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Europa in der Wahrnehmung junger Menschen -Bedingungen und Konsequenzen für Politikvermittlung und politische Bildungsarbeit | APuZ 25-26/1998 | bpb.de

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APuZ 25-26/1998 Die Problematik der europäischen Identität Europa in der Wahrnehmung junger Menschen -Bedingungen und Konsequenzen für Politikvermittlung und politische Bildungsarbeit EU-Akzeptanz und europäische Identität im deutsch-französischen Grenzgebiet Europa auf dem Weg zur integrierten Umweltpolitik? Institutionalisierte Interessenvertretung der Regionen und Kommunen in der EU. Eine Bilanz des Ausschusses der Regionen

Europa in der Wahrnehmung junger Menschen -Bedingungen und Konsequenzen für Politikvermittlung und politische Bildungsarbeit

Ulrich Sarcinelli/Michael C. Hermann

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Beziehungen der jungen Generation zum Integrationsprozeß sind durch ein Paradoxon geprägt: Einerseits hat sich Europa in der Lebenswelt Jugendlicher veralltäglicht, andererseits ist auch oder gerade die junge Generation von einer europapolitischen Indifferenz und zum Teil von Skepsis betroffen. Auch wenn sich die Einstellungen als flexible und komplexe Muster darstellen, so ist die Zustimmung der 15-bis 24jährigen zum Einigungsprozeß insgesamt rückläufig. Die Autoren weisen diesen Einstellungen hohe Bedeutung zu, fragen nach den Ursachen und diskutieren die Implikationen für eine europäische Politikvermittlung als Oberbegriff von Information, Appellation, Partizipation und politischer Bildung.

I. Europa zwischen lebensweltlicher Alltäglichkeit und politischer Indifferenz?

Wer sich mit der Frage nach dem Wandel politischer Einstellungen zu Europa vor allem mit Blick auf junge Menschen beschäftigt, stößt unweigerlich auf ein merkwürdiges Paradoxon. Mehr als jemals zuvor in der Geschichte der europäischen Einigungsbewegung scheint Europa zur lebens-weltlichen Selbstverständlichkeit geworden zu sein. Offene Grenzen, freier Informationsfluß und freier Warenverkehr, vielfache Begegnungen mit Menschen aus Ländern der Europäischen Union, sei es im Rahmen von Schüler-und Jugendaustauschprogrammen, sei es durch berufliche Mobilitätserfordernisse bedingt, oder auch im Rahmen des privaten Tourismus -dies ist inzwischen so sehr alltägliche europäische Realität geworden, jedenfalls für einen Großteil junger Menschen, daß die noch gar nicht so alten, vielfältigen Barrieren innerhalb Europas kaum mehr im Bewußtsein sind

Im Zuge seiner lebensweltlichen Veralltäglichung schwindet die Strahlkraft von und das Bewußtsein für Europa als „politische Idee“, als ein aus leidvollen geschichtlichen Erfahrungen resultierender politischer Gestaltungsauftrag, als ein für „Überleben und gutes Leben“ (Aristoteles) existentielles politisches Ziel. Verliert Europa als politisch-historisches Projekt und als politisch-pädagogische Herausforderung an Faszination? Mit dem Aussterben der Gründergeneration und mit dem Älterwerden der noch von der Europaidee geprägten politischen Führungselite mehren sich kritische Stimmen, die mit Blick auf eine wachsende europapolitische Indifferenz und Skepsis in weiten Teilen der Bevölkerung nach den zukünftigen gei­ stigen Antriebskräften und nach der legitimatorischen Verankerung fragen. Verstärkt wird dieser Prozeß noch dadurch, daß die Konturen eines künftigen Europas unklarer sind denn je. Was Europa ist, welches Europa es sein soll, welche „neue konstitutionelle Form“ Europa angemessen und wie der weitere Prozeß der europäischen Entwicklung aussehen soll, ist ungewiß. So plausibel Paul Kennedys Blick in das 21. Jahrhundert ist, demzufolge der internationale Wandel „neues Denken und neue Strukturen“ erfordert, „Europa einfach nicht stehen bleiben darf“ und „Europa zu weiteren Schritten in die Einheit keine Alternative“ hat -weder in politischer noch in politisch-pädagogischer Hinsicht ist dieses Europa ein , Selbstläufer. Wir haben es also mit einer paradoxen Situation zu tun: Veralltäglichung eines vor allem ökonomisch zusammenwachsenden Europas einerseits und verbreitete europapolitische Indifferenz und Skepsis andererseits.

Für die Frage nach der Legitimität und damit auch für die Zukunftsfähigkeit eines demokratischen Systems kann es nicht gleichgültig sein, welche Einstellungen die Bürger und insbesondere die jüngere Generation zu ihm haben. Die politische Kulturforschung geht davon aus, daß jedes demokratische System ein Mindestmaß an „diffuser Unterstützung“ (diffuse support) braucht, um politisch überleben zu können. Diffuse Unterstützung bezeichnet dabei -im Gegensatz zu „spezifischer Unterstützung“ (specific support) -eine generalisierte Unterstützungsbereitschaft.

Kann Europa mit diesem Mindestmaß an „diffuser Unterstützung“ rechnen -gerade auch in der jüngeren Generation? Welches Verhältnis zur Politik, welche politischen bzw. unpolitischen Grundeinstellungen sind typisch für die Jugend der Gegenwart und welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für Politikvermittlung und politische Bildung in Sachen Europa? Welche Folgen hätte es, und wie müßte politische Bildung reagieren, wenn Europa als Idee, als politische Institution, als Integrationsprozeß nicht mehr in gleichem Maße wie über lange Zeit hinweg zumindest mit einer wohlwollenden Indifferenz rechnen könnte, wenn vorwiegend utilitaristische Kalküle, d. h. nutzen-orientierte Betrachtungsweisen in Sachen Europa motivbildend und verhaltensprägend würden, wenn der über Jahrzehnte evidente lebensweltliche Nutzen, der europapolitische , Mehrwert nicht mehr offensichtlich wäre, vielleicht sogar Wohlstandseinbußen hingenommen werden müßten? Wird Europa zukünftig vermehrt dem politischen Druck kurzfristiger Fall-zu-Fall-Loyalitäten ausgesetzt sein, und wenn ja -welche Folgen hätte dies?

Zugespitzt könnte man in Analogie zu Almonds und Verbas zwei , Klassikern der vergleichenden politischen Kulturforschung, Verdacht gegenüber der seinerzeit noch jungen Bundesrepublik Deutschland fragen: Ist Europa ein politisches Schönwetter-System, um dessen demokratische Stabilität es dann schlecht bestellt ist, wenn die politische Zukunft ungewiß ist und die ökonomischen Verhältnisse dauerhaft angespannt sind? Sind diese Fragen nicht neu, so stellen sie sich doch umso dringlicher in einer Zeit, in der der weitere Weg des europäischen Integrationsprozesses ungewisser denn je ist. Dabei wird es im folgenden darum gehen aufzuzeigen, inwieweit wir es hier mit einer Hypothek oder vielleicht auch mit neuen Chancen für Politikvermittlung und politische Bildungsarbeit zu tun haben.

II. Europa in der Perzeption seiner jungen Bürger

Wurde die Bedeutung der öffentlichen Meinung im Sinne eines „empirischen Volkswillens“ (Ernst Fraenkel) in Sachen europäische Einigung im Zuge einer vorherrschenden funktionalistischen Sichtweise lange Zeit eher geringgeschätzt, so ist die Sensibilität für die „subjektive Seite“ europäischer Politik zweifellos, nicht zuletzt durch eine mittlerweile recht gute Übersicht dank der Eurobarometerdaten, gestiegen. Unzufriedenheit mit Europa schlägt sich zudem nicht nur bei den Europawahlen, sondern auch bei nationalen Wahlen nieder. Deshalb gilt, „. . . wer über die Zukunft Europas nachdenkt bzw. dafür handelt, (muß) auch von den Einstellungen der Bürger zu Europa sprechen“

Schon vor zehn Jahren machten Weidenfeld und Piepenschneider auf den im Grunde wenig verwunderlichen, gleichwohl aber legitimatorisch bedeutsamen Befund aufmerksam: Einstellungsmuster der Jugendlichen zur Europäischen Einigung seien keine statischen, keine festgefügten Gebilde. Statt dessen müsse von verschiedenen Grunddispositionen, von verschiedenen Typen von Europabildern ausgegangen werden, die je nach gegebener Situation aktualisiert und thematisiert würden Nicht jeder Trend zurückgehender Zustimmung sollte demnach als Symptom einer umfassenden Legitimitätskrise interpretiert werden, zumal vor dem Hintergrund des skizzierten generellen Wandels politischen Verhaltens. Variabilität und Anpassungsfähigkeit im Umgang mit sich verändernden europapolitischen Herausforderungen und Situationen stellt einen gewissen Legitimitätspuffer dar. Partielle Unzufriedenheit impliziert nicht automatisch die Infragestellung des Systems als Ganzes.

Dennoch ist im Zusammenhang mit der folgenden kursorischen Betrachtung verschiedener empirischer Befunde zu fragen, inwieweit wir es hier mit der Normalkonjunktur europapolitischer Stimmungsschwankungen zu tun haben oder mit Legitimitätseinbußen bzw. mit einer legitimatorischen , Unterversorgung‘, die sich ein demokratisches System auf Dauer nicht leisten kann. Ist Europa wirtschaftlich, politisch und im öffentlichen Bewußtsein in „schweres Wetter“ geraten? Steht es nicht nur demokratietheoretisch, sondern auch, was seine subjektive Verankerung anbelangt, politisch-praktisch für die Zukunft auf unsicherem Fundament?

Es wäre nicht das erste Mal, daß der Europäische Einigungsprozeß mit Akzeptanzkrisen zu tun hat. Und schließlich ist es ein sozialwissenschaftlicher Allgemeinplatz, daß Politik überhaupt und vor allem in der Lebenswelt junger Menschen eine eher nachgeordnete Rolle spielt. Schule, Ausbildung, Beruf, vor allem aber freizeitkulturelle Dinge haben demgegenüber eine größere Bedeutung. Dies ist zumindest ein regelmäßiger Befund auf die allgemeine Frage nach dem Interesse für Politik und der Relevanzeinschätzung verschiedener Lebensbereiche. Hinzu kommt, daß die Orientierung an Politik eher punktuell, kontextabhängig, erlebnis-und betroffenheitsorientiert ist und das Thema Europa auf einem der hinteren Plätze rangiert

Zudem zeigen Analysen zur Wahlbeteiligung, daß diese bei den Jungwählern auf allen Ebenen stärker rückläufig ist als im gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt. Daß die Wahlbeteiligung der Jungwähler zum Europäischen Parlament etwa zehn Prozentpunkte unter der allgemeinen Wahlbeteiligung liegt, erscheint dabei als ein durchaus plausibles politisches Verhaltensmuster. Interessanter als diese bekannten Befunde zu einer hochkonventionellen Form politischer Beteiligung sind einige Einstellungsdaten. So konstatieren Immerfall und Sobisch mit Verweis auf das Eurobarometer, „daß die Zustimmung der Bürger zur Europäischen Union noch nie so sehr gesunken ist wie zwischen 1991 und " 1995“. So ist nach den Daten des Eurobarometers die Unterstützung für die Mitgliedschaft des jeweiligen Landes im Durchschnitt aller Mitgliedsländer zwischen 1990 und 1997 von rund 72 auf zuletzt 46 Prozent zurückgegangen Ebenfalls rückläufig ist die Zustimmung der jungen Generation (15-bis 24jährige) europaweit. Sie liegt aber mit 52 Prozent deutlich über der Zustimmung der über 40jährigen.

Versucht man, die wesentlichen Befunde der jugendsoziologischen Forschung und verschiedener europarelevanter empirischer Studien etwa mit der Frage nach einer jugendspezifischen europäischen Identität zusammenzufassen, so ergibt sich -kaum überraschend -statt eines einheitlichen Bildes ein „höchst diffuses Gemenge aus Hoffnungen, Wünschen, aber auch Befürchtungen und Ängsten. Wie in einem Brennglas scheint der Europäische Integrationsprozeß Ängste und Befürchtungen der gegenwärtigen Umbruchsituation auf sich zu ziehen.“ Dabei verdienen vor allem folgende Aspekte für die weiteren Überlegungen hervorgehoben zu werden: 1. Für junge Menschen ist Europa ein mehr oder weniger selbstverständliches Faktum, allerdings ohne besonderen , Charme . 2. Europa als politische Größe wird hingegen, sofern überhaupt, im wesentlichen als eine erfahrungsarme Veranstaltung wahrgenommen. Beteiligungschancen bieten sich über den als konventionell empfundenen Akt der Wahl hinaus kaum. Identifikatorische Anknüpfungspunkte in personeller, institutioneller oder sonstiger Hinsicht gibt es so gut wie nicht. 3. Mehr als generationenspezifische Sozialisationsbedingungen (vgl. z. B. die sogenannte Nachkriegsgeneration oder die „ 68-Generation“) spielt für die Ausbildung einer europäischen Identität die konkrete, zumeist nicht direkt politische „Lebenserfahrung , mit Europa’“ eine Rolle, eine Identität zudem, die nicht konträr, sondern eher komplementär zur nationalen Identität gesehen wird. 4. Kennzeichnend ist schließlich ein in der Jugendgeneration mehr noch als bei den Erwachsenen ausgeprägter politischer „Skeptizismus“ gepaart mit einem „utilitaristische(n) Grundzug, der einer sich vertiefenden EU-Identität nicht im Wege stehen muß.

Insgesamt sind dies nicht unbedingt schlechte Voraussetzungen für die subjektive Verankerung des europäischen , Projekts. Immerfall und Sobisch vertreten gar die These, Europa befinde sich in einer Übergangsphase vom „permissiven Konsens“ zur diffusen, allgemeineren Unterstützung. Und da mit dem Alter eines politischen Systems statistisch gesehen dessen Überlebensfähigkeit wachse, arbeite die Zeit für die Legitimität der EU.

III. Politikvermittlung für Jugendliche und mit Jugendlichen

Der perzeptiven europapolitischen „Unübersichtlichkeit“ (Habermas) und politischen Unsicherheit einfach mittels wohlmeinender appellativer politischer Pädagogik oder normativ überhöhter europazentrierter Bildungsprogramme begegnen zu wollen, würde zu kurz greifen. Ohne eine Berücksichtigung der Mehrdimensionalität des Politikvermittlungsprozesses in Verbindung mit Fragen nach dem Wandel des politischen und insbesondere europapolitischen Grundverständnisses in der jüngeren Generation sind entsprechende Empfehlungen für die politisch-pädagogische Praxis kaum anschlußfähig. Ohnedies muß politische Bildung als Teil eines umfassenderen -für die auch europa-politische Sozialisation relevanten -Politikwahr-nehmungs-und Politikvermittlungsprozesses betrachtet werden. Mit Politikvermittlung soll dabei das Ganze der kommunikativen Leistungen bezeichnet werden, die in demokratischen Systemen zu erbringen sind, um politisches Handeln zu rechtfertigen und Zustimmung zu initiieren. Es geht also um vielfältige Kommunikationsbeziehungen, zwischen politischen Eliten und Bürgern, zwischen politisch Verantwortlichen und Betroffenen. Entgegen normativ aufgeladenen pädagogischen Erwartungen und auch entgegen diskurstheoretischen Modellen handelt es sich dabei nicht um eine symmetrische Beziehung, um „ein austariertes Verhältnis“ sondern (um) einen zwar nicht ausschließlich, aber doch in hohem Maße „eliteseitig dominierten Vermittlungsprozeß“ Nicht nur analytisch, sondern auch politisch-praktisch läßt sich das Aufgabenfeld der Politikvermittlung in vier Funktionen ausdifferenzieren, die im folgenden behandelt werden sollen. Dabei stellt das Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit die vielleicht wichtigste Politikvermittlungsbarriere dar.

1. Politikvermittlung durch Information: gegen ein Europa wohlwollender „Ahnungslosigkeit“

„Wo Information fehlt, bilden sich auch keine konsistenten Einstellungen“ so resümiert Elisabeth Noelle-Neumann Fehleinschätzungen, „die mit den seit Jahren zu beobachtenden besonders schlechten Informationen der deutschen Bevölkerung über die EU“ Zusammenhängen. Wie soll Identifikation mit Europa entstehen, wenn 1994 deutlich mehr als die Hälfte der Deutschen nicht wissen, wer die wichtigsten Entscheidungen für die Union trifft, gut ein Fünftel eine falsche und nur ebenfalls ein Fünftel die richtige Antwort gibt? Es gebe „keinen Bereich in der unmittelbaren Nah-zone politischer Betroffenheit der Bevölkerung, in welchem mit so hohem Anteil mit unentschieden', , kein Urteil', , weiß nicht'geantwortet wird, wie bei Europa-Fragen.“ Daß zwei Fünftel, die Hälfte oder gar drei Fünftel bei europapolitischen Fragen unentschieden blieben, sei fast die Regel. Dies hänge mit „der Ahnungslosigkeit in Sach-und Personalfragen der EU“ zusammen Drängen sich mit Verweis auf solche und ähnliche Befunde nicht Kampagnen einer informatorisch ausgerichteten Politikvermittlung geradezu auf und rechtfertigen sie nicht das Plädoyer für eine informatorische Politikvermittlungsoffensive? So plausibel dies auch erscheint, so schlecht wäre es um Europa, um die Akzeptanz der europäischen Institutionen, um die Zustimmung zur oder Hinnahme der europäischen Politik bestellt, wenn diese vom Grad der Informiertheit allein abhingen. Zum einen ist es nach wie vor eine kleine Minderheit in Europa, die entschieden antieuropäische Einstellungen vertritt. Zum anderen ist -entsprechend dem , Gesetz der abnehmenden Abstraktion'-die Zustimmung zu Europa um so größer, je unspezifischer und unverbindlicher gefragt wird

Doch welche Möglichkeiten der Politikvermittlung durch Information haben die europäischen Institutionen oder haben nationale Einrichtungen in Sachen europäische Integration? Die Frage läßt sich von zwei Seiten her beantworten, von der Seite der Bürger, insbesondere junger Bürger und von der Seite politischer Akteure, in beiden Fällen mit der gleichen Antworttendenz. Denn: „Nach wie vor beziehen die Jugendlichen ihre Informationen über die EU, wie überhaupt über Politik, vor allem aus den Medien Fernsehen (37, 5 Prozent), Radio (19, 4 Prozent) und Zeitungen (48 Prozent). Weitaus geringer über Bildungseinrichtungen wie Schulen und Ansprechpartner wie Lehrer oder Eltern. Informationsmaterialien der EU spielen fast gar keine Rolle und vollkommen irrelevant sind Kontakte zu EU-Politikern oder regionalen Politikern.“ Dabei ist in Rechnung zu stellen, daß Jugendliche in Sachen Politik mit einer „Informationsdiät“ auskommen, wie überhaupt Informationsaufnahme bei jungen Menschen mehr noch als bei Erwachsenen eher beiläufig und ungeplant erfolgt; ganz abgesehen davon, daß Politik im Generellen und Europa als politisches Thema im Speziellen bei der Generation der Jüngeren als von nachgeordneter Bedeutung eingestuft wird

Der Medialisierung in der Politikwahrnehmung entspricht die Medialisierung des politischen Prozesses selbst, insofern sich Akteure vor allem der Massenmedien bedienen müssen, um öffentlich und mit möglichst großer Reichweite wahrgenommen zu werden. Dabei gilt für europäische Themen ebenso wie für nationale Themen, daß der politische Prozeß im wesentlichen einer Logik folgt, die man verkürzt als „Entscheidungslogik“ bezeichnen könnte. Komplexe, zumeist langwie­ rige und verflochtene Verfahrensabläufe, abgestufte Kompetenzzumessungen, Expertentum, kurz „Legitimation durch Verfahren“ (Luhmann) ist das, was vornehmlich auch europapolitische Entscheidungsprozesse bestimmt. Demgegenüber folgt der Medienprozeß vorwiegend der „Aufmerksamkeitslogik“ „Going public“ als informatorische Politikvermittlungsstrategie heißt dabei immer auch Anpassung an mediale Aufmerksamkeitskriterien, heißt über Europa so zu informieren, daß gängige „Nachrichtenfaktoren“ berücksichtigt werden. Gemeint sind damit vor allem wahrnehmungspsychologisch begründete . Qualitäts-'oder besser Aufmerksamkeitskriterien wie insbesondere Neuigkeitswert, Konflikt, Personalisierung, Eindeutigkeit, Aktualität, Betroffenheit und Negativität Dies alles mit der Absicht, Medienresonanz zu erzielen. Die vom politischen System Europas generierten Nachrichten entsprechen seltener diesen Nachrichtenfaktoren als Informationen aus anderen Politikbereichen. Personalisierung ist aus strukturellen Gründen schwieriger Eindeutigkeit aufgrund der komplexen Prozesse seltener herzustellen. Auch die Betroffenheit von Entscheidungen auf der Europa-Ebene ist dem Bürger nicht automatisch zugänglich, sieht man von exponierten Agenden wie der aktuellen Diskussion um den Euro einmal ab.

Insgesamt spricht vieles dafür, daß das informatorische Potential der Massenmedien zur Mobilisierung in Sachen europäische Integration -nicht zuletzt auch aufgrund des bereits erwähnten Fehlens einer europäischen Öffentlichkeit -begrenzt ist, wenngleich diese in den letzten Dekaden gestiegen ist. Eine informatorische Politikvermittlungsoffensive sollte sich demnach eher gezielt und direkt, d. h. mit entsprechenden informativen Angeboten im Rahmen der institutioneilen Öffentlichkeitsarbeit unter Ausschaltung der Massenmedien an bestimmte Teilöffentlichkeiten wenden. Für die Adressatengruppe junge Menschen erfordert dies die gezielte Bereitstellung von Themenangeboten, die für Jugendliche lebensweltlich anschlußfähig sind, die die -statusgruppenspezi­ fisch unterschiedlich gesehenen -Vorteile weiterer Schritte der europäischen Integration für den einzelnen klar erkennbar machten und die Probleme auch offen diskutierten. Anknüpfend an die bildungsspezifisch unterschiedlichen Assoziationen und Erwartungen muß ein informatorisch differenziertes Angebot vorgehalten werden

2. Politikvermittlung durch Appellation und Überredung: ein Europa der „einfachen Botschaften“?

Es wäre allerdings eine Verengung, würde man ausschließlich auf eine informatorisch aufgerüstete Politikvermittlung setzen. Wo es im Zusammenhang mit der europäischen Integration vor allem um die Auseinandersetzung mit und den Abbau von Ängsten geht, wird man mit Information im Sinne traditioneller Wissensvermittlung allein nicht weiterkommen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Ängste nicht auf mangelnder Information beruhen, sondern „auf tiefer liegende mentale Dispositionen (verweisen), die grundsätzlich einer zunehmenden Integration der europäischen Staaten skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Hier reichen Informations-Inputs nicht aus.“

Hier sollte sich die europabezogene Bildungs-und Jugendpolitik Erkenntnisse der Wirtschaftswerbung wie auch der Wahlkampfforschung zunutze machen und sich vor einem dosierten Einsatz von appellativen und überzeugenden Politikvermittlungsangeboten nicht scheuen. Appellation als weitere Teilfunktion der Politikvermittlung zielt mehr auf akklamatorische Zustimmung. Sie ist weniger auf Information, sondern mehr auf Suggestion, Faszination und Emotionalisierung hin ausgerichtet. Zu rechtfertigen sind appellative Mittel, um auch weniger mobilisierte Bürger zu erreichen, auch wenn sich eine dem Rationalitätsideal verpflichtete politische Bildung immer noch schwer tut im Umgang mit diesem Alltagsphänomen. Dies können massenmedial verbreitete oder öffentlich plakatierte Slogans oder Spots, gelungene visuelle Darstellungen, provokativ-Szenisches sein, kurz alles, was eine entsprechende , Botschaft'in treffender Weise auszudrücken in der Lage ist.

3. Politikvermittlung durch Partizipation: ein Europa unter Ausschluß der Bürger?

„Der Prozeß der europäischen Integration schreitet voran, die Stufen werden festgelegt, Jahreszahlen genannt, die hinausgeschoben und dann wieder bestätigt werden; eine halbjährige Präsidentschaft folgt der nächsten. All das spielt sich so gut wie ohne Beteiligung der Bürger ab, von den kurzen Unterbrechungen der Wahlen zum Europäischen Parlament einmal abgesehen.“ Insofern kann es auch kaum verwundern, daß eine übergroße Mehrheit den demokratischen Einfluß der Bürger auf die EU-Entscheidungen für unzulänglich hält; ein Befund, der aus der Perspektive der europäischen Integration positiv zu bewerten ist, „zeigt er doch eine Bevölkerung, die sich mit der EU-Entscheidung auseinandersetzt und mehr Einfluß in deren Entscheidungsabläufe verlangt.“ Diese Chancen bestehen aber kaum auf der gesamteuropäischen Ebene, weil dieses politische System aufgrund seiner spezifischen Struktur an Beteiligung der Bürger nur wenig interessiert ist, zumal die Machtzentren Europas zum Verzicht auf gouvernementalen Einfluß bereit sind. Hingegen bestehen auf lokaler, regionaler und grenzübergreifender Ebene solche Möglichkeiten durchaus.

Während „Europa“ nach wie vor als eine partizipationsarme , Veranstaltung gesehen werden muß, die mit dem vieldiskutierten Demokratiedefizit allein nicht erklärt werden kann, ist Partizipation inzwischen ins Zentrum der Diskussion und mehr noch der Praxis von Politikvermittlung und politischer Bildung gerückt. Die in einigen Bundesländern inzwischen sehr fortgeschrittenen Bemühungen um die Einrichtung von Jugendparlamenten oder -foren auf der kommunalen Ebene sind für diese neue Partizipationskultur der vielleicht sichtbarste Ausdruck. Es gibt aber auch Beispiele einer europäisch angelegten Partizipation. Mal sind sie europaweit konzipiert, mal versuchen sie, Akzente im Europa der Regionen zu setzen. Europäische Jugendkonferenzen, die einmal im Jahr oder noch seltener ausgewählte Jugendliche zu einem Parlament und einem Erfahrungsaustausch einladen, werden von der Fachöffentlichkeit allerdings eher kritisch bewertet Sie erreichen nur einen kleinen Teil der jungen Generation. Vielfach sind sie ein Forum für vorwiegend hochmotivierte und -politisierte Jugendliche aus Mittelschichtfamilien mit sehr gutem Artikulationsvermögen. Zudem ist der Diskurs in diesen Parlamenten -so zeigt die Erfahrung -sehr konventionell angelegt, d. h. die Diskurskultur Erwachsener, die von Jugendlichen tendenziell abgelehnt wird, wird kopiert. Und schließlich ist mangels längerfristiger Erfahrungen umstritten, ob es sich um eine wirkliche Partizipa­ tion handelt, d. h. ob eine Veränderung des policyoutputs durch diese Formen der Beteiligung bewirkt werden kann.

Leistungsfähiger scheinen die auf regionaler Ebene institutionalisierten Jugendparlamente zu sein, wobei auch hier zum Teil der falsche Weg eingeschlagen wird: d. h. zu konventionell, mit zu geringen Auswirkungen, nicht hinreichend für jüngere Altersgruppen geeignet, nicht kontinuierlich. Beispiele für solche regional-grenzübergreifenden Jugendparlamente sind das Jugendforum der ARGE Alp, einer aus Baden-Württemberg, Bayern, Vorarlberg, Tirol usw. bis hin zum Trentino bestehenden Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, oder das sich aus dem Forum junior entwickelnde Oberrhein-Parlament für badische, schweizer, elsässer und pfälzer Jugendliche. Während die Jugendkonferenz der Arge Alp mehr in Form einer Zukunftswerkstatt organisiert ist und damit eher jugendspezifischen Bedürfnissen Rechnung trägt, ist das oberrheinische Jugendparlament eher konventioneller Art. Günstig ist hier, daß auf ein großes zentrales Parlament verzichtet wird und statt dessen drei Gremien (in Kehl/Straßburg, Lauterburg und Freiburg/Basel) eingerichtet werden. Im Rahmen des Entscheidungsprozesses um die oberrheinischen Jugendparlamente wurden auch bereits erste konkrete Projekte auf den Weg gebracht, so eine trinationale Ingenieursausbildung mit wechselnden Standorten an deutschen, schweizer und französischen Hochschulen.

In den Bemühungen um eine beteiligungsorientierte Politikvermittlung scheint gerade die Einrichtung von kleinräumigen grenzübergreifenden, offenen und mit der Methodik der Sozialpädagogik unterstützten Jugendparlamenten vielversprechend zu sein. Dabei wird weniger der Anspruch erhoben, ein Forum repräsentativer Bürgerbeteiligung zu bieten, sondern ein Ort der intensiven europäischen Kommunikation, des Erfahrungsaustausches, eine Ideenfabrik und Zukunftswerkstatt zu sein. Von solchen prozeßhaft organisierten Jugendforen können gut auch die verschiedensten Projekte ausgehen, die mal politisch im eigentlichen Sinne sind, mal aus dem künstlerisch-medialen Bereich stammen können; Projekte, die den „euro-regionalen“ Lehrstellenmarkt zum Gegenstand haben, eine elsässisch-badische Schülerzeitung begründen oder aber auch ein internationales Freizeitcamp auf den Weg bringen wollen.

Insgesamt zeichnet sich in diesen Ansätzen und Aktivitäten eine Art Paradigmenwechsel ab. Aus der früher, vor allem in den siebziger Jahren, mehr theoretischen, ideologisch zum Teil sehr profilierten Partizipationsdebatte ist eine eher pragmatisch orientierte, mit konkreten Projekten befaßte und richtungspolitisch kaum zuzuordnende Auseinandersetzung mit vor allem praktischen Ansätzen der Beteiligung junger Menschen am gesellschaftlichen und politischen Leben geworden. Die Erfahrungen dabei sind unterschiedlich und verdienen durchaus kritische Beachtung. Bei allen nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten liegt das Erfolgsgeheimnis dieser Bemühungen vermutlich gerade auch darin, daß es hier weniger um „hohe Politik“, institutionelles Klein-Klein, organisatorische Anonymität und intransparente Komplexität geht. Vielmehr haben solche Angebote Chancen auf Akzeptanz vor allem deshalb, weil sie sich „diesseits der Schwelle der formalen Organisation“ bewegen.

Was die europabezogene Jugend-und Bildungspolitik von diesen Modellen erfahrungs-und handlungsorienierter Angebote lernen kann, ist der praktische Umgang mit nachvollziehbaren Problemstellungen, die Auseinandersetzung mit konkreten, adressatengerechten Herausforderungen, die Suche nach nachvollziehbaren und in überschaubarer Zeit auch erreichbaren Lösungen als wichtige Elemente einer beteiligungsorientierten Politikvermittlung für junge Menschen; einer Jugendgeneration, die der üblichen , Mechanik'der institutionalisierten, parteipolitisch organisierten politischen Großbetriebe zunehmend skeptisch gegenübersteht.

Im praktischen Tun in überschaubaren Projekten wird der Nutzen noch am ehesten unmittelbar erfahren, wobei das Nutzenkalkül durchaus mehrdimensional sein kann. Als „nützlich“ kann die Beteiligung beispielsweise an einem Projekt auch aus Gründen sich entwickelnder persönlicher Sympathien, der emotionalen Befriedigung, der Erweiterung des Horizonts oder der konkreten Erfahrung, etwas bewirken zu können etc. und nicht nur aus ökonomischen Überlegungen heraus empfunden werden. Damit tragen solche Angebote auch dem verbreiteten jugendspezifischen Bedürfnis nach einer konsequenten Lebensweltorientierung Rechnung So folgern auch Immerfall und Sobisch, daß die europäische Identität „sich mehr auf konkrete (und positive) Lebenserfahrung , mit Europa 1“ zu beziehen scheine Entsprechend verweist auch Melanie Piepenschneider auf den Befund, daß mit „dem Bild des erlebbaren Europa“ zumeist Schlüsselbegriffe aus dem Urlaubsbereich (Reisen, Ländernamen) genannt würden. In hoher Zahl würden aber auch affektiv besetzte Wörter wie Identität, Europabewußtsein, Zusammengehörigkeits-und Gemeinschaftsgefühl zur Beschreibung herangezogen

4. Politikvermittlung durch politische Bildung: Europa als kontroverser Lerngegenstand

Bestandteil eines umfassenderen Politikvermittlungsverständnisses ist schließlich und nicht zuletzt die politische Bildung selbst. Hinsichtlich ihrer Effektivität sollte man die politische Bildung nicht über-, aber auch nicht unterschätzen. Gewiß stellt sich immer wieder die Frage, ob politische Bildung angesichts einer negativ erlebten politischen Realität überhaupt etwas zu bewirken in der Lage ist Und zweifellos hat Ralf Dahrendorf recht, wenn er den Bestand der Demokratie als nicht von der politischen Bildung, sondern mehr vom Funktionieren der Institutionen abhängig sieht Andererseits ist gerade die schulische politische Bildung der Ort, an dem zielorientiert, systematisch und in der längerfristigen Perspektive eines hoffentlich stimmigen Curriculums europäische Fragen thematisiert werden können.

Eine „in sich geschlossene, konkludente didaktische Theorie“ verbietet sich allerdings schon aufgrund der konzeptionellen Vielfalt an integrationspolitischen Modellen, Ideen, Strategien, Perspektiven und Alternativen Und schon gar nicht wird man eine für die Gemeinschaftsebene insgesamt gültige pädagogisch-didaktische Konzeption erwarten dürfen, zumal Kultur nach Art. 128 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft (EGV) nur „subsidiär“ betrieben und nicht zu einer „Kernpolitik“ der EU werden soll. Deshalb sollen abschließend nur vier Zielfunktionen kurz skizziert werden, an denen sich politische Bildungsarbeit in der Auseinandersetzung mit dem europäischen Integrationsprozeß orientieren kann.

Auseinandersetzung mit den Leitbildern zu einem vereinten Europa: Dem Minimalkonsens in der politischen Bildung folgend, muß auch im Unterricht kontrovers diskutiert werden, was politisch und wissenschaftlich umstritten ist. Daß nicht nur die Vorstellungen über die Methoden, sondern vielmehr auch die Ziele der europäischen Integration -die Leitbilder eines zukünftigen Europas -strittig sind, muß Ausdruck finden in der politischen Bildungsarbeit. Dabei dürfte helfen, daß es trotz aller Unvergleichbarkeiten nach 1989 auch in den ersten vier Nachkriegsjahrzehnten nicht einen Europagedanken gab, sondern mehrere; daß die Vorstellungen über die langfristigen Ziele, wie überhaupt über den Stellenwert der europäischen Entwicklung und damit in Verbindung stehend die nationalen Interessen unterschiedlich waren.

Um diese Unterschiede in den europäischen Leitbildvorstellungen herauszuarbeiten, bieten sich zwei im Grunde komplementäre Wege an. Im einen Falle gälte es, gleichsam rekursiv im systematischen historisch-politischen Rekurs und vergleichend die unterschiedlichen Grundverständnisse politischer Führungseliten oder genauer der Hauptakteure darzustellen, ggf. über anschauliche , Geschichtserzählung lebendig werden zu lassen. Im anderen Falle bietet sich eine prospektive Auseinandersetzung mit dem Thema an. Aufgabenstellung wäre die Entwicklung von Leitbildern der europäischen Integration, die von Schülerinnen und Schülern etwa mit Hilfe von methodischen Elementen der „Zukunftswerkstatt“ oder anderen Möglichkeiten des selbstgesteuerten Lernens vorzunehmen wäre.

Auseinandersetzung mit der Funktionslogik des politischen Systems Europa: Berücksichtigt man den geringen Informations-und Wissensstand zu europäischen Fragen, auf den bereits verwiesen wurde, so muß Wissensvermittlung und -aneignung eine zentrale Aufgabenstellung schulischer politischer Bildung bleiben. Ohne eine profunde Kenntnis der europäischen Institutionen, Verfahren und Entscheidungsprozesse verfestigen sich populäre Vorurteile gegenüber den Bürokraten in Brüssel, hängen die Bemühungen um ein angemessenes Verständnis mehr oder weniger in der Luft. Damit ist nun nicht eine Institutionenkunde im herkömmlichen Sinne gemeint, in der etwa verfassungsrechtliche Kompetenzzumessungen in vereinfachter Form pädagogisch popularisiert und junge Menschen damit gelangweilt werden. Vielmehr muß es um ein zutreffendes Verständnis der „Funktionslogik“ des europäischen Systems gehen, was die kritische Infragestellung ebensowenig ausschließt, wie es von der Notwendigkeit enthebt, pädagogisch angemessene und motivierende Lehr-und Lernformen dabei einzusetzen.

Auseinandersetzung mit den erlebbaren europäischen Wirklichkeiten: Auch die schulische politische Bildung muß sich vor einer Verengung ihrer Lernangebote hüten, wiewohl nicht der Eindruck erweckt werden sollte, daß sich Lernen im . Normalbetrieb staatlicher Schulen auf eine pädagogische Spaßveranstaltung umstellen lasse. Auch würden es junge Menschen nicht abnehmen, wollte man den Eindruck vermitteln, europäische Politik sei eine Art Dauerhappening. Daß aber die Auswirkungen der europäischen Integration auch im Alltag junger Menschen erfahrbar sind, bietet wichtige methodisch-didaktische Chancen. Die eigentliche politisch-pädagogische Herausforderung ergibt sich allerdings aus der Notwendigkeit, europaspezifischen Lebensweltbezug und europa-politischen Systembezug miteinander zu verknüpfen, die Verbindung von Erfahrung und ggf. manifesten Nutzenkalkülen zur „Funktionslogik“ des europäischen politischen Systems herzustellen. Insgesamt bleibt festzustellen, daß die schulischen Spielräume einer interkulturellen Verständigung im europäischen Rahmen, die Möglichkeiten zum Schüleraustausch, zur Förderung verstärkter studentischer Mobilität in der Lehrerausbildung sowie die Chancen zu Lehreraustausch und europäischen Lehrerfortbildungsprogrammen noch lange nicht ausgeschöpft sind. Es stellt sich die Frage, ob eine europarelevante politische Bildungsarbeit mit Schülern nicht zu einem früheren Zeitpunkt, also nicht erst in den Klassenstufen zehn oder elf einsetzen müßte.

Staats-und Unions-Bürger-Bildung als komplementäre Aufgabe: Welche Perspektive hat politische Bildung in und für Europa? Ernüchterung scheint allenthalben die treffende Kennzeichnung der gegenwärtigen Situation, ob es um europapolitische Perzeptionen geht oder um konkrete Integrationschritte. Weder die Abschaffung der Nationalstaaten noch das Entstehen eines integrierten Bundesstaates erscheint aus heutiger Sicht eine realistische Perspektive. Insofern kann es in der Politikvermittlung im weitesten Sinne und in der politischen Bildung im engeren auch nicht um eine Wende von der Staatsbürger-Bildung hin zu einer Unions-Bürger-Bildung gehen, sondern um das , Arbeiten an einer politischen Doppelidentität. Gerade junge Menschen, für die ein offenes Europa zunehmend erlebte und mehr oder weniger selbstverständliche Wirklichkeit zu werden scheint, dürften das Leben mit einer politischen Doppelidentität, das auch im Alltagsleben erfahrbare Bewußtsein, Staatsbürger und Europa-Bürger zu sein, als Chance und weniger als Belastung begreifen. Staatsbürger-und Unionsbürger-Bildung müssen zur komplementären politisch-pädagogischen Aufgabe werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. „Die Vorteile der EU, wie freies Reisen, sind den jungen Menschen anscheinend von Kindesbeinen an so vertraut, daß sie sie bei ihren Äußerungen nicht mitreflektieren. Sie leben mit diesen Vorzügen des vereinten Europa, ohne sie weiter zu hinterfragen.“ Melanie Piepenschneider, Die europäische Generation. Europabilder der Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1992, S. 97.

  2. Paul Kennedy, In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1993, S. 329.

  3. Ebd., S. 368.

  4. Mit Bezug zur Europäischen Gemeinschaft vgl. Hans von der Groeben, Legitimationsprobleme der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden 1987.

  5. Vgl. Gabriel A. Almond/Sidney Verba, The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations, Princeton 1965.

  6. Stefan Immerfall/Andreas Sobisch, Europäische Integration und europäische Identität. Die Europäische Union im Bewußtsein ihrer Bürger, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 10/97, S. 25-37, hier S. 27.

  7. Vgl. Werner Weidenfeld/Melanie Piepenschneider, Jugend und Europa. Die Einstellung der jungen Generation in der Bundesrepublik Deutschland zur Europäischen Einigung, Mainzer Beiträge zur Europäischen Einigung, Band 9, Bonn 1987, S. 50.

  8. S. Immerfall/A. Sobisch (Anm. 6), S. 26.

  9. Vgl. W. Weidenfeld/M. Piepenschneider (Anm. 7); Manuel Glaab, Neugierig auf Europa? Die junge Generation in den neuen Bundesländern, Bonn 1992.

  10. S. Immerfall/A. Sobisch (Anm. 6), mit Verweis auf Eurobarometer-Daten. Europäische Kommission (Hrsg.), Eurobarometer. Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union, Ausgabe 44 -Feldzeit Oktober -November 1996, Brüssel 1997.

  11. Europäische Kommission (Hrsg.), Eurobarometer. Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union, Ausgabe 47 -Feldzeit Februar-Juni 1997, Brüssel 1998.

  12. Thomas R. Henschel, Die deutschen Europäer. Einstellungen Jugendlicher zu Europa 1990-1995, München 1997, S. 59.

  13. S. Immerfall/A. Sobisch (Anm. 6), S. 34.

  14. Jugendwerk der Deutschen Shell (Hrsg.), Jugend '97. Zukunftsperspektiven. Gesellschaftliches Engagement. Politische Orientierungen, Opladen 1997, S. 35.

  15. S. Immerfall/A. Sobisch (Anm. 6), S. 36.

  16. Ulrich Sarcinelli, Politikvermittlung und demokratische Kommunikationskultur, in: ders. (Hrsg.), Politikvermittlung. Beiträge zur politischen Kommunikationskultur, Stuttgart 1987, S. 19-45, hier 21; ders. u. a., Politikvermittlung und politiche Bildung, Bad Heilbrunn 1990.

  17. Elisabeth Noelle-Neumann, Die öffentliche Meinung, in: Werner Weidenfeld/Wolfgang Wessels (Hrsg.), Jahrbuch der Europäischen Integration 1994/95, Bonn 1995, S. 270.

  18. Ebd., S. 269.

  19. Vgl. S. Immerfall/A. Sobisch (Anm. 6), insb. S. 28 und 30.

  20. T. R. Henschel (Anm. 13), S. 23.

  21. Vgl. generell zur Disposition Jugendlicher: Ursula Hoffmann-Lange (Hrsg.), Jugend und Demokratie in Deutschland. DJI-Jugendsurvey 1, Opladen 1995; Jugendwerk der Deutschen Shell (Hrsg.) (Anm. 14), speziell zu Europa: W. Weidenfeld/M. Piepenschneider (Anm. 7).

  22. Vgl. U. Sarcinelli, Mediatisierung und Wertewandel: Politik zwischen Entscheidungsprozeß und politischer Regie-kunst, in: Frank E. Böckelmann (Hrsg.), Medienmacht und Politik. Mediatisierte Politik und politischer Wertewandet, Berlin 1989, S. 165-178.

  23. Vgl. Johan Galtung/Mari Holmboe Rüge, The Structure of Foreign News in: Journal of Peace Research, (1965) 2, S. 64-91; Winfried Schulz, Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien. Analyse der aktuellen Berichterstattung, Freiburg 19902.

  24. Vgl. dazu Anton Hauler, Historisch-politische Bildung für Europa. Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Reflexion mit einer Lehrplandokumentation, Weingarten 1993, S. 25. Vgl. auch W. Weidenfeld/M. Piepenschneider (Anm. 7), S. 47.

  25. T. Henschel (Anm. 12), S. 34.

  26. Ebd., S. 61.

  27. E. Noelle-Neumann (Anm. 17), S. 267.

  28. S. Immerfall/A. Sobisch (Anm. 6), S. 31.

  29. Vgl. Michael C. Hermann, Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg. Eine interdisziplinäre Evaluation, Pfaffenweiler 1996; ders., Zu Organisation und Bewährung von Jugendparlamenten, Weingarten 1998.

  30. Diese Aussage basiert zum Teil auf teilnehmender Beobachtung und Gesprächen mit Beteiligten. Systematische empirische Auswertungen hierzu liegen unseres Wissens bisher nicht vor.

  31. Warnfried Dettling, Einführung: Partizipation und Verweigerung, in: Hans-Hermann Wiebe (Hrsg.), Jugend in Europa. Situation und Forschungsstand, Opladen 1988, S. 12.

  32. Vgl. W. Weidenfeld/M. Piepenschneider (Anm. 7), S. 97.

  33. Vgl. S. Immerfall/A. Sobisch (Anm. 6), S. 34.

  34. Vgl. W. Weidenfeld/M. Piepenschneider (Anm. 7), S. 97.

  35. Auf diesen in der politischen Bildung vernachlässigten Kardinalpunkt verweist: Anton Hauler, Die Schweiz auf dem Weg nach Europa. Politikprobleme und Dilemmata politischer Bildung, Bonn 1995, S. 281.

  36. Vgl. Ralf Dahrendorf, Stellungnahme Politische Bildung. Öffentliche Anhörung des Innenausschusses für Bildung und Wissenschaft des Deutschen Bundestages am 8. 5. 1989, in: Zur Sache, (1990) 16, S. 130.

  37. Vgl. Wolfgang W. Mickel, Europabezogenes Lernen, in: Wolfgang Sander (Hrsg.), Handbuch politische Bildung, Bad Schwalbach/Ts. 1997, S. 420 mit Verweis auf: ders., Lernfeld Europa. Didaktische Grundlagen einer europäischen Erziehung, Opladen 19932.

  38. Vgl.den sogenannten Beutelsbacher Konsens von 1976. Vgl. Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.), Konsens und Dissens in der politischen Bildung, Stuttgart 1987.

  39. Vgl. zu Konzepten selbstgesteuerten Lernens Peter Weinbrenner, Selbstgesteuertes Lernen: Moderation, Zukunftswerkstatt, Szenario-Technik, in: W. Sander (Hrsg.) (Anm. 37), S. 485-497.

Weitere Inhalte

Ulrich Sarcinelli Dr. phil., geb. 1946; Studium der Politik-und Rechtswissenschaft, Soziologie und Pädagogik an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Otfried Jarren/Ulrich Saxer) Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikon, Opladen 1998; (Hrsg.) Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, Bonn 1998. Michael C. Hermann, Dr. rer. soc., Dipl. -Verwaltungswissenschaftler, geb. 1966; Studium der Sozial-, Verwaltungswissenschaften und des Journalismus in Konstanz und Weingarten; seit 1992 Dozent an der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Partizipation Jugendlicher und zu Fragen der kommunalen Jugendpolitik; zuletzt: Jugendgemeinderäte in Baden-Württemberg, Pfaffenweiler 1996.