern wollen diese Verbände nicht abhängig sein, aber die projektbezogene Förderung könnte ebenso verstärkt werden wie eine Kostenerstattung für die Mitwirkung in Ausschüssen, Bei-und Sachverständigenräten.

VI. Schlußbemerkungen und Ausblick

Zukunftsfähigkeit ist hier als Erhalt des Naturvermögens interpretiert worden. Die Konsequenzen einer solchen Sichtweise sind keineswegs staatliche Bewirtschaftung oder Öko-Diktatur. Im Gegenteil: Erforderlich sind Phantasie und Kreativität, um unter ökologischen Restriktionen neue Formen der Wohlstandssteigerung zu finden. Eine umfassende Strategie der ökologischen Innovation braucht weiterhin neue Technologie; der Schwerpunkt der Innovationsaktivität muß sich allerdings in den gesellschaftspolitischen Bereich verlagern: neue Lebensstile, neue Institutionen und Regeln sind gefragt.

Verschärfter internationaler Wettbewerb ist kein Grund, der gegen eine zukunftsfähige Reformpolitik spricht. Eine Nation, die nicht über Kompetenz zur Lösung ökologischer und damit verbundener sozialer Probleme verfügt, wird sich auch nicht unter den führenden Nationen der Welt halten können. Die Wirtschaftsgeschichte ist voll von Beispielen für den Niedergang von Nationen und Regionen aufgrund der Übernutzung und des daraus resultierenden Zusammenbruchs von Ökosystemen -von der Abholzung der Wälder im Mittelmeerraum zur Römerzeit über den Raubbau in den Tropen bis zu radioaktiv oder chemisch verseuchten Territorien (Tschernobyl, Seveso etc.). Der internationale Wettbewerb ist auch ein Wettbewerb der Wirtschaftssysteme -allerdings nicht länger zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft, sondern um die beste, zukunftsfähige Form einer marktwirtschaftlichen Ordnung

Der Prozeß der soziokulturellen Veränderung wird nicht von einem wohlwollenden Diktator „Staat“ angestoßen und getragen werden. Dazu ist vielmehr die Aktivierung einer Vielzahl gesellschaftlicher Akteursgruppen und Interessen erforderlich (Verbraucher, Unternehmer, Nicht-Regierungsorganisationen, Wissenschaft etc.). Nur wenn dieses Engagement wächst und durch Reform des politischen Systems gestärkt wird, hat zukunftsfähige Entwicklung eine Chance. Die staatliche Politik kann öffentliches Engagement erleichtern, Bedingungen verbessern, z. B. durch Beteiligungsrechte und ein Grundeinkommen, das ehrenamtliche Tätigkeit stärkt. Davon gehen dann wiederum innovative Impulse auf die staatliche Politik aus, und es kann ein sich selbst verstärkender Prozeß entstehen.

Das große Zukunftsprojekt, für das die gesellschaftliche Kreativität und Phantasie mobilisiert werden muß, ist nicht Raumfahrt und auch nicht die Genom-Analyse. Es ist die Suche nach neuen, umweltentlastenden Wegen zu Wohlstand und Glück. Dazu bedarf es zunächst positiver Leitbilder, die Hoffnungen wecken, statt lähmende Angst zu verbreiten; „Ist erst das Reich der Vorstellung revolutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht aus.“ (Georg W. F. Hegel)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Einige der hier vorgetragenen Gedanken sind ausführlicher dargestellt in: Rudi Kurz, Umweltschutz, Innovation und internationale Wettbewerbsfähigkeit, in: Adolf Wagner (Hrsg.), Dezentrale Entscheidungsfindung bei externen Effekten. Innovation, Integration und internationaler Handel, Tübingen -Basel 1993, S. 317-337; Rudi Kurz, Internationale Wettbewerbsfähigkeit, in: ders. /Angelika Zähmt (Hrsg.), Marktwirtschaft und Umwelt, Bonn 1994, S. 92-96; ders., Nachhaltige Entwicklung und Nord-Süd-Problematik, in: WSI-Mitteilungen, 48 (1995) 4, S. 272-277; ders. /Jürgen Volkert/Jörg Helbig, Ordnungspolitische Grundfragen einer Politik der Nachhaltigkeit, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft, Tübingen 1996 (i. E.).

  2. Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Unsere gemeinsame Zukunft (Brundtland-Report), hrsg. von Volker Hauff, Greven 1987, S. 46.

  3. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen spricht -mit Jürgen Habermas -von einer Krise des „Projekts der Moderne“, die sich darin zeige, daß die moderne Gesellschaft nicht nur im Umgang mit der Natur „gewaltig in Verzug geraten ist, sondern auch in der Entwicklung von ... neuen moralischen Leitideen und Orientierungslinien“. (Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Für eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung, Umweltgutachten 1994, Bonn 1994, Textziffer [Tz. ] 17.)

  4. Vgl. auch Wolfgang Sachs, Die vier E’s. Merkposten für einen maßvollen Wirtschaftsstil, in: Lebensstil oder Stilleben. Lebenswandel durch Wertewandel, Sonderheft der Politischen Ökologie, München 1993, S. 69-72.

  5. „Do extra sawmills substitute for diminishing forests? Do more refineries substitute for depleted oil wells? Do larger nets substitute for declining fish populations? On the contrary, the productivity of sawmills, refineries, and fishing nets (manmade Capital) will decline with the decline in forests, oil deposits, and fish.“ (Vgl. Herman Daly, Towards Some Operational Principles of Sustainable Development, in: Ecological Economics, 2 [1990], S. 3.)

  6. Vgl. dazu ebd. und Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt“ (Hrsg.), Die Industriegesellschaft gestalten. Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit Stoff-und Materialströmen, Bonn 1994, S. 26 ff.

  7. Das würde allerdings bei unendlichem Zeithorizont bedeuten, daß faktisch keine Generation diese Ressourcen nutzen könnte. Wenn von einer endlichen Zahl von Generationen ausgegangen wird, kann der Ressourcenbestand auf die Generationen verteilt werden -wobei sich dann das Problem der Verteilungsregel stellt.

  8. Artenvielfalt als eigenständige Managementregel kann sowohl anthropozentrisch (Nutzen für zukünftige Generationen) als auch durch ein Eigemecht der Natur (Bewahrung der Schöpfung) oder das Retinitätsprinzip (vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Anm. 3, Tz. 36) begründet werden. Diese Regel hat vor allem Konsequenzen für die Flächennutzung, denn Artenschutz ist ohne Flächen-schutz nicht möglich.

  9. Für eine ausführlichere Darstellung vgl. z. B. Rudi Kurz/Achim Spiller, ökologische Unternehmensführung, in: Rudi Kurz/Angelika Zähmt (Anm. 1), S. 36 ff.; Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ (Anm. 6); BUND/Misereor (Hrsg.), Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, Studie des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Basel u. a. 1996.

  10. Vgl. dazu W. Sachs (Anm. 4); R. Kurz/J. Volkert/J. Helbig (Anm. 1); BUND/Misereor (Anm. 10). „Der heutige Lebensstil der Industrieländer ist per se nicht zukunftsverträglich“ und würde „bei einer weltweiten Nachahmung in den ökologischen Kollaps führen.“ (Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ [Anm. 6], S. 86 f.)

  11. Dies kann auch ökonomisch sinnvoll sein, weil die Verkürzung der Produktlebenszyklen in eine Beschleunigungsfalle führt, in der die Erwirtschaftung der hohen Vorlauf-kosten für Forschung und Entwicklung nicht mehr gelingt.

  12. John M. Keynes unterscheidet zwischen absoluten Bedürfnissen (z. B. Hunger) und relativen Bedürfnissen (z. B. gesellschaftlicher Status). Der Wirtschaftsprozeß sei nur geeignet, erstere zu befriedigen. In der kulturellen Entwicklung nehme aber das Gewicht der relativen Bedürfnisse immer mehr zu, so daß Bedürfnisbefriedigung immer weniger durch Wirtschaften erfolgen kann. „This means that the economic problem is not -if we look into the future -the permanent Problem of the human race.“ (John M. Keynes, Economic Possibilities for Our Grandchildren, Collected Writings, Vol. 9: Essays in Persuasion, London 1930/1972, S. 326).

  13. Vgl. Tibor Scitovsky, Psychologie des Wohlstands. Die Bedürfnisse des Menschen und der Bedarf des Verbrauchers, Frankfurt am Main 1976.

  14. Tibor Scitovsky (Anm. 13) zeigt, daß Zufriedenheit nicht nur vom Reiz neuer (Konsum-) Erfahrungen abhängt, sondern auch ganz wesentlich aus der Befriedigung resultiert, die aus Teilhabe am Arbeitsprozeß gewonnen werden kann. Hier liegen unerschlossene Wohlstandsreserven, die im Rahmen einer zukunftsfähigen Politik erschlossen werden können.

  15. „In einer Kultur, wo nicht nur 236 Gegenstände bekannt sind wie bei den Navajos, sondern wo jeder Haushalt durchschnittlich 10 000 Dinge zur Verfügung hat, da muß Zeit-knappheit herrschen. Güter, große wie kleine, wollen ausgewählt, eingekauft, hingestellt, gebraucht, erlebt, gepflegt, aufgeräumt, entstaubt, repariert, verstaut und entsorgt sein; auch die schönsten und wertvollsten Gegenstände nagen im-vermeidlich an der beschränktesten aller Ressourcen: der Zeit.“ (BUND/Misereor [Anm. 9], S. 171).

  16. Adam Smith hat als Fortschritt hervorgehoben, daß es „nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers“ abhängt, ob diese uns mit Waren versorgen. Kaufkraft sichert dem Konsumenten den Zugriff auf eine gewünschte Ware zuverlässiger als Freundschaft. Vgl. Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, London 17895, München 1978, S. 17.

  17. Vgl. dazu auch George Ritzer, Die McDonaldisierung der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1995.

  18. Für einen Überblick der vorliegenden Erfahrungen mit nationalen Entwicklungsplänen vgl. OECD, Planning for Sustainable Development. Country Experience, Paris 1995.

  19. Um eine gewisse Lebenserfahrung der Mitglieder sicherzustellen, schlägt von Hayek ein Mindestalter der Mitglieder von 45 Jahren vor. Vgl. Friedrich A. von Hayek, Law, Legislation and Liberty. The Political Order of a Free People, London 1979, S. 105 ff. Im Hinblick auf Zukunftsfragen scheint eine Kammer der „elder statesmen“ jedoch wenig geeignet. Das Gegenmodell sind Kinderparlamente, denn Kinder haben noch das größte Stück Zukunft vor sich.

  20. Damit bleiben wichtige Akteursgruppen unerwähnt, z. B. Verbraucher, die durch ihr Kaufverhalten (bis hin zum Boykott) Lernprozesse in Unternehmen nachhaltig voranbringen können; Arbeitnehmer, die ökologische Verbesserungen von Produktionsprozessen und Produkten (zumindest) anregen können; Unternehmer, für die Denken in Nachhaltigkeits-Kategorien mehr als nur eine Öko-Marktnische eröffnen kann; Medien/Journalisten, deren (Nicht-) Berichterstattung wesentlich darüber entscheidet, was die Öffentlichkeit überhaupt als Problem wahrnimmt. Vgl. R. Kurz/J. Volkert/J. Helbig (Anm. 1).

  21. Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (Anm. 3), Tz. 394 ff.

  22. „Sorgen wir dafür, daß die zukunftsverträglichen Lebensformen nicht mit Verzicht, sondern mit Freude, nicht mit Grau, sondern mit allen Farben der Natur, nicht mit Verboten, sondern mit Lebensbejahung und Sinnenlust verbunden werden. Damit gewinnen wir eine Mehrheit für das Leben und für das Leben eine Zukunft.“ (Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ [Anm. 6],

  23. Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (Anm. 3), Tz. 388; BUND/Misereor (Anm. 9).

  24. Vgl. R. Kurz, Umweltschutz ... (Anm. 1).

Weitere Inhalte

Rudi Kurz, Dr. rer. pol., geb. 1952; Studium der Volkswirtschaftslehre in Tübingen; 1978 bis 1988 wissenschaftlieher Referent im Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung Tübingen; seit 1988 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Pforzheim. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Hans-Werner Graf und Michael Zarth), Der Einfluß wirtschafts-und gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen auf das Innovationsverhalten von Unternehmen, Tübingen 1989; Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik in den USA. Grundlagen, Praxis und Konsequenzen, Tübingen 1993; (Hrsg. zus. mit Werner Faix und Felix Wichert) Innovation zwischen Ökonomie und Ökologie, Landsberg 1995.