Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Das Wichtigste zuerst. Eine demokratische Betrachtung | APuZ 13/1960 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 13/1960 Das Wichtigste zuerst. Eine demokratische Betrachtung Friedliche Koexistenz. Ein westlicher Standpunkt Die Gefahr des Verhandelns mit Moskau

Das Wichtigste zuerst. Eine demokratische Betrachtung

STEVENSON ADLAI E

Den nachfolgenden Artikel haben wir der Januarnummer der amerikanischen Monatsschrift «Foreign Affairs“ mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber entnommen.

Die Bewahrung des Friedens ist heute unsere vordringlichste Aufgabe in der Welt. Das ist der universalste Wunsch und die stärkste Macht. Die breite Masse der Menschheit scheint die Idiotie des Krieges und seine Gefahren für die menschliche Rasse weit besser zu begreifen als ihre Anführer. Überall begegne ich Menschen, die sehr wohl zu wissen scheinen, daß all ihre Hoffnungen auf Freiheit und ein besseres würdiges Leben zerstört werden, wenn die Menschheit jemals einen modernen Krieg führt.

Die Vereinigten Staaten gelten als das Ursprungsland der revolutionärsten und ruhmreichsten Auffassungen von menschlicher und politischer Freiheit. Ich habe immer gehofft, daß in diesem revolutionären Zeitalter die Vereinigten Staaten, die zuerst das Atom spalteten, mit unermüdlicher und unbezähmbarer Furchtlosigkeit sich für die Sache des Friedens einsetzen würden. Und ich glaube immer noch, daß ein Aufgreifen und leidenschaftliches Verfolgen dieser Aufgabe das Hauptanliegen der amerikanischen Außenpolitik sein sollte.

Warum haben wir nicht wirklich die Führung der Nachkriegswelt seit dem Korea-Krieg in die Hand genommen? Warum befürchten viele Amerikaner, daß wir den Sinn für unsere nationale Aufgabe verloren haben? Warum herrscht Unsicherheit in bezug auf geistige und moralische Werte? Warum sind wir nur so lau in der Behandlung von Fragen des öffentlichen Lebens, und warum zieht man sich allgemein auf die Freuden des Privatlebens zurück? Warum ist der Ausgleich unseres Budgets ein größeres nationales Anliegen als Selbstverleugnung und mühevolle harte Arbeit? Haben wir Wohlstand mit Sicherheit verwechselt? Warum entsteht ein wachsendes Unbehagen über den Gegensatz zwischen einer Gesellschaft wie der der Sowjets, die an ihre Bestimmung glaubt, und unserer eigenen, die sich selbst als erfüllt anzusehen erscheint?

Persönlich bin ich der Auffassung, daß der Haken nicht bei der Energie oder dem Lebenswillen der Nation zu suchen ist; und wenn Reichtum und Komfort uns verweichlicht haben, so glaube ich ganz sicher, daß dieser Fehler wieder behoben werden kann. Die Wurzel des Übels liegt in Folgendem: Die Nation steht einer Reihe gewaltiger Veränderungen auf der Weltbühne gegenüber; diese erfordern neue Wege der Weltanschauung; neue Richtlinien; vermehrte Anstrengungen. Aber seit Korea hat unsere politische Führung diese Tatsache nicht klar und eindeutig genug erkannt. Somit hat sich Amerikas Politik immer weiter von der Wirklichkeit entfernt. Unangefochten von diesen Erkenntnissen haben die Amerikaner ihre Energie und ihren Idealismus zweitrangigen Angelegenheiten zugewandt.

Die hauptsächlichen Richtlinien der amerikanischen Militär-und Außenpolitik sind noch die gleichen wie 1947— 1952. Obgleich die Herren Dulles und Eisenhower einen Kreuzzug für eine „Befreiungs-Politik“ unternahmen, und „Beschaulichkeit" als „unmoralisch“ brandmarkten, so sollte doch ihre Politik eine Kette von militärischen Bündnissen um den Kommunismus legen, und versuchen, wo immer die Ausbreitung der Sowjetmacht drohte, sie in Schranken zu halten. Sonderbarerweise entsprach Mr. Dulles'Glaube, daß der Kommunismus sich durch seine eigenen internen Widersprüche auflösen würde, Lenins Überzeugung, daß es dem Kapitalismus genauso ginge.

Um jedoch solch einen Ausdauer-Wettbewerb zu gewinnen, müssen wir die größere Ausdauer haben. Aber anstatt sich ernsthaft um die Verbesserung oder Erhaltung des Gleichgewichts zu bemühen, und jede Zermürbung oder sonstige uns günstige Veränderung auf sowjetischer Seite zu nutzen, haben wir den Schwerpunkt auf eine konservative Politik gelegt und auf allen Fronten zurückgesteckt, während die Sowjetunion und andere Industriestaaten im Geschwindschritt vorandrängten. Kurz, wenn auch unsere Regierung Dulles'Außenpolitik akzeptierte, so unternahm sie nichts zu ihrer Verwirklichung. Und es ist tatsächlich noch nicht lange her, daß Vizepräsident Nixon meine Warnung vor der sowjetischen Zuwadisrate als unloyal bezeichnete. (Sie ist jetzt doppelt so groß wie die der Vereinigten Staaten.)

So war zum größten Teil die Reaktion der Vereinigten Staaten auf die ungeheuren Veränderungen dieses Jahrhunderts rein negativ und defensiv. Eine Verwaltung, die die Niedrighaltung des Budgets als vordringlichste Aufgabe bezeichnet, hat sich mit den neuen Gegebenheiten mehr rhetorisch als durch Taten auseinandergesetzt. Der Widerwillen, die Wirklichkeit zu erkennen, hat in fortschreitendem Maße das amerikanische Ansehen in der Welt untergraben. (Manchmal danke ich Gott für die Russen — ihr rapider Fortschritt kann vielleicht auch bei uns wirtschaftlichem Wachstum, Mut zum Risiko und Abenteuergeist wieder Ansehen, wenn nicht gar Achtung verschaffen.)

Doch ist es nicht meine Absicht, mich anklagend über die kleinen Ziele und großen Sorgen der Eisenhower-Dulles-Ära zu äußern. Die Dinge mußten sich wandeln, und ich kann Staatssekretär Herter aufgrund der neuerlichen Anzeichen von mehr Unternehmungsgeist und Geschmeidigkeit in der Führung unserer Außenpolitik nur zustimmen. Ich hoffe jedoch, daß wir Amerikaner die offiziellen Reisen des Präsidenten zu Verhandlungen und Übereinkommen nicht falsch auffassen.

Welches sind nun alle die Realitäten, denen wir uns in diesem Zeitalter vieler Umwälzungen stellen müssen? Die alte koloniale Ordnung ist fast vergangen. Neue Nationen — und neue Weltreiche — ringen darum, die enstandene Lücke in einer gewaltigen politischen Revolution auszufüllen. Die meisten dieser neuen Nationen trachten danach, mit ihrer Wirtschaft die Schallmauer der Modernisierung in wenigen Jahrzehnten zu durchbrechen. Das ist die wirtschaftliche Revolution. Aber dies geschieht vor dem Hintergrund einer explosionsartig sich vermehrenden Bevölkerung, die die Einwohnerzahl der unterentwickelten Gebiete in der nächsten Generation verdoppelt haben wird. Das ist die biologische Revolution. Mittlerweile haben uns Überschall-Flug, Atomenergie und Rakete zwei entgegengesetzte Möglichkeiten gleicher Größenordnung eröffnet — die Erforschung des Planetenraums und die Selbstausrottung auf diesem Planeten. Das ist die wissenschaftliche Revolution.

Wir vermögen nicht zu erkennen, was in diesem verwirrenden Jahrhundert vor uns liegt, aber vielleicht ist es deshalb umso bedeutender. In der Vergangenheit beherrschten die Nordatlantik-Nationen die Welt. Aber aufgrund ihrer Unfähigkeit sich selbst im Zaune zu halten, mußten sie nach ihren großen Weltkriegen ihre Macht und ihren Einfluß in Europa aufgeben; Rußland und Amerika tauchten plötzlich als die führenden Mächte auf. Doch ist der kurze Tag der Zwei-Mächte-Herrschäft schon im Schwinden und neue Machtzentren steigen aus der alten Asche Asiens. China und Indien werden am Ende dieses Jahrhunderts industrialisiert sein, und die Bevölkerung Chinas wird fast eine Milliarde erreicht haben. Wenn dann Europa stärker vereint ist, wird es auch wieder als ein großes Machezentrum auftauchen. Und wer zweifelt daran, daß der regionale Zusammenschluß ebenso in Latein-Amerika und dem aufbrechenden Afrika stattfinden wird?

Somit ist dies weder der Beginn des amerikanischen Jahrhunderts noch irgend eines anderen. Wir müssen nur immer klar erkennen, daß wir Amerikaner nicht lange allein in der Mitte der Bühne stehen werden — und daß Bescheidenheit immer eine Zier ist. Unsere Tradition verlangt zwar nicht, daß wir der Herr der Welt sein sollen, aber sie verlangt von uns, daß wir die großen Überlieferungen politischer Freiheit und gesetzlicher Ordnung, die der westlichen Gesellschaft zugrunde liegen, kraftvoll lebendig erhalten.

Uns durch diese unbekannten Meere zu führen, die gewaltigen Mächte, die jetzt die neue Welt formen, zu verstehen und zu leiten, wird äußerste Anforderungen an unsere Klugheit, Führungskraft, Selbstdisziplin und unseren Großmut stellen. Ich möchte behaupten, daß diese Realität an den Anfang der Liste gehört, weil es sich noch nicht erwiesen hat, ob die Überzeugungskraft demokratischer Ideen der Wirksamkeit zentraler Planung und Diktatur die Stange halten kann.

Mannigfaltige und universale Umwandlung bildet somit den Rahmen für die Politik dieses Zeitalters. Eine andere Tatsache, die wir nur zögernd zugeben, liegt in dem Vorteil, der sich den Kommunisten hierdurch bietet. Sie haben die Weltrevolution nicht erfunden. Sie wurden sämtlich — bewußt oder unbewußt — im Westen vom Stapel gelassen. Aber der Kommunismus, in sich schon eine Philosophie des Um-sturzes, versteht sie im weitesten Umfang auszunutzen. Er benutzt den gesamten anti-imperialistischen Jargon und ruft die Verbrüderung der — kommunistischen — Menschheit aus. Zu unserer bleibenden Beschämung hat er den Weg über die Grenzen des Weltraums gewiesen und sogar die sowjetische Flagge auf dem Mond gehißt. Der Kommunismus bezeichnet seine eigene durchgreifende totalitäre Planung als den einzigen Ausweg aus wirtschaftlichem Stillstand, und das sowjetische Beispiel von Modernisierung und schneller Machtzunahme findet ein mächtiges Echo bei rückständigen Ländern.

Herr Chruschtschow legt seine Absichten offen dar: Er sagt, wir wollen die Waffen niederlegen, und wir werden euch in friedlicher, wetteifernder Koexistenz schlagen. Er sagt weiter, daß Rußland die Vereinigten Staaten in der Produktion überflügeln wird, und daß die neutralen Staaten, einer nach dem anderen, sich einreihen werden, während das kommunistische System sich über die ganze Welt ausbreitet, um zum Schluß den letzten Zufluchtsort des Kapitalismus in den Vereinigten Staaten zu umklammern und zu isolieren. Die sowjetischen Plänemacher erwarten (wie in China), daß die nicht-kommunistischen Regimes in Asien, im Nahen Osten, in Afrika und Teilen von LateinAmerika ihre Probleme der Modernisierung der Wirtschaft nicht allein lösen können und somit sich der kommunistischen Alternative zuwenden zweifellos angetrieben durch den kommunstischen Handel, die Wirtschaftshilfe und die Infiltration.

Dies ist meiner Überzeugung nach der Weg zur Weltmacht, der von den Sowjets jetzt als der sicherste und zuverlässigste angesehen wird. Und ich war stark beeindruckt von Herrn Chruschtschows Zuversicht, die er in seinem eigenen wie auch in unserem Lande an den Tag legte, daß die Geschichte für ihn arbeite, und daß das System, unter dem Rußland so schnell stark wurde, auch von anderen Ländern befolgt werden müsse-. Wir haben uns seinerzeit geweigert zu glauben, daß Hitler meinte, was er sagte — sehr zu unserem Schaden. Wir sollten nicht noch einmal den gleichen Fehler begehen.

Für mich bedeuten die beiden gefährlichsten Realitäten, denen wir gegenüberstehen: die Vermehrung der nuklearen Waffen und die Ungleichheit des Lebensstandards zwischen reichen und armen Natonen. Mein Vorschlag ist, den Krisen unserer Zeit auf vier Hauptgebieten zu begegnen: Erstens, wir müssen die wachsende Kluft zwischen Reichtum und Armut schließen. Zweitens, dabei müssen wir neue übernationale Organisationen und Institutionen zur Zusammenarbeit schaffen. Drittens, solange es nukleare Waffen gibt, besteht auch die Gefahr ihrer Anwendung. Wir müssen für eine dem Gesetz und einer organisierten Polizeimacht unterworfenen Abrüstung in der Welt sorgen — die einzige und endgültige Antwort auf die Androhung eines vernichtenden Krieges. Und zuletzt müssen wir, soweit es in unserer Macht liegt, die Idee von einer offenen, friedvollen Welt verbreiten. Denn es liegt in unserer Billigung individueller und verschiedenartiger Lebensformen, die wir miteinander in Harmonie bringen und nicht unterdrücken wollen, begründet, daß wir unsererseits nicht nur im Zuge der Geschichte arbeiten, sondern auch im Einklang mit der naturgegebenen Verschiedenartigkeit der Menschen. Wir glauben fest, daß in diesem langen Wettbewerb die Totalitären allmählich eher zu unserer Art des Denkens bekehrt werden als wir zu ihrer. Unser Ziel ist, nicht nur einen kalten Krieg zu gewinnen, sondern ein kalte Welt zu überzeugen.

Dies sind natürlich sehr allgemeine Feststellungen. Wir können sie in die Politik nur durch besondere Anwendung und Verhandlungen übertragen. Einige der Ziele können wir mit gleichgesinnten Nationen verfolgen, und wir sollten sie sofort mit ihnen in Angriff nehmen. Andere sind von der Zustimmung der Kommunisten abhängig, und es können Jahre stoischer Verhandlungen darüber hingehen.

Mit der Durchführung unserer eigenen schöpferischen Politik ist meiner Meinung nach im Westen ein kluger Anfang gemacht worden — nicht nur einer negativen Politik, um den Kommunismus aufzuhal-ten, sondern einer Politik, die Unsere Anschauung einer lebensfähigen Gesellschaftsordnung und unsere tolerante Auffassung der Revolutionen. die wir durchleben, widerspiegelt. Die freiwillige Beendigung des Kolonialismus der meisten westlichen Kolonialmächte, der MarshallPlan. Europas Schritte zur Vereinigung, und die verschiedenen Programme wirtschaftlicher Hilfeleistungen sind bereits schöpferische und anerkennenswerte Neuerungen des Westens nach dem Kriege.

Wissen wir einmal was wir wollen, kennen wir unsere Ziele, dann müssen wir sie auf alle Fälle mit der gleichen Entschlußkraft und Opferwilligkeit verfolgen, wie die Kommunisten es mit ihren Zielen tun. Eine Abstimmung der Ziele wird nicht einfach sein im Hinblick auf die Spaltung zwischen den Westmächten, verbunden mit der Tatsache, daß Rußland Ostdeutschland verwaltet und deshalb bei einer möglichen deutschen Wiedervereinigung ein Wort mitzureden hat. Vermutlich wird es äußerst schwierig sein, unsere Ziele entschlossen zusammen mit unseren Partnern zu verfolgen. Denn in „Friedenszeiten“ sind Demokratien in einem besonderen Naditeil. Unmittelbare innere Angelegenheiten haben den Vorrang gegenüber fernen nationalen Zielen. Selbstsucht und Gedankenlosigkeit führen die Menschen stets auf den bequemsten Weg, und zu viele ehrgeizige Politiker stellen ihr Amt vor ihre Pflicht. Wir können aber nicht ausschließlich von Straßen-kreuzern. Fernsehgeräten und einem „gesunden Dollar“ leben. Irgendwie müssen wir unseren Blick zu dem Niveau der Aufgaben emporrichten. Ich will versuchen, auf einige dieser Aufgaben hinzuweisen.

Wirtschaftliche Entwicklung

INHALT Adlai E. Stevenson:

Das Wichtigste zuerst George F. Kennan:

Friedliche Koexistenz Dean G. Acheson:

Die Gefahr des Verhandelns mit Moskau

Das jährliche Durchschnittseinkommen in den Vereinigten Staaten beträgt mehr als 2000 Dollar gegenüber weniger als 100 Dollar für ein Drittel der Gesamtbevölkerung der Erde. Und das Schlimmste bei dieser Ungleichheit ist, daß die reichen Nationen reicher und die armen ärmer werden. Glücklicherweise hat sich allmählich hier und bei unseren Freunden die Erkenntnis entwickelt, daß dies die entscheidenden Gebiete sind, und daß wir den unterentwickelten Völkern helfen müssen, zu einer sich selbst erhaltenden Größe anzuwachsen und dabei ihre Unabhängigkeit und die Hoffnung auf Entfaltung einer politischen Demokratie zu bewahren. Ohne die Alternative kommunistischer Entwicklungsmethoden begegnen wir tatsächlich schlimmen Aussichten in den armen Ländern, wo die Bildung gering und der Hunger groß ist und wo die Kluft zwischen den Hilfsquellen und der Überbevölkerung sich ständig erweitert.

Fünf Vorbedingungen auf dem Wege zum Erfolg sind meiner Ansicht nach eindeutig dargelegt. Dieses Programm wird uns mindestens 40 Jahre lang in Anspruch nehmen. Wir brauchen einen Stab von Fachkräften mit entsprechenden Sprachkenntnissen und der notwendigen Gewandtheit für das neue Wirkungsfeld. Nach unterrichteter Meinung werden wenigstens 5 Milliarden Dollar im Jahr gebraucht, aus allen öffentlichen wie privaten Quellen, aus dem In-und Ausland. Alle unsere Bemühungen müssen mit denen anderer Nationen in Einklang gebracht werden — nicht nur was Investitionen an betrifft, sondern auch Handelsmöglichkeiten usw. Um größtmögliche Ergebnisse zu erzielen, müssen die entwickelten Nationen alle zusammenarbeiten. Ganz bestimmt ist es jetzt auch für andere Länder an der Zeit, einen größeren Anteil an den allgemeinen Hilfeleistungen auf sich zu nehmen. Unter diesen Umständen können die Vereinigten Staaten natürlich keine ausschließliche Kontrolle über die Anwendung all ihrer aufgebrachten Gelder für Entwicklungszwecke haben.

Diese fünf Bedingungen sind noch nicht überall ganz verstanden, geschweige denn gebilligt worden. Man spricht es ganz offen aus: falls die Kommunisten sich ruhig verhalten, könnte das wirtschaftliche Entwicklungsprogramm gestrichen werden. Die Folgen sind zum Teil, daß unsere Bemühungen um einen Stab wirklicher Fachkräfte mehr zufällig sind, unsere Sprachprogramme unzulänglich, und so viele konkurrierende Dienststellen entstehen, national wie international, daß die politischen Ziele Gefahr laufen sich von vornherein festzufahren, zu verwirren und sich auf dem Wirkungsfeld zu überschneiden.

Ich bedaure, daß die Regierung im letzten Winter einen Vorschlag des „Senate Foreign Relations Committee“ über ein Darlehen von ungefähr 1‘/2 Milliarden Dollar auf ungefähr 5 Jahre zurückgewiesen hat. Europa sollte angesichts seines Wohlstandes und noch anhaltender Dollarhilfe eine entsprechende Summe aufbringen. Mit einer Summe von 3 Milliarden Dollar im Jahr für gemeinnützige Investitionen, mit Hilfe der Geschicklichkeit und reichen Erfahrung des Westens, und in Zusammenarbeit mit der Weltbank, dem „Monetary Fund“ und der neuen „International Development Association", sollten wir doch imstande sein, eine wirksame Attacke auf alle Flanken der Rückständigkeit wie Kapitalmangel, Mangel an Kenntnissen, zu geringen Reserven, Export eines einzigen Ernteprodukts und schwankende Weltmarktpreise zu führen.

Es ist schwer, dem einen oder anderen Vorrangstellungen einzuräumen, aber ich glaube, man ist sich allgemein darüber einig, daß die gesamte politische Zukunft des freien Asiens von dem Erfolg des großen indischen Experiments abhängt. Ebenso sicher liegt auch die Notwendigkeit für schnellere Modernisiening und bessere wirtschaftliche Zusammenarbeit in Latein-Amerika klar auf der Hand. Lind die Vision eines gemeinsamen Marktes für die westliche Hemisphäre ist sogar noch erregender, weil sie auf einen Wirtschaftszusammenschluß der gesamten nicht-kommunistischen Welt weist.

Jahrelang habe ich darauf gedrungen, daß die Vereinigten Staaten die wirtschaftliche Entwicklung auf die gleiche Dringlichkeitsstufe stellen wie die nationale Verteidigung, um andere fortschrittliche Länder dazu bringen, sich mit vereinten Kräften anzuschließen. Daß wir tatsächlich kein solch gemeinsames Programm für Investitionen und wirtschaftlichen Aufbau in der Welt haben, entspringt zum Teil einer anderen Schwäche: unserem Versagen beim Aufbau einer organischen Atlantischen Gemeinschaft mit gemeinsamen Institutionen und gleichen Zielen. Der Geist, der seit 10 Jahren jede NATO-Konferenz heimsucht, ist der Geist des Kaisers ohne Kleider. Der „Rat der Weisen", die einzelnen Beschlüsse — alle haben sie von den positiven Aufgaben der NATO gesprochen. Und wir müssen sie immer noch finden. Und was noch schlimmer ist, sogar der gegenwärtige Stand der Einheit ist im Schwinden begriffen.

Die Atlantische Gemeinschaft

LInter der Oberfläche gibt es gefährliche Widersprüche innerhalb unserer Allianz. Sie sind weder durch zeremonielle Reisen, noch durch übereilte diplomatische Vorbereitungen für Zusammenkünfte mit Herrn Chruschtschow auszumerzen.

Die Versöhnung Frankreichs mit Deutschland ist ein historischer Erfolg der Nachkriegsdiplomatie. Der Gemeinsame Markt ist eine schöpferische Leistung, sich im Streben nach wirtschaftlichem und sozialem Wohlstand und endgültiger politischer Einigung über engstirnigen Nationalismus hinwegzusetzen. Aber der Preis ist hoch, wenn Frankreich, in engerer Verbindung mit Deutschland, von England abrückt, und wenn der Gemeinsame Markt der Sechs Nationen und die Freihandelszone der Sieben Europa in rivalisierende Handelsgruppen hinter neuen wirtschaftlichen Schranken, die nicht nur den Handel, sondern auch die Politik erschweren, spaltet. Auch berühren diese Teilungen Europa nicht allein. Die Schwierigkeiten werden sich bis nach Afrika hin bemerkbar machen, als ein letztes strittiges Vermächtnis des Kolonialismus.

Ich glaube, die amerikanische Politik hat ein aufrichtiges Interesse an der Überwindung dieser wachsenden Spaltungen. Wir sollten den Sechs und den Sieben eine Wiederaufnahme der Verhandlungen über eine Milderung der Tarifunterschiede und Liberalisierung des Handels eindringlichst empfehlen. Die Vereinigten Staaten und Kanada sollten ebenfalls systematisch mit den Sechs und den Sieben zusammenarbeiten, und ihren Einfluß vergrößern und weitgehendst nutzen, um in gemeinsamer Hilfe die hartnäckigen Probleme der Handelspolitik, einschließlich solcher Fragen wie der Stabilisierung von Preisen für Gebrauchsartikel, bei denen die industrialisierten Länder notwendigerweise die Führung übernehmen müssen, zu lösen. Die letzten drei oder vier Jahre haben gezeigt, wie sogar unser eigener Handel vom Gedeihen Europas abhängig wird, und wie die Maßnahmen auf jeder Seite des Atlantiks die übrige Gemeinschaft lebenswichtig beeinflussen. Die ungünstige amerikanische Zahlungsbilanz und die Besorgnis um die amerikanischen Reserven führen bereits zu einer erneuten Isolierung, zum Protektionismus, zu verminderter Auslandshilfe und weiteren Spaltungen unserer Einheit und Stärke. Die „Buy American“ -Politik der Regierung wird sich nur geringfügig auf unseren Export auswirken, und sie verstößt außerdem, im selben Moment wo sie angenommen wird, gegen die Richtlinien des freien Handels und der Zahlungspolitik, die wir unseren Verbündeten aufgedrängt haben.

Ebensowenig können wir der kommunistischen Herausforderung mit einem schwächeren militärischen Abschreckungspotential begegnen. Wenn wir zu sehr ins Hintertreffen geraten, oder unsere militärische Stärke verringern — ohne gleichwertige sowjetische Konzessionen — dann müssen wir womöglich erfahren, daß Herrn Chruschtschows Interesse an Verhandlungen nachläßt. Wir dürfen die Russen nicht mit Schwäche in Versuchung führen. Die Möglichkeit, daß sie mit einem einzigen Schlag unsere Vergeltungskraft vernichten könnten, darf für sie niemals in den Bereich des Möglichen kommen. Und sogar dann bleibt uns nur die einzig sichere Annahme, daß die Sowjetunion immer nür da Gewalt anwendet, wie z. B. in Ungarn und Ostdeutschland, wo keine Gefahr für einen allgemeinen Krieg besteht. Wie ich Herrn Chruschtschow sagte, gleiche Stärke und gleiches Risiko sind die einzigen Ausgangspunkte für Abrüstungsverhandlungen.

Bei dem Versuch, das militärische Gleichgewicht in der Schwebe zu zu halten, in der Hoffnung auf eine Wende dieses sinnlosen und kräftezehrenden Wettrüstens, sollte Westeuropa ebenfalls eine ausgedehntere Rolle spielen und einen größeren Teil dieser Bürde übernehmen. Die gemeinsame Kontrolle und der gemeinsame Gebrauch von Atomwaffen ist jetzt vielleicht das beste Mittel, die strittige, kostspielige und fruchtlose Wiederholung nuklearer Versuche zu verhindern. Keine einzige europäische Nation ist in der Lage, mit ausreichenden Verteidigungsmaßnahmen der sowjetischen Drohung gegenüber zu treten und sollte es auch nicht versuchen. Wir müssen mit wachem, energischen Blick an unsere gemeinsamen militärischen Probleme herangehen. Ich sehe nicht ein, warum wir nicht die Lasten für die Marine, für nukleare und konventionelle Waffen wirtschaftlicher und geschickter aufteilen können. Das Ziel sollte ein voneinander abhängiges Militärsystem sein, in dem die Aufgaben einer jeden Nation zur vollen Entfaltung ihrer wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten gesteuert werden.

Wir wollen nun die Tatsache unserer gegenseitigen wirtschaftlichen, militärischen und politischen Abhängigkeit einmal formal anerkennen. Ein Atlantischer Rat, mit wirklicher Vollmacht, könnte die gemeinsamen Richtlinien unserer Verantwortlichkeiten festlegen, und sich dabei auf eine echte und gleiche Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Westeuropa stützen; eine Partnerschaft, erleichtert durch unsere Erfolge in der Vergangenheit — insbesondere in bezug auf den Marshall-Plan — die durch die größte Herausforderung aller Zeiten heute geradezu erzwungen wird.

Ich schlage eine Nordatlantik-Konferenz vor, um neue allgemeine Richtlinien für Verteidigung, Abrüstung, Weltraumforschung, Finanz-reserven, Tarife, eine ausgedehntere Wirtschaftssphäre, Hilfe für die unterentwickelten Länder zu geben. Und das wird hoffentlich unter erneuter Zugrundelegung der Erfahrungen mit der NATO und anderen Organisationen geschehen. Ich meine, Europa sollte zur Schaffung solcher neuen Organisationen, die sich mit unseren großen und stetig anwachsenden Problemen zu befassen haben, und somit eine systematischere Zusammenarbeit des Westens fördern, die Initiative ergreifen.

Ich habe immer wieder darauf gedrungen, daß die Nationen, die von den Vereinigten Staaten wirtschaftliche Unterstützung erhielten, einen weit größeren Anteil der Lasten zur Hilfe der unterentwickelten Länder übernehmen sollten.

Die umfangreiche Aufgabe, große Truppeneinheiten in Übersee zu halten, ist eine schwere Belastung und erhöht Amerikas Defizit in der Zahlungsbilanz. Unsere europäischen Verbündeten sollten jetzt eine größere Verantwortung zur Verteidigung des Westens übernehmen.

Während unser Defizit in der Zahlungsbilanz vielleicht nur ein untergeordnetes Problem ist, so sind es die Liquiditäts-Schwierigkeiten der Handelsstaaten nicht, und der Westen solle sich beeilen, diesen Mangel schnellstens zu beheben.

Eine systematische atlantische Zusammenarbeit würde den Westen mehr als stärken. Ein solches System würde den anderen Gebieten— LateinAmerika z. B. oder Afrika — Wege zeigen, wie man politische Autonomie mit übernationaler Zusammenarbeit kombinieren kann. Auf jeden Fall müssen wir darauf achten, daß die Zentrifugalkräfte, immer am Werk bei geteilten Nationen, uns nicht noch weiter auseinander-treiben. Eins aber steht fest: Gespalten und in Unordnung können wir nicht mit der kommunistischen Herausforderung fertig werden.

Rüstungskontrolle

Eine stärkere Atlantische Gemeinschaft wird vor allen Dingen den Weg zu Frieden und Abrüstung weisen. Die Folgen von Krieg und einem nuklearen „Patt" (stalemate) werden sowohl in Moskau als auch in Washington klar erkannt. Nach Gesprächen mit Herrn Chruschtschow in Rußland und Amerika habe ich das bestimmte Gefühl, daß sich einige der erstarrten kommunistischen Auffassungen wandeln; wenigstens scheinen einzelne kommunistische Führer zu dem Schluß gekommen zu sein, daß die „kapitalistischen“ Länder nicht in jeder Hinsicht dem marxistischen Schema von Elend und Verzweiflung entsprechen. Herr Chruschtschow hat sogar seine Meinung über die allgemeine kommunistische Auffassung geändert, daß die Vereinigten Staaten ihre Rüstungausgaben ohne Auslösung einer Depression nicht kürzen könnten. Ich gestehe, daß ich sehr ungehalten werde, wenn ich höre, wie manche meiner Landsleute weniger Vertrauen zur Elastizität unserer Wirtschaft haben als Herr Chrschtschow, und das besonders in Hinsicht auf so manche ungelöste Aufgabe bei uns, an die wir mit aller Tatkraft herangehen sollten.

Je mehr die Kommunisten von der Wirklichkeit der westlichen Gesellschaft zu sehen bekommen, desto besser für die Wahrheit und umso besser für uns. Da ich um die erschreckende Finsternis, in der die meisten Russen leben müssen, weiß, halte ich eine größtmögliche Erweiterung der Austauschprogramme und kulturellen Kontakte für äußerst günstig. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Vereinigten Staaten die Initiative für eine Zusammenarbeit westlicher und östlicher Arbeitskreise auf-brächten. Das Prinzip des Geophysikalischen Jahres sollte zu einer gemeinsamen internationalen geophysikalischen Kommission ausgebaut werden. Weitere Gebiete wären die Erforschung und Kontrolle der Antarktis, Ozeanographie, wissenschaftliche Untersuchungen auf dem Gebiet der Medizin und Atomenergie, Erforschung des Weltraums und selbst gemeinsames Vorgehen auf bestimmten Gebieten der Wirtschaftshilfe. Eine solche Gemeinschaft von Gelehrten und Technikern könnte auch noch mehr tun, als den Kommunisten über die Wahrheit westlichen Lebens und über die Möglichkeiten einer freien, friedlichen Gesellschaftswelt die Augen zu öffnen. Sie könnte der Vorläufer für eine übernationale Zusammenarbeit und internationale Kontrollorgane sein.

Es ist durchaus. nicht schwierig herauszufinden, warum den Russen der Friede nach der Trostlosigkeit und Zerstörung durch zwei Weltkriege so kostbar ist. Dazu kommt noch, daß sie jetzt viel zu verlieren haben, und sie finden in immer größerem Maße Gefallen an einem guten Leben. Dem Vernehmen nach betragen die sowjetischen Verteidigungslasten ungefähr 25 Prozent des Staatseinkommens, gegenüber 10 Prozent bei uns. Für eine Reduzierung ihrer Verteidigungslasten haben die Russen somit einen weiteren schwerwiegenden Grund: Menschen und Mittel müssen frei werden, um die Lebensbedingungen der seit langem leidenden Russen zu verbessern und das sowjetische Potential für wirtschaftlichen Wettbewerb und den umfassenden Kampf um die Länder, die sich im Ost-West-Konflikt noch nicht entschieden haben, zu stärken.

Ich bin überzeugt, daß wenigstens einige der russischen Führer darauf bedacht sind, den Versuchen und Entwicklungen mit nuklearen Waffen Einhalt zu gebieten, ehe die Gefahr noch unkontrollierbarer wird. Aber ich wünschte, ich könnte in bezug auf eine gleiche Bereitschaft der Sowjetunion zu Inspektion und Kontrolle, mit dem Ziel einer allgemeinen Waffenreduzierung und womöglich totaler Abrüstung, optimistischer sein. Ich vermute, es ist noch ein weiter Weg bis zur Wendung der Sowjetunion von einer abgeschlossenen zu einer offenen Gesellschaft. Immerhin sollten wir Herrn Chruschtschows Abrüstungsvorschläge nicht voreilig und zynisch als unlautere Propaganda abtun. Es geht nicht darum, ob die Kommunisten es aufrichtig, sondern ob sie es ernst meinen.

Die Wurzel der Ost-West-Spannung ist die Angst. Dabei ist es unwesentlich, ob sie vernünftig oder unvernünftig, gerechtfertigt oder nicht gerechtferigt ist. Sie existiert, und den Völkern, besonders den Amerikanern und den Russen ist jahrelang diese Angst voreinander — Verkörperung des Teufels — beigebracht worden. Waffen sind ein Symptom für Angst und Spannungen zwischen den Nationen. Aus diesem Grund — so lautet ein Argument — sei eine Abrüstung vor Behebung der politischen Schwierigkeiten und Wiederherstellung des Vertrauens unmöglich.

Hier erhebe ich Einspruch. Meiner Meinung nach ist das Wettrüsten mit nuklearen Waffen der Massenvernichtung ein neues Element und in sich schon ein Grund zu weiterer Spannung. Selbstverständlich müssen wir, wie ich bereits ausführte, dauernd versuchen unsere Beziehungen durch Austauschprogramme, Verhandlungen, gemeinsame Projekte, Handel und wenn möglich Übereinkommen zu verbessern. Doch wird die Angst nicht verschwinden bevor nicht das Wettrüsten aufhört. Wir müssen an all diese Dinge gleichzeitig herangehen. Wie Mr. Selwyn Lloyd in dem britischen Plan für eine umfassende Abrüstung, der dem Vorschlag von Herrn Chruschtschow vorausging, ausführte: „Wenn wir zu einer politischen Klärung kommen, dann werden die Abrüstungsvereinbarungen leichter; und wenn wir zu einer Abrüstungsvereinbarung kommen, dann wird die politische Klärung er-erleichtert.“

Nachdem, was Herr Chruschtschow zu mir sagte, ist er meiner Auffassung nach der gleichen Ansicht. Und ich schöpfe neuen Mut, da mir von vielen Seiten eine ehrliche Besorgnis der Russen über die politischen und technischen Gefahren und über die Kosten, die der UdSSR entstehen, wenn man das Wettrüsten unbegrenzt fortführt, bewiesen wurde. Darüber hinaus gibt die Abrüstungserklärung der Vereinten Nationen — mirabile dictu, von den Vereinigten Staaten wie von der Sowjetunion anerkannt — zu, daß eine Abrüstung das Vertrauen zwischen den Nationen fördern würde, und erklärt weiter, daß die Abrüstung die wichtigste Frage ist, mit der sich die Welt heute auseinandersetzen muß.

Kurz, es hat den Anschein, als ob die Abrüstungskontrolle wieder an oberster Stelle der Tagesordnung steht, wo sie auch hingehört. Leider haben die Vereinigten Staaten die Führung weder übernommen noch gehalten, wie ich es in der Präsidentschaftswahlkampagne 1956 dringend vorgeschlagen habe. Der kürzliche Vorschlag einer unserer führenden Persönlichkeiten, daß die Vereinigten Staaten unterirdische Atomversuche wieder aufnehmen sollten, gerade als eine erste Unterbrechung in der festgefahrenen Waffenfrage möglich zu sein scheint, hat mich einfach entsetzt. Ich könnte mir kaum bessere Mittel und Wege vorstellen, um den politischen Himmel zu verdunkeln, ein falsches Bild unseres Friedenswillens zu geben und die kommunistische Propaganda zu untermauern, daß sie die Friedensbringer und wir die Kriegshetzer seien. Wir sollten in weit größerem Umfang an die Einstellung unserer Versuche herangehen, so lange noch Verhandlungen auf Vertrauensbasis geführt werden und Rußland eine gleiche Versuchs-Einstellung durchführt. Das rechte Vertrauen bei den Verhandlungen ist entscheidend, weil eine unbegrenzte Einstellung der Versuche schließlich zu einem Versuchsverbot führt und dann eine Inspektion hinfällig wird.

Ob Herr Chruschtschow und seine Genossen im Kreml es wirklich ernst meinen, hängt von der Zustimmung zu zwei Hauptpunkten ab: a) konventionelle und nukleare Abrüstung muß Hand in Hand gehen, damit das Gleichgewicht der Sicherheit zwischen den Nationen nicht gestört wird und b) der Fortschritt in der Rüstung muß überall Gegenstand wirksamer internationaler Kontrolle sein.

Wenn es jemals zu einer allgemeinen und totalen Abrüstung kommen sollte, wird notwendigerweise ein drittes Problem auftauchen: Die Aufstellung einer übernationalen Militärmacht, wie ich es Herrn Chruschtschow eindringlichst vorgeschlagen habe, die dafür zu sorgen hat, daß das bloße Gewicht solcher Mächte wie Rußland und Amerika — oder China — kleinere Nachbarn nicht einschüchtern kann. Zusammenstellung, Kontrolle und Einsatz einer solchen Truppe ergeben eine Menge weiterer Fragen.

Mittlerweile müssen wir während des Abrüstungszeitalters, wie ich schon sagte, die Lücken in unseren Verteidigungskräften schließen, um wenigstens eine Gleichheit der Stärke mit den Russen aufrecht zu erhalten. Und ich glaube, es wäre naiv anzunehmen, daß sie jetzt schon zu Beginn einer positiven Zusammenarbeit in anderer Hinsicht, die nun wirklich eine allgemeine Sicherheit garantieren würde, bereit wären. Die verschwörerische Tradition ist sehr alt und tief verwurzelt im kommunistischen Denken, und wenn sie z. B. vom „friedlichen Wettbewerb“ sprechen, dann vermute ich, daß die meisten Kommunisten unter dieses Motto auch politischen Umsturz, Staatsstreich und sogar Revolution unter kommunistischer Führung stellen.

Trotzdem glaube ich, daß wir der Zeit näher kommen, in der das Wettrüsten mit den Russen aufhört. Einmal stößt auch ein revolutionäres Regime seinen jugendlichen Fanatismus ab, und Risiko und Kosten geben Anlaß zu gewichtigen Überlegungen. Meiner Meinung nach üben sie heute einen echten Einfluß in Moskau aus, und wir sollten alles daran setzen, diese Tendenz zu fördern.

China

Ob allerdings in Peking Kosten und Risiko die entscheidenden Faktoren sind, möchte ich stark bezweifeln. Auf diesem Schauplatz gibt man dem Drude der „fremden Teufel“, gleichgültig ob wahr öder unwahr, die Schuld für die brutale Unterdrückung, die die massive Modernisierung mit sich bringt. Aus dieser Stimmung heraus könnte China begreiflicherweise das Risiko eines Krieges eingehen, der seinen wohlhabenderen kommunistischen Nahbarn mit ins Unglück stürzen würde. Heute kann Moskau vielleicht noch einer chinesischen Angriffsneigung durch Kontrolle über die Militärhilfe Einhalt gebieten. Aber im Laufe der weiteren Entwicklung Chinas wird dieser Einfluß dahinschwinden. Hat Rußland deshalb jetzt, solange sein Einfluß noch beträchtlich ist, Interesse an der Einrichtung irgend einer Form von Kontrolle? Wir wissen es nicht, aber wir müssen versuchen, es herauszufinden. Und wenn wir in der Abrüstung bedeutende Fortschritte mähen, wird Rußland die Verantwortung für China zu tragen haben.

Während gegenwärtig wenig Aussihten für. vernünftige Verhandlungen mit Rot-China bestehen, so ist auh bei den Asiaten offensihtlih Mißtrauen und Ernühterung zu verspüren auf Grund der imperialistishen Angriffe Chinas auf seine Nahbarn und seiner Mißahtung der „Fünf Grundsätze der Koexistenz". Einen Lichtblick sehe ih in der Tatsache, daß Herr Chrushtshow Peking als Resonanzboden benutzte, als er die Kommunisten vor Gewaltanwendung gegen den Kapitalismus warnte. Ih sehe einen weiteren Hoffnungsshimmer in seinem — von Peking ignorierten — Vorshlag für eine atomwaffenfreie Zone im Fernen Osten. Und sogar in dieser späten Stunde shlage ih vor, daß wir gemeinsam mit ihm die Möglichkeiten einer Befriedigung dieses Gebietes im weitestmöglichen Sinne, einschließlich Formosas, auf dem Verhandlungswege und nicht mit Gewalt erörtern.

Ans kommunistischer Seite würden die Konzessionen einschließen: Die Miteinbeziehung Chinas in ein System internationaler Abrüstungskontrolle, Beendigung aller Gewalt-und Vernichtungsandrohungen gegen Formosa und Indochina, ein friedliches Grenzabkommen mit Indien, freie Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen in Korea und die Einräumung des Selbstbestimmungsrechts durch Volksentscheid für die Einwohner von Korea, ebenfalls unter Aufsicht der Vereinten Nationen. Auf unserer Seite würden die Konzessionen vornehmlich einschließen: Die Beendigung des amerikanischen Widerstands gegen die Aufnahme Chinas in die Vereinten Nationen (nicht zu verwechseln mit der diplomatischen Anerkennung), die Räumung von Quemoy und Matsu und die Einbeziehung Koreas und Japans in die atomwaffenfreie Zone und das Gebiet kontrollierter Abrüstung.

Vielleicht sind weder die Russen noch wir selbst für ein derartig konkretes Gespräch vorbereitet. Dennoch ist es klar, daß eine allgemeine Abrüstungskontrolle völlig wertlos ist, wenn sie nicht China mit einbezieht und es ist schwer zu verstehen, wie China, ohne formal Mitglied der internationalen Gesellschaft zu sein, eine internationale Kontrolle anerkennen kann. Darüber hinaus würde das kommunistische China, mit einem Viertel der Gesamtbevölkerung der Erde, als Mitglied der Vereinten Nationen der Weltmeinung weit mehr verantwortlich sein . als ein ausgestoßenes Land.

Auf die Dauer wird der Grad, bis zu dem Rußland gewillt und imstande ist, Chinas imperialistische Pläne in Schach zu halten, ein Haupt-faktor für den Weltfrieden bedeuten. Und es ist seht wahrscheinlich, daß Moskau in seiner Diplomatie wie auch in seiner internen Entwicklung den Punkt erreicht, wo Herrn Chruschtschows friedliche Koexistenz mit dem Westen zu positiver Zusammenarbeit führen muß. Das russische Tor zum Westen muß weiter aufgestoßen — oder wieder zugeschlagen werden.

Europa und der Nahe Osten

Da, wo in der Welt Interesse und Sicherheit der Großmächte zusammenfallen, entstehen die Spannungsgebiete, wo nur konzentrierte Verhandlung einen Erfolg garantieren kann. Ich bin nicht der Ansicht, daß örtliche Militäraufgebote gegen die Kommunisten immer d i e Antwort sind. Wenn wir militärische Klienten suchen, dann versteht Rußland dieses Spiel auch zu spielen und zwar weit zynischer. Darüber hinaus ist es in keiner Weise durch Bindungen an ehemalige koloniale Lehnsherren gehindert. Ich behaupte nicht, daß gefährdete Länder ohne Schutz gelassen werden sollten. Die Eisenhower-Doktrin ist kaum mehr als eine neue Formulierung unserer Verpflichtungen in der Charta der Vereinten Nationen und der Truman-Doktrin, d. h. Hilfeleistung für das Opfer eines direkten Angriffs. Wenn die Sowjets direkt im Iran eindringen würden — obgleich das unwahrscheinlich ist — wäre eine amerikanische Intervention unvermeidbar. Und gerade darum i s t es unwahrscheinlich. Aber der Iran ist auf Grund seiner militärischen Verbindungen mit Pakistan nicht mehr sicher, und das Schicksal des Irak zeigt, wie leiht eine unliebsame Verbindung zur Unterminierung eines pro-westlichen Regimes ausgenutzt werden kann.

Ich glaube vielmehr, daß wir uns in den Gebieten, wo Großmacht-Interessen kollidieren wie im Nahen Osten, um Abrüstung und Auflockerung, um politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit kümmern müssen. Ein wenig Zeit haben wir noch, denn Atomwaffen sind vorläufig noch im Besitz von nur drei Mähten. In zehn Jahren — wer weiß wie viele Diktatoren dann die Atombombe haben mögen — ist es niht nur zum Shaden unserer eigenen, sondern auh genau so zum Shaden von Rußlands Sicherheit. Vielleicht gilt es hier noch einen weiteren Punkt gemeinsamen Interesses zu finden. Wir könnten die Möglihkeit einer atomwaffenfreien Zone für den Nahen Osten prüfen. Wir könnten auh einen früheren Vorshlag wieder aufnehmen: das Verbot von Waffenlieferungen in den Nahen Osten, ein Plan, dem die Russen sehr beipflichteten.

Weder Rußland noh die Westmähte haben viel bei ihrer kürzlihen Interventionspolitik im Nahen Osten gewonnen. Ih shlage vor, wir versuchen es jetzt einmal mit einer organisierten Nicht-Intervention. Manhe internationale Probleme werden niemals gelöst; sie nutzen sih einfah ab. Und auh der arabish-israelishe Konflikt nutzt sih vielleicht ab, ehe er sih richtig auswirkt. Aber in der Zwishenzeit sollten die Vereinigten Staaten und Rußland alle Mitglieder der Vereinten Nationen immer wieder dazu aufrufen, ihren ganzen Einfluß zur Versöhnung der arabischen Staaten mit Israel und zur Beendigung dieser langwierigen und nutzlosen Feindschaft geltend zu mähen.

In der unmittelbaren Zukunft jedoch liegt der kritische Spannungspunkt in Europa und Deutschland. Hier stehen wir an einem gefährlihcn toten Punkt, von dem weder die eine noch die andere Seite ohne schwerwiegende Gefahr loskommen kann. Auf unserer Seite steht an erster Stelle die Furht, daß jeder Rückzug entweder aus der exponierten Enklave West-Berlin oder aus WestdeutshTand ein Beweis für den ersten Schritt einer generellen Aufgabe von „Machtstellungen" in Europa bedeutet. Am Ende eines solhen Verfahrens wäre der Kontinent von amerikanishen Streitkräften entblößt und die Verteidigung gegen ein russishes Vordringen zum Kanal unterminiert.

Aber die Sowjets hegen ähnliche Befürhtungen. Der Abzug ihrer Truppen nah Rußland würde nah ihrer Ansiht die unsiheren kommunistischen, Rußland freundlich gesonnenen Regierungen gefährden und zu einer Wiedererhebung eines mähtigen und denkbar feindlichen Deutschlands führen. Nahdem Rußland zwei vernihtende Invasionen in einer Generation erduldet hat, sollte für uns eine tiefverankerte Furht vor einem wiederbewaffneten Deutschland niht schwer zu verstehen sein.

Für Rußland ist die Gefahr wahrsheinlih größer als für uns. Auh nah 15 Jahren Kommunismus stehen Ost-Deutschland und Ost-Europa den Russen wahrsheinlih immer noh feindlih gegenüber. Bei uns hat der Kommunismus stetig an Boden verloren. Ein Europa, das sein Schicksal frei wählen könnte, würde kein kommunistisches sein und wäre womöglih sehr anti-russisch. Aus diesem Grunde glaube ih, daß wir im Westen den besseren Stand haben.

Ih stimme mit Dr. Adenauer überein, daß der Schlüssel zu einem Übereinkommen im geteilten Europa bei einer kontrollierten allgemeinen Abrüstung liegt. Die einzig befriedigende Lösung für das geteilte Berlin ist die Wiedervereinigung des geteilten Deutshlands. Der Weg zur Wiedervereinigung erfordert eine Reduzierung der Angst in Rußland und im Westen. Und die Angst wird nur weihen, wenn sih ein Fortshritt in bezug auf eine angemessene Abrüstungskontrolle verzeihnen läßt. Ih fürhte, daß wir bis dahin niht mehr als provisorishe Abmahungen oder einen Aufshub der Probleme des geteilten Europa erreihen werden.

Im Hinblick auf baldige Gipfelkonferenzen wäre es meiner Ansiht nah unrihtig und nutzlos, jetzt über die Vorschläge für eine atomwaffenfreie Zone in Westeuropa, über Verminderung von Berliner Garnisonen und Besatzungstruppen, über Siherheitsgarantien und übe weitere Einzelheiten möglicher Zwischenläsungen zu sprechen.

Mehr Zielbewußtsein

Bei all diesen entscheidenden Fragen der internationalen Politik — ob es sich um ein allgemeines Investitionsprogramm für die Entwicklungsländer, oder um Mittel und Wege für eine engere Verbindung mit Europa, oder um Einrichtung von Interessengemeinschaften zur Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, oder um die ausdauernden zähen Bemühungen um die kontrollierte Abrüstung handelt — besteht die vordringlichste Aufgabe für den Westen in der Wiedererlangung der Initiative. Eine unentwegt defensive Haltung kann keinen Gewinn bringen. Auf keinen Fall sollte sich der Westen, der in erster Linie als der Verfechter brüderlich-menschlicher Beziehungen seit Beginn des modernen Zeitalters gilt, die Initiative aus den Händen gleiten lassen.

Heute, das müssen wir klar erkennen, besitzen wir diese Initiative nicht. Jetzt, da die Sowjetunion uns militärisch eingeholt hat, ruft sie zu Abrüstung und friedlichem Wettbewerb auf; und jetzt strebt die Sowjetunion, mächtig und voll Selbstvertrauen, nach der Führung in den Bemühungen um den Frieden. Herr Chruschtschow ist der Herausforderer — vom äußersten Weltraum bis zum innersten Berlin. Wir lassen uns von seiner Politik beeindrucken und führen den Dialog der Welt in seiner Sprache. Zwischen all den hastigen Improvisationen und plötzlichen Entscheidungen scheinen wir im höchsten Grade unseren eigentlichen Sinn für die Richtung verloren zu haben.

Daran tragen wir selbst die Schuld. Die Wahrheit ist, daß Nationen draußen in der Welt kein Zielbewußtsein beweisen können, wenn sie es zu Hause verloren haben. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen unserer innenpolitischen Führung und der Wirksamkeit amerikanischen Einflusses auf den größten Teil der Welt. Präsident Wilson gab dem internationalen Denken eine grundlegend neue Richtung, weil er ein Pionier der neuen Freiheit im Lande war. Präsident Franklin Roosevelt’s umfassendes Prestige als eine liberale Macht in der Welt war tief im New Deal verwurzelt, und diese Tradition wurde von Präsident Truman in solch großartigen Wagnissen wie dem Marshall-Plan und dem Vier-Punkte-Programm fortgesetzt. Heute ist ein solcher Zusammenhang nicht weniger lebenswichtig. Solange wir aber nicht in schöpferischem Voranstreben an unsere eigenen Probleme herangehen, besteht für uns wenig Hoffnung auf Wiedererlangung einer dynamischen Führung in der Welt. Durch unser Versäumnis und sein eigenes zielbewußtes Vorhaben ist Herr Chruschtschow nun in der Lage, weiterhin den Ton im Welt-Dialog anzugeben.

Gegenwärtig sehe ich wenig Anzeichen für ein positives Herangehen an unsere Probleme. In der radikalsten und revolutionärsten Epoche der menschlichen Geschichte sind die vordringlichsten Belange unserer Führung fast ausschließlich defensiver Natur gewesen. Wir als das großartigst mit allem ausgestattete Volk, das die Menschheit jemals gesehen hat, haben uns durch die positiven Möglichkeiten, die uns von Natur aus zum Aufbau der Nationen und der Welt gegeben worden sind, weder drängen noch anspornen lassen. Im Gegenteil, unsere Außenpolitik war von der Angst vor dem Kommunismus, unsere Innenpolitik von der Angst vor der Inflation beherrscht. Wirtschaftliche Hilfsprogramme wurden dem amerikanischen Volk in erster Linie als ein Aufhalten des Kommunismus „verkauft", niemals als unser eigener schöpferischer Anteil beim Ausbau unserer technologischen Revolution für die übrige Menschheit. Der Ansporn zu unserer Erforschung des Sonnensystems war nicht unser rastloser Wunsch, die Grenzen menschlichen Wissens zu erweitern. Es war die Erbitterung mit ansehen zu müssen, daß die Russen den Mond zuerst erreichten. Unser Interesse an größeren Leistungen in Forschung und Bildung flammte nicht auf, weil wir jedem freien Bürger die Entfaltung und Ausnutzung seiner angeborenen Fähigkeiten und Talente bis zum letzten wünschten, sondern weil aus den Reihen der Russen mehr Wissenschaftler und Techniker hervorgehen, als aus denen des Westens.

Auch da wo wir uns der sowjetischen Herausforderung stellen — und das tun wir meiner Ansicht nach auf dem Gebiet der Verteidigung, der Wissenschaft und Bildung — reicht unser Verstehen der Notwendigkeit unserer Anstrengungen noch nicht aus, um unsere quälende Angst vor einem Bankrott zu überwinden — trotz einem Brutto-Nationalprodukt von beinahe 500 Milliarden Dollar und einem Durchschnittseinkommen pro Kopf der Bevölkerung, das fast doppelt so hoch ist wie in jedem anderen Lande —.

Wie können wir uns anders die Tatsache erklären, daß wir uns mit einem mehr als doppelten Nationaleinkommen als dem der Sowjetunion, von den Russen in bezug auf Waffen, Raumforschung und dementsprechenden Aufwendungen für Erziehung haben überflügeln lassen? Wie ist weiter zu verstehen, warum unsere Führer ihre dringendste Aufgabe nicht in der Aufklärung über die Realitäten unserer Welt und die Pflichten und Möglichkeiten, die vor einer großen und zuversichtlichen Nation liegen, sehen, sondern in einer steten Warnung vor all den tückischen Wegen, auf denen wir in „Selbstverausgabung" der Armut zusteuern?

Die Zeit ist gekommen, um dieser unnatürlichen Ängstlichkeit ein Ende zu machen. Es gibt andere Wege, einen „gesunden Dollar“ zu sichern als durch Beschneidung unseres nationalen Wachstums, oder — viel schlimmer — durch Beschneidung unserer Erwartungen und unseres Vertrauens auf die hochgesteckten Ziele unserer eigenen Gesellschaft. Wir wollen unsere so wesentliche Sicherheit, unseren Bildungsstandard und unsere nationalen Anliegen nicht an dem „was wir aufbringen können“ messen. Das ist eine unbewegliche, starre Auffassung. Was wir mit einem Volkseinkommen von 250 Milliarden Dollar leisten könnten, entspricht nicht unserer heutigen Kapazität, die nahezu doppelt so groß ist. Ebensowenig ist das gegenwärtige Nationaleinkommen ein Maßstab dafür, was wir leisten könnten, wenn unsere Zuwachsrate zielbewußt vergrößert worden wäre.

Wir wollen uns lieber über das Notwendigste im Klaren sein: Die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der Stärke in bezug auf Raketen und Soldaten, bis wir wirklich eine kontrollierte Abrüstung haben, eine Verdoppelung unserer Aufwendungen für Erziehung, ausgedehntere Forschung, über die Notwendigkeit anständiger und harmonischer Städte, wo Rassentrennung und Kriminalität einer gesunden Erneuerung weichen; über die Erhaltung und den Schutz unserer nationalen Hilfsquellen, vor allem des Wassers, der grundlegendsten.

All diese notwendigen Aufgaben, national wie international und auf militärischem Gebiet sind mit größeren Kosten verbunden, wenigstens solange noch kein Fortschritt in der Abrüstung zu verzeichnen ist. Aber das Staatsbudget niedrig zu halten ist nicht so wichtig, wie unseren Kopf oben zu behalten. Es ist erwähnenswert, daß ernsthafte Männer vor dem Koreakrieg feierlich erklärten, daß beim Anstieg des Militär-, budgets über 15 Milliarden Dollar die Demokratie und der amerikanische Lebensstil dem Untergang geweiht seien. Dann brach der Krieg aus. Das militärische Budget wurde verdreifacht. Und jetzt wird wieder einmal der gegenwärtige Stand der Ausgaben mit dem gleichen ideologischen Eifer verteidigt.

Ich glaube, unsere Nöten könnten durch höhere Steuersätze auf Grund unseres wirtschaftlichen Wachstums behoben werden.

Und ich bin davon überzeugt, wenn unsere Führung die Notwendigkeit der Aufgaben mit aller Klarheit und Überzeugungskraft darlegt, werden wir im Bewußtsein unserer nationalen Pflichterfüllung die nötigen Maßnahmen billigen, ungeachtet der Opfer wie: höhere Steuern in den Jahren, in denen die private Wirtschaft auf vollen Touren läuft, Haushaltsdefizit in Zeiten der Flaute, Einschränkungen bei Löhnen und Profiten, um die Inflationsgefahr abzuschwächen, Verlagerung des Schwerpunktes von Einzel-auf Gesamtinteressen. Zum Lohn wird man dann wieder die Amerikaner als Wegbereiter aller menschlichen Beziehungen ansehen, und die Menschheit wird den Ruf der Freiheit wieder vernehmen. Denn dies ist wahrhaft die Crux. Ein Konservativismus ohne Abenteuergeist kann sich nicht so lange halten wie die schöpferische Vorstellung von der Freiheit. Ich bange um unsere Zukunft — und die Zukunft der Welt — wenn Wachstum, Vorstoß, Initiative und die unermeßlichen neuen Grenzen der Wissenschaft allein das Vorrecht kommunistischer Schulung und Richtung sein sollen — wenn „der Schuß, der über die ganze Welt ertönte“ durch den Schuß auf den Mond zum Schweigen gebracht worden ist.

Freiheit ist kein Ideal, sie ist nicht einmal ein Schutz, wenn sie nur noch als Freiheit zum Stillstand, zum Leben ohne Träume, zu keinem höheren Ziel als einem zweiten Wagen und einem neuen Fernsehgerät gebraucht wird — und das in einer Welt, in der die Hälfte unserer Mitmenschen nicht genug zu essen hat. Heute lehren uns keine schönen Reden sondern nüchterne Tatsachen, daß unsere gegenwärtige Kombination von Selbstgefälligkeit und Besorgnis, von kleinen Zielen und großen Ängsten in sich den Keim der Zerstörung trägt. Zunächst für unsere eigene Gemeinschaft und dann, wo Wissenschaft und Technik die Nationen unvermeidlich miteinander verbinden, wird hoffentlich die Freiheit und nicht die Tyrannei der leitende Grundsatz der menschlichen Gesellschaft sein.

Ich höre an der Stelle auf, an der ich begonnen habe. Meiner Meinung nach sind die Vereinigten Staaten für ein neues Erwachen und dem Streben nach höheren Zielen bereit: darin liegen die moralischen und materiellen Elemente einer neuen Politik. Die Aufgabe unserer Führung ist es, unseren Willen zu lenken und den Weg zu weisen. Wir sollten lieber bald anfangen, denn die Zeit vergeht.

Fussnoten

Weitere Inhalte