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Hunger und Armut in den Entwicklungsländern. Dimensionen, Fortschritte und Lehren aus erfolgreicher Politik | APuZ 24-25/1996 | bpb.de

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APuZ 24-25/1996 Artikel 1 Artikel 2 Weltrisikogesellschaft und öffentliche Wahrnehmung globaler Gefährdungen Weltbevölkerungswachstum: Die Bürde des 21. Jahrhunderts Hunger und Armut in den Entwicklungsländern. Dimensionen, Fortschritte und Lehren aus erfolgreicher Politik Globale und regionale Umweltprobleme als Herausforderung für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit

Hunger und Armut in den Entwicklungsländern. Dimensionen, Fortschritte und Lehren aus erfolgreicher Politik

Joachim von Braun

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Anteil der Hungernden in den Entwicklungsländern ist in den beiden vergangenen Jahrzehnten bis Anfang der neunziger Jahre zwar von 36 Prozent auf 20 Prozent der Bevölkerung gesunken. Aber immer noch leiden ca. 840 Millionen Menschen unter gravierenden Defiziten an Grundnahrungsmitteln. Die Versorgung der Welt mit Nahrungsmitteln ist in den vergangenen zwei Jahren prekär geworden (der Weltmarktpreis für Weizen stieg von Mai 1995 bis Mai 1996 um 70 Prozent). Die Armutsbekämpfung tritt bestenfalls auf der Stelle, wenn die makroökonomischen Rahmenbedingungen einer wirtschaftlichen Wachstumsentwicklung mit breit gestreuter zusätzlicher Schaffung von Arbeitsplätzen im Wege stehen. Voraussetzungen einer nachhaltigen Bekämpfung des Hungers sind die Bereitstellung von Infrastruktur, neuem Wissen und Technologie vor allem zur Förderung der landwirtschaftlichen und ländlichen Entwicklung. Neue Programme, die direkt oder indirekt den Hunger gezielt reduzieren, setzen sich durch. Überwindung des Hungers ist humanitär geboten. Dazu ist Politikkorrektur auf internationaler und vor allem auf nationaler Ebene erforderlich. Prioritäten müssen neu definiert werden, um wirklich durchgreifende, nachhaltige Maßnahmen gegen Hunger und Armut zu ermöglichen.

I. Hunger und Armut -Eine Herausforderung an die Politik

Der Fortbestand des Hungers in der Welt ist das größte verbleibende Problem von Politik-und Marktversagen. Nicht eine aktuelle, von den Medien aufgegriffene Hungersnot in einem einzelnen Land, sondern drei generelle Entwicklungen bringen das Thema Hunger zur Zeit wieder auf die Tagesordnung der internationalen Politik, und diese Gründe werden nicht rasch wieder verschwinden, da sie aus grundlegenden Veränderungen resultieren: -Die Versorgung der Welt mit Nahrungsmitteln ist in den vergangenen zwei Jahren prekär geworden. Die Weltlagerbestände bei Getreide reichten Anfang 1996 für 53 Tage des Verbrauchs, während sie im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre noch ca. 80 Tage reichten. Die Preise spiegeln diese Knappheit wider: Der Weizenpreis auf den Weltmärkten nahm innerhalb eines Jahres bis zum Mai 1996 um 70 Prozent zu. Kurzsichtige Reduzierung der internationalen Anstrengungen für Agrarentwicklung in den achtziger Jahren der beschleunigte Nachfragezuwachs insbesondere Ostasiens und die Korrektur der Agrarpolitik der Industrieländer haben daran wichtigen Anteil. -Die immer knapper werdenden Wasser-und Landressourcen sowie die insgesamt kaufkräftiger gewordene wachsende Weltbevölkerung sind vermehrt ins Bewußtsein nationaler und internationaler Politik gerückt. -Der Fortbestand von Hunger in zahlreichen Ländern einer insgesamt reicher gewordenen Welt wird immer weniger toleriert. Internationaler Informationsfluß und mehr Teilhabe der Bevölkerung der Entwicklungsländer, also Partizipation und Demokratie auch in Regionen mit Hunger-problemen, erschweren das stillschweigende Hinnehmen von Hunger durch die lokale Politik.

Eine Reihe von Initiativen verschiedener Regierungs-und Nicht-Regierungsorganisationen sowie internationaler Organisationen hat sich, getragen von der wachsenden Sorge verzögerten Handelns bei der Hungerbekämpfung, in den vergangenen Jahren vernehmlich artikuliert Im November 1996 findet in Rom auf Initiative der Food and Agriculture Organisation der UNO (FAO) der Welternährungsgipfelstatt. Die Staatchefs der Welt sollen sich dabei zur Bekämpfung des Hungers verpflichten und konkretere Aktionen beschließen. Damit wird das ThemaHungerin eindringlicher Weise auf die internationale Tagesordnung gehoben, und dies ergibt einen Sinn: Ein Weitermachen wie bisher bei der Hungerbekämpfung würde keine Lösung des Problems bringen, und zunehmende internationale Verflechtungen fordern koordinierte Aktion in verstärktem Maße.

Die wissenschaftliche Bearbeitung des Problems Hunger in den vergangenen beiden Jahrzehnten kann mit politikrelevanten Einsichten aufwarten, die eine effektivere und effizientere Bekämpfung des Hungers ermöglichen. Verbreitete Vorstellungen wie: „Hunger ist nur ein Verteilungsproblem“ oder „Hunger existiert heute nur noch wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen“ gehen an der Realität sowie den Herausforderungen der Zukunft vorbei. Auch die Beziehungen zwischen Bevölkerungswachstum und Ernährungssicherung sind komplex und kein schlichter „Wettlauf“, denn Bedingungen, die zu einer Verbesserung der Ernährungslage heute führen, reduzieren das zukünftige Bevölkerungswachstum.

Das Hunger-und das Armutsproblem in den Entwicklungsländern überlappen sich und müssen gemeinsam behandelt werden. Die Überlappung der Probleme sagt aber wenig über die Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen beiden aus. Neue Konzepte, Analysen der Lage, Veränderungen der Dimensionen des Hungers und deren Ursachen einschließlich des Bezugs zur Armut -sollen deshalb eingangs dargestellt werden, ehe im Anschluß daran Erfahrungen erfolgreicher Politikmaßnahmen und die Implikationen für die Entwicklungspolitik diskutiert werden.

Unter Hunger wird hier ein nicht hinreichend befriedigter Bedarf an Nahrungsmitteln für ein gesundes und produktives Leben verstanden Über den bloßen Mangel an Kalorien hinaus umfaßt der hier weitgefaßte Begriff Hunger damit auch die Fehl-und Unterernährung als Folge vielfältiger Nährstoffdefizite, meist verbunden mit Gesundheitsproblemen, also z. B.: Vitamin-und Mineralstoffmangel, was als versteckter Hunger (hidden hunger) bezeichnet wird. Gemessen werden das Vorkommen und das Ausmaß von Hunger bzw.seine gesundheitlichen Folgen meist direkt über Konsumerhebungen indirekt über den Ernährungsstatus sowie mittels biochemischer Methoden, und im Rahmen akuter Hungersnöte auch anhand von Veränderungen der Sterbehäufigkeit.

Unter Armut ist absolute Armut zu verstehen, die auch im Hunger zum Ausdruck kommt, aber nicht die generelle Frage von Einkommensungleichheit. Die Verwässerung des Armutsbegriffes mit dem Begriff von „relativer Armut“ im deutschen Sprachgebrauch lenkt vom eigentlichen Problem ab. Armutsmessung ist nur bei Einführung absoluter Standards und nicht relativer Verteilungsmaße sachgerecht möglich Armutsmaße leiten sich somit aus Konsummöglichkeiten ab. Bei absoluter Armut stehen dabei die Befriedigung der Nahrungsgrundbedürfnisse und Zugang zu sauberem Wasser an erster Stelle. Kleidung, menschenwürdige Unterkunft und die Möglichkeit der Partizipation an Entscheidungsprozessen kommen hinzu, wie dies auf dem Weltsozialgipfel 1995 in Kopenhagen thematisiert wurde. Die Überwindung von Hunger ist somit notwendige Mindestvoraussetzung (aber nicht hinreichende Bedingung) für die Überwindung von Armut.

Die Überwindung von Hunger und absoluter Armut bleibt die entscheidende Herausforderung an die Wirtschafts-, Sozial-, Agrar-und Ernährungspolitik. Prävention von Hunger ist umfassende Ernährungssicherungspolitik. Die Herausforderung besteht zum einen darin, den heute bestehenden Hunger sowie Unter-und Fehlernährung der Armutsbevölkerung zu überwinden. Zum anderen besteht sie darin, Ernährung langfristig und nachhaltig zu sichern. Nachhaltige Armutsbekämpfung ist nicht durch einzelne Programme zu vollziehen, sondern muß im Rahmen kombinierter Maßnahmen, die auf regionale und institutioneile Gegebenheiten zugeschnitten sind, in Angriff genommen werden.

II. Dimensionen von Armut und Hunger

Armut betrifft etwa die Hälfte der fast sechs Milliarden Menschen umfassenden Weltbevölkerung: Eine Milliarde Menschen lebt von weniger als 1 US-Dollar und drei Milliarden von weniger als 2 US-Dollar pro Kopf und Tag . Dennoch sind große Fortschritte bei der Reduzierung von Armut und Hunger in Ländern mit niedrigem Einkommen erzielt worden.

Ein grundlegendes Indiz für diese Reduzierung ist die gestiegene Lebenserwartung. Hier zeigt sich: Die Armen leben länger. Heute beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung in Entwicklungsländern mit niedrigem Einkommen 62 Jahre, in Hocheinkommensländern 77 Jahre. Zumindest, was dieses Merkmal angeht, findet eine Annäherung an die Industrieländer statt: In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Lebenserwartung in Afrika um sieben Jahre erhöht und in Europa um 3, 5 Jahre. Die Säuglingssterblichkeit ist in den Entwicklungsländern in dieser Zeit von 108 auf 64 pro 1000 Neugeborene gesenkt worden Sie ist allerdings noch neunmal so hoch wie in den Industrieländern.Vergleicht man die Veränderung der Armut von Region zu Region und von Land zu Land, so zeigt sich allerdings ein zunehmend heterogenes Bild: -Zweifelsohne hat Armut in Entwicklungsländern mit signifikantem wirtschaftlichen Wachstum generell rapide abgenommen In Ostasien (z. B. Indonesien, China, Thailand) ist Armut in den siebziger und achtziger Jahren im Zuge der Wachstumsentwicklung besonders rasch zurückgegangen. -In den achtziger und neunziger Jahren gilt dies auch für Südasien. In Indien, das über gute Armutsstatistiken verfügt, sank der Anteil der Armen zwischen 1980 und 1994 von ca. 40 auf 19 Prozent und in Bangladesch die ländliche Armut zwischen 1981 und 1990 von 65 auf 38 Prozent -Allerdings gilt dieser positive Zusammenhang zwischen Wachstum und Reduzierung der Armut nicht für Länder mit sehr ungleicher Einkommens-verteilung und einem großen Anteil urbaner Armutsbevölkerung, wie in einigen Ländern Lateinamerikas und des Nahen Ostens, wo die Armut stagniert oder sogar zunimmt. -In Afrika südlich der Sahara hat Armut in einer Reihe von Ländern in den letzten Jahren, für die vergleichbare Daten vorliegen, abgenommen, so in Äthiopien (1989-1994), Ghana (1988-1992), Nigeria (1985-1992) und Tansania (1983-1991). Andere Länder wie Kenia und die Elfenbeinküste weisen hingegen stagnierende oder zunehmende Armut auf, und in fünf von den genannten sechs afrikanischen Ländern ging es den Ärmsten der Armen (unterste zehn Prozent der Einkommens-skala) am Ende der zitierten Zeiträume schlechter als am Anfang. Ihre Armut hat sich weiter verschärft

Bei der Bekämpfung von Hunger und Unterernährung sind ebenfalls Fortschritte zu verzeichnen: -Der Anteil der Hungernden an der Bevölkerung der Entwicklungsländer ist in den beiden vergangenen Jahrzehnten bis Anfang der neunziger Jahre von 36 auf 20 Prozent gesunken. Allerdings ist zugleich zu vermerken, daß immer noch ca. 840 Millionen Menschen unter gravierenden Defiziten von Grundnahrungsmitteln (Kalorien) leiden, also hungern Diese Angaben enthalten nicht die vermutlich gestiegene Zahl der Hungernden in den Transformationsländern Osteuropas und Zentralasiens. -Der Pro-Kopf-Konsum bei Kalorien stagniert in den ärmsten Entwicklungsländern, während er in den Entwicklungsländern insgesamt im letzten Jahrzehnt um acht Prozent zugenommen hat. Die absolute Anzahl der Hungernden hat seit Anfang der achtziger Jahre in allen Regionen -bis auf Afrika -abgenommen. In Afrika hungern schätzungsweise über 200 Millionen Menschen. -Ein Defizit an Vitamin A, das zur Erblindung führen kann, ist ein Problem in mindestens 60 Ländern, wo ca. 40 Millionen Kinder darunter leiden. Von Joddefizit sind schätzungsweise 29 Prozent der Weltbevölkerung betroffen. Fast zwei Milliarden Menschen haben Eisenmangel; Frauen sind davon besonders betroffen -Die Zahl der unterernährten (untergewichtigen) Kinder beträgt ca. 190 Millionen und geht nur sehr langsam zurück. Der relative Anteil von unterernährten Kindern in Entwicklungsländern ist in den letzten 20 Jahren beachtlich gesunken, aber Ernährungsprobleme sind die Ursache von ca. 55 Prozent der Kindersterblichkeit in Entwicklungsländern Rund die Hälfte der unterernährten Kinder lebt in Südasien (Indien, Bangladesch, Pakistan, Nepal, Sri Lanka) und fast ein Drittel in Afrika südlich der Sahara. Dort hat die Anzahl in den letzten Jahren in einer Reihe von Ländern noch zugenommen. -Nach wie vor lebt die Masse der Hungernden auf dem Lande, ist aber landlos oder bewirtschaf-tet -insbesondere in Afrika -ertragsschwache, sehr kleine landwirtschaftliche Betriebe mit mangelndem Zugang zu Märkten und ertragssteigernder Technik. Der Anteil der Hungernden, der in Städten lebt, nimmt zu, nicht zuletzt wegen der begrenzten Einkommens-und Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Lande und steigender Urbanisierungsraten. -Akute Hungersnöte sind in den neunziger Jahren bisher weniger häufig aufgetreten als in den siebziger und achtziger Jahren und waren weitgehend auf Afrika südlich der Sahara beschränkt. Frühwarnsysteme, nationale Programme zur Abwendung von Hungersnöten und verbesserte Koordination der externen Hilfe haben dazu beigetragen Allerdings dauert Hunger im Zusammenhang komplexer Krisen mit dramatischen humanitären Konsequenzen in Regionen mit kriegerischen Auseinandersetzungen an.

Hunger verhindert auch eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Solche Partizipation ist aber Voraussetzung zur nachhaltigen Überwindung von Hunger und Armut. Das heißt also: Hunger perpetuiert Hunger, auch wegen mangelnder Macht der Hungernden. Die Chance zur Partizipation -also die Fähigkeit und tatsächliche Möglichkeit, an gesellschaftlichen Entscheidungen mitzuwirken -ist in vielen Ländern erheblich gestiegen. Voraussetzung für effektive Partizipation in Programmen zur Hunger-und Armutsbekämpfung ist ein verbesserter Bildungs-und Ausbildungsstand der Bevölkerung, insbesondere der Frauen. Von besonderer Bedeutung ist daher, daß die Einschulungsquoten sich in den letzten 20 Jahren von 50 auf nahe 74 Prozent im Durchschnitt der Entwicklungsländer mit niedrigem Einkommen erhöht haben, wobei sich die Einschulungsquoten von Mädchen, ausgehend von einem niedrigen Niveau, relativ rascher erhöhten (von 37 auf 66 Prozent).

Die zukünftige Entwicklung von Hunger und Armut vorauszuschätzen erfordert Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum politischen Handeln hinsichtlich der Hungerbekämpfung. Auf dem Weltkindergipfel (1989) war von den versammelten Staatschefs erklärt worden, die Unterernährung bei Kindern bis zum Jahr 2000 substantiell verringern zu wollen. Dies Ziel scheint kaum noch erreichbar. Unter der Annahme eines gleich-bleibenden Niveaus relevanter Maßnahmen und moderaten Wirtschaftswachstums werden im Jahr 2020 noch über 150 Millionen Kinder unterernährt sein, und in Afrika würde bei einem solchen Szenario die Zahl der unterernährten Kinder sogar nochmals um ca. 50 Prozent zunehmen Dieses in die Zukunft projizierte Ausmaß des Hungers ist aber keineswegs unumgänglich. Schon eine maßvolle Steigerung der Förderung des technischen Fortschritts in der Landwirtschaft in Kombination mit erhöhten Investitionen im sozialen Bereich (insbesondere für ernährungsrelevante Gesundheitsdienste) würde die Zahl der unterernährten Kinder bis 2020 halbieren können Auf dafür geeignete Maßnahmen wird weiter unten näher eingegangen.

III. Perspektiven und Ursachen des Hungerproblems

Das Hungerproblem läßt sich konzeptionell aus drei unterschiedlichen Sichtweisen betrachten: Hunger (1) als grundlegendes Menschenrechtsproblem, (2) als Symptom des umfassenden Armutsproblems und (3) als teilweise Ursache gerade dieses Armutsproblems.

Die erste Perspektive, Nahrung als Menschenrecht, hat wechselnde Aufmerksamkeit im Zeitablauf gefunden und erfährt in den neunziger Jahren wieder verstärkte Unterstützung. Die Internationale Übereinkunft der Vereinten Nationen über Ökonomische, Soziale und Kulturelle Rechte von 1966 definierte das Recht auf ausreichende Nahrung als ein Menschenrecht. Dieses Menschenrecht fand auch schon Erwähnung in früheren UN-Deklarationen und wurde später wiederholt. 1989 hatten 85 Staaten die Übereinkunft unterzeichnet; es mangelt jedoch an der Umsetzung und nationalen wie internationalen Überwachung dieses Rechtes. Dies heißt aber nicht, daß das Recht auf Nahrung völlig bedeutungslos wäre. Es liefert insbesondere in den Unterzeichnerstaaten eine Basis für politische Artikulation. Der Welternährungsgipfel wird Gelegenheit bieten, das Recht auf Nahrung zu fördern. Diese Perspektive lenkt also die Aufmerksamkeit auf die Rechtlosigkeit der Hungernden und fordert Stärkung ihres Einflusses, u. a. durch vermehrte Partizipation in den sie betreffenden Programmen.Die zweite Perspektive, Hunger als Symptom des umfassenden Armutsproblems, betont als Ursache den Mangel an Verfügbarkeit von und Probleme beim Zugang zu Nahrung. Diese Probleme lassen sich wiederum im wesentlichen auf Mangel an Kaufkraft und evtl, nachteilige strukturelle Bedingungen (mangelnde landwirtschaftliche Produktivität, Probleme hinsichtlich Klarheit von Rechten, große Ungleichheit bei Eigentumsverhältnissen oder in gestörten Handelsbeziehungen) zurückführen. Als Folgerung für die Politik ist es unter dieser Perspektive naheliegend, den Schwerpunkt auf diese Armutsursachen des Hungers zu legen. Konkreter bedeutet dies, die Überwindung des Hungers durch wirtschaftspolitische und institutionelle Reformen, wirtschaftliche Entwicklung und technische Zusammenarbeit zu erreichen zu suchen.

Die dritte Perspektive, Hunger als Ursache von Armut, lenkt das Augenmerk auf die nachteiligen Wirkungen von Hunger für die wirtschaftliche Entwicklung und menschliche Produktivität. Diese Perspektive hat in den letzten Jahren größere Bedeutung erlangt. Wirtschaftshistorische Forschungen belegen die Tragweite verbesserter Ernährung für die wirtschaftliche Entwicklung der Industrieländer im und frühen 20. Jahrhundert, so insbesondere die Arbeiten des Nobelpreisträgers Robert Fogel 19. Die Beziehungen sind kurz-und langfristiger Art: Verbesserte Ernährung bei Erwachsenen wirkt sich meßbar in höherer Produktivität und höherer Arbeitsentlohnung aus. Verbesserte Ernährung von Kindern führt zu verbesserten kognitiven Fähigkeiten, die sich wiederum langfristig positiv auf Bildungsstand und Lebenseinkommen auswirken. Einfluß auf die nächste Generation hat ebenfalls der gestiegene Ernährungsstatus von Müttern, weil sich hierdurch die Start-und Entwicklungschancen ihrer Kinder nachhaltig verbessern, und dies vorteilhafte Implikationen für deren Gesundheit, Bildungs-und Lebenseinkommenschancen hat. Es wird oft verkannt, daß somit auch kurzfristige direkte Hunger-bekämpfung sehr langfristige positive Wirkungen hat. Diese Perspektive unterstreicht die Notwendigkeit, die Armut von morgen durch gezielte Bekämpfung des Hungers heute zu überwinden.

Diese drei Perspektiven sind nicht als konkurrierend zu verstehen, sondern sie haben jede für sich ihre Berechtigung. Allerdings implizieren die unterschiedlichen Perspektiven verschiedene Maßnahmenschwerpunkte und -kombinationen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Hungerproblems ist dies auch nicht verwunderlich.

Die Ursachen von Hunger und Ansatzpunkte zu seiner Bekämpfung sind somit auf mehreren verschiedenen, aber durchaus miteinander verbundenen Ebenen zu suchen. Die Hungerbekämpfung hat sich in der Vergangenheit eher auf die erste und die letzte der nachfolgend skizzierten vier Ebenen konzentriert und dadurch Ansatzpunkte für effizientere Politik und Programme übergangen: 1. Grundlegende politische und natürliche Ursachen: Politikversagen (verfehlte wirtschafts-und sozialpolitische Strategien, Diskriminierung, kriegerische Auseinandersetzungen); Ressourcenknappheit (natürliche und Human-ressourcen) und krisenhafte Bedingungen (z. B. Dürren); rasches Bevölkerungswachstum. 2. Institutionelle, organisatorische und strukturelle Bedingungen:

Stand, Entwicklung und Einsatz des technologischen Wissens und der Infrastruktur, insbesondere in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum;

Rechtssystem, Zugang zu und Verteilung von Vermögenswerten (insbesondere Land);

Funktionsweise und Effizienz von Systemen der sozialen Sicherung, Finanzsystemen und öffentlichen Dienstleistungen für Gesundheit und Bildung. 3. Funktionsweisen von Märkten: Insbesondere von Märkten für Nahrungsmittel, für Güter, die in hohem Maße von Armen produziert werden sowie Märkten für Arbeit. Die Hungernden haben oft keine oder nur unzureichend entlohnte Arbeitsmöglichkeiten. 4. Bedingungen auf und innerhalb der Haushalts-und Familienebene:

wo sich die Verfügbarkeit von Nahrung als Ergebnis des Standes der Technik (insbesondere in der'Landwirtschaft) und der Funktionsweisen von Märkten ergibt;

wo der Zugang zu Nahrung Resultat der Einkommenslage, der Ressourcen und der Preise ist;

wo Verhaltensweisen und Wissen die tatsäch31 liehe Nutzung und Verteilung von Nahrungsmitteln im Haushalt und die ernährungsrelevante Pflege von Haushaltsmitgliedern bedingen. Letzteres ist je nach der Rolle von Frauen und Kindern in einer Gesellschaft relevant dafür, wie sich erhöhte Nahrungsknappheiten auf einzelne Mitglieder der Haushalte auswirken.

Es reicht nicht, den gerade diagnostizierten Hunger zu bekämpfen. Ernährungssicherungspolitik muß präventiv sein. Der Anstieg des Anteils für Nothilfemaßnahmen in der internationalen Entwicklungskooperation auf ca. zehn Prozent in den letzten Jahren ist besorgniserregend und auch ein Resultat unzureichender präventiver Ernährungssicherungspolitik in der Vergangenheit.

IV. Erfolgreiche Politik und Programme

1. Rahmenbedingungen Armutsbekämpfung tritt bestenfalls auf der Stelle, wenn die makroökonomischen Rahmenbedingungen einer wirtschaftlichen Wachstumsentwicklung mit breit gestreuter zusätzlicher Schaffung von Arbeitsplätzen im Wege stehen. Wichtigste Elemente dieser Rahmenbedingungen sind: ausgewogene staatliche Haushaltspolitik (kein hohes Defizit), stabilitätsorientierte Geldpolitik (keine hohe Inflation) und Währungspolitik (z. B. keine hohe Überbewertung der Währung). Das heißt auch Vermeidung von wachstumshemmender Besteuerung vor allem solcher Sektoren, in denen die Armutsbevölkerung direkt oder indirekt vorwiegend beschäftigt ist. Der Agrarsektor ist hier an erster Stelle zu nennen.

Sogenannte Strukturanpassungsprogramme zielen auf die Korrektur verzerrter Rahmenbedingungen ab. Sie werden oft durch externe Hilfe gestützt, meist unter Führung von Weltwährungsfond (IMF) und Weltbank. Die Programme beinhalten in aller Regel drastische Sparmaßnahmen der öffentlichen Haushalte. Vielfach war vermutet worden, daß dies vor allem zu Lasten der Armen ginge. Detaillierte neue Analysen über die Wirkungen von Strukturanpassungsprogrammen in Afrika belegen hingegen, daß in Ländern mit konsequent durchgeführten Strukturanpassungsprogrammen die Armut insgesamt abnahm. Aber für die Ärmsten der Armen (unterste zehn Prozent) zeigt sich in den vorliegenden Länderstudien, die auf originären Haushaltsdaten basieren, ein uneinheitliches Bild: In Ghana ging es ihnen im Zuge konsequenter Anpassung besser, in Tansania schlechter und in der Elfenbeinküste bei verzögerter, nicht konsequenter Reform ebenfalls schlechter 2. Landwirtschaft, ländliche Entwicklung und Umwelt Hunger-und Armutsbekämpfung erfordern staatliches Handeln mit sektoralen Prioritäten. Die Bereitstellung von Infrastruktur, neuem Wissen und Technologie vor allem zur Förderung der landwirtschaftlichen und ländlichen Entwicklung stellt in Ländern mit niedrigem Einkommen die notwendigen Grundlagen für selbsttragendes Wachstum dar Arme auf dem Lande sehen sich gezwungen, Raubbau an natürlichen Ressourcen zu treiben, um zu überleben -so z. B. durch die Nutzung von Berghängen, die für den Anbau ungeeignet sind, was die Bodenerosion beschleunigt, sowie die Abholzung von Waldflächen. Ohne Alternativen -wie etwa eine produktivere, nachhaltige Landwirtschaft oder außerlandwirtschaftliche Beschäftigung -kann diesen Umweltproblemen der Armut nicht begegnet werden. Land-und Bodenrechtsreform, einschließlich Umverteilung von Land in Regionen mit besonders hoher Konzentration und ineffizienter Nutzung (z. B. in Teilen Lateinamerikas), sind ein wieder zunehmend erwogener Aspekt. Die positiven langfristigen Wirkungen entsprechender Reformen in Asien (z. B. Korea, Taiwan, China) für Wirtschaftswachstum und Armutsreduzierung unterstreichen dies.

In frühen Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung muß der Rahmen für die öffentlich bereitzustellenden Güter weiter gefaßt werden als in späteren Phasen, wenn die Entwicklung weitgehend selbst-tragend geworden ist. Die komplexen ökologischen Herausforderungen und die Anforderungen der Welternährung fordern eine verbesserte Technik in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Ein System von internationalen Agrarforschungsinstituten widmet sich dieser Aufgabe seit Jahren Thailand, Indonesien und China haben in den siebziger und achtziger Jahren ihre Agrarwirtschaft stark gefördert bzw. bestehende fehlgeleitete Politik korrigiert und zugleich die Ernährung der Bevölkerung durch gezielte Programme verbessert. Das allseits bekannte hohe Wirtschaftswachstum folgte. In Korea und Taiwan hatte der Prozeß ein bis zwei Jahrzehnte früher angefangen. Die Rolle der Agrarentwicklung mit einer gezielten Verbesserung der Ernährung geriet allerdings beim nachträglichen Bestaunen dieser Wirtschaftswunder weitgehend in Vergessenheit. 3. Erfolgreiche Programme Die Betonung der Bedeutung der Rahmenbedingungen und sektoralen Prioritäten für die Hunger-und Armutsbekämpfung ist zwar notwendig. Auf deren langfristige Wirkung kann aber nicht gewartet werden. Es besteht die Notwendigkeit (und Möglichkeit), den Hunger durch Programme gezielt zu überwinden, um sich rascher der Vision einer Welt ohne Hunger anzunähern, als dies mit den Makro-und Sektorpolitiken zu erreichen ist. Auf dem Gebiet der gezielt auf die Bekämpfung des Hungers ausgerichteten Programme hat es in den vergangenen zwei Jahrzehnten wichtige neue Einsichten und beachtliche Fortschritte gegeben. Hungerbekämpfung findet heute immer weniger mittels genereller Subventionsprogramme statt, an denen viele Nichtbedürftige teilhaben und die deshalb teuer und ineffizient sind. Drei erfolgreiche Programmtypen sollen kurz skizziert werden: a) Finanzsysteme zur Armutsbekämpfung Hunger tritt oft saisonal auf, z. B. vor der nächsten Ernte oder in Krisenzeiten. Wer dann keine liquiden Mittel hat, ist besonders verletzlich. Wenn Arme Kreditzugang hätten, könnten sie sich in solcher Lage helfen. Die Vorstellung, Arme könnten nicht sparen und ihre Rückzahlungsmoral sei schlecht, war bisher weit verbreitet. Diese Einschätzung ist falsch, wie neue Formen der Organisation von Sparen und Kreditvergabe für und mit Armen zeigen. Diese Neuerung ist auf die Pionierarbeit der Grameen Bank in Bangladesch zurückzuführen. Das inzwischen weltweit bekannte Grameen-Bank-System beinhaltet nicht nur eine Innovation des ländlichen Finanzwesens, sondern auch die Förderung von Selbsthilfe auf Dorfebene. Aus einem Forschungsprogramm mit einigen wenigen Dörfern entwickelten sich in der ersten Hälfte der siebziger Jahre die ersten Grameen-Banken mit der typischen Strukturierung von Kleingruppen zur Ersparnismobilisierung, Kredithaftung und Planung von Investitionen sowie Beratungstätigkeit. Die überwältigende Mehrheit der Grameen

Bank-Mitglieder sind Frauen ohne Land. Zugang zu Kredit und Sparmöglichkeiten verhilft diesen Ärmsten der Armen sowohl zu einer Stabilisierung des Nahrungskonsums während der oft saisonalen Hungersnöte als auch zu einem schnellen Zugriff auf selbst gesparte Mittel nach Krisenzeiten (wie Überschwemmungen) und -besonders wichtig -zu Startkapital für die Schaffung selbständiger Beschäftigung.

Als die Grameen Bank ihre Arbeit aufnahm, wurde diese Neuerung von manchen großen Entwicklungsorganisationen eher belächelt. Erinnert sei hier jedoch daran, daß die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unorthodox und vor fast allen anderen Entwicklungspartnern die Grameen Bank gefördert und sich auch in besonderer Weise um die Verbreitung des Konzeptes in Asien und Afrika verdient gemacht hat Inzwischen ist das Grameen-Bank-System von Millionen Armutshaushalten in Bangladesch positiv aufgenommen und umgesetzt worden. Kreditrückzahlungsquoten liegen bei nahezu 100 Prozent. In anderen Ländern Asiens ist das Programmkonzept in den achtziger Jahren mit ähnlichem Erfolg im großen Stil eingesetzt worden und expandiert inzwischen auch in Afrika und Lateinamerika. b) Beschäftigung gegen Hunger Das Grundproblem der Armen ist es, daß sie oft keine ausreichend entlohnte Beschäftigung haben. Dies heißt nicht, daß Arme viel Zeit hätten. Das Gegenteil ist der Fall, denn bei geringster Entlohnung -sei es in informeller städtischer Beschäftigung oder auf einem Stück gepachteten Landes als Bauer -verfolgen Arme eine Vielzahl an Beschäftigungen, um zu überleben (typischerweise drei bis fünf verschiedene Jobs gleichzeitig). Am Unterbeschäftigungsproblem der Armen setzen Programme an, die sich auf die Reduzierung von Hunger und Armut durch zusätzliche produktive Beschäftigung konzentrieren. Drei Aspekte machen diesen Programmtyp attraktiv, auch im Vergleich zur schlichten Verteilung von Nahrungsmitteln: (1) bei niedrigen Löhnen nehmen nur die Bedürftigen teil und müssen nicht bürokratisch und zu hohen Kosten (verbunden mit Fairneßproblemen und Korruptionsrisiken) ausgesucht werden; (2) kurzfristig wird Einkommen in die Haushalte der potentiell Hungernden geleitet, und zugleich entstehen langfristig produktive Investitionsgüter (wie z. B. Infrastruktur, Wasserbau, Erosionsschutz sowie Aufforstung); (3) die Pro-gramme können dezentral im ländlichen Raum eingerichtet werden, reduzieren den Wanderungsdruck in die Städte und stärken lokale und kommunale Einrichtungen.

In Indien wurden solche Programme Mitte der siebziger Jahre in großem Rahmen organisiert und haben dort maßgeblich zur Verhinderung von Hunger beigetragen. Der Programmtypus Beschäftigung zur Hungersnotbekämpfung 4 hat sich in den achtziger Jahren weltweit in Regionen mit niedrigem Einkommen ausgebreitet, und zwar mit besonderem Erfolg in China nach 1984, in Sub-Sahara-Afrika partiell in den frühen achtziger Jahren (z. B. Botswana in langer Dürreperiode) und mit erheblicher Breitenwirkung im Sahel, in Äthiopien, Kenia und in Südafrika in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren c) Integrierte Ernährungsprogramme Der dritte erfolgreiche Programmtypus ist das sogenannte integrierte Ernährungsprogramm. Thailand sowie Tamil Nadu in Indien können als Pioniere für diesen Programmtypus ausgemacht werden Diese Programme betonen die Mobilisierung der Bevölkerung zur Selbsthilfe in Sachen Unterernährung. Während keine der einzelnen Maßnahmen dieser Programme besonders innovativ ist, ist ihre Bündelung durchaus neu. Sie beinhaltet: (1) den Aufbau von Einrichtungen und die Entwicklung von Methoden zur Identifizierung von Ernährungsproblemen mittels kontinuierlicher Beobachtung von Risikogruppen, insbesondere Kindern (wiegen, messen) und schwangeren Frauen;

(2) die gezielte Nahrungs-und Nährstoffversorgung Fehl-und Unterernährter;

(3) die Einrichtung von Ernährungs-und Gesundheitsberatung im Dorf, gestärkt durch (4) die Formierung von Frauengruppen und angelerntem Beratungspersonal aus diesen Frauen-gruppen, das kontinuierlich durch Fachpersonal weiter geschult und beraten wird, wenn Problemfälle identifiziert werden (z. B. untergewichtige Kinder oder Riskoschwangerschaften); (5) die kommunale Verbesserung des Gesundheitsumfeldes (Wasser) und (6) flankierende Maßnahmen zur Schaffung von Einkommen für Armutshaushalte.

Die Kosteneffektivität der Programme ergibt sich durch Abgrenzung von tatsächlich bedürftigen Zielgruppen nach regionalen und demographischen Kriterien und diagnostiziertem Risiko (Untergewicht). Integrierte Ernährungsprogramme dieser Art haben dazu geführt, daß Unterernährung in Thailand in den achtziger Jahren praktisch vollständig überwunden wurde und in Tamil Nadu/Indien innerhalb von vier Jahren halbiert werden konnte. Der Programmtypus hat sich in den neunziger Jahren international weiter ausgedehnt. Die Weltbank beispielsweise hat die Kreditfinanzierung für solche Maßnahmen von ca. 20 Millionen Dollar Anfang der achtziger Jahre auf über eine Milliarde im Jahre 1994 erweitert.

Die drei skizzierten erfolgreichen Programmtypen haben sich auf die Bekämpfung von institutionellen und organisatorischen Ursachen von Hunger und Armut konzentriert, die Entwicklung von Humanressourcen betont, sich eng auf die Zielgruppe der Hungernden bzw. Armen ausgerichtet, deren Partizipation gefördert und mit marktwirtschaftlichen Konzepten gearbeitet. Die Kombination dieser Maßnahmen macht sie kosteneffektiv und erfolgreich.

V. Durchgreifende Maßnahmen in der Hungerbekämpfung

Das Ziel einer Welt ohne absolute Armut und Hunger ist noch lange nicht erreicht. Diese Vision muß aber weiter verfolgt werden. Die Herausforderung, intelligente Lösungen des Armutsproblems zu finden, bleibt immens.. Die technologischen Möglichkeiten der Bekämpfung von Hunger müssen vermehrt in den Vordergrund treten. Die Industrieländer können neben anderen Maßnahmen auch mit Technologien zur Lösung des Welt-ernährungsproblems beitragen. Dazu zählt u. a.der Einsatz der Gentechnik zur Ertragssteigerung, zur Qualitätsverbesserung, zur Resistenzstärkung z. B. gegen Schadinsekten und Pflanzenkrankheiten sowie zur Stärkung der Pflanzen gegen Dürre und Frost. Große Entwicklungsländer wie China, Indien, Brasilien erforschen und wenden zunehmend agrarische Gentechnik an. Es wäre allerdings verfehlt zu postulieren, daß die Überwindung von absoluter Armut und Hunger nur ein Problem von mangelndem Wissen und rückständiger Technologie wäre. Im Kern ist Armutsbekämpfung ein Problem von Politik und Macht sowie der Bereitschaft zum Teilen. Dabei zeigt sich zunehmend, daß Armut überwindende Entwicklung Voraussetzung zur Armutsreduzierung ist. In dieser scheinbar tautologischen Feststellung liegt eine gute und eine schlechte Nachricht Die gute ist, daß der Prozeß der Armutsreduzierung, wenn er denn einmal erfolgreich angestoßen ist, weitgehend selbsttragend ist; die schlechte Nachricht besteht darin, daß dieser Prozeß komplex ist und es erhebliche Ressourcen erfordert, ihn anzustoßen, damit er selbsttragend wird. Wenn, wie oben erläutert, -die günstigen makro-ökonomischen Rahmenbedingungen, -die Förderung des landwirtschaftlichen Wachstums und der ländlichen Entwicklung (insbesondere Agrarforschung, Infrastruktur und Bildung), -Zugang zu Kredit-und Sparmöglichkeiten, -verbesserte Beschäftigungschancen und -direkte Ernährungs-und medizinische Grundsicherung Voraussetzung für die nachhaltigen armutsreduzierenden Entwicklungsprozesse sind, dann kann auch die Bekämpfung des Hungers nicht von einer engen politischen oder programmatischen Plattform aus geführt werden -weder von einer rein makroökonomischen noch einer rein agrarischen, noch von einer rein medizinischen. Die erforderliche vielfältige Aktion ist zweifelsohne organisatorisch und von den finanziellen Ressourcen her anspruchsvoll und kann nur regional und länder-spezifisch angemessen diskutiert werden.

Die Überwindung des Hungers ist humanitär geboten. Dazu ist die Mobilisierung von Ressourcen wie auch eine Politikkorrektur auf internationaler Ebene und vor allem auf nationaler Ebene in den Ländern mit fortdauerndem Hunger erforderlich. Prioritäten müssen anders definiert werden, um einen Befreiungsschlag, einen „big bang“ in Sachen Hunger zu ermöglichen. Zum Kern eines solchen Programmes zählen die Agrarförderung, ländliche Entwicklung und eine ernährungsbezogene Gesundheitsförderung. Länder, die ihre Rahmenbedingungen adäquat anpassen und interne Ressourcen auf die Armuts-und Hungerbekämpfung umlenken, sollten auf großzügige internationale Förderung rechnen können.

Die verbesserten Ansätze der Hungerbekämpfung haben dies? zwar preiswerter gemacht, aber nicht billig. Die Investition in einen „big bang“ jedoch würde sich rasch amortisieren, insbesondere wenn die Kosten des fortwährenden Hungers und die Kosten von Hilfe, die nur Symptome lindert, ins Kalkül gezogen werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Joachim von Braun/Raymond Hopkins/Detlev Puetz/Rajul Pandya-Lorch, Aid to Agriculture: Reversing the Decline, Food Policy Report, The International Food Policy Research Institute, Washington D. C. 1993.

  2. Unter anderem die International Conference on Nutrition (1992) der Food and Agriculture Organisation (FAO) und der World Health Organisation (WHO) der Vereinten Nationen, die „ 2020 Initiative for Food, Agriculture and the Environment“ (1993-1996) des International Food Policy Research Institute (IFPRI), die „End Hunger Conference“ (1993) der Weltbank.

  3. Zu Definitionen von Hunger und Ernährungsproblemen siehe auch Peter von Blanckenburg, Welternährung -Gegenwartsprobleme und Strategien für die Zukunft, München 1986.

  4. Lebensmittelverbrauch und Nahrungsaufnahme von Haushalten und Personen im Vergleich zu den ernährungsphysiologischen Normdaten einer hinreichenden Nahrungsaufnahme (alters-und geschlechtsspezifisch).

  5. Gewicht und Längenwachstum (unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht) in Relation zu einer (ausreichend ernährten) Referenzbevölkerung.

  6. Armut ist das Unvermögen, einen Mindeststandard bei der Lebenshaltung zu erreichen. Um die so definierte absolute Armut zu operationalisieren, müssen Lebenshaltung und deren minimale Bedingungen (Armutsschwelle) definiert werden. Vorzugsweise sollte bei der Erfassung des Ausmaßes von Armut dann nicht nur die Anzahl der Armen, die unter eine definierte Schwelle fallen, gezählt, sondern auch erfaßt werden, wie weit sie unter diese Schwelle fallen. Vgl.

  7. Vgl. The World Bank, World Development Report 1995, Oxford -New York 1995.

  8. Vgl. ebd.

  9. Vgl. Pranab Bardhan, Research on Poverty and Development Twenty Years after , Redistribution with Growth‘, in: Michael Bruno/Boris Pleskovic (Hrsg.), Annual World Bank Conference on Development Economics 1995, Washington D. C. 1996; Michael Lipton/Jacques van der Gaag (Hrsg.), Including the Poor, Washington D. C. 1993.

  10. Vgl. How Poor is India?, in: The Economist vom 13. April 1996, S. 64.

  11. Vgl. Hossain Zillur Rahman/Mahabub Hossain, Rethinking Rural Poverty: a Case for Bangladesh, Bangladesh Institute for Development Studies, Dhaka 1992.

  12. Vgl. Lionel Demery/Lyn Squire, Macroeconomic Adjustment and Poverty in Africa: An Emerging Picture, in: The World Bank Research Observer, 11 (1996) 1, S. 39-60.

  13. Diese Feststellungen basieren auf Schätzungen und Hochrechnungen der FAO. Die Welt-Hungerstatistik ist unbefriedigend. Wenig ist beispielsweise über die Überlappung verschiedener Hungerprobleme in einer Bevölkerung bekannt und noch weniger über die Dauer und Häufigkeit des Betroffenseins von Hunger. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren bedeutet die Schätzung des Ausmaßes von Hunger anhand der Kaloriendefizite (840 Millionen Menschen) eher eine Unterschätzung.

  14. Vgl. WHO, Nutrition, Genf 1995.

  15. Vgl. David Pelletier, The Potentiating Effects of Malnutrition on Child Mortality: Epidemiologie Evidence and Policy Implications, in: Nutrition Reviews, 52 (1994) 12, S. 409-415.

  16. Vgl. Patrick Webb/Joachim von Braun, Famine and Food Security in Ethiopia: Lessons for Africa, Chichester -New York 1994.

  17. Vgl. Mark Rosegrant/Mercedita Agcaoili-Sombilla/Nicostrato Perez, Global Food Projections to 2020: Implications for Investment, Food Agriculture and Environment Discussion Paper Nr. 5, International Food Policy Research Institute, Washington D. C., Oktober 1995.

  18. Vgl. ebd.

  19. Vgl. Robert Fogel, Economic Growth, Population Theory, and Physiology: the Bearing of Long Term Processes on the Making of Economic Policy, in: The American Economic Review, 84 (1994) 3, S. 369-395.

  20. Vgl. L. Demery/L. Squire (Anm. 12).

  21. Vgl. Joachim von Braun/Eileen Kennedy (Hrsg.), Agricultural Commercialisation, Economic Development and Nutrition, Baltimore -London 1994.

  22. Die 16 Institute der Consultativ Group on International Agricultural Research (CGIAR) entwickeln u. a. verbessertes Saatgut und nachhaltige Produktionstechniken für und mit Kleinbauern.

  23. Vgl. Erhard Kropp/Michael Marx/Ballurkar Pramond/Benjamin Quinones/Hans Dieter Seibel, Linking Self-Help Groups and Banks in Developing Countries, Bangkok -Eschborn 1989.

  24. Vgl. Joachim von Braun (Hrsg.), Employment for Poverty Reduction an Food Security, Washington D. C. 1995.

  25. Vgl. Joan Jennings/Stuart Gillespie/John Mason/Mashid Lotfi/Tom Scialfa Successful Nutrition (Hrsg.), Managing Programmes. United Nations Subcommittee on Nutrition, Genf 1991.

  26. Vgl. Paul Streeten, Strategies for Human Development -Global Poverty and Unemployment, Kopenhagen 1994.

Weitere Inhalte

Joachim von Braun, Dr. sc. agr., geb. 1950; Professor für Ernährungswirtschaft, Ernährungspolitik und Welternährungsfragen, Universität Kiel; 1982 bis 1993 am International Food Policy Research Institute, Washington D. C.; Forschungsarbeiten u. a. in Afrika, Nahost, Zentralamerika und China. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit E. Kennedy) Agricultural Commercialisation, Economic Development and Nutrition, Baltimore 1994; (zus. mit P. Webb) Famine and Food Security in Ethiopia -Lessons for Africa, Chichester -New York 1994; (Hrsg.) Employment for Poverty Reduction and Food Security, International Food Policy Research Institute, Washington D. C. 1995.