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Legitimationsprobleme in der Gesellschaftslehre -Zum Streit um die hessischen „Rahmenrichtlinien" | APuZ 41/1973 | bpb.de

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APuZ 41/1973 Legitimationsprobleme in der Gesellschaftslehre -Zum Streit um die hessischen „Rahmenrichtlinien"

Legitimationsprobleme in der Gesellschaftslehre -Zum Streit um die hessischen „Rahmenrichtlinien"

Friedrich Minssen

/ 84 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Aus Anlaß der hessischen „Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre" wird die Frage nach der Legitimität von Lernzielsetzung grundsätzlich gestellt: Wer ist befugt, oberste Lernziele aufzustellen? Welche inhaltlichen Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Lernziele Geltung beanspruchen können? Wie ist vorzugehen, damit Geltung ermittelt, untersucht, festgestellt werden kann? Die formale Legitimation der Lernzielsetzung durch Schulverwaltungen (Kultusministerien), ohnedies verstärkter demokratisch-parlamentarischer Absicherung bedürftig, ist mit dem Schwinden der überkommenen „naturwüchsigen" Legitimationsbasis zunehmend fragwürdig geworden. Ausdruck dessen wurde die neue Curriculumforschung und -planung, deren Arbeiten im Bereich der Gesellschaftslehre (politischen Bildung) bisher jedoch kaum zu unumstrittenen, theoretisch abgesicherten, für die Lernzielsetzung praktikablen Kriterien geführt zu haben scheinen. Möglichkeiten dafür ergeben sich erst neuerdings durch die von Habermas beigebrachte Unterscheidung zwischen „deskriptiven Aussagen über geltende Normen einerseits und präskriptiven Aussagen andererseits, die die Wahl von Normen betreffen", also zwischen geltenden Normen und zur Geltung drängenden , (normativen Optionen". Anhand dieser Unterscheidung wird der Versuch unternommen, u. a. die im Begründungszusammenhang von Fernzielsetzungen öfters beigezogenen „Verfassungsgebote" kritisierbar zu machen und zu bestimmen. Es werden Gründe dafür beigebracht, mit Ausnahme der Würdeschutzbestimmung in Art. 1 des Grundgesetzes, „Verfassungsgebote" nicht extensiv im Sinne von „Vollstreckungsbefehlen", sondern dringend als „Einhaltegebote", in den Worten Rudolf Smends als „Anregungen und Schranken", zu interpretieren. Für das Bildungswesen wird daraus gefolgert, daß mit der Würdeschutzbestimmung für den Geltungsbereich des Grundgesetzes Schranken errichtet worden sind, die Indoktrination und „Überwältigung" nicht zulassen — wobei unter „Überwältigung" Formen und Inhalte von Erziehung und Unterricht verstanden werden, die durch Konditionierung, Überredung, Einschüchterung, Emotionalisierung, durch Verzerrung oder Verkürzung von Sachverhalten die Persönlichkeitsrechte des Aufwachsenden beeinträchtigen. Die Untersuchung erstreckt sich weiterhin auf das Konzept des Curriculum selbst, das im Hinblick auf die grundgesetzlichen Schranken im Bereich der Gesellschaftslehre als „offenes Curriculum" — verbindlich nur für die geltenden Grundnormen, kontrovers für den Bereich der „normativen Optionen" — möglich erscheint, sowie auf die curricularen Ansätze in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und insbesondere Hessen, dessen „Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre" im Hinblick auf Legitimationssubstanz, Legitimierungssorgfalt und Umsetzungsqualität einer z. T.detaillierten Analyse unterzogen werden.

Stichwort: Curriculum

Während bisher die Resonanz auf die Festlegung neuer Arbeitsziele für die Schule selten über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinausdrang, sind die hessischen „Rahmenrichtlinien" (vor allem für „Deutsch" und für „Gesellschaftslehre") — letztere im folgenden kurz RR genannt — in der bundesdeutschen Öffentlichkeit Gegenstand zunehmend leidenschaftlicher Stellungnahmen geworden. Ausmaß, Intensität und Echowirkung, die die öffentliche Diskussion mittlerweile angenommen hat — und die bei aller Publizitätsfreudigkeit dem verantwortlichen Herausgeber, Staatsminister Ludwig v. Friedeburg, und seinen kooperierenden Autoren-Teams durchaus nicht nur angenehm sein kann —, läßt freilich vermuten, daß es bei der Kontroverse um die RR noch um mehr geht als die Frage, ob sie als Ausfluß einer eher unentschiedenen bildungspolitischen Strategie aufzufassen sind, der jedoch (wie die Verteidiger sagen) eine nachdrücklich progressive Konzeption zugrunde liegt, oder als das Ergebnis einer durchaus entschiedenen und keineswegs konzeptionslosen, dabei jedoch einschleichend verfahrenden kryptorevolutionären Taktik (wie einige Kritiker zu verstehen geben) Auch scheint es noch um anderes zu gehen als um das unleugbare, auch von den Verteidigern, soweit ersichtlich, nicht bestrittene Ärgernis, das dies, bei mancherlei Vorzügen, in Ansatz und Ausführung doch recht defizitär geratene Kapitel hessischer Landesschulpolitik seiner manifesten Mängel wegen unweigerlich auslösen mußte. Beide aber, Kontroverse wie Ärgernis, haben immerhin das Gute, daß sie, in ihrer Wirkung noch jüngst verstärkt durch die in Nordrhein-Westfalen erfolgte Herausgabe von „Richtlinien für den

Politischen Unterricht" sowie eine bevorstehende Veröffentlichung in Rheinland-Pfalz, die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit auf fundamentale Fragen unseres Bildungswesens und unserer Gesellschaftspolitik gelenkt haben, deren Erörterung längst schon anstand.

Deren eigentlichen Mittelpunkt bildet das neue pädagogische Konzept des Curriculum, verstanden als ein umfassendes und effizientes Instrument zur systematischen und kontrollierbaren Verwirklichung von (als Qualifikationen für Verhalten begriffenen) Lernzielen, die ihrerseits in einem von einem gesellschaftlichen Konsens rational ableitbaren, in sich schlüssigen Zusammenhang stehen (sollen).

Dieses Konzept entspricht zugleich tiefsitzenden gesellschaftlichen Motivationsbedürfnissen, wie es weitreichende Befürchtungen vor unbegrenzten gesellschaftlichen Disziplinierungen wecken kann. In einer Epoche, in der in allen Industriegesellschaften ein offensichtliches Schwinden der Bestände an Sinn zu beobachten ist, in der die Schwierigkeiten wachsen, verläßlich für die zur Reproduktion, Entfaltung, Weiterbildung dieser Gesellschaft unerläßliche gesellschaftliche Arbeit zu motivieren, scheint das Konzept des Curriculum, schon seines ümfassenden Ansatzes wegen, einen Ausweg zu bieten. Es kann als eine Chance, mindestens als ein Versuch gewertet werden, die Lösung der „fundamentalen Frage nach dem Fortbestehen eines für die Gesellschaft konstitutiven wahrheitsabhängigen Sozialisationsmodus" zu erleichtern (Habermas 1973 a, 194).

Gleichzeitig aber könnte sich durch den Perfektionismus, der dem Konzept des Curriculum als einem gleichsam fugenlos durchkonstruierten System von Bildungsangebot und Sozialisationsmodus unablösbar anzuhaften scheint, die Masse der Zwänge, denen der einzelne und die Gruppe sich ausgeliefert fühlen, ins Unabsehbare und Unerträgliche vermehren und so die ursprüngliche Motivationsabsicht im Ergebnis ins Gegenteil verkehren. Angesichts des Anspruchs, den sie stellen, der Hoffnungen und Befürchtungen, die siewecken, versteht es sich, daß weitgreifende curriculare Projekte von hohen Verbindlichkeitsgraden, wie sie die hessischen „Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre" anstreben, einer genauen kritischen Nachprüfung unterliegen. Diese muß sich vor allem auf ihre Legitimierungssorgfalt, ihre Legitimitätssubstanz, ihre Umsetzungsqualität sowie auf die Freiheitsräume, die sie lassen, erstrecken.

Mit Legitimierungssorgfalt ist die Genauigkeit in der Ermittlung des den Lernzielen zugrunde liegenden Konsens’, mit Legitimität dessen Tragfähigkeit, d. h.seine an überprüfbaren Geltungsansprüchen kritisierbare Verbindlichkeit, mit Umsetzungsqualität ist einerseits die Schlüssigkeit der daraus abgeleiteten Lernziele sowie deren Stimmigkeit untereinander gemeint, andererseits aber auch die Berücksichtigung der Bedingungen, die sich für die Verwirklichung des Curriculum aus dem Stand der wissenschaftlichen Einsicht (etwa über Lernvorgänge) sowie aus den Erfordernissen und Möglichkeiten der Praxis ergeben.

Richtlinien für die Gesellschaftslehre, für den Bereich also, den man bisher politische Bildung genannt hat, müssen schon in Anbetracht ihrer vermutlich doch recht nachhaltigen Auswirkungen auf die politisch-gesellschaftliche Bewußtseinslage daraufhin untersucht werden, inwieweit sie geltenden (untereinander nicht selten divergierenden und z. T. kontroversen) Auffassungen, Zielvorstellungen, Ordnungsbildern und „gesellschaftlichen Postulaten" Rechnung tragen. Ferner ob die Art und Weise ihres Zustandekommens demokratischen Grundsätzen sowie Anforderungen entspricht, die man an wissenschaftliche oder sonstwie hinreichend abgesicherte Verfahrensweisen einer sowohl generalisierten wie fundierten Meinungsbildung zu stellen berechtigt ist. Des weiteren, ob sie praktikabel sind und inwieweit sie den berechtigten Selbst-und Mitbestimmungsbedürfnissen der Adressaten — in erster Linie Lehrer und Schüler, dann aber auch Eltern und Öffentlichkeit — Raum lassen.

Wer ist legitimiert?

Bei der Bestimmung oberster Lernziele handelt es sich sowohl um ein Legitimitäts-wie um ein Legitimierungsproblem. Das Legitimitätsproblem konkretisiert sich in der Frage: Welche inhaltlichen Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Lernziele Geltung beanspruchen können?; das Legitimierungsproblem dagegen in der Frage nach dem Verfahren: Wie muß vorgegangen werden, damit Geltung ermittelt, untersucht, festgestellt werden kann? Damit zugleich stellt sich die Frage nach den Legitimierungsinstanzen: Wer ist befugt, oberste Lernziele aufzustellen?

Formal liegt die Richtlinienkompetenz im Bildungswesen der Bundesrepublik unbestritten bei der Exekutive der Länder; darin stimmen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts überein. Diese Kompetenz folgt aus dem herkömmlich überaus weitgefaßten, das umgangssprachliche Verständnis entschieden überschreitenden Begriff der „Schulhoheit":

in verwaltungsrechtlicher Interpretation umfaßt diese. „die Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung" [Bundesverwaltungsgericht, Entscheidungssammlung, insbes. 6, 101, (104); 18, 38 (39), zit. bei: Kurt Gawlitta, 1973, 101) ]. , Dieser Kompetenz stehen nur geringfügige Einschränkungen gegenüber: „Gesetzgeberische Maßnahmen werden nur dann für erforderlich gehalten, wenn mit den vorgesehenen Schritten unmittelbar in den Schutzbereich der Grundrechte eingegriffen werden soll, zum Beispiel die Verpflichtung zum Besuch staatlicher Schulen geschaffen wird. Jegliche andere Regelung wird als Domäne der Verwaltung angesehen" (Gawlitta, 98).

Der durch die weitgespannte Interpretation von „Schulaufsicht" bedingte Widerspruch zu der sonst rechtsstaatlich üblichen, durch das Grundgesetz (GG 20) angeordneten und durch legislatorische Praxis durchgehend bekräftigten Arbeitsteilung zwischen Verwaltung und Parlament ist evident. Im allgemeinen bindet das Grundgesetz durch das Prinzip des Gesetzesvorbehalts die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht, wie denn auch Grundsatzentscheidungen „im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge und zu leistender Tätigkeit des Staates" (Gawlitta, 101) in der Regel über Gesetzesbeschlüsse des Parlaments zustande kommen. Insofern erscheint die uneingeschränkte Richtlinienkompetenz der Exekutive auch formal problematisch.

Nun ist aber die Setzung von Lernzielen und Lerninhalten eine Entscheidung von kaum zu überschätzender politisch-gesellschaftlicher Tragweite. Fast könnte man ihr Verfassungsrang zubilligen, wie denn auch für Aristoteles die Ordnung der Erziehung die wichtigste Aufgabe des Gesetzgebers war („Politik" VIII, 1). Nicht nur stellen oberste Lernziele weitreichende normative Entscheidungen dar; sie regeln und gestalten zudem „im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge und zu leistender Staatstätigkeit" materiell langfristige Prozeßabläufe in einem Maße, wie es sonst nur Gesetzen vorbehalten ist, die selten gleichzeitig, wie oberste Lernziele, Normen setzen und Maßnahmen festlegen. Indem Lernziele und Lerninhalte Bewußtsein und Verhalten Heranwachsender nachhaltig beeinflussen, prägen sie langfristig und vielleicht definitiv die „Gestalt" des künftigen Bürgers; sie präformieren durch Anlegung und Ausgestaltung von normbestimmten und Normen induzierenden Lernprozessen, die nicht auf die kognitive Ebene beschränkt bleiben, Mensch und Gesellschaft mindestens der nächsten Generation. Sie „entscheiden mit darüber, in welchem Maße der Heranwachsende jetzt und später als Vollbürger. . . ... in der Lage sein wird, die Stellung des mündigen Bürgers auszufüllen und in weitgehend freier Selbstbestimmung sein Leben zu gestalten" (Gawlitta, 99). Es handelt sich um politische Entscheidungen, die unvermeidlich und einschneidend in den Schutzbereich der Grundrechte eingreifen, um Einschränkungen mindestens des die grundgesetzliche Ordnung fundierenden Art. 1 („Würde des Menschen") wie u. a.der Art. 2 („Entfaltung der Persönlichkeit") und 4 („Gewissensfreiheit"). Es ist bemerkenswert, daß diese gesetzanalogen Entscheidungen, die an sich parlamentarisch abzusichern wären, bei uns innerhalb des Ermessensspielraumes von „Regierungsakten", die praktisch kaum parlamentarischer Nachprüfung unterliegen, Zustandekommen.

Im Hinblick auf die grundlegende, künftige politisch-gesellschaftliche Entwicklung konstituierende Bedeutung von Bildungszielen erscheint die Forderung nicht unberechtigt, daß jene „aus demokratischer Entscheidungskompetenz hervorgehen sollten" (Struktur-plan, 1970, 67). Auch wurde gefordert, „Lehrpläne sollten von Gremien entwickelt werden, die stellvertretend für die Gesamtgesellschaft die erforderliche Willensbildung vollziehen. Wegen ihrer quasilegislativen Funktion sollten für Lehrplangremien parlamentanaloge Strukturen und Verhaltensweisen gelten"

(H. Tütken, 1970, 466).

In der Frage nach den Legitimierungsinstanzen für die Lernzielbestimmung wird der politische Aspekt des Problems sichtbar. Es genügt jedoch nicht, ihn nur zu nennen und dann auf sich beruhen zu lassen, wozu Felix von Cube und Ernst-August Roloff zu neigen scheinen: „Lernziele werden zunächst einmal gesetzt. Das ist ein Akt persönlicher Wertentscheidung — oder — im gesellschaftlichen Bereich — ein Akt politischer Entscheidung (v. Cube, 1972, 12). „Lernziele sind — man kann das nicht oft genug wiederholen — Resultate politischer Entscheidung" (Roloff, 1973, 82). Daß Entscheidungen über oberste Lernziele, ob sie von Exekutiven, Parlamenten, Bildungsparlamenten — oder wem sonst — ausgehen, politisch sind, ist eine Trivialität. Es bei ihr bewenden zu lassen, legt die Vermutung nahe, hier solle das Problem der Kompetenzbestimmung weniger analysiert, als vielmehr durch Verwendung der beliebten Leerformel „politisch" im Sinne eines überholten, steril gewordenen, rein dezisionistisehen Politikbegriffs vorzeitig erledigt, ins „Refugium des Irrationalen" (Horkheimer, 1968 I, 173) abgeschoben werden.

Nicht minder bezeichnend ist es, daß die doch recht einleuchtende Forderung nach einer (parlamentarischen) Basisverbreiterung der Richtlinienkompetenz im Bildungswesen nur selten erhoben wurde und bisher keineswegs auf überwältigende Zustimmung gestoßen ist. Vielleicht dient es der Klärung, den manifesten Einwänden und den zu vermutenden Widerständen gegen diese Forderung nachzugehen.

Das Zögern der Exekutive findet in der Regel in „der Notwendigkeit ständiger flexibler Anpassung der Lehrpläne" (Gawlitta, 89) seine Rechtfertigung. Eben dieser Notwendigkeit nachzukommen, sofern es um „oberste Lernziele" geht, dürfte jedoch für parlamentarische Gremien nicht ganz und gar undenkbar sein; ernsthafte Schwierigkeiten sind erst im Bereich der von jenen abgeleiteten, pädagogisch zu konkretisierenden sowie der fachspezifischen Lernziele zu vermuten. Offenbar hat aber auch die Sachkompetenz der Verwaltung hier mit Schwierigkeiten zu kämpfen: „Der von der Verwaltung bei einer Einschaltung des Parlaments befürchtete Modernitätsrückstand konnte unter der Geltung des gegenwärtigen Verfahrens jedenfalls nicht vermieden werden", stellt Gawlitta fest (99). Vermutlich liegen dem offensichtlichen Zögern, die Richtlinienkompetenz der Exekutive einzuschränken, noch andere, schwererwiegende Befürchtungen zugrunde. Diese konnten durch das überlieferte, grundgesetzlich verankerte und nur selten offen angezweifelte Institut der Kulturhoheit der Länder bisher immer wieder beschwichtigt werden; sie haben sich neuerdings aber verstärkt. Jenem komplizierten Instrument — und damit den Länderexekutiven — war es zu danken, wenn die Gefahr einer „Versäulung" unseres Bildungswesens, die angesichts des bei uns besonders ausgeprägten, historisch, konfessionell, politisch, regional usw. bedingten Pluralismus der Normen und Wertvorstellungen nicht ganz unbegründet scheint, bisher gebannt werden konnte.

Das aus dem Niederländischen stammende Wort „Versäulung" kennzeichnet die dort (sowie in Belgien) sichtbar gewordene Tendenz religiöser oder nationaler Gruppen, ihren sozialen und kulturellen Bereich in radikaler Absonderung möglichst autonom zu gestalten. Das kann dazu führen, daß jeweils partikular geprägte Bildungssysteme unkommunikativ und unverbunden, „säulenartig", nebeneinander existieren und die für das Funktionieren von Gesellschaften und ihrer Kultur-und Bildungsbereiche relevante Bedingung des ungehinderten Kommunikationsflusses erheblich eingeschränkt wird.

Demgegenüber gelang es der Institution der Kulturhoheit der Länder lange Zeit hindurch, sowohl recht unterschiedlichen Ziel-Mittel-vorstellungen jeweils Rechnung zu tragen wie die für das Gesamtsystem unerläßliche übergreifende Gemeinsamkeit zu wahren oder herzustellen. Damit wurde zugleich die gebotene Kontinuität von Bildungsarbeit gesichert und — in Grenzen — dem Postulat des Grundgesetzes nach „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" (GG 72, 3) entsprochen. Gelegentliche Einschläge von Provinzialismus und „cultural lag" waren dagegen offenbar nicht ganz zu vermeiden.

Jene provinziellen Züge würden durch eine Verlagerung der Richtlinienkompetenz etwa auf die Ebene der Länderparlamente jedoch kaum verringert. Dagegen würde das Risiko erhöht, daß politisch unterschiedlich oder einseitig akzentuierte Bildungsvorstellungen regional stärker zum Zuge kommen, als das bisher der Fall gewesen ist. So könnte zwischen Ländern, in denen Parteien längerfristig regieren, die Gefahr der „politischen Versäulung"

eintreten, während in Ländern, in deren Regierungen die Parteien sich in rascherer Folge ablösen, die Arbeit der Schule mit wenig förderlichen Unstetigkeiten und Inkonsistenzen belastet würde, so wünschenswert da und dort eine Verstärkung bildungspolitischer Dynamik wäre.

Niklas Luhmann (1971, 62) hat nachzuweisen versucht, daß „die genaue Innendifferenzierung von Politik im politischen System zu den Strukturbedingungen differenzierter Gesellschaften", zu den notwendigen Funktionsund Effizienzvoraussetzungen des Rechtsstaates gehört: „Soll die Verwaltung auf Programmierung und Programmausführung spezialisiert werden, muß sie unter formulierten Bedingungen der Legitimität arbeiten ... sie muß Legitimität in Anspruch nehmen können, ohne sie selbst erarbeiten zu müssen".

Diese Darstellung entspricht den Verhältnissen, wie sie bis vor kurzem bestanden. In der Tat hat das vor parlamentarischen Eingriffen relativ abgesicherte System der Kulturhoheit der Länder über die Instrumente der Kultusminister-und der Ministerpräsidentenkonferenzen „Legitimität in Anspruch nehmen können, ohne sie selbst erarbeiten zu müssen"; es konnte so Erfordernissen des Gesamtsystems stillschweigend nachkommen. Das war möglich, weil einerseits seine aus der herkömmlichen Interpretation von „Schulhoheit" abgeleitete formale Richtlinienkompetenz unbestritten war, und anderseits, weil in materieller Hinsicht es „bisher einen Kanon, der sich naturwüchsig herausgebildet hatte, nur zu kodifizieren brauchte" (Habermas, 1973, 357). Aber die Zeiten haben sich geändert, die Weiterführung dieser Leistung ist in Frage gestellt. Ein Symptom für und zugleich eine Reaktion auf die neue Lage ist die vor wenigen Jahren einsetzende Curriculumforschung und -planung, die nicht umhin konnte, sich auch dem Legitimationsproblem zu stellen. Das enthebt freilich die Inhaber der formalen Richtlinienkompetenz nicht ihrer Verpflichtung, diesem Problem nach wie vor ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Zum Sinn der Curriculum-Diskussion

„Der Curriculum-Planung", schreibt Habermas, „liegt die Prämisse zugrunde, daß die Überlieferungsmuster auch anders sein könnten: Die administrative Planung erzeugt einen universalen Rechtfertigungszwang gegenüber einer Sphäre, die sich gerade durch die Kraft der Selbstlegitimierung ausgezeichnet hatte" (Habermas 1973 a, 101).

Dieser Legitimierungszwang ist als neue Ausgangslage allenthalben spürbar. Nur wird er wohl nicht nur „durch administrative Planung" erzeugt; er entsteht vielmehr, wenn „das soziokulturelle System das erforderliche Maß an handlungsmotivierendem Sinn nicht (mehr) generiert". Dieses tief beunruhigende Phänomen führt Habermas (a. a. O., 72) über-B kapitalistischen Systems zurück, während Entsprechungen sich durchaus auch in nicht-kapitalistischen Industriegesellschaften beobachten lassen. So gehört dieser Zwang wohl eher in den großen Zusammenhang des von Max Weber beschriebenen umfassenden neuzeitlichen Rationalisierungsprozesses und damit der zunehmenden Verwissenschaftlichung und Problematisierung aller Lebensbereiche in „fortgeschrittenen" Gesellschaftssystemen, wo das Nachprüfungsrecht kritischer Vernunft keine Ausnahmen mehr zuläßt; er gehört damit zum Problemfeld der „Dialektik der Aufklärung" (Horkheimer/Adorno 1947). In der Bundesrepublik macht diese Dialektik sich bemerkbar im Konsensverfall im Gefolge zunehmender politischer Polarisierung, im Umkreis der „Gesellschaftslehre" in der sich zuspitzenden didaktischen Diskussion um Zielkonzepte der politischen Bildung

Wenn die kulturellen Überlieferungen ihre legitimierende Kraft verlieren — welche Legitimierungsmöglichkeiten verbleiben dann? Eine Möglichkeit ist ihre Fortbildung „mit hermeneutischem Bewußtsein": „Hermeneutik, als die gelehrte Traditionsauslegung und -anwendung, hat (immerhin) die Eigentümlichkeit, die Naturwüchsigkeit weitergegebener Tradition zu brechen und dennoch auf reflexivem Niveau zu erhalten." Ein anderer Weg, der der künstlichen Erzeugung von Sinn, erscheint „infolge der eigentümlichen Resistenz des kulturellen Systems gegenüber administrativen Kontrollen" nicht besonders aussichtsreich: „Es gibt keine administrative Erzeugung von Sinn", meint Habermas geradezu. Allerdings kennt er, so ernst die Lageeinschätzung auch ausfällt, ein Heilmittel: „Wenn die Fraglosigkeit erst einmal zerstört ist, kann die Stabilisierung von Geltungsansprüchen nur noch über Diskurse gelingen" (a. a. O., 99).

Habermas'erst in Ansätzen entwickelte Lehre vom Diskurs gehört in den Zusammenhang des von ihm diagnostizierten „OffentlichkeitsVerfalls" (Habermas 1968, 270). Einst, im bürgerlichen Zeitalter, sollte Öffentlichkeit, „der öffentliche Konsens der Räsonierenden untereinander", in der Funktion einer „pragmatiGesellschaft herstellen und „Vernünftigkeit und Allgemeinheit" politischer Willensbildung gewährleisten. Heute gelingt „öffentliche Kommunikation" nur mehr in einem sehr eingeschränkten Sinne. Das zeigt sich nicht zuletzt auch in den Verständigungs-und Selbstverständigungsschwierigkeiten in den Regionen des kritisch-wissenschaftlichen Bewußtseins wie in den Legitimierungs-und Konsensfindungsnöten nicht nur des Bildungsbereichs.

Nun ist aber Öffentlichkeit kein Postulat, das allein nur für das „bürgerliche Zeitalter" gilt „öffentliche Kommunikation" ist vielmehr ein Erfordernis aller sozialen Systeme, sobald man diese unter dem Aspekt der unablässig an sie herangetragenen umweit-und entwicklungsbedingten Herausforderungen betrachtet, die von ihnen ständige Lern-und Wandlungsprozesse erzwingen. Öffentlichkeit bedeutet dann das Vorhandensein eines leistungsfähigen, zu den „Agenten" des sozialen Systems rückgekoppelten Informations-und Kommunikationsnetzes, durch das die für überleben und Entfaltung des Systems notwendigen Lernprozesse erleichtert werden. Damit wird der Begriff Öffentlichkeit allerdings auf die an den „Regelkreis" angeschlossenen Angehörigen des sozialen Systems eingeschränkt; in Wirklichkeit hat es jedoch bisher wohl durchgehend nur eine derart „beschränkte Öffentlichkeit" gegeben.

In der demokratischen Weiterführung der Utopie des bürgerlichen Zeitalters stellt sich nun die neuartige Aufgabe, einen wirklich allumfassenden Kommunikationszusammenhang zu entwickeln. Anders als in der Vergangenheit darf sich dieser nicht allein auf mehr oder weniger elitäre Gruppen von „Agenten" erstrecken, sondern müßte reale Allgemeinheit herstellen und sich gleichwohl als funktionsfähig erweisen. Ohne daß das soziale System darüber Einbußen an Lern-und Wandlungsfähigkeit oder Selbststeuerungskapazität erleidet, hätte diese neue Form „öffentlicher Kommunikation eine wichtige gesellschaftliehe Funktion wahrzunehmen: die Auffindung und Anwendung rationaler Verfahren zur Ermittlung, Artikulation und Weitergabe von Sinn — die Dienstleistung am Legitimationsbedürfnis. Dies ist ein notwendiger Beitrag dazu, daß die Gesellschaft „ihre anarchische Form überwindet", und wäre zugleich ein Schritt in Richtung auf die noch dem bürgerlichen Zeitalter entstammende Utopie, „daß die Gesellschaft sich als reales Subjekt konstituiert" (Horkheimer 1968 I, 78).

Habermas'Ansatz zu einer Lehre vom „Diskurs" ist eine kommunikations-(und sprach-) -theoretische Antwort auf dies gesellschaftliche Bedürfnis nach zu verstärkender „öffentlicher Kommunikation", nämlich „ein Diskussionssystem mit spezifischen Funktionen für die Begründung von Wahrheitsansprüchen" (Luhmann 1971). „Diskurs" bedeutet hier ein Modell unverzerrter umgangssprachlicher Kommunikation, ein Gespräch unter mehreren Teilnehmern, das unter regulierenden Bedingungen, namentlich solchen der Freisetzung von Interaktionszwängen abläuft, die die Chancen der Konsens-und Wahrheitsfindung, von „Vernünftigkeit" und „Allgemeinheit"

begünstigen.

Zugrunde liegen dem offenbar Erfahrungen eines kreativ sich entfaltenden „dialogischen Verhaltens" in über längere Zeit sich hinziehenden ungesteuerten Gesprächen in Klein-gruppen sowie in solchen von mehr gegenstandsbezogener Art in z. T. interdisziplinären wissenschaftlichen Arbeitskreisen. Auch historische Parallelen drängen sich auf: Im fünften von Lessings „Gesprächen für Freimäurer. Ernst und Falk“ wird Christopher Wren, dem Baumeister der Londoner St. Paul’s Cathedral, der Gedanke zugeschrieben, neben eine Sozietät der Wissenschaften, „welche spekulativische Wahrheiten gemeinnütziger und dem bürgerlichen Leben ersprießlicher machen sollte", das Gegenbild einer Gesellschaft zu stellen, „welche sich von der Praxis des bürgerlichen Lebens zur Spekulation erhöbe", um so einen für die Konstituierung bürgerlicher Gesellschaft erforderlichen allumfassenden Regelkreis von dialogisch geführter Reflexion herzustellen: „Dort würde untersucht, was unter dem Wahren brauchbar, und hier, was unter dem Brauchbaren wahr wäre."

Der „Diskurs" richtet sich sowohl auf „spekulativische" wie auf „ersprießliche" Wahrheiten. In ihm geht es nicht so sehr um Faktisches als um Bewertungszusammenhänge, „um Sachverhalte, die der Fall und nicht der Fall sein können": „Eine Veranstaltung, die eine Problematisierung des Geltungsanspruchs von Sätzen und eine Argumentation mit dem Ziel der Überprüfung gestattet, nenne ich Diskurs" (Habermas 1971, 197). Diese Veranstaltung ist ihrer Intention nach hermeneutisch, weil sie von Geltungsansprüchen ausgeht; sie ist kritisch, weil sie sie überprüft. Sie ist offen, weil sie voraussetzungslos und zwanglos („herrschaftsfrei"), ausschließlich Wahrheits-und Geltungsansprüchen zugewandt, verläuft und weil in der allseitigen, alle Aspekte berücksichtigenden Überprüfung nur der Zwang des besseren Arguments gelten soll.

Die Einwände, die sich gegen die Möglichkeit der praktischen Verwirklichung dieses Modells führen lassen, sind nicht wenige. Luhmann weist z. B. auf die Grenzen der „Themenkapazität diskutierender Systeme" hin (Luhmann 1971, 337); auch bedauert er, daß manche der vom Ansatz der Systemtheorie her thematisierbaren Probleme, die „Diskussion als soziales System" betreffen, von Habermas „in der Form idealisierender Annahmen wegdefiniert" würden (Luhmann 1971, 328). Dennoch kann die Lehre vom Diskurs in ihrer herausragenden Bedeutung als regulatives Prinzip für die künftige Strategie einer breit anzulegenden, dialogisch zu führenden Reflexion über die Fragen der grundlegenden Bewertungszusammenhänge von hochkomplexen Gesellschaften, über ihre Legitimationsmuster und ihre Legitimierungsableitungen — Fragen, die sich immer dringlicher stellen —, kaum überschätzt werden. Ihr besonderer Wert liegt darin, daß hier Möglichkeiten für Verfahren sich andeuten, die es gestatten, in das dialogische Verhältnis den „Streit der Fakultäten" untereinander sowohl einzubeziehen wie ihn, in den Worten Lessings, mit der „Praxis des bürgerlichen Lebens" in Beziehung zu bringen.

In diesem Zusammenhang mag die Curriculumdiskussion in der Bundesrepublik, (hierzu die Übersicht bei Hesse/Manz 1972) die mit Saul S. Robinsohn („Bildungsreform als Reform des Curriculum", 1967) einsetzte, mit allen Vorbehalten als der allererste Anfang einer Reihe von nicht wenigen „Diskursen" angesehen werden, die freilich von den von der Lehre vom „Diskurs" gewiesenen Möglichkeiten noch kaum Gebrauch machen konnten, auch weithin ohne Verbindung untereinander vonstatten gingen, aber doch darauf zielten, einen umfassenden, rational ableitbaren, in sich Konsistenten und explizit austormullerten Begründungszusammenhang zur Lernziel-setzung herzustellen. Die schwierigen Legitimierungsprobleme für den politisch bedeutungsvollen Bereich der „Gesellschaftslehre“ — des politischen Unterrichts — stellten sich allerdings erst im weiteren Verlauf dieser „Diskurse". Was ist von ihnen als Ergebnissen bisher vorzuweisen? Insgesamt wird man nicht umhin können, ein deutliches überwiegen der „spekulativischen" vor den „ersprießlichen" Momenten konstatieren zu können.

Ergebnisse der Curriculum-Diskussion

Es scheint Einigkeit darüber zu bestehen, daß oberste Lernziele weder, wie in der Vergangenheit, aus einem vorgegebenen „naturwüchsigen" Konsens noch, in unserem System, aus einem in einem Kraftakt politischer Entscheidung dezisionistisch gesetzten (Schein-) „Konsens" einfach unüberprüft übernommen werden können. Damit stellt sich die Frage nach den zur Gewinnung eines Konsens erforderlichen Kriterien für die zu treffende Auswahl aus der Überzahl der zur Diskussion stehenden Angebote „normativer Optionen" (Hartwich 1973, 152).

Hierfür hatte Robinsohn (1967) drei Aspekte vorgeschlagen:

1. die Bedeutung eines Gegenstandes im Gefüge der Wissenschaft, 2.seine Leistung fürs Weltverstehen, 3.seine Funktion für Verwendungssituationen. Während Robinsohns drittes Kriterium in der Hauptsache bloße Umsetzungsschwierigkeiten für seine Anwendung in der Praxis zu bereiten scheint, ist die oft recht subtile Grundsatzdiskussion um Robinsohns beide erste Kriterien in vollem Gange und ihr Abschluß noch längst nicht in Sicht.

Eine erhebliche Schwierigkeit für die Anwendung von Robinsohns erstem Kriterium liegt darin, daß die Bedeutung eines Gegenstandes „im Gefüge der Wissenschaft" keineswegs immer der Bedeutung entspricht, die ihm im Gefüge der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen zukommt; eine Identität zwischen Fachsystematik und didaktischer Struktur kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Zwar darf man mit Hilligen, der sich auf Bruners „Structure of knowledge" stützt, „so etwas wie fundamentale Strukturen der Erkenntnis" annehmen, die aber „aus den Fächern sich nicht ohne weiteres ablesen lassen, sondern eigens erschlossen werden müssen" (Hilligen, „Prolog", 2. 3. 2. 3., unveröffentlicht). Vor die Aufgabe, diese vermuteten Strukturen aufzudecken, sehen sich Wissenschafts-und Schuldidaktik gegenwärtig gestellt; sie ist eine der schwierigsten Leistungen, die der noch zu erarbeitenden „Lehre vom Lehrbarmachen der Wissenschaft" (v. Hentig, 1966, zit. bei Hilligen, a. a. O.) abverlangt werden. Für die „Gesellschaftslehre" ist Robinsohns zweites Kriterium, die „Leistung fürs Weltverstehen", von besonderer Bedeutung. Hier wird ihre Legitimierungsproblematik angesprochen, ohne daß gesagt wird, welches die Kategorien zur Gewinnung der hierfür wesentlichen Erkenntnisstrukturen sein sollen. Sie lassen sich noch weniger als bei Robinsohns erstem Kriterium aus vorgegebenen (vielmehr in der Wirklichkeit noch aufzufindenden) fundamentalen Strukturen ablesen: Immer geht bereits eine gesellschaftliche Vorbewertung ein. Die Aufgabe, zu grundlegenden Kategorien zur Bewertung und Auswahl von Lernzielen zu gelangen, wird noch besonders erschwert, wenn man den hierfür spezifischen Problembereich des Normativen vernachlässigt.

Freilich läßt sich „Leistung fürs Weltverstehen" differenzieren und auffalten. So meint Hilligen: „Didaktik als Agentur des Bedeutsam-Allgemeinen fragt nach den Bedingungen für . überleben'und , Besser-Leben'(letzteres im Sinne der „Qualität des Lebens" emanzipatorisch verstanden F. M.), nach den zentralen Betroffenheiten', nach den . wahren Zwekken der Gesellschaft'(Habermas)" (Hilligen, a. a. O.). Diese Konkretisierung der „Wertfrage" ist gewiß bedeutungsvoll und hilfreich. Gleichwohl führt von ihr immer noch ein weiter Weg bis zur Erstellung eines für die Bestimmung oberster Lernziele praktikablen, überprüfungsfähigen, intersubjektiv transferierbaren Instrumentariums, um das man sich freilich nicht nur in der Bundesrepublik bemüht (vgl. Christoph Wulf, 1973, und Antonius Holtmann, 1973).

Normen und normative Optionen

Bis vor kurzem erschien diese Aufgabe fast unlösbar, sowohl angesichts des „unausgereiften Standes einer . Wissenschaftswissenschaft vom Lehrnotwendigen'" (Hilligen, 2. 3. 4. 0.), besonders im kontroversen Bereich der Gesellschaftswissenschaften, wie der lapidaren Unzuständigkeitserklärung der „kritischen Theorie", die durch den Mund Adornos lediglich hatte verlauten lassen, daß „Einzelheiten durch den Zusammenhang der gesellschaftlichen Totalität strukturiert sind" (zit. bei Hilligen, 2. 3. 4).

Indes hat in jüngster Zeit Jürgen Habermas zur Aufhellung des Feldes Entscheidendes beigetragen. Seine „Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus" (1973) sind zudem eine nachdrückliche Erinnerung an die Curriculumforscher, daß es bei der Auffindung systematisierender Prinzipien nicht allein um mehr oder weniger unverbindliche hermeneutische oder pädagogische Kategorien geht, sondern um Richtziele im Bereich des Normativen. Die Möglichkeiten zur sinnvollen Strukturierung dieses Feldes hat Habermas entschieden erweitert. Das geschah vor allem durch seine einleuchtende Unterscheidung zwischen „deskriptiven Aussagen über geltende Normen einerseits und präskriptiven Aussagen andererseits, die die Wahl von Normen betreffen" (Habermas 1973 a, 192), die Unterscheidung also zwischen geltenden Normen und zur Geltung drängenden „normativen Optionen". Durch diese Unterscheidung wird prinzipiell ermöglicht, was bisher mehr oder weniger empirisch-pragmatisch nicht gelang, nämlich Normen und normative Optionen in gegenseitige Beziehungen zu setzen und sie für die Lernzielbestimmung systematisch auszuwerten.

Beide, geltende Normen sowohl wie normative Optionen („präskriptive Aussagen") unterliegen der (im Wege eines „diskursiven Verfahrens") zu leistenden Überprüfung ihrer normativen Geltungsansprüche; dafür ist die Unterscheidung „zwischen Norm und Prinzip (d. h. Metanorm, nach der ich Normen erzeu‘ gen kann)" eine Hilfe; es handelt sich dabei darum, die Operation der Generalisierung, die den Begriff Norm liefert, auf die Norm selbst anzuwenden (a. a. O., 123).

Habermas'Überlegungen gehören in den Zusammenhang seines Vorhabens, die Grundlinien einer (offenbar auf Kant fußenden) „kommunikativen Ethik" zu entwerfen, deren erste Ansätze in den „Vorbereitenden Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz" (Habermas 1971, 101 ff.) vorliegen; ihre Absicht ist, „die Allgemeinheit der zulässigen Normen und die Autonomie der handelnden Subjekte" zu sichern (Habermas 1973 a, 125).

Daraus ergeben sich Möglichkeiten, bei der Gewinnung eines Konsens zur Bestimmung oberster Lernziele im Bereich der „Gesellschaftslehre" (Politik) nicht mehr additiv beliebig, sondern im geordneten Zusammenhang systematisch zu verfahren. Hierfür dürfte es wesentlich sein, deskriptive und präskriptive Aussagen in ein gemeinsames Aussagesystem einzubringen und ihre wechselseitigen Beziehungen kritisch zu überprüfen. Dabei wäre offenbar von akzeptierten normativen Aussagen, z. B.denen des Grundgesetzes, auszugehen; orientiert an ihnen wären „normative Optionen", auf Anerkennung drängende „gesellschaftliche Postulate", im Hinblick auf Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit zu untersuchen. Es würde also darum gehen, ein möglicherweise sogar als expliziten Minimalkonsens anzulegendes Aussagensystem zu entwickeln, in welchem sich drei Klassen normativer Aussagen unterscheiden lassen würden:

1, solche, die untereinander und mit dem geltenden Normensystem vereinbar sind;

2. solche, die mit dem geltenden Normensystem vereinbar, untereinander jedoch unvereinbar sind;

3. solche, die untereinander entweder vereinbar oder nicht vereinbar, mit dem geltenden Normensystem unvereinbar sind.

Aus einer derartigen Klassifizierung normativer Aussagen lassen sich vor allem Prioritäten ableiten, an deren Begründungen es im Ergebnis der bisherigen Diskussion offensichtlich noch gefehlt hat. Diese Unterscheidungen und Prioritäten betreffen selbstverständlich nicht allein (oberste) Lernziele im Sinne von Qualifikationen, d. h. von Dispositionen für anzustrebendes Verhalten, sondern ebenfalls Lernwege und Lernmittel als Instrumente, die das Erreichen der angezielten Qualifikationen ermöglichen oder in Frage stellen können. So könnten etwa Widersprüche auftreten zwischen Zielen, über die Konsens besteht, und Wegen bzw. Mitteln, die ihrerseits, da sie sich im Grunde an anderen Zielen orientieren, dem Konsens im Wege stehen.

Um den erforderlichen innersystemischen Zusammenhang zu wahren oder herzustellen, hätte für das Verfahren der Konsensfindung zur Lernzielgewinnung sinngemäß die Richtschnur des Bundesverfassungsgerichts zur Normenkontrolle zu gelten: „Eine Verfassungsvorschrift darf nicht allein aus ihrem Wortlaut heraus isoliert ausgelegt werden.

Alle Verfassungsbestimmungen müssen vielmehr so ausgelegt werden, daß sie mit den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes und der in ihm normierten Wertordnung vereinbar sind" (B. Verf. G. E. 19, 206, 220; 30, 1, 9).

„Verfassungsgebote"?

Während im ersten Hinblick die untereinander und mit dem geltenden Normensystem kompatiblen Aussagen sich als wenig problematisch geben, gilt dies, und zwar in zunehmendem Grade, nicht für die beiden anderen Aussageklassen. Die mit geltenden Normen zu vereinbarenden, untereinander jedoch divergierenden Aussagen sind authentische und legitime politische Alternativen, denen in der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes untereinander gleicher Geltungsrang zukommt. Demnach dürften sie in dem auf langfristige Zukunftsgestaltung gerichteten Bereich der Lernzielsetzung der öffentlichen Gewalt in der „Gesellschaftslehre" in ihrer Geltung nicht eingeschränkt oder gemindert werden — was nicht heißen kann, daß sie, wie alle Normen und normativen Optionen, nicht zugleich etwa auch auf ihre Interessenverbundenheit bzw. -abhängigkeit zu hinterfragen wären.

Von Priorität und Geltungsrang abgesehen, steht es mit der dritten Aussageklasse der mit geltenden Normen nicht zu vereinbarenden Aussagen nicht sehr viel anders. Freilich handelt es sich dabei um Alternativen, die nicht die unseren sein können, da sie auf einem anderen normativen Grundkonsens beruhen. Gleichwohl dürfen sie ebenfalls nicht bagatellisiert oder unterschlagen werden. Das würde nämlich bedeuten, Weltkenntnis zu verhindern, politisch-gesellschaftliches Realitätsverständnis einzuengen, zugleich aber auch Wege zur adäquaten Interpretation des eigenen Normensystems und seines Funktionssinns und damit Möglichkeiten zu seiner Weiterentwicklung zu blockieren.

Wie steht es aber mit dem, was „Verfassungsauftrag" oder „Verfassungsgebot" genannt wird? Ihren Ansprüchen nach könnte man solche Verfassungs-Imperative als weitgehend identisch mit den scheinbar unproblematischen, weil sowohl mit dem geltenden Normensystem wie untereinander kompatiblen Aussagen ansehen. Dieser Schein trügt jedoch. Die RR begründen z. B. ihre Ableitung oberster Lernziele mit dem nicht näher kommentierten „Demokratiegebot des Grundgesetzes" (RR 7). Da ihre Setzung von Lernzielen sich „am Grundgesetz, seinen Prinzipien und Postulaten" orientiere, sei sie nicht willkürlich, „läßt sich (vielmehr) als Loyalität gegenüber dem Grundgesetz bezeichnen. „Diese Loyalität wird zur kritischen Loyalität, indem sie Verfassungswirklichkeit am Grundgesetz mißt" (RR 15), heißt es dann.

Es versteht sich, daß im Hinblick auf die erforderliche Legitimitätssubstanz und Legitimierungssorgfalt die der politischen Rhetorik geläufigen Formen vom Verfassungsgebot und von der Spannung zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit, sofern sie als Lernzielbegründung in curricularen Projekten der „Gesellschaftslehre" auftauchen, besonders sorgfältiger Nachprüfung bedürfen.

Da ist einmal daran zu erinnern, daß der Parlamentarische Rat in dem Kompromiß, der dem Grundgesetz zugrunde liegt, aus der Not der Nichtübereinstimmung die Tugend der Mäßigung entwickelt hat, was einerseits der Bestimmtheit und Eindrücklichkeit des dann doch erzielten (eingeschränkten) Konsenses, andererseits der Weiträumigkeit, Flexibilität und Praktikabilität des Verfassungsinstruments zugute kam. Offengelassen wurden u. a. die Wirtschaftsverfassung, die Besitzverhältnisse an den Produktionsmitteln, das Anwendungsmaß des Gleichheitsprinzips, der Grad der Partizipation im politischen Bereich und in den gesellschaftlichen Teilbereichen. Explizit als Gebot innerhalb des Grundgesetzes wurde im wesentlichen nur Art. 1 formuliert. Alles andere steht nicht unter dem Gebot der Vollstreckung, sondern der Einhaltung: die Aufzählung des Grundrecht-bestandes und seiner Sicherungen, die Nennungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (GG 18), des demokratischen und sozialen Bundesstaates (GG 20), des demokratischen und sozialen Rechtsstaates (GG 28) sowie der Verfahrensregeln des politischen Prozesses. Damit blieb innerhalb des grundgesetzlichen Rahmens ein weiter Raum für künftige politische Entwicklungen, sofern sie jenen nicht beeinträchtigen. Diese werden insoweit normiert, als ihnen im Zusammenspiel der Verfassungselemente zugleich Mög11 lichkeiten gewiesen und Grenzen gesetzt sind

Die Proklamierung weiterer, über den Art. 1 hinausgehender festumrissener Verfassungsaufträge imperativen Charakters ist schon deshalb problematisch, weil sie dem Wesen einer freiheitlichen Ordnung zuwiderläuft: „An der Gestaltung des Grundgesetzes war die CDU ebenso beteiligt wie die SPD, und die CDU hatte nicht die Absicht, mit Verfassungsrang festzulegen, daß die sozialdemokratischen Parteiziele verwirklicht werden sollten. Daß die Bundesrepublik demokratischer und sozialer werden solle, ist die freie Entscheidung freier Parteimitglieder, nicht die Entscheidung des Grundgesetzes. Es handelt sich um mündige Bürger, nicht um stramme Soldaten, die einen Verfassungsbefehl ausführen. Die Entscheidung des Grundgesetzes beschränkt sich darauf, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen für die politischen Ziele gewirkt werden kann" (Martin Kriele, 1973, 520).

So verständlich es ist, daß im politischen Ringen um die Durchsetzung von Geltungsansprüchen normativer Optionen diese von ihren Parteigängern vor einer vermeintlich unkritischen Öffentlichkeit vorzeitig zum Rang deskriptiver Aussagen über geltende Normen aufgewertet werden, wozu man in allen politischen Lagern neigt, so gefährlich ist dies Vorgehen für die politische Zukunft der Bundesrepublik. Damit wird „die Konsensgrundlage des Grundgesetzes'1 aufgekündigt, und „die politische Auseinandersetzung wird zum Kampf um die Verwirklichung der Verfassung. Auf diese Weise wird der Parteienkampf totalitär" (Kriele, ebd., 520). Die von Helmut Schelsky (1973) gestellte düstere Prognose eines „pluralistischen Totalitarismus" gewinnt damit an Wahrscheinlichkeit.

Nicht viel anders wirkt die Überakzentuierung der Spannung zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit, die Wilhelm Hennis geradezu ein deutsches, andernorts unbekanntes (Schein-) problem genannt hat (Hennis, 1973, 53 ff.). Eine überwiegend auf diese Spannung fixierte, sich in der Messung der stets unvollkommenen Wirklichkeit an der stets idealen Theorie erschöpfende „materiale Verfassungsinterpretation" stehe in der Nachfolge Carl Schmitts und könne, wie gehabt, mit dem gewaltsamen „Versuch einer substanzhaften Ordnung" (Carl Schmitt) ausgehen: „Die Verfassung als Vergatterung der Nation zum Grundrechtsvollzug — das muß böse enden" (Hennis, 63).

Demgegenüber werde „eine Theorie der Verfassung, die uns aus der Dialektik von Verfassung und Verfassungswirklichkeit herausführt, . . auszugehen haben, wie es die neuere Verfassungstheorie (Hesse, Ehmke, Bäumlin) ja. auch tut, von der normativen Eigenart der Verfassung, die ja nicht Regeln, anzuwendende Normen, sondern Regelungen, Kompetenz-zuweisungen, Begrenzungen von Kompetenzen, in der klassischen Formel Smends „Anregungen und Schranken" enthält" (Hennis, 71). Korrelativbegriff zu Verfassung sei nicht Verfassungswirklichkeit, sondern „Verfassungswidrigkeit" (Hennis, 72).

Zwar tut das Grundgesetz Hennis nicht den Gefallen, seiner Verfassungsbeschreibung als wertungsentlastetes Regelungsinstrument vollauf zu entsprechen — enthält es doch mindestens Ansätze, die auf eine nicht unbeabsichtigte Funktion als Regulativ des soziokulturellen Normensystems hindeuten —, aber mit Verfassungswidrigkeit ist ein eindeutig grenzsetzendes Kriterium gegen einseitige und/oder Überinterpretationen gesetzt. Verfassungswidrig wäre es, wenn etwa Lernzielbestimmungen durch Hypostasierung einzelner Verfassungselemente auf Kosten von anderen diesen und damit dem Grundgesetz als Ganzem zuwiderliefen.

Immanente Verfassungsgebote?

Bei unbestrittener Legitimitätsgrundlage sind freilich mit der Geltung von Verfassungen selbst bereits fundamentale Gebote gesetzt, die auch für Curriculumprojekte von Bedeutung sind. Das gilt sicherlich für das oben angezogene Loyalitätsgebot. Freilich trägt die schwungvolle Ableitung „kritischer Loyali-tät", die die RR vollbringen, indem sie „Verfassungswirklichkeit am Grundgesetz messen"

(RR 15), während sie sich schlüssig und umweglos aus den Sicherungsbestimmungen des Grundgesetzes (GG 18, 21 [2]) sowie aus einem demokratischen Loyalitätsbegriff selbst ergibt, die Züge einer problematischen, in ihrer Zielsetzung undurchsichtigen imperativen Überinterpretation.

Ein immanentes Verfassungsgebot von konstitutiver Bedeutung ist das der gesellschaftlichen Friedenspflicht, das physische Gewaltanwendung sowie Machtmißbrauch in den umfassend verstandenen politischen Prozessen demokratisch verfaßter Gesellschaften grundsätzlich ausschließt. Ihre explizite Anwendung auf den Unterricht hat die gesellschaftliche Friedenspflicht im Toleranzgebot des Art. 56 der Hessischen Verfassung gefunden: „Grundsatz eines jeden Unterrichts muß die Duldsamkeit sein."

Mit dieser Friedenspflicht scheint sich eine Gesellschaft im Widerspruch zu befinden, die man nur als einen Kampfplatz manifester und latenter Konflikte beschreiben kann. In Gestalt der Verfassung aber hat sich diese Gesellschaft ein Instrument geschaffen, dessen eigentliche Funktion es ist, zu gewährleisten, daß diese Konflikte nach Regeln der Ordnung ausgetragen werden können. Seine auf Dauer gestellte, den Konfliktaustrag zugleich erleichternde wie regulierende Wirkung hängt aber davon ab, daß die gesetzten Regeln auch eingehalten und nicht durch Formen offenen Gewaltaustrags oder der stillschweigenden oder versteckten Überwältigung durchbrochen oder ausgelöscht werden.

Voraussetzung dafür ist freilich, daß die Verfassung politischen Spielraum läßt. Sie muß die Möglichkeit geben, daß im Lauf des verfassungsförmigen politischen Prozesses gewichtige, aber auch neu sich meldende Interessen oder Bedürfnisse zur Auswirkung oder zur politischen Durchsetzung bzw, zur Befriedigung gelangen können. Die wohl wichtigste Voraussetzung dafür ist das Bestehen einer politischen Kultur von hohem Allgemeinheitsgrad — was nur ein anderes Wort für öffentliche Moral ist —, die sich in der Einhaltung der „Friedensregeln" des politischen Kampfes manifestiert, nicht zuletzt aber auch in der Sensibilität für die Bedürfnisse der Minderheit(en). Zur politischen Kultur gehört ferner die Beachtung der Spielregeln auch und gerade dann, wenn der jeweilige politische Gegner, was für die andere Seite gewöhnlich durchaus unerwünschterweise, geschieht, zur Macht gelangt, wobei das Gebot gewissenhafter Regel-treue sowohl dem gegenwärtigen Inhaber der Macht wie an der in die Minderheit geratenen Opposition auferlegt ist.

Die Grundformel für demokratische Verfassungen heißt „government by discussion", was andere Mittel als die des vernünftigen Arguments grundsätzlich ausschließt — und „government" meint bekanntlich hier nicht das deutsche Wort „Regierung" („administration"), sondern die Gesamtheit der politischen Prozesse auf allen öffentlichen und gesellschaftlichen Ebenen im ganzen Verlauf ihres Zustandekommens.

Die Würdeschutzbestimmung

Mit diesen immanenten Verfassungsgeboten steht nun das explizite Verfassungsgebot des Art. 1 GG, das „die Würde des Menschen" aller staatlichen Gewalt voranstellt, deren „Verpflichtung" es ist, „sie zu wahren und zu schützen", in engem Zusammenhang. Damit wird das Gemeinwesen Bundesrepublik ausdrücklich einem verbindlichen Staatszweck unterstellt. Diese Bestimmung wird als „letzte Wurzel und Quelle aller später formulierten Grundrechte und damit selbst (als) das materielle Hauptgrundrecht" bezeichnet (Nipperdey, 1). Auf der 9. Sitzung des Parlamentarischen Rats am 6. 5. 1949 leitete Carlo Schmid daraus alle Legitimität staatlicher Machtausübung ab. In der „objektiven Wertordnung" des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 7. 205) figurieren „die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde als höchste(r) Rechtswert" (BVerfGE 12, 53). „Die Freiheit der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung in der Gemeinschaft" wird als „Ausfluß der Würde" aus dieser hergeleitet (BVerfGE 4, 15 f.).

Gleichwohl bleibt die inhaltliche Bestimmung der „Würde der Menschen" nach dem Grundgesetz schattenhaft: „Anerkennung des Eigenwertes der menschlichen Person und als Schutz des Menschen vor Achtung, Schändung, Ausbeutung, Verfolgung" (BVerfGE 4, 15 f.); Würde als „allgemeiner Anspruch auf Daseinserhaltung und Garantie der menschlichen Existenz überhaupt" (Erwin Stein, 1970, 397). Man gewinnt den Eindruck, daß bei diesen Interpretationen eine entscheidende historisch-genetische Dimension nicht immer hinreichend beachtet wurde, ohne deren Berücksichtigung Bedeutung und Sinn dieses Begriffs auf eine befremdliche Weise unausgeschöpft und unvollständig bleiben müssen. Es geht dabei gleichzeitig um sein tradtionales Sinnverständnis wie um seine über die emanzipatorische Tradition hinaus-weisende verpflichtende Bedeutung.

Gewiß nicht ohne Grund, weil nicht unbelehrt durch die Erfahrungen einer zurückliegenden Epoche, hat der Verfassunggeber auf diese Chiffre der klassischen philosophischen Über-lieferung zurückgegriffen. Damit vollzog er gleichsam den Ansatz eines Versprechens, das „die Erfüllung der großen Philosophie" (Horkheimer) nicht ins Aussichtslose stellt. Der Inbegriff „Würde des Menschen" verlangt Achtung sowohl vor der Kreatur Mensch in ihrer Faktizität wie vor dem Vernunftwesen Mensch, das (nach Kant) in seiner Würde die Menschheit repräsentiert, ungeachtet seiner Unzulänglichkeiten, seiner lebensgeschichtlichen Verstrickungen, seiner vielfachen Abhängigkeit von äußeren und inneren, sozioökonomischen, triebpsychologischen usw. Bedingtheiten. Im Begriff seiner Würde sind Ist-und Sollwert des Menschen gewissermaßen gleichzeitig angegeben, und so ist mit ihm unauflösbar die Aufforderung verbunden, aus unverschuldeter (Kant sagte noch: selbstverschuldeter) Unmündigkeit hinauszugelangen zu Autonomie und Selbstbestimmung. Mit der Würdeschutzbestimmung wurde gleichsam ein Rechtsanspruch darauf geschaffen, daß der Mensch als Vernunftwesen ernst genommen werden muß. Das bedeutet für den Sozialisations-, für den Erziehungs-und Bildungsbereich z. B., wo Unmündige zur Mündigkeit kommen sollen, daß „der Mut, sich seines Verstandes zu bedienen", nicht eingeschränkt oder behindert werden darf.

Die Würdeschutzbestimmung des Grundgesetzes setzt die umfassende Geltung eines Rationalitätsprinzips voraus, das alle staatliche Gewalt, zumal im Bildungswesen, zur Berücksichtigung und zur Förderung der Urteilsfähigkeit des einzelnen verpflichtet, das aber auch als Verfahrensregulativ in allen gesellschaftlichen Teilbereichen Beachtung fordert. Diese Geltung des Rationalitätsprinzips als Verfahrens-regulativ wird eineseits bekräftigt durch die klassische Beschreibung der Vernunft als Organon allen gesellschaftlichen Zusammenhalts:

„Vernunft ist das, was durch Lehre, Unterscheidung, Mitteilung, Erörterung, Urteil die Menschen untereinander vereinigt" (Cicero: De Officiis, I, 16), andererseits durch neuere Einsichten von Habermas über die konstitutive Ähnlichkeit von „idealer Sprechsituation" und „ideraler Lebensform" (Habermas, 1971, 139).

Die „ideale Sprechsituation", definiert „durch die symmetrische Verteilung der Chancen, Dialogrollen wahrzunehmen und Sprechakte auszuführen" (Habermas, ebd.), wobei „die Sprecher weder sich noch andere über ihre Intentionen täuschen dürfen" (Habermas, ebd., 138), sofern es um die Ermittlung von Wahrheit oder die Gewinnung eines Konsens geht, ist mit den „Bedingungen der empirischen Rede ... oft oder meistens nicht identisch" (Habermas, 140), also kontrafaktisch. Dennoch ist sie die „konstitutive Bedingung möglicher Rede" (Habermas, 140), als normative(s) Fundament sprachlicher Verständigung .. mithin beides: antizipiert, aber als antizipierte Grundlage auch wirksam" (Habermas, ebd., 140).

Aus dem Vergleich des Regelsystems möglicher Rede mit dem Regelsystem möglicher Gesellschaft ergibt sich, daß „der Vorgriff auf die ideale Sprechsituation . . . zugleich Vorschein einer Lebensform" ist: „Die kontra-faktischen Bedingungen der idealen Sprechsituation ... sind sprachtheoretische Bestimmungen für das, was wir herkömmlicher-weise mit den Ideen der Wahrheit, der Freiheit und der Gerechtigkeit zu fassen suchen. Diese Bestimmungen interpretieren sich wechselseitig und definieren zusammengenommen eine Lebensform ..." (Habermas, ebd., 139). Die „freiheitliche Ordnung" des GG ließe sich in der Tat als „der Vorschein einer Lebensform" interpretieren, in der das überlieferte unreflektierte Verhältnis von Befehl und Gehorsam ersetzt wird durch den universalen, reflektiert rationalen Diskurs, zurückgekoppelt auf die durch die Würdeschutzbestimmung, gleichsam als „Metanorm", ausdrücklich verankerte „Autonomie der handelnden Subjekte".

Aus dem Staatszweck, der Würdeschutzbestimmung, dem Rationalitätsprinzip, die „sich wechselseitig interpretieren", folgern für das Bildungswesen im allgemeinen und für die Lernzielbestimmung im Bereich Gesellschaftslehre (Politik) schlüssig eine Reihe verbindlicher und einschneidender Grenzsetzungen, die sich unter dem allgemeinen Begriff des Uberwältigungs-und dem besonderen des Indoktrinationsverbots zusammenfassen lassen; auch für die Lernzielbestimmung wirkt sich der Rahmen des Grundgesetzes mehr in „Anregungen und Schranken als in „Geboten" aus. Mit „Überwältigung" sind Inhalte und Formen von Erziehung und Unterricht gemeint, die durch Konditionierung, Einschüchterung, Überredung, Emotionalisierung, durch Verzerrung oder Verkürzung von Sachverhalten die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Gewinnung eines selbständigen Urteils beeinträchtigen.

Politisierung der politischen Bildung

Man kennt demgegenüber die Auffassung namhafter Didaktiker der politischen Bildung, diese selbst müsse „politischer" oder „politisch" werden sie beruht auf einer negativen Einschätzung der Ergebnisse bisheriger politischer Bildungsarbeit.

Gegen diese Forderung läßt sich wenig einwenden, wenn sie bedeutet, daß der Aufwachsende befähigt werden soll, als Angehöriger eines demokratischen Gemeinwesens kraft eigenen Urteils mit dem Politischen, das ihm auf vielen Ebenen entgegentritt, sachadäquat umzugehen. Dazu bedarf es mancherlei: der Kenntnis der gegenwärtigen weltumspannenden politischen Realität, ihrer genetischen, strukturellen, ideologischen Bedingtheiten, des Instrumentariums, das sich die Gesellschaft zur Lösung ihrer Probleme bisher geschaffen hat. Zur Aufschlüsselung der Gesamt-und der eigenen politisch-gesellschaftlichen Situation bedarf der Aufwachsende „fundierter Einsichten in die Struktur der Gesellschaft, in der er lebt" (K. Chr. Lingelbach, 1970, 99), sowie vielleicht auch noch der einen oder anderen Gesellschaft. Schließlich müssen dem Aufwachsenden, damit er die Erwartungen erfüllen kann, die ihm später aus den Anmutungen politischer Rolle(n) erwachsen, Grundlagen politischen Verhaltens vermittelt werden: Funktionsbedingungen von politischer Analyse, politischem Urteil, politischem Handeln.

So viel das bereits ist, mit der Forderung nach dem Politischwerden der politischen Bildung ist mehr — oder vielleicht auch anderes — gemeint. Im Gegensatz zu einer eingefahrenen Praxis, der man Ineffizienz nachsagt, weil sie das Politische institutionell und harmonistisch auffaßte, Institutionenkunde betrieb und Partnerschaft predigte, wurde politische Bildung nun als Konfliktanalyse begriffen „und nach der Rolle gefragt, die der Aufwachsende in diesem System (der Eigentums-, Abhängigkeits-und Machtverhältnisse in der gegenwärtigen Gesellschaft) ausüben sollte und die er auch tatsächlich auszuüben vermag" (K. Chr. Lingelbach, 1970, 110).

Diese realistische Konzeption hat sich nun aber, wie es scheint, mit einer unterirdisch verlaufenden, verspäteten und wenig kritischen Rezeption von Resten des amerikanischen Pragmatismus zu einer Art weithin grassierendem praktizistischem Aberglauben amalgamiert, der sich darin erschöpft, Konflikte auf der täglichen Lebenswelt des Aufwachsenden als soziopolitische zu bearbeiten, weil so (nur so?) Motivation erzeugt, politisches Engagement initiiert werden könne, und darüber die systematische Vermittlung der soziopolitischen Rahmenbedingungen, insbesondere des vorhandenen Instrumentariums zur Konfliktregulierung vernachlässigt, in der aus der Projektmethode wohlbekannten optimistischen Annahme, dies alles komme schon von allein.

In diese einäugige praktizistische Konzeption schleicht Parteilichkeit sich ein, von der auch einige Curricula nicht auszunehmen sind. So heißt es in Nordrhein-Westfalen: „Politische Selbstbestimmung kann nicht in Gesellschaften vermittelt werden, in denen entscheidende soziale oder ökonomische Bereiche demokratischer Gestaltung entzogen werden"

(KMNRW 1973, 12) — eine schon in ihrer lapidaren Formulierung mindestens problematische Behauptung, denn da im Verlauf der bisherigen Geschichte „entscheidende soziale oder ökonomische Bereiche" fast in der Regel „demokratischer Gestaltung entzogen" blieben, kann die gelegentlich doch erfolgreich gewesene Vermittlung „politischer Selbstbestimmung" offenbar nur als historisches Mirakel begriffen werden.

Ein Beispiel aus Hessen: Es geht den RR darum, „die erkannten Zusammenhänge von mehreren Seiten aus zu betrachten, sie also kontrovers zu beurteilen und ihnen Alternativen gegenüberzustellen". Dazu heißt es ergänzend: „Es ist jedoch der Eindruck zu vermeiden, als wären alle Standpunkte grundsätzlich gleichermaßen gültig; diese GleichGültigkeit kann zu einer allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber Urteilen und Handlungen im gesellschaftlichen Bereich führen"

(RR, 15). Und als Kriterium gegen Gleich-Gültigkeit, als „Regulativ für die Urteilsbildung"

(„oberstes Lernziel") wird genannt: „Optimale Teilhabe des einzelnen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen ist an die Aufhebung ungleicher Lebenschancen geknüpft“ (RR 15). Diese Auffassung ist gewiß achtbar und keineswegs illegitim. Da es im Rahmen des Grundgesetzes jedoch dazu auch noch andere legitime, nicht so unbedingt auf „Aufhebung" dringende Auffassungen gibt, stellt sich die Frage, ob die Einbringung dieser Auffassung „als ein ausschlaggebendes Regulativ für die Urteilsbildung" in ein Curriculum der staatlichen Gewalt nicht der Gefahr der verfassungswidrigen Indoktrination Vorschub leisten könnte.

Das von H. H. Hartwich (1973, 144) angeführte geläufige Gegenargument, durch Verzicht auf solche, sich verfassungsgemäß verstehende Indoktrinationsabsicht werde „eine profillose Einerseits-Andererseits-Haltung“ begünstigt, die „bestimmt kein Engagement erzeugt, kein Interesse findet und als unterrichtsnotwendig bestreitbar wäre", das nicht sehr überzeugt klingt, ist dennoch überaus ernst zu nehmen. Und zwar deshalb, weil es, vom methodischen Problem der unterrichtlichen Vermittlung von Alternativen abgesehen, ein Verständnis von Politik und ein Menschenbild vorauszusetzen scheint, das jedenfalls nicht das des Grundgesetzes ist. Politik ist ein mühseliges Geschäft, nach Max Weber „ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich". Es setzt nicht nur im formalen Sinne „mündige Bürger" voraus, sondern im realen Sinne erwachsene Menschen, die die Mühsal selbständiger Urteilsbildung und die Wahl zwischen mehreren, meist recht komplexen Alternativen jedenfalls nicht verdrießt und entmutigt, die engagiert an der Sache bleiben, ohne deshalb immer starr festgelegt zu sein. Herkömmlich verstanden, ist ein solches Verhalten unjugendlich, und es ist gewiß nicht leicht, jedoch nicht unzumutbar, es für Aufwachsende verständlich und nachvollziehbar zu machen.

Es hat jedoch den Anschein, als hätten Gruppierungen in der Didaktik der politischen Bildung vor dem Mündigkeitsanspruch des Grundgesetzes bereits resigniert, als glaubten sie nicht mehr so recht an die Möglichkeit, daß Aufwachsende zur Mündigkeit gelangen können. Nur so wäre verständlich, daß man sich mancherorts auf den in der deutschen Vergangenheit nicht gerade seltenen autoritären Charakter der sado-masochistischen Spielart eingestellt zu haben scheint, auf stramme Gefolgsleute, die innerhalb des vorprogrammierten Rahmens „kritischer Loyalität“ „dem Verfassungsauftrag, demokratische Verhältnisse möglichst umfassend zu sichern bzw. zu schaffen" (BPI 3/72, 9), hurtig und effizient — „durch eintreten für — Partei ergreifen für — kooperieren mit — sich behaupten u. a." (RR 9) —, mit durchaus erfreulich positiver Einstellung also, mit lobenswerter Ungeduld und von schwächlicher dialektischer Unentschiedenheit im entferntesten nicht angekränkelt, sondern durchgreifend, beherzt und unbeirrbar nachkommen sollen.

Angesichts des Indoktrinationsverbots steht der politische Pädagoge („Gesellschaftskundelehrer") vor der schwierigen Aufgabe, bei Autwachsenden, die zu entschiedener Stellungnahme und auf rasche Entscheidungen drängen, das langweilige „Einerseits-Andererseits" in ein rational abgesichertes politisches Entscheidungsurteil vom Charakter des „Entweder-Oder" überzuführen. Dabei ist „ohne Profilnormen nicht mehr auszukommen. Da es in der Gesellschaft jedoch nun einmal divergierende gesellschaftliche „Profile“ gibt, muß man sie nennen, sie beim Wort nehmen, sich entscheiden" (H. H. Hartwich, 1972, 144). Man erinnert sich des alten Postulats an den politischen Pädagogen („Gesellschaftskundelehrer"), divergierende Positionen fair zu vermitteln, dabei aber mit seiner eigenen begründeten Stellungnahme nicht hinter dem Berge zu halten, kritische Reflexion und politische Entscheidungsfähigkeit gleichzeitig anzulegen. Den Curriculumprojekten der staatlichen Gewalt jedoch ist keine Wahl gelassen. Sie sind an das Grundgesetz und seine Würdeschutzbestimmung gebunden und können also nur erwiesen Gemeinsames verbindlich machen und das nicht erwiesen Gemeinsame nur als kontrovers vermitteln. Jedes andere Verfahren müßte über kurz oder lang ein überwältigendes Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung provozieren, dessen Erfüllung das Grundgesetz im übrigen mit der einleuchtenden Begründung in Aussicht stellt: „weil insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert" (GG 72, 3).

Die Alternative dazu wäre das Bildungswesen eines dem ausdrücklichen Staatszweck des Grundgesetzes zuwiderlaufenden Partei-oder Richtungsstaates, wie es von Babeuf und Mably zur Zeit der Französischen Revolution exemplarisch konzipiert wurde: Es sieht im Bereich der Erziehung vor, „daß alle Leistungsund Wissensunterschiede aufgehoben werden, daß die Kinder dem Einfluß der noch partikular orientierten Eltern entzogen werden, daß Wissenschaft und Kunst, wie vor allem Mably betonte, nicht mehr in den Dienst individueller Eitelkeit, ästhetischen Spiels und selbstbezogener Intellektualität gestellt, sondern auf die einfachen, natürlichen, für je-B -den einsehbaren natürlichen Gesetze und das von ihnen geleitete praktische Handeln ausgerichtet werden. Damit soll jeder Bürger in die Lage versetzt werden, politisch zu handeln. Gleiches Wissen, gleiche Fähigkeiten und die Einfachheit der natürlichen Gesetze sollen dazu führen, daß jede Entscheidung plebiszitär getroffen, daß jeder Volksvertreter jederzeit kontrolliert, abberufen und ersetzt werden kann" (Günter C. Behrmann 1972, 102 f.).

Konzeptionen dieser Art, so unbestritten ihre Effizienz und ihr Politisierungseffekt vielleicht sein mögen, wären mit dem Grundgesetz jedenfalls kaum vereinbar. Nicht auszuschließen ist in unserem Normensystem allerdings auch, daß trotz aller Anstrengungen der politischen Bildung das Maß der politischen Beteiligung des Bürgers niedriger bleibt als in anderen, straffer organisierten Gesellschaftsordnungen — wie Untersuchungen gezeigt haben, unterscheidet sich übrigens die Bundesrepublik hierin von anderen westlichen Industriegesellschaften keineswegs zu ihrem Nachteil (Behrmann 1972, 17) —, aber der entpolitisierte Bürger ist gewissermaßen der Schatten der Freiheit. Bei uns steht es im Belieben eines jeden, sich nicht zu engagieren, sogar politisch sich zu desinteressieren und derart in Abhängigkeit von Kräften zu geraten, die seine Apathie und Ahnungslosigkeit mißbrauchen. Dem entgegenzuwirken, ist eine legitime Aufgabe der politischen Bildung, der Curricula für „Gesellschaftslehre", und macht die Ingangsetzung emanzipatorischer Lernprozesse unerläßlich. Auf sie muß die Schule, „in Anbetracht der Wirksamkeit der nichtschulischen Sozialisationsinstanzen", als deren Korrektiv wirkend, das Schwergewicht legen (NRW Richtlinien-entwurf 1972, zit. bei H. H. Hartwich, 1973, 143).

Curriculum und Überwältigungsverbot

Schließlich soll auch der Frage nicht ausgewichen werden, ob und inwieweit das Überwältigungs-und Indoktrinationsverbot das Konzept des Curriculum selbst tangiert.

Hartmut v. Heutig hat einmal „die große Ab-richtung des Kindes durch das eingebaute Curriculum der totalen Anstalt Schule eine Unmenschlichkeit der Gegenwart" genannt (zit. bei Theodor Mauntz, 1973, 260). Die Warnung vor einer totalen Verplanung sollte ernst genommen werden.

Nach dem Bildungsbericht bezeichnet Curriculum „das Gesamtsystem von Unterrichts-inhalten und -methoden sowie Unterrichtsmaterialien zu ihrer Aneignung und Tests zu ihrer Kontrolle" (Bildungsbericht 1970, 130). Hinzugefügt wird, das Curriculum unterscheide sich von Lehrplänen dadurch, daß es von klar definierten und überprüfbaren Lernzielen ausginge; es enthalte alles, „was dem Erreichen des Lernziels und seiner Kontrolle dient" (Bildungsbericht 1970, 130, zit. bei Hesse/Manz, 1972, 45).

Auch die RR stellen entsprechende Verbindlichkeitsansprüche hinsichtlich der Lernziele: „Verbindlich sind die allgemeinen Lernziele, verbindlich ist ferner der Auftrag, jeweils begründen zu können, welcher Zusammenhang zwischen allgemeinen Lernzielen und bestimmten Inhalten und Methoden besteht" (BPI 3/72, 36). Diese Verbindlichkeit bezieht sich auf sämtliche 123 Lernziele der vier Lernfelder Sozialisation, Wirtschaft, öffentliche Aufgaben, Intergesellschaftliche Konflikte (RR 36).

Zur Klärung der Frage, wie sich die unverbrüchliche Lernzielverbindlichkeit geschlossener Curricula mit dem überwältigungsbzw. Indoktrinationsverbot vereinbaren läßt, wäre auszugehen von der grundlegenden Unterscheidung zwischen Unterrichtsbereichen, deren zu vermittelnde Inhalte und Qualifikationen allein oder überwiegend durch eine Gegenstandsstruktur bestimmt werden, die sich durch Eindeutigkeit und logische Stringenz der Ableitungszusammenhänge auszeichnet, und solchen, die dieser Eindeutigkeit ermangeln, weil bereits in ihre „Gegenständlichkeit" Wertsetzungen einfließen und ihre Begründungszusammenhänge mehr durch diskursiv-argumentative Plausibilität als durch Stringenz logischer Ableitung gekennzeichnet sind. Es geht um die Unterscheidung zwischen szientistisch objektivierenden und eher diskursiv verfahrenden hermeneutischen Disziplinen, um „die Trennung von Argumentations-und Erfahrungsapriori“ (Habermas, 1973 b, 393), von Naturwissenschaften einerseits, Geistes-und/oder Gesellschaftswissenschaften andererseits.

Während es unsinnig wäre, ersteren in der Vermittlung ihrer Gegenstände (sowie der dazu gehörigen Qualifikationen) die Sachangemessenheit des Modus der Verbindlichkeit in der Form des geschlossenen curricularen Systems rundweg bestreiten zu wollen — es gibt jedoch gute pädagogisch-emanzipatorische Gründe dafür, ihn einzuschränken —, kommt letzteren weithin schon nach der Struktur ihrer Gegenstandsbereiche dieser alternativlose Modus nicht zu — ganz abgesehen von der Würdeschutzbestimmung des Grundgesetzes, die ihn für einen in sich kontroversen Gegenstandsbereich als indoktrinierend nicht zuläßt, mit Ausnahme der wiederum an „das aufklärerische Prinzip der Mündigkeit des Staatsbürgers" (Thomas, 1971, 77) eng gekoppelten Grundnormen selbst.

Daraus ergeben sich unabweisbare Folgerungen für Curricula in den Gesellschaftswissenschaften (und anderen hermeneutischen Disziplinen), die offensichtlich bereits gezogen werden.

Allgemein beginnt sich die Kritik an „Folgeproblemen der Durchsetzung geschlossener Curricula" zu verstärken (Sachs/Scheilke, 1973, 378): „Sie sind zentral reglementiert, d. h., sie werden als fertige Produkte von einer weisungsbefugten Behörde für die Schulen des Landes verordnet; sie sind umfassend formalisiert, d. h., die Anweisungen eines Curriculum sind relativ detailliert und standardisiert und erlauben wenig Abweichung;

sie sind zweckrational legitimiert. . ." (Sachs/Scheilke, 1973, 378). Man befürchtet „die Dominanz technokratischer und positivistischer Verfahren" (Gagel, 1973, 257), die die Beteiligten (Lehrer, Schüler, Eltern) der durch das Curriculum intendierten Reform und den Unterrichtsvorgängen selbst entfremdet sowie im Widerspruch steht zu der Forderung, daß der Aufwachsende „sich in den gesellschaftlichen Situationen adäquat, d. h. möglichst kompetent und autonom verhalten" soll (Zimmer, 1971, 190). „Es entsteht der Verdacht, daß sich wissenschaftliche Validität in der Praxis als Sachzwang durchsetzt, daß stringente Lernzielsysteme den Lehrer von didaktischen Entscheidungen suspendieren und er sich in ein Vollzugsorgan andernorts getroffener Entscheidungen verwandelt" (Gagel, 1973, 264).

Die Antwort darauf ist die Forderung, „daß Curricula jene Offenheit annehmen, die nötig ist, damit sie akzeptiert, realisiert und variiert werden können. Gelingt dies nicht bald, dann dürfte Curriculumdiskussion bald wieder aus der Diskussion sein" (Herz, 1973, 484).

Im Bereich der Lernzielbestimmungen wurden entsprechend sorgfältige Verfahren ausgearbeitet (Blankertzgruppe in NRW) mit der Zielsetzung, den Aufwachsenden zu befähigen, „in konkreten Situationen sowohl Anpassungs-wie auch Distanzierungsleistungen zu erbringen — gemeint ist also die Offenheit für die Wahl dieser oder ihnen zu subsumierender Verhaltensalternativen .. ." (Gagel, 1973, 261). Auch wird die Forderung erhoben: „Die Lernzielentscheidungen sollten diskutierbar und revidierbar sein; sie sind konsensbedürftig" (Gagel, 1973, 265). Und sogar der in Hessen bemerkte Rückfall hinter den Stand der wissenschaftlichen Diskussion wurde mit dem Hinweis aufzuholen versucht, bei den RR handele es sich um ein Konzept, „wie es sich mit offener Curriculumentwicklung verbindet": „Sehr nachhaltig wird in diesen Richtlinien die Illusion abgebaut, hier werde ein fertiges Lehrplankonstrukt vorgelegt" (Haller/Wolf, 1973, 429). Im folgenden ist dann allerdings bei Haller/Wolf nicht von Lernzielen, sondern sehr nachhaltig nur von der „ situationsspezifische (n) Differenzierung der Lernwege und Lerninhalte als Entwicklungsaufgaben" die Rede.

Festzuhalten bleibt, daß „offene Curricula" im Bereich der „Gesellschaftslehre" ihren Namen dann verdienen, wenn sie für ihre zu erarbeitende und ständig zu überprüfende Konsens-grundlage geltende Normen und auf Geltung drängende normative Optionen derart miteinander in Beziehung setzen, daß auch „die Adressaten dieser Normen das Bewußtsein ihrer Richtigkeit haben" (Gagel, 1973, 245).

Jedenfalls gehört die Ableitungstransparenz (und damit die Überprüfbarkeit und Revidierbarkeit) der obersten Lernziele konstituierenden Normen und Begriffen neben deren innerer Stimmigkeit zu den Grundbedingungen von als offen anzusprechenden Curricula. Daraus resultiert die Notwendigkeit erheblicher Spielräume für Alternativen und für künftige Entwicklung der Lernzielsetzung, die ohne Mitwirkung und Rückmeldung der Adressaten ungenutzt blieben.

Offene Curricula müssen ferner plausibel zu vermutenden gesellschaftlichen Bedürfnissen und ihrem Wandel Rechnung tragen, wie nicht zuletzt wissenschaftliche Einsicht widerspiegeln, besonders den der Erziehungswissenschaft, die als Sachwalter der eigentlichen Adressaten, der Aufwachsenden, figuriert.

Damit stellen sich die Fragen nach den Verfahren der Curriculum-Erstellung.

In der unterschiedlichen Intensität, mit der die Frage der Normenvalidierung und (obersten) Lernzielgewinnung in den drei Curriculum-Projekten Hessens, Nordrhein-Westfalens und von Rheinland-Pfalz gestellt und mit mehr oder weniger Transparenz behandelt und beantwortet wurde, spiegeln sich nicht nur unterschiedliche Phasen des Problembewußtseins — die Beiträge von Habermas und die Untersuchung von Hilbert L. Meyer (1972) konnten für die Curriculum-Entwicklung noch nicht herangezogen werden ==, sondern auch unterschiedliche bildungspolitische Positionen — und Temperamente.

Rheinland-Pfalz

Rheinland-Pfalz orientiert sich an einem realistisch-dialektisch, die konkreten Spannungsverhältnisse zwischen Individuen (Gruppen) widerspiegelndem „Zielhorizont", der offenbar als Arbeitshypothese gewonnen wurde. Mit ihm wurden herkömmliche Gegenstände des politischen Unterrichts in Beziehung gesetzt, „Unterrichtsthemen in ständiger Über-prüfung der Interdependenz von Zielen und Inhalten formuliert. . . und in einem weiteren Schritt mit detaillierter Lernzielangabe ausgearbeitet ... In einem nächsten Schritt wurden die in den detaillierten Lernzielen der Themenentwürfe angezielten allgemeinen Qualifikationen abstrahiert und zu einer Systematik zusammengefaßt" (Hilligen, 1973, 274). Es handelt sich um ein hermeneutisches, am Unterricht überprüftes Zirkelschlußverfahren, das eher an Veranstaltungen herkömmlicher Bildungsplanarbeit erinnert.

Die Beschreibung des „Zielhorizonts" verzichte bewußt auf Formulierungen wie „Mündigkeit", „Emanzipation" (vgl. jedoch die folgende Aufstellung!), „politische Beteiligung", da diese „als beliebige Leerformeln" benutzt werden können (zit. bei Hilligen, a. a. O.). Auch sei in den folgenden Formulierungen aus Rheinland-Pfalz das und „nicht additiv, sondern dialektisch" zu verstehen:

„— Entfaltung von Personalität und Solidarität — Bereitschaft zur Wahrnehmung von Eigeninteressen und zum Engagement für das Gemeinwohl — Fähigkeit zur Emanzipation (sic!) und Integration — Bereitschaft zu Anpassung und Widerstand — Denken in Alternativen und Mut zum Parteiergreifen" (RhPf. 2).

Diese „Dialektik von Prinzipien", die in Rheinland-Pfalz „mitmenschliche und sachliche Verantwortlichkeit" „als allgemeinste Norm politischer Bildung sichern helfen" soll, wird von H. H. Hartwich (1973, 144) — u. E. zu unrecht —• unter das Verdikt gestellt, daß es sich wieder um „Leerformel-Paare" handele, „die zudem die Gefahr beinhalten, daß der Unterricht nicht nur auf totale Anpassung an das Gegebene, sondern darüber hinaus zu einer profillosen „Einerseits-andererseits-Haltung führt" (H. H. Hartwich, 1973, 144).

Es handelt sich hier um eine u. U. folgenreiche Verwechslung zwischen politischen Sachzielen (denen Eindeutigkeit, Entscheidung zwischen Alternativen zukommt) und anthropologischen, politisch-pädagogischen Verhaltenszielen (denen Eindeutigkeit nur unter Gefahr der Verkürzung und Verkümmerung des politischen Subjekts zukäme). Personalität, Eigeninteressen, Emanzipation, Widerstand und Parteiergreifen für sich würden einen autistischen, allenfalls gruppenbezogenen, extrem aktionistischen homo politicus konstituieren, während Solidarität, Gemeinwohl, Integration, Anpassung, wiederum allein, den allzu braven Bürger ausmachen würden, der sich vom autoritätsbeflissenen Gefolgsmann immerhin noch durch das „Denken in Alternativen" unterschiede.

„Die Pädagogik vermag Erziehungsziele", bemerkt zutreffend der nordrhein-westfälische Richtlinienentwurf (zit. bei H. H. Hartwich, 1973, 143), „nur dialektisch zu formulieren: Übernahme der von einer Gesellschaft vorgeschriebenen Normen — und Fähigkeit, sich von ihnen zu distanzieren". Es geht im Grunde um die Notwendigkeit der Entwicklung von „Registern" (scheinbar) ambivalenter sozialer Verhaltensweisen, deren Erfordernis sich aus der Mündigkeitsvoraussetzung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ergibt. Wie der Spieler an der Orgel, muß der einzelne diese Register von Verhaltensweisen beherrschen, um situativ unterschiedlichen, u. U. gegensätzlichen, nacheinander an ihn herantretenden Anforderungen sachadäquat, rational und nach Möglichkeit autonom begegnen zu können. Deshalb ist die Ambivalenz derartiger Qualifikationen geradezu ein Kriterium für Offenheit von Curricula.

In anderer Hinsicht scheinen die rheinland-pfälzischen Richtlinien dagegen berechtigte Kritik auf sich zu ziehen: „Im Lernzielkatalog wird zwar die Notwendigkeit von Chancen-gleichheit und sozialer Gerechtigkeit betont, nirgendwo aber werden die Eigentumsverhältnisse bzw. die strukturelle soziale Ungleichheit als Ursache für strukturelle Reformen genannt" (Hilligen, 1973, 278). Eine Reihe ähnlicher, von Hilligen vermerkter Defizite gibt zu der Vermutung Anlaß, hier sei zugunsten des formalen Demokratieverständnis, der geltenden Optionen, der ebenfalls legale Bereich divergierender, nach Anerkennung drängender normativer Optionen verkürzt worden.

Nordrhein-Westfalen

Unter der Leitung von Herwig Blankertz wurde in Nordrhein-Westfalen mit aller Sorgfalt ein „von Instanzen unabhängiges" Verfahren entwickelt, das das „in der Pädagogik unverzichtbare Denken in einem Sinnhorizont mit rationalen Verfahren, welche Effizienz und Transparenz gewährleisten" (Gagel, 1973, 257), zu koppeln suchte. Dazu wurde eine von Gösta Thoma entwickelte zweidimensionale didaktische Matrix, „didaktisches Strukturgitter" genannt, angewandt, die die Strukturierung von Inhalten zum Zwecke der Konstruktion eines Curriculums leisten soll.

Das Strukturgitter empfiehlt sich als 1. situationsspezifisch: es operiert mit spezifischen Begriffen wie „Arbeit", „Sprache", „Herrschaft";

2. fachspezifisch: es betrifft den politischen Unterricht;

3. von einem „Sinnverständnis des Ganzen" ausgehend: es versucht, in den Worten Wenigers, eine „Ortsbestimmung der Gegenwart". Diese wird unter einem doppelten Ansatz in Angriff genommen: vom „hypothetisch-apologetischen Selbstverständnis der Bundesrepublik" sowie von einer „Bedingungsanalyse der gesellschaftlichen Situation" her, insbesondere der in der politischen Bildung sichtbar gewordenen „politisch-gesellschaftlichen Postulate". Vom Ausgangselement Bedingungsanalyse werden „Determinanten, Erwartungen oder Forderungen" mehr aktueller Natur erwartet (Schörken/Gagel, 1972, 25), aus dem Ansatz „Selbstverständnis" wurden, über den Versuch der Objektivierung durch die Gesellschaftswissenschaften, insbesondere durch „Soziologie, Politologie, Ökonomie", die „funktional aufgeteilt wurden in . apologetische'(oder legitimierende, d. h. bestätigende)

und kritische Richtungen" (Schörken/Gagel, 1972, 25), Hypothesen gewonnen, die die Grundlage für Qualifikationen und für einen Katalog von Lernzielen bilden, die sich an „erkenntnisleitenden Interessen" unter der emanzipatorischen Leitidee orientieren. Zum Verfahren der Hypothesenbildung: Im Verfahren (Strukturgitter) „werden mit den Kategorien „zweckrational", „ideologisch" und „kritisch" Sachverhalte jeweils auf ihre Zweckrationalität, ihre Legitimationsideen (gesellschaftliche Rechtfertigung) und deren ideologiekritische Relativierung untersucht und dadurch . .. problematisiert" (Gagel, 1973, 260).

Es fällt auf, daß in dem mitgeteilten Schema (Gagel, 1972, 262) zwar das „hypothetischapologetische Selbstverständnis", nicht aber die „politisch-gesellschaftlichen Postulate" usw.der kritischen Interpretation „durch die Gesellschaftswissenschaften" unterliegen, und daß unter den aufgezählten Disziplinen gerade die fehlt, deren eigentliches Geschäft kritische Normeninterpretation ist, nämlich die Rechtswissenschaft. Angesichts des Eingeständnisses, daß „Selbstverständnis weder eindeutig zu lokalisieren noch eindeutig zu definieren ist" (Gagel, 1972, 263), werden mögliche Ansprüche der Rechtswissenschaft gleich vorsorglich abgewiesen: „Auch eine Deduktion aus. Verfassungsnormen scheidet aus, weil diese auslegungsbedürftig (wie Art. 1) oder auslegbar (wie die übrigen) sind, soweit es sich um Verhaltensnormen handelt, die für den Staatsbürger relevant sind. Ein aus dem Grundgesetz zu deduzierendes Curriculum würde die Entscheidungen über Lehrinhalte an das Bundesverfassungsgericht delegieren"

(Gagel, 1973, 263).

Sicherlich ist damit nicht gemeint, der Curriculum-Entwicklung sei es gestattet, für sich selbst davon abzusehen, daß sie in einem hinsichtlich der Grundnormen allgemein und also auch für sie selbst verpflichtend normierten Gesellschaftssystem operiert und daß jene Grund-normen nichts mit solchen Verhaltensnormen zu tun hätten, „die für den Staatsbürger relevant sind". Bestritten, weil bezweifelt, wird die Möglichkeit der (unmittelbaren) Deduktion, mit freilich zweifelhafter, weil zu umfassender Begründung, die das Kriterium der Verfassungswidrigkeit gleichwohl nicht einbezieht. Gemeint ist, die Auffindung von Normen zur Gewinnung oberster Lernziele könne gut gehen auch ohne Mitwirkung der eigentlichen Normwissenschaft. Das ist als Möglichkeit ganz unbestreitbar. Nur erinnert ein solches Vorgehen, vielleicht als Ausfluß altüberlieferter deutscher (nicht nur pädagogischer) Rechtsfremdheit begreiflich, an die von Kriele kritisierte Redewendung gegenwärtiger politischer Rhetorik, man wolle das Bundesverfas-B sungsgericht aus politischen Kontroversen her-aushalten: „Es kommt aber nicht darauf an, das Bundesverfassungsgericht, sondern das Grundgesetz herauszuhalten. Zieht man das Grundgesetz. .. hinein" (was ja auch absichtslos, etwa bei der Normenfindung zur Gewinnung oberster Lernziele geschehen kann [F M. ]), „so wird das Bundesverfassungsgericht für die Entscheidung zuständig"

(Martin Kriele, 1973, 521). Erfahrungen mit Bildungsplanung in der Vergangenheit rechtfertigen eine entschiedene Warnung vor dem Irrglauben an die Nichtjustiziabilität bildungspolitischer Hoheitsakte.

Gleichwohl scheint das subtile, in Nordrhein-Westfalen entwickelte heuristische Instrumentarium, nach dem bisher vorliegenden Ergebnis der „Richtlinien für den politischen Unterricht" zu urteilen, den daran geknüpften Erwartungen entsprochen zu haben Was sich dort abzeichnet, ist ein offenes Curriculum, sowohl was die Transparenz und Absicherung des kritisch-rationalen Mündigkeitsprinzips), die innere Differenzierung der Sachziele (unter durch Normenkritik freilich noch nicht immer hinreichend abgesicherter Präferenz zugunsten des materialen Demokratiebegriffs („Demokratisierung" ], bei gleichzeitiger Hintanstellung des formalen Demokratiebegriffs)

wie schließlich die Überprüfbarkeit und Revidierbarkeit der Ergebnisse durch die Adressaten. So wurde in einem ersten Anlauf der angestrebte „Minimalkonsens als normative Prämisse" recht überzeugend erreicht.

Hessen

Das Zustandekommen der vorliegenden, einstweilen noch nur „zur Erprobung" gestellten und demgemäß weder von der Lehrervertretung noch vom (nach Art. 56 der Hessischen Verfassung einzuschaltenden) Landeselternbeirat inhaltlich verabschiedeten RR ist nur zu verstehen auf dem Hintergrund der seit 1967 in Hessen intensiv betriebenen curricularen Vorarbeit, die wie folgt begründet wird:

„Bisherige Arbeitspläne hatten die Form von Erlassen. Damit waren sie in ihrem jeweiligen Geltungsbereich verbindlich. Die Auswirkung dieser Verbindlichkeit für die Schulpraxis hängt vom Grad der Genauigkeit ab, mit dem Ziele, Unterrichtsinhalte und Methoden beschrieben werden. (Es) ... fällt auf, daß ... formale Verbindlichkeit (Erlaßcharakter) und hoher Allgemeinheitsgrad der inhaltlichen Formulierungen (in der Vergangenheit) nebeneinanderstehen ... Damit besteht in der Regel ein breiter Deutungsspielraum der Auslegung der mit diesen Plänen verbindlich erklärten Anforderungen an den Unterricht" (BPI 3/72, 36).

Dieser „breite Deutungsspielraum" gehörte allerdings zu dem, was man pädagogische Freiheit des Lehrers nennt. Dieser hatte, neben der Wahl der Methode, die Möglichkeit der Schwerpunktbildung durch Auswahl aus in den „Bildungsplänen" empfohlenen Gegenständen. Praktisch wurde dieser Spielraum freilich auch durch die zugelassenen Schulbücher mehr oder weniger eingeengt, die sich ihrerseits nicht unerheblich voneinander unterscheiden, so durch das Maß an Offenheit für Eigeninitiative. Auch war im Bereich Sozial-/Gemeinschaftskunde /„Gesellschaftslehre" der Gebrauch von Schulbüchern nicht zwingend vorgeschrieben, das Maß des pädagogischen Spielraums demgemäß weitgespannt. Demgegenüber gehe es jetzt, im Hinblick auf die „veränderten Anforderungen, die die Gesellschaft an Schule stellt" (BPI 3/72, 63) um die Notwendigkeit von „Erziehung zu bewußter Organisation von Lernen" und „Organisation emanzipatorischer Lernprozesse" (a. a. O., 52).

Die „Kritik an den herkömmlichen Beurteilungsmethoden für schulischen Lernerfolg"

(ebd., 61) ließ „die Entwicklung entsprechender Methoden zur Lernerfolgskontrolle" zu einem „der Schwerpunkte der weiteren Arbeit"

(ebd.) werden. Das alles „schließt die Entwicklung von Methoden ein, mit deren Hilfe geklärt werden kann, was, wann, wie, von wem und warum gelernt werden soll. Diese Aufgabe einer grundlegenden Neuorientierung für eine Lehrplankonzeption wird unter dem Begriff Curriculum zusammengefaßt"

(ebd., 63).

Zum Verfahren wird ausgeführt: „Die Arbeit an einem Curriculum kann nicht von den bestehenden Schulfächern ausgehen. Sie beginnt vielmehr mit einer Analyse der gesellschaftlichen Situation, auf die sich Lernen bezieht, kommt von hier aus zu allgemeinen Lernzielen, die in einem nächsten Schritt Unterrichtsgegenständen zugeordnet werden. Erst dann stellt sich die Frage nach der Organisation des Unterrichts, damit auch nach der Bedeutung von Schulfächern im herkömmlichen Sinn. Dieser Arbeitsauftrag findet seinen Ausdruck auch in der Zusammensetzung der Gruppen, die Lehrpläne entwickeln. An die Stelle von Fachgruppen treten gemischte Kommissionen, in denen im Idealfall nicht nur Lehrer verschiedener Schulfächer zusammenarbeiten, sondern auch Vertreter aller Fachbereiche aus den Hochschulen'1 (BPI 3/72, 63).

Jedenfalls fand der geschilderte Idealfall in Hessen nicht uneingeschränkt statt. Der 1967 hoffnungsvoll eingeleitete Ansatz einer „Bildungsreform als Revision des Curriculum" wurde schließlich abgebrochen, obwohl die von der damaligen Staatssekretärin Hildegard Hamm-Brücher inaugurierte Curriculum-Kommission aus Experten von Hochschule und Schule sich im Interesse der Realisierbarkeit des Projekts bereits von Anfang an gegen ein, u. a. von Wolfgang Edelstein vertretenes, „Basis''-Konzept der Beteiligung breiter Schichten und zugunsten der „informierten Willkür" von sachverständigen Didaktikern entschieden hatte.

Im Zusammenwirken mit maßgeblichen Vertretern der Basiskonzeption (Brocher, Edelstein, Furck) hatte Wolfgang Klafki gehofft, innerhalb von zwei Jahren ein realisierbares Konzept zur Erarbeitung neuer Bildungspläne vorlegen zu können. Das Ergebnis war der sog. „Grüne Bericht" — ein Versuch, auf 190 Seiten die Totale der relevanten Probleme aufzuzeigen: Lernziele, Gliederung des Gesamtlehrplans, Differenzierung durch Kurse, Formen der Strukturierung von Lehrplänen, Fragen der Bildungsstufen, der Anwendung und Validierung von Tests, der Realisierungsbedingungen usw.

Den Schwerpunkt bildete das Problem der Lernziele: Die bisherigen drei „klassischen" Kriterien von Lernzielbestimmung — Gesellschaft, Kind, Wissenschaft — wurden ergänzt durch das „Prinzip der Emanzipation": „Der Wert eines Lernziels wird letztlich daran gemessen, inwieweit es innerhalb des organisierten Lernprozesses dazu beiträgt, die Fähigkeit des Schülers zur Analyse gesellschaftlicher Zusammenhänge und damit sein Selbstverständnis und seine Handlungsfähigkeit in der jeweiligen historischen Situation zu fördern" (Klafki/Lingelbach/Nicklas, 1972, 30).

• Aber während die Kommissionen noch tätig waren, wär die Ablösung der Bildungspläne von 1956/57 dringlich geworden. Einen Eilauftrag zu deren Revision glaubte die Curriculum-Kommission nicht übernehmen zu können. Dies veranlaßte das Ministerium, zur Ausarbeitung von kurzfristig zu erstellenden stufen-und fächerbezogenen Lehrplänen („Rahmenrichtlinien") kleine, arbeitsfähige Ad-hoc-Gruppen einzuberufen, in denen sich Mitglieder der ehemaligen Curriculumkommission wiederfanden. Die Koordinierung dieser Arbeitsgruppen erfolgte durch Angehörige des Ministeriums.

So waren zwei Ansätze zur „Legitimation durch Verfahren" in Hessen gescheitert. Der demokratische Ansatz von der Basis her (Edelstein) war verworfen, der immerhin Transparenz verheißende Ansatz des ungesteuerten Expertendiskurses nicht weitergeführt worden. Im dritten Ansatz übernahm den Auftrag in eigener Regie der Inhaber der Richtlinienkompetenz selbst. Das schien ein Rückfall in vordemokratische Vergangenheit, als solche Entscheidung „in der Nachfolge landesherrlicher Erlasse" (Strukturplan 1970, 67) getroffen wurden. Deren materielle Legitimität aber war gerade zweifelhaft geworden;

eben dies war der Ausgangspunkt für den dann doch fehlgeschlagenen hessischen Curriculumversuch qua Verfahren.

Bei der Beurteilung der eingetretenen Entwicklung ist freilich der schwer aufhebbare Abstand zu berücksichtigen, der zwischen dem Wünschenswerten und dem Machbaren liegt und der in Hessen durch inzwischen eingetretene finanzielle Engpässe noch vergrößert wurde.

über das Verfahren der RR-Herstellung selbst läßt sich mangels Transparenz nur wenig aussagen. Offen bleibt z. B., ob ähnlich wie in Rheinland-Pfalz oder gar mit der akribischen Sorgfalt von Nordrhein-Westfalen eine Verfahrensobjektivierung versucht worden ist. Feststeht, daß die Arbeiten der Klafki-Kommission genutzt worden sind: „Dieses" — so lautet die Ankündigung der RR in den „Bildungspolitischen Informationen" (BPI 3/72, Innenblatt) durch Herrn v. Friedeburg — „wäre nicht möglich, wenn nicht bereits seit 1968 in Hessen eine Kommission einberufen worden wäre, die Ziele, Inhalte und Methoden des Lernens in der Schule wissenschaftlich begründen und ein Curriculum für die Sekundarstufe I entwickeln sollte."

Da es bisher an Materialien zum Verfahren fehlt, muß alles weitere — Legitimitätssubstanz, Legitimierungssorgfalt, Umsetzungsqualität — aus den Texten selbst erschlossen werden.

Obwohl es „dem Anspruchsniveau einer Öffentlichkeit (entspricht), die sich an demokratischen Normen orientiert, . . . Kenntnis über den Entscheidungsprozeß zu gewinnen, aus dem die jeweiligen Lehrpläne hervorgeganB gen sind" (Gagel, 1973, 244), bleibt mindestens gegenwärtig die Forderung nach Transparenz des Verfahrens für die RR z. T. unerfüllbar. So kann auch die Frage der Orientierung an demokratischen Normen nur indirekt über die Prüfung der Stimmigkeit von Lernzielableitung und -Umsetzung beantwortet werden.

Die Fragen nach Legitimitätssubstanz und Legitimierungssorgfalt stellen sich um so dringender, als der Anweisungscharakter der RR gegenüber früheren Lehrplänen einerseits sich verstärkt hat, mindestens was die Verbindlichkeit aller 123 Lernziele in den vier Lernfeldern „Sozialisation", „Wirtschaft", „Öffentliche Aufgaben", „Intergesellschaftliche Konflikte" angeht (RR 36, 45), andererseits die RR selbst eingestandenermaßen hinter den curricularen Anspruch zurückfallen: „Diese Arbeit und ihre Ergebnisse können noch ... keineswegs den Anspruch einlösen, der sich mit dem Begriff Curriculum verbindet" (BPI 3/72, 66). Gleichwohl heißt es: „Verbindlich sind die allgemeinen Lernziele". Bei anderen als in den Plänen vorgesehenen Ansatzpunkten besteht sogar „für die betroffenen Lehrer die Verpflichtung, den Nachweis zu erbringen, daß die von ihnen getroffenen Entscheidungen lernzielorientiert begründet werden können. Bezugsrahmen müssen die allgemeinen Lernziele sein" (BPI 3/72, 36).

Die Anweisungssprache dieser „Bildungspolitischen Information" läßt es an Deutlichkeit nicht fehlen. In der Tat scheint es sich um einen hohen Grad angestrebter Reglementierung von Unterricht zu handeln. Da Lernziele außerdem wesentlich als Qualifikationen (RR 11), als „Erwerb von Verhaltensdispositionen" (RR 35) begriffen werden, könnte selbst ein Verdacht auf Abrichtungstendenz auftauchen. (Allerdings darf „Verhalten" nicht vor-wissenschaftlich eng verstanden werden — es umfaßt auch die kognitive, nicht nur die emotional-evaluative und die pragmatisch-psychomotorische Ebene.) Zur Abweisung eines solchen Verdachts ist der Frage nachzugehen, in welchem Maße für die Verhaltensziele der emanzipatorische Aspekt, besonders im Hinblick auf kritisches Verhalten und unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Ambivalenz der Dispositionen, berücksichtigt worden ist.

Dafür ist es notwendig, Stringenz und Stimmigkeit der Ableitung zu untersuchen.

Lernzielableitung und Lernzielbestimmung

Die Bestimmung oberster Lernziele in den RR geht aus vom „Demokratiegebot des Grundgesetzes". Da die Qualifikation, „den Schüler zur Teilnahme an der produktiven Gestaltung gesellschaftlicher Realität zu befähigen", affirmativ-anpassend (weshalb eigentlich?), aber auch als „auf die Befähigung der Schüler zur Selbst-und Mitbestimmung" abzielend interpretiert werden könne, orientierte sich „die an dieser Stelle zu treffende politische Entscheidung ... am Demokratiegebot des Grundgesetzes. Oberstes Lernziel für eine demokratische Gesellschaft (sic!) ist demnach die Befähigung zur Selbst-und Mitbestimmung. Diese optimale Teilhabe des einzelnen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen ist an die Aufhebung ungleicher Lebenschancen geknüpft" (RR 7).

Der Begriff „Demokratiegebot" ist in doppelter Hinsicht problematisch: als Verfassungs„gebot" (vgl. S. 18 ff., 34 f.) und weil er nicht anzeigt, welcher der beiden Demokratie-begriffe gemeint ist: der geltende, formale, begrenzte oder der auf Geltung drängende materiale, extensive. Im Zusammenhang wird dann freilich deutlich, daß es sich um den letzteren handelt, ohne daß deswegen die Zweideutigkeit beseitigt würde, die darin besteht, eine normative Option als Verfassungsgebot auszugeben. Sie wird auch darin sichtbar, daß die Gesellschaft selbst sich hierfür unversehens auf die Schulbank genötigt findet: „Oberstes Lernziel für eine demokratische Gesellschaft..." Mit welcher Berechtigung?

Freilich ist die Würdeschutzbestimmung des Grundgesetzes, die sich durchaus als die „Befähigung zur Selbst-und Mitbestimmung" gewährleistend interpretieren läßt, als Verfassungsgebot anzusehen, das sich unmittelbar an die staatliche Gewalt und damit mittelbar an die Gesellschaft richtet. Aber das gilt kaum für die in den RR daran gekoppelte „Aufhebung ungleicher Lebenschancen", der trotz Sozialstaatsklausel und trotz (in Grenzen) unbestreitbarer Folgerichtigkeit — als Bedingung „optimale(r) Teilhabe des einzelnen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen" [RR 7] — gleichwohl der Rang einer geltenden Norm (noch) nicht zukommt. Die Ableitung oberster Lernziele beginnt also mit einer Ungenauigkeit, die allerdings konsequent durchgehalten wird.

Die Lernzielableitung wird weitergeführt durch die Einbringung des Aspekts von Anwen-dungssituationen. Nur in Verbindung mit ihnen könnten Angaben darüber erfolgen, „was unter den jeweiligen Verhältnissen Selbstbestimmung oder soziale Gerechtigkeit als Postulate des Grundgesetzes bedeuten können" (RR 7). Damit wird deutlich, daß die extensiv interpretierte Sozialstaatsklausel für die RR den gleichen Rang einnimmt wie die Selbstbestimmung.

Es folgen weitere Differenzierungskriterien nach der wohlbekannten Trias „Untersuchen" — „Beurteilen" — „Handeln", wobei dem gesellschaftlichen Handeln im Bereich der „Gesellschaftslehre" zu Recht ein entscheidender Stellenwert zugesprochen wird: „Wenn es auch Lernziele gibt, die besonders auf Erkennen und Beurteilen abzielen, so erfahren sie doch ihre Berechtigung erst dann, wenn sie auf das Handeln, d. h. auf das soziale Verhalten, bezogen sind" (RR 9). Zugleich wird vor der Gefahr des „blinden Aktionismus" gewarnt — wie andererseits davor, „bloßer kritischer Reflexion . .. Vorschub zu leisten"

(RR 17).

Im allgemeinen enthalten sich die RR jedoch offenbar bewußt der Formulierungen höheren Abstraktions-und Allgemeinheitsgrades, mit Ausnahme eines prononcierten Bekenntnisses zugunsten einer „wehrhaften Demokratie" (eigentlich wehrhaften Demokratisierung): „So wird z. B.demokratisches Bewußtsein in diesen RR an die Fähigkeit gebunden, Entwicklungstendenzen, die dem Verfassungsauftrag des Grundgesetzes zuwiderlaufen, rechtzeitig zu erkennen. Daran soll sich die Bereitschaft knüpfen, für eine Verwirklichung der Demokratie in allen Bereichen der Gesellschaft einzutreten". Zwar werde sich im Rahmen des Unterrichts abschließend kaum prüfen lassen, ob dies Lernziel erreicht wurde, dennoch wolle man aus ganz bestimmten Gründen auf eine Lernzielformulierung dieser Art nicht verzichten: „Es muß in einem Plan für Gesellschaftslehre deutlich werden, daß die Formulierung überprüfbarer Einzellernziele nur vor dem Hintergrund allgemeiner Zielvorstellungen möglich ist, denen die politische Entscheidung für eine bestimmte Gesellschaftsverfassung zugrunde liegt" (RR 9).

„Suchinstrument" für Anwendungssituationen war die Frage, „wo, wann und wie von den Schülern Gesellschaft erfahren wird bzw. erfahren werden sollte" (RR 11). Diese Frage wird im Sinne der Konfliktdidaktik beantwortet: Konflikte, namentlich solche des eigenen Erfahrungsfeldes, schaffen „lernrelevante Situationen". Deren pragmatische Zuordnung zu vier Lernfeldern sei „unter Berücksichtigung gesellschaftswissenschaftlicher Untersuchungen" erfolgt (RR 11); von welchen, wird nicht gesagt.

Es folgt die Kurzbeschreibung der vier Lernfelder „Sozialisation", „Wirtschaft", „Öffentliche Aufgaben", „Intergesellschaftliche Konflikte", von denen jedes einmal im Laufe eines Jahres mindestens der „Ausgangspunkt von Unterricht" sein soll.

„Gegenstand von Lernen" sind für:

Sozialisation: „. . . die Abhängigkeit individueller Verhaltensformen, Einstellungen und Handlungsgrundlagen von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaft"

Wirtschaft: ...... Bedingungen, Formen und Folgen der Herstellung, Verteilung und des Verbrauchs von Gütern"

öffentliche Aufgaben: „... Gesellschaftliche Einrichtungen (Regierungssysteme, Bürokratien, Verbände, Parteien . . .) zur Planung, Organisation und Ausführung von öffentlichen Aufgaben sowie zur Aufrechterhaltung von Herrschaft"

Intergesellschaftliche Konflikte: „. . . Soziale, ökonomische, historische und räumliche Bedingungen für internationale Konflikte und die Formen ihres Austrags" (RR 11 ff.).

Ferner wird eine Differenzierung der allgemeinen Lernziele unter fachspezifischen Aspekten (Sozialkunde, Geschichte, Geographie) angestrebt. Herbei liegt das Schwergewicht auf der Sozialkunde als der Repräsentantin der Sozialwissenschaften im Schulbereich. In der Geschichte wird „der Gegenwartsbezug geschichtlicher Fragestellungen und Inhalte . .. zur Grundlage für die Lernzielbestimmung" (RR 18). Im Arbeitsschwerpunkt Geographie wird „unter dem Aspekt der Gesellschaftslehre die Dimension des Raumes als . Verfügungsraum'für soziale Gruppen betrachtet" (RR 3).

Schließlich wird festgestellt: „Der unterrichts-praktische Teil der RR nennt zu den einzelnen Lernfeldern verbindliche Lernziele"

(RR 36). Damit hat aber, was sich Ableitung der Lernziele nennen ließe, unversehens auch schon sein Ende gefunden.

Kritisch anzumerken bleibt vor allem, daß die geforderte Verbindlichkeit der Lernziele durch diese Art der Ableitung nicht hinreichend begründet erscheint. Deren Schwäche liegt einmal im problematischen, selektiven und unreflektiert gebliebenen Ansatz des sog. „Demokratiegebots", der Differenzierungen erschwert. Sie liegt zum anderen darin, daß undeutlich bleibt, ob und wie die an sich überaus plausiblen Kriterien zur sekundären Lernzielableitung — Ausgehen von individuell er-B fahrenen bzw. erfahrbaren Konfliktsituationen; Aufsuchen lernrelevanter „Lernfelder"; Dreischritt: Untersuchen — Beurteilen — reflektiertes gesellschaftliches Handeln (mit Akzentuierung des dritten Schrittes); Einbeziehen der Schule als Erfahrungsfeld; Hinführen zu „bewußtem Lernen" (reflektierte Mitwirkung der Schüler bei Wahl und Bearbeitungsmodus des Lerngegenstandes) —, ob und wie diese Kriterien in ihrer realen Bestimmungsfunktion, im Zusammenhang des „Systems", als Instrumente zur Lernzielgewinnung genutzt worden sind. Zwischen diesen Kriterien und den in den einzelnen Lernfeldern dann doch unvermittelt (und oft unverbunden) auftretenden Lernzielen klafft ein Hiatus.

Diese Lernziele sollen konfliktbezogen sein, reflektiertes gesellschaftliches Handeln intendieren, Demokratie verwirklichen helfen, Selbst-und Mitbestimmung — oder aber soziale Gerechtigkeit — fördern; schließlich sollen sie überprüfbar sein: ausdrücklich ging es um „die Formulierung überprüfbarer Einzellernziele" (RR 9). Wie haben sich diese Absichtserklärungen verwirklicht?

Damit stellt sich die Aufgabe, den Versuch zu machen, das immanente „Strukturgitter" der RR in einigen wichtigen Teilbereichen anhand der konkreten Lernziele nachzukonstruieren. Als besonders aussagefähig dürften sich die Untersuchungsfelder Demokratieverständnis und Gesellschaftsbild sowie Selbst-und Mitbestimmung (Emanzipation) erweisen.

Demokratieverständnis

Als folgenreich erwies sich die durch den Ansatz im „Demokratiegebot" enthaltene Entscheidung zugunsten eines materialen und gegen ein formales Demokratieverständnis. Sie vor allem hat die Schwerpunkte des Streits um die RR bisher bestimmt: „Das Grundsätzliche des Streits um die hessischen RR liegt in den unterschiedlichen Auffassungen über Demokratie in der Bundesrepublik und über die Reichweite des . Politischen“'(H. H. Hartwich, 1973, 145). Hartwich wirft den hessischen Richtlinienentwicklern allenfalls vor, „daß sie nicht noch stärker diese RR als eine politische Grundentscheidung für eines der nach der Verfassung möglichen Demokratiemodelle gekennzeichnet haben" (ebd.). Das wäre aber nur möglich gewesen durch deutliche Kennzeichnung der Alternativmodelle.

Wenn man mit Hartwich ein formales, staats-bezogenes und ein materiales, gesellschaftsorientiertes Demokratie-und Politikverständnis einander gegenüberstellt, ein „Ordnungstheorie der parlamentarischen Demokratie" gegen das „Desiderat einer Prozeßtheorie von Demokratisierung", so kommt ersterer der Rang geltender Norm, letzterer der einer von der Verfassung legitimierten normativen Option zu. Es kennzeichnet die RR, daß sie diesen Geltungsaspekt durchgehend vertauscht haben: ausschließlich legitim ist für sie, was zu Recht nur als legitime Alternative Geltung beanspruchen kann.

Die Kennzeichen des Alternativmodells in den RR werden zwar auch erwähnt, jedoch erscheinen sie mit schwächerer Akzentsetzung und häufig relativiert. So erscheint es den RR „wichtig, daß die Möglichkeit eines öffentli-chen Austragens von Konflikten als eines der positiven Kennzeichen für eine demokratische Gesellschaftsordnung erkannt wird. Das schließt nicht aus, daß gerade in einer Demokratie die Rolle kontrolliert werden muß, die öffentliche Institutionen im einzelnen Konfliktfall spielen (Gerichte, Polizei, Militär). Bezogen auf die Verhältnisse in der BRD muß sich u. U. notwendige Kritik am Grundgesetz orientieren" (RR 195). „Für die Schüler meist selbstverständliche institutionelle und verfassungsrechtliche Sicherungen zur Wahrnehmung unterschiedlicher Interessen“ werden angeführt, aber „lernrelevant ist dabei vor al lern die Frage, unter welchen Bedingungen es möglich ist/war, sich den öffentlichen Aufgabenbereich für partikulare Interessen verfügbar zu machen . . ." (RR 196).

Zur Verständigung: Selbstverständlich kann und soll unsere Kritik sich nicht dagegen richten, daß Institutionen durch Kritik in ihrer Bedeutung relativiert werden. Einmal ist, nach Gustav Radbruch, „der Relativismus die gedankliche Voraussetzung der Demokratie". Zum anderen ist die ein wenig penetrante Kritik der RR an der üblichen Institutionenkunde doch insoweit berechtigt, als die unkritische Vermittlung glatter Funktionsabläufe für Motivierungen wenig hergibt und zudem die zentrale Sicherungsfunktion von Institutionen, nicht nur für „Herrschaft", sondern für eine lebensdienliche menschenwürdige Ordnung, die besonders in Krisensituationen sichtbar wird, eher verschleiert als dartut. An den RR ist aber zu beanstanden, daß sie wiederum nicht zentrale, sondern in der Regel Partikularfunktionen sichtbar werden lassen, daß sie, insgeB samt gesehen, die Bedeutung der zentralen gesamtgesellschaftlichen Institution Staat zugunsten von Partikularinteressen der Gesellschaft unentwegt verkürzen: „Erst durch den Staat macht sich eine Gesellschaft handlungsfähig und kann die all ihren Gliedern gemeinsamen Interessen definieren" (Hans Buch-heim, 1973).

Schließlich ist einzuwenden, daß die durchgehend relativierende Kritik der RR halt macht vor dem eigenen Demokratieverständnis, das seinerseits nirgends hinterfragt wird. Dem allgemeinen Prinzip der RR: „Formal als demokratisch ausgewiesene Entscheidungsvorgänge (müssen) auf ihr inhaltliches Demokratieverständnis untersucht werden" (RR 200), fehlt das Korrelat: „Als inhaltlich demokratisch deklarierte Entscheidungsvorgänge müssen auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundsätzen menschenwürdiger Ordnung und mit geltenden (rechtsstaatlichen) Normen hinterfragt werden."

Dem entspricht auch, worauf Hilligen aufmerksam macht, daß „in den allein verbindlichen 123 Lernzielen sich kontroverse Positionen und relativierende Hinweise auf formale Regelungen des Grundgesetzes kaum ab(zeichnen): Lernziele wie die folgenden, , daß allgemeine, gleiche und geheime Wahlen zwar eine Bedingung, aber keine Gewähr für die demokratische Kontrolle öffentlicher Entscheidungen darstellen'(RR 201), oder, daß in jedem Einzelfall erneut geprüft werden muß, inwieweit diese Außerkraftsetzung (. formaldemokratischer Spielregeln/Rechte', so im vorhergehenden Lernziel) der Gewinnung, Sicherung oder Erweiterung von Herrschaftspositionen dient'(RR 202), bilden kein Gegengewicht gegen die überwiegende Mehrzahl der Lernziele, die ihre kritische Intention nicht mehr der Kritik aussetzen" (Hilligen, 1973, 277).

So wird etwa im „Lernzielzusammenhang 1" des Lernfelds „Öffentliche Aufgaben" nach deren Interessenzusammenhang gefragt, was zu den Lernzielen führt: 5. „prüfen lernen, inwieweit in der Regelung öffentlicher Aufgaben das Kräfteverhältnis zwischen den Interessengruppen einer Gesellschaft sichtbaren Ausdruck findet" 9. „legalisierte Formen des Konfliktaustrags zwischen gesellschaftlichen Interessengruppen daraufhin befragen können, inwieweit die jeweiligen Spielregeln einzelne Gruppen benachteiligen bzw. bevorteilen" (196 f.)

im „Lernfeldzusammenhang 2" wird die Frage nach dem Zusammenhang zwischen öffentlichen Aufgaben und Ressourcenverteilung gestellt: 11. „lernen, öffentliche Aufgaben daraufhin zu untersuchen, welche Interessen ihnen entsprechen (Infrastrukturpolitik, Handels-/Währungs-/Außenpolitik, Steuerpolitik . . .)" 17. „lernen, Umfang und Verwendung öffentlicher Haushaltsmittel sowie die Formen ihrer Aufbringung danach zu beurteilen, inwieweit sie dazu beitragen, ungleiche Lebenschancen in einer Gesellschaft abzubauen" (RR 198 f.); sodann wird im „Lernzielzusammenhang 3" das Problem der Legitimation öffentlicher Aufgaben aufgeworfen. Nachdem mehrere Legitimationsmöglichkeiten genannt werden „(z. B. magische, religiöse, naturrechtliche, sozialdarwinistische, liberale, sozialistische, demokratische ...)", wird das Problem in einer Art Zirkelschlußverfahren kurzerhand verabschiedet: „Unter dem Aspekt der allgemeinen Lernziele dieser RR erweist sich diese Aufgabe als die inhaltliche Bestimmung und Differenzierung der demokratischen Legitimation von Machtausübung" (RR 199). Daraus resultieren als Lernziele u. a.:

24. „lernen, formaldemokratische Wahlen danach zu beurteilen, inwieweit der Wähler reale Entscheidungsalternativen hat"

25. „lernen, Formen der demokratischen Kontrolle öffentlicher Macht daraufhin zu untersuchen und zu beurteilen, ob die Festlegung der . Spielregeln'(Zulassung von Parteien, Parteifinanzierung, Auswahl der Mandats-träger . . .) allen Gruppen einer Gesellschaft die gleichen Chancen zur Wahrnehmung ihrer Grundrechte sichert" (RR 201 f.).

Die unbestreitbare Ausgewogenheit mancher Formulierung kann nicht über die Einseitigkeit des hier vertretenen Demokratie-und Politikbegriffs hinwegtäuschen, wie sie auch in der gewiß sympathischen Parteinahme „unter dem Gesichtspunkt der Interessenwahrnehmung der Arbeitnehmer" (im Lernzielschwerpunkt „Betrieb", RR 171) und anderwärts zum Ausdruck kommt oder in der pauschalen (aus der Entscheidung zugunsten des „citoyen" gegen den „bourgeois" herrührenden) pauschalen Abwertung des Privaten. So stellen die RR die Frage, „inwieweit . politische Apathie'Ergebnis der Vorstellung ist, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung könnten im Privaten stattfinden" (RR 201). Aber wenn man der aus dem überlieferten politikfremden kleinbürgerlichen Privatismus resultierenden politischen Apathie ernsthaft zu Leibe gehen will, so dürfte es kaum genügen, jenen bloß auf den Kopf zu stellen. Den Geschichtskennern unter den RR-Entwicklern konnte auch nicht verborgen bleiben, daß die in den Lernzielen öfters verwandte Formulierung „formaldemokratisch" in der Endzeit der Weimarer Republik von deren rechten und linken Feinden nachhaltig diffamierend angewandt wurde. Da die Formalien des Rechts und der Verfassungen ursprünglich als Waffe der Schwachen gegen den Machtmißbrauch der Herrschenden bestimmt waren, enthalten sie, die durch Konsens übrigens abänderbar sind, entscheidende Sicherungsgarantien, die man nicht durch sorglosen Sprachgebrauch aufs Spiel setzen sollte.

Schließlich überrascht auch die wenig reflektierte, häufig zu beobachtende Gleichsetzung von „Macht" und „Herrschaft" (z. B. RR 194, 154) in einem maßgeblichen Text der „Gesellschaftslehre". Insgesamt gewinnt man den Eindruck, daß im Rahmen einer „Gesellschaftslehre" die Problematisierung von Herrschaft, Macht und Gewalt durchaus noch vertieft und differenziert werden könnte. Angesichts der nicht gerade wenigen Hinweise auf die (aufzudeckende) Teilfunktion von Herrschaft im Sinne der Stabilisierung von Machtverhältnissen (z. B. LZ 4 [51], 6 [51], 10 [135], 29 [141], 5 [196], 9 [197], 11 [198], 14 [199], 27 [202])

überrascht das Fehlen der entsprechenden Bemühung um Klärung und Offenlegung der Zentralfunktion von Herrschaft, wie sie in jüngster Zeit etwa als Regelungsleistung zur Organisation der Bedürfnisbefriedigung in (komplexer werdenden) sozialen Systemen zu definieren versucht worden ist (vgl. K. O.

Hondrich, 1975, 32 ff.).

Hier besteht offensichtlich noch ein Nachholbedarf. Auch können Lernziele wie das folgende: LZ 13: „lernen, historische und gegenwärtige Formen von Gewalt auf die Frage hin zu untersuchen, ob sie der Ausübung von Herrschaft dienen oder ob sie im Sinne von Gegengewalt zur Bekämpfung von politischer, ökonomischer oder militärischer Unterdrückung verstanden werden können" (RR 254) in seiner nicht präzisen, Mißverständnisse nicht ausschließenden Formulierung, die Herrschaft generell mit „politischer, ökonomischer oder militärischer Unterdrückung" gleichzusetzen scheint, zur Aufhellung dieses doch recht komplexen Begriffsfeldes, die dem Problem „gerechter Herrschaft" kaum wird ausweichen können, nicht allzuviel beitragen. Ebensowenig, wie die Politikwissenschaft auf die Bearbeitung des Herrschaftsproblems verzichten kann, vermag man sich vorzustellen, daß eine „Gesellschaftslehre", indem sie diese Aufgabe vernachlässigt, nicht entschieden genug dem Anschein entgegenwirkt, als stünde sie in der Gefahr, der Faszination durch die anarchistische Utopie der herrschaftslosen Gesellschaft zu erliegen . ..

Angesichts der Einseitigkeit des in den RR konsequent durchgehaltenen Demokratiebegriffs muß man sich in der Tat, „auch als Befürworter der demokratischen Demokratie-konzeption, fragen, ob nicht die Besonderheit des staatlichen Schulwesens in der Bundesrepublik und die Notwendigkeit rationalisierter Curriculumentwicklungsverfahren dazu zwingen, gerade die unterschiedlichen Demokratievorstellungen ganz klar herauszuarbeiten ..., so daß ihre Identifikation möglich bleibt" (H. H. Hartwich, 1973, 152). Dies eben unterblieb weitgehend.

Gesellschaftsbild

Aber der eigentliche Bezugsrahmen der RR ist gar nicht der Staat, sondern die Gesellschaft. Für die RR ist dieser Begriff, soweit er sich auf die Gegenwart namentlich der Bundesrepublik bezieht, überwiegend negativ besetzt. Zahlreich sind die „Erfahrungen individueller Ohnmacht gegenüber gesellschaftlichen und politischen Erscheinungen" (RR 13). Sie können jedoch Ansatzpunkte für Unterricht sein, „weil sie eine größere Motivation für Lernen schaffen"

(RR 14). „Es geht darum, die Schüler zu befähigen, Institutionen, wie etwa die Institution Schule, gezielt zu befragen, um daraus Schlüsse auf die Struktur der Gesellschaft ziehen zu lernen" (RR 90).

Was soll von gesellschaftlichen Strukturen gelernt werden? Die Antwort liegt auf der Hand: „Die Formen der Herstellung und Verteilung wirtschaftlicher Güter sowie die ihnen zugrunde liegenden Besitzverhältnisse sind von entscheidender Bedeutung für die Lebensbedingungen in einer Gesellschaft" (RR 133). Es handelt sich dabei um alle Strukturen durchwirkende „Machtverhältnisse (Verfügung über die Produktionsmittel)"; die gesellschaftlich-wirtschaftlichen Zusammenhänge sind allerdings „nicht als eine monokausale Kette von Ursache und Wirkung" aufzufassen (RR 134). Die realen Machtverhältnisse setzen sich ins Innere der Individuen fort: „Individuelles Verhalten wird durch Rollenerwartungen geprägt"; „in den Sozialisationsformen werden die in einer Gesellschaft bestehenden Herrschaftsverhältnisse wirksam und finden ihren sichtbaren Ausdruck" (RR 51); „Sozialisationsformen sind klassen/gruppen/schichtenspezifisch" (RR 52). Allerdings gibt es „Sozialisationsformen, die für Mit-und Selbstbestimmung qualifizieren"; sie sind von denen zu unterscheiden, „die eine Demokratisierung der Gesellschaft verhindern" (RR 49). Letztere führen u. a. zur Autoritätsfixierung (RR 116), zur „selektiven Realitätswahrnehmung/Realitätsverzerrung, Intoleranz gegen Mehrdeutigkeit, Schwarzweißmalerei", zum „Klischee von den Guten und Bösen, zum dichotomischen Weltbild ..." (RR 118).

Das sind jedoch Wahrnehmungsfehler, die sich ganz offensichtlich nicht auf den Kreis der unterprivilegierten Klassen/Gruppen/Schichten beschränken lassen. Selbst das Gesellschaftsbild der RR ist von Zügen des dichotomischen Weltbilds nicht frei.

Bei Konflikten wird das Verhalten der Beteiligten „auch durch Zwänge bestimmt, deren Aufhebung nicht Sache des persönlichen Wollens ist" (RR 70). „Trotz steigender Reallöhne (verschob) sich der Anteil der Unternehmergewinne am Sozialprodukt zugunsten (sic!) der Arbeitnehmereinkommen" (RR 136).

„... Möglichkeiten zur Mitbestimmung/Mitentscheidung/Verfügungsgewalt im Bereich von Wirtschaft und Politik sind direkt und indirekt an die verschiedenen Einkommensarten geknüpft" (RR 183). „Institutionen schützen Privilegien, deren Aufgabe es ist zu verhindern, daß sich Einzelinteressen auf Kosten anderer durchsetzen (z. B. Polizeieinsatz durch Gerichtsurteile...)" (RR 210). „Inwieweit führt die Begrenzung öffentlicher Einflqßnahmen in den Privatbereich zur Verfestigung vorhandener Formen von Unterprivilegierung? (z. B. gesetzliche Rechte der Eltern u. a.)" (RR 213). „Grenzen für die Einwirkung öffentlicher Instanzen" zugunsten der Unterpriviligierten werden „auch dadurch gesetzt ..., daß kein allgemeines Interesse an der Veränderung der Situation besteht"

(RR 214). „Es ist also durchaus denkbar, daß moralische Entrüstung und Empörung über Mißstände zum Ausgangspunkt von Lernen werden. Damit kann Unterricht sich allerdings nicht zufrieden geben ..." (RR 206).

Gleichzeitig aber knüpft sich an den deprimierenden Zustand der Gesellschaft überschwängliche Hoffnung für deren Zukunft.

Denn sie ist, auch in allen Teilbereichen, offen-B bar unbegrenzt veränderbar. Der Grund hierfür liegt auf der Hand: sie ist historisch geworden. Dieser Einsicht geben die RR fast dichterische Form eines ständig sich wiederholenden Refrains: „Formen der Produktion, Verteilung und Konsumtion von wirtschaftlichen Gütern — historisch entstanden und veränderbar" (BR 234) — usw. an zahllosen Stellen (z. B. RR 48, 61, 79, 134, 198, 251). Zwar sei „mit dem Begriff der Veränderung . .. immer auch mitgesetzt der Begriff der Kontinuität" (RR 23). Nur erscheint gesellschaftliche Veränderung darum doch in exzessivem Ausmaß möglich, weil eine naheliegende Frage, die ein Thema der „Dialektik der Aufklärung" war und die Kogons Formel von den „Antinomien emanzipatorischer Prozesse" wieder aktualisiert hat, sich den RR trotz ihrer Anerkennung der Notwendigkeit „einer vielschichtigen historischen Analyse" (RR 24) nicht zu stellen scheint. Es geht darum, ob die in historischen Verläufen von ihren Protagonisten intendierten Veränderungen ihren Absichten und Erwartungen auch entsprochen haben, ob und welche als inkalkulabel sich erweisenden (oder nicht berücksichtigten) Faktoren den Ablauf intendierter Veränderungen etwa beeinträchtigten. Diese eminent politische Fragestellung würde den Blick für die Bedingungen öffnen, die zu beachten sind, wenn auf gesellschaftliche Veränderungen gerichtete Intentionen auch Erfolg haben sollen. Ihre Unterlassung verkürzt die Veränderungsabsicht genau um ihre politische Dimension.

Im „Arbeitsschwerpunkt Geschichte" sprechen sich die RR gegen ein Geschichtsbild aus, „in dem geschichtlichen Abläufen die Zwangsläufigkeit von Naturgesetzen zugeschrieben wird", und wenden sich gegen eine Vorstellung, „in der Geschichte als Schicksal erfahren wird" (RR 26), was sie „Mystifizierung" der Geschichte nennen — als ob diese, wie eine Person, hinters Licht führen könnte — gemeint ist offenbar ihre Mythisierung. Statt aber die hier zu erwartende Problematisierung und Differenzierung des Verhältnisses von historischen „Zwängen" und den (bedingten) Freiheitsräumen des historisch-politischen Subjekts anzudeuten oder einzuleiten, wird durch die litaneiartige Wiederholung der Formel „Historisch geworden, also veränderbar" das Trugbild unbegrenzter Verfügbarkeit über gesellschaftliche Zukunft suggeriert.

So gewinnt man den Eindruck, daß die Bemühung um „die am schwersten zu vermittelnde Qualifikation, ... die Fähigkeit, Chancen, Grenzen, Schwierigkeiten, Auswirkungen eines bestimmten Vorgehens vorweg abzuschätzen" (RR 8), durchaus noch verstärkt werden könnte.

Dieser Eindruck verfestigt sich bei der Durchmusterung der Lernziele, der Lernzielschwerpunkte und der unterrichtspraktischen Hinweise. Von den 25 Lernzielen des Lernfelds „Intergesellschaftliche Konflikte" haben z. B. ganze zwei allenfalls ansatzweise mit der Frage von Auswirkungen möglicher Veränderungen zu tun:

20. „Alternative Modelle zur politischen Lösung solcher Probleme (vorher ging es um „Bedingungen für Entstehung und Veränderungwirtschaftlicher Probleme“ F. M.) kennenlernen (supranationale Zusammenschlüsse) und ihre Auswirkungen in Ansätzen beurteilen lernen" (RR 256).

25. „Alternative Modelle zur Lösung solcher Probleme (vorher war von „Entstehung und Veränderung weltwirtschaftlicher Probleme und damit zusammenhängender internationaler Konflikte" die Rede, F. M.) kennenlernen und in Ansätzen beurteilen können" (RR 257).

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, daß beide Lernziele etwa auf das gleiche hinauslaufen. Auch die Themenstichworte „Vermögens-und Einkommensentwicklung" (RR 183 f.), „Wirtschaftliche Konzentration" (RR 186), „Konjunkturentwicklung" (RR 189f.), „Unterprivilegierung in Industriegesellschaft" (RR 207 f.), „Elendsviertel" (RR 212 L), um nur einige zu nennen, geben detallierte Hinweise zur Diagnose unerfreulicher Zustände, sind jedoch überaus zurückhaltend in der Diskussion von deren Therapie. Bei „Elendsviertel" heißt es z. B. -„Der Unterricht hätte sein Ziel erreicht, wenn er bei den Schülern zu einem Problembewußtsein führt und zu der Einsicht in die Notwendigkeit, die Situation von Unterprivilegierten stärker als bisher in die Diskussion einzubeziehen" (RR 213 f.).

Eben damit aber bleibt die eigentlich politische Frage: „Was ist zu tun, und welche Folgen sind dabei zu bedenken?", bleibt der Zyklus „Problem — Problemlösung — neue Problemstellung" (K. H. Hondrich, unveröffentlicht) ausgeblendet; es bleibt beim moralischen Appell. So hat sich eine Konsequenz tatsächlich eingestellt, die aus der Schwerpunktverlagerung der RR von „politischer Bildung" auf „Gesellschaftslehre" zu befürchten gewesen war: Die RR sind auf eine sehr radikale Weise bemerkenswert unpolitisch. Und damit ist den RR auch das Ziel, das sie sich gesetzt haben, „Schüler zu einer rationalen Einschätzung ihres politischen Handlungsspielraums (zu) befähigen" (RR 8), weithin über ausgiebiger kritischer Gesellschaftsdiagnostik außer Sicht geraten. Die Vieldimensionalität und der Folgenreichtum politischen Entscheidungshandelns gelangen nur verkürzt zur Auswirkung. Was Max Weber „Verantwortungsethik" nannte, wird kaum berücksichtigt. Bei aller intendierten Politisierung ist das Politische, als das mühselige Geschäft der Realisierung gesellschaftlicher Zielsetzungen verstanden, doch draußen geblieben. Es ist schon bemerkenswert, wenn in einem Richtlinienwerk zur „Gesellschaftslehre" die Gesellschaft als das im Gegensatz zur Natur nahezu unbegrenzt Veränderbare erscheint.

Im Widerspruch dazu ist in den RR die Veränderung selbst an genaue und sogar überraschend enge Bedingungen geknüpft. Diese bestehen einerseits im technischen Fortschritt, andererseits darin, daß „soziale Ungleichheit durch die Veränderung von Produktions-und Verteilungsformen wirtschaftlicher Güter ... vermindert wird" (RR 135); dies wiederum zieht Veränderung der Sozialisation nach sich. Vergegenwärtigt man sich die ganze Breite und Vielfalt des Instrumentariums, das für eine politisch-gesellschaftliche Veränderung zur Verfügung steht, so ist man über den kaum problematisierten, vielmehr simplifizierenden Rückgriff der RR auf das seinerseits vereinfachende Marxsche Denkmodell vom ökonomischen Bewegungsgesetz der Geschichte enttäuscht. So unbestritten seine Attraktivität freilich ist, die nicht zuletzt darin zu bestehen scheint, daß es für ein Minimum heuristischen Aufwands ein überwältigendes Maximum praktischer Effektivität in Aussicht stellt, so sehr hätte seine Problematisierung den RR angestanden.

Einen hohen Stellenwert etwa hat als Bedingung gesellschaftlicher Veränderung die Solidarisierung; erwünscht scheint auch die Institutionalisierung der Austragung von gesellschaftlichen Konflikten in der Schule: „wenn Aktionsformen gefunden werden, die . .. Vereinzelung aufheben können" (RR 53), und wenn „Strategien für die Organisation von Lernprozessen entwickelt werden, in denen die Zugehörigkeit zu verschiedenen sozialen Schichten konsequent Gegenstand von Unterricht ist und in denen zugleich eine Plattform für die Austragung von gesellschaftlichen Konflikten geschaffen wird" (RR 45).

Selbst-und Mitbestimmung

Das oberste Lernziel der RR — „Befähigung zur Selbst-und Mitbestimmung" (RR 7) — ist emanzipatorischer Art und deckt sich weithin mit der Würdeschutzbestimmung des Grundgesetzes, als „die angemessene handlungsbezogene Übersetzung dessen, was im Grundgesetz u. a. mit der Menschenwürde gemeint ist" (Wolf-Dieter Narr, 1973, 29). Das Wort „Emanzipation" selbst, das für die Klafki-Kommission als „Prinzip" grundlegend war (vgl. S. 44), taucht allerdings in den RR kaum mehr auf. Das mag mit seiner noch nicht völlig behobenen begrifflichen Unschärfe (vgl. Billigen, 1972, 150 ff.) Zusammenhängen, vielleicht aber auch damit, daß die Formel, Selbst-und Mitbestimmung'die Dimension der Solidarität einbezieht, die mit „Emanzipation" nicht ohn weiteres erfaßt ist. Es wäre demnach zu fragen, wie die RR in Lernzielen und Lernwegen ihr oberstes Lernziel operationalisiert und wieweit sie die mit ihm gesetzten Einschränkungen (Indoktrinations-, Uberwältigungsverbot) gewahrt haben. Besonders aufschlußreich hierfür ist das Lernfeld „Sozialisation" (RR 47 ff.).

Wenn man unter Sozialisation die Gesamtheit der intendierten und nichtintendierten gesellschaftlichen Prozesse versteht, durch die der Aufwachsende „die Kultur einer Gesellschaft und/oder ihrer Teilgruppen, ihrer Formen, Einstellungen und Verhaltensweisen lernt" (Behrmann, 1969, 145), so bedarf es unter dem Gesichtspunkt der Selbst-und Mitbestimmung deren kritischer Überprüfung nicht unter dem Gesichtspunkt der Solidarität, sondern besonders auch unter dem der Individuation und Personalisation. Diesen Gesichtspunkt hat Rudolf Engelhardt in seiner Interpretation der RR (1973, 28 f.) erfreulicherweise deutlicher herausgearbeitet, als das in den RR selbst gelungen ist: „Das Lernfeld . Sozialisation'...

soll Schülern Selbstreflexion und damit Selbstverständnis und Verständnis für andere ..., ermöglichen ..." (R. Engelhardt, 1973, 28).

Deswegen wird aber weder bei Engelhardt noch in den RR auch schon die unerläßliche Zielrichtung im Sinne eines anzustrebenden, rational abgesicherten, möglichst autonomiebestimmten Urteilens und Verhaltens hinreichend deutlich. Freilich gibt es unter den 24 zu „Sozialisation" gehörigen Lernzielen und den 54 aus den entsprechenden Lernzielschwerpunkten abgeleiteten „Qualifikationen" einige wenige, in denen diese Bestimmung anklingt, jedoch wird sie nicht mit der zu erwartenden Entschiedenheit thematisiert: 18.: „die eigenen Einstellungen und Handlungsgrundlagen zu untersuchen mit dem Ziel einer kritischen Distanzierung oder reflektierten Zustimmung" (RR 53); 20.: „für die (aus verschiedenen Rollenerwartungen) sich ergebenden Rollenkonflikte verschiedene Verhaltensmöglichkeiten entwickeln" (RR 53); 23.: „lernen, für den Austrag von Rollenkonflikten kooperative und kollektive Handlungsformen zu entwikkeln" (RR 54); „lernen, eigene Meinungen in den Unterricht einzubringen", „lernen, Meinungen anderer wahrzunehmen und auf . sie zu reagieren" (RR 74). Das selbstgesetzte oberste Lernziel „Selbst-und Mitbestimmung" konkretisiert sich hier nur in der Form der Anspielung. Dieser Mangel hängt mit dem spezifischen Schwerpunkt dieses Lernfeldes zusammen. Er liegt in der stürmischen Rezeption eines soziologischen Rollenbegriffs, gegen dessen einseitige Vorherrschaft bereits Adornos Wort vom „Unwesen der Rolle" sich richtete. In der Genugtuung über diese neue pädagogische Errungenschaft scheint das Lernziel „Selbst-und Mitbestimmung" den RR-Verfassern nahezu abhanden gekommen zu sein. Natürlich trifft zu, daß zur Meisterung sog. Sachzwänge es erforderlich ist, deren Mechanismen aufzudekken. Aber wenn deren Analyse sich auf andächtig penible Nachzeichnung beschränkt und das Individuum allenfalls noch als der Ort erscheint, wo sich ihre einander überdeckenden Wirkungen blind verschränken, ohne daß ihm die Chance verbleibt, sich ihnen reflektiert distanzierend gegenüberzustellen, dann geht es nicht mehr um Emanzipation, sondern um die Vereinnahmung des Individuums durch Gesellschaft oder gesellschaftliche Gruppen.

Diesem Umschlag ins anti-emanzipatorische, kollektivistische Extrem kommen die RR in ihrem soziologistischen Ansatz gelegentlich gefährlich nahe: Der Schüler soll 1. „erkennen, daß individuelles Verhalten durch Rollen-erwartungen geprägt wird" — was freilich erst dann den Umschlag brächte, wenn „geprägt" als (allein) „bestimmt" interpretiert würde; und 17. „individuelle Konflikte als Rollenkonflikte zu begreifen" (RR 53). Ein derart provoziertes anti-emanzipatorisches Mißverständnis wird noch verstärkt durch den Hinweis auf die Möglichkeit der Einführung des Rollenbegriffs über Beispiele, „an denen Schülern erfahrbar wird, in welchem Ausmaß individuelle Verhaltensformen in ihrem Spielraum festgelegt sind" (RR 59). Dem Stigma, selbstbestimmungsfeindlichen und Verantwortung hemmenden Negativerfahrungen ohne Bewältigungsmöglichkeit ausgesetzt zu sein, werden die Schüler erst dann entgehen, wenn die RR-Entwickler vielleicht in einem späteren Arbeitsgang sich dazu entschließen, auch die emanzipatorische Zielrichtung im Lernfeld „Soziologie" unmißverständlich zu thematisieren.

Diese Unstimmigkeiten sind eine Folge davon, daß es offenbar unterlassen wurde, im systematischen Vorgehen aus dem obersten Lernziel einen Zielhorizont, einen „oberen Lernziel" -Katalog dessen zu entwickeln, was an fundamentalen Einsichten und Verhaltensweisen unter den Aspekten der politisch relevanten gesellschaftlichen Gegenstandsbereiche wie der gesellschaftlich erforderlichen oder wünschenswerten Qualifikationen „gelernt" werden soll. Diese Aufgabe kann auch vom Konfliktansatz und von aktualisierten Gegenstandsbereichen her, also unter den hessischen Voraussetzungen, durchaus geleistet werden. Daß sie nicht in Angriff genommen wurde, daß man sich pragmatisch aus den „Lernfeldern" und offenbar mehr oder weniger zufällig zustande gekommenen Lernzielschwerpunkten und Materialsammlungen die Lernziel-und Qualifikationssetzung quasi vorschreiben ließ (und sie zudem noch verbindlich machte), ist schwer zu verstehen und auch aus der Überforderung der beteiligten kleinen Gruppen kaum zu erklären. Die oft flagranten Widersprüche innerhalb der obersten Zielsetzung, besonders aber zwischen dem programmatischen und dem überaus breit geratenen unterrichtspraktischen Teil mit seinen zahlreichen Unstimmigkeiten, Einseitigkeiten, Flüchtigkeiten, lassen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem erheblichen Teil auf eine mangelnde „Rückkoppelung" aufs Prinzipielle zurückführen.

Wenn in der Akzentuierung jedoch durchgehend Personalität nach Solidarität, Gemein-interesse (mit Ausnahme des an Demokratisierung) nach Partikular-(„Klassen/Schichten/Gruppen" -) Interessen, Loyalität nach Kritik und Widerstand, Denken in Alternativen nach Parteiergreifen zu stehen kommt, wenn m. a. W. die liberale gegenüber einer mitunter schon recht illiberal interpretierbaren „demokratischen" Komponente vernachlässigt wird, so kann das nicht nur auf fehlende Rückkoppelung zurückgeführt werden, sondern muß auf eine Grundeinstellung der RR-Entwickler selbst zurückgehen. In der Form unzureichender Berücksichtigung emanzipatorischer Zielsetzung läßt sich-diese auch in der den RR eigenen wie in der von ihnen empfohlenen Form der pädagogischen Vermittlung feststellen.

Schon in der Präsentationsform der RR liegt ein Moment von Geringschätzung. Der Leser wird überwältigt durch eine auf 312 Seiten ausgebreitete, wenig systematisierte, ungeordnet wirkende und bibliographisch wenig aufgeschlossene Materialsammlung Sein Niveau wird einerseits hoch eingeschätzt: Vertrautheit mit gegenwärtiger soziologischer Fachsprache wird unterstellt. Andererseits hält man ihn offenbar für unfähig, sich seines Gedächtnisses zu bedienen: in den zahlreichen „Lernzielschwerpunkten" werden nach Art von Beschwörungsformeln die einschlägigen Lernziele immer noch einmal wortwörtlich wiederholt. So trifft in dieser Hinsicht auf die RR Helmut Plessners Formulierung zu, daß sie „in bestrickender Weise die Vorzüge eines Gebet-buches mit denen einer Felddienstordnung verbinden", nur daß sie im übrigen an Genauigkeit, Klarheit und Folgerichtigkeit entschieden noch Wünsche offen lassen. Auch wird das Oeuvre gekennzeichnet durch ein verblüffend hohes Maß an Redundanz: der Wort-und Materialaufwand entspricht nicht durchgehend der begrifflichen Durchdringung.

Für ein Richtlinienwerk ist es gewiß keine zu hoch gegriffene Forderung, daß es für den Adressaten auch verständlich sein muß. In einem demokratischen Bildungswesen sind die Adressaten nicht nur Lehrer, sondern auch Eltern und Öffentlichkeit — eigentlich, den Intentionen der RR-Verfasser entsprechend, auch die Schüler. Wie soll aber für die 10-bis 11 jährigen der 5. /6. Jahrgangsstufe etwa Lernziel 13: „erkennen, daß in die Beurteilung von Sozialisationsprozessen Normen eingehen, die ihrerseits Ergebnisse von Sozialisation sind" (RR 64) zum Gegenstand „bewußten Lernens" werden, wenn die für Verständnis und Transfer erforderliche Vorarbeit der Elementarisierung sich den RR-Verfassern selbst noch nicht hinlänglich als Problem gestellt zu haben scheint.

Nicht so sehr Indoktrinationstendenz als vielmehr eine schwer verständliche, durch Sorge um ausreichende Motivation nicht immer hinreichend begründete Unterschätzung der Gefahren, die eine Überwältigung durch die Vielzahl der Aspekte und die Masse des für wissenswert Angesehenen mit sich bringen kön-nen, gibt sich in den öfters wiederholten Warnungen vor systematisierenden Sachfeldbearbeitungen („Lehrgängen") zu erkennen (RR 40, 214, 231), die nur mit einer spürbaren Bedenklichkeit zugelassen scheinen. Diese Warnungen werden mitunter eigenartig begründet: „So trägt z. B. ein auf Schaubildform gebrachter Vergleich zwischen . sozialer Marktwirtschaft’ und . sozialistischer Planwirtschaft'kaum zur politischen Bewußtseinsbildung der Schüler bei, da er vielschichtige Zusammenhänge in der Regel auf falsche Klischeevorstellungen reduziert und Vorurteile verfestigt" (RR 189) — wofür eigentlich nicht das Schaubildverfahren, sondern die Schaubildqualität in Anspruch zu nehmen wäre.

Mit solchen Vorurteilen hängt es vielleicht zusammen, wenn die systematische Behandlung der Grundrechte, der rechtsstaatlichen Sicherungen, der staatsbürgerlichen Aktionsräume.der Wirkungsräume der Parteien usw., was ja alles unter „Institutionenkunde" fällt, zurücktritt. Auch könnte man vielleicht die Identifikation mit Institutionen der Bundesrepublik als gegen die „Selbst-und Mitbestimmung" gerichtet auffassen.

Diese Sorge geben die RR-Verfasser auch gelegentlich zu erkennen. So könnte Unterricht — „abstrakte Modellsituationen (Tafelbilder) durchspielen, die eine Kongruenz von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit behaupten" (RR 221). Angesichts der nach Ansicht der RR-Hersteller doch eigentlich miserablen Zustände in der Bundesrepublik Deutschland wäre dies in der Tat, auch in Teilbereichen, unerträglich und unbedingt zu vermeiden. Folgerichtig soll prinzipiell Unterricht dort ansetzen, „wo bestimmte Maßnahmen/Entscheidungen von Trägern öffentlicher Aufgaben Kritik auslösen bzw. wo erforderliche öffentliche Maßnahmen unterbleiben"

(RR 206). Damit rücken dann Durchsetzung partikularer Interessen und „allgemeine Vorstellungen und Ansprüche, die sich mit der Wirkungsweise öffentlicher Institutionen verbinden" (RR 206), sowie „Grundgesetz, Parteiprogramme, Gerichtsentscheidungen" ins Blickfeld, die in den Unterricht einbezogen werden können. Hierbei geht es dann aber überraschenderweise darum: (völlig wertfrei), „einsichtig zu machen, daß in Vorstellungen und Meinungen 'gesellschaftliche Übereinkünfte eingehen" (RR 206).

Die Frage stellt sich, ob durch dieses Verfahren tatsächlich „Selbst-und Mitbestimmung"

sowie „kritische Loyalität" ernsthaft gefördert werden. Steht hier nicht vielmehr emotionale Überwältigung zu befürchten, „moralisehe Un 1 riistunej und Empörung über jvnßstande"? Diese können gewiß „Ausgangspunkt von Lernen“ (RR 206) werden. Dies Lernen wird aber deshalb jene Emotionen schwerlich aufarbeiten können, weil es sich einerseits vor dem vagen und illusionären Horizont unbegrenzter gesellschaftlicher Veränderungsmöglichkeit vollzieht und weil ihm gleichzeitig das Instrumentarium vorenthalten wird, das weiterhelfen könnte, weil es für die reguläre Lösung politisch-gesellschaftlicher Probleme geschaffen wurde. Die Folgen nicht oder nur unzureichend bearbeiteter, mit den vorgesehenen Mitteln vielleicht gar nicht einmal bearbeitbarer Emotionen sind leicht vorhersehbar: Sie heißen Desinteressiertheit oder aber Fixierung an eine sterile Protesthaltung, und damit in jedem Fall Einstimmung auf den Ausnahmezustand.

In den gleichen Zusammenhang der Unterschätzung von überwältigungsgefahren gehört die in den RR zur Schau getragene souveräne Mißachtung der Entwicklungspsychologie, ihre Entlarvung als bürgerliches Vorurteil (RR 43), ihre Beförderung gleichsam auf den „Müllhaufen der Geschichte" (Marx). Die Fähigkeit, „gesellschaftsbezogene Fragestellungen zu erfassen" . . ., sei „in viel geringerem Maße als bisher angenommen an entwicklungspsychologische Determinanten gebunden ... Soziokulturelle Determinanten . . . haben ein Schülerverhalten zur Folge, das scheinbar die Aussagen einer wissenschaftlich unhaltbar gewordenen Entwicklungspsychologie bestätigt" (RR 10). Daraus folgert eine allenfalls nur unwesentliche Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Maßstäbe für die Thematik der einzelnen Altersstufen, wie sie nach dem Stand der psychologischen Forschung schwerlich zu rechtfertigen ist. „Die in den RR vorgetragene Auffassung von Entwicklungspsychologie ist ganz einfach falsch. Gewiß ist die Erfaßbarkeit unterschiedlicher Phänomene durch bestimmte Altersstufen durch Umwelteinflüsse mitbedingt — in der Hinsicht gibt es vermutlich keine wesentlichen Unterschiede zwischen gesellschaftsbezogenen und anderen Phänomenen . . ., aber das bedeutet natürlich nicht, daß die Entwicklung auf der intellektuellen und der Persönlichkeitsebene lediglich das einfache Spiegelbild äußerer Einwirkungen ist, wie es die RR anzunehmen scheinen. Zwar ist die Psychologie weithin davon abgekommen, in festen, an bestimmte Lebensalter gebundenen Entwicklungsstufen zu denken, auch hat man die begründete Überzeugung, daß das Eintreten bestimmter Erscheinungen, zunächst im intellektuellen Bereich, durch gezielte Einwir-B kung sich irüher realisieren läßt, als es bisher (spontan?) geschah. Aber das bedeutet nicht, daß es keine feste Entwicklungsreihe von noch unterentwickelten bis zu voll entwickelten Funktionen und Fähigkeiten gäbe. Demgemäß gibt es auch in den einzelnen Altersstufen — wenn auch mit relativ breiter Streuung — bestimmte strukturelle Voraussetzungen für Verständnis, Interessen, Verhaltensmöglichkeiten .. (K. D. Hartmann, unveröffentlicht).

Es entspricht kaum wissenschaftlich-kritischem Verhalten und wirkt jedenfalls nicht sehr seriös, wenn die RR die sich differenzierenden Fragestellungen der Entwicklungspsychologie, wie sie u. a. bei Piaget, aber auch in der sowjetrussischen Forschung, z. B. bei Lurija/Judowitsch (1972) sichtbar werden, unberücksichtigt lassen, während sie gleichzeitig das hochspekulative, empirisch keineswegs gesicherte Theorien der ausschließlich gesellschaftlichen Bedingtheit von Verhalten der politisch-pädagogischen Arbeit zugrunde legen wollen. In der Neigung zur Pauschalisierung wird eine Art von Sektierertum und soziologisch fixierter Betriebsblindheit sichtbar, deren Auftreten im Bildungsbereich deshalb so beunruhigt, weil gerade hier ein hohes Maß von Differenzierungsfähigkeit verlangt wird: „Bildüng und Differenziertheit sind eigentlich dasselbe“ (Adorno, 1962, 181). Adorno beklagte gleichzeitig, „daß Halbbildung, aller Aufklärung zum Trotz und mit ihrer Hilfe, zur herrschenden Form des gegenwärtigen Bewußtseins wird" (a. a. O., 168) — woran sich ein Richtlinienwerk eigentlich nicht beteiligen sollte.

Obwohl es nach Bruner grundsätzlich möglich scheint, jede wissenschaftliche Erkenntnis jeder Altersstufe auf eine ihr gemäße Art zu vermitteln, fühlen sich die RR dank ihrer pauschalen Negation der Entwicklungspsychologie weitgehend davon entbunden, dieser Aufgabe ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. So tritt neben die emotionale auf weiten Strecken eine intellektuelle Überwältigung, die sich vor allem in den Lernzielen und Lerninhalten für die 10-bis 11jährigen der 5. /6. Jahrgangsstufe deutlich abzeichnet. Für sie dürfte es ohne elementarisierende Hilfen nicht ganz einfach sein,, „die Begriffe Rolle, Vorurteil, Verhalten, Erziehungsstil, Erziehungsnorm, Rollenverteilung, Arbeitsteilung, Produktionsform, Minderheiten, Selbsteinschätzung, Fremdeinschätzung, Leitbild, Rollenkonflikt, Rollenerwartung auf konkrete Beispiele beziehen und anwenden zu können" (RR 74).

Schlußfolgerungen

Insgesamt muß die Antwort auf die Frage nach dem für die RR vorauszusetzenden „didaktischen Strukturgitter" unbefriedigend ausfallen. Das zu vermittelnde politisch-gesellschaftliche Bezugssystem erwies sich als einseitig, lückenhaft, wenig differenziert und weithin inkonsistent. Nicht viel anders steht es mit den Verhaltenszielen, die offenbar in einem empirisch-pragmatischen Verfahren ohne Systematisierungsansatz mehr oder weniger zufällig gewonnen wurden und untereinander nicht in einen sichtbar gewordenen Bezug gesetzt zu sein scheinen. Die Orientierung der Verhaltensziele am Selbst-und Mitbestimmungspostulat wird zudem erheblich durch die überdimensionale Bedeutung beeinträchtigt, die der integralen, dem politisch-pädagogischen Bezugsrahmen nicht hinlänglich angepaßten Rezeption des soziologischen Rollenbegriffs beigemessen wurde. Auch spielt die wichtige Ambivalenzdimension von Verhaltenszielen in den RR keine wahrnehmbare Rolle — vielleicht, weil sie als Problem (und als zu berück-sichtigende Aufgabe) nicht hinreichend gewertet wurde.

Auch dies mag als Ursache mit dazu beigetragen haben, daß das Selbst-und Mitbestimmungspostulat im „Anwendungsbereich" der Qualifikationen, der Lernziel-und Lernwegesetzung, sich nicht in dem Maße durchgreifend als wirksam erwies, das man eigentlich nach der programmatischen Orientierung der RR an ihrem selbstgesetzten „obersten Lernziel" hätte eigentlich erwarten sollen.

Die Lernziele sind zwar weithin konfliktbezogen, aber ihre Intention auf Begründung reflektierten gesellschaftlichen Handelns kann nur eingeschränkt zur Geltung kommen, vor allem, weil die Dimension der Folgewirkungen politischen Handelns gegenüber der seiner Verursachung nicht immer hinlänglich berücksichtigt zu sein scheint. Überprüfbarkeit im Sinne Robinsohns: durch Methoden, durch die die zur Bewältigung von Situationen notwendigen „Qualifikationen und welche die Qualif izierung bewirkt werden soll, in optimaler Objektivierung identifiziert werden können" (Robinsohn 1967, 45), ist für die Lernziele der RR gewiß nur sehr eingeschränkt zu realisieren. Es ist kaum möglich, in objektivierenden Verfahren festzustellen, ob Lernziele wie LZ „Sozialisation" 15: „lernen, über welche Mechanismen im Sozialisationsprozeß gewährleistet wird, daß die Erfahrung gesellschaftlicher Zwänge kompensiert und umgeleitet werden kann (Projektion unterdrückter Bedürfnisse auf Minderheiten und Fremdgruppen; Identifikation mit Volk, Nation, Führer-figur) (RR 52);"

LZ „Wirtschaft" 20: „lernen, die Kapazität von Produktionsanlagen zu der Konsumkraft der Bevölkerung in Beziehung zu setzen" (RR 138); LZ „öffentliche Aufgaben" 22: „lernen, das demokratische Selbstverständnis einer Gesellschaft auch danach zu beurteilen, welche Beziehung sie zu den Kräften hat, die sich für die Demokratisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse eingesetzt haben" (201);

LZ „Intergesellschaftliche Konflikte" 16: „lernen, daß die Probleme der Entwicklungsländer nicht naturbedingt, sondern Ergebnis der historisch-politischen Entwicklung sind" (255) erreicht worden sind oder nicht; in dieser Hinsicht ist der Unterschied zu den allgemeiner gefaßten Programmbeschreibungen früherer Bildungspläne nicht allzugroß. Die Programm-beschreibungen der RR selbst sind unstrittig weitaus präziser als jene: bestimmte (präzise) Fragestellungen, recht häufig aber auch bestimmte (präzise) Antworten sollen vermittelt werden. In Anbetracht der weithin kontroversen Gegenstände der „Gesellschaftslehre" in einer pluralistischen Gesellschaft einerseits, der ungelösten Probleme andererseits, die das Postulat der (objektiven) Überprüfbarkeit von Lernzielen in den hermeneutischen Disziplinen aufwirft, erscheint die Zusage „überprüfbarer Einzellernziele" durch die RR (RR 9) ein wenig hochgegriffen. Eine gewisse Rigidität und in den Lernzielen gelegentlich zu beobachtende Einseitigkeit der RR wird jedenfalls durch das Postulat der Überprüfbarkeit nicht gedeckt.

Auch von Anlage und Struktur der RR her sind die Aussichten für ihre Umsetzung im Unterricht eher als problematisch zu beurteilen. Die „unterrichtspraktischen Hinweise" sind unterschiedlich ausbaufähig.

Es ist an der Zeit, nach allen kritischen Einwendungen auch die Vorzüge der RR ins wenige und unbestreitbare.

Die RR haben mit dem Konfliktansatz ernst gemacht und derart seine Möglichkeiten, innerhalb des gezogenen Rahmens allerdings auch seine Grenzen, gewiesen. Sie wollen vom Schüler ausgehen, von seinen gesellschaftlichen Erfahrungen, seiner „Betroffenheit", und sie wollen ihn zum politischen Handeln hinführen; Lernziele und Qualifikationen sind auf sein Verhalten bezogen, den sie in der Schule zu „bewußtem Lernen", zur reflektierten Mitwirkung an den mit ihm und für ihn veranstalteten Lernprozessen befähigen wollen.

Sie sind den Folgerungen, die sich für die gegenwärtige und die künftige Schule unter dem Aspekt des gesellschaftlich-politischen Erfahrungsfeldes stellen, keineswegs ausgewichen; sie haben es damit sich und dem Lehrer aber auch nicht leicht gemacht. Sie haben zahlreiche methodische Möglichkeiten gewiesen: z. B. Projektarbeit, Fallanalysen, Simulation. Unter dem Stichwort Sozialisation haben sie den soziologischen Rollenbegriff als heuristisches Instrument für den Aufwachsenden zur Analyse der eigenen und der gesellschaftlichen Situation pädagogisch eingebracht. Erste gruppendynamische Ansätze wurden berücksichtigt. In den Materialhinweisen des unterrichts-praktischen Teils findet sich, vielfach noch ungeordnet, einseitig und in sich unvollständig, eine Fülle von Anregungen zur Konkretisierung, Aktualisierung, „Verwesentlichung" des Unterrichts — hier steht der „embarras de richesse" der Nutzung allerdings oft im Wege.

Jedoch: Alle diese gewichtigen Vorzüge — und es gibt deren mehr — können unter dem Aspekt eines amtlichen Richlinienwerks, das Verbindlichkeit fordern kann und muß, nicht hinreichend zur Geltung kommen; auf lange Sicht werden sie dadurch vermutlich sogar um ihre Auswirkung gebracht. Dies könnte möglicherweise vermieden werden, gäben sich die RR offen als das zu erkennen, was sie in Wirklichkeit sind: der profilierte und in seiner Art imponierende Beitrag einer Gruppe entschiedener Schul-(und Gesellschafts) reformer Als Arbeit einer solchen Gruppe wäre nicht nur verständlich, sondern als zur Diskussion gestellte „normative Option" im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung durchaus legitim, was für ein öffentlich zu verantwortendes Werk amtlicher Bildungspolitik kaum zu vertreten ist: die mit einer eigenwilligen Grundgesetzinterpretation Hand in Hand gehende Horizont-und Perspektivenverengung, die sich für den Beitrag der Geschichte besonders im unterrichtspraktischen Teil nachweisen läßt (Muhlack, 1973, 490 ff.), die Einschränkungen der emanzipatorischen Zielsetzung, sogar die unzulängliche Berücksichtigung der grundgesetzlichen Indoktrinations-und Überwältigungsschranken. Diese Unstimmigkeiten stehen allerdings zugleich auch in flagrantem Gegensatz zum selbstgesetzten Anspruch der RR auf curriculare Verbindlichkeit, der nach unserem Eindruck zudem weder durch Instanzen noch durch Verfahren noch durch Verfahrenssorgfalt erhärtet werden kann.

Mit einer derartigen, von den RR-Entwicklern zu vollbringenden Richtigstellung würde auch die recht problematische Frage der politischen Ortung der RR an Gewicht verlieren. Positionen der großen politischen Parteien — diese tauchen in ihnen als „Gegenstand von Lernen" ohnedies nur sehr am Rande auf — lassen sich kaum identifizieren. Dagegen findet man deutliche Anklänge an die Protestbewegung der endenden sechziger Jahre und mancherlei „gesunkenes Kulturgut" aus der Soziologie, auch der „Frankfurter Schule".

Von orthodoxem Marxismus kann nicht gut die Rede sein, dafür sind die kritischen Hinweise auf den sowjetrussischen Einmarsch in die ÖSSR zu deutlich (RR 98, 295). Andererseits bedient sich die Analyse mit großer Selbstverständlichkeit des marxistischen Begriffsinstrumentariums, seltener der Termino-logie. Das geschieht in bestimmten Problembereichen (Imperialismustheorie) und für bestimmte Aspekte mit einer prononcierten Ausschließlichkeit. So trifft man allerwärts auf den „Klassen /Schichten/Gruppen" -Gesichtspunkt (RR 52, 135, 196, 250 — u. a.); auch gewinnen Lernziele im Laufe der Wiederholung mitunter an klassenkämpferischer Zuspitzung. So wird aus Lernziel 1 im Lernfeld „Intergesellschaftliehe Konflikte": „lernen, außenpolitische Entscheidungsprozesse und zwischenstaatliche Konflikte auf die ihnen zugrunde liegenden wirtschaftlichen und politischen Interessen zu befragen" (RR 250), unversehens einige Seiten danach: „lernen, intergesellschaftliche Konflikte als Ergebnis gesellschaftspolitischer und/oder wirtschaftlicher Interessengegensätze zu erkennen“ (RR 262) — was ja nicht ganz dasselbe ist und den Verdacht auf Indoktrinierungstendenz nicht gerade entkräftet.

Im ganzen aber halten sich die RR sowohl, was Entschiedenheit kritischer Stellungnahme wie Unbestimmtheit konkreter politischer Zielprojektion angeht, im allgemeinen Rahmen gängiger Gesellschaftskritik, der aber jedenfalls nicht hinterfragt oder durch Einbringung ergänzender Perspektiven differenziert wird, was man im Kontext von RR zur „Gesellschaftslehre" eigentlich erwarten sollte.

Die ausgewogenere radikaldemokratische Position der programmatischen Einleitung wird an manchen Stellen des späteren unterrichts-praktischen Teils, nicht zuletzt durch einseitige oder wenig kritische Literaturauswahl, schon ziemlich radikalisiert und simplifiziert. Im ganzen sind die RR aber doch wohl noch irgendwo innerhalb des gegenwärtig allerdings recht diffusen linken Grenzbereichs bzw. Umfeldes der SPD zu orten; dabei ist ein Einschlag von Sektierertum unverkennbar. Manchen mag es Unbehagen bereiten, diese Region als Basis und Regulativ der Bildungspolitik eines Bundeslandes betrachten zu sollen.

Wenn trotz aller Vorarbeiten, so denen der Klafki-Kommission, und trotz aller Bemühungen der Schulverwaltung im Rahmen herkömmlicher Lernzielsetzung nur ein derart problematisches Ergebnis bewirkt werden konnte, das zudem durch seinen curricularen Anspruch u. U.den bisherigen Kredit curricularer Arbeit beeinträchtigt, dann ist ernsthaft zu erwägen, ob es noch rationell ist, diese Aufgaben weiterhin dem Alleingang einzelner Bundesländer zu überlassen. Mindestens könnten gründliche curnculare Vorarbeiten von kompetenten Ad-hoc-Institutionen, wie in Nordrhein-Westfalen eines errichtet wurde, überregional xvährgenommen werden; ihre Efgebnisse würden mit hoher Wahrscheinlichkeit der Kritik standhalten. Dies Verfahren würde auch nicht ausschließen, daß auf der Grundlage solcher Vorarbeiten die definitiven Entscheidungen der Länder zur konkreten Lernziel-und Lernwegesetzung danach gleichwohl kulturautonom getroffen werden. 2ur angeme'ssehen Einschätzung d es bisher! -gen Ergebnisses der hessischen Bemühungen um ein Curriculum der „Gesellschaftslehre" mag eine Bemerkung von Lessing (in einem Brief an seinen Bruder Karl) verhelfen: „Denn nicht der Irrtum, sondern der sektiererische Irrtum, ja sogar die sektiererische Wahrheit machen das Unglück der Menschen ..."

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Das pädagogisch progressive Moment der RR wird besonders in den bei Köhler/Reuter (1973) — vgl. Lit. Verz. — gesammelten Referaten der Frankfurter Expertentagung der GEW vom 14. 5. 73 sichtbar. Die politisch kritischen Stimmen findet man dagegen fortlaufend in der FAZ; vor allem: Hermann Lübbe, Die Schule — Institut fortlaufender Dekultivierung, 4. 5. 73; kv.: Im Korsett marxistischen Klassenkampfdenkens (6. 6. 73) usw., aber z. B. auch in der SZ-Dokumentation: Gutachter kritisieren die hessischen Richtlinien, Süddeutsche Zeitung, 21. /22. 7. 1973.

  2. Vgl. hierzu Günter C. Behrmann, Soziales System und politische Sozialisation. Eine Kritik der politischen Pädagogik, Stuttgart 1972. Behrmann sieht in der von der Frankfurter Schule aufgenommenen rousseauistischen Zielvorstellung von Politik als „gemeinschaftlicher Vergesellschaftung" den eigentlichen Gefahrenpunkt demokratischer politischer Bildung — und Politik (Behrmann, 177).

  3. Die Interpretation von „Öffentlichkeit" im Sinne eines notwendigen Rückkoppelungselements für den Regelkreis sozialer Systeme (und Subsysteme) ist Karl Deutsch zu verdanken. (Karl Deutsch, Politische Kybernetik, Freiburg i. B., 1969). Man kann es als symptomatisch für den defizienten Zustand der „öffentlichen Kommunikation" im Bereich der Gesellschaftswissenschaften bewerten, daß der kybernetische Ansatz in den Arbeiten von Habermas, soweit ersichtlich, bisher noch keine Berücksichtigung erfahren hat, obwohl er Bestätigungen für manche seiner kommunikationstheoretischen Überlegungen enthält.

  4. -Anders dagegen Wolfgang Abendroth: „Jedoch war allen an diesem Kompromiß beteiligten Gruppen klar, daß wesentliche politische und soziale Kräfte, die an ihm mitgewirkt haben, den Über-gang zu einem sozialen Wohlfahrtsstaat wünschten, der mit dem Gedanken der Demokratisierung der Gesellschaft und der Kontrolle der jeweils am Produktionsprozeß Beteiligten über solche Produktionsgüter, mit denen gesellschaftlich produziert

  5. Zur „Politisierung" der pol. Bildung siehe vor allem Wallraven/Eckert und z. T. Schmiederer (vgl. Lit. verz.)

  6. Dieses Urteil bezieht sich ausdrücklich nur auf die vom NRW-Kultusminister vorgelegten Richtlinien (vgl. Lit. verz.), nicht dagegen auf die NRW-Rahmenlehrpläne für die Gesamtschulen, die ohne Verbindung zur Blankertzgruppe entstanden zu sein scheinen, jedoch nicht unabhängig von den hessischen RR geblieben sind (vgl. K. Reumann, Girgensohn stellt v. Friedeburg in den Schatten, FAZ, 18. 8. 73, und Hans Müller, Die nordrhein-westfälischen Rahmenlehrpläne, FAZ 17. 9. 73)

  7. Geringschätzung des Lesers spricht neben der Sorglosigkeit der Textpräsentation, auch aus der Vielzahl stehengebliebener Ungenauigkeiten und Fehler.

  8. Die Chancen für eine friedliche Lösung des Streits um die RR stehen jedoch nicht zum besten. Eine Verhärtung der Positionen kündigt sich an, wenn neuerdings angesichts der kritisierten (und kritisierbaren) Legitimationsbasis der RR von ihren Verteidigern die unbestreitbar formal korrekte Legalität ihres Zustandekommens ins Feld geführt wird. So resümieren z. B. Haller/Wolf (1973, 433) die an den RR lautgewordene Kritik wie folgt: „Der

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Friedrich Minssen, Dr. phil., geboren 190DTh Danzig, Studium (Romanistik, Deutsch, Geschichte) in Bonn, Wien, Paris und Heidelberg, 1937 Entfernung aus dem Danziger Schuldienst aus politischen Gründen, Verlagstätigkeit, Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft; seit. 1949 im hessischen Schuldienst; Gründer und Mitherausgeber von „Gesellschaft, Staat, Erziehung", seit 1973 im Herausgeberkollegium der Zeitschrift „Gegenwartskunde — Gesellschaft, Staat, Erziehung",