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Deutschland und die Deutschen in polnischen Geschichtslehrbüchern | APuZ 2/1970 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 2/1970 Das Gewicht Deutschlands in der sowjetischen Außenpolitik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Deutschland und die Deutschen in polnischen Geschichtslehrbüchern Die Exil-Ideologie vom „anderen Deutschland" und die Vansittartisten Eine Untersuchung über die Einstellung der deutschen Emigranten nach 1933 zu Deutschland

Deutschland und die Deutschen in polnischen Geschichtslehrbüchern

Enno Meyer

/ 30 Minuten zu lesen

Geschichtslehrbücher, einerlei, ob sie Produkt eines staatlichen Schulbuchverlages (wie in Polen) oder eines privatwirtschaftlichen Unternehmens (wie zumeist in der Bundesrepublik) sind, dürfen nur dann an öffentlichen Schulen benutzt werden, wenn die zuständige Stelle das anordnet bzw. genehmigt. Zuständig ist in Polen die kommunistische Vereinigte Arbeiterpartei, in der Bundesrepublik das Kultusministerium des betreffenden Landes. Die Lehrbücher müssen den Forderungen der genannten Stelle hinsichtlich Auswahl und Darstellung des Stoffes sowie politisch-pädagogischer Zielsetzungen entsprechen. Infolgedessen läßt sich aus den an den Schulen eingeführten Büchern schließen, welches Geschichtsbild und welche politischen Vorstellungen den Schülern des betreffenden Landes vermittelt werden sollen.

Ist dieses Geschichtsbild vor allem national-staatlich, so wird in den Büchern das positiv bewertet und entsprechend ausführlich dargestellt, was der Einheit, Unabhängigkeit, kulturellen Eigenständigkeit und Größe — was man sich auch darunter vorstellen mag — der eigenen Nation förderlich gewesen ist. Im Zusammenhang damit werden andere Nationen besonders unter dem Gesichtswinkel betrachtet, wie weit sie dem Streben der eigenen Nation nach Einheit usw. im Wege gestanden haben.

Solange z. B. in Deutschland das national-staätliche Geschichtsbild überwog, war Frankreich in den Lehrbüchern in erster Linie — von Richelieu bis Poincare — der Haupt-feind Deutschlands; heute dagegen erscheint es vor allem als das Land, in dem rationale Ordnung des Staatswesens sowie auf persönliche Freiheit und auf Demokratie gerichtete Bestrebungen besonders früh und klar in Erscheinung getreten sind. Diese Änderung des deutschen Frankreich-Bildes läßt auch auf eine Änderung des deutschen Geschichtsbildes schließen.

Hier soll nun untersucht werden, welches Bild von Deutschland und den Deutschen in polnischen Geschichtslehrbüchern anzutreffen ist, und sodann die Frage aufgeworfen werden, ob sich daraus schließen läßt, welches Geschichtsbild und welche politischen Vorstellungen den polnischen Schülern vermittelt werden sollen. Dies soll an Hand von Auszügen aus Geschichtslehrbüchern geschehen, die 1967 oder 1968 neu eingeführt worden sind. Um aber bestimmte Entwicklungstendenzen aufzuzeigen, werden zum Vergleich in einigen Fällen auch Abschnitte aus Lehrbüchern zitiert, die vor dem „polnischen Oktober" von 1956 entstanden sind.

Zum besseren Verständnis der Textproben sei einiges über das Verhältnis der Polen zu ihrer eigenen Geschichte sowie über die Entwicklung der polnischen Geschichtslehrbücher seit 1945 vorausgeschickt.

Das traditionelle polnische Geschichtsbild

In der Zeit, in der Polen geteilt und unselbständig war (1795— 1918), waren alle politischen Energien der Nation auf Befreiung und Wiedervereinigung gerichtet. Als aber nach dem Scheitern der polnischen Aufstände — endgültig 1864 — diese Ziele ferner denn je gerückt schienen und tiefe Niedergeschlagenheit die Nation erfaßte, suchten viele Polen Ermutigung in der Betrachtung der Zeiten eigener nationaler Größe, das heißt in der Geschichte. Da aber Staat und Schule — einerlei ob russisch, österreichisch oder preußisch — diesem Bedürfnis nicht entgegenkamen, erlangte der historische Roman bei den Polen eine Bedeutung wie wohl bei keinem anderen Volke. Zusammen mit der Historienmalerei schuf er der Nation ein romantisch-heroisches Bild ihrer Vergangenheit, in dem die Eroberungszüge des Boleslaw Chrobry (967— 1025), der Sieg über den Deutschen Orden bei Tannenberg (1410), die Türkenkriege des 17. Jahrhunderts und die Erhebung Kosciuszkos ge-gen die Russen (1794) besonders hervorragende Plätze einnahmen.

Bedeutendster Autor historischer Belletristik und damit Former historisch-politischer Vorstellungen wurde Henryk Sienkiewicz (1846 bis 1916, Nobelpreisträger von 1905). Sein Roman „Die Kreuzritter", der in der Zeit der ersten Schlacht bei Tannenberg spielt, wurde sofort nach seinem Erscheinen (seit 1900) Bestseller und ist es seither von Jahrzehnt zu Jahrzehnt geblieben — bis heute. Nochmals vermehrt wurde die Popularität des Romans dadurch, daß er anläßlich der 450-Jahrfeier der Schlacht (1960) verfilmt wurde.

Historischer Roman und Historienmalerei haben bewirkt, daß im polnischen Volk Ereignisse und Gestalten seiner Geschichte außerordentlich lebendig sind, ganz anders als in Deutschland. Dieses populäre polnische Geschichtsbild, geprägt von der Romantik und mehr noch von dem Nationalismus der Wilhelminischen Zeit, ist mit den Ergebnissen der historischen Wissenschaft vielfach nicht in Einklang zu bringen. Die Deutschen erscheinen in ihm im düstersten Licht

Selbstverständlich ist der Autor eines polnischen Geschichtslehrbuches mit diesem Geschichtsbild vertraut, und er steht vor der Frage, ob er es — zumindest im Unter-und Mittelstufenlehrbuch — als ein Stück nationaler Überlieferung und wegen seiner Farbigkeit übernehmen oder aber als kritischer Historiker nur so weit gelten lassen soll, wie es wissenschaftlich gesichert ist. Er steht z. B. vor der Frage, ob er die altüberlieferten, aber historisch fragwürdigen Berichte über die Niederlage der Deutschen auf dem Hundsfeld bei Breslau (1109) — angeblich so benannt, weil die Hunde die Leichname der Deutschen fraßen •— oder die über die Niedermetzelung der Danziger Bürger durch die Ordensritter (1308 [vgl. Text 6]) bringen soll oder nicht.

Dementsprechend könnte ein deutscher Autor z. B. vor der Frage stehen, ob er schildern soll, wie Luther mit wuchtigen Hammerschlägen seine Thesen an die Tür der Schloßkirche zu Wittenberg nagelte — welch eindrucksvolles Bild! — oder ob er darauf verzichten soll, weil neuerdings mit beachtenswerten Gründen bezweifelt wird, daß dieser Thesenanschlag überhaupt stattgefunden hat.

Polnische Geschichtslehrbücher seit 1945

Als die Polen nach der Befreiung von der deutschen Fremdherrschaft (1944/45) daran gingen, Schulen und wissenschaftliche Institutionen wieder ins Leben zu rufen, knüpften sie dabei zunächst an die bürgerlich nationalen Traditionen der Vorkriegszeit an. Als es aber 1948 den Kommunisten unter Boleslaw Bierut gelungen war, die Macht im Staate ganz in ihre Hände zu bringen, gingen sie daran, Unterricht und Wissenschaft in ihrem Sinne umzugestalten. Um die „bürgerlichen" Geschichtslehrbücher der Vorkriegszeit entbehren zu können, führten sie zunächst ein aus dem Russischen übersetztes sowjetisches Lehrbuch ein. Auf einer polnisch-sowjetischen Historikerkonferenz, die zur Jahreswende 1951/52 in Otwock bei Warschau stattfand, wurde sodann die polnische Historiographie mit der sowjetischen gleichgeschaltet.

Das Historische Institut der 1951 nach sowjetischem Muster als Zentrale aller wissenschaftlichen Arbeit gegründeten Polnischen Akademie der Wissenschaften begann sofort, eine streng im Geiste des historischen Materialismus verfaßte Geschichte Polens zu schaffen, gedacht vor allem als Lehrbuch für den künftigen Lehrer. Der erste Teilband dieser vielbändigen „Historia Polski" erschien 1957; gegenwärtig liegt das Werk bis zum Jahr 1900 fertig vor.

Der Staatliche Schulbuchverlag konnte jedoch nicht warten, bis die Historia Polski als Grundlage für die Schullehrbücher abgeschlossen war. Er ließ sofort Geschichtslehrbücher verfassen. Inhaltlich wurden sie eine Art Kompromiß zwischen der bürgerlich nationalen und der historisch-materialistischen Geschichtsauffassung. Typisch für die Geschichtslehrbücher ist seitdem folgendes: 1. Die Darstellung ist polnisch-national. Der polnische Staat bzw. das Bestreben, ihn wiederherzustellen, steht im Mittelpunkt der Darstellung. 2. Die Darstellung erfolgt auf der Grundlage des historischen Materialismus. Die jeweili-gen Produktionsverhältnisse werden ausführlich behandelt.

3. Die Darstellung ist geprägt vom Geiste der „brüderlichen Verbundenheit" der Völker im „Lager des Sozialismus". Das bedeutet, daß über diese, besonders über die Russen, nach Möglichkeit nichts Nachteiliges gesagt wird. Da aber aus polnischer Sicht über die Russen auch nicht viel Positives gesagt werden kann, werden sie mit bemerkenswerter Kürze behandelt. Um so mehr Raum wird dem anderen wichtigen Nachbarn Polens, nämlich Deutschland gewidmet.

4. Die Darstellung erfolgt im Geiste der unbedingten Bejahung des gegenwärtigen innen-und außenpolitischen Zustandes Polens. Dieser erscheint als ein notwendiges und daher positiv zu bewertendes Ergebnis eines „historischen Prozesses". Daher wird die Expansion Polens nach Osten, die 1349 voll einsetzte und erst 1939 durch die Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion ihr Ende fand, als ein historischer „Irrweg" gewertet und dementsprechend nur kurz behandelt.

5. Die Darstellung erfolgt im Geiste des Atheismus. Religion und Kirche werden im Sinne des Marxismus als „ideologischer überbau“ bzw. als Herrschaftsinstrument der jeweiligen Ausbeuterklasse gesehen. Gelegenheiten, Papsttum und Katholische Kirche als Feinde Polens erscheinen zu lassen, werden geradezu gesucht.

Für die Darstellung Deutschlands und der Deutschen bedeutet dies alles, daß Deutschland (bzw.der Deutsche Orden, Brandenburg, Preußen, Österreich) als der Hauptfeind Polens erscheint. Der Blick auf die Produktionsverhältnisse führt dabei aber zu einer gewissen Versachlichung. Die mittelalterliche deutsche Ost-siedlung z. B. wird nicht mehr als Ausdruck eines psychopathischenroder kriminellen deutschen „Dranges nach Osten" angesehen, sondern als eine plausible Erscheinung der Wirtschafts-und Sozialgeschichte. Die „brüderliche Verbundenheit" der Völker des Ostblocks kommt auch den Deutschen zugute. Sie werden nicht insgesamt negativ beurteilt. Dies gilt nur für einzelne Gruppen von ihnen (vor allem Feudalherren, Kreuzritter, Junker, Hakatisten und „hitlerowcy", das heißt Nationalsozialisten, aber dieses Wort wird, weil es den Ausdruck „Sozialismus" diskreditieren würde, nie benutzt). Die Bejahung der heutigen Grenzen Polens als der auch historisch allein richtigen, führt dazu, daß die gesamten Oder-Neiße-Gebiete durch alle Jahrhunderte hindurch ohne Rücksicht auf ihre staatliche Zugehörigkeit und ihre Bevölkerung als Teile Polens behandelt werden.

Die oben genannten Grundzüge der Darstellung gelten noch heute, doch sind seit den fünfziger Jahre gewisse Verschiebungen der Akzente zu verzeichnen, und zwar dergestalt, daß manche Konzessionen an das romantische Geschichtsbild verschwunden sind (vgl. Texte 5 und 6), ebenso aber auch Schiefheiten, die dem Geschichtsbild des Histomat entstammten (Text 2, Text zu Anm. 8). Im ganzen gesehen, ist die Darstellungsweise dabei „nationaler" geworden.

In den polnischen Geschichtslehrbüchern ist von Deutschland und den Deutschen oft die Rede, und zwar in verschiedenartigen Abschnitten: a) in den allgemein-historischen, b) in denen, die die Beziehungen Polens zu seinen Nachbarn behandeln, und c) in denjenigen, die sich mit der Kultur-und Sozialgeschichte Polens innerhalb seiner heutigen Grenzen (zwischen Oder und Bug) befassen.

Textproben

a) Mittelalter Es sollen hier nun Textproben aus den unter b) und c) genannten Abschnitten gebracht werden, und zwar solche, die teils das „plastische" Polen des Mittelalters behandeln, teils das 19. und 20. Jahrhundert.

Das plastische Polen wird heute besonders deshalb in den Lehrbüchern ausführlich behandelt, weil es sich räumlich ungefähr mit der Volksrepublik deckt und dadurch deren Westgrenze so etwas wie eine historische Legitimation verleiht. Das 19. und 20. Jahrhundert ist die Zeit, in der sich das heutige Verhältnis zwischen Polen und Deutschen herausgebildet hat.

Uber die älteste Zeit der plastischen Herrschaftsbildung, die besonders in der Zeit des polnischen Milleniums (1960— 1966) im Mittelpunkt des Interesses gestanden hat, schreibt ein Lehrbuch für das 8. Schuljahr

Text 1:

„Die Beziehungen Mieszkos I. zu seinen Nachbarn Die Taufe [966] ermöglichte Mieszko I. eine günstige Regelung der Beziehungen zum Kaisertum. Ähnlich wie viele andere Herrscher des Westens erkennt Mieszko den Primat des Kaisers im lateinisch-christlichen Europa an. Er bewahrt dabei jedoch die Unabhängigkeit vom deutschen Königtum, und seine Verpflichtungen gegenüber dem Kaiser bestanden darin, ihm materielle und bewaffnete Hilfe bei Unternehmungen zu leisten, die die Verteidigung der Kirche und die Ausbreitung des Christentums zum Ziel hatten. Im Rahmen dieser Verpflichtung nahm Mieszko I. am Kampf gegen den nordwestslawischen Stamm der Wilzen teil, der zwischen der unteren Oder und der unteren Elbe ansässig war. Das lag jedoch in seinem eigenen Interesse, denn die Wilzen bedrohten Pommern.

Die im allgemeinen korrekten Beziehungen Mieszkos zum Kaisertum verhinderten nicht polnisch-deutsche Kämpfe. Beunruhigt durch die Erfolge des polnischen Herzogs in Pommern, drang der deutsche Markgraf Hodo in das polnische Gebiet ein, aber sein Heer wurde durch die polnische Macht in der Schlacht bei Zehden [südlich Stettin] vernichtet (972).

Die Beziehungen zu den anderen Nachbarn waren wechselnd. Das polnisch-tschechische Bündnis bestand so lange, wie Dobrawa [Gattin Mieszkos, Tochter des böhmischen Herzogs] lebte. Nach ihrem Tod kam es zwischen beiden Staaten zum Kampf um Schlesien. Den Sieg in ihm errang Mieszko.“

Uber denselben Stoff schrieb ein Lehrbuch für das 8. und 9. Schuljahr im Jahre 1956

Text 2:

„Die deutschen Feudalherren bemühten sich, der Einigung der polnischen Lande, der Entwicklung des polnischen Staatswesens entgegenzutreten. Im 10. Jahrhundert wandte sich die feudale Aggression gegen die Elb-und Ostseeslawen. Hier, auf slawischem Land, das durch Gewalt und Hinterlist erobert worden war, entstanden die Marken, die Ausgangs- punkte weiterer feudaler deutscher Expansion im westslawischen Land waren, einer Expansion, die sich ebenfalls gegen das kräftige polnische Staatswesen wandte. Diesem eroberungssüchtigen deutschen Streben stellte sich Mieszko 1. entgegen. (. . .) Mieszko schloß auch ein Abkommen mit Kaiser Otto I. (. . .) Im Jahr 972 fiel der deutsche Markgraf Odo in das polnische Land ein. Bei Zehden bereitete ihm die polnische bewaffnete Macht eine Niederlage. Das deutsche Heer wurde vernichtet. In der Hand der Sieger blieben viele Gefangene und Beutestücke. Dieser Sieg befestigte die Verbindung ganz Pommerns mit Polen. (. ..) In den neunziger Jahren des 10. Jahrhunderts wurde auch Schlesien, das sich unter tschechischer Oberhoheit befunden hatte, an den polnischen Staat angeschlossen. (. . .) So gestaltete sich am Ende des 10. Jahrhunderts das Territorium des feudalen polnischen Staates, welches die Grundlage der Gestaltung der heutigen Grenzen unseres Staates ist."

Der Unterschied zwischen den beiden Texten ist auffällig; der von 1968 ist im Ton sachlich, der von 1956 polemisch und — am Schluß — belehrend; jener ist inhaltlich einwandfrei, dieser keineswegs.

Einen deutschen Versuch, die Einigung der „polnischen Lande" zu verhindern, hat es nicht gegeben. Nicht deutsche „Feudalherren" waren Träger der deutschen Ostpolitik des 10. Jahrhunderts, sondern die Kaiser. Daß damals das Gebiet der Elbund Ostseeslawen durch Hinterlist erobert worden wäre, geht aus den Quellen nicht hervor. Die deutsche Expansion richtete sich gegen die heidnischen Stämme, nicht gegen das christliche Piastenherzog-tum. Den Begriff „Polen" (als Land oder Volk) gab es noch nicht — nur den Herrschaftsbereich der Piasten und den Stamm der Polanen (um Gnesen).

Interessant ist auch, daß Text 2 im Gegensatz zu Text 1 nichts davon erwähnt, daß sich Mieszko dem Kaiser untergeordnet und gemeinsam mit den Deutschen die Eibslawen bekämpft hat. Beides wird sicherlich deshalb verschwiegen, weil es nicht recht in das Bild eines idealen slawischen Fürsten paßt. Wenn aber beide Texte das historisch ganz unbedeutende Gefecht bei Zehden für erwähnenswert halten, so vermutlich deshalb, weil es der erste polnische Sieg über Deutsche ist. Gemeinsam ist beiden Texten auch das Bestreben, die Selbständigkeit Mieszkos gegen-* über dem Kaiser hervorzuheben, wenn auch Text 1 eine vertragliche Bindung erwähnt. Daß Mieszko dem Kaiser tributpflichtig war, wird nicht gesagt.

Während die Berührungen zwischen Deutschen und Polen im 10. bis 12. Jahrhundert im wesentlichen solche der Herrscher waren, wurde das im 13. und 14. Jahrhundert anders: Polen erschloß sich in diesen Jahrhunderten der westlichen Zivilisation und unterlag damit einer starken inneren Umgestaltung, vor allem auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet. Träger dieser Verwestlichung waren zu einem großen Teil herbeigerufene Deutsche — Ritter, Kleriker, Bauern, Bürger und Bergleute.

Uber diese deutsche Ostsiedlung schreibt das genannte Lehrbuch von 1968 (vgl. Text 1), S. 302 f.:

Text 3:'

„Lokation von Dörfern und Städten in Polen im 13. Jahrhundert. Ansiedlung nach deutschem Recht In den Landschaften des westlichen-Polen, besonders in Schlesien, nahm seit Beginn des 13. Jahrhunderts nicht nur das polnische Element an der Kolonisation teil. Dorthin kamen auch Bauern aus den stark übervölkerten Ländern Europas, vor allem aus dem benachbarten Deutschland, aber ebenfalls aus dem entfernteren romanischen Westen. Durch Not, Mangel an Land oder übermäßigen feudalen Druck wurden diese aus ihrem Vaterland vertrieben. Von den polnischen Herren erlangten sie ansehnliche Privilegien und Erleichterungen hinsichtlich ihrer Verpflichtungen, gewöhnlich ihren eigenen Forderungen entsprechend. Für diese war das Recht jener Gegenden in ihrem Vaterland maßgeblich, in denen man sich die größte Freiheit erkämpft hatte. Auf diese Weise gelangte in die Ordnung des polnischen Dorfes ein neues Element, das deutsche Recht." (Im weiteren Text wird der Vorgang der Lokation geschildert.)

Die folgenden Abschnitte tragen die Über-schriften: „Die Vorteile des deutschen Rechtes im feudalen Dorf"

„Die Umsetzungen der Dörfer vom polnischen zum deutschen Recht"

„Die Entwicklung der Städte"

„Die städtische Selbstverwaltung"

„Das Bürgertum"

(Die Deutschen werden in diesen Abschnitten nicht mehr erwähnt.)

Daß die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters dazu führte, daß die heutigen Oder-Neiße-Gebiete im wesentlichen deutsch besiedeltes Land wurden und daß auch in Groß-und Kleinpolen (das heißt Posen und Westgalizien) ein erheblicher deutscher Bevölkerungsanteil entstand, ist diesem Text kaum zu entnehmen. Das Lehrbuch von 1957 (vgl. Anm. 3, S. 54 f.) drückte sich deutlicher aus:

Text 4:

„Deutsche Siedlung und Siedlung nach deutschem Recht Die Siedlungsbewegung, die als Folge der Entwicklung der Produktivkräfte im 12. Jahrhundert begonnen hatte, verstärkte sich im 13. und 14. Jahrhundert, hauptsächlich auf dem durch den Tatareneinfall verwüsteten und entvölkerten Land [Schlesien und Kleinpolen]. Zur Beschleunigung des Prozesses der Rodung der Wälder, der Urbarmachung unbenutzten Landes ließ man neue Siedler ebenfalls von jenseits der Grenzen des Landes kommen. Die Kolonisten kamen aus dem Westen, besonders aus Deutschland und Flandern. Die Ansiedlung der Kolonisten auf polnischem Boden geschah hauptsächlich durch die Klöster, vor allem die der Zisterzienser, sowie durch die Bischöfe von Breslau und die schlesischen Herzöge. Nach Schlesien kamen sowohl Bürger als auch Bauern und auf ihren Spuren ebenfalls Ritter und deutsche Kleriker. Ihnen wurde von den Herzögen Land übertragen. Die deutschen Bürger siedelten sich hauptsächlich in den Städten Schlesiens, Pommerns, Kleinpolens und in geringerem Maße auch Großpolens an. In den neu gegründeten städtischen und ländlichen Siedlungen wurde das Recht westeuropäischer Art eingeführt .. ."

Dieser ältere Text stellt den Vorgang der Ostsiedlung viel klarer und richtiger dar als der neuere von 1968 (Text 3).

Jedoch auch in Text 4 sind Einzelheiten schief: Nicht Klöster und Bischöfe waren Hauptförderer der Siedlung, sondern weltliche Grundherren, vor allem die Piasten. Die deutschen Bürger ließen sich nicht in bereits bestehenden Städten nieder — gemeint damit sind die „Suburbien" slawischer Burgen, in denen unfreie Handwerker wohnten —, sondern gründeten neben diesen oder ganz unabhängig davon Städte im westlichen Sinne des Wortes.

Text 4 ist vom Geiste des historischen Materialismus geprägt worden, Text 3 von dem gegenwartspolitischen Bestreben, von den Deutschen in den Oder-Neiße-Gebieten möglichst wenig zu sprechen. Danzig ist für Polen seit Jahrhunderten nicht nur bedeutendster Seehandelsplatz gewesen, sondern nationaler Unabhängigkeit auch Symbol und Größe — ähnlich wie Straßburg für Deutschland im 19. Jahrhundert.

Im 13. Jahrhundert war Danzig Teil des selbständigen Herzogtums Pommerellen. Als 1294 der letzte einheimische Herzog gestorben war, erhoben sowohl die brandenburgischen Askanier als auch die polnischen Piasten Anspruch auf sein Erbe. Beide konnten Rechtstitel vorweisen. Vorübergehend konnte Wladyslaw Lokietek, Einiger Polens nach langem Zerfall, Danzig in seine Hand bringen. Dann aber verlor er es an den Deutschen Orden. Uber diesen Vorgang schreibt ein Lehrbuch von 1968 (vgl. Anm. 2, S. 329):

Text 5:

„Die Erorberung des Danziger Pommern durch die Kreuzritter Aus den Schwierigkeiten, in die Polen geraten war, suchten die Brandenburger Nutzen zu ziehen. Im Jahre 1308 Helen sie in Pommern ein und nahmen die Stadt Danzig. Gegen sie verteidigte sich aber die [polnische] aus Rittern bestehende Besatzung der Burg unter der Führung Boguszas. Da Lokietek ihm nicht zur Hille kommen konnte, denn er wurde durch den Kampl mit dem Bischof Muskata in Klein-polen lestgehalten, wurden die Kreuzritter zur Hilfe gerufen. Gemäß den Abmachungen hatten die Kreuzritter die Brandenburger zu vertreiben, und Lokietek hatte ihnen später die Kosten für den Feldzug zu erstatten.

Die Kreuzritter vertrieben die Brandenburger, eroberten aber Pommern [Pommerellen] selbst. Durch eine List bemächtigten sie sich der Danziger Burg und richteten unter den polnischen Rittern ein Blutbad an. Lokietek konnte gegen diesen Verrat keine Schritte unternehmen, solange er nicht seine Stellung in Kleinpolen befestigt und Großpolen in seine Hand gebracht hatte."

Wenn auch gegen diese Darstellung kleine Einwendungen erhoben werden könnten — die Brandenburger hatten einen Rechtsanspruch auf Pommerellen, und die getöteten polnischen Ritter waren nach Auffassung des Ordens keine „Kombattanten" —, so stellt sie doch gegen die konventionelle Art der Schilderung dieses Vorgangs einen erheblichen Schritt zur Versachlichung dar. Das wird deutlich, wenn man die Darstellung des Ereignisses in einem Schulbuch für das Schuljahr aus dem Jahre 1953 4) liest.

Text 6:

„Traurig war das Los Pommerns [Pommerellens]. Nur kurze Zeit stand das Danziger Pommern unter der Herrschaft von Lokietek, dann wurde es verräterisch von den Kreuzrittern überwältigt. Es war im Jahr 1308. Gegen Danzig zogen die deutschen Fürsten von Brandenburg. Die Danziger wandten sich daraufhin um Hilfe an die Kreuzritter, denn sie wußten nicht, daß diese sich als Feinde erweisen würden. Die Ordensritter folgten gerne der Bitte der Danziger. Bald stand ihre bewaffnete Macht vor der Stadt. Deshalb zogen die Brandenburger sich zurück. Die Bevölkerung von Danzig empfing die Kreuzritter freudig als Bundesgenossen und Freunde. Aber diese erwiesen sich als Verräter. Sie gelangten in die Burg und verdrängten die schwache und auf einen Überfall nicht gefaßte polnische Besatzung. Noch grausamer verfuhren sie mit der Bevölkerung der Stadt und ihrer Umgebung.

Als sich in Danzig eine große Volksmenge auf dem Markt versammelt hatte, griffen die Kreuzritter plötzlich von der Burg her die unbewaffneten Menschen an und begannen eine grausame Metzelei. Sie ermordeten einen großen Teil der Bevölkerung, brannten die Stadt nieder und stürzten Pommerellen in Armut. So wurde also Polen völlig vom Meer und der Weichselmündung abgetrennt. Wladyslaw Lokietek erkannte diese Eroberung nicht an. Er erhob Klage gegen den Orden beim Papst und beim Kaiser, aber er erlangte keine Gerechtigkeit."

Dieser Text ist noch ganz Ausdruck des überlieferten populären Geschichtsbildes und weder im Ton noch im Inhalt sachlich.

Die Ordensritter kamen nicht auf die Bitten der Danziger hin, sondern auf Grund eines Vertrages mit Herzog Wladyslaw (vgl. Text 5). Ihr Blutbad unter den Bürgern und die Verbrennung der Stadt ist historische Legende. Mit weißer Weste steht der Orden in der Danziger Frage allerdings auch nicht da. Skrupellos setzte er, um Pommerellen zu erhalten, seine militärische und finanzielle Macht sowie seine diplomatischen Beziehungen ein. Herzog Wladyslaw konnte sich mit Recht als der Betrogene ansehen, denn nachdem der Orden auf Grund des mit ihm abgeschlossenen Vertrages das Land besetzt batte, forderte er eine Kostenerstattung von iolch astronomischer Höhe, daß jener sie nicht bezahlen konnte und wollte. Daraufhin behielt der Orden das Land, obgleich er keinen Rechtsanspruch darauf hatte. Zwar wurde er durch ein päpstliches Gericht zur Herausgabe verurteilt, erreicht es aber, daß der Papst das Urteil kassierte.

Wladyslaw Lokietek gelang es nur, Klein-und Großpolen in seine Hand zu bringen. Die schlesischen Piasten unterstellten sich der böhmischen Krone. Wladyslaws Sohn Kasimir der Große (1333— 1370) verzichtete auf Schlesien und auch auf Pommerellen. Trotzdem erscheinen in den Geschichtslehrbüchern beide Länder weiterhin als Teile Polens, z. B. in einem Abschnitt über spätmittelalterliche Kunst

Text 7: „Die Gotik im mittelalterlichen Polen Nach Polen kam die Gotik mit einer gewissen Verpätung. Sie erschien im 13. Jahrhundert und verbreitete sich im 14. allgemein. Eine der ersten großen gotischen Kirchen war der neue Dom in Breslau, der errichtet wurde, nachdem sein romanischer Vorgänger bei dem Angriff durch die Tataren vernichtet worden war. Im 14. Jahrhundert entstanden die gotischen Kirchen von Krakau: die Marienkirche, St. Katharina und die Fronleichnamskirche. Auch wurde der Dom auf dem Wawel damals im gotischen Stil umgebaut. Im ganzen Land kam die lebhafte Bautätigkeit, die in der Zeit Kasimirs des Großen begann, in den neuen Silhouetten der gotischen Kirchen zum Ausdruck. Im 15. Jahrhundert entstand eine Reihe von gotischen Kirchen in Danzig, unter ihnen die riesige Marienkirche, die hinsichtlich ihrer Ausmaße im ganzen nördlichen Europa nicht ihresgleichen hat. Beispiele weltlicher gotischer Baukunst in den Städten sind in Polen die Rathäuser in Thorn und Breslau, das älteste Gebäude der Jagiellonischen Universität in Krakau und der ursprüngliche Artushof in Danzig."

Die Überschrift dieses Textes spricht vom „mittelalterlichen Polen", dann aber wird von (Danzig, Thorn, mehreren Städten Breslau) gesprochen, die in der genannten Zeit Kasimirs des Großen weder zu Polen gehörten noch von Polen bewohnt waren.

Der Text ist Ausdruck der Tendenz, das Hoheitsgebiet der Volksrepublik Polen durch alle Jahrhunderte hindurch als polnisch erscheinen zu lassen und über die Geschichte der Ostdeutschen möglichst zu schweigen. b) 19. und frühes 20. Jahrhundert Nach diesen Auszügen aus Kapiteln, die die mittelalterliche Geschichte betreffen, sollen nun solche folgen, die als Gegenstand das 19. und 20. Jahrhundert haben.

Polen wurde 1772— 1795 Opfer der Teilungen durch Rußland, Österreich und Preußen. Der Wiener Kongreß schuf 1815 innerhalb Polens die Grenzen, die dann bis 1918 Bestand behalten sollten.

In der Zeit der Aufstände (1830— 1864) versuchten die Polen, ihren Staat innerhalb der Grenzen von 1772 wiederaufzurichten. Als sich das als unmöglich erwies, entstand der Gedanke, ein Polen auf ethnographischer Basis zu errichten, das heißt auch die polnischsprachigen Gebiete einzubeziehen, die nicht Teile des alten Polen von 1772 gewesen waren, nämlich Masuren und das östliche Oberschlesien, obgleich es in beiden Landschaften keine polnische Tradition oder Gesinnung gab.

Uber die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts schreibt ein Lehrbuch für das 9. Schuljahr

Text 8: „Die Germanisierung des Danziger Pommern, des Ermlandes, Masurens und Schlesiens Bei weitem der größte Teil des Danziger Pommern, Masurens und des Ermlandes trug zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch polnischen Charakter. Die stärkste Germanisierungsaktion begann in den zwanziger und noch mehr in den dreißiger Jahren. Die Behörden, indem sie die Tatsache der starken Verschuldung des polnischen Großgrundbesitzes ausnutzten, überredeten die Polen, Kredite anzunehmen, und das führte zum Bankrott. Das Ergebnis war, daß viele Polen ihre Güter verkauften, und diese gelangten dann in die Hände von Deutschen. Der stärkste Schlag jedoch, der gegen das Polentum des preußischen Teilgebiets gerichtet war, war die Germanisierung des Schulwesens. Zuerst traf er die höheren Schulen nach die Elementar - und 1834 schulen. Es wurde sogar der Gebrauch zweisprachiger Fibeln verboten. Wenn Kinder in der Schule polnisch sprachen, wurden sie geschlagen. Die Kirchenbehörden verfolgten Priester und Pastoren, Polen, die sich darum bemühten, das Volkstum ihrer Pfarrkinder zu erhalten. Die Predigten wurden überwacht, und es wurde sogar der Gebrauch polnischer Gesangbücher verboten.

Eine besonders heftige Germanisierung wurde in Schlesien betrieben. [Es folgen Einzelheiten. ] Die stärksten Fortschritte erzielte die Germanisierung offensichtlich im städtischen Bereich in Nieder-und Mittelschlesien [im Oppelner Gebiet]. In Oberschlesien [gemeint ist Ost-Oberschlesien] waren ihre Ergebnisse sehr beschränkt . ..“

Was hier gesagt wird, ist weitgehend schief, z. T. sogar falsch.

Westpreußen (das „Danziger Pommern") trug auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen vorwiegend deutschen Charakter; nur kleine Teile (Tucheier Heide, Kulmerland) waren vorwiegend polnischsprachig. Entsprechendes galt für das Ermland. In Masuren sprach zwar die Mehrheit der Bevölkerung polnisch (masurisch), sie fühlte sich aber nicht als polnisch. Wenn in Westpreußen relativ viele polnische Gutsbesitzer Konkurs anmelden mußten, so lag das daran, daß sie sich nicht an modernere Wirtschaftsformen anpaßten und staatliche Stellen (unter Einwirkung des als „Adelsfeind" bekannten Oberpräsidenten v. Schön, 1816— 1840) nicht bereit waren, herunterge-wirtschaftete Betriebe zu sanieren, einerlei, ob deren Eigentümer Polen oder Deutsche waren. Sehr viele Güter gingen damals in bürgerlichen Besitz über. In den Schulen Ostpreußens (Masuren, Ermland) wurde der Gebrauch der polnischen Sprache nicht eingeschränkt. Für Westpreußen traf es zu. Ob das aber im Sinne der Germanisierung gewirkt hat, ist zu bezweifeln. Die im Text genannten Strafen gegen polnisch sprechende Kinder sind, sofern sie vorgekommen sind, gewiß nicht typisch gewesen. Eine germanisierende Tendenz der katholischen und evangelischen Kirchenbehörden in der Form, wie es hier behauptet wird, hat es sicher nicht gegeben.

Eine Germanisierung in Niederschlesien konnte es schon deshalb nicht geben, weil es hier, wenn man von einem Grenzstreifen zwischen Neumittelwalde (östlich und Reichtal Breslau) absieht, keine polnischsprachige Bevölkerung gab.

Text 8 gibt keine sachlichen Informationen, sondern bemüht sich, die Tatsache, daß in den Oder-Neiße-Gebieten vor 1945 zumeist keine polnische Bevölkerung vorhanden war, als Ergebnis planmäßiger,'vom preußischen Staat und von den Kirchen ausgehender Germanisierung hinzustellen.

Das 1871 neu gegründete Deutsche Reich stand zwar äußerlich glänzend dar, sein mächtigster Bundesstaat aber — Preußen — fühlte sich im Innern dadurch bedroht, daß er in seinen östlichen Provinzen (Posen und Westpreußen) eine zahlreiche polnische Bevölkerung hatte, die ihm und dem Reich ablehnend gegenüberstand und an Zahl — wie Volkszählungen und Wahlen ergaben — absolut und relativ zu-nahm. Die von Preußen dagegen gerichteten Maßnahmen waren defensiv gedacht, mußten aber von den Polen als Angriff empfunden werden. In dem seit 1871 ausgebrochenen Streit zwischen preußischem Staat und polnischer Gesellschaft versteiften sich die nationalen Fronten mehr und mehr.

über die sogenannte preußische Ostmarkenpolitik zwischen 1871 und 1914 schreibt ein polnisches Lehrbuch von 1967

Text 9:

„Die Germanisierungspolitik der preußischen Regierung ... Kurz nach der Schaffung des deutschen Kaiserreiches führte der Kanzler Bismarck an den Volksschulen in der Provinz Posen die deutsche Sprache als Unterrichtssprache ein. Verboten wurde ebenfalls die Benutzung der polnischen Sprache im Bereich der Behörden und der Gerichte und auf öffentlichen Versammlungen. Das waren die sog. , Maulkorb-gesetze'. Orte mit polnischen Namen erhielten deutsche Namen. In vielen Fällen wurde sogar den Vor-und Familiennamen ein deutscher Klang verliehen. Benutzung der polnischen Sprache in der Schule wurde mit der Prügelstrafe bedroht oder mit dem Tragen eines Schildes um den Hals, auf dem in deutscher Sprache geschrieben stand: , Ich habe polnisch gesprochen.“

Um den polnischen Einfluß im preußischen Teilgebiet weiter zu beschränken, erließ die preußische Regierung [1885] eine Verordnung, durch die alle Polen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, über die Grenze des Kaiserreiches ausgewiesen wurden. Das waren die sog. . preußischen Ausweisungen“, die rund 40 000 Polen betrafen, hauptsächlich Landarbeiter aus dem Königreich [Kongreßpolen] und aus Galizien, die in Deutschland Arbeit gesucht hatten.

Ein weiteres Ziel der Germanisierungspolitik war es, sich des Bodens zu bemächtigen, der sich in polnischem Besitz befand. Im Jahre 1886 wurde die Ansiedlungskommission gegründet, die einen riesigen Fonds erhielt, um Land aus polnischen Händen anzukaufen und auf ihm deutsche Kolonisten anzusiedeln. Diese Aktion hatte jedoch keine großen Erfolge, da die polnischen Bauern ihre Höfe nicht verkaufen wollten. Im Jahre 1894 wurde der , Verein zur Förderung des Deutschtums in den Ostmarken'gegründet. Nach den ersten Buchstaben der Namen der Gründer dieses Vereins, Hansemann, Kennemann und Tiedemann, nannten die Polen diese Organisation , Hakata'. Das Statut der Hakata sagte, das Ziel des Vereins sei, , die Kräftigung und die Sammlung des Deutschtums in den östlichen, von polnischer Bevölkerung besiedelten Teilen des Deutschen Reiches'. Die Hakatisten entwickelten eine breite antipolnische Aktivität in ganz Deutschland. Sie organisierten Geldsammlungen für das Siedlungswerk in Posen, riefen zum Kampf gegen die Erzeugnisse polnischer Industrie und zum Boykott polnischer Geschäfte auf usw.“

Was hier gesagt wird, ist zwar im ganzen richtig und typisch für die Erinnerung, die die preußische Herrschaft bei den Pofen hinterlassen hat, in den Einzelheiten aber anfechtbar, u. a.deshalb, weil der Schüler nicht erfährt, daß die preußischen Maßnahmen sich zunächst gegen die Vorkämpfer des Polentums, den polnisch-katholischen Klerus und den polnischen Adel, wandten. (Nicht Bauernhöfe wollte die Ansiedlungskommission kaufen, sondern Güter.) Dies Verschweigen erklärt sich aus dem offiziellen Geschichtsbild, in dem Geistlichkeit und Adel Feinde des Volkes sind.

Zu den Einzelheiten: Die Benutzung des Polnischen in öffentlichen Versammlungen war nicht generell verboten. Daß Orte mit polnischen Namen umbenannt wurden, war selten und geschah auf Antrag der Gemeindevertretung (z. B. Umbenennung von Chodziesen in Kolmar, von Inowrazlaw in Hohensalza). Die Schreibung von Personennamen wurde nur insofern geändert, als daß in amtlichen Schriftstücken die diakritischen Zeichen des Polnischen fortgelassen und die Vornamen in ihrer deutschen Form verwandt wurden. — Ob es das Kind mit der Tafel um den Hals wirklich irgendwo einmal gegeben hat? — Die Ausweisungen von 1885 betrafen nicht nur Polen, sondern auch Juden. Sie wurden gegen den Protest des Reichstages vollzogen.

Die preußische Ostmarkenpolitik blieb im ganzen gesehen erfolglos, wohl aber bewirkte sie eine Solidarisierung der Polen aller Stände gegen Deutschland.

Durch den Versailler Vertrag wurde dem neu-gegründeten Polen der Hauptteil von Posen und das Mittelstück von Westpreußen ohne Volksabstimmung zugesprochen. Volksabstimmungen führten in Teilen von West-und Ostpreußen zu einem überwältigenden, in Oberschlesien zu einem knappen Sieg (60 : 40) der Deutschgesinnten. Um in Oberschlesien vollendete Tatsachen zugunsten Polens zu schaffen, unternahmen die Polen dort drei Aufstände — zwei vor, einen nach der Abstimmung. über sie heißt es in einem Lehrbuch

Text 10:

„Die schlesischen Aufstände Der Krieg [Polens] gegen Sowjetrußland [1920] wirkte sich auch entschieden schädlich auf das Los Schlesiens aus. Der von dem Krieg in Anspruch genommene Staat kam der Bevölkerung Schlesiens nicht in ausreichendem Maße zur Hilfe. Im Kampf gegen die Deutschen war diese fast ausschließlich auf ihre eigenen Kräfte angewiesen. Die deutsche Propaganda verbreitete unter der schlesischen Bevölkerung Verleumdungen über Polen. Die Eigentümer der Bergwerke, Hüttenwerke, Fabriken und Güter entzogen den Polen die Arbeitsplätze, wenn sie die geringsten Anzeichen der Sympathie für Polen erkennen ließen. Nationalistische deutsche Kampfgruppen ermordeten in bestialischer Weise polnische Funktionäre, obgleich die internationale Interalliierte Kommission angeblich über den Frieden und die Sicherheit der Bevölkerung wachte.

In der Zeit vor der Abstimmung erhoben sich zweimal die schlesischen Arbeiter zum bewaffneten Kampf: im August 1919 und im August 1920. Die Aufstände waren eine Reaktion auf den Terror, dem die polnische Bevölkerung durch die deutschen Behörden ausgesetzt war, und auf die Politik der alliierten Mächte, hauptsächlich Englands, die planten, Schlesien den Deutschen zu überlassen. Beide Aufstände wurden zwar unterdrückt, aber infolge des 1. Aufstandes mußte die Interalliierte Kommission die deutsche Polizei durch alliierte Truppen ersetzen, und d^2. Aufstand beeinflußte in bedeutendem ’ e die Entscheidung in der Frage der Teilung Oberschlesiens.

Die Volksabstimmung, die im März 1921 stattfand, fiel für Polen ungünstig aus. Das hatte viele Gründe: die jahrhundertelange Germanisierung der Bevölkerung, den Terror der deutschen Kampfverbände und das geringe Interesse, das die polnische Regierung der Abstim- mung entgegenbrachte. Einen bedeutenden Einiluß auf das Ergebnis der Abstimmung hatte die Bestimmung, die das Wahlrecht allen Personen zuerkannte, die in Schlesien geboren waren, auch wenn sie seit langem nicht mehr in Schlesien lebten. Das ermöglichte 200 000 Deutschen, die sich außerhalb von Schlesien aufhielten, ihre Stimmen gegen Polen abzugeben. In der Zeit der Abstimmung verstärkte die deutsche Geistlichkeit ihre antipolnische Aktivität. Sie wurde begünstig durch den Nuntius Achilles Ratti, der durch den Papst zum kirchlichen Beauftragten für die Abstimmungsgebiete ernannt worden war. Seine unfreundliche Einstellung gegenüber Polen gab Achilles Ratti u. a. dadurch zu erkennen, daß er bei Besuchen in den Abstimmungsgebieten ausschließlich Kontakte mit den deutschen Geistlichen und den deutschen Behörden aufnahm, wobei er Proteste polnischer Geistlicher gegen die antipolnische Agitation des deutschen Klerus unbeantwortet ließ.

Da der Druck der Deutschen, die forderten, daß ihnen ganz Schlesien zuerkannt werden sollte, die Gefahr entstehen ließ, daß die parteiische Interalliierte Kommission Polen nur die agrarischen Kreise Pleß und Rybnik zuerkennen würde, brach im Mai 1921 der 3., der größte Aufstand aus. Der Sieg der Aufständischen nötigte den Völkerbund, sich der schlesischen Frage anzunehmen. Schließlich wurde Polen der südöstliche, industrielle Teil Schlesiens ohne die Städte Beuthen, Gleiwitz und Hindenburg zusammen mit den südlichen ländlichen Kreisen zuerkannt."

Ein 14-oder 15jähriger Schüler, der dies liest, muß den Eindruck bekommen, daß bereits um 1920 in ganz Schlesien — der Ausdruck Oberschlesien, von dem tatsächlich die Rede ist, fällt nur einmal — Polen gewohnt haben, allerdings abhängig von deutschen Behörden, Unternehmern und Gutsbesitzern. Ferner muß er annehmen, daß die Alliierten (einschließlich Frankreichs) und der Papst prodeutsch gewesen seien. AH das ist falsch, und falsch oder schief sind auch viele der angeführten Einzelheiten c) Gegenwart (seit 1939)

Nachdem Hitler sich im August 1939 mit Stalin über die Teilung Ostmitteleuropas geeinigt hatte, entfesselte er am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg. Innerhalb weniger Wochen war Polen von deutschen und sowjetischen Truppen besetzt, der Bug wurde zur deutsch-sowjetischen Grenze. Der deutsche Anteil Polens wurde z. T. unmittelbar dem Reich angeschlossen („Eingegliederte Ostgebiete"), z. T. als „Generalgouvernement" eine Art Ausbeutungskolonie. Die Polen erlebten unter deutscher, aber auch unter sowjetischer Herrschaft die schwerste Zeit der Unterdrückung. Während die Lehrbücher sowjetische Maßnahmen gegen die Polen, z. B. Katyn, nicht erwähnen, schildern sie ausführlich die deutschen. Szostakowski führt darüber in seinem Buch von 1967 (vgl. Anm. 7, S. 241 u. 245) aus:

Text 11:

„Die Nazis [im Text , hitlerowcy’] regierten in den polnischen Landen in barbarischer Vergewaltigung der Haager Konvention von 1907, in der 44 Staaten (unter ihnen Deutschland) sich verpflichtet hatten, in Kriegszeiten vor allem gegenüber der Zivilbevölkerung humanitäre Grundsätze zu befolgen. In den polnischen Landen machten sie es sich zum Grundsatz, daß , eine wirksame und dauerhafte Einschüchterung nur durch Anwendung der Todesstrafe oder solcher Mittel erzielt wird, die bewirken, daß die Familie und die Bekannten des Verbrechers dessen Los nicht erfahren'. (Marschall Wilh. Keitel) [Rückübersetzung].

Die planmäßige Vernichtung der polnischen Nation Ziel der hitleristischen Politik war die Vernichtung des polnischen Volkes. Im Mai 1940 erklärte [Generalgouverneur] Frank, daß , man den Augenblick, in dem die Aufmerksamkeit der Welt auf die Westfront gerichtet ist, zur Massenhquidierung von Tausenden von Polen benutzen muß, vor allem gilt das für die iührenden Mitglieder der polnischen Intelligenz’ iRückübersetzungl. (. . .)

Das politische Ziel des Nazi-Terrors in Polen war es, im Osten , Lebensraum für das deutsche Volk zu gewinnen. Die Nazi-Praxis strebte nicht nach Germanisierung des polnischen Volkes . . ., sondern danach, das gesamte polnische Volk aus seinen Wohnsitzen zu vertreiben und die zur Arbeit nicht Tauglichen oder Willigen zu ermorden. Das waren Pläne, die polnische Nation vollständig zu vernichten.“

Wenn auch in diesen kurzen Auszügen der Unterschied zwischen den verschiedenartigen deutschen Maßnahmen in den „Eingegliederten Ostgebieten" und im „Generalgouvernement" nicht erkennbar wird, so ist doch nichts von dem, was gesagt wird, übertrieben oder gar falsch, und auch das Motiv der Politik Hitlers, das Streben nach „Lebensraum", wird richtig genannt. Das war in älteren Lehrbüchern anders. Z. B. hieß es in einem Oberstufen-Lehrbuch von 1952

„[Hitler] wollte Lebensraum für die deutsche Nation gewinnen, in Wirklichkeit aber Ausbeutungsgebiete für die deutschen Großkapitalisten und Gutsherren."

Diesen Versuch, den Zweiten Weltkrieg in das Schema des marxistischen Dogmas von der Rolle der „Monopolkapitalisten" hineinzuzwängen, macht man heute nicht mehr.

Der Zweite Weltkrieg endete mit der Katastrophe des Großdeutschen Reiches und damit, daß die Polen im Westen mehr erhielten, als sie gefordert hatten. Die in Ostdeutschland und Danzig noch anwesenden Deutschen wurden — ähnlich wie vorher die Polen in den eingegliederten Ostgebieten — vollständig entrechtet. Entweder wurden sie noch 1945 über die Oder und Neiße verjagt oder aber in den folgenden Jahren abgeschoben. In den entvölkerten Gebieten wurden Polen angesiedelt. Uber diese Vorgänge heißt es bei Szota-kowski (vgl. Anm. 7, S. 234):

Text 12:

Besitznahme und Bewirtschaftung der Wiedergewonnenen Gebiete Die Gesamtheit der Wiedergewonnenen Gebiete umfaßt rund 100 000 km 2 oder fast den dritten Teil der Gesamtfläche Polens. Die Ausdehnung dieses Gebietes, seine bevölkerungsmäßige Aufnahmefähigkeit, seine bedeutenden natürlichen Reichtümer, sein im Vergleich mit dem übrigen Polen hoher Stand der allgemeinen Entwicklung und seine außerordentlich günstige geographische Lage machen aus den westlichen und nördlichen Gebieten einen der wertvollsten Teile Polens. Die Rückkehr Po lens in die alten piastischen Lande ermöglichte es den dort wohnenden Polen, sich mit dem Vaterland zu vereinigen.

Die Kraft Volkspolens ging daran, diese infolge der kriegerischen Ereignisse verwüsteten Lande wieder zu bewirtschaften. An die Stelle der deutschen Bevölkerung, evakuiert auf Grund eines Beschlusses der Konferenz von Potsdam, strömte polnische Bevölkerung aus dem östlich des Bug gelegenen Gebiet und aus den übervölkerten, armen Gegenden des mittleren und südlichen Polen. In dem genannten Gebiet siedelten sich auch die an, die einst in die Fremde hatten auswandern müssen, und die, als Polen seine Unabhängigkeit wiedererlangt hatte, von vieljähriger Wanderschaft zurückkehrten. Von der 8-Millionen-Bevölkerung der westlichen und nördlichen ehemals deutschen Gebiete ist ein bedeutender Teil schon dort geboren und in Volkspolen ausgewachsen. Fast eine halbe Million von Bauernfamilien hat Land und Gehöfte erhalten. Die städtische Bevölkerung hat viele Arbeitsmöglichkeiten und meist auch gute Wohnverhältnisse gefunden."

Eine der größten Bevölkerungsverschiebungen der europäischen Geschichte wird, was die deutsche Seite betrifft, hier mit zwei Zeilen abgetan, über die Vertreibung der Ostdeutschen mit all ihren Begleitumständen pflegt man in Polen nicht nur in Schulbüchern zu schweigen. Sie ist noch „unbewältigte Vergangenheit". Gebiete, die bereits im 14. Jahrhundert aus dem polnischen Staatsverband ausgeschieden sind (Schlesien) oder im 10. und 11. Jahrhundert in einem losen Abhängigkeitsverhältnis zu ihm gestanden haben (Pommern) oder im 16. /17. Jahrhundert lehnsabhängig von Polen waren (Ostpreußen) als „wiedergewonnen" zu bezeichnen, ist recht kühn. „Plastisch" war von ihnen nur Schlesien.

Zusammenfassung

überblickt man insgesamt, was die heutigen polnischen Geschichtslehrbücher, aus denen hier Auszüge gebracht worden sind, über Deutschland und die Deutschen schreiben, so ergibt sich folgendes Bild: 1. In den allgemeinhistorischen Abschnitten erscheint Deutschland neben Italien, Frankreich und England als eines der führenden Länder Europas. 2. In den Abschnitten, in denen von den Beziehungen zwischen Polen einerseits und den Kaisern, dem Deutschen Orden sowie Brandenburg-Preußen andererseits berichtet wird (bis 1795), erscheinen zwar die Kaiser als zumindest zeitweilig erträgliche Nachbarn (Text 1), die Ordensritter jedoch (Texte 5, 6) und ebenso die Hohenzollern als eroberungslüsterne, hinterlistige Aggressoren.

3. In den Abschnitten, die sich mit der Geschichte der heute polnischen Gebiete befassen, die vom Mittelalter bis ins'20. Jahrhundert ganz oder vorwiegend deutsch besiedelt waren und zu deutschen Staatswesen gehörten, werden die Deutschen entweder nur kurz (Text 3) oder überhaupt nicht erwähnt (Text 7).

4. In den recht umfangreichen Abschnitten, die von preußischer Herrschaft über Gebiete mit polnischer Bevölkerung handeln, erscheinen die Deutschen als Unterdrücker, Germanisato-ren und Ausbeuter (Texte 8, 9, 10).

5. Die Abschnitte über die Zeit des Zweiten Weltkrieges stellen die nationalsozialistische deutsche Herrschaft so dar, wie die Polen sie erlebt haben, das heißt als Terror schlimmster Art (Text 11).

6. Als Verbündeter oder Förderer der Deutschen erscheint oft die Katholische Kirche (Texte 4, 6, 8, 10).

7. Die Lehrbücher schildern zwar Polen als Objekt eines deutschen „Dranges nach Osten", machen aber nur selten Versuche, Triebkräfte und Motive deutscher Ostpolitik verständlich zu machen. Daß Polen und Deutsche sich vielfach von gleichen politischen Zielsetzungen leiten ließen — zwischen 1815 und 1939 etwa: Wiederherstellung oder Behauptung historischer Grenzen, Streben nach politischer Vereinigung des gesamten Sprachgebietes, nach Assimilierung oder Verdrängung nationaler Minderheiten —, wird nirgends deutlich. Insgesamt gesehen, erscheinen die Deutschen vor allem als Angreifer, Unterdrücker und Ausbeuter.

Zwar hat es in den rund tausend Jahren polnisch-deutscher Nachbarschaft viel mehr Jahrhunderte des Friedens als solche des Zwistes gegeben, aber die des Friedens sind fast vergessen, die des Zwistes dagegen (Texte 1, 5, 6, 10) und deutscher Herrschaft (Texte 8, 9, 11) in lebhafter Erinnerung.

Das Geschichtsbild der Volksrepublik, das sich aus diesem Bild der Deutchen erschließen läßt, ist nationalstaatlich, wenn auch mit Einzelzügen, die dem des historischen Materialismus entnommen sind.

Daß die Polen ihren nationalen Staat so außerordentlich hoch bewerten, ist das Ergebnis der bitteren Erfahrungen, die sie seit dem 18. Jahrhundert mit der Fremdherrschaft gemacht haben. Diese haben sie auch äußerst empfindlich gegenüber Demütigungen werden lassen, besonders solchen, die ihnen von westlicher Seite zugefügt worden sind, das heißt von den Nationen, denen die Polen sich zugehörig fühlen. Die meisten und schwersten dieser Demütigungen haben die Polen durch Deutsche erlitten, nicht nur unter Hitler (Text 11), sondern auch schon früher (Texte 8, 9). Die Zeiten der Unfreiheit haben bei ihnen den festen Willen erzeugt, das, was ihnen im Rahmen des Ostblocks an Freiheit geblieben ist, unbedingt zu behaupten.

Dem nationalstaatlichen Geschichtsbild entsprechen auch die politisch-pädagogischen Zielsetzungen der Geschichtslehrbücher. Sie wollen die Schüler überzeugen, daß das Territorium der heutigen Volksrepublik, und zwar nicht mehr und nicht weniger als dies, stets polnisches Land gewesen ist — daher das Schweigen über die deutsche Geschichte der Oder-Neiße-Gebiete — und auch stets polnisches Land bleiben muß. Außerdem wollen die Bücher den Willen erwecken, die Souveränität Polens in diesem Rahmen nach dem Vorbild der Väter unbedingt und immer zu verteidigen. Der einzige potentielle Angreifer aber, auf den die Lehrbücher, wenn auch nicht expressis verbis, immer wieder hinweisen, ist Deutschland.

Wenn auch nicht alles, was in den Lehrbüchern steht, z. B. über die Katholische Kirche, die Schüler überzeugen wird — daß Polen Deutschland zu fürchten hat, das wird ihnen als sicher erscheinen.

Mag man als Deutscher diese Furcht auch für unbegründet halten, sie ist eine Tatsache und damit — neben anderen Umständen — ein Hindernis, das die Annäherung zwischen beiden Völkern noch immer erschwert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. dazu: Kurt Lück, Der Mythos vom Deutschen in der polnischen Volksüberlieferung und Literatur, Posen 1938; Gotthold Rhode, Das Bild der Deutschen im polnischen Roman des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und das polnische Nationalgefühl, in: Ostdeutsche Wissenschaft, Bd. VIII (1961), S. 327— 366.

  2. Jerzy Domiat, Historia dla klasy I liceum oglno-

  3. Helena Michnik/Ludwika Mosler, Historia Polski do roku 1795, Warszawa 1957 (Auflage 15 000), S. 20 ff.

  4. Maria Dluska/Janina Schoenbrenner, Historia dla klasy IV., Warszawa 1956 (Auflage 470 000), S. 28.

  5. Vgl. Anm. 2, S. 394 f.

  6. Adam Kersten u. Tadeusz Lepkowski, Historia dla klasy II liceum ogölnoksztalcqcego, Warszawa 1968 (Ausl. 205 000), S. 383.

  7. Stanislaw Szostakowski, Historia dla klasy VII., Warszawa 1967 (Auflage 224 000), S. 186 f.

  8. Henryk S^dziwy, Historia dla klasy VIII., Warszawa 1968, S. 79— 83.

  9. Zanna Kormanowa (Red.), Historia Polski 1864— 1945, Materily do nauczania w klasie XL, Warszawa 1952, S. 382.

Weitere Inhalte

Enno Meyer, Dr. phil., geb. 1913 in Oldenburg i. O., Oberstudienrat an einem Gymnasium in Oldenburg. Veröffentlichungen u. a.: Uber die Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen im Geschichtsunterricht, Braunschweig 19603; Deutschland und Polen 1772 bis 1914, Klett-Quellenheft 19672; Juden und Judenfeinde. Einführung in die Geschichte der Juden, Darmstadt 19662; Das europäische Nationalstaaten-system /Völker und Staaten Ostmitteleuropas, in: Neue Gemeinschaftskunde, Paderborn 1966.