Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Klassenlagen und soziale Ungleichheit in der DDR | APuZ 46/1996 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 46/1996 Warum ist die DDR untergegangen? Legenden und sich selbst erfüllende Prophezeiungen Kollektiv und Eigensinn: Die Geschichte der DDR und die Lebensverläufe ihrer Bürger Klassenlagen und soziale Ungleichheit in der DDR Öffentlichkeit in der DDR? Die soziale Wirklichkeit im „Eulenspiegel“

Klassenlagen und soziale Ungleichheit in der DDR

Heike Solga

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Essentielle Zielstellung der sozialistischen Gesellschaftsordnung war es, eine „klassenlose Gesellschaft“ aufzubauen. Mit der Beseitigung des kapitalistischen Privateigentums an den Produktionsmitteln wurde jegliche Form der „Ausbeutung“ als beseitigt angesehen. Damit legitimierte die Staatspartei zugleich die offiziell vertretene Auffassung, daß die Klassen und Schichten, die aufgrund der unterschiedlichen Formen des sozialistischen Eigentums noch existierten, freundschaftlich miteinander verbunden seien und gleiche Interessen verfolgten. Hinterfragt man jedoch -basierend auf der Marxschen Klassentheorie und ihrer Weiterentwicklung durch Wright und Roemer -den tatsächlichen Charakter des „Staatseigentums“ an den Produktionsmitteln, so zeigt sich, daß sich in der DDR im Laufe ihrer Entwicklung eine antagonistische Klassengesellschaft etablieren konnte, in der gerade nicht die Arbeiterklasse, sondern eine politisch weisungsberechtigte Klasse, nämlich die Parteielite, und ihre Dienstklassen über das staatliche Eigentum verfügten. Die Besonderheit des Klassencharakters der DDR-Gesellschaft bestand demzufolge darin, daß sie nicht primär leistungsorientiert gewesen ist. Bildung und Leistung allein stellten keine hinreichenden Bedingungen für den Zugang zu den privilegierten Klassenlagen dar. Vielmehr implizierte die politische Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel als entscheidende Dimension des staatlichen Eigentums, daß ihre Inhaber (die Parteielite und ihre Dienstklassen) sich auch öffentlich „systemloyal“ zeigen mußten. Mit dieser Sichtweise auf die gesellschaftliche Verfaßtheit der DDR-Gesellschaft verbindet sich zugleich eine spezifische Sicht auf die Lebenschancen und -Verhältnisse der Menschen. Analysen zu den Bildungsund beruflichen Entwicklungschancen der jeweils nachfolgenden Generation sowie einiger ausgewählter Aspekte des materiellen und kulturellen Lebensstandards zeigen, daß die Klassenzugehörigkeit eine wichtige Rolle für die Lebensumstände der Menschen in der DDR spielte und die vorhandenen Klassenunterschiede mehr waren als nur ein „Überbleibsel an Ungleichheit unter Gleichen“.

I. Vorbemerkungen

Abbildung 1: Die Klassenstruktur der DDR-Gesellschaft („hierarchische“ Ordnung)

Quelle: Eigene Darstellung

„Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist für immer beseitigt. Was des Volkes Hände schaffen, ist des Volkes Eigen“ (Artikel 2 Abs. 3 der Verfassung der DDR vom 6. April 1968).

Die DDR war eine Gesellschaft, in deren Selbst-thematisierung die Beseitigung sozialer Unterschiede ei Abs. der Verfassung der DDR vom 6. April 1968).

Die DDR war eine Gesellschaft, in deren Selbst-thematisierung die Beseitigung sozialer Unterschiede eine entscheidende Rolle spielte. Dies war nicht nur aus ideologischen Gründen erforderlich, bestand doch ihre essentielle Zielsetzung darin, den Übergang in die kommunistische, klassenlose Gesellschaftsordnung vorzubereiten. Für die DDR ergab sich dieser Anspruch -im Unterschied zu den anderen sozialistischen Ländern -darüber hinaus aus einer besonderen nationalen Spezifik. Nur wenn es ihr gelang, sich grundlegend von der Bundesrepublik zu unterscheiden, konnte sie ihre Existenz als eigenständiger „deutscher Staat“ legitimieren. Insofern verwundert es nicht, daß in der gesamten Gesetzgebung der DDR (z. B. die Verfassung, das Bildungs-, Arbeits-und Familiengesetz der DDR) immer wieder die Realisierung sozialer Gleichheit betont wurde.

Hierbei blieb es keineswegs nur bei Lippenbekenntnissen. Erinnert sei an die weitreichende Subventionierung lebensnotwendiger Güter und Leistungen (wie Miete, Verkehrsmittel, Grund-nahrungsmittel, Kinderbekleidung etc.), die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems durch die Einheitsschule, die besondere Förderung von Arbeitern und Bauern auf den „Arbeiter-undBauern-Fakultäten“ oder deren Bevorzugung beim Zugang zu weiterführenden Bildungseinrichtungen in den sechziger Jahren sowie die gezielte Förderung von Frauen. Daher überrascht es zunächst nicht, daß in der öffentlichen Meinung -selbst bei einer kritischen Sicht auf das DDR-Regime -die allgemeine Einschätzung vorherrscht(e), daß es der DDR gelungen sei, eine weitgehende Angleichung der Lebensverhältnisse ihrer Bürger und Bürgerinnen durchzusetzen (abgesehen von den Exklusivitäten der Parteielite). Auch in der soziologischen Diskussion wird überwiegend diese soziale Entdifferenzierung der DDR-Gesellschaft thematisiert. Freilich wird reflektiert, daß es ein Machtgefälle zwischen der Parteielite und dem Volk gegeben habe. Die Beschreibung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung erfolgt jedoch vor allem mit Begriffen wie „klassenlose Gesellschaft“ 1 oder „Nivellierung sozialer Lagen“ 2.

Ziel dieses Beitrages ist es im Unterschied dazu, ausgehend von dem Selbstanspruch sozialistischer Gesellschaften zu untersuchen, ob es in der DDR wirklich eine Gleichverteilung von Lebenschancen und materiellem Wohlstand gegeben hat (abgesehen von der Sonderstellung der Parteielite) -oder ob hier nicht doch gravierende soziale Unterschiede existierten, und wenn ja, welche Ursachen dafür verantwortlich waren. Das heißt: Hält das Bild sozialer Gleichheit, wie es die oben aufgeführten Phänomene der Subventionen oder der Einheitsschule suggerieren, auch einem genaueren Blick „hinter die Kulissen“ stand? Spätestens mit der deutschen Wiedervereinigung sind Zweifel anzumelden, ist doch offensichtlich, daß die Ostdeutschen mit äußerst ungleichen Ressourcen den Weg ins vereinte Deutschland angetreten haben. Es ist naheliegend zu vermuten, daß es nicht zufällig war bzw. ist, wer nach 1989 eher gute Erwerbs-chancen hat(te) und wer nun eher die Risiken zu tragen hat(te) 3. Vielmehr ist davon auszugehen,daß die in der DDR gewachsenen Strukturen in die Gegenwart der neuen Bundesländer hineinreichen. Insofern könnten die deutlichen Differenzen in den Erwerbschancen nach 1989 signalisieren, daß es bereits in der DDR-Gesellschaft markante soziale Unterschiede gegeben hat.

Im ersten Teil des Artikels wird daher versucht, wesentliche strukturelle Ursachen sozialer Ungleichheit in der DDR-Gesellschaft zu lokalisieren, und insbesondere der Klassen-bzw. klassenlose Charakter der DDR-Gesellschaft hinterfragt. Im zweiten Teil wird untersucht, inwieweit die hieraus abgeleiteten Klassenlagen Handlungsrelevanz besessen haben. Mit anderen Worten: Waren die „privilegierten Klassenlagen“ der DDR-Gesellschaft derart mit Vorteilen gegenüber den anderen Klassen ausgestattet, daß sie an einer Vererbung der Klassenzugehörigkeit an ihre Kinder interessiert waren und den „externen“ Zugang durch Kinder anderer Klassenherkunft möglichst verhindern wollten? Und hatten sie auch die Ressourcen, dies tatsächlich zu verhindern? Ferner sollen mit Hilfe einiger Beispiele Unterschiede zwischen den Klassen in bezug auf das materielle und kulturelle Lebensniveau veranschaulicht werden.

Grundlage der vorgestellten Ergebnisse sind 2 323 Interviews mit ostdeutschen Männern und Frauen, die vier Geburtsjahrgangsgruppen (Kohorten) angehören (1929-1931, 1939-1941, 1951-1953 und 1959-1961). Da die Berufsausbildung, der Berufseinstieg und eine erste Etablierung im Erwerbssystem der Angehörigen dieser vier Geburtskohorten zu unterschiedlichen Zeiten erfolgten, repräsentieren ihre Lebenschancen und -bedingungen die jeweiligen Optionen der Lebensgestaltung in den verschiedenen Entwicklungsphasen der DDR-Gesellschaft (1929-1931: fünfziger Jahre, 1939-1941: sechziger Jahre, 1951-1953: siebziger Jahre und 1959-1961: achtziger Jahre). Die Interviews wurden 1991/92 im Rahmen des Projekts „Lebensverläufe und historischer Wandel in der ehemaligen DDR“ am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung durchgeführt In diesen Interviews haben die Befragten sehr ausführlich über ihre Lebensverläufe berichtet, das heißt über ihre Eltern und Geschwister, ihre Schulzeit, ihre Ausbildung, ihr gesamtes Berufs-und Familienleben sowie ihre gesellschaftlichen und kulturellen Aktivitäten.

II. Die Klassenlagen der DDR-Gesellschaft

Abbildung 2: Verfügungsgewalten der einzelnen Klassenlagen

Quelle: Eigene Darstellung.

Für die Analyse struktureller Ursachen sozialer Ungleichheit in der DDR ist die Marxsche Klassentheorie von besonderem Interesse. Zum einen versuchte sich das Experiment „Sozialismus“ gerade durch diese Theorie zu legitimieren, trat es doch mit dem Anspruch an, dessen Grundideen einer klassenlosen Gesellschaft in die gesellschaftliche Praxis umzusetzen. Zum anderen liegt es nahe, sich der Marxschen Klassentheorie zu bedienen, um die Widersprüchlichkeit der „sozialistischen Eigentumsverhältnisse“ der DDR-Gesellschaft zu hinterfragen. Diese Vorgehensweise kann zum einen auf die theoretischen Arbeiten von Erik O. Wright und John E. Roemer zurückgreifen Zum anderen ermöglicht sie, die Diskussion, die in den staatssozialistischen Gesellschaften -vertreten durch George Konrad und Ivan Szelenyi, Milovan Djilas, Jacek Kuron und Karol Modzelewski sowie Michael Voslensky -selbst stattgefunden hat fortzusetzen. Aus Platzgründen muß im Rahmen dieses Beitrages auf eine theoretische Diskussion sowie systematische Ableitung der Klassenlagen verzichtet werden An dieser Stelle können nur die grundlegenden Überlegungen zur Klassenstruktur der DDR-Gesellschaft vorgestellt werden.

Ausgangspunkt der Überlegungen zum Klassen-charakter staatssozialistischer Gesellschaften ist die Frage nach dem Charakter des gesellschaftlichen Eigentums. Bei näherer Betrachtung dieser Gesellschaften und ihrer Funktionsweise ist festzustellen, daß sich das gesellschaftliche Eigentum nicht als Volkseigentum, sondern als staatliches Eigentum realisierte. Es gehörte „denjenigen gesellschaftlichen Gruppen, denen der Staat gehört ... Die politische Macht verbindet sich so mit der Macht über den Produktions-und den Verteilungsprozeß.“ In diesem Sinne „stellte das juristisch-fixierte Volkseigentum nur ein formales Verhältnis dar, das keine konkreten individuellen Verfügungsrechte begründete“. Die tatsächlichen Verfügungsrechte besaß „eine politisch weisungsberechtigte Klasse, die im Namen der Gesellschaft faktisch über die Volkswirtschaft verfügte und die Subsistenzmittel der einzelnen Gruppen verteilte“ Die Eigentümerprivilegien dieser Klasse manifestierten sich in dem exklusiven Recht, über die Verteilung des produzierten Nationaleinkommens, die Höhe der Löhne, die wirtschaftliche Entwicklung und schließlich über die Verwendung des staatlichen und weitgehend auch des existierenden Privateigentums entscheiden zu können „Die Liquidierung des Privateigentums und seine Umwandlung in sozialistisches Eigentum stellte daher nichts anderes dar als die Übergabe des gesamten Vermögens eines Landes an die herrschende Klasse der Nomenklatura ... Sie ist der kollektive Unternehmer im Realsozialismus.“

Definiert man Eigentum als die „Fähigkeit, den Zugang zu bestimmten ökonomischen Ressourcen kontrollieren zu können“ dann ist eine wesentliche strukturelle Ursache sozialer Ungleichheit in staatssozialistischen Gesellschaften in der Entscheidungsmacht über die Verteilung und Nutzung der Produktionsmittel sowie der produzierten Güter und Leistungen zu suchen. Uneingeschränkte Kontrolle, Partizipationsmöglichkeiten an oder Ausschluß von dieser redistributiven Macht (und darüber vermittelt der Zugang zu Teilen des produzierten Reichtums) werden durch den Besitz bzw. Nicht-Besitz an politischer, ökonomischer und/oder technokratischer Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel bestimmt. Technokratische Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel wird hierbei ebenfalls relevant, da es mit ihrer Hilfe gelingt, sich aufgrund von exklusivem Wissen oder von organisatorischen Befugnissen einen privilegierten Anteil des gesellschaftlichen Reichtums anzueignen. Generell gilt -wie in kapitalistischen Klassengesellschaften -auch hier: Wer entscheidet, was und wie produziert wird, der besitzt auch die Entscheidungsmacht darüber, wie dieser produzierte Reichtum verteilt wird. Aus dem Blickwinkel des Ausbeutungsmechanismus der DDR-Gesellschaft heißt das: Wer politische, ökonomische und/oder technokratische Verfügungsgewalt besaß oder zumindest an ihnen partizipieren konnte, der konnte sich auch einen privilegierten Anteil am produzierten Reichtum aneignen, der damit denjenigen, die weder diese Verfügungsgewalten besaßen noch an ihnen partizipieren konnten, diesen Reichtum jedoch produzierten, verwehrt blieb. Damit gestalteten sich auch in der DDR die Verhältnisse zwischen den Klassen als Beziehungen, in denen das Wohlergehen der einen Klasse in kausalem Zusammenhang zum Schlechtergehen der anderen Klasse(n) stand

Die unterschiedlichen Eigentumsformen, die in der DDR existiert haben, definierten den Zugang zu entsprechenden Verfügungsgewalten für ihre Eigentümer sowie den gleichzeitigen Ausschluß der Nichteigentümer. Insofern entwickelten sich die Klassenlagen in der DDR-Gesellschaft aus dem Nebeneinander von staatlichem, genossenschaftlichem und privatem Eigentum, wobei das staatliche Eigentum alle anderen Eigentumsformen dominierte. Folgt man diesen Überlegungen, dann definiert sich der Klassencharakter der DDR-Gesellschaft nicht nur durch bürokratische Macht (wie bei Jacek Kuron in Anlehnung an Max Weber), auch nicht nur durch funktionale Unterschiede (wie in der Intelligentsia-Diskussion bei George Konrad und Ivan Szelenyi in Anlehnung an den Klassenbegriff von Joseph A. Schumpeter), sondern durch bürokratische Herrschaftsmacht plus Verfügung über die Produktionsmittel und den Ausschluß der anderen Klassen davon. Eine schematische Darstellung des Zusammenhangs von Klassenlagen, Eigentumsformen und Verfügungsgewalten geben die folgenden Abbildungen 1 und 2 Dabei ist zu unterscheiden zwischen „dominierender Produktionsweise“ mit staatlichem und genossenschaftlichem (ab 1952) Eigentum und „untergeordneter Produktionsweise“ mit sogenanntem kleinen und kapitalistischen Privateigentum (bis 1972). 7. Dominierende Produktionsweise und Klassenlagen -Zur „Parteielite“ (der herrschenden Klasse)

gehörten die Angehörigen des Parteiapparates im engeren Sinne (Sekretäre, Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees der SED, Mitglieder und Kandidaten des Politbüros, Leiter der Abteilungen des ZK der SED, erste Sekretäre der SED-Bezirksleitungen sowie die Mitglieder der obersten Führungsgremien der parteiabhängigen Massenorganisationen)

-In den Positionen der „Administrativen Dienst-klasse des staatssozialistischen Planungssystems“

befanden sich die Nomenklaturkader der administrativen Ebene des Planungssystems (Volkskammer, Staatsrat, Ministerrat, Staatliche Plankommission, Kombinatsleitungen, Militär, Staatssicherheit, obere Führungsgremien der Partei, Blockparteien und Massenorganisationen, Führungsebenen der wissenschaftlichen Institute des ZK sowie der Akademie der Wissenschaften).

-Zur „Operativen Dienstklasse“ zählten alle Kader der mittleren Führungsebene (z. B.

Abteilungsleiter, Schuldirektoren) sowie die Angestellten mit hochqualifizierten Tätigkeiten (z. B. Lehrer, Ärzte, Ingenieure).

-Zur „sozialistischen Arbeiterklasse“ gehörten die Facharbeiter, die qualifizierten Angestellten sowie die Arbeiter und Angestellten mit un-und angelernten Tätigkeiten. Ihr einziges Recht -und ihre zugleich unabdingbare Pflicht -bestand darin, die Produktionsmittel durch ihre Arbeit zu nutzen und den Hauptteil des gesellschaftlichen Reichtums zu produzieren.

Aufgrund der starken Monopolisierungstendenzen von politischer, ökonomischer und technokratischer Macht war diese breite Gruppe der Bevölkerung von jeglicher Verfügungsgewalt ausgeschlossen (und in diesem Sinne durch ein homogenes Verhältnis zu den anderen Klassen gekennzeichnet, obwohl sie in bezug auf Qualifikation und Arbeitsinhalte recht heterogen gewesen ist).

-Zur „Dienstklasse des genossenschaftlichen Eigentums“ gehörten die Vorsitzenden von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) sowie von Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH). Aufgrund ihres Eingebundenseins in den staatlichen Planungsprozeß besaßen sie gegenüber den anderen Genossenschaftsmitgliedern privilegierende Organisationsbefugnisse.

-Zu den „Genossenschaftsbauern“ zählten alle Mitglieder in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften.

Das von den Genossenschaftsbauern eingebrachte Land blieb rein formal ihr persönliches Eigentum. Damit verblieb ihnen ein Teil der ökonomischen Verfügungsgewalt über ihre Produktionsmittel, die jedoch durch staatliche Regulierungsmechanismen stark eingeschränkt wurde.

-Die „PGH-Handwerksmeister“ waren gekennzeichnet durch Reste an ökonomischer und technokratischer Verfügungsgewalt. 2. Untergeordnete Produktionsweise und Klassenlagen Zu den Klassenlagen der untergeordneten Produktionsweise gehörten die „selbständigen Klein-und Mittelbauern“ (Bauern, mit einer landwirtschaftlichen Nutzfläche, deren Größe eine eigene Mitarbeit notwendig machte), die „selbständigen Handwerker und Gewerbetreibenden“ (mit maximal zehn Mitarbeitern) sowie die „Betriebseigentümer und Großgrundbesitzer“. Letztere Klassenlage existierte nur eine relativ kurze Zeit in der Klassenstruktur der DDR. Mit Hilfe besonderer wirtschafts-und steuerrechtlicher Maßnahmen wurde die Sozialisierung der Industrie systematisch vorangetrieben. Viele Eigentümer entzogen sich diesem Druck durch die Flucht nach Westdeutschland. Ihr Eigentum ging automatisch in Staatseigentum über. Andere „wählten“ den Weg einer Kommanditgesellschaft mit Beteiligung des Staates (halbstaatliche Betriebe) 1972 kam es auf Beschluß der 4. Tagung des ZK der SED zur Umwandlung dieser Betriebe in staatliches Eigentum. Abschließend ist festzuhalten, daß es -auch wenn es zunächst überraschen mag -eine „bürgerliche Dienstklasse“ in der DDR gegeben hat, die jedoch aus historisch-strukturellen Gesichtspunkten in zwei Teile zu untergliedern ist. Zum einen gab es die „alte“ bürgerliche Dienstklasse. Dazu gehörten die langjährigen Beamten im gehobenen und höheren Dienst vor und kurz nach 1945, die „bürgerliche“ Intelligenz (die bereits vor 1945 in exponierter Stellung war) sowie die Angestellten der oberen Leitungsebene der noch zeitweise vorhandenen privaten Industriebetriebe. Ein bedeutender Teil von ihnen wählte aus Gründen politischer Repressalien und/oder der Verschlechterung ihrer beruflichen Chancen und sozialen Stellung den Weg nach Westdeutschland. Andere vermochten es, durch loyales Verhalten gegenüber dem neuen System einen neuen Platz in der administrativen oder operativen Dienstklasse zu finden. Zum anderen gab es in der DDR eine „neue“ bürgerliche Dienstklasse, der die Würdenträger und Funktionäre der Kirchen in der DDR, zum Teil die freischaffenden Künstler sowie die freien akademischen Berufe zuzurechnen sind

Die Definition und Beschreibung der einzelnen Klassenlagen vermitteln bereits einen Eindruck darüber, daß „die Sozialstruktur der DDR (der achtziger Jahre) ganz wesentlich das Ergebnis eines immer erneut in Gang gesetzten, politisch determinierten Prozesses sozialer Umwälzungen“ gewesen ist. Ursachen dieser Veränderungen waren vor allem politische Interventionen des Staates und ökonomische Entwicklungserfordernisse Betrachtet man die historische Genese dieser Klassenstruktur genauer, so stimuliert dies zugleich die „These, daß die gesamte Entwicklung der DDR-Gesellschaft den Lebensabschnitten, Bedürfnissen und Interessen einer Generation folgte, nämlich denen der , alten Garde “

Das hier vorgestellte Konzept der Klassenstruktur der DDR-Gesellschaft impliziert zugleich eine besondere Sicht auf die Lebenschancen und -Verhältnisse der Menschen in der DDR. Wenn den einzelnen Klassen in der Tat unterschiedliche Handlungsressourcen zur Verfügung standen und sie tatsächlich unterschiedliche Interessen vertraten, z. B. um vorhandene Privilegien zu sichern, dann wären deutliche und fortbestehende Unterschiede in den Lebenschancen und -bedingungen zwischen den Klassen die Folge.

III. Klassenzugehörigkeit, Bildungschancen und Berufskarrieren

Im folgenden soll anhand von Beispielen gezeigt werden, ob sich entlang dieser Klassenlinien eine neue Ungleichheitsstruktur in der DDR etablieren konnte. Hierzu wird untersucht, wie diese Klassen-lagen und die mit ihnen strukturell gegebenen Privilegien bzw. Benachteiligungen von einer Generation auf die nächste übertragen und welche Klassenbarrieren hier aufgebaut und reproduziert wurden. Entsprechend der These der Etablierung einer neuen Ungleichheitsstruktur entlang der Klassenlagen sollte sich zeigen, daß es in der DDR vielfältige intergenerationale Mobilitätsprozesse (das heißt Klassenwechsel von einer Generation zur nächsten) im Prozeß des „Umbaus“ der alten Klassenstruktur in eine staatssozialistische Klassenstruktur gegeben hat. Anschließend -nachdem sich diese neue Klassenstruktur verfestigt hatte -sollten jedoch zunehmende Immobilität bzw. soziale Ausleseprozesse (in Abhängigkeit von der Klassenzugehörigkeit) das Bild der Klassenzuweisung bestimmen.

Im Mittelpunkt der vorgestellten empirischen Befunde steht das Verhältnis zwischen operativer (und vereinzelt administrativer) Dienstklasse (im folgenden: „sozialistische Dienstklassen“) und der Arbeiterklasse. Dieser Vergleich kann eindrucksvoll verdeutlichen, welche Klassenbarrieren es in der DDR zwischen den privilegierten Klassen-lagen und der unterprivilegierten Arbeiterklasse gegeben hat.

Fragt man zunächst, ob es in der DDR überhaupt Wechsel zwischen der Herkunftsklasse und der Klassenlage der Kinder (im Alter von 30 Jahren) gegeben hat, so zeigt sich, daß in allen Perioden der DDR-Entwicklung mehr als ein Drittel der nachfolgenden Generation „mobil“ war bzw.sein mußte. Mit dem Übergang in die achtziger Jahre ist jedoch ein Rückgang zu verzeichnen: Während die Befragten in den drei älteren Kohorten (1929-1931, 1939-1941, 1951-1953) zu über 40 Prozent ihre Herkunftsklasse verließen, betraf dies in der jüngsten Kohorte (1959-1961) nur 36 Prozent. Darüber hinaus ist festzustellen, daß diese Mobilität in den fünfziger und sechziger Jahren in starkem Maße durch eine veränderte Struktur der Mobilitätsoptionen erzeugt wurde, das heißt einerseits Übergänge aus den absterbenden bzw. marginalisierten Klassenlagen notwendig waren (z. B. aus der alten bürgerlichen Dienst-klasse oder den Selbständigen) und andererseits Übergänge in völlig neue Klassenlagen möglich waren (z. B. in die administrative und die operative Dienstklasse). Ab den siebziger Jahren blieben derart drastische strukturelle Veränderungen weitgehend aus. Strukturelle Mobilität war dann vor allem durch ein zahlenmäßiges Anwachsen der Arbeiterklasse, eine weitere Reduzierung der Bauernklasse und ein -in den siebziger Jahren vorhandenes und damit nur die Kohorte 1951-1953 betreffendes -Wachstum der sozialistischen Dienstklassen gekennzeichnet. Letzteres ist unter anderem auf den zusätzlichen Bedarf an Leitungsund hochqualifiziertem Verwaltungs-sowie Forschungs-und Entwicklungspersonal aufgrund der Kombinatsbildung (in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre) zurückzuführen. Ferner ist anzumerken, daß seit den siebziger Jahren Abstiege in die Arbeiterklasse zu-und gleichzeitig Aufstiege in die Dienstklassen abnahmen.

Diese Ergebnisse sind ein erster Hinweis darauf, daß die Mobilitätschancen in den einzelnen Perioden der Entwicklung der DDR durch sehr unterschiedliche Kontextbedingungen beeinflußt wurden. In dem Maße, wie strukturelle Mobilität eine Bedingung für die Etablierung des Staatssozialismus und seiner Klassenstruktur in der DDR darstellte, signalisiert ihr Rückgang die Konsolidierung dieser staatssozialistischen Klassenstruktur. Zu fragen bleibt, inwieweit die unterschiedlichen Klassenlagen von dieser Schließung der Aufstiegs-kanäle jeweils betroffen waren.

Das Verhältnis von „Vererbung“ und „Zugang von außen“ für die einzelnen Klassenlagen gibt Auskunft darüber, ob die Konkurrenz um den Zugang zu bestimmten Klassen abgenommen oder zugenommen hat, das heißt, ob Klassengrenzen auch soziale Ausschlußkriterien darstellten. Bei Chancengleichheit hätten zum Beispiel Arbeiterkinder und Kinder der Dienstklassen die gleiche Chance, in die Dienstklassen zu gelangen; genauso wie beide die gleiche Chance bzw. das gleiche Risiko hätten, der Arbeiterklasse anzugehören. Von Chancengleichheit in der DDR kann jedoch nicht die Rede sein. Im Gegenteil, die sozialistischen Dienstklassen entwickelten sich von der „offensten“ Klassenlage zu einer der „geschlossensten“ Klassenlagen der DDR-Gesellschaft. Während die Dienstklassen-Kinder in den fünfziger Jahren (Kohorte 1929-1931) nur eine doppelt so hohe Chance wie die Kinder anderer Klassenherkunft hatten, einer der Dienstklassen anzugehören, so besaßen sie bereits in den sechziger Jahren (Kohorte 1939-1941) eine viermal so hohe und in den achtziger Jahren (Kohorte 1959-1961) sogar eine fünfmal so hohe Chance. Dies zeigt, daß die Konkurrenz um den Zugang zu den privilegierten Klassenlagen nicht ab-, sondern zugenommen und die Polarisierung zwischen den Klassen sich eher verstärkt hat.

Wie etablierte sich diese Ungleichheit? Generell ist davon auszugehen, daß diese Übertragung von Vor-und Nachteilen auf die nächste Generation in der DDR größtenteils nicht durch die Weitergabe von Eigentum erfolgen konnte. Vielmehr wurde der Zugang der Kinder zu bestimmten Klassenlagen primär über deren Plazierung im Erwerbssystem, das heißt über deren Bildungs-und Berufsverläufe, vermittelt. Fragt man zunächst allgemein danach, wer überhaupt aufgrund seiner eigenen Berufstätigkeit in einer der sozialistischen Dienstklassen plaziert war, dann werden geschlechtsspezifische Unterschiede offensichtlich. Nur in den achtziger Jahren (Kohorte 1959-1961) schafften Männer und Frauen aufgrund ihrer eigenen Berufskarrieren gleichermaßen den Zugang zu den Dienstklassen. Der Etablierungsprozeß der neuen Dienstklassen in den fünfziger und sechziger Jahren fand damit ohne die Frauen statt, er vollzog sich nahezu ausschließlich über die Berufskarrieren der Männer. Für die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten der Frauen waren hingegen vor allem die bildungspolitischen Veränderungen, insbesondere das Bildungsgesetz von 1965, sowie die besonderen Förderungsmaßnahmen der Frauenpolitik der siebziger Jahre von Bedeutung Bildung stellte -unabhängig vom Geschlecht -einen wesentlichen Mechanismus dar, über den die privilegierten Klassen Berufskarrieren in die neuen Dienstklassen ermöglichten. Kinder aus den neuen sozialistischen Dienstklassen hatten zu allen Zeiten eine wesentlich höhere Chance, einen höheren Schulabschluß (das heißt oberhalb des jeweiligen Regelschulabschlusses) zu erwerben, als die Kinder aus den anderen Klassenlagen. Nur in der Umbruchsphase im Bildungssystem Ende der fünfziger/Anfang der sechziger Jahre gab es eine leichte Öffnung, jedoch nicht unter Preisgabe des generellen Bildungsvorteils der Kinder mit Dienstklassen-Herkunft. Deren Chance für einen höheren Bildungsabschluß war selbst in dieser Zeit noch dreimal so hoch wie die Chance der Kinder aus anderen Herkunftsklassen. Mit der vollständigen Institutionalisierung des „einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ (1965) und dem Übergang von der Auswahl nach sozialer Herkunft (bei Bevorzugung von Arbeiterkindern) zur Auswahl nach schulischer Leistung und gesellschaftlichen Aktivitäten begann sich das Bildungssystem erneut zu schließen. In den achtziger Jahren (Kohorte 1959-1961) hatten die Kinder mit Dienstklassen-Herkunft eine mehr als sechsmal so hohe Chance wie Kinder mit anderer Herkunft.

Darüber hinaus zeigt sich hinsichtlich der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten für die Männerfolgendes Bild. Nur in der Aufbau-und Stabilisierungsphase (bis Mitte/Ende der siebziger Jahre) konnten die Arbeitersöhne über öffentlich bekundetes systemloyales Verhalten (d. h. Parteimitgliedschaft oder Ausübung einer politischen Funktion) Bildungsnachteile beim Zugang zu privilegierten Positionen der Dienstklassen im Vergleich zu den Söhnen mit Dienstklassen-Herkunft kompensieren. Insofern gab es in dieser Zeit keine gravierenden Klassenunterschiede hinsichtlich der Zugangschancen in die neuen Dienst-klassen -allerdings nur unter der Bedingung, daß die Söhne, die nicht aus einer der beiden sozialistischen Dienstklassen kamen, sich „systemloyal“ zeigten. Söhne aus Arbeiter-, Bauern-und Seibständigenfamilien, die weder Parteimitglied waren noch gesellschaftliche Funktionen ausübten, blieben an das untere Ende der Rekrutierungs-Rangordnung verwiesen.

Interessant ist der Befund für die loyalen Söhne von Selbständigen: Diese hatten sogar bessere Zugangschancen zu den Dienstklassen als Söhne mit Dienstklassen-Herkunft. Wirtschaftlich marginalisiert, begegneten die Eltern der Beschneidung in den Vererbungschancen ihres Eigentums dadurch, daß sie ihren Söhnen berufliche Werde-gänge in die privilegierten Klassenlagen der neuen Gesellschaft eröffneten. Zumindest für den Teil unter den Selbständigen, deren Söhne sich öffentlich gegenüber dem neuen System in der DDR „loyal“ zeigten, wurde der Niedergang der eigenen Klassenlage in einen Übergang in die neuen Dienstklassen umgemünzt Da es sich hierbei allerdings um eine relativ kleine Gruppe handelte, stellt dies die -oben konstatierte -eher moderate Ungleichheitsstruktur in dieser Zeit nicht in Frage.

Ein anderes Bild ergibt sich für die achtziger Jahre. Unter den Bedingungen der reduzierten Zugangsmöglichkeiten zu den sozialistischen Dienstklassen kam es zu einer Polarisierung in den klassenspezifischen Zugangschancen. Während die loyalen Söhne aus Familien der sozialistischen Dienstklassen ihre Zugangschancen verbessern konnten, verschlechterten sie sich für alle anderen -ob loyal oder nicht loyal. Diese gegenläufigen Tendenzen führten dazu, daß sich nun eine Schere zwischen denen, die aus den Dienstklassen kamen -allerdings auch öffentlich systemloyales Verhalten zeigten -, und allen anderen öffnete. Wer also in den achtziger Jahren eine begründete Chance haben wollte, in der Konkurrenz um die immer weniger werdenden vakanten Positionen der sozialistischen Dienstklassen erfolgreich zu sein, der mußte nicht nur aus einer Dienstklassen-Familie stammen, sondern zusätzlich noch system-loyales Verhalten zeigen. Damit verlor System-loyalität seinen eher kompensatorischen Charakter und wurde mit dem Übergang in die achtziger Jahre zunehmend zu einem notwendigen Auswahl-kriterium innerhalb der sozialistischen Dienst-klassen

Diese Polarisierung der Zugangschancen erklärt sich sicherlich nicht vollständig aus einer zunehmenden Schließung der sozialistischen Dienstklas-sen durch die Dienstklassen selbst. Vielmehr ist auch davon auszugehen, daß sie ebenso aus einem bewußten „Verzicht“ auf Aufstieg seitens derer mit anderer Herkunft resultierte. In Diskussionen und Publikationen über die DDR wurde mehrfach darauf hingewiesen, daß Arbeiter teilweise auch „gar nicht in die Dienstklassen wollten“ (z. B. aufgrund fehlender materieller Anreize, antizipierter Chancenlosigkeit oder der geforderten Identifikation mit dem System, die für den Zugang zu den sozialistischen Dienstklassen vorausgesetzt wurde). Welche Bedeutung diesen beiden Gründen, Ausschluß und Verzicht, zukam, kann im nachhinein nicht mehr eindeutig geklärt werden. Anzunehmen ist, daß sie beide die Polarisierung der Zugangschancen in die Dienstklassen verursachten.

Für die Frauen zeigt sich gleichfalls, daß die Stagnation bzw.der Rückgang im Umfang der zu besetzenden Positionen der Dienstklassen in den achtziger Jahren für die weibliche Chancenstruktur nicht folgenlos blieb. Für alle Klassenlagen, und zwar unabhängig davon, ob die Frauen loyales Verhalten zeigten oder nicht, verschlechterten sich in dieser Dekade die Zugangschancen zu den sozialistischen Dienstklassen durch eigene Berufs-karrieren. Im Unterschied zu den Männern wird für die Frauen jedoch für die gesamte DDR-Zeit ein Auseinanderklaffen der beruflichen Zugangs-chancen in Gestalt einer Dreiteilung deutlich, und zwar zwischen den loyalen Töchtern mit Dienst-klassen-Herkunft, den nichtloyalen Töchtern mit Dienstklassen-Herkunft und dem „Rest“. Bei den Frauen war Systemloyalität nie kompensatorischer Natur, die Diskrepanz zwischen nichtloyalen Töchtern mit Dienstklassen-Herkunft und loyalen Töchtern mit anderer Herkunft konnte nie überwunden werden. Doch von einem Bedeutungswandel der Systemloyalität ist auch bei den Frauen auszugehen. Für sie vollzog er sich aber als Über-gang von einem „zusätzlichen Bonus“ für Töchter mit Dienstklassen-Herkunft (ebenfalls) hin zu einem „notwendigen“ Auswahlkriterium innerhalb der Dienstklassen. Auch für die Frauen zeigt sich: In den achtziger Jahren hatten nur die Töchter, die aus den sozialistischen Dienstklassen stammten und öffentlich systemlöyales Verhalten zeigten, aussichtsreiche Chancen für Berufskarrieren in die Dienstklassen.

In diesen Ergebnissen spiegelt sich eindrucksvoll wider, daß nicht nur die absoluten und struktur-bedingten Mobilitätsraten, sondern auch die Aufstiegschancen zurückgingen und sich die klassen-bedingten Barrieren verstärkten. Nun könnte man einwenden, daß sich diese Veränderungen darauf zurückführen lassen, daß sich nach der anfänglichen Ausschöpfung der „Begabungsreserven“ bei den Arbeitern und Bauern später „normale“ schichtspezifische Formen der Status-zuweisung durchsetzten. Dieser Interpretation kann zumindest entgegengehalten werden, daß sich nicht nur Bildungspatente, sondern zusätzlich die Klassenlage der Herkunft und die Systemloyalität (gemessen als Mitgliedschaft in der Partei und Funktionen in Massenorganisationen) als wichtige Determinanten der Klassenzuweisung erwiesen.

Zu fragen bleibt, ob diese Klassenlinien auch eine ungleiche Verteilung der knappen Güter, Dienstleistungen und Ressourcen sowie der Ausdifferenzierung spezifischer Lebensstile impliziert haben. Analysen -basierend auf den. oben erwähnten Interviews des Projekts „Lebensverläufe und historischer Wandel in der ehemaligen DDR“ -zeigen daß mit der jeweiligen Klassenzugehörigkeit sehr wohl unterschiedliche Lebensbedingungen verbunden gewesen sind. So konnten Angehörige der sozialistischen Dienstklassen durchaus ein höheres Erwerbseinkommen realisieren als Arbeiter; ebenso war der Besitz eines PKWs, eines Telefons sowie eines besseren Wohnkomforts (z. B. modernes Heizungssystem) nicht nur einkommen-abhängig, sondern darüber hinaus auch abhängig von der jeweiligen Klassenlage, das heißt -selbst bei gleichem Einkommen -bei Angehörigen der Dienstklassen weit häufiger vorzufinden als bei Arbeitern. Dafür waren nicht zuletzt die häufiger vorhandenen und breiter gestreuten nützlichen Beziehungen der sozialistischen Dienstklassen verantwortlich. Außerdem zeigte sich, daß sie einen deutlich abgehobenen, an der Hochkultur orientierten Lebensstil pflegten (Besuch von Oper, Theater, Museen). Gemessen an den Verhältnissen in der (alten) Bundesrepublik waren diese Unterschiede sicherlich auf einem deutlich niedrigeren Niveau -dennoch waren sie mehr als nur ein bloßes „Überbleibsel“ an Ungleichheit.

All dies zeigt: Der Sozialismus führte in der DDR -wie auch in den anderen staatssozialistischen Ländern -nicht zum Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft, sondern im Gegenteil zu einer Gesellschaft, in der Klassenunterschiede, wenn auch zwischen „neuen“ Klassen, durchaus eine prägende Rolle für die jeweils verfügbaren Lebenschancen und -bedingungen spielten. Um die Widersprüchlichkeit und die Konflikte in der DDR-Gesellschaft selbst begreifen zu können, ist es daher notwendig, sie als eine „Klassengesell-schaft“ zu begreifen mit eigenständigen Reproduktionsmechanismen und Systemwidersprüchen, die wesentlich den staatssozialistischen Eigentumsverhältnissen geschuldet gewesen waren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Rainer Geißler, Sozialer Umbruch in Ostdeutschland. Einleitende Bemerkungen, in: ders. (Hrsg.), Sozialer Umbruch in Ostdeutschland, Opladen 1993; Manfred Lötsch, Konturen einer Theorie der Sozialstruktur, in: Berliner Journal für Soziologie 1 (1991) 2.

  2. Vgl. Karl Ulrich Mayer/Heike Solga/Martin Diewald, Kontinuitäten und Brüche in den Erwerbs-und Berufs-verläufen nach der deutschen Vereinigung, Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern (KSPW), Arbeitskreis Sozialwissenschaftliche Arbeitsmarktforschung (SAMF), Fachtagung, Halle, 16. -17. 11. 1995 (i. E.).

  3. Vgl. Heike Solga, Lebensverläufe und historischer Wandel in der ehemaligen DDR, in: ZA-Information, (1996) 38 (Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung, Köln).

  4. Vgl. Erik O. Wright, Class and Occupation, in: Theory and Society, 9 (1980) 1; John E. Roemer, A General Theory of Exploitation and Class, Cambridge (USA) 1982; ders., New Directions in the Marxian Theory of Exploitation and Class, in: Politics & Society, 11 (1982) 3.

  5. Vgl. Milovan Djilas, The New Class: An Analysis of the Communist System, New York 1957; George Konrad/Ivan Szelenyi, The Intellectuals on the Road to Class Power. A Sociological Study of the Role of the Intelligentsia in Socialism, New York 1979; Jacek Kuron/Karol Modzelewski, Monopolsozialismus, Hamburg 1969; Michael Voslensky, Nomenklatura. Die herrschende Klasse in der Sowjetunion, München -Wien 1980.

  6. S. hierzu ausführlich Heike Solga, Auf dem Weg in eine klassenlose Gesellschaft? Klassenlagen und Mobilität zwischen Generationen in der DDR, Berlin 1995.

  7. J. Kuron/K. Modzelewski (Anm. 6), S. 11.

  8. Jakow Abramowitsch Kronrod, Die Gesetze der politischen Ökonomie des Sozialismus (Zakony politiceskoj ekonomii sozializma), Moskau 1966, zit. in: Rene Ahlberg, Der Mythos der sozialen Gleichheit im Sozialismus, in: Osteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens, 31 (1981) 11, S. 970.

  9. Vgl. M. Voslensky (Anm. 6), S. 44 f.

  10. Ebd., S. 214.

  11. Aage Srensen, Concluding Essay: Class, Status and Power, in: David B. Grusky (Hrsg.), Social Stratification. Class, Race and Gender in Sociological Perspective, Boulder 1994, S. 5 (Übers, v. H. S.).

  12. Diese Unterscheidung basiert auf dem Wrightschen Konzept der Differenzierung des Eigentums an Produktionsmitteln in unterschiedliche Eigentümerfunktionen. Vgl. E. O. Wright (Anm. 5).

  13. Vgl. J. E. Roemer (Anm. 5).

  14. Die theoretischen Grundideen dieses Klassenmodells basieren auf den Arbeiten von E. O. Wright (Anm. 5); ders., Was bedeutet neo und was heißt marxistisch in der neomarxistischen Klassenanalyse?, in: Hermann Strasser/John H. Goldthorpe (Hrsg.), Die Analyse sozialer Ungleichheit: Kontinuität, Erneuerung, Innovation, Opladen 1985, und Szonja Szelenyi, Social Mobility and Class Structure in Hungary and the United States, Dissertation, University of Wisconsin, Madison 1988.

  15. In gleicher Weise bestimmt auch Eberhard Schneider die Gruppe der Parteifunktionäre, das heißt in Abgrenzung zu den Staats-und Wirtschaftsfunktionären (Eberhard Schneider, Die politische Funktionselite der DDR. Eine empirische Studie der SED-Nomenklatura, Opladen 1994, S. 121).

  16. Von einer „freiwilligen“ Wahl kann dabei wohl kaum die Rede sein, denn ohne „staatliche Beteiligung“ wurden sie überdurchschnittlich besteuert, in der Materialzuteilung schikaniert, erhielten sie keine Kredite, so daß Investitionen kaum möglich waren.

  17. Für eine detaillierte Darstellung und Begründung der Definition der alten und der neuen bürgerlichen Dienstklasse in der DDR siehe H. Solga (Anm. 7).

  18. Gert-Joachim Glaeßner, Der schwierige Weg zur Demokratie. Vom Ende der DDR zur deutschen Einheit, Opladen 1991, S. 6.

  19. Für die Klassenlagen des genossenschaftlichen Eigentums ist insbesondere interessant, daß mit der Umwandlung der selbständigen Bauern bzw. Handwerker zu Genossenschaftsmitgliedern Mobilitätsprozesse stattfanden, zugespitzt formuliert, politisch initiiert wurden, die keinerlei Aktivität im Sinne eines Orts-oder sogar Arbeitsplatzwechsels verlangten.

  20. H. Solga (Anm. 7), S. 123.

  21. Vgl. Johannes Huinink/Karl Ulrich Mayer/Heike Trappe, Staatliche Lenkung und individuelle Karriere-chancen: Bildungs-und Berufsverläufe, in: Johannes Huinink/Karl Ulrich Mayer/Martin Diewald/Heike Solga/Annemette Srensen/Heike Trappe, Kollektiv und Eigensinn. Lebensverläufe in der DDR und danach, Berlin 1995; Heike Trappe, Emanzipation oder Zwang? Frauen in der DDRzwischen Beruf, Familie und Sozialpolitik, Berlin 1995.

  22. Bei den Töchtern geschah dies vor allem über eine entsprechende Heirat.

  23. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß die Parteimitgliedschaft der Eltern ein fehlendes öffentliches loyales Verhalten ihrer Kinder nicht „ausgleichen“ konnte. Ihre Parteimitgliedschaft hatte nur dann einen positiven Effekt auf die Berufskarrieren ihrer Kinder, wenn es ihnen gelang, derartige Verhaltensweisen auf die Kinder zu übertragen. Wie sich für die vier ausgewählten Kohorten zeigt, war die Chance, daß jemand aus einer Parteifamilie selbst Parteimitglied oder Funktionsträger wurde, mehr als doppelt so groß wie für diejenigen, deren Vater und Mutter nicht Mitglied der Partei waren.

  24. Vgl. auch Heike Solga, Systemloyalität als Bedingung sozialer Mobilität im Staatssozialismus, am Beispiel der DDR, in: Berliner Journal für Soziologie, 4 (1994) 4.

  25. Für detaillierte Analysen siehe Martin Diewald/Heike Solga, Soziale Ungleichheit in der DDR: Die feinen, aber deutlichen Unterschiede am Vorabend der Wende, in: J. Huinink/K. U. Mayer u. a. (Anm. 22).

Weitere Inhalte

Heike Solga, Dr. phil., geb. 1964; 1983-1988 Studium der Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1990-1991 Fulbright-Stipendium an der Stanford University (Kalifornien/USA) mit Abschluß des M. A.; 1994 Promotion an der Freien Universität Berlin; seit 1995 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Karl Ulrich Mayer) Mobilität und Legitimität. Zum Vergleich der Chancenstrukturen in der alten DDR und der alten BRD oder: Haben Mobilitätschancen zu Stabilität und Zusammenbruch der DDR beigetragen?, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 46 (1994) 2; Auf dem Weg in eine klassenlose Gesellschaft? Klassenlagen und Mobilität zwischen Generationen in der DDR, Berlin 1995; (zus. mit Johannes Huinik, Karl Ulrich Mayer, Martin Diewald, Annemette Sörensen und Heike Trappe) Kollektiv und Eigensinn. Lebensverläufe in der DDR und danach, Berlin 1995.