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Rechtsextremismus in Russland | Rechtsextremismus | bpb.de

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Rechtsextremismus in Russland Zwischen Staatsloyalität und Widerstand

Mihai Varga

/ 9 Minuten zu lesen

Die russische extreme Rechte ist in den vergangenen Jahren einen Wandel durchlaufen. Heute inszeniert sie sich als staatsnah und traditionalistisch. Doch das war nicht immer so.

Mitglieder der nationalistischen "Pamjat"-Bewegung marschieren am 4. Juni 1997 in Moskau vor dem Kreml. (© picture-alliance/AP, SERGEI KARPUKHIN)

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 wird verstärkt über die russische extreme Rechte berichtet. Trotz Putins Rhetorik, Russland kämpfe gegen die Interner Link: „nazistische“ ukrainische Regierung, begrüßten Rechtsextremisten in Russland den Krieg in der Ukraine: Dieser sei ein legitimer Akt zur Wiederherstellung der russischen imperialen Einflusssphäre. Rechtsextremisten meldeten sich freiwillig in Kampfgruppen mit stilisierten Hakenkreuzwappen und riefen zur Bekämpfung, wenn nicht Vernichtung der letzten oppositionellen Stimmen in Russland auf. Gleichzeitig kritisierten sie das Putin-Regime für sein militärisch katastrophales und angeblich zu humanes Vorgehen in der Ukraine. Diese auf den ersten Blick widersprüchliche Haltung gegenüber dem Regime kennzeichnet die russische rechtsextreme Bewegung seit ihrem Wiederaufleben in den 1980er-Jahren. Immer wieder haben sich Rechtsextremisten als staatsnah dargestellt, während sie genau diese Staatsmacht bekämpften. Denn aus ihrer Sicht lässt der Staat ausländische Einflüsse in Politik, Bildung oder Medien zu: Der Staat treibe die Digitalisierung voran, toleriere und fördere die Einwanderung oder bekämpfe die Covid-19-Pandemie mit Maßnahmen der Weltgesundheitsorganisation, also mit „Masken- und Impfzwang“.

Vor dem Hintergrund dieser Dynamik zwischen Loyalität und Widerstand stellt dieser Beitrag die russische extreme Rechte mit ihren wichtigsten Entwicklungen und Akteuren insbesondere seit den 1990er-Jahren vor.

Rechtsextreme Intellektuellenbewegung

Die russische extreme Rechte durchlief seit dem Zerfall der Interner Link: Sowjetunion einen enormen Wandel. Aus isolierten und meist verborgenen Netzwerken entwickelte sich Anfang der 1980er-Jahre eine Intellektuellenbewegung („Pamjat“, zu Deutsch: Erinnerung/Gedächtnis). Pamjat versuchte sich, geprägt von Geschichtsrevisionismus und Interner Link: „arischer“ Mythenbildung, landesweit auszubreiten. In den 1990er-Jahren entstand und erstarkte der „arische“, Interner Link: neofaschistische Flügel der Szene, der aus dem paramilitärischen Arm von Pamjat hervorging. Die Rechtsextremisten waren 1993 wichtige Protagonisten im Konflikt zwischen dem damaligen Interner Link: russischen Staatspräsidenten Boris Jelzin und dem Parlament. Damals entwickelte sich ein Streit über die Wirtschaftspolitik der von Jelzin eingesetzten Interner Link: Regierung zu einer Verfassungskrise, als Jelzin das damalige Parlament auflöste. Die Parlamentarier weigerten sich, das Parlamentsgebäude, das sogenannte „Weiße Haus“, zu verlassen. Nach gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Hunderten Toten und Verletzten räumte das Militär das Weiße Haus am 4. Oktober 1993. Mehrere spätere Anführer und Aktivisten der extremen Rechten verteidigten damals die Staatsmacht, die sie mit dem Obersten Sowjet (Parlament) und nicht mit dem liberalen – und damals vom Westen unterstützten – Präsidenten gleichsetzten. Sie radikalisierten sich weiter nach der Niederlage der Parlamentsverteidiger. Es war eine Niederlage, die in ihren Augen die tiefe westliche und Interner Link: „zionistische“ Besetzung ihres Landes bewies.

Pogrome der Nullerjahre

In den 1990er-Jahren wurde die rechtsextreme Landschaft noch von einigen wenigen Organisationen dominiert: Pamjat und ihren Splittergruppen sowie ihrem paramilitärischen Ableger, der „Russischen Nationalen Einheit“ (RNE). Ein Jahrzehnt später wurde die Struktur der sogenannten nationalistischen Bewegung, wie sich ein Großteil der Rechtsextremisten selbst nannte, immer komplexer. Sie umfasste Verbände, Parteien, Sportvereine und Untergrundorganisationen von Skinheads. Diese waren Mitte der 2000er-Jahre für Demonstrationen wie dem jährlichen „Russischen Marsch“ bis hin zu Pogromen und einer Gewaltkampagne in den Jahren 2004 bis 2009 verantwortlich, bei der fast 500 Menschen ums Leben kamen. Viele Mitglieder der Szene sahen sich selbst als Helfer des Staates im Kampf gegen illegale Interner Link: Einwanderung. Die zentrale organisatorische Präsenz hinter dem „Russischen Marsch“ und Interner Link: dem Pogrom in Kondopoga 2006 war die „Bewegung gegen illegale Einwanderung“ (DPNI). Der Anführer der DPNI, Wladimir Potkin „Basmanow”, war 1993 im Alter von nur 13 Jahren als Mitglied der Pamjat unter den Verteidigern des Obersten Sowjets bei der Verfassungskrise im Oktober 1993.

Staatliche Verhaftungswelle

Der Staat reagierte spät, aber letztlich hart auf die Gewaltwelle der 2000er-Jahre. Dutzende Mitglieder rechtsextremer Organisationen wurden verhaftet. Mehrere Anführer starben unter ungeklärten Umständen während oder kurz nach ihrer Verhaftung. Die wichtigsten Organisationen wurden zwischen 2009 und 2012 verboten, darunter auch die DPNI. Es folgte eine deutlich weniger gewalttätige Phase. Rechtsextremisten konzentrierten sich auf Boykottaufrufe gegen bestimmte Kulturprodukte wie Filme oder Bands, die als westlich oder mit der russischen Kultur unvereinbar angesehen wurden. Sie propagierten einen sportlichen, gesunden Lebensstil, der die eigene „Rasse“ oder Nation ehrt und bewahrt. Politische Kampagnen traten in den Hintergrund. Die Szene war bekannt für Sportcamps und -events, Bodybuilding- und vor allem Kampfsportturniere.

Russische Rechtsextremisten und die Ukraine

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine mit seinen Höhepunkten 2014 und 2022 spaltete die rechtsextreme Bewegung tief. Interner Link: Die Ukraine-Krise von 2013 bis 2014 trieb einen Keil zwischen die Unterstützer der ukrainischen Regierung, die an eine „slawisch“ (russisch-ukrainisch-belarussisch) geprägte „rassische“ Einheit glaubten und die Befürworter der imperialen Ansprüche Russlands in der Region, die sich auf die Seite der prorussischen Separatisten stellten. Die Krise und der Ausbruch des Krieges 2014 boten mehreren Anführern und Aktivisten der „slawisch“ geprägten Bewegung die Möglichkeit, das Land zu verlassen – meist in Richtung Ukraine. So konnten sie Repressionen und einer Inhaftierung in der Russischen Föderation entgehen. Einige von ihnen kämpften im Interner Link: Asow-Bataillon und später im Russischen Freiwilligenkorps auf ukrainischer Seite. Diejenigen, die in Russland blieben, gingen in den Untergrund und bildeten Strukturen wie die „Ethnisch-Nationale Vereinigung“. Oder sie zogen sich aus dem öffentlichen Leben zurück und schlossen sich der Wagner-Gruppe an. Die wichtigste nationalistische Formation im Wagner-Umfeld ist die Russitsch-Gruppe.

Orthodox-monarchistische Gruppierungen

Seit 2014 haben eurasische und Interner Link: orthodox-monarchistische Gruppierungen die Oberhand in der rechtsextremen Szene gewonnen. Besonders aktiv ist darunter die „Bewegung 40 mal 40“ (DSS), was der angeblichen Anzahl der Kirchen im Interner Link: vorrevolutionären Moskau entspricht. Die DSS wurde zur wichtigsten Vereinigung der rechtsextremen Szene auf der Straße. Die Bewegung mobilisierte weniger gegen Menschen aus Zentralasien und dem Kaukasus, sondern gegen „blasphemische“ Bands und Filme, Homosexuelle, liberale oder linke „Globalisten”. Mit Letzteren sind die Befürworter der internationalen Integration Russlands gemeint. Den „Globalisten“ wird vorgeworfen, sich an einer internationalen Verschwörung gegen Russland zu beteiligen.

Diese Verschiebungen in der Szene sowie der Rückgang der Gewalt erweckten den Eindruck eines Niedergangs rechtsextremer Organisationen in Russland. Auch ihre Verdrängung aus der Öffentlichkeit durch die Interner Link: Transformation des Putin-Regimes hin zu einem „Staatsnationalismus“ bekräftigte dies. Putins Rückkehr ins Präsidentenamt 2012 brachte eine sehr viel nationalistischere und imperialistischere Politik Russlands: Die Interner Link: Annexion der Krim und die Militärintervention im Donbass 2014 sowie die Hervorhebung der russischen Nation als „staatsbildend“ in der neuen Interner Link: Verfassung von 2020 erscheinen als wichtige Beispiele.

Doch der „Staatsnationalismus“ begann nicht erst mit der Besetzung der Krim. Auch die Nullerjahre waren von staatlich gelenkten nationalistischen Initiativen geprägt. Damals konnten die Rechtsextremen davon profitieren und den 2005 eingeführten Nationalfeiertag der „Volkseinheit“ am 4. November als wichtigste nationalistische Mobilisierung, Interner Link: den „Russischen Marsch“, besetzen.

Verankerung in der Gesellschaft

Die Forschung zur extremen Rechten in den USA hat das Konzept der „Hate Spaces“ entwickelt. Das Konzept zeigt, dass rechtsextreme Gruppierungen eher die Aufrechterhaltung solcher Räume – von Organisationen über Jugendsubkulturen und Festivals zu Online-Foren – als Wahlerfolge anstreben. Statt zu verschwinden oder verdrängt zu werden, gelang es der rechtsextremen Szene in Russland, ihre Hassräume zu erhalten. Auf die Repression und den „Staatsnationalismus“ der letzten 15 Jahre reagierte sie mit einem diskursiven Wandel. Dieser ermöglichte ihr, Organisationsverbote zu umgehen und Hassräume in Form von Organisationen wie der DSS aufrechtzuerhalten. Nationalsozialismus und Interner Link: White Supremacism wurden dabei vermieden und durch orthodox-monarchistische Bezugspunkte ersetzt. Ursprünglich präsentierte sich die DSS auch als loyal gegenüber dem Staat und vor allem der Kirche. Die DSS definierte sich als Struktur, die Russland vor „westlichen“ Bedrohungen schützen sollte. Damit waren politische und künstlerische Gruppen und Projekte gemeint, die nach Ansicht der DSS die religiösen Gefühle der russischen Bevölkerung verletzten – wie etwa der Auftritt der Band Pussy Riot in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale im Jahr 2012.

Kampf gegen „globalistische“ Strömungen

Zwar gab es eine Verschiebung von der Gewalt hauptsächlich gegen Einwanderer hin zur Mobilisierung gegen die Kunst und Konsumgesellschaft. Trotzdem ist die DSS weiterhin mit vielen kleineren Organisationen und Initiativen vernetzt, die nach wie vor zum „Widerstand“ gegen zentralasiatische und kaukasische Einwanderer aufrufen. Die politische Ausrichtung der Organisationen lässt sich jedoch an bestimmten Codes erkennen, die frühere neonazistische und White-Supremacy-Begriffe ersetzen: z. B. „slawisch“ oder „nordisch“ statt „weiß“ oder „arisch“. Demonstrationen werden seltener als „Russischer Marsch“ und mehr in der Sprache und Symbolik der orthodoxen Monarchisten – „Kreuzgang“ oder „Brüdergebet“ – inszeniert. Die DSS und andere, kleinere Organisationen, die sich zunehmend als „traditionalistisch“ bezeichnen, ordnen sich kaum noch einer nationalistischen Bewegung zu. Sie werfen dem Staat vor, sich in mehreren Bereichen „globalistischen“ Diktaten unterworfen zu haben, etwa bei der Digitalisierung oder bei der Durchsetzung der Corona-Schutzmaßnahmen der Weltgesundheitsorganisation. Externer Link: „Globalistisch“ ist ein weiteres Codewort, das impliziert, dass hinter globalen Entwicklungen eine internationale Elite steckt, die diese Entwicklung kontrolliert und eine neue Weltordnung hervorbringen will.

Besonders konfliktreich ist heutzutage das Vorgehen in der Ukraine. Vielen Rechtsextremen kommt es vor, als führe Russland keinen „richtigen“ Krieg. Zu sehr schone das Land die Ukraine, um angeblich die Geschäfte russischer Oligarchen zu retten. Den Rechtsextremisten scheint es, als würde der Staat zu sehr den „globalistischen“ Illusionen und Verpflichtungen verhaftet sein. Wie in den Jahrzehnten zuvor bleibt das Verhältnis der Rechtsextremen zum Staat trotz aller Loyalitätsbekundungen angespannt. Von einer repressiven Antwort auf den Rechtsextremismus wie zu Beginn der 2010er-Jahre scheint der russische Staat jedoch noch weit entfernt: Zu erfolgreich inszenieren sich die Rechtsextremen als Anhänger derselben traditionalistischen Werte wie denen des Regimes.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Mit „rechtsextrem“ bezeichne ich politische Strömungen, die soziale Probleme und Konflikte mit ‚angeborenen‘, zugeschriebenen Unterschieden zwischen Menschen erklären; diese Unterschiede werden als konstitutive Merkmale (z.B. Sprache, Konfession oder Abstammung) der eigenen Identifikationsgruppe („Nation“, „Rasse“) dargestellt. „Fremde“ Gruppen gelten als bedrohlich für die Reinheit der eigenen Gruppe; generell wird innerstaatlichen Gegnern und Fremden die Legitimität abgesprochen, es herrscht eine Obsession der „internationalen Verschwörung“ (so Umberto Eco), die bis in die innenpolitischen Lager hineinreicht.

  2. Varga, M. (2023). The Russian Far Right: A Changing Landscape of Spaces of Hate. In Kathleen Kondor and Mark Littler (Hg.), The Routledge Handbook of Far-Right Extremism in Europe (S. 39-52). London Routledge.

  3. Am 4. November, dem russischen „Tag der Volkseinheit“, kam es in Russland in den vergangenen Jahren immer wieder zu nationalistischen Demonstrationen. Diesen Tag nutzten u.a. Rechtsextremisten, um gegen „illegale Einwanderung“ auf die Straße zu gehen.

  4. Varga, M. (2019). Russia’s far-right violence wave: Tracing the development of terror in a National-Socialist Organization. Problems of Post-Communism, 66(3), 200-210.

  5. Im Herbst 2006 eskalierte im karelischen Kondopoga ein Kneipenkonflikt zu einem mehrere Tage andauernden Pogrom gegen Menschen nichtrussischer Herkunft. Betroffen waren vor allem Tschetschenen, Aserbaidschaner und Migranten aus Zentralasien. Polizei und Behörden ließen die DPNI zunächst unbehelligt agieren.

  6. Tipaldou, S., & Uba, K. (2014). The Russian radical right movement and immigration policy: Do they just make noise or have an impact as well? Europe-Asia Studies, 66(7), 1080-1101.

  7. Glathe, J. & Varga, M. (2021). Rechtsextremer Kampfsport in Russland. In Robert Claus (Hg.) Ihr Kampf. Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert. Bonn: BpB.

  8. Horvath, R. (2015). The Euromaidan and the crisis of Russian nationalism. Nationalities Papers, 43(6), 819-839.

  9. Yudina, N., & Verkhovsky, A. (2019). Russian nationalist veterans of the Donbas war. Nationalities Papers, 47(5), 734-749.

  10. Hierbei geht es um Gruppierungen, die die Monarchie – konkret den russischen Zarismus oder eine an ihn anlehnende Form der Autokratie – als geeignete Staatsform für Russland sehen. Sie verehren den letzten Zaren Nikolai II., der auch von der Russisch-Orthodoxen Kirche heiliggesprochen wurde.

  11. Uzlaner, D., & Stoeckl, K. (2019). From Pussy Riot’s ‘punk prayer’ to Matilda: Orthodox believers, critique, and religious freedom in Russia. Journal of contemporary religion, 34(3), 427-445.

  12. Varga, M. (2023). The Russian Far Right: A Changing Landscape of Spaces of Hate. In Kathleen Kondor and Mark Littler (Hg.), The Routledge Handbook of Far-Right Extremism in Europe (S. 39-52). London Routledge.

  13. Laruelle, M. (2017). Is nationalism a force for change in Russia? Daedalus, 146(2), 89-100.

  14. Pomeranz, W. (2020). Russia’s broken Constitution. The Russia File, blog of the Kennan Institute, https://www.wilsoncenter.org/blog-post/russias-broken-constitution

  15. Werth, N. (2022). Poutine, historien en chef. Paris: Éditions Gallimard.

  16. Simi, P., & Futrell, R. (2015). American Swastika: Inside the white power movement's hidden spaces of hate. Lanham: Rowman & Littlefield.

  17. Varga, M. (2024). The Russian Far Right: A Changing Landscape of Spaces of Hate. In Kathleen Kondor and Mark Littler (Hg.), The Routledge Handbook of Far-Right Extremism in Europe (S. 39-52). London Routledge.

  18. Pisetzki, D. (2021). Globalist. Glossar der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus https://www.gra.ch/bildung/glossar/globalist/

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Dr. Mihai Varga ist als habilitierter Soziologe am Osteuropa-Institut der Freien Universität in Berlin tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind ökonomische Krisen und deren sozio- ökonomischen Konsequenzen. Außerdem beschäftigt sich Varga mit den Entwicklungen von Rechtsextremismus in Russland und in Mittel- und Osteuropa. Varga hat mehrfach zu rechtsextremen Strukturen in Russland publiziert.