Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Herausforderung und Reaktion in der amerikanischen Politik | APuZ 41/1957 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 41/1957 Herausforderung und Reaktion in der amerikanischen Politik Freiheit und Sicherheit Europas f

Herausforderung und Reaktion in der amerikanischen Politik

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir aus der amerikanischen Zeitschrift „FOREIGN AFFAIRS" (Oktober 1957) den folgenden Artikel des Außenministers der Vereinigten Staaten:

Der 3 5. Jahrestag der Gründung der Zeitschrift „Foreign Affairs“ bietet eine willkommene Gelegenheit, Betrachtungen über die Entwicklung der Außenpolitik der Vereinigten Staaten anzustellen und die Rolle zu überdenken, die wir heute in Übereinstimmung mit unseren wertbeständigen nationalen Prinzipien einnehmen können. In diesem Drittel des Jahrhunderts hat die Konzeption des amerikanischen Volkes hinsichtlich des angemessenen Anteils seiner Regierung an der Weltpolitik eine Wandlung erfahren.

Seit Beginn des Bestehens unserer Nation war das amerikanische Volk davon überzeugt, daß es eine Mission in der Welt zu erfüllen habe. Es war der Meinung, daß „sein Verhalten und INHALT DIESER BEILAGE:

John Foster Dulles:

„Herausforderung und Reaktion in der amerikanischen Politik"

Alphonse Juin:

„Freiheit und Sicherheit Europas“

sein Beispiel“ (siehe „The Federalist", Nr. 1) das Geschehen in der ganzen Welt beeinflussen und die Verbreitung freier Institutionen fördern werde. Aber es war auch von jeher der Meinung, daß es besser für seine Regierung wäre, sich aus internationalen Streitfragen herauszuhalten. Lind so überließen die Vereinigten Staaten — mit wenigen Ausnahmen — das Feld der internationalen Politik den Regierungen der „Großmächte“ des 19. Jahrhunderts.

Es bedurfte des ersten Weltkrieges, bis wir weitgehend mit in die internationalen Krisen und Auseinandersetzungen hineingezogen wurden. Später, in den dreißiger Jahren, gipfelte dann eine Serie kritischer Geschehnisse im größten aller Kriege. Als er zu Ende gegangen war, hatte sich eine gründliche Wandlung vollzogen. Es war klar geworden, daß die Haltung und das Beispiel unseres Volkes allein nicht mehr genügten, um immer wiederkehrende Gefahren für unsere Sicherheit und unseren Lebensstil zu verhindern. Es lag ferner klar auf der Hand, daß wir nur gemeinsam, mit anderen solche Herausforderungen würden zurückweisen können. Überdies hatte sich unsere nationale Stärke zu einem so eindrucksvollen Faktor entwickelt, daß es von vornherein ausgeschlossen war, ihr nur den Charakter einer im Hintergrund wirkenden, neutralisierenden Kraft zuzuerkennen.

So hat denn unsere Regierung seit 1945 in einer Koalition freier Nationen, die sich den Grundsätzen internationaler Ordnung ebenso verschrieben haben wie dies unser Volk schon lange getan hat, eine führende Rolle gespielt.

Noch immer gibt es so etwas wie Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“. Sie wird noch verstärkt durch immer wiederkehrende Beweise dafür, daß wir — mag unsere Stärke auch noch so groß sein — nicht alles vermögen. Wir können nicht befehlen, daß die Welt so werde, wie wir sie uns wünschen. Selbst Nationen, die weitgehend auf uns angewiesen sind, folgen nicht immer dem Kurs, den wir für den richtigen halten. Denn sie sind unabhängige Nationen und nicht unsere Satelliten. Unsere Stärke und unsere Politik stellen nur einen der wichtigen Faktoren dar in der Welt, in der wir leben. In Verbindung mit anderen Faktoren ist es möglich, den Lauf der Ereignisse wesentlich zu beeinflussen. Aber wir können nicht in völliger Eigenmächtigkeit handeln. Dies ist für viele Amerikaner ein Ärgernis. Vielleicht hat sich das amerikanische Volk in die Rolle, die ihm die Geschichte zudiktiert hat, noch nicht völlig hineingelebt. Aber zumindest ist ein guter Anfang gemacht. Es ist unwahrscheinlich, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt Bemühungen um eine Herauslösung der Vereinigten Staaten aus einer offiziellen und aktiven Beteiligung an internationalen Angelegenheiten Erfolg haben könnten. Um aber zu bewirken, daß eine solche Beteiligung die Unterstützung der Bevölkerung genießt, muß unsere Außenpolitik mehr als bloße Politik sein. Sie muß augenfällig die traditionellen Bestrebungen unseres Volkes widerspiegeln.

Die Feindseligkeit des Kommunismus

Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten war seit 1945 gezwungen, sich in erster Linie mit einer großen Bedrohung der friedlichen und ordnungsgemäßen Entwicklung jener Art von Völkergemeinschaft zu befassen, wie sie sich das amerikanische Volk erhofft. Es ist dies die Bedrohung, die von denen ausgeht, die an der Spitze des totalitären Systems des internationalen Kommunismus stehen. Der orthodoxe Kommunismus mit seinem Bekenntnis zu Materialismus und Atheismus ist nun einmal allen jenen zuwider, die an die überlegene Macht des Geistes glauben. Weil er nach der Weltherrschaft strebt, indem er alle Regierungen durch die internationale kommunistische Partei zu beherrschen sucht, ist er allen zuwider, die seine Absichten kennen und als Patrioten die nationale Unabhängigkeit über alles setzen. Und weil er schließlich, um seine Ziele zu erreichen. Betrug und Gewalt anwendet, ist er allen ein Greuel, die eine Weltgemeinschaft anstreben, in der Aufrichtigkeit und Ordnung herrschen.

Die Vereinigten Staaten als die stärkste Nation der nichtkommunistischen Welt haben die Hauptverantwortung dafür getragen, um dieser Herausforderung, durch die seit 1950 der größte Teil des europäisch-asiatischen Raumes samt seiner Hilfsquellen und ein Drittel der Weltbevölkerung ausgebeutet wird, zu begegnen.

Seit dem Tode Stalins im März 195 3 ist man auf sowjetischer Seite von den Grausamkeiten der stalinistischen Zeit abgerückt. Innenpolitisch gesehen hat dieses Abrücken in gewisser Hinsicht seinen praktischen Ausdruck gefunden. Nach außen hin war die sowjetische Politik durch vielschichtigere politische, diplomatische und wirtschaftliche Taktiken gegenüber der nichtkommunistischen Welt gekennzeichnet. Dies wurde besonders im jähre 195 5 deutlich. Man machte Gesten — stimmte beispielsweise plötzlich dem Abschluß eines längst überfälligen österreichischen Staatsvertrages zu und machte Annäherungsversuche an Jugoslawien. Auf der „Gipfel" -

Konferenz in Genf bekannte man sich zu friedlichen Absichten und erklärte sich mit der Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen einverstanden. Es kam zu verschwenderischen „Unterstützungs" -Angeboten an viele Nationen und Bitten um Aufnahme „kultureller Beziehungen“. Aber nirgends, mit Ausnahme vielleicht in Österreich, gaben die Sowjets in irgend einer wesentlichen Sache nach oder traten in echte Verhandlungen zur Lösung grundlegender Streitfragen ein. Wirtschafts-und Militär-„hilfe“ war ein trojanisches Pferd, durch das der Einfluß zur Förderung politischer Wühlarbeit verstärkt werden konnte. Man erkannte nicht aufrichtig das Recht Jugoslawiens auf eine nationale kommunistische Regierung an, die nicht vom internationalen Kommunismus beherrscht war. Und im November 195 5 widerrief die Sowjetregierung in Genf einfach die auf der „Gipfel" -Konferenz im Juli getroffene Vereinbarung über die Wiedervereinigung Deutschlands.

Das Jahr 1956 brachte weitere Beweise dafür, daß die neuen Machthaber in Moskau sich im wesentlichen nicht geändert hatten. Verlockungen wurden mit Drohungen vermischt. Als die im Februar 1956 vom XX. Parteitag verkündete „Entstalinisierung" in den Satellitenländem dahingehend interpretiert worden war, daß mehr Freiheit und Unabhängigkeit dadurch gerechtfertigt seien, erfolgten wütende Reaktionen zunächst in Polen, und zwar in Posen, und dann in Ungarn. Offenbar sind jene, die gegenwärtig die Lehren des internationalen Kommunismus diktieren, in Wirklichkeit gar nicht bereit, die Konsequenzen der Liberalisierung, zu der sie sich öffentlich bekennen, zu akzeptieren.

Kein Geschehen aus den vierzig Jahren bolschewistischer Herrschaft zeigt solche Brutalität wie die Niederschlagung der Erhebung des ungarischen Volkes im Jahr 1956 gegen unerträgliche Unterdrückung. Und die sowjetische Politik der jüngsten Zeit im Nahen Osten ist in einer Weise unheilvoll, daß es dafür keine Entschuldigung mehr gibt.

Dieses an kultureller und religiöser Tradition so reiche und dennoch durch Zwist und Streit in seiner ganzen Geschichte und durch tragische Armut so geschlagene Gebiet wurde 195 5 auserwählt, Schauplatz einer neuen kommunistischen Jagd nach Macht zu sein. Eifrig war die kommunistische Propaganda bemüht, Feindseligkeiten zu schüren. LInter Heranziehung ihrer halbveralteten Kriegsausrüstung trieb die Sowjetregierung zu einem Wettrennen in der Bewaffnung. Als direkte oder indirekte Folge kam es zu verstärkter Gewaltanwendung und Erbitterung, und tiefstes Elend wurde durch die Hypothek, mit der manche Regierungen die künftige wirtschaftliche Produktivität des Volkes belasteten, um sowjetische Waffen kaufen zu können, nur noch mehr verankert. Dies ist wahrlich eine zynische Verhaltensweise jener, die vorgeben, den Frieden zu lieben und eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Massen zu wünschen.

Die Erfahrungen aus über 10 Jahren kalten Krieges haben unsere frühere Beurteilung des internationalen Kommunismus nur bestätigt, der, ebenso wie die Regierungen, die er beherrscht, uns sowie allen freien und unabhängigen Regierungen gegenüber feindlich gesinnt ist. Die Lehre, auf der er aufbaut, schließt von vornherein für ihn eine Änderung von selbst aus. Von ihm angekündigte und propagierte Änderungen müssen als List angesehen werden.

Dennoch brauchen wir die Hoffnung nicht aufzugeben. Der internationale Kommunismus ist Wandlungen unterworfen, selbst gegen seinen Willen. Gegen die Kraft von Zeit und Umständen ist auch er nicht gefeit. Die Rede Chruschtschows vom Februar 1956, die Machtverschiebungen innerhalb der herrschenden Clique in Moskau im Juli 1957 und die Rede Maos vom Februar 1957 sind Anzeichen dafür, daß selbst in Rußland und Rotchina die sojwetischen und rotchinesischen Regime sich starkem Druck von innen her gegenübersehen und sich in mancher Hinsicht in einem Dilemma befinden. Der Gärstoff der Wandlung ist am Werk, trotz all der Bemühungen des „demokratischen Zentralismus“, den Gang der Dinge in streng leninistischem Sinne zu lenken. Die Machthaber in Ruß-land sehen keine Möglichkeit, industrielle und militärische Modernisierung mit der mittelalterlichen Unterdrückung der Persönlichkeit zu vereinen; und den Machthabern in China wird es nicht möglich sein, die so vielschichtige Kultur der Chinesen in eine kommunistische Form der Gleichförmigkeit zu pressen.

Vielleicht kommt die Zeit, und wir können sogar darauf vertrauen, daß sie kommt, in der die jetzt vom internationalen Kommunismus beherrschten Nationen Regierungen haben werden, die — mögen sie sich nennen wie immer sie wollen — in Wirklichkeit ihrem eigenen Staat und ihrem eigenen Volk dienen anstatt den unersättlichen Ambitionen einer internationalen Partei. Die Beteiligung an der Regierung wird auf eine immer breitere Basis gestellt werden. Es wird eine wachsende, gesetzlich verankerte persönliche Freiheit geben. Es wird einen bemerkenswert hohen Grad an Gedanken-und Redefreiheit geben. Lind den Arbeitern wird man erlauben, sich in gewisser Weise die Arbeit auszusuchen, die sie tun wollen, und mehr in den Genuß der Früchte ihrer Arbeit zu kommen. LInter solchen Verhältnissen wird das Volk zwar noch nicht Herr seiner Regierung, aber doch zumindest nicht ihr Heer elender Sklaven sein.

Weitgehende militärische Macht wird nicht mehr ausschließlich jenen zur Verfügung stehen, die keinerlei Beschränkungen staatlicher Gewalt oder moralischer Natur anerkennen und deren Ziel die Weltherrschaft ist. Wenn dieser Tag kommt, können wir wieder froh werden. Aber bis dahin müssen wir auf der Hut bleiben.

Kollektive Siche? hei:

In den letzten zwei Jahrzehnten haben es die Vereinigten Staaten für notwendig befunden, ihre Vorstellungen von der nationalen Sicherheit und ihre diesbezügliche Politik neu zu formulieren. Linser Denken und Planen verläuft in Richtung auf die kollektive Sicherheit. In der Welt von heute kann keine Nation, und mag sie noch so mächtig sein, in der Isolierung sicher sein, und Sicherheit für einen ist nur durch das Zusammengehen mit anderen gleichgesinnten Nationen zu erlangen.

Die Gesellschaft der Völker macht die gleiche Wandlung durch, die sich stets vollzieht, wenn sich primitive Gesellschaften entwickeln. Es ergibt sich eine allmähliche Evolution von Lebensbedingungen, unter denen Sicherheit Sache jedes einzelnen ist und den letzten eben die Hunde beißen, zu Verhältnissen, in denen Sicherheit ein kollektives Bestreben ist, zu dem jeder beiträgt und von dem jeder profitiert. Hierin liegt größere Sicherheit bei geringerem Aufwand. Die Gesellschaft der Völker entwickelt sich in einem langsamen und schmerzlichen Prozeß aus einem primitiven Stadium dorthin, wo Sicherheit eine Angelegenheit kollektiver Anstrengung, und Verteidigung gemeinsame Verteidigung ist.

Es ist nicht leicht, diese Grundsätze in einer Welt zu verwirklichen, in der Souveränität mit einem Status gegenseitiger Abhängigkeit als unvereinbar galt. Aber nach zwei Generationen bitterer Erfahrung, sehen die Vereinigten Staaten wie viele andere ein, daß gegenseitige Abhängigkeit unerläßlich ist. Wir suchen heute Sicherheit durch die Stärkung universaler Einrichtungen, durch regionale Abkommen, durch die Unterhaltung starker militärischer Streitkräfte zusammen mit unseren Verbündeten, durch entschlossene Anstrengungen, die Gefahr eines Überraschungsangriffs zu verringern und die Rüstungsproduktion zu begrenzen und unter Kontrolle zu stellen.

Im Jahre 1945 spielten die Vereinigten Staaten eine führende Rolle bei der Gründung der Vereinten Nationen. Wir hofften, diese würden ein wirksames Instrument kollektiver Sicherheit v/erden. Aber noch immer ist es nicht so weit. Die Spaltung der Welt hat die LIN oft daran ge-hindert, entsprechende Maßnahmen zu treffen. So haben beispielsweise die UdSSR im Sicherheitsrat an die achtzigmal ihr Veto geltend gemacht. Es ist keine UN-Streitmacht aufgestellt worden, wie dies in der Charta vorgesehen war, obgleich Korea und Suez einen möglichen Fortschritt in dieser Richtung bedeuten könnten. Auch legte die UN-Vollversammlung im vergangenen Herbst bei der Behandlung der Suez-und Ungarnfrage eine überraschende Entschlossenheit und Einmütigkeit an den Tag.

Es wird den Vereinten Nationen gelegentlich vorgeworfen, daß sie diese Angelegenheiten mit „zweierlei Maß“ behandelt hätten — mit großer Strenge gegenüber Israel, Frankreich und Großbritannien und nachsichtig der UdSSR gegenüber. Diese Beschuldigung entbehrt jeder Grundlage. Die Resolutionen der Vollversammlung, die die Anwendung von Gewalt sowohl in Ägypten wie in Ungarn anprangerten, waren gleichermaßen peremptorisch.

Mit „zweierlei Maß“ maßen nicht die Vereinten Nationen, sondern die einzelnen Staaten selbst. Da war einerseits das Moralgefühl der westlichen Nationen und ihre hohe Achtung vor der Weltmeinung, und da war andererseits die Unmoral des sowjetischen Kommunismus und seine Verachtung für das Urteil der Welt. Wir dürfen uns freuen darüber, daß es unter den Nationen Regierungen gibt, deren Ethik höher ist als die der Regierung Sowjetrußlands. Aber weder für sie noch für die Vereinten Nationen ist dies ein Grund zum Vorwurf.

Trotz hoffnungsvoller Anzeichen für einen Fortschritt in den Vereinten Nationen, hielten die Nationen der freien Welt, die sich gefährdet fühlten, es größtenteils für notwendig, kollektive und gewöhnlich regionale Abkommen zu treffen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Dies steht voll und ganz im Einklang mit der Charta. Dabei haben die Vereinigten Staaten eine führende Rolle und Verantwortung übernommen. Seit 1945 sind wir mit 42 Nationen kollektive Sicherheitsverträge und weniger formale Abkommen mit mehreren anderen eingegangen. Der erste dieser Verträge — der Rio-Pakt — ist mit unseren Nachbarn auf dieser Hemisphäre geschlossen worden. Wir schritten dann weiter auf dem Wege, die Basis der kollektiven Sicherheit durch eine Serie multilateraler und bilateraler Verträge, die jetzt einen großen Teil der freien Welt einschließen, zu verbreitern. Die Streitkräfte der NATO, zu der jetzt auch die Bundesrepublik Deutschland gehört, halten Wache über die im Vertrag definierte Nordatlantische Region, die die lebenswichtigen Gebiete Westeuropas mit umfaßt. Im Westpazifik und dem Fernen Osten sind es der SEATO — und der ANZUS-Pakt und vier bilaterale Verträge, die klarmachen, daß eine Bedrohung des einen die Angelegenheit aller ist. Im Nahen Osten sichern der Bagdad-Pakt und die Eisenhower-Doktrin eine kollektive Reaktion gegenüber einer kom-

munistischen Aggression auf schwache und deshalb besonders gefährdete Punkte. Dieses nahezu weltweite System regionaler Kollektivsicherheitsabkommen hat allen Beteiligten gute Dienste geleistet. Es hat eine Aggression verhindert und Völkern, die Angriffen besonders ausgesetzt sind, die so dringend benötigte Sicherheit gegeben.

Wir müssen offen zugeben, daß nicht alle Teilnehmer diese Abmachungen im gleichen Lichte sehen. Manche betrachten sie als weitgespannte politische Bündnisse, die die Partner zumindest moralisch an eine allgemeine gegenseitige Unterstützung binden. Das Nettoergebnis aber ist die Förderung der Anwendung der Prinzipien der kollektiven Sicherheit innerhalb der Gesellschaft der Nationen.

Die Strategie der kollektiven Selbstverteidigung

Kollektive Sicherheit muß sich natürlich auf militärische Leistungsfähigkeit stützen können, die in der Lage ist, eine bewaffnete Aggression zu verhindern oder ihr die Spitze zu bieten, falls sie eintreten sollte.

Im Dezember 19 50 sprach ich vor der Amerikanischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen und führte, zu diesem Problem Stellung nehmend, aus, daß „mit mehr als zwanzig Nationen, die entlang der 20 000 Meilen des Eisernen Vorhangs aufgereiht liegen, es unmöglich ist, statische Verteidigungskräfte zu erstellen, die jede Nation . wetterfest'machen würden gegen einen größeren und unvorhersehbaren Angriff von Seiten Rußlands. Solch ein Versuch würde an keiner Stelle Schlagkraft haben und überall zum Bankrott führen.“ Und ich fuhr fort, daß „gegen eine militärische Macht, wie sie der Sowjetunion zur Verfügung steht, die kollektive Sicherheit abhängig von der Fähigkeit ist, den Aggressor zurückschlagen zu können“, und ich wies auf unsere strategischen Luftstreitkräfte und unser Waffenarsenal als ein Zeughaus der Wiedervergeltung hin.

Im Laufe der Jahre basierte die militärische Strategie der Verbündeten der freien Welt weitgehend darauf, im Falle eines von der Sowjetunion vom Zaune gebrochenen Angriffskrieges über eine große Rückschlagskraft zu verfügen.

Daß diese Strategie der Abschreckung in dieser Zeit entscheidend zur Sicherheit der freien Welt beigetragen hat, wird weithin angenommen. Die Vereinigten Staaten gaben sich jedoch nicht zufrieden mit einem Frieden, der nur durch eine Vernichtung großer Teile dei menschlichen Rasse aufrechterhalten werden konnte. Eine solche Konzeption darf nur eine allerletzte Alternative sein.

In den letzten Jahren gab es keine andere. Aber die Findigkeit jener, die unserer Nation als Wissenschaftler und Waffenkonstrukteure dienen, zeigt jetzt auf, daß es möglich ist, eine andere Art von Atomwaffen zu schaffen. Es scheint jetzt, daß ihre Anwendung nicht unbedingt weitgehende Zerstörungen und großes Elend für die Menschheit zur Folge zu haben braucht.

Kürzliche Tests zeigen die Möglichkeit des Besitzes von Kernwaffen auf, deren Vernichtungskraft und Strahlungseffekte im wesentlichen auf vorbestimmte Ziele begrenzt werden können.

So mag es in Zukunft-angebracht sein, weniger Vertrauen in den Abschreckungsfaktor einer großen militärischen Vergeltungskraft zu setzen. Es wird möglich sein, Länder mit Kernwaffen so beweglich und so gezielt zu verteidigen, daß eine mit konventionellen Streitkräften durchgeführte Invasion ein gewagter Versuch ist. Das Terrain ist beispielweise oft so beschaffen, daß die Invasionsrouten entscheidend von der mit nuklearen Waffen operierenden Artillerie beherrscht werden können Es mag im Gegensatz zu der 19 50er-Dekade in den 1960er Jahren möglich sein, daß die an den sino-sowjetischen Block angrenzenden Nationen über eine wirksame Verteidigung verfügen können, um einen Großangriff herkömmlicher Art abzuschlagen, und so jeden Aggressor zu zwingen, zwischen Mißerfolg oder der Anstiftung eines Atomkriegs gegen das sich verteidigende Land zu wählen. Das Blatt könnte sich insofern wenden, als an Stelle jener, die keinen Angriffskrieg führen würden und zu ihrem Schutz auf uneingeschränkte atomare Vergeltungskraft angewiesen sind, die potentiellen Aggressoren selbst die Konsequenzen der Auslösung eines Atomkrieges erwägen müssen, da sie nicht mehr auf den Erfolg eines Angriffskrieges mit herkömmlichen Waffen rechnen können.

Es ist genau diese Entwicklung, die die Sowjetdiplomatie und Propaganda so angestrengt zu verhindern sucht. Sie widersetzt sich allen Versuchen mit nuklearen Vorrichtungen, die angestellt werden, um Methoden für die Reduzierung des radioaktiven Ausfalls und der Sprengwirkung zu finden. Sie scheint es vorzuziehen, daß Kernwaffen als die „Schreckenswaffen" gelten. Lind sie scheint damit zu rechnen, daß menschliche Erwägungen uns abhalten werden, solche Waffen einzusetzen. Sie wissen, daß, wenn sowjetische Streitkräfte herkömmlicher Art in Europa operierten, Waffen von Megatonnen-Wirkung und hohem radioaktiven Ausfall von den westlichen Verteidigungskräften nicht ohne Gefahr für die befreundeten Völker in diesem Gebiet angewendet werden könnten. Unter solchen Bedingungen würden die sino-sowjetischen Truppen und ihre herkömmlichen Waffen die dominierende militärische Macht in Eurasien werden.

Derartige Überlegungen machen es wesentlich, daß ein Aussetzen von Kernwaffentests mit anderen Maßnahmen, die die Rüstung und die Möglichkeiten eines Überraschungsangriffes begrenzen, Hand in Hand gehen.

Im sowjetischen Abrüstungsvorschlag vom 10. Mai 1955 heißt es:

„Somit gibt es einer internationalen Kontrolle nicht zugängliche Möglichkeiten, diese Kontrolle zu umgehen und eine heimliche Pro-duktion von Atom-und Wasserstoffbomben, selbst bei Vorhandensein eines formellen Abkommens über internationale Kontrolle, zu organisieren. In einer solchen Lage kann die Sicherheit der Signatarstaaten der internationalen Konvention nicht garantiert werden, da für einen potentiellen Aggressor die Möglichkeit bestünde, Atom-und Wasserstoffwaffenvorräte für einen plötzlichen Atomüberfall auf friedliebende Staaten anzuhäufen.“

Das Vorstehende ist sicherlich wahr, zumindest in bezug auf die Verwendung bereits vorhandener Vorräte an spaltbarem Material. Aus diesem Grunde verzichten wir auf eine Kontrolle bereits vorhandener Vorräte. Wir nehmen sie als unvermeidbar an und beschränken unsere Kontrollvorschläge auf neugewonnenes spaltbares Material.

Im sowjetischen Vorschlag heißt es weiter:

„Jedes Abkommen über die Errichtung einer internationalen Kontrolle ist, solange nicht eine Atmosphäre des Vertrauens in den zwischenstaatlichen Beziehungen hergestellt ist, lediglich geeignet, die Wachsamkeit der Völker einzulullen. Es ist geeignet, ein falsches Sicherheitsgefühl aufkommen zu lassen, während in Wirklichkeit die Gefahr der Atom-und Wasserstoffwaffenproduktion und damit auch die Gefahr eines plötzlichen Überfalls und der Entfesselung eines Atomkrieges mit allen sich daraus für die Völker ergebenden schwersten Folgen besteht.“

Auch dies ist wahr. Solange man keine wirksame Handhabe hat, um „die Gefahr eines Überraschungsangriffes“ ob nuklear oder anderer Art herabzusetzen, wäre es unklug, die zum eigenen Schutz unternommene Suche nach einem Verfahren für den Bau von Waffen zu unterbrechen, die die Verteidigungsmöglichkeiten bedeutend erhöhen und gleichzeitig den letalen radioaktiven Ausfall reduzieren, der einer Waffe, die noch immer im Frühstadium ihrer Entwicklung steht, eigen ist.

Mit der größeren Verteidigungsmöglichkeit mittels Atomwaffen wird auch die militärische und die damit verbundene politische Strategie einen Wandel erfahren müssen. Solange wie die kollektive Sicherheit fast ausschließlich auf Abschreckung und Vergeltung und auf der Befähigung, einen großen Vernichtungsschlag gegen eine Aggressornation zu führen, aufgebaut ist, bedeutet dies eine fast ausschließliche Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten. Keine andere Nation kann sich die Unterhaltung einer solchen Abschreckungsmacht leisten. Sie erfordert ein gewaltiges Arsenal an Flugzeugen, Waffen und vielleicht auch an ferngelenkten Raketen. Sie müssen beständig erneuert werden, um mit der ständig wachsenden Verteidigungsstärke Schritt zu halten. Dies wiederum erfordert großangelegte kostspielige Versuchsreihen. Da jedoch die Atomwaffen immer mehr zur taktischen Waffe und damit geeigneter für eine Gebietsverteidigung werden, wird es unvermeidbar sein, daß jene unserer Verbündeten, die technisch dazu qualifiziert sind, den Wunsch haben, einen direkten Anteil an der Verteidigung zu nehmen und eine größere Sicherheit zu haben, daß diese Verteidigungskraft tatsächlich auch eingesetzt wird.

Diese Faktoren führen bereits zu einer Studie über einen sogenannten „Atomic Weapons Stockpile“ (Atomwaffenarsenal), der von den Vereinigten Staaten im europäischen NATO-Bereich errichtet und der NATO zur Verfügung gestellt werden würde.

Eine Begleiterscheinung dieses Problems ist, zu verhindern, daß Kernwaffen wahllos über alle Welt verstreut werden. Ohne entsprechende Schutzmaßnahmen könnten diese Waffen in der Zukunft in die Hände von unverantwortlichen Diktatoren gelangen und als eine Art internationales Erpressungsmittel benutzt werden. Die Welt würde in der Tat ein unangenehmer Aufenthaltsort werden, wenn die Menschheit sich mit einer solchen immer gegenwärtigen Drohung würde abfinden müssen.

Wir beginnen gerade erst, uns die drastischen Veränderungen in den politisch-militärischen Beziehungen zu vergegenwärtigen, die eine Folge der schnellen Zunahme der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der praktischen Erfahrungen auf nuklearem Gebiet sind. Neue Ein-satzmöglichkeiten für Waffen eröffnen sich in schneller Folge. Das politische Denken kann nur schwer mit diesem Tempo mithalten, und natürlich entstehen unvermeidliche Intervalle zwischen dem Denken und der praktischen Anwendung der hieraus gezogenen Erkenntnisse.

Die Entwicklung einer gemeinsamen Verteidigung hat und wird auch in Zukunft große Ausgaben zur Schaffung wirksamer und moderner militärischer Streitkräfte der USA bedingen. Sie erforderte ebenso und wird es auch ferner erforderlich machen, daß die Vereinigten Staaten den Streitkräften jener Nationen militärischen Beistand und Unterstützung leisten, mit denen sie auf Grund kollektiver Abkommen verbündet sind oder die sich in Notstand oder Gefahr befinden. Ein derartiger Beistand darf dabei in keiner Weise als ein Akt der reinen Wohltätigkeit betrachtet werden. Ihm liegen vielmehr ganz reale Bedürfnisse unserer eigenen Verteidigung zugrunde. Ohne eine solche Hilfe würden unsere eigenen Verteidigungskosten weitaus höher und unsere Sicherheit weitaus geringer sein. Die zusammengefaßten militärischen und wirtschaftlichen Hilfsquellen der freien Welt stellen die größte und am wenigsten kostspieligste Versicherung gegen einen Krieg dar.

Abrüstung

Die Vereinigten Staaten wissen, daß Rüstungen allein keine dauerhafte Garantie für den Frieden sind. Wir verfolgen daher aus diesem Grunde eine Politik, die darauf abgestellt ist, Sicherheitsvorkehrungen gegen einen Überraschungsangriff zu treffen und die nationalen Rüstungen — sowohl die nuklearen als auch konventionellen — unter eine wirksame internationale Begrenzung und Überwachung zu stellen. Es stimmt, daß die sogenannten „Abrüstungs" -Bemühungen in der Vergangenheit sich als wirkungslos erwiesen haben. Die Haager Friedenskonferenzen, der Versailler Vertrag, das Washingtoner Flottenabkommen, die Abrüstungskonferenzen des Völkerbundes sind die sichtbaren Beispiele für die Mißerfolge der Vergangenheit. Aber es gibt da heute bedeutende Unterschiede.

Die vergangenen Bemühungen gingen von der Annahme aus, daß es möglich sei, die militärische Stärke auf bestimmte Größen festzusetzen und zu erhalten und sie in ein zuverlässiges Stärkeverhältnis zwischen den einzelnen Nationen zu bringen. Tatsächlich aber ist das militärische Potential so unabwägbar, daß dieses immer ein vergebliches Bemühen in der Vergangenheit gewesen ist und auch in Zukunft sein wird.

Heute gibt es eine neue Annäherungsmöglichkeit. Man hat vorgeschlagen, ein System der internationalen Überwachung zu errichten, durch das massive Überraschungsangriffe unmöglich gemacht werden. Wenn dieses geschieht, dann wird es sehr unwahrscheinlich sein, daß es einen allgemeinen Krieg geben wird, und der Umfang der Rüstungen wird automatisch zurückgehen.

Die heutigen stehenden Heere sind das weitgehende Ergebnis einer von insgesamt zwei Kalkulationen. Ein potentieller Angreifer rechnet damit, daß es ihm möglich sein wird, seine eigene Macht so zu verstärken, um durch einen Überraschungsangriff einen entscheidenden Anfangserfolg zu erzielen. Diejenigen dagegen, die damit rechnen müssen, angegriffen zu werden, sehen die einzige wirksame Abwehrmöglichkeit bei einem Überraschungsangriff in einer gemeinsamen militärischen Macht, die so groß und so stark dezentralisiert ist, daß sie durch einen derartigen Angriff nicht ausgelöscht werden kann.

Neue Entdeckungen und ihre praktischen Anwendungen führen ständig zu riesigen Anstrengungen, um Angriffs-und Vergeltungswaffen zu entwickeln sowie Möglichkeiten des Über-lebens zu finden. Die einzige wirksame Möglichkeit zur Durchbrechung dieses Zyklus ist die Schaffung einer internationalen Überwachung der großen Militärmächte, damit es unwahrscheinlich wird, daß unbemerkt Vorbereitungen für einen Angriff getroffen werden können, der in seiner Wirkung so massiv ist, daß er die Machtquellen der Gegenseite vernichtet. Diese Konzeption lag dem Vorschlag Präsident Eisenhowers über die „offenen Himmel“ zugrunde, der zuerst im Jahre 195 5 auf der Gipfelkonferenz in Genf vorgebracht wurde.

Ein möglicher Angreifer, der sich einer Luft-inspektion unterworfen hat, die durch Boden-kontrollen ergänzt wird, dürfte wissen, daß er eine große Rüstung wahrscheinlich nicht zum Vorteil wird verwenden können. Und diejenigen Nationen, die durch Aggression bedroht sind, werden die Gewißheit haben, daß sie nicht durch einen einzigen Schlag ausgelöscht werden können, und sich dann mehr als jetzt auf ihre potentielle militärische Stärke als auf die tatsächlich gegenwärtige verlassen können. Aus diesem Grunde wird es auch nicht wie zur Zeit einen Stimulus für ein Wettrüsten geben.

Hierdurch werden weder alle Probleme der Bewaffnung noch der Friedensgarantie gelöst werden, aber die neue Annäherung könnte eine Atmosphäre schaffen, in der andere, heute nicht anwendbare Maßstäbe möglich sind, solche, auf denen wir gegenwärtig in gemeinsamer Anstrengung beharren, um die Welt von der ständigen Drohung der Vernichtung durch jene Waffen zu befreien, die die Zivilisation geschaffen hat.

Gesundheit und Stärke der freien Welt

Nationen können ebenso wie Individuen nicht alleine leben. In der Erkenntnis dieser Tatsache hat das amerikanische Volk immer in großherziger Weise von seinen Gütern an Katastrophen-opfer in vielen Teilen der Welt gegeben und an zahlreichen Programmen des humanitären Bei-standes teilgenommen. Bis vor kurzem lagen diesen Maßnahmen in erster Linie philantropische Motive zugrunde. Im vergangenen Jahrzehnt spiegelten sich hierin wohlbegründete nationale Selbstinteressen wider.

Wir sehen jetzt, daß die Welt sich so stark zu einem einheitlichen Ganzen entwickelt hat, daß wo immer auch der Körper von irgendeinem politischen Leiden gequält wird, das Ganze in Gefahr gerät. Wir sind uns darüber im klaren, daß, auf lange Sicht betrachtet, Frieden und Wohlstand eines erfordern, nämlich, daß alle die Möglichkeit haben sollten, ihres Glückes eigener Schmied zu sein. Wir sehen auch die Notwendigkeit für stärkere innere Kräfte in allen freien Nationen, um kommunistischen Umsturzversuchen oder Angriffen widerstehen zu können.

Seit 1945 hat unsere Nation fast 50 Milliarden Dollar für Hilfeleistungen, und zwar sowohl militärischer als auch wirtschaftlicher Art, aufgebracht. Damit haben wir bewiesen, daß wir eine bewußte Vorstellung von unseren nationalen Interessen haben. Es ist von großer Bedeutung, daß trotz dieser Hilfeleistung an andere Nationen in Höhe von jährlich durchschnittlich 5 Milliarden Dollar, sich unsere Wirtschaft auf einer gesunden Basis entwickelte. Die letzten zehn Jahre umschließen eine Zeit, die von einer steigenden Prosperität gekennzeichnet ist. Im Jahre 1941 belief sich das Nationaleinkommen auf rund 160 Milliarden Dollar; 1951 auf annähernd 277 Milliarden, während es 1956 rund 344 Milliarden Dollar ausmachte.

Der Marshallplan war unsere größte Leistung auf dem Gebiet des wirtschaftlichen Beistandes. Durch ihn haben wir Westeuropa nicht nur die Mittel zur Verfügung gestellt, sondern auch die Zeit und die Möglichkeit, sich selbst zu retten. Wir erleben heute in Westeuropa die Entwicklung einer großen Einigkeit, die von aufgeklärten Staatsmännern seit Jahren ersehnt wurde. Da war zuerst die Schaffung der Montanunion, dann das Brüsseler Abkommen für eine europäische Gemeinschaft, jetzt sind es die Verträge über einen Gemeinsamen Markt. Diese Entwicklungen sind von großer Wichtigkeit für die Schaffung der Einheit, der Stärke und des Wohlstandes in einem Gebiet, das für Jahrhunderte Ausgangspunkt ständig neuer Kriege war, die die Existenz der westlichen Zivilisation bedrohten.

In den vergangenen Jahren wurde die europäische Wirtschaft wiederaufgebaut, und die Vereinigten Staaten haben in immer stärkerem Maße den Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen und technischen Hilfe auf die neu erwachten und bedürftigen Völker Asiens und Afrika verlagert. Bis zu 800 Millionen Menschen, die die Bevölkerung von 20 neuen Nationen darstellen, haben ihre politische Freiheit gewonnen. Eine der bedeutendsten Kernfragen unserer Zeit ist es dabei gewesen, ob diese politische Freiheit auch gleichzeitig die Befreiung dieser Menschen aus dem Sumpf des wirtschaftlichen Elends und der Hoffnungslosigkeit bedeuten würde. Wenn nicht, dann mag die gegenwärtige politische Freiheit sich nur als ein Übergang von einer Form des Kolonialismus zu einer anderen, weitaus schlimmeren erweisen.

Alle unsere Hilfsprogramme, ob militärischer, wirtschaftlicher oder technischer Art, werden mit Recht als ein Unternehmen gemeinsamer Sicherheit betrachtet. Wenn wir mehr als andere gegeben haben, so spiegeln sich hierin nur unsere größeren Gebcmöglichkeiten wider.

Eine wichtige Frage, die jetzt im Zusammenhang mit unserer Politik der Gemeinsamen Sicherheit gestellt wird, ist, ob ihr ein nahes Ende beschieden sein wird. Alle Analysen, die in jüngster Zeit von Expertenkommissionen durchgeführt wurden, bestätigen, daß eine Fortsetzung notwendig ist.

Die Zeit zur Einstellung dieser Hilfsprogramme wird dann gekommen sein, wenn sie nicht mehr im wohlbegründeten Interesse der Vereinigten Staaten sind. Die reine Militärhilfe und die Verteidigungsunterstützung machen rund 70 Prozent unseres gesamten Programms aus. Was die Wirtschaftshilfe angeht, so können wir erwarten, daß — stabile politische Verhältnisse vorausgesetzt — das Privatkapital allmählich einen größeren Anteil bei der Entwicklung der wirtschaftlich weniger entwickelten Gebiete übernimmt. Es ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, daß, während der Dollarwert unseres Auslandshilfeprogramms in den vergangenen Jahren etwas zurückgegangen ist, ein zunehmender Teil dieser Hilfe in Form von Anleihen an Stelle von nichtrückzahlbaren Darlehen vergeben wurde. Ebenso wichtig ist die Tatsache, daß die Höhe der Anleihen und nichtrückzahlbarer Darlehen gegenwärtig nur noch ein Prozent unseres Volkseinkommens ausmacht, während vor einigen Jahren allein die nichtrückzahlbaren Darlehen noch drei Prozent betrugen.

Eine Einstellung unseres Programms für Gemeinsame Sicherheit würde unter den derzeitigen Verhältnissen eine Katastrophe bedeuten.

Was jedoch nötig erscheint, ist die LImstellung notwendiger Hilfeprogramme auf eine langfristige Basis, auf eine geschäftsmäßigere Grundlage, wobei die Summe der nichtrückzahlbaren Darlehen auf ein Minimum beschränkt wird und die Durchführung unserer Hilfe derart erfolgt, daß den bedürftigen Ländern Hilfestellung bei der Selbsthilfe gegeben wird. Als Ergebnis intensiver Studien, die, voneinander unabhängig, von der Exekutive und dem Kongreß veranlaßt wurden, ist jetzt ein neuer Verwaltungskörper geschaffen worden, der sogenannte Entwicklungsfonds. Dieser Fonds wird, wenn er mit dem erforderlichen Kapital ausgestattet ist, die Hauptverantwortung den Empfängerstaaten übertragen und dazu beitragen, die Selbsthilfe und das Privatkapital anzuspornen. Auch auf anderen Gebieten als der Auslandshilfe sind die Vereinigten Staaten auf außenwirtschaftlichem Gebiet äußerst rege gewesen. Durch die Rede Präsident Eisenhowers vor den Vereinten Nationen im Dezember 1953 wurden die Möglichkeiten zur friedlichen Nutzung der Atomenergie dramatisch umrissen. Vieles ist seitdem erreicht worden, um die angedeuteten Möglichkeiten durch den Abschluß bilateraler Abkommen zu verwirklichen. Erst kürzlich ratifizierten die Vereinigten Staaten das Statut für die Schaffung der Internationalen Atomenergiebehörde, die ein Markstein auf dem Wege zur allgemeinen Verwendung dieser wunderbaren neuen Hilfsquelle zum Segen und nicht zur Vernichtung der Menschheit darstellt.

Wir sind uns auch darüber im klaren, daß Handelsrestriktionen in der Vergangenheit den Welthandel einschnürten, und zwar zum Nachteil aller Nationen. Wir sind vielen internationalen Organisationen beigetreten, insbesondere dem GATT, um den internationalen Güteraustausch zu fördern. Die Ausweitung des Welthandels hat nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern auch für alle befreundeten Nationen einen materiellen Nutzen. Maßnahmen, die sich für eine Nation nachteilig auswirken könnten, wurden vermieden. Das wirtschaftliche Wachstum wird überall in der Welt gefördert. Die Nutzen des Fortschrittes in einem Lande verbreiten sich schnell auf andere.

Wir vergessen nie, daß jede Regierung zuerst die Aufgabe hat, ihrer eigenen Bevölkerung zu dienen. Aber gewöhnlich kann dieses am besten so geschehen, indem man Mittel findet, die anderen ebenso helfen, oder die zumindest anderen nicht schaden. Gelegentlich, und glücklicherweise sehr selten, entstehen jedoch Situationen, die nach dieser Formel nicht bereinigt werden können. Aber im allgemeinen suchen wir eine internationale Gesellschaft zu verwirklichen, in der Menschen, Güter und Ideen sich frei und ohne Behinderung in einem großen Raum bewegen können, und in der allen Männern und Frauen das Streben nach Glück offensteht. Der amerikanische Markt, der mit Sicherheit soviel bietet, was andere wünschen, und der mit Sicherheit soviel aufnimmt, was andere verkaufen wollen, ist der große wirtschaftliche Stabilisator der freien Welt. Er hilft, den Kommunismus und den auf sich bezogenen Nationalismus zu bekämpfen, die sieb beide in der Zurückweisung des Konzepts der gegenseitigen Abhängigkeit ähneln.

Wenige wirtschaftliche Theorien sind heutzutage so veraltet wie die von Marx. Sie wurden vor nahezu hundert Jahren propagiert in Verbindung mit einer Gesellschaft, die sich seither durch die ihr selbst innewohnenden dynamischen Qualitäten stark gewandelt hat.

Die soziale und wirtschaftliche Grundlage ist in der ganzen westlichen Welt erweitert worden, und derselbe Prozeß beginnt auch in den übrigen Gebieten der freien Welt und beschleunigt sich immer mehr. Der internationale Kommunismus ist aber eine reaktionäre Bewegung. Seine „Planung“ macht aus Menschen Sklaven der Produ-zenten und schafft eine neue ausgebeutete und herrschende Klasse. Er ist voll von Gegensätzen, die in den freien Ländern dank einer friedlichen, aber dynamischen Evolution überwunden wurden.

Wir können natürlich keine Perfektion für uns in Anspruch nehmen. Die dramatische und friedliche Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Struktur unserer freien Gesellschaft wird weitergehen. Aber selbst wenn wir die Perfektion nicht für uns in Anspruch nehmen, so können wir doch sagen, daß wir die sozialen Ziele, die der Kommunimus vorgibt, erreichen zu wollen, in einem weit größeren Ausmaß im Rahmen unserer freien Gesellschaft erreicht haben, als dies in Sowjetrußland oder dem kommunistischen China der Fall ist.

Friedlicher Wandel

In dem Maße, in dem wir eingehender mit den breiten Strömungen der menschlichen Angelegenheiten befaßt wurden, sind uns auch die schnellen Bewegungen mehr und mehr bewußt geworden, denen die Welt in unserem Jahrhundert unterliegt und die die internationale Landschaft unaufhörlich zu verändern scheinen. Wandel ist das Gesetz des Lebens, und das schließt das internationale Leben ein. Linser gemeinsames Problem in einer Welt schnellen und oftmals großen Wandels besteht darin, sicherzustellen, daß die notwendigen Wandlungen sich in friedlicher Weise vollziehen — ohne Aufstand und ohne Krieg. Gewaltsamer Wandel ist niemals ein selektiver Wandel. Er zerstört sowohl das Gute wie das Schlechte. Wandel ist wohltuend, wenn er selektiv vollzogen wird, das Gute fortsetzt und weiterentwickelt, und das Üble, Alte und Inadäquate abstreift.

Wir haben bereits darauf angespielt, auf die Gebiete zu sprechen zu kommen, auf denen der Wandel am auffälligsten ist. Da ist zuallererst der Wandel, der sich aus der Kernspaltung ergeben wird. Eine ungeheure neue Energiequelle steht dem Menschen zur Verfügung, und wir können dessen sicher sein, daß sie genutzt wird, um einen großen Wandel herbeizuführern. Sie kann den Menschen zerstören, und sie kann ihn bereichern. Die Wahl ist dem Menschen selbst in die Hand gelegt, Die Vereinigten Staaten verfügten zuerst über die aus der Kernspaltung herrührende Energie und verwendeten sie inj Kriege zur Verteidigung der Freiheit Wir empfinden eine besondere Verantwortung und möchten sicherstellen helfen, daß des Menschen entscheidende Wahl die „Atome für den Frieden“ sein werden.

Eine andere starke Kraft, die den Wechsel auslöst, ist der politische Nationalismus, der besonders in Asien und Afrika am Werk ist.

Seit 1945 führte er zur Schaffung einer Reihe von neuen Nationen. Andere Völker befinden sich auf dem Weg zu politischer Unabhängigkeit. Aber der bloße Akt der Verleihung der politischen Unabhängigkeit stellt an und für sich noch keineswegs sicher, daß die neuen unabhängigen Völker tatsächlich Regierungen nach eigener Wahl oder Regierungen haben werden, die fähig und willens sind, den Regierten zu dienen. Es bedeutet nicht selbstverständlicher-weise, daß die Gemeinschaft der Nationen durch neuerstandene Nationen bereichert wird, die die Prinzipien der gegenseitigen Abhängigkeit und eine internationale Ordnung durch Recht und Gesetz bejahen. Es scheint vielmehr notwendig zu sein, Grundsätze zu finden, die die neuen Forderungen der Kolonialvölker mit ihrem schneidenden und verbitterten Nationalismus und die sozialen Unruhen derer in Rechnung stellen, die zu der Annahme neigen, daß ihnen mit der politischen Freiheit auch automatisch neue wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet werden sollten.

Die Vereinigten Staaten, selbst einmal eine Kolonie, teilen das Streben der Völker nach politischer Unabhängigkeit und sympathisieren mit ihm. Wir wissen auch, in welchem Maße die Freiheit — zu ihrer eigenen Selbsterhaltung — der Selbstbeschränkung auf ein moralisches Gesetz und der Erziehung bedarf, um richtige Urteile zu fällen. Wir können und sollten eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung der Grundsätze spielen, die dem politischen und sozialen Gärstoff eines großen Teils der Menschheit entsprechen.

Wir anerkennen, wie das auch in Artikel 14 der Charta der Vereinten Nationen zum Ausdruck kommt, daß es beständig besondere Situationen geben wird, die mit Wahrscheinlichkeit die allgemeine Wohlfahrt oder die freundlichen Beziehungen zwischen den Nationen beeinträchtigen und die friedliche Schlichtung erforderlich machen. Wir haben in den letzten Jahren das Auftauchen solcher Situationen beobachtet, wie zum Beispiel die Auseinandersetzungen über Zypern, Kaschmir und den westlichen Iran, zwischen Arabern und Israelis sowie über den Suezkanal. Diese Auseinandersetzungen zerstören nicht nur den Weltfrieden und die internationalen Gepflogenheiten — sie geben auch einen fruchtbaren Boden für kommunistische Propaganda und Zersetzung ab.

Die Vereinigten Staaten anerkennen ferner, daß bei solchen Auseinandersetzungen alle Verdienste niemals auf einer Seite sind. Daher identifizieren wir uns nicht mit einer nur parteilichen Annäherung. Die Herrscher Sowjetrußlands — unberührt von den Verdiensten und nur begierig, ihre Macht auszudehnen — zeigen sich vorbereitet, die eine Seite gegen die andere Seite in Schutz zu nehmen, wenn ihnen umgekehrt politische Vorteile daraus erwachsen. Weil ihnen manchmal Vorteile aus derartigen Auseinandersetzungen entstehen, liegt ihr Interesse darin, Auseinandersetzungen hervorzurufen und zu vertiefen und ihre Schlichtung zu verhindern. Dies zeigt, wie wichtig es für die freie Welt ist, reguläre Verfahren zur Schlichtung von Auseinandersetzungen zwischen ihren Mitgliedern zu entwickeln. Dies ist in der westlichen Hemisphäre durch die Organisation der Amerikanischen Staaten bereits getan worden.

Innerhalb der letzten Jahre konnten auf Grund der von dieser Organisation entwickelten Verfahren einige ernsthafte Auseinandersetzungen zwischen amerikanischen Staaten erfolgreich geschlichtet werden. Ihre Mitglieder verdienen das höchste Lob wegen ihrer Loyalität gegenüber den auf Gesetz und Recht beruhenden friedlichen Verfahren, die sie ausgearbeitet haben. Sie haben ein bemerkenswertes Beispiel gegeben, dem noch viel allgemeiner nachgeeifert werden sollte.

Hauptsächlich auf Anregung der Vereinigten Staaten ist die Nordatlantikpaktorganisition jetzt daran gegangen, Verfahren zur Schlichtung von Auseinandersetzungen unter ihren Mitgliedern zu entwickeln. Im vergangnen Jahr ist dem Generalsekretär der NATO in dieser Hinsicht eine neue Verantwortung zugewiesen worden.

Da gibt es, auf lange Sicht gesehen, zum Beispiel große Möglichkeiten in Artikel 14 der Charta der Vereinten Nationen, die die Vollversammlung autorisiert, die Änderung des Status quo zu empfehlen. Die Ausübung dieser delikaten Funktion erfordert Wissen, Weisheit und Selbstbeschränkung. Diese Funktion ist besonders dann von der Vollversammlung schwer auszuüben, wenn eine machtvolle Minorität ihrer Mitglieder keine faire und gerechte Schlichtung, sondern weitere Auseinandersetzungen will, die sich mehr zum Nutzen des internationalen Kommunismus und seiner revolutionären Taktiken erweisen.

Es ist manchmal die Meinung geäußert worden, daß die Vereinigten Staaten öfter ihre Macht gebrauchen sollten, um Schlichtungen herbeizuführen. Die Vereinigten Staaten können und wollen als Freund aller Parteien Einfluß in stiller und unauffälliger Weise ausüben. Wir sind bereit, unsere guten Dienste zu leisten, wenn und wann wir unter Beachtung adäquater Grundsätze dazu gebeten werden. Aber wir nehmen nicht das Recht in Anspruch, uns einmischen zu dürfen oder der Schiedsrichter in anderer Völker Angelegenheiten zu sein. Die gefährlichsten aller ungelösten Auseinandersetzungen sind diejenigen, die sich in den unter der Herrschaft des internationalen Kommunismus befindlichen Gebieten abspielen. Das Muster ist hier klassisch. Der Wandel ist hier unausweichlich, aber die Situation wird von denjenigen beherrscht, die nicht an einem friedlichen Wandel auf Kosten ihrer Macht glauben. Solche Lage der Dinge hat in der Geschichte schon zu gewaltsamen Ausbrüchen geführt. Einige der in Frage stehenden Gebiete sind besonders explosiv, da sie die künstliche Teilung historisch gewordener Nationen umfassen, wie zum Beispiel Deutschland, Korea und Vietnam. Andere Gebiete — wie dies zuletzt in Ungarn und Polen demonstriert wurde — enthalten Ressentiments von solcher Bitterkeit, daß viele Patrioten lieber in einer Revolte gegen die hoffnungslose Übermacht sterben würden als noch länger in der Stille zu leiden.

Die Politik der Vereinigten Staaten, wie sie zu wiederholten Malen proklamiert wurde, wird diese Ungerechtigkeiten niemals sanktionieren noch sie als Dauerzustand akzeptieren. Aber wir kämpfen nur mit friedlichen Mitteln für die Gerechtigkeit. Es läge nicht im allgemeinen Interesse noch im Interesse der direkt betroffenen Völker, wenn sich die Angelegenheit zum Krieg zuspitzen würde. Wir werden fortfahren, alle Hilfsquellen der Vereinten Nationen auszuschöpfen und alle diplomatischen und moralischen Mitteln anzuwenden, um die Ungerechtigkeiten, die diese Völker erdulden müssen, zu lindern und ihre traurige Lage der Welt bekannt zu machen. Wir haben Vertrauen in ihre endlich errungene Freiheit und Unabhängigkeit. Wenn die russischen Staatsmänner sich dafür entschieden, den Interessen Rußlands zu dienen, und aufhörten, die Vertreter des internationalen Kommunismus zu sein, würden sie in der Erkenntnis handeln, daß Rußlands langfristige Interessen die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und die Befreiung der Satelliten zur Voraussetzung haben. Nur so kann Rußland seinen natürlichen Wunsch erfüllt sehen, von befreundeten Völkern umgeben zu sein. Die Märtyrer Ungarns sind nicht umsonst gestorben, wenn sie uns zum Anbruch dieses Tages näher gebracht haben.

Selbst ein solcher kurzer Abriß über die Kräfte, die den Wandel bewirken, läßt uns mit einem Gefühl von ihrer Unendlichkeit und der Dürftigkeit der politischen Mittel zurück, die dazu dienen, sie in friedlichen Bahnen zu halten.

Friede und Gerechtigkeit befinden sich stets in Gefahr.

In einer stabilen, individuellen Gesellschaft gibt es Institutionen, die den Wandel bewirken und legalisieren — meist parlamentarische Körperschaften, die Gesetze erlassen und ändern und so dafür sorgen, daß der Wandel auf politischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet in friedlicher Weise vor sich geht. Im internationalen Rahmen ist es so, daß die Konzepte der Souveränität, die inzwischen veraltet sind, die Nationen dazu verführen, ihre eigenen nationalen Rechte und Interessen über die Notwendigkeit der gesamten Gemeinschaft der Nationen zu stellen — die Notwendigkeit zur friedlichen Schlichtung. Es wird wahrscheinlich noch lange Zeit in Anspruch nehmen, bis irgendein universales und verbindliches Verfahren zur Verwirklichung internationalen Wandels geschaffen ist. Aber es sollte eine weit größere Bereitschaft als zur Zeit vorhanden sein, die nationalen Interessen den Interessen der Weltgemeinschaft unterzuordnen und die bereits bestehenden Organisationen, wie den Internationalen Gerichtshof, zu benutzen und ein geschriebenes oder ungeschriebenes internationales Gesetz zu schaffen und anzuerkennen.

Schlußfolgerung

Im Hinblick auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten ragen noch zwei Tatsachen hervor. Die erste ist die, daß sich unsere Politik als Spiegelbild unserer tief eingefleischten Charakteristika entwickelt hat. Die zweite ist die, daß unsere Politik durch die wechselnden Bedingungen in der Welt beeinflußt und modifiziert wurde, in dem Bemühen, unsere Grundauffassungen den tatsächlichen Bedingungen und den Anforderungen, die sie an uns stellten, anzupassen. Diese beiden Grundzüge unserer Politik sind keineswegs miteinander unvereinbar. An der nationalen Auffassung von Recht und Unrecht festzuhalten, bedeutet keinesfalls, daß wir so auf doktrinäre Konzeptionen festgelegt sind, daß wir unsere Politik nicht den Forderungen der Stunde anpassen können. Sich unsere Politik als sich wechselnd und wandelnd vorzustellen, um den verschiedenen Situationen Rechnung tragen zu können, muß nicht heißen, daß sie des zentralen und beherrschenden Kerns von Grundsätzen ermangelt, der ihre Kontinuität verbürgt.

in diesem Artikel haben wir uns mit der Art befaßt, mit der sich die Politik den neuen und Achtung heischenden Problemen angepaßt hat; aber die Art und Weise der Politik und ihre Ausführung sind von Anfang bis Ende von bestimmten Prinzipien getragen worden.

Diese Prinzipien sind unvergeßlich von George Washington in seiner Abschiedsadresse formuliert worden.

Er weist dort darauf hin, daß „von allen Dispositionen und Gewohnheiten, die zu politischer Blüte führen, Religion und Moral unerläßliche Stützen sind“. Lind er unterstreicht im folgenden die überragende Bedeutung der Verbreitung von Wissen und Erkenntnis. „In dem Maße, in dem die Struktur einer Regierung der öffentlichen Meinung Gewalt verleiht, ist es wesentlich, die öffentliche Meinung aufzuklären.“

Eben wegen unserer religiösen Überzeugung messen wir der Freiheit jene ausnehmend hohe Bedeutung bei. Wir glauben an die Unverletzlichkeit der menschlichen Persönlichkeit, an die unabdingbaren Rechte, mit denen die Menschen von ihrem Schöpfer ausgestattet sind und an ihr Recht, Regierungen zu haben, die sie sich selbst wählen können. Aber wir glauben auch, daß der einzelne ebenso wie die Regierungen sich dem moralischen Gesetz zu beugen haben. Wir sind uns bewußt, daß Freiheit, sei es nun individuelle oder nationale Freiheit, ein gefährlicher Freibrief sein kann, wenn sie nicht unter Disziplin oder moralischem Gesetz und bei einem angemessenen Stand von Wissen und Bildung ausgeübt wird, um zu gewährleisten, daß moralische Urteile auch wirklich alle sachdienlichen Faktoren berücksichtigen.

Wir empfinden als Nation keinerlei Sympathie für Systeme und Regierungen, die die menschliche Freiheit leugnen und versuchen, alle Menschen nach einem vorbestimmten Bild auszurichten und sie als Werkzeug zur Vergrößerung der Macht des Staates zu benutzen. Wir hegen auch keinerlei Sympathie für Ansprüche auf Souveränität, bei denen die Konzeption des Aufeinanderangewiesenseins aller Glieder der Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Als Amerikaner haben wir unsere Nation auf dem föderalistischen Prinzip aufgebaut, das ehemals souveräne Staaten zu einer kooperativen Gemeinschaft vereint. So ist es nur natürlich, daß wir die Idee der Zusammenarbeit zwischen den Nationen in der Verfolgung von Zielen, die den Bestrebungen aller Menschen entsprechen, immer wieder hervorheben.

Trotz einer gewissen oberflächlidien Indifferenz gegenüber den Feinheiten in der Beobachtung von Recht und Gesetz haben die Amerikaner eine tiefe Achtung für das Gesetz als der Grundlage des sozialen und bürgerlichen Lebens entwickelt. Wir sehen in dem von Menschen gemachten Gesetz das Bemühen, das moralische Gesetz auf die Umstände von Zeit und Ort anzuwenden. Unsere Verfassung ist heute das älteste schriftlich niedergelegte Grundgesetz der Welt. Diese Auffassung von Recht durchdringt unser gesamtes politisches System und verleiht ihm eine Stabilität und Mäßigung, wie sie unter den Regierungsformen unserer Zeit kaum ihresgleichen findet. Wir verlangen danach, das Verhalten der Nationen in ihren Beziehungen zueinander auf die Grundlage gebilligter rechtlicher Prinzipien gestellt zu sehen, die von moralischen Auffassungen hergeleitet werden. Wir verabscheuen die Herrschaft der Willkür, die nur die Launen eines Despoten widerspiegelt.

Alle diese Auffassungen und Ideen ergeben zusammen unseren amerikanischen Lebensstil. Sie bedeuten für uns die Vorstellung und die Realität von Freiheit unter dem Gesetz — unter dem Gesetz, dessen maßgebendster Bestandteil das moralische Gesetz ist. Es ist unvenneidlich, daß sie auch unsere Außenpolitik beeinflussen mußten. Denn bei einer parlamentarischen Regierungsform hat die Außenpolitik nur dann Gültigkeit, wenn sie Ausdruck und Abbild der nationalen Eigenheit und der nationalen Über-zeugungen ist. Jeder, der unsere Politik verstehen will, sollte versuchen, uns als Nation zu verstehen. Die Beständigkeit unseres nationalen Charakters ist es, was selbst in einer so raschen Wandlungen unterworfenen Zeit unserer Außenpolitik Stabilität und Kontinuität verleiht. Es ist gut, daß dies so ist, denn hierdurch werden jene, die die Vereinigten Staaten verstehen, in die Lage versetzt, auch die Beweggründe für ihr Handeln zu erfassen und so in ihrem eigenen Interesse abschätzen zu können, wie wohl die Reaktion der Vereinigten Staaten in der oder jener Situation ausfallen mag.

Fussnoten

Weitere Inhalte