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Die Bilanz der Abrüstungsverhandlungen | APuZ 27/1962 | bpb.de

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APuZ 27/1962 Die Bilanz der Abrüstungsverhandlungen

Die Bilanz der Abrüstungsverhandlungen

John J. Mccloy

Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber dem Märzheft der FOREIGN AFFAIRS entnommen.

Im Zeitalter der „letzten Waffen "

Seit es Menschen gibt, ist ihre Sehnsucht nach Frieden überschattet gewesen von ihrem instinktiven Drang nach Eroberung und Verteidigung. Genauso lange hat wahrscheinlich das menschliche Denken immer wieder um das Problem der Abrüstung als ein erfolgversprechendes Mittel zur Wahrung des Friedens gekreist. Unter Abrüstung verstand man dabei entweder die Vernichtung und Ausschaltung von Waffen, oder aber ihre Verwendung für friedliche Zwecke. Heute nähern wir uns dem Zeitalter der „letzten Waffen", ja, unter Umständen befinden wir uns schon mitten drin. Mit anderen Worten leben wir heute in einer Zeit, in der das Zerstörungspotential der Waffen so gewaltig geworden ist, daß dadurch das Ende der Menschheit selber herbeigeführt werden kann. Wenn darauf hingewiesen wird, daß dieses Zerstörungspotential in der Zukunft sogar noch größer werden dürfte, und daß daher von einem Endstadium dieser Entwicklung gar keine Rede sein könne, dann dürfen wir demgegenüber ruhig die Feststellung wiederholen, daß eben schon heute die Möglichkeiten der Zerstörung so ungeheuer groß sind, daß die direkten und indirekten Folgen des Einsatzes solcher Vernichtungswaffen gar nicht im voraus zu berechnen sind, auf jeden Fall aber völlig außerhalb aller Vergleichsmaßstäbe im Verhältnis zu früheren Zeiten liegen.

Wenn wir keine tragbare Alternative zu der Methode finden können, wonach internationale Streitfragen durch Kriege oder Kriegsdrohungen ausgetragen werden, dann wird es höchstwahrscheinlich nur eine Frage der Zeit sein, bevor die Welt sich in einen apokalyptischen Konflikt gestürzt sieht, von dem sie sich erst nach Jahrzehnten, wenn nicht vielleicht erst nach Jahrhunderten erholen würde. Möglicherweise kann der Menschheit durch die weitere Aufrechterhaltung eines Gleichgewichtes fürchterlicher Abschreckungswaffen eine solche Katastrophe ad infinitum erspart bleiben. Es gibt Fälle in der Geschichte, wo sich ein Wettrüsten schließlich doch noch irgendwie „im Sande verlief". In den meisten Fällen haben jedoch Kriege am Ende eines solchen Wettrüstens gestanden. Wie man auch immer die Möglichkeiten in dieser Hinsicht einschätzen mag: die heutige Situation macht es auf jeden Fall erforderlich, daß sich die Menschheit der absoluten Notwendigkeit bewußt wird, den Krieg als ein vertretbares Mittel zur Lösung internationaler Dispute auszuschalten.

In der Diskussion um die Möglichkeiten und Wege zur Ausschaltung des Krieges steht der Vorschlag einer allseitigen Abrüstung heute wieder an erster Stelle und ist eigentlich immer noch als derjenige anzusehen, der am ernsthaftesten zur Sicherung des Friedens propagiert wird.

Ist die Abrüstung ein Anreiz zum Frieden?

Es gibt Leute die behaupten, daß die Abrüstung mehr sei als nur ein Hilfsmittel zur Ausschaltung des Krieges. Dieser Auffassung zufolge kommt die Abrüstung vielmehr dem Frieden an sich gleich. Mir scheint es jedoch realistischer zu sein, wenn man in der Abrüstung gleichzeitig einen Anreiz zum Frieden sieht. Schließlich weist die Geschichte eine Fülle von Beispielen dafür auf, daß die Abrüstung oder aber das Vorhandensein eines militärischen Übergewichtes mehr zur Herbeiführung von Kriegen als zu ihrer Verhinderung beitragen können. Solange der Mensch die Fähigkeit besitzt, Pflüge in Schwerter zu verwandeln, ja, solange er überhaupt über seine derzeitigen Instinkte sowie seine physischen, geistigen und moralischen Merkmale verfügt, solange wird auch die Versuchung bestehen bleiben, bei internationalen Disputen Gewalt anzuwenden. Diese Versuchung wird sich erst dann abschwächen lassen, wenn man zu vernünftigen und zuverlässigen Mitteln der Beilegung solcher Konflikte auf anderem als auf kriegerischem Wege findet. Der Krieg als solcher ist das eigentliche Problem. Daher muß man sich auch ständig das Verhältnis von Abrüstung zu Abschaffung des Krieges überhaupt vor Augen führen, wenn man dem Problem der Abrüstung selber zu Leibe rücken will. Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir die derzeit bestehenden Aussichten auf eine Abrüstung einschätzen. Heute tritt die uralte Sehnsucht nach Frieden in ihrer Beziehung zur Abrüstung am deutlichsten in dem Versuch zutage, die Grundlage für ein sowjetisch-amerikanisches Abkommen zu finden, durch das sich die bestehenden Spannungen und vor allem das Wettrüsten zwischen ihnen mildern und — so hofft man — eines Tages ganz beseitigen lassen würden. Es ist von lebenswichtigem Interesse für beide Staaten und ihre Völker, ja, im Grunde für alle Völker der Welt, daß auf diesem Gebiet Fortschritte erzielt werden. Es hat dabei schon viele Kämpfe für die beste Ausgangsposition gegeben; man hat schlecht durchdachte und ungenügend vorbereitete Vorschläge eingebracht, und schließlich haben sich die Verhandlungspartner häufig von Propagandaerwägungen und nicht so sehr von der Absicht leiten lassen, wirklich ernsthaft abzurüsten. Andererseits ist auch das Ausmaß an echten Anstrengungen und Überlegungen durchaus beeindruckend gewesen. Dadurch ist zumindest ein wachsendes Verständnis für die Größenordnung und für die Komplexität der gegebenen Schwierigkeiten herbeigeführt worden.

Leider bleibt bis heute die Tatsache bestehen, daß bisher keinerlei nennenswerte Fortschritt« in Richtung auf eine tatsächliche Abrüstung erzielt worden sind. Ich möchte hier nicht den Versuch unternehmen, den Ablauf der amerkanisch-sowjetischen — oder auch auf ander« Staaten erweiterten — Konferenzen, Besprechung gen und Verhandlungen über Abrüstungs-und Überwachungssysteme seit Kriegsende aufzuführen geschweige denn zusammenzufassen. Da jetzt aber eine neue Runde der Verhandlungen beginnt, dürfte es vielleicht ganz nützlich sein, wenigstens einige der bisher zutage getretenen positiven und negativen Faktoren zu analysieren und danach zu beurteilen versuchen, ob in absehbarer Zukunft echte Chancen für konstruktive Maßnahmen bestehen.

Rückschlag durch Wiederaufnahme der sowjetischen Atomversuche

Zweifellos müssen wir zunächst eine ganze Reihe von Faktoren, die sich während des vergangenen und zu Beginn dieses Jahres ergeben haben, als eindeutig negativ bezeichnen. Sie stehen zum größten Teil im Zusammenhang mit den Verhandlungen über einen atomaren Versuchsstopp. Sicherlich wurde der entmutigendste Rückschlag s. Z. dadurch verursacht, daß die Sowjetunion ganz plötzlich ihre Versuchsreihen mit Atom-und Wasserstoffbomben in größtem Umfange genau zu einem Zeitpunkt wieder aufnahm, als sich die Vereinigten Staaten sehr ernsthaft um ein Abkommen bemühten. Die damals in Genf von Präsident Kennedy und Ministerpräsident Macmillan konsequent an den Tag gelegte Entschlossenheit, zu einer annehmbaren Basis für einen Versuchsstopp zu kommen, schuf eine allgemeine Atmosphäre, in der echte Chancen für eine Übereinkunft gegeben zu sein schienen. Vor der Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen im März 1961 war ich der Ansicht, daß die Sowjetunion trotz ihrer geradezu pathologischen Abneigung gegen jede Art von durchgreifendem Inspektionssystem — oder, um es vielleicht besser auszudrücken, bei aller traditionell begründeten Vorliebe für Verheimlichungen und einer grundsätzlich mißtrauischen Einstellung gegenüber unseren Motiven — doch aufrichtig ein Abkommen zu erzielen wünschte, selbst wenn dies ein erhebliches Maß an Kontrolleinrichtungen mit sich gebracht hätte. Mein Glaube wurde ernsthaft erschüttert, als die Sowjetunion die Troika-Konzeption in die Verhandlungen einführte. Damit mußten ja die Inspektionsbestimmungen zwangsläufig einem sowjetischen Veto unterworfen und natürlich zu einer reinen Illusion werden.

Mein Glaube wurde noch stärker angeschlagen, als der amerikanische Chefdelegierte, Mr. Arthur Dean, der im Laufe des Sommers eine Reihe von sehr genauen und gut durchdachten Vorschlägen unterbreitete, den vielen der bislang Sowjets von den vorgebrachten Einwände gerecht wurde, bei der Gegenseite nur eine Reaktion hervorrief, die einer sofortigen und totalen Ablehnung aller seiner Vorschläge gleichkam. So gut wie völlig zunichte gemacht wurden dann meine Hoffnungen schließlich am 2. September 1961, als die Sowjetunion ihre Atom-versuche wieder aufnahm. In der Retrospektive sieht es so aus, als ob die radikale Kehrtwendung der sowjetischen Einstellung im Verlaufe dieser Verhandlungen herbeigeführt wurde durch das konsequente Beharren der LISA und Großbritanniens auf dem Abschluß eines Vertrages Bekanntlich war die Frage des Versuchsstopps ursprünglich ein Teil der allgemeinen Abrüstungsverhandlungen gewesen. Im Jahre 1958 nahm die Sowjetunion jedoch die Haltung ein, daß die Verhandlungen über einen Versuchsstopp zu trennen wären von denjenigen über eine allgemeine Abrüstung. In ihrem Bemühen um eine möglichst konstruktive Einstellung verfolgten daraufhin die amerikanischen und britischen LInterhändler eine auch später häufiger eingehaltene Linie des Nachgebens gegenüber sowjetischen Forderungen. Getrennte Verhandlungen über einen Versuchsstopp wurden daher auf Dreimächtebasis in der zweiten Hälfte des Jahres 195 8 in Genf ausgenommen. Als diese Konferenz erneut am 21. 3. 1961 zusammentrat, konnte man glauben, daß auf dem Wege zu einer echten Vertragsgrundlage erhebliche Fortschritte gemacht waren.

Verfahrensstreitigkeiten

Vielleicht von noch größerer Bedeutung als die Erfindung der Troika-Idee war dann das Beharren der Sowjets im Spätsommer auf der Forderung, daß nunmehr die Verhandlungen über einen Versuchsstopp wiederum mit allgemeinen Abrüstungsverhandlungen zu koppeln wären. Dem widersetzten sich die amerikanischen und britischen Vertreter mit größter Hartnäckigkeit, und zwar vor allem mit dem Argument, daß eine solche Kehrtwendung in Verfahrensfragen eine Übereinkunft verzögern und darüber hinaus die Verlängerung eines vertraglich noch gar nicht fest vereinbarten Versuchsstopps notwendig machen würde. Danach kam es zur Wiederaufnahme der sowjetischen Versuche. Da die Alliierten nunmehr der Ansicht waren, daß eine weiterhin ablehnende Haltung gegenüber dem von den Sowjets vorgeschlagenen modus procedendi zwecklos sei, wenn man die Verhandlungen über einen Versuchsstopp nicht völlig versanden lassen wollte, stimmten sie bei dem erneuten Zusammentritt der Konferenz am 16. 1. 1962 dem ursprünglichen Verfahrensweg wieder zu. Nun aber schaltete der sowjetische Vertreter in Genf wieder zurück auf die Forderung nach einer getrennten Verhandlung über einen Versuchsstopp. Neu war dabei die schon immer verlangte Ausschaltung von internationalen Inspektions-und Überwachungssystemen. Natürlich war das für den Westen unannehmbar, und so kam es daher zum Zusammenbruch der ganzen Konferenz. Am 22. Februar schließlich gab es nochmals einen sowjetischen Stellungswechsel, der offensichtlich von dem Wunsch nach einer neuen Ausgangsposition diktiert war.

Wenn man die potentiellen Möglichkeiten eines vertraglich vereinbarten Versuchsstopps sowie die symbolischen Auswirkungen eines etwaigen Abkommens in dieser Richtung auf die noch größeren Probleme in Erwägung zieht, dann wird einem deutlich, daß dieser Fehlschlag von Genf einen ernsten Rüdeschritt in der Sache der Abrüstung überhaupt darstellte.

Für ein gewisses Maß an Stellungswechseln bei Verhandlungen kann man immer Verständnis aufbringen. Es war ja auch keineswegs die Sowjetunion alleine, die solche Wechsel vornahm. In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel immer wieder darauf hingewiesen worden, daß die westlichen Delegierten im Jahre 1960 ihre ursprüngliche Einstellung zur Frage der Überwachungsmaßnahmen revidierten. Der Grund war natürlich darin zu suchen, daß die in Nevada im Jahre 1959 durchgeführten unterirdischen Versuche — ganz im Gegensatz zu den in einem Bericht der Fachleute geäußerten Ansichten — eine gewisse „Schwelle“ offenbarten, unterhalb welcher Explosionen ohne das Risiko einer Entdeckung durch die damals zugänglichen Methoden durchgeführt werden konnten.

Man darf die Verhandlungen über einen Versuchsstopp vielleicht nicht ohne weiteres als ein Anzeichen für die Aufrichtigkeit oder Unaufrichtigkeit der sowjetischen Haltung zur Abrüstung im globalen Sinne werten. Die Art und Weise jedoch, in der die Sowjetunion in jenen Verhandlungen ständig ihre Ausgangsposition wechselte, läßt im Hinblick auf künftige Abrüstungsverhandlungen gewisse Zweifel an eine nicht zu leugnende pessimistische Note aufkommen.

Beeinflussung durch negative politische Ereignisse

Wenn wir die Chancen der Herbeiführung konstruktiver Abrüstungsvereinbarungen richtig abwägen wollen, dann müssen wir eine ganze Reihe von weiteren, negativ zu bewertenden Ereignissen — vor allem des Jahres 1961 — beleuchten, und zwar hauptsächlich diejenigen, die damals zu der allgemeinen Erkenntnis führten, daß die öffentliche Meinung in den sogenannten neutralen oder „nicht festgelegten" Staaten im Hinblick auf die Versuchsstoppverhandlungen im Grunde völlig bedeutungslos ist. Ziemlich lange hatte man den Gedanken hochgespielt, das Vorhandensein eines gewissen moralischen Momentes in der öffentlichen Meinung der kleineren Länder könne sich in einem zügelnden Sinne auf die Hauptgegner im Kampf zwischen den Kommunisten und der Freien Welt auswirken. Viele von denen, die sich der Schwierigkeiten aller bilateral geführten Abrüstungsverhandlungen bewußt waren, versprachen sich etwas von einer Hilfestellung der nicht unmittelbar auf der einen oder der anderen Seite festgelegten Staaten. Die ganzen Jahre 1960 und 1961 hindurch entwickelten sich in vielen Teilen der Welt Bewegungen gegen jede Wiederaufnahme nuklearer oder thermonuklearer Versuche (Atom-und Wasserstoffbombenversuche). Dabei wurde oft an hochtönendem Moralin nicht gespart und in erster Linie auf die Vereinigten Staaten von Amerika ein gewisser Drude ausgeübt. Scheinbar muß ein Grund gerade für diese Stoßrichtung darin gesucht werden, daß man ein Gegengewicht gegen die zunehmend kritischen Stimmen innerhalb der USA selber in bezug auf ein nicht überwachtes Versuchsmoratorium schaffen wollte. Als dann aber die Sowjetunion plötzlich ihre Versuche in einem geradezu gigantischen Ausmaß wieder aufnahm und gleichzeitig mit 100 Megatonnen-Bomben drohte, da war die Reaktion der neutralen und nicht festgelegten Länder in Belgrad — in einem gewissen Umfange auch bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen — so sanft, daß sie im Endeffekt völlig bedeutungslos blieb. Die Position der Neutralen als „Beschützer des Weltgewissens" wurde dadurch natürlich sehr geschwächt.

Diese Länder scheinen zu einer recht gedämpften Kritik gegenüber denjenigen zu neigen, die sie fürchten, dagegen zu starken Fanfarenstößen in Richtung auf die Mächte, vor denen sie keine Angst haben. Bestenfalls kann man sagen, daß die Neutralen nicht so sehr die Rolle eines Schiedsrichters auszuüben wünschen als vielmehr die, unterschiedliche Maßnahmen der Groß-mächte gegeneinander aufzurechnen. Auch durch diese Tendenz ist die öffentliche Meinung in den neutralen und nicht festgelegten Staaten als eine wirksame Kraft zugunsten einer Lösung des Abrüstungsproblems entscheidend diskreditiert worden. Ebensowenig war dann der Zwischenfall von Goa von Nutzen für die gute Sache. Die zynische Haltung eines führenden Neutralen in der Frage der Gewaltanwendung und der stillschweigend hingenommene Glaube an die gefährliche Lehre von einer Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Kriegen ließ weitere Zweifel darüber aufkommen, ob die Neutralen tatsächlich eine starke moralisch begründete Stimme würden erheben können, und ob selbst bei einer Bejahung dieser Frage zugunsten der Neutralen eine solche Stimme dann überhaupt viel zählen könne. Vielleicht war es von Anfang an illusorisch anzunehmen, daß die soeben erst unabhängig gewordenen Nationen gewissermaßen „ohne mit der Wimper zu zucken" anders als in ihrem ureigensten Interesse handeln würden, d. h. so, wie sich dieses ihr Interesse ihnen selber in einer wie auch immer kurzsichtigen Weise darzustellen schien. Auf jeden Fall erhielt eine in vielem sehr prätentiöse Einstellung einen schweren Stoß, während einst vorhandene Hoffnungen auf ein Höchstmaß an objektivem Verhalten stark angeschlagen wurden.

Es gibt noch einen weiteren Faktor, der die Aussichten auf eine Abrüstung negativ beeinflussen könnte. Bis dieser Artikel erscheinen wird, können andere Staaten durch die sowjetische Wiederaufnahme von Atomversuchen dazu veranlaßt worden sein, ihrerseits weitere Test-reihen in der Atmosphäre durchzuführen. Was die USA betrifft, so hat eine solche Feststellung von mir allerdings einen völlig hypothetischen Charakter. Bei den neuesten sowjetischen Versuchen ist das Schwergewicht auf die Entwicklung von Antiraketen, auf die Möglichkeit einer verstärkten „Megatonnage“ und auf einige andere Entwicklungsbereiche der Atomtechnik gelegt worden. Die übrigen Atommächte sind durch die Sowjets zweifellos einem sehr viel größeren Druck in Richtung auf eine eigene Wiederaufnahme ihrer Versuche ausgesetzt, als dies in den letzten Jahren der Fall war. Wenn die für März vorgesehene allgemeine Abrüstungskonferenz zur Begleitmusik von Atomversuchen in einem bisher noch nie dagewesenen Ausmaße zusam-mentreten sollte, dann könnte das vielleicht sehr erhebliche Auswirkungen auf die Verhandlungen selber haben. Welcher Art diese Auswirkungen sein würden, läßt sich allerdings im Augenblick nur schwer übersehen. Es gibt auch Leute, die der Ansicht sind, daß eine Wiederaufnahme der Versuche eher eine stimulierende als eine bremsende Wirkung auf die Arbeit der neuen Konferenz haben würde. Wie dem auch sei: keinesfalls kann man zur Zeit von optimistisch stimmenden Aussichten sprechen.

Ein weiterer Faktor, der allerdings in keinem direkten Zusammenhang zu den Verhandlungen über einen Versuchsstopp steht, könnte die Aussichten auf eine Abrüstung unter Umständen ebenfalls beeinträchtigen. Ich denke hierbei vor allem an Berlin. Die Krise dort hat — was hinreichend bekannt ist — die ohnehin bestehenden Spannungen noch erheblich verschärft und zu einer Verschlechterung der gesamten internationalen Lage geführt. Fortschritte auf dem Gebiete der Abrüstung dürften sich kaum erzielen lassen, solange wir uns weiterhin über die Mauer hinweg anstarren. Hier und da hat man die Ansicht vertreten, daß die spezifischen Gefahren der Berlinsituation im Grunde schon nachgelassen haben. Ich selber habe jedoch keine Entwicklung wahrnehmen können, die es erlauben würde, das Vorhandensein solcher Gefahren einfach zu leugnen. Der Bau einer Zementmauer mit Stacheldraht, Panzerfallen, Wachtürmen und Maschinengewehren kann die Lage nicht verbessert haben. Je früher ein derartig katastrophales Symbol der Unterdrückung beseitigt wird, desto besser werden auch die Aussichten auf eine vernünftige Lösung des ganzen Deutschlandproblems sein; und dann wird sich auch die Atmosphäre für fruchtbare Abrüstungsverhandlungen wesentlich verbessern lassen. Solange wir aber keine wirklichen konstruktiven Fortschritte in der Berlinfrage erzielen, können wir — einigermaßen realistisch betrachtet — auch nicht auf entscheidende Fortschritte in der Abrüstungsfrage hoffen. Bei meinen Unterhaltungen mit den sowjetischen Führern im vergangenen Sommer habe ich den eindeutigen Eindruck gewonnen, daß dies auch ihrer Auffassung entspricht.

Die Vorbereitungen zur Genfer Konferenz im März 1962

Bevor wir weitere Faktoren erörtern, die ein genaueres Abwägen der Aussichten auf eine Abrüstung möglich machen, müssen wir beiläufig zunächst den Stand der derzeitigen Verhandlungen umreißen. Der Beginn neuer Verhandlungen über die allgemeine Abrüstung in Genf ist auf den 14. März festgesetzt worden. Vorausgehen sollte nach einem britisch-amerikanischen Vorschlag ein Treffen der Außenminister der beteiligten Staaten: Brasilien, Bulgarien, Burma, Kanada, die Tschechoslowakei, Äthiopien, Frankreich, Indien, Italien, Mexiko, Nigeria, Polen, Rumänien, Schweden, die Vereinigte Arabische Republik, die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien. Die neue Konferenz ist einberufen worden mit dem Ziel, den Versuch zu einer Übereinkunft über folgende Punkte zu machen: a) daß die Abrüstung allgemein und total sein sollte und man den Krieg nicht länger als ein Mittel zur Lösung von internationalen Streitfragen ansehen dürfe; b) daß parallel zu einer solchen Abrüstung zuverlässigere Verfahrens-modi festzulegen sind, nach denen sich Streitfragen in Zukunft auf friedlichem Wege beilegen lassen würden. Schließlich sollten Maßnahmen getroffen werden, die die Aufrechterhaltung des Weltfriedens im Sinne der Grundsätze der UN-Charta gewährleisten würden. Die hier von mir zusammengefaßten Punkte wurden dem Abrüstungsausschuß im Rahmen einer gemeinsamen Erklärung der sowjetischen und amerikanischen Regierungen vom 20. 9. 1961 zugewiesen und durch eine Resolution der General-versammlung der Vereinten Nationen am 20. 12. 1961 gutgeheißen.

Die Einberufung des Abrüstungsausschusses ist das Ergebnis einer Serie von diplomatischen Schritten gewesen, die sich durch das ganze Jahr 1961 hindurchgezogen hatten. Anfang 1961 waren die allgemeinen Abrüstungsverhandlungen bekanntlich zu einem Stillstand gekommen. Die letzten Verhandlungen dieser Art hatten auf der Zehn-Mächte-Abrüstungskonferenz stattgefunden und waren durch die Sowjetunion sehr abrupt im Juni 1960 abgebrochen worden. In halbamtlichen Fühlungnahmen mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko versuchten dann die LISA — vertreten durch Botschafter Adlai Stevenson — Anfang 1961 am Sitze der UN in New York sich mit der Sowjetunion zunächst über das Grundproblem der Zusammensetzung eines neuen Abrüstungsgremiums und sodann über gewisse Prinzipien einig zu werden, die man bei Verfahrensfragen und hinsichtlich der Zielsetzung neuer Abrüstungsverhandlungen anwenden sollte. Diese sowjetisch-amerikanischen Fühlungnahmen führten schließlich zu der Entscheidung, daß im Laufe des Sommers weitere Vorbesprechungen über den gesamten Fragenkomplex stattfinden sollten. In Abständen wurden diese Vorbesprechungen in Washington, Moskau und New York abgehalten. Mr. Sorin vertrat dabei die Sowjetunion, während ich die Ehre hatte, die Vereinigten Staaten von Amerika zu vertreten.

Diese Diskussionen führten schließlich am 20. 9. 1961 zu einer Einigung über bestimmte, von beiden Seiten akzeptierte Grundlagen für Abrüstungsverhandlungen, d. h. zu der soge-nannten „Gemeinsamen Grundsatzerklärung“ („Joint Statement of Agreed Principles"). Hierbei handelte es sich keineswegs um einen fertigen Plan für eine Abrüstung oder um ein Abkommen über bestimmte Maßnahmen. Vielmehr wurde mit dieser Erklärung der ernsthafte Versuch unternommen, das Problem der Abrüstung in einer realistischen Weise anzugehen. Das bedeutete damals einen echten Fortschritt. Beide Seiten erkannten einige grundlegende Prinzipien an, ohne die alle Versuche, zu einer allgemeinen und totalen Abrüstung zu kommen, einfach nicht als realistisch angesehen werden können.

Im Rahmen seiner Vorbereitungen auf die Wiederaufnahme von Verhandlungen ordnete nähme an, daß die gesamte amerikanische Abrüstungspolitik einer genauen Analyse unterzogen werden sollte. Während diese Überprüfung im Gange war, kam es gleichzeitig zu den bereits erwähnten informellen Vorbesprechungen mit der Sowjetunion über die Zusammensetzung und die Zuständigkeiten eines Gremiums für neue Abrüstungsverhandlungen. Die vom Präsidenten angeordnete Überprüfung fand im September 1961 ihren Abschluß und wurde in einem Memorandum zusammengefaßt, das sich „Das Programm der USA für eine allgemeine und totale Abrüstung in einer friedlichen Welt“ nannte. Dieses Memorandum war nicht nur das Resultat der gemeinsamen Anstrengungen aller an der Frage interessierten Regierungsstellen, sondern berücksichtigte darüber hinaus auch die Empfehlungen und Stellungnahmen von mehr als 60 Beratern innerhalb und außerhalb der Regierung sowie die Ansichten einiger unserer Verbündeten. „Das Programm“ wurde den Ver-einten Nationen formal durch den Präsidenten selber unterbreitet und zwar zu Anfang der 16. Vollsitzung der Generalversammlung. Sowohl in den Vereinigten Staaten von Amerika wie auch im Ausland war das Ausmaß der Zustimmung beachtlich. Die Annahme des „Joint Statement of Agreed Principles", das kurz darauf erzielte Übereinkommen über die Einsetzung eines Gremiums für neue Abrüstungsverhandlungen und die Vorlage eines amerikanischen Vorschlages, der in solchen Verhandlungen der Zukunft weiter entwickelt werden könnte — alles dies deutet darauf hin, daß wichtige und notwendige erste Schritte getan worden sind. Mehr als erste Schritte sind sie aber eben nicht. Wenn wir die tatsächlichen Chancen einer allgemeinen Abrüstung richtig abschätzen wollen, dann müssen wir noch tiefer in die Analyse einsteigen und festzustellen suchen, auf welchen Gebieten der Abrüstung die Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion übereinstimmen und wo sie kollidieren.

Die entscheidenden gemeinsamen Interessen

Ich habe bisher einige der entmutigenden Aspekte der Abrüstungsfrage erwähnt und midi dabei besonders auf die kürzlichen Ereignisse bezogen, die wahrscheinlich einer fruchtbaren Diskussion auf der März-Konferenz im Wege stehen werden. Wir sollten uns jedoch nicht auf eine Betrachtung alleine dieser entmutigenden Faktoren beschränken. Es gibt auch eine Reihe von wichtigen Gebieten von gemeinsamen Interessen, die man ebenfalls analysieren und erwähnen sollte. So dürfen wir wohl mit einer gewissen Berechtigung annehmen, daß Volk und Staatsführung sowohl in den Vereinigten Staaten von Amerika wie in der Sowjetunion davon überzeugt sind, daß ein Atomkrieg unter allen Umständen vermieden werden muß. Trotz gelegentlicher „ungeschützter" Äußerungen und Vermutungen auf beiden Seiten stehen der politischen Führung in beiden Ländern genügend Informationen zur Verfügung, die eindeutig beweisen, daß ein „Sieg" in einem ernsten atomaren „Abtausch" äußerst unwahrscheinlich ist.

Das entscheidende gemeinsame Interesse ist also zunächst einmal dadurch gegeben, daß auf beiden Seiten der Wunsch nac einer Beseitigung dieser heute drohenden Vernichtung besteht. Zwar behaupten einige sowjetische Führer auch weiterhin, daß aus einem totalen Atomkrieg der Kapitalismus völlig zerstört, die Sowjetunion hingegen nur angeschlagen hervorgehen würde. Abgesehen von rein ideologischen Argumenten haben die Sowjets versucht, für diese ihre Schlußfolgerung auch rein militärische Beweismittel ins Feld zu führen, indem sie auf solche Faktoren wie etwa die relativ weit auseinander wohnende sowjetische Bevölkerung, die geringere Abhängigkeit von Nachrichtenverbindungen und dergleichen hingewiesen haben. Andere Stellen in der Sowjetunion sind demgegenüber sehr viel realistischer in ihrer Einschätzung der Möglichkeiten einer gegenseitigen Vernichtung gewesen. Wäre die verantwortliche sowjetische Führung wirklich ehrlich gegenüber sich selber und gegenüber dem russischen Volk, dann würde sie zugeben, daß eine Zerstörung von geradezu katastrophalem Ausmaß eher sicher als wahrscheinlich wäre.

Vielleicht, so könnte man argumentieren, deutet der Tenor einiger sowjetischer Voraussagen über die Auswirkungen eines totalen Atomkrieges darauf hin, daß die Sowjetunion die Möglichkeit, eines Tages einen solchen Krieg als Mittel ihrer Politik vom Zaune zu brechen, keineswegs ausschließt. Dabei würde sie sich allein von dem Gedanken leiten lassen, daß eine kommunistische Welt unter Umständen als „Phönix aus der Asche" eines solchen Krieges hervorgehen könnte. Obwohl mein eigener Glaube an die Aufrichtigkeit des sowjetischen Wunsches nach Abrüstung einen schweren Stoß durch die Art und Weise erhielt, in der die Sowjetunion seinerzeit die Verhandlungen über einen atomaren Versuchsstopp führte — und noch mehr natürlich durch die sowjetische Wiederaufnahme dieser Versuche —, teile ich dennoch die eben skizzierte Richtung der „Kremlanalyse“ nicht. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß die entscheidend verantwortlichen sowjetischen Staatsmänner durchaus die Tatsachen so sehen und anerkennen wie sie sind. Ein atomarer „Abtausch“ würde zweifellos den Ruin des sowjetischen Lebensstandards nach sich ziehen, der unter so vielen Schmerzen seit 1917 mühsam hoch-gezüchtet worden ist. Wenn daher die russische Führung gut informiert ist — was meines Erachtens zutrifft —, dann ist sie sich zweifellos darüber im klaren, daß alle Mutmaßungen über die Trage, ob der Kapitalismus oder der Kommunismus eine Atomkatastrophe besser überleben würde, einfach lächerlich sind. Was nach einem solchen Krieg übrig bleiben würde, wäre weder als Kommunismus noch als Kapitalismus wiederzuerkennen. Die wenigen Überlebenden, die es geben würde, müßten erst einmal einen neuen Namen erfinden für die primitive Methode, mit deren Hilfe sie ihren Kampf um einen Neuanfang aufnehmen könnten. Eine weitere Überlegung, die der sowjetischen Führung größte Sorge bereiten muß, dürfte die Vorstellung von einer Sowjetunion sein, die — zu Tode getroffen — ein verhältnismäßig intaktes China mit einer Bevölkerung von 700 Millionen Menschen zum Nachbarn hätte.

Selbst wenn wir einmal annehmen, daß die Sowjetunion bereit sein würde, ein größeres Kriegsrisiko einzugehen als die Vereinigten Staaten, dann sprechen meiner Überzeugung nach doch viele Tatsachen für die Ansicht, daß die Sowjets einen allgemeinen Atomkrieg unbedingt zu vermeiden suchen — und sei es nur aus rein selbstsüchtigen Motiven heraus. Dabei setze ich allerdings voraus, daß die Sowjets die mit irgendeinem von ihnen in Erwägung gezogenen Schritt verbundenen Risiken übersehen, oder auch eine auftretende Krisensituation unter Kontrolle zu halten vermögen.

Können „Pannen, Fehlkalkulationen, Versagen der Nachrichtenmittel" vermieden werden?

Ein zweiter Bereich des gemeinsamen, auf einem beiderseitigen Wunsch nach Vermeidung eines Atomkrieges beruhenden Interesses muß darin gesehen werden, daß man den Ausbruch eines durch Pannen, Zwischenfälle, Fehlkalkulationen oder auch durch ein Versagen der Nachrichten-mittel verursachten Krieges verhindern möchte. Die Sowjets haben bei ihrer Darlegung dieses Problems manchmal sehr einseitige Propagandamanöver gegen das westliche Verteidigungssystem inszeniert und sich daher auch mit der Möglichkeit eines Versagens oder einer Panne lediglich von Seiten des Westens auseinander-gesetzt. Darüber hinaus haben sie ihre Grund-konzeption diesem ganzen Problem gegenüber in der Öffentlichkeit sehr stark überzogen: daß nämlich alle Maßnahmen, die nicht auf eine vollständige und totale Abrüstung hinauslaufen, letzten Endes nur von einem sehr begrenzten und zeitlich sehr kurz zu bemessenden Wert sind, wenn es darum geht, die der Menschheit drohenden Gefahren abzuwenden. Offensichtlieh ist die Sowjetunion durch diese Denkweise daran gehindert worden, in eine Diskussion über etwaige Sofortmaßnahmen zur Herabminderung der bestehenden Gefahren einzutreten. Schließlich reagieren die Sowjets auch äußerst nervös im Hinblick auf die aus ihrer Sicht durchaus gegebene Möglichkeit, daß Maßnahmen zur Herabminderung der Risiken eines durch Pannen oder Fehlkalkulationen herbeigeführten Kriegsausbruches ernstlich die Geheimhaltung gefährden könnten, mit der sie ihre eigenen militärischen Einrichtungen umgeben und die sie für einen angeblich unverzichtbaren strategischen Vorteil halten.

Und dennoch scheint sich die Erkenntnis auch bei den Sowjets immer mehr durchzusetzen — wie das bei den Vereinigten Staaten schon länger der Fall ist —, daß die Gefahren erheblich erhöht werden durch eine atomare Vorratslagerung und insbesondere auch durch den Aufbau von komplizierten und umfangreichen Träger-Waffensystemen. Beiderseits scheint man sich daher auch der um so größeren Verantwortung der großen Atommächte bewußt zu sein, die bis zur Verabschiedung eines Abrüstungsabkommens alles tun müssen, um die gefährliche Lage entweder durch einseitige Maßnahmen oder aber durch multilaterale Verträge zu entschärfen.

Die revolutionäre Entwicklung der Waffentechnik hat dazu geführt, daß heute Trägerwaffen mit phantastischen Geschwindigkeiten existieren. Einige Raketen, die unter Umständen im Kriegsfall zum Einsatz kommen könnten, haben eine Geschwindigkeit von rund 20 000 km in der Stunde, was einer Flugzeit von nur einer halben Stunde zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten gleichkäme. Bei Raketenangriffen von U-Booten aus wird es so gut wie überhaupt keine Vorwarnungsmöglichkeiten mehr geben. Demgegenüber werden zur Zeit Abwehrsysteme entwickelt, die so schnell in Aktion treten würden,, daß der Formel von einem mög-liehen Kriegsausbruch durch „Pannen, Fehlkalkulationen oder durch ein Versagen der Nachrichtenmittel“ eine ganz neue Bedeutung zukommt. Es ist in der Tat sehr fraglich, ob der menschliche Verstand selbst in Friedenszeiten alle Probleme bewältigen kann, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, diese technischen Wunder unter allen Umständen unter Kontrolle zu halten. Es liegt keinesfalls außerhalb des Bereichs der Möglichkeiten, daß wir uns eines Tages auch ohne Hilfe der Sowjets in die Luft sprengen. Das gleiche gilt umgekehrt natürlich auch für die Sowjets. Es ist somit sehr eindrucksvoll zu sehen, wie dem Wettrüsten die Tendenz innewohnt, eigene Spannungsmomente zu erzeugen. Die Regierung der Vereinigten Staaten ist sich solcher Gefahren durchaus bewußt und verwendet daher sehr viel Zeit, Mühe und Geld auf den Versuch, nach Mitteln und Wegen zur Eindämmung aller dieser Gefahrenherde zu suchen. Man kann nur hoffen, daß die Russen sich in ähnlicher Weise anstrengen werden.

Sorge vor Ausweitung des Atomklubs

Ein weiteres gemeinsames Anliegen der großen Atommächte ist ihr Wunsch, andere Länder daran zu hindern, einen Atomkrieg zu provozieren. Konkret gesprochen kommt dieser Wunsch vor allem in der Sorge der Sowjetunion zum Ausdruck, daß die Bundesrepublik in den Besitz eines eigenen Atompotentials gelangen könnte. Wenn man die heutige internationale Lage objektiv betrachtet, muß man hinzufügen, daß die gleiche sowjetische Sorge auch in bezug auf das kommunistische China bestehen dürfte. Sowohl die Bundesrepublik Deutschland wie China hätten es nämlich anderenfalls in ihrer Macht, die USA und die Sowjetunion in einen Krieg zu verwickeln, und zwar die Bundesrepublik durch das Bündnis mit den USA und Rotchina durch einen Angriff auf eine lebenswichtige amerikanische Interessensphäre. Ein solcher Angriff würde dann ja eine amerikanische Reaktion auslösen, die zumindest — bei dem derzeitigen Stand des sowjetisch-chinesischen Bündnisses — wiederum eine Unterstützung der Sowjetunion für das kommunistische China erforderlich machen müßte. Die Sowjets könnten mit einigem Recht zu dem Schluß kommen, daß sie die Kontrolle über Krieg und Frieden mehr oder weniger aus der Hand geben würden, wenn Westdeutschland, das kommunistische China oder irgendeine andere Macht jemals Atomwaffen erhalten sollten. In einem nur etwas geringeren Ausmaß stellt sich die gleiche Gefahr auch für die USA dar.

Aus den wenigen uns zugänglichen Informationen geht eindeutig hervor, daß das kommunistische China entschlossen ist, eine Atom-macht zu werden. Es gibt ferner starke Anzeichen dafür, daß sich die chinesische Führung nicht durch irgendwelche Verpflichtungen gebunden fühlen wird, die von der Sowjetunion anderen Mächten gegenüber auf dem Gebiete der Abrüstung eingegangen werden könnten. Die wahre Haltung des kommunistischen China mag durchaus ein „Brief mit Sieben Siegeln" sein. Die Auspizien sind aber zur Zeit wirklich nicht günstig für das Vorhandensein eines guten Willens der Rotchinesen gegenüber den Fragen der internationalen Beziehungen. Einmal teilen wohl die rotchinesischen Führer nicht so ohne weiteres die nüchterne Betrachtungsweise vieler sowjetischer Politiker in bezug auf die Auswirkungen eines eventuellen Atomkrieges. Sicherlich wird man jedoch keine weitreichenden Abkommen über die Abrüstung erzielen können, wenn dabei nicht gleichzeitig der Haltung Rot-chinas Rechnung getragen wird. Wenn wir schon die Bereitschaft der Sowjetunion zu schiedsrichterlichen Regelungen von Streitfragen in Frage stellen, an denen sie selber ein Interesse hat, dann müssen wir noch sehr viel größere Vorbehalte gegenüber einer möglichen Bereitschaft Rotchinas in dieser Beziehung machen.

Immer wenn in unseren Vorverhandlungen über einen Versuchsstopp das Thema Rotchina zur Sprache gebracht wurde, pflegten die Sowjets mit der Gegenfrage zu antworten: „Und wie steht es mit Frankreich?“ Die Tatsache, daß Frankreich wahrscheinlich noch einen weiten Weg zurückzulegen hat, bis es eine wirklich ins Gewicht fallende Anzahl von Atombomben herstellen und auch militärisch einsetzen kann, beeinträchtigte solche sowjetischen Fragen in keiner Weise. Man wird jedoch feststellen dürfen, daß Frankreichs ganze Haltung in dieser Frage der Sache der Abrüstung nicht sehr dienlich gewesen ist, wenngleich natürlich seine Aspirationen, sich zu einer Atommacht zu ent-wickeln, andere Auswirkungen mit sich bringt als ähnliche Aspirationen Rotchinas. Frankreichs Haltung hat aber ganz zweifellos zu einer Ausweitung des „Atomklubs" geführt und dadurch die Gefahr vergrößert, daß es eines Tages zu einem leichtfertig unternommenen Einsatz von Atomwaffen kommen kann. Die Atombombe in der Hand Rotchinas hingegen stellt eine noch sehr viel größere Bedrohung dar. Einer solchen Feststellung würde nach meinem Gefühl Moskau selber zustimmen.

In ihrem Interesse an einer Beschränkung des Atomklubs bzw. an einer Verhinderung der Ausweitung auf weitere Länder befinden sich die Sowjets weitgehend mit uns in Übereinstimmung. Die Politik der USA, wie sie ihren Niederschlag in unserer Bundesgesetzgebung gefunden hat, richtet sich auch dagegen, daß Atomwaffen weiter „ins Kraut schießen". Einer der wichtigsten Punkte des bereits zitierten „Programms der Vereinigten Staaten von Amerika" vom 25. 9. 1961 ist die Bestimmung, daß Staaten, die bereits im Besitz von Atomwaffen sind, die Kontrolle über solche Waffen keiner anderen Macht überlassen dürfen, die nicht selber schon über Atomwaffen verfügt. Auch dürfen nach dieser Bestimmung an solche Staaten weder Informationen noch Rohstoffe zur Herstellung von Atomwaffen ausgehändigt werden.

Das gleichgelagerte Interesse sowohl der USA wie der Sowjetunion in dieser Frage sollte man jedoch auch nicht überschätzen. Die geographischen und politischen Relationen zwischen den USA und den anderen Natopaktstaaten auf der einen und der UdSSR und den Warschauerpaktstaaten auf der anderen Seite sind völlig verschiedene. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika deutete kürzlich in seiner Rede in Ottawa an, daß unser besonderes Verhältnis zu unseren Verbündeten durchaus in Betracht gezogen werden müßte, wenn es darum ginge, die Verfügungsgewalt und die politische Kontrolle über Atomwaffen festzulegen, die innerhalb des Gebietes der Natostaaten einsatzbereit sind. In dieser Beziehung wird die Sicherheit zweifellos eher erhöht, wenn die Kontrolle über Atomwaffen bei der NATO liegt, als wenn dies nicht der Fall wäre. Wenn auch der UdSSR ernsthaft daran liegt, daß diese Waffen so gelagert und kontrolliert werden, daß kein Staat außerhalb des heutigen Atomklubs eines Tages die Gefahr eines Krieges heraufbeschwören kann, der die ganze Welt ins Chaos stürzen müßte, dann wird man in der Tat von einer gemeinsamen Interessenlage sprechen dürfen.

Ist eine Umstellung der Wirtschaft auf Friedensaufgaben möglich?

Der vierte Bereich der gemeinsamen Interessen ist wirtschaftlicher Natur. Man sollte eigentlich annehmen, daß es für die Sowjetunion von großem Vorteil wäre, wenn sie frei von der Bürde des Wettrüstens ihr gesamtes Wirtschaftspotential zur Erfüllung ihrer langfristigen Pläne zur Hebung des Lebensstandards ihrer Bevölkerung einsetzen könnte. Nach den sorgfältigsten Schätzungen gibt die Sowjetunion gegenwärtig erheblich mehr als 10°/o ihres Bruttosozialproduktes für Verteidigungszwecke aus.

In den USA reservieren wir etwas weniger als 10°/o unseres Bruttosozialproduktes — das ungefähr zweimal so groß ist als das russische — für die Verteidigung. Darüber hinaus ist in den USA ein sehr viel kleinerer Anteil aller Arbeitnehmer auf eine Beschäftigung im Rahmen der Rüstungsindustrie angewiesen als das in der Sowjetunion der Fall ist. Die Statistiken geben jedoch nur ein unvollkommenes Bild von dem großen Ausmaß, in dem bei uns Kapital, Energiequellen, Forschung und handwerkliches Können direkt oder indirekt in den Dienst der Rüstung gestellt werden. Man kann gar nicht leugnen, daß die geballte Konzentration aller dieser Faktoren einen tiefgreifenden Einfluß auf unser gesamtes Wirtschaftsgefüge hat, und daß es daher gar nicht einfach sein wird, das Potential an Menschen und Material plötzlich auf reine Friedensaufgaben umzustellen. Es wird auf allen Ebenen der Bürokratie sowie von Seiten der Industrie und der Arbeiterschaft ein erhebliches Maß an Vorausplanung nötig sein, wenn wir ausreichende Vorkehrungen für ein kontinuierliches Ansteigen der Nachfrage im volkswirtschaftlichen Gesamtprozeß treffen und die strukturellen Probleme meistern wollen, die sich aus einem Umstellungsprozeß ergeben würden.

In den USA hat man sich bereits sehr ernsthaft in Untersuchungen aller Art mit diesen Problemen einer Umstellung befaßt. Auch bei uns gibt es wie in anderen Staaten sowohl im öffentlichen wie im privaten Sektor viele Bedürfnisse, die sich mit einiger Phantasie und Entschlossenheit in eine Nachfrage im volkswirtschaftlichen Sinne verwandeln lassen, sobald wir einmal der Produktion von Vernichtungswaffen endgültig den Rücken kehren können. Man braucht in diesem Zusammenhang ja nur an die unbefriedigten Bedürfnisse in den Bereichen der Erziehung, der Nutzung von Bodenschätzen, der Modernisierung unserer Städte oder des Verkehrs-und Wohlfahrtswesens zu denken, um zu erkennen, wie ungeheuer groß unser rein wirtschaftlich bedingtes Interesse an einer Abrüstung sein muß. Und dann gibt es ja über diese ungedeckten Bedürfnisse innerhalb der USA hinaus noch den nahezu unbegrenzten Bedarf in den unterentwickelten Ländern der ganzen Welt.

Früher haben die USA stets einen erfolgreichen Wechsel von Mobilmachung zu Demobilisierung schneller und umfassender vorgenommen als irgendein anderes Land von vergleichbarer Größenordnung. Seit dem Rush-Bagehot-Abkommen, das seinerzeit die Entmilitarisiern, g der amerikanisch-kanadischen Grenze initiierte, bis hin zu der Demobilisierung und Abrüstung nach den beiden Weltkriegen, schneiden die USA bei der tatsächlichen Durchführung der Abrüstung im Vergleich zu anderen Ländern jedenfalls sehr günstig ab. Gewiß dürften die Probleme unter den gegenwärtigen Umständen sehr viel komplizierter liegen. Dennoch gibt es keinen Grund für die sowjetischen Behauptungen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika aus Sorge vor möglichen wirtschaftlichen Folgen gar keine echte Abrüstung anstrebten. Wenn man sich von der anti-kapitalistischen Propaganda in dieser Beziehung nicht irremachen läßt, dann erkennt man, daß aufs ganze gesehen beide Seiten, d. h. sowohl die USA wie die UdSSR an den wirtschaftlichen Vorteilen einer Abrüstung ein gemeinsames Interesse haben. Wir können nur hoffen, daß die sowjetischen Führer diesen Punkt ebenso klar sehen wie unsere eigene Regierung das tut.

Die Auseinandersetzung über Inspektion und Überwachung

Genauso wie man von grundsätzlichen Bereichen eines beiderseitigen Interesses sprechen kann, so gibt es auch solche, bei denen die Interessen der beiden Staaten divergieren. Wenn wir realistisch sein wollen, dann müssen wir nunmehr auch die divergierenden Bereiche festhalten, selbst auf die Gefahr hin, daß die meisten von ihnen nur allzu bekannt sind.

Einige Jahre lang ist es schon die erklärte Politik der Vereinigten Staaten von Amerika gewesen, ein entscheidendes militärisches Übergewicht über die Sowjetunion aufrecht zu erhalten. Unsere verantwortlichen Regierungsbeamten haben daher auch keinen Zweifel daran gelassen, daß wir in bezug auf Atomwaffen und die für ihren Einsatz notwendigen Trägerwaffen den Sowjets tatsächlich erheblidi überlegen sind. Seit wenigen Jahren haben die Sowjets allerdings auch ihrerseits eine militärische Überlegenheit für sich in Anspruch genommen. Zum Beweis für solche Ansprüche hat man in Moskau vor allem auf den Vorsprung in der Raketenbeschleunigungstechnik hingewiesen, wie sie sich allein schon in den größeren Satellitenkörpern bemerkbar mache. Auch andere Faktoren sind in der russischen Propaganda hervorgehoben worden. Einleuchtenderweise schafft nun aber eine Situation, in der die beiden mächtigsten Staaten der Welt auf eine Politik der Aufrechterhaltung eines entscheidenden militärischen Übergewichtes festgelegt sind, keineswegs ein günstiges Klima für Verhandlungen über ein weitreichendes Abrüstungsabkommen. Ein zweites grundlegendes Hindernis, das von uns schon erwähnt wurde, ergibt sich aus der sowjetischen Haltung gegenüber dem Problem der Inspektion und Überwachung. Die „Joint Declaration ob Agreed Principles" enthielt u. a. auch eine Erklärung der Übereinstimmung dar-über, daß ein noch auszuhandelndes Überwachungssystem den Vertragspartnern die gewissenhafte Durchführung der im Rahmen eines Abrüstungsabkommens übernommenen Verpflichtungen unbedingt gewährleisten müsse. Die Sowjetunion weigerte sich jedoch, einen nach Ansicht der Vereinigten Staaten von Amerika entscheidenden Bestandteil dieser ganzen Konzeption anzuerkennen, daß nämlich eine Überwachungsorganisation dazu autorisiert sein müsse, die tatsächliche Einhaltung bestimmter, vertraglich vereinbarter Begrenzungen der Heeresstärken und der Rüstung nachzuprüfen. Mit anderen Worten muß eine solche Nachprüfung nicht nur sicherstellen, daß bestimmte Einheiten tatsächlich demobilisiert und genau festgelegte Waffentypen wirklich vernichtet worden sind, sondern daß darüber hinaus auch der vorhandene Rest nicht die vertraglich vereinbarten Begrenzungen übersteigt. Aus diesem Grunde muß also eine Überwachungsorganisation bei der Suche nach eventuellen heimlichen Anlagen das Recht auf völlige Bewegungsfreiheit in allen Ländern eingeräumt werden.

In den Diskussionen über diesen Punkt legten die sowjetischen Delegierten den Standpunkt ihrer Regierung für gewöhnlich in rein semantischen Kategorien dar. Meistens beharrten sie darauf, daß die Sowjetunion nur der Inspektion und Überwachung einer Abrüstung, nicht aber des vorhandenen Waffenpotentials zustimmen könne, und daß daher durch ein Kontrollsystem nur die Demontage von Waffen überwacht werden dürfe. Die Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage gehen natürlich weit über das Semantische hinaus und sind letztlich Ausdruck einer grundsätzlich anderen Auffassung. Das wurde überdeutlich in dem Briefwechsel zwischen Herrn Sorin und mir vom 20. und 21. 9. 1961.

Gefahren der Geheimhaltung

Die USA sind eine freie Gesellschaft und haben daher innerhalb ganz bestimmter, genau festgelegter Grenzen sehr wenig vor einer internationalen Inspektion zu verbergen. Das heißt natürlich nicht, daß die Vereinigten Staaten von Amerika keine wichtigen Anlagen und dergleichen zu bewachen hätten, oder daß es ihnen ein wahres Vergnügen bereiten würde, sich einem komplizierten Inspektionssystem zu unterwerfen. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß den USA ein wirksames Inspektionssystem durchaus tragbar und annehmbar erscheinen würde, — unter der Voraussetzung natürlich, daß das gleiche System auch auf die Sowjetunion angewandt werden würde.

Die Sowjetunion hingegen ist eine geschlossene Gesellschaft. Die von den Sowjets aufgestellte Behauptung, daß die amerikanische Forderung nach Inspektion und Überwachung lediglich eine Tarnung für Spionagezwecke schaffen helfen soll, ist natürlich ausgemachter Unsinn. Nicht leugnen läßt sich jedoch, daß eine internationale Inspektionsbehörde, die sich auf russischem Territorium völlig frei bewegen könnte, der sowjetischen Ansicht von den militärischen und politischen Vorteilen der Geheimhaltung diametral zuwiderlaufen würde. Es muß also zunächst einmal festgestellt werden, bis zu welchem Grad sich die sowjetische Führung davon überzeugen lassen würde, daß eine Geheimhaltung nicht nur keinen militärischen Vorteil darstellt, sondern vielmehr eine echte militärische Gefahr. Schließlich ist doch jede Geheimhaltung eine Brutstätte von Verdächtigungen und von Mißtrauen. Da wir Amerikaner die wahren Tatsachen nicht kennen und nur immer wieder Hinweise über phantastische neue Waffen der Sowjets erhalten, streben wir unsererseits natürlich danach, unsere eigene Aufrüstung mehr denn je zu verstärken, vielleicht in einem Ausmaß, das im Grunde völlig unnötig ist. Die Tendenz geht jedenfalls dahin, furchterregenden Gerüchten Glauben zu schenken und gleichzeitig unsere eigenen Anstrengungen in Richtung auf eine ständige Verbesserung unserer verschiedenen Waffensysteme zu verdoppeln. Kurzum: es würde für beide Seiten sehr viel besser sein, wenn die ganze Geheimhaltung abgebaut bzw. verwässert werden könnte.

Nach Auffassung der sowjetischen Führung stellt eine internationale Inspektionsbehörde vielleicht auch eine Gefahr für die Abkapselung und Geheimhaltung dar, die den ganzen sowjetischen — und auch „russischen" — Lebensstil umgeben. Die Abneigung der Russen gegen ein „Eindringen“ von Ausländern hat eine lange Tradition, — zumindest in bestimmten Teilen des Landes und in bestimmten Gesellschaftsschichten. Diese Tradition geht auf jeden Fall weit vor die Zeit von 1917 zurück. In den letzten Jahren ist diese Abneigung zwar etwas abgebaut worden; dennoch spielt sie auch heute noch eine wichtige Rolle als ein Teilaspekt der ganzen Kontrolle, die von der Kommunistischen Partei über das Volk ausgeübt wird. Weite Bereiche des Regierungsapparates zum Beispiel sind der Masse der sowjetischen Bevölkerung — und eben nicht nur der übrigen Welt — einfach unbekannt. Eine Inspektion von außen könnte daher als eine Gefährdung der grundsätzlichen Kontrollfunktionen der sowjetischen Regierung angesehen werden.

Kommunistische Weltherrschaftsidee als Hypothek

Die amerikanische Grundeinstellung unterscheidet sich weiterhin von der sowjetischen in der Haltung, die von der UdSSR und anderen kommunistischen Ländern in bezug auf die Anwendung von Gewalt, indirekter Aggression und Subversion als Mittel zur Beseitigung freier Gesellschaftsordnungen eingenommen wird. Wir im Westen sind gezwungen worden, Gegenmaßnahmen zur Bekämpfung dieser Formen der Aggression zu ergreifen, die wir aber sehr schnell wieder einstellen würden, wenn keine Bedrohungen mehr vorliegen. Wenn es zu wirklichen Fortschritten auf dem Wege zu einer Abrüstung kommen soll, dann wird man ganz sicherlich auch die sowjetische Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Kriegen fallenlassen müssen. Man kann von uns nicht gut verlangen, daß wir uns unserer Mittel zur Selbstverteidigung entledigen, während die Kommunisten darauf aus sind, bestimmte Formen des Konfliktes aus dem Bereich möglicher internationaler Regelungen auszuklammern. Dasselbe gilt auch für Versuche, von außen mit Waffengewalt Umstürze im Innern einer freien Gesellschaft herbeizuführen. Es ist schwer vorstellbar, daß wir das Ziel einer in Sicherheit lebenden Welt ohne nationale Streitkräfte und Waffen erreichen können, solange eine kommunistische Führung die Vernichtung freier Regierungen zum erklärten Ziel ihrer ganzen Politik macht und solange sie zur Durchsetzung dieses Zieles die Anwendung aller Mittel einschließlich der Gewalt für gerechtfertigt hält.

Des weiteren ist es auch nicht einfach, einer Nation Vertrauen zu schenken, deren Führung hartnäckig die These verficht, daß sich die amerikanische Gesellschaft in einem Auflösungsprozeß befindet, und die darüber hinaus öffentlich erklärt, daß sie alles in ihrer Macht Stehende tun wolle, um einen solchen Auflösungsprozeß zu beschleunigen. Eine solche Haltung entspricht in keiner Weise unserer Konzeption von einer friedlichen Koexistenz. So stärkt z. B. Chruschtschows Rede vom 6. 1. 1961 vor den in Moskau versammelten Parteiführern nicht das Vertrauen derjenigen freien Völker, deren Zusammenbruch der sowjetische Ministerpräsident wiederum als das oberste Ziel der sowjetischen Politik hinstellte, die er aber gleichzeitig dazu aufrief, einer Abrüstung im größtmöglichen Umfange zuzustimmen.

Ausbau der Institutionen zur gerechten Regelung internationaler Streitfragen

Schließlich wäre noch ein letzter Bereich anzuführen, in dem sich die Haltung der UdSSR und in gewissem Umfange auch die der Vereinigten Staaten von Amerika ändern müßte, bevor Abrüstungsverhandlungen in Genf oder anderswo jemals erfolgreich verlaufen können. Die „Joint Declaration of Agreed Principles" vom 20. September 1961 stellte mit aller Deutlichkeit fest, daß Fortschritte in Richtung auf eine allgemeine und totale Abrüstung sehr stark von einer Verbesserung der internationalen „Maschinerie“ zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten überhaupt abhängig seien.

In den vergangenen Jahren ist man bei vielen Abrüstungsverhandlungen von der Annahme ausgegangen, daß ein Inspektionssystem, das eine gewisse Gewähr für die Aufdeckung von etwaigen Vertragsverletzungen bietet, schon ausreichen würde, um die Einhaltung jedes möglichen Vertrages sicherzustellen. Dieser Annahme zufolge würde die einzige Strafe für die Verletzung eines Abrüstungsabkommens in einer Annulierung des ganzen Vertrages bestehen.

Dadurch würde es dann zu einer drohenden Wiederaufnahme des Wettrüstens und vielleicht auch zu der Verurteilung eines solchen Verhaltens durch die öffentliche Meinung der ganzen Welt kommen.

Eine solche Annahme ist vielleicht als gültig anzusehen, wenn es um einige der ersten Schritte auf dem Wege zur Abrüstung geht, und zwar besonders dann, wenn sich der ganze Abrüstungsvorgang — wie in der „Declaration“ vorgeschlagen wird — in verschiedenen Stufen abspielt, denen genau aufeinander abgestimmte, zeitlich begrenzte und garantierte Maßnahmen zugrunde liegen. Im Verlaufe einer Abrüstung wird jedoch zwangsläufig eine „Schwelle'erreicht werden, wo ein Überwachungssystem, das lediglich Verletzungen eines Abkommens aufdecken würde, nicht mehr ausreicht. Wo genau diese Schwelle liegen wird, läßt sich nicht mit Sicherheit voraussagen, solange wir mit Überwachungseinrichtungen noch keine praktischen Erfahrungen gesammelt haben. Einleuchtender-weise würde aber diese Schwelle in nicht allzu-weiter Ferne liegen. Ja, wahrscheinlich wird es so sein, daß in dem Maße, in dem eine Abrüstung verwirklicht wird, auch die Versuchungen für einen potentiellen Vertragsbrüchigen sowie die Risiken für alle diejenigen größer werden, die das Abkommen in gutem Glauben eingehalten haben. Schon einige wenige gut versteckte Megatonnenbomben könnten — um nur ein Beispiel zu nennen — eine sehr ernste Bedrohung für jeden anderen Staat oder jede andere Staatengruppe darstellen, die ihrerseits bereits die eigenen Bomben vernichtet hätten. Unter den Blinden ist bekanntlich der Einäugige König. Man kann nicht erwarten, daß irgendwelche Staaten diese Schwelle der Abrüstung überschreiten, daß sie die Mittel der Verteidigung gegen einen Aggressor aus der Hand geben, ohne daß durch ein wirkungsvolles Kontrollsystem auch der nötige Schutz gegen jedes vertragswidrige Stapeln von Waffen geboten wird.

Wie aber schon früher angedeutet, stellt die Notwendigkeit, ein wirksames Überwachungssystem einzurichten, nur einen der Gründe dafür dar, daß die derzeit vorhandenen internationalen Institutionen generell verstärkt werden müssen, wenn man den Weg zu einer totalen und weltweiten Abrüstung ernsthaft beschreiten will. Solche Institutionen sollten nicht nur in der Lage sein, die Einhaltung von Abrüstungsmaßnahmen zu erzwingen; vielmehr müssen sie so ausgebaut werden, daß mit ihrer Hilfe gerechte Regelungen von internationalen Streitfragen ganz allgemein herbeigeführt werden können. Zu diesen Streitfragen gehören auch alle Schwi rigkeiten, die sich daraus ergeben, daß man sich immer wieder den veränderten Umständen in der heutigen Zeit anpassen muß. Hier stehen aber sowohl die Sowjetunion wie die USA, ja, wie im Grunde alle kommunistischen und nichtkommunistischen Länder, vor grundlegenden Problemen, die mutig anvisiert und einer Lösung zugeführt werden müssen, wenn wir auf dem Wege zu einer Abrüstung wirklich weiterkommen wollen.

Zusammenfassung

Wie verhalten sich nun insgesamt die von mir erwähnten positiven und negativen Faktoren zueinander? Präsident Kennedy erklärte am 11. Januar 1961 vor dem Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika: „Die Ordnung in der Welt wird dann gesichert sein, wenn alle Staaten diese Waffen aus der Hand gelegt haben, die zwar im Augenblick eine Sicherheit zu bieten scheinen, die aber unser Überleben in der Zukunft in Frage stellen. Ein solcher Tag des Waffenstillstandes scheint jedoch in weiter Ferne zu liegen." Er fuhr dann mit den Worten fort: „Es ist der Welt nicht vorbestimmt, ein Gefängnis zu sein, in dem der Mensch auf seine Hinrichtung wartet. Die Menschheit hat auch nicht die Herausforderungen und Gefahren einer viele tausend Jahre alten Geschichte überlebt, nur um jetzt alles aufzugeben — einschließlich die Existenz selber." Es scheint in der Tat so zu sein, daß vielleicht noch viele Jahre vergehen werden, bevor alle Staaten ihre Waffen beiseite legen im festen Vertrauen auf eine internationale Ordnung, die echte Sicherheit bietet. Und dennoch berechtigen die von mir hier erörterten positiven Faktoren der gegenwärtigen Situation in der Welt durchaus zu der Hoffnung, daß Fortschritte in Richtung auf das große Ziel der totalen Abrüstung möglich sind. Die Hindernisse auf dem Wege dorthin sollten für die Staatsmänner nicht unüberwindlicher Natur sein. Diese Feststellung zu treffen bedeutet keineswegs die Meinung zum Ausdruck zu bringen, daß durch die drohende Möglichkeit einer unabwendbaren Zerstörung die eine oder andere Seite im heutigen Konflikt aus einer Art Panikstimmung heraus dazu gebracht werden könnte, auf dem Gebiet der Abrüstung waghalsige Risiken einzugehen. Dennoch wirken sich gerade die Hindernisse, d. h. die Spannungen, die verschiedenen Ideologien, die Ängste und das Mißtrauen auch als ein Stimulans für das Ergreifen neuer Maßnahmen aus. Wären die Gefahren nicht so sehr gegenwärtig und die Hindernisse auf dem Wege zu ihrer Beseitigung nicht so groß, dann würden wir auch der Abrüstung nicht eine so große Aufmerksamkeit schenken.

Die Vereinigten Staaten von Amerika verfügen jetzt über einen wirklich realistischen und wohl-ausgewogenen Plan zur Herbeiführung einer allgemeinen und totalen Abrüstung. Die ja auch von der Sowjetunion unterschriebene „Joint Declaration" sieht vor, daß die Zwischenlösungen auf dem Wege zur Erreichung des Endzieles einer totalen Abrüstung jeweils ergänzt werden sollen. Überdies legt die Erklärung beide Staaten darauf fest, daß sie ihre Anstrengungen solange fortsetzen, bis das ganze Abrüstungsprogramm durchgeführt worden ist. Die Sowjets sind genauso wie wir auf ein Programm verpflichtet, das den Krieg als ein Mittel zur Beilegung von internationalen Streitfragen künftig ausschalten will. Gleichzeitig werden die zwei Voraussetzungen für eine solche Verhinderung von Kriegen in einen unlösbaren Zusammenhang mit dem Problem der Abrüstung gestellt, d. h. zuverlässige Verfahrensregelungen für die friedliche Beilegung von Streitfragen und wirksame Maßnahmen für die Aufrechterhaltung des Friedens.

Es ist richtig, daß die Frage der Inspektion und Überwachung weiterhin ungelöst geblieben ist; aber der Briefwechsel zwischen Mr. Sorin und mir machte zum erstenmal die entscheidenden Unterschiede zwischen den grundsätzlichen Auffassungen der Sowjetunion und den USA hinsichtlich dieser beiden Probleme ganz deutlich. Es sollte daher jetzt durchaus möglich sein, sich energisch mit den Realitäten und nicht so sehr mit dem semantischen Aspekt der Sache zu beschäftigen.

Die Vereinigten Staaten von Amerika brauchen keineswegs das Gefühl zu haben, daß sie sich ihres früheren Abschneidens in Abrüstungsfragen zu schämen brauchen, d. h. sich in der Defensive befinden. Vielmehr dürften sie heute sogar noch besser in der Lage sein, bei Verhandlungen gut durchdachte Positionen zu beziehen und weiterzuentwickeln. In der nunmehr errichteten „United States Arms Control and Armament Agency“ haben wir eine gesetzlich verankerte Behörde, die sowohl der Exekutive wie der Legislative im Staate verantwortlich und bereit ist, alle erforderlichen Vorarbeiten für eine wirksame Vertretung unserer Auffassung bei künftigen Abrüstungskonferenzen zu leisten. Die Abrüstungsprobleme berühren einige der wichtigsten Bereiche unseres staatlichen Lebens ebenso wie schwierige und manchmal Rätsel aufgebende Details. In den Nachkriegsjahren haben die Vereinigten Staaten von Amerika sich oft den Anschein gegeben, als ob sie entweder schlecht vorbereitet seien, um sich mit den Problemen der Abrüstung auseinandersetzen zu können oder aber unsicher in ihrer Haltung und zu sehr auf das rein Technische bedacht. Meiner Ansicht nach ist dieser Anschein nicht zurückzuführen gewesen auf einen Mangel an Aufrichtigkeit bei der amerikanischen Delegation, sondern vielmehr auf die unerhörte Komplexität des ganzen Themas und auf den Wunsch der USA, jeweils die praktischen Konsequenzen eines Vorschlages genauestens zu durchdenken. Ich habe darüber hinaus auch den Eindruck, daß die Sowjetunion ihre „Schularbeiten" in bezug auf die praktischen Aspekte der Abrüstung nicht in dem Umfange erledigt hat wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Sowjetunion scheint sich viel mehr auf slogans und Fernziele konzentriert zu haben als darauf, praktische und zuverlässige Mittel und Wege zu entwickeln, mit deren Hilfe sich diese Ziele erreichen lassen würden. Es wird nun Zeit, daß man gemeinsam die Hindernisse erkennt und angeht, daß man auf ein bei der sowjetischen Einstellung zu den jeweiligen Verhandlungsphasen über einen Versuchsstopp im letzten Sommer so deutlich gewordenes Haschen nach Propagandaeffekten verzichtet und alle Mätzchen des „Zungeherausstreckens“ — hoffentlich für immer — aufgibt.

An dieser Stelle sollte vielleicht auch ein Wort über die mögliche Rolle anderer Staaten gesagt werden, ob diese nun an den kommenden Verhandlungen teilnehmen oder aber lediglich ihre Ansichten von außen her kundtun. Leider haben nur sehr wenige von ihnen sich bereit erklärt — geschweige denn darangemacht — die Arbeit zu tun, die tatsächlich notwendig ist, wenn man einen echten Beitrag zum Thema leisten will. Sehr wenige dieser Staaten haben auch nur einen Experten, geschweige denn einen hinreichend großen Stab damit beauftragt, sich hauptamtlich dem Problem zu widmen. Ein so stark technisches und oft auch ein wenig abstruses Gebiet wie das der Abrüstung setzt Kenntnisse, Ideen und vor allem auch ein beachtliches Maß an Forschung voraus. Diejenigen, die sich lediglich auf der Zuschauertribüne aufhalten und nur das Lied von der „allgemeinen und totalen Abrüstung" vor sich hinsingen, ohne dabei große eigene Anstrengungen zur Über-windung der anstehenden Schwierigkeiten zu unternehmen, leisten keinerlei konstruktiven Beitrag und werden höchstwahrscheinlich auch in keiner Weise diejenigen zu beeinflussen vermögen, deren Bemühungen viel ernsthafter zu werten sind.

Es wäre ein großer Fehler, wenn diese Staaten annehmen würden, daß ihre einzige Rolle darin besteht, andere zu Handlungen anzuspornen, oder aber sich nur der einen oder der anderen Seite anzuschließen. Über die für einen konstruktiven Beitrag notwendige Schularbeit hinaus könnten diese Staaten oft auch durch das von ihnen selber gegebene Beispiel positive Wege aufzeigen, die ihrer Ansicht nach die internationale Gemeinschaft als ganzes beschreiten sollte. Eine solche Handlungsweise würde sehr viel überzeugender wirken als die ständigen Ermahnungen an andere, Risiken auf sich zu nehmen, die man selber niemals eingehen würde. Die Situation zwischen Indien und Pakistan ist nur ein Beispiel von vielen, an das man in diesem Zusammenhang denken kann.

Es wird lange dauern, bis eine Abrüstung in allen Einzelheiten durchgeführt worden ist. Wir sollten daher keine allzu großen Erwartungen an die Anfangsstadien der demnächst wieder aufzunehmenden Verhandlungen knüpfen. Audi sollten wir nicht vergessen, daß Verhandlungen keine guten Resultate zeitigen können, wenn sie isoliert von anderen Bemühungen geführt werden, die auf eine Verminderung der dem ganzen Wettrüsten zugrundeliegenden Spannungen abzielen. Nach meiner Auffassung werden daher im Verlaufe der Abrüstungsverhandlungen auch die Handels-und Kulturabkommen ausgebaut werden müssen, da nur so eine wirklich erfolgversprechende Atmosphäre geschaffen und erhalten werden kann. Wir können nur hoffen, daß alle Beteiligten auf Grund der in früheren Verhandlungen gesammelten Erfahrungen heute besser verstehen, womit sie es zu tun haben: d. h. mit einem der kompliziertesten Probleme, die man sich überhaupt vorstellen kann. Wir können des weiteren nur hoffen, daß alle Beteiligten auf Grund solcher Erkenntnisse einsehen, wie notwendig es ist, alle Anstrengungen gemeinsam auf eine Lösung dieses Problems zu konzentrieren. Tatsächlich verbleibt nicht sehr viel Zeit für das Erzielen wirklicher Fortschritte. So kurz bemessen ist diese Zeit allerdings wiederum nicht, als daß die endgültige Lösung des Abrüstungsproblems unter allen Umständen im Verlaufe irgendeiner einzigen Verhandlungsphase gefunden werden muß.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Anmerkung: John J. McCloy, Sonderberater des Präsidenten der USA für Abrüstungsfragen; 1941— 45 Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium; 1949 52 Hoher Kommissar in Deutschland; 1953— 61 Vorsitzender des Verwaltungsrates der Manhattan-Bank.