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Aktivitäten des BDI in den neuen Bundesländern | APuZ 13/1991 | bpb.de

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APuZ 13/1991 Die soziale Einheit gestalten Über die Schwierigkeiten des Aufbaus gesamtdeutscher Gewerkschaften Aktivitäten des BDI in den neuen Bundesländern Mitbestimmung in Europa in den neunziger Jahren. Bestandsaufnahme, Konzepte und Perspektiven Die neuen Gewerkschaftsbewegungen in Mittel-und Osteuropa und ihre Auswirkungen auf die internationale Gewerkschaftsbewegung

Aktivitäten des BDI in den neuen Bundesländern

Jürgen Bauer

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Vereinigung Deutschlands sowie der politische und wirtschaftliche Umbruch in Mittel-und Osteuropa stellen große Anforderungen an Wirtschaft und Gesellschaft. Es gilt zum einen, der über Jahrzehnte systematisch entmündigten Gesellschaft in der ehemaligen DDR den Weg in einen lebendigen Pluralismus zu weisen. Zum anderen muß der bisher beispiellose Übergang von einer sozialistischen Planwirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft organisiert werden. Der BDI hat bereits sehr frühzeitig auf die deutsch-deutschen Entwicklungen reagiert; zahlreiche organisatorische Veränderungen belegen dies. Die Einrichtung eines BDI-Büros in Berlin und die Schaffung eines Industriekreises „Neue Bundesländer“ sind Beispiele hierfür. Insgesamt hat sich in den neuen Bundesländern eine Verbandslandschaft ähnlich der in der alten Bundesrepublik ergeben. Für die Industrie ist die Dreigliederung in die Industrie-und Handelskammern, die Arbeitgeberverbände und die Wirtschaftsverbände relevant. Die Mitgliedsverbände des BDI haben inzwischen ihre Tätigkeit auf das Beitrittsgebiet ausgedehnt. In Sachsen ist eine erste Landesvertretung des BDI etabliert worden. Im Bereich der Wirtschaftspolitik ist die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft in den neuen Bundesländern vorrangig, um den ökonomischen Aufholprozeß zu beschleunigen. In der Praxis zeigen sich allerdings zahlreiche Hemmnisse. Der Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur ist sehr zeitaufwendig, der Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltung kommt nur zögernd voran, und viele ungeklärte Eigentumsfragen behindern Existenzgründungen und Gewerbeansiedlungen. Der BDI hat zahlreiche Vorschläge erarbeitet, um diesen Problemen zu begegnen. Besonderer Stellenwert kommt der Arbeit der Treuhandanstalt zu. Der BDI begleitet sehr intensiv diese bisher ebenfalls beispiellose Aufgabe. Dabei gilt es, den Prozeß der Privatisierung und Reprivatisierung des bisher volkseigenen Vermögens möglichst schnell zu bewältigen. Umfangreiche privatwirtschaftliche Investitionen werden schließlich zu einer spürbaren Angleichung der Lebensbedingungen in den Bundesländern des geeinten Deutschlands führen.

Die Vereinigung Deutschlands sowie der politische und wirtschaftliche Umbruch in Mittel-und Osteuropa stellen große Anforderungen an Wirtschaft und Gesellschaft. Hohe Erwartungen richten sich nicht nur an Politiker, sondern an alle gesellschaftlichen Gruppierungen. Es gilt zum einen, der von einer egoistischen Funktionärsgruppe über Jahrzehnte systematisch gleichgeschalteten und entmündigten Gesellschaft den Weg in einen lebendigen Pluralismus zu weisen. Zum anderen muß der beispiellose Übergang von einer sozialistischen Planwirtschaft in eine Soziale Marktwirtschaft organisiert werden.

Die neu gewonnene Freiheit stellt hohe Ansprüche an jeden einzelnen: Selbstorganisation in Eigenverantwortung ist gefordert. Interessenunterschiede werden manifest und Konfliktlösungsmechanismen müssen eingeübt werden. Dieser gesellschaftliche Umbruch stellt gerade an die Verbandsarbeit große Ansprüche. Die Vermittlung des Selbstverständnisses der Verbände und die Verankerung der Verbandsarbeit in Gesellschaft und Politik bilden deshalb einen Schwerpunkt auch der Arbeit des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

In einem Management-Seminar für Verbandsgeschäftsführer aus den neuen Bundesländern, das der BDI zusammen mit seinen Mitgliedsverbänden Ende vergangenen Jahres durchführte, stand daher

I. Aufbau von Verbandsstrukturen in den neuen Bundesländern

Der BDI hat bereits sehr frühzeitig auf die deutsch-deutschen Entwicklungen reagiert. Schon zu Beginn des Jahres 1990 wurde eine eigenständige Abteilung „Deutsch-deutsche Wirtschaftspolitik“ geschaffen. Sie befaßte sich insbesondere mit der Koordinierung der industriepolitischen Meinungsbildung mit Bezug auf die sich ständig beschleunigenden Veränderungen in der damaligen DDR. Dies geschah in engster Abstimmung mit den Mitglieds-verbänden des BDI und den anderen Spitzenorganisationen der Wirtschaft. Darüber hinaus befaßte sich die Abteilung mit Fragen des deutsch-deutschen Handels und der Unternehmenskooperationen in den zu jener Zeit noch getrennten Teilen Deutschlands. Schließlich mußte Verbindung gehalten werden zu den politischen Entscheidungsträgern.

Diese Abteilung entwickelte sich recht schnell zu einer Schaltstelle für die vielfältigsten Fragen der die Vermittlung von Kenntnissen über Zielsetzungen, Aufgaben, Struktur und Organisation von Wirtschaftsverbänden auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene im Mittelpunkt, Zugleich wurden Einblicke in praktische Verbandsarbeit gewährt. BDI-Hauptgeschäftsführer von Wartenberg charakterisierte anläßlich der Seminareröffnung die Verbände als institutionalisierte Interessenunterschiede. Die Funktionsweise der Verbände in einer pluralistischen Demokratie sei eine politisch intelligente und gesellschaftlich verträgliche Form des Umgangs mit Konflikten und gleiche dem, was man andernorts mit Konfliktmanagement bezeichne. Nicht die Lösung allein sei Ausdruck der Demokratie, sondern auch die Art und Weise, wie sie gefunden werde.

Die Vertretung von Einzel-und Gruppeninteressen und das Gemeinwohl schließen einander nicht aus. Nur darf man nicht dem Irrtum erliegen, das Gemeinwohl ließe sich vorherbestimmen und man könne dann alles Handeln daran orientieren. Wohin eine solche Haltung führt, haben vierzig Jahre real existierender Sozialismus in der ehemaligen DDR gezeigt. Das, was das Gemeinwohl inhaltlich ausmacht, kann sich nur aus dem friedlichen Wettstreit der Argumente der gesellschaftlichen Gruppen ergeben. Dies immer wieder zu verdeutlichen, ist Daueraufgabe von Verbandsführungen in der pluralistischen Demokratie. wirtschaftlichen Entwicklung in der Noch-DDR. Die Anfang 1990 diskutierten gesetzgeberischen Reformmaßnahmen dokumentieren die Suche nach adäquaten marktwirtschaftlichen Regelungsmechanismen. Beispiel ist die Ende Januar 1990 erlassene und bald wieder aufgehobene Joint-Venture-Verordnung, deren restriktive Ausgestaltung auf die ausgeprägte Kooperationsbereitschaft der westdeutschen Industrie eine deutliche Bremswirkung ausübte.

Intensiv begleitet wurden durch den BDI auch die Vorarbeiten zum Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion, der am 18. Mai 1990 unterzeichnet und Ende Juni von den Parlamenten in Bonn und Ost-Berlin verabschiedet wurde. Damit fanden auch zeitweilige Bestrebungen ein Ende, die darauf gerichtet waren, plan-und marktwirtschaftliche Elemente miteinander zu verbinden. Schon bald stellte sich heraus, daß vor allem die sehr umfangreiche Gesetzgebungsarbeit der Volkskammer ständige Präsenz „vor Ort“ in Berlin erforderte. Zudem nahmen Anfragen nach Informationsmaterial über die Wirtschafts-und Sozialverfassung in der (alten) Bundesrepublik zu. Viele Bürger der damaligen DDR suchten nach persönlicher Beratung. Gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Zentralvereinigung der Berliner Arbeitgeberverbände schuf der BDI deshalb im Februar 1990 eine „Verbindungsstelle DDR“ in West-Berlin. In enger Zusammenarbeit mit der Industrie-und Handelskammer zu Berlin, dem Senat und den Bundesministerien einerseits sowie den Wirtschaftsverbänden andererseits wurde die Flut von Anfragen kanalisiert. Begleitet wurde die Tätigkeit der BDI-Abteilung „Deutsch-deutsche Wirtschaftspolitik“ und des Außenbüros in West-Berlin durch einen „Arbeitskreis DDR“. Er bot Vertretern der BDI-Mitgliedsverbände sowie interessierten Gästen ein Forum, um mögliche Reaktionen der Industrie auf die deutsch-deutsche Annäherung sowie Konsequenzen daraus zu erörtern.

Viel schneller, als von den meisten erwartet, schritt die Vereinigung Deutschlands voran. Dabei war eine verstärkte Flexibilität der Organisation gefordert. Für den BDI wurde der „Arbeitskreis DDR“ in seiner ursprünglichen Form nicht nur dem Namen nach, sondern auch inhaltlich bald obsolet. Auch die „Verbindungsstelle DDR“ in West-Berlin verlor ihre Basis: Die Zentralvereinigung der Berliner Arbeitgeberverbände dehnte ihr Wirkungsfeld auf das Land Brandenburg aus, erste Verbandsstrukturen in den neuen Bundesländern wurden geschaffen und die vorübergehend unverzichtbare „Feuerwehr-Funktion“ des Büros mündete in die übliche arbeitsteilige Verbandsarbeit.

Schließlich wurde für den BDI die auch gegenwärtig noch gültige Organisation geschaffen. Mit der Einrichtung eines BDI-Büros Berlin wurde dem anfänglichen Provisorium im August 1990 ein fester Rahmen gegeben. Zugleich wurde der „Arbeitskreis DDR“ in einen BDI-Industriekreis „Neue Bundesländer“ überführt. Er ist gedacht als Forum für die Diskussion industrierelevanter Fragestellungen, die insbesondere Bezug zur spezifischen Entwicklung in Berlin und den neuen Bundesländern haben. Er dient damit als Plattform für die großen Informations-, Kommunikations-und Kontaktbedürfnisse. Im Industriekreis wirken Vertreter aus Industrie, Politik und Verwaltung gleichermaßen mit. Sie kommen aus den alten wie aus den neuen Bundesländern, so daß der Kreis als eine Art Relaisstation zwischen Ost und West wirken kann.

II. Vielfältige Verbandslandschaft in den neuen Bundesländern

Die Probleme bei den Aufbauarbeiten in der Industrie und der Wirtschaft in der ehemaligen DDR sind gewaltig. An vielen Stellen — insbesondere in der Verwaltung — offenbaren sich immer noch schier unlösbare Aufgaben. Die Verbände können dabei sehr hilfreich sein, und sie nehmen diese Aufgaben offensiv wahr. Gefragt ist die Scharnierfunktion der Verbände: Sie ermöglichen einerseits die Verbreitung von Informationen in ihre Mitgliedschaft hinein und fördern so die Effizienz der Verwaltung; sie bündeln andererseits Fachwissen und Meinungen aus ihrer Mitgliedschaft und tragen damit zu sachgerechten und wirkungsvollen politischen Entscheidungen bei. Beides ist in der Aufbauphase der neuen Bundesländer von herausragender Bedeutung.

In Kenntnis dieser Anforderungen begann bereits Anfang 1990 der Aufbau von Interessenvertretungen der Industrie in der damaligen DDR. Einige Zeit wurde erörtert, ob eine Übertragung der in der (alten) Bundesrepublik gewachsenen Verbands-landschaft adäquat sei. Aus dem Zwang zum Handeln entstand auch in den neuen Bundesländern ein Verbund der Verbände mit den drei Säulen der Industrie-und Handelskammern, den Arbeitgeberverbänden und den Wirtschaftsverbänden. Der Aufbau der Industrie-und Handelskammern als öffentlich-rechtliche Körperschaften mit gesetzlicher Pflichtmitgliedschaft für die Unternehmen ist inzwischen weitgehend abgeschlossen. Sie sind unter dem Dach des Deutschen Industrie-und Handelstages (DIHT) organisiert. Seit Mitte 1990 arbeitet zudem eine Verbindungsstelle in Ost-Berlin, die als Bindeglied zwischen dem DIHT und den Industrie-und Handelskammern in der ehemaligen DDR wirkt. Auch die Arbeitgeberverbände wurden im Zuge der deutschen Einheit vor grundlegend neue Aufgaben gestellt. Sie nehmen die vielfältigen sozial-, arbeitsmarkt-und tarifpolitischen Interessen der unternehmerischen Wirtschaft wahr.

Die Schaffung der Sozialunion forderte schon sehr frühzeitig im Zuge des deutschen Einigungsprozesses Weichenstellungen für eine tragfähige und zukunftweisende soziale Sicherungsstruktur auf gesamtdeutschem Boden. Darüber hinaus mußten mit Vorrang die mit dem Staatsvertrag eröffnete Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie mit Leben erfüllt werden. Die schon 1990 notwendigen Tarifverhandlungen stellten die Bundesvereinigung allerdings auch organisations-und verbandspolitisch vor neue Aufgaben: In relativ kurzer Zeit mußten handlungsfähige Strukturen geschaffen werden. Bis Ende 1990 sind daher flächendeckend Arbeitgeber-13 verbände aufgebaut und in allen neuen Bundesländern überfachliche Landesvereinigungen gegründet worden. Wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in ihrem Jahresbericht 1990 ausführt, konnten mit Hilfe dieser Verbandsstruktur auch die bisherigen Qualifizierungs-und Bildungsinitiativen plaziert sowie der Aufbau von Bildungswerken in der ehemaligen DDR vorangetrieben werden. Auf der Jahrestagung im Dezember 1990 wurden schließlich die neuen Landesverbände als Vollmitglieder in den Kreis der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände aufgenommen. Daneben suchten frühzeitig die sehr unterschiedlich strukturierten Industrieunternehmen sowie die wachsende Zahl der Selbständigen nach einer eigenständigen Interessenvertretung. So wurde der Unternehmerverband der DDR gegründet, dessen Rechtsnachfolge inzwischen Regionalverbände des Unternehmerverbandes in den neuen Bundesländern angetreten haben. Dieser Verband, dessen Mitglieder sich vor allem in Sachsen konzentrieren, versteht sich als wirtschaftspolitischer Verband. Er vereinigt Betriebe der mittelständischen Industrie, des Handwerks, des Gewerbes sowie freiberuflich Tätige. Der Unternehmerverband sieht eine wichtige Aufgabe seines Wirkens darin, die spezifischen Belange der neuen Bundesländer gegenüber Politik, Verwaltung und der Öffentlichkeit zu vertreten. Aus diesem Grunde soll das selbständige Wirken im regionalen Bereich der neuen Bundesländer gewahrt bleiben.

Außerdem gründete sich alsbald nach dem Fall der Mauer das Unternehmensforum, in dem sich vor Industriebetriebe aus dem Kreis allem größere der zentralgeleiteten Kombinate zusammenfanden. Im Zuge der Übernahme dieser Betriebe in den Bereich der Treuhandanstalt und der Umstrukturierung der ehemaligen Kombinate in Kapitalgesellschaften veränderte sich die Geschäftsgrundlage dieses Verbandes erheblich. Bereits im August 1990 wurde deshalb die Auflösung dieser Interessenvertretung bekanntgegeben. Gegenwärtig wird dieser Beschluß vollzogen.

Schließlich hat eine Vielzahl von Verbänden und parteinahen Interessengruppierungen ihre Aktivitäten auf das Beitrittsgebiet ausgedehnt. Zu nennen ist insbesondere der Bund der Selbständigen, der über eine ausgedehnte Organisation in den neuen Bundesländern verfügt. Insgesamt ergibt sich eine Verbandslandschaft, die der in den alten Bundesländern weitgehend entspricht.

Entsprechend den Grundregeln einer freien, pluralistischen Gesellschaft vollzieht sich die Verbands-organisation von unten nach oben auf der Basis von Freiwilligkeit. Dies gilt selbstverständlich auch für den Spitzenverband der deutschen Industrie. Der BDI vereinigt unter seinem Dach 34 industrielle Wirtschaftsverbände und Verbandsgruppen in Deutschland. Bisher repräsentierten diese Mitgliedsverbände des BDI rund 80 000 private Industrieunternehmen mit über zehn Millionen Beschäftigten. Nach der Vereinigung der beiden Teile Deutschlands haben die BDI-Mitgliedsverbände ihre Tätigkeit auch auf das Beitrittsgebiet ausgedehnt. Sie haben jeweils ihrer Branche zugehörende Unternehmen als Mitglieder — teilweise bereits vor der staatlichen Vereinigung als Gastmitglieder — aufgenommen. Zumeist haben die Branchenverbände ihre Organisationsstruktur auch auf die neuen Bundesländer übertragen. Dies heißt, daß einige Verbände zusätzliche Landesverbände geschaffen haben; andere haben lediglich das Einzugsgebiet ihrer Fachverbände erweitert. Aber auch viele Zwischenformen wurden realisiert. Insgesamt verbreiterte sich die Unternehmensbasis der Industrieverbände unter dem Dach des BDI und seiner Mitgliedsverbände erheblich.

Die Satzung des BDI sieht die Möglichkeit vor, in den einzelnen Bundesländern Landesvertretungen zu schaffen. Ein repräsentativer Industrieverband oder eine Vereinigung von Industrieverbänden kann vom BDI mit der Wahrnehmung seiner Interessen vor allem gegenüber derjeweiligen Landesregierung betraut werden. Eine solche BDI-Landesvertretung ist inzwischen dem Landesverband der Sächsischen Industrie (LSI) übertragen worden. Für die anderen neuen Bundesländer werden zu gegebener Zeit entsprechende Entscheidungen getroffen werden. Für Gesamt-Berlin liegt die BDI-Landesvertretung bei der Industrie-und Handelskammer; diese Verknüpfung erfolgte seinerzeit vor dem Hintergrund der besonderen Situation der geteilten Stadt und war Ausdruck der Verbundenheit der Wirtschaft.

III. Aufbau des Mittelstandes

Die inhaltliche Arbeit des BDI ist an den Interessen seiner Mitglieder orientiert. Entgegen weitverbreiteter Vorurteile gehören die über die Mitgliedsverbände organisierten Industrieunternehmen überwiegend zum Mittelstand. Faßt man darunter Betriebe mit bis zu 1 000 Beschäftigten zusammen, so gehören (in den alten Bundesländern) 98 Prozent der Industrieunternehmen zum Mittelstand. Auf sie entfallen fast 60 Prozent des Umsatzes und über 60 Prozent der Industriebeschäftigten. Der industrielle Mittelstand ist daher ein Eckpfeiler der Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Sozialistische Planwirtschaft ließ in der DDR fast keinen Freiraum für private unternehmerische Tätigkeit. Das sich selbst organisierende Nebeneinander vor allem kleiner und mittlerer Unternehmen wurde als Fremdkörper bei allumfassenden nationalökonomischen Planungen angesehen. Ständig zunehmende Erschwernisse und Enteignungen — mit einer letzten Welle 1972 — waren die zwangsläufige Folge. Um so mehr kommt der Wiederbelebung des Mittelstands nun eine Schlüssel-rolle beim Aufbau in den neuen Bundesländern zu.

Bereits im vergangenen Jahr nahm die Zahl der Erwerbstätigen, die ein Gewerbe anmeldeten, ständig zu. Nach Erhebungen des Verbandes der Vereine Creditreform konnten im vergangenen Jahr rund 270 000 Gewerbeanmeldungen registriert werden. Bis zum Sommer 1991 rechnen Marktbeobachter mit weiteren 130 000 Neugründungen. Damit könnten dann insgesamt in 400 000 neuen Unternehmen etwa eine Million neue Arbeitsplätze geschaffen werden. In der Industrie stehen allerdings weniger die Neugründung, sondern vielmehr die Reprivatisierung bzw. die Privatisierung vorhandener Betriebe im Vordergrund. Für den BDI ist es deshalb eine vorrangige Aufgabe, diesen Reprivatisierungs-bzw. Privatisierungsprozeß zu beschleunigen. Um die Arbeit in den Mitgliedsverbänden zu koordinieren und die Interessen zu bündeln, hat der BDI im November 1990 einen „BDI-Arbeitskreis Industrieller Mittelstand in den neuen Bundesländern (AIM)“ gegründet. Dieser Arbeitskreis hat sich zunächst drei Aufgaben gestellt: Zum einen wird er Konsultationspartnerschaften zwischen Unternehmen in den alten und neuen Bundesländern initiieren und organisieren. Zum anderen werden aus Sicht des Mittelstandes wirtschaftspolitische Empfehlungen formuliert. Schließlich steht die Durchführung eines „Tages des industriellen Mittelstandes“ am 25. April 1991 in Leipzig auf dem Programm.

Darauf, daß der wirtschaftliche Aufbau in den neuen Bundesländern durch Initiativen von unten, von der Basis, getragen werden muß. hat der vormalige BDI-Präsident Necker anläßlich der AIM-Gründung hingewiesen. Das Konzept „Kommandowirtschaft von oben“ habe versagt. Um dem Ziel, einen breiten industriellen Mittelstand zu schaffen, näher zu kommen, muß gerade bei den anstehenden Verkäufen aus dem Treuhand-Bestand der Mittelstandsaspekt hinreichend berücksichtigt werden. Dies erfordert mittelständische Betriebsgrößen. Die Treuhandanstalt ist deshalb aufgefordert, vor allem die großen Kombinate aufzugliedern. Dies wird zudem den Kreis der interessierten Käufer erweitern und die Chancen für einen erfolgreichen Verkauf durch die Treuhandanstalt erhöhen.

Für eine solche Politik ist der Treuhandanstalt der Rücken zu stärken. Unverzichtbar ist allerdings. daß in den Beiräten der Treuhand-Niederlassungen auch mittelständische Unternehmer aus den neuen wie aus den alten Bundesländern als Berater vertreten sind. Sicher hilfreich sind die auf Initiative des Bundeskanzlers geschaffenen Einrichtungen der Vertrauensbevollmächtigten bei der Treuhandanstalt. Das Problem der „Seilschaften“ darf nicht zu einem Hemmnis der Privatisierung werden. Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen ist wichtig, daß ihnen Rückhalt geboten wird in den ohnehin schwierigen rechtlichen und wirtschaftlichen Situationen.denen sie sich gegenübersehen.

Ohne „West-Importe“ ist die Management-Lücke in den Ost-Unternehmen nicht zu schließen. Bereits im Sommer 1990 hatte der BDI mitgewirkt an der Vermittlung von Führungskräften in die neuen Bundesländer. Dadurch konnten über 130 Persönlichkeiten für Aufsichtsräte und Vorstände der Unternehmen dort benannt werden. Im Spätherbst hat der BDI schließlich nach einem Appell des Bundeskanzlers eine Blitzaktion „Manager-Transfer“ zur Unterstützung der Treuhandanstalt durchgeführt. Weit über 100 Persönlichkeiten der Wirtschaft konnten im Zusammenwirken mit den BDI-Mitgliedsverbänden für zeitlich befristete Management-und Führungsaufgaben in der Treuhandanstalt selbst oder in Treuhand-Unternehmen vermittelt werden. Besonders bemerkenswert ist. daß diese Spitzenkräfte von ihren Heimat-Unternehmen „ausgeliehen“ werden. Sie bleiben während der Zeit ihres Einsatzes für die Treuhandanstalt auf der Gehaltsliste ihrer Unternehmen, sie sind also in ihrem neuen Arbeitsbereich „One-Dollar-Men“. Trotz dieser Erfolge bleibt noch auf längere Sicht ein erheblicher Bedarf an Spitzenkräften.

Um die Lücken zu schließen, haben BDI und DIHT gemeinsam dazu aufgerufen, die Aktivitäten des „Senior-Experten-Service“ (SES) in den neuen Bundesländern zu unterstützen. Die Unternehmen können ehemalige oder kurz vor dem Ruhestand stehende Mitarbeiter für kurzzeitige Beratungseinsätze in die neuen Bundesländer entsenden. Bis Ende 1990 hat der von BDL DIHT und der Carl Duisberg Gesellschaft getragene SES bereits mehr als 200 Beratungseinsätze in der ehemaligen DDR durchgeführt. Trotz dieses Erfolges übersteigt auch hier die Nachfrage das Angebot.

Das Engagement der Verbände ist umfassend. Schulungsangebote für Fachleute in den Betrieben sind nach wie vor überlaufen. Dies gilt für Fragen des Arbeitsrechts und der Tarifverhandlungen ebenso wie für die Bereiche Arbeitsorganisation und Kostenrechnung. Gerade für den letztgenannten Bereich hat der BDI Fachseminare für Führungskräfte in den neuen Bundesländern durchgeführt. Dabei ist — wie bei vielen anderen Anlässen — festzustellen, daß zwar umfassendes theoretisches Wissen vorhanden ist. die fehlende Praxis allerdings die nun geforderte Umsetzung erschwert.

IV. Wirtschaftspolitische Ansätze für die neuen Bundesländer

Die deutsche Wirtschaftspolitik der nächsten Jahre wird naturgemäß geprägt sein von der Aufgabe, die Wirtschaft in den neuen Bundesländern wieder aufzubauen. Zugleich gilt es aber auch, den zusätzlichen Aufgaben aus der europäischen und internationalen Einbindung der deutschen Volkswirtschaft gerecht zu werden. Das politische und wirtschaftliche Interesse Deutschlands zielt dabei auf Beibehaltung der festen Einbindung in den Westen.

Die Schlußbilanz des DDR-Regimes brachte viel Erschreckendes zutage: — eine völlig veraltete und ungenügende Infrastruktur; — veraltete und reparaturanfällige Industrieanlagen in allen Wirtschaftsbereichen; — eine überalterte und ungenügende Bausubstanz im Wohnbereich wie in der Industrie; — eine viel zu niedrige Produktivität sowie — eine erschreckende Erblast an Umweltschäden. Vorrangig ist nun die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft in den neuen Bundesländern mit dem Ziel, den ökonomischen Aufholprozeß zu beschleunigen. Insbesondere in der Industrie ist ein grundlegender Prozeß der Umstrukturierung, Sanierung bzw. Stillegung zu leisten, müssen neue Produkte entwickelt, Arbeitskräfte umgeschult und neu eingesetzt werden. Für diesen Neuaufbau werden Kapital, Management und Knowhow dringend benötigt. Dabei ist die offensive Stärkung der privaten Investitionstätigkeit der defensiven Subventionierung überholter Strukturen eindeutig vorzuziehen. Deshalb sind die Voraussetzungen für ein Anspringen der Investitionstätigkeit auf breiter Basis zu schaffen.

Nach den ersten Anstrengungen haben sich in der Praxis allerdings bereits zahlreiche Hemmnisse gezeigt, die beseitigt werden müssen: — der Ausbau einer wirtschaftsnahen Infrastruktur gestaltet sich sehr zeitaufwendig; — der dringend notwendige Aufbau einer funktionsfähigen Verwaltung kommt nur zögernd voran; — die teilweise noch ungeklärten Eigentumsfragen behindern Existenzgründungen und Gewerbeansiedlungen. Zur Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklung in den neuen Bundesländern hat der BDI deshalb schon Ende 1990 ein „Aktionsprogramm Infrastrukturerneuerung“ vorgelegt. Das Handlungskonzept ist an drei Zielen ausgerichtet: Zum einen haben sich in der Wirtschaft marktwirtschaftliche Lösungen gegenüber staatlicher Regulierung als überlegen erwiesen; deshalb ist insbesondere Deregulierung gefordert. Zum zweiten verlangen die Modernisierung und der Ausbau der Infrastruktur einen hohen Kapitaleinsatz. Neben den erhöhten öffentlichen Mitteln muß vermehrt in-und ausländisches Kapital mobilisiert werden; dabei stehen alle Finanzierungsmodelle auf dem Prüfstand. Schließlich scheitern in den alten Bundesländern gegenwärtig manche Infrastrukturprojekte an zeitaufwendigen Planungen und bürokratischen Verfahren; daher sind verkürzte und vereinfachte Planungsverfahren notwendig.

In enger Zusammenarbeit mit den BDI-Mitgliedsverbänden und Verbandskollegen aus den neuen Bundesländern wurden folgende Aktionsfelder beschrieben und zum Teil schon entsprechende Maßnahmen eingeleitet:

Ausbau der Verkehrsinfrastruktur Der desolate Zustand der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Bundesländern fordert rasche Abhilfe. Allein der Nachholbedarf — ohne Kapazitätserweiterung — wird gegenüber der bisherigen Finanzplanung auf 127 Mrd. DM veranschlagt. Als Beispiel für eine private Finanzierung hat der BDI ein „Leasing-Modell“ für Autobahnen vorgeschlagen. Interesse ausländischer Investoren an konkreten Projekten ist vorhanden. Mit der Fusionierung der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn müssen gleichzeitig Lösungen für die Bewältigung ihrer Strukturprobleme gefunden werden.

Verbesserung der Telekommunikations-Leistungen Moderne Industriebetriebe sind auf schnelle und verläßliche Kommunikation angewiesen. Die Erfahrungen nicht nur in den ersten Monaten haben allerdings manchen verzweifeln lassen. Dies gilt auch mit Blick auf die innerverbandliche Kommunikation: Häufig muß ein Kurier anstelle langsamer und unzuverlässiger öffentlicher Netze eingesetzt werden. Die Gewährleistung flächendeckender und bedarfsgerechter Versorgung mit Telekommunikations-Leistungen wird noch Jahre in Anspruch nehmen. Umso wichtiger ist es, verstärkt Private zu beteiligen.

Privatisierung statt Kommunalisierung der Energie-versorgung Durch Einschaltung privater Unternehmen kann auch die Sanierung der kommunalen Energieversorgung in den neuen Bundesländern sehr viel zügiger erfolgen. Besserer Zugang zu professionellem Management und erleichterte Finanzierung sind erreichbar; einer drohenden Politisierung der Energieversorgung kann entgegengewirkt werden. Für die Gemeinden sollte bei deren energiewirtschaftliB eher Betätigung und der Gründung neuer Stadt-werke zudem ein strenges Subsidiaritätsprinzip gelten.

Nachhaltige Verbesserung der Umweltsituation Der immense Sanierungs-und Nachrüstungsbedarf auch in diesem Bereich in den neuen Bundesländern gebietet es aus gesamtwirtschaftlichen Erwägungen, finanzielle und technische Ressourcen dort einzusetzen, wo sie die größten Erträge für die Umwelt bringen. Statt weiterer Verfeinerungen des bestehenden engmaschigen Umweltrechts muß alles daran gesetzt werden, um Investitionen gerade im Umweltbereich in den neuen Bundesländern zu ermöglichen und zu fördern; denn jede neue Anlage bringt eine Verbesserung der Umweltsituation. Zur beschleunigten Errichtung kommunaler Entsorgungseinrichtungen sollten auch private Finanzierungs-und Betriebsmodelle genutzt werden. Die vom Bundesumweltministerium angeregte Solidaritätsaktion „Ökologischer Umbau“, durch die die Altlastensanierung in den neuen Bundesländern gewährleistet werden soll, ist zu begrüßen. Jedoch ist damit nicht eine generelle Regelung über die Freistellung von Altlastensanierungsansprüchen verbunden. Beschränkt auf das Gebiet der fünf neuen Länder muß die gesamte Haftung für solche Altlasten im Sinne des Verursacherprinzips vom Staat übernommen werden.

Der BDI hat angesichts der vielerorts bedrohlichen Umweltsituation bereits im Sommer 1990 eine „Industrie-Initiative für Umweltschutz in der DDR“ gegründet. Sie hat im Oktober ein erstes Praxis-Seminar für betrieblichen Umweltschutz in Erfurt veranstaltet, ein weiteres wird Ende April 1991 in Bitterfeld folgen. Ganz im Sinne der Scharnierfunktion des Industrie-Spitzenverbandes werden dabei im Dialog zwischen örtlichen Verwaltungsbehörden und Industrievertretern bereits erprobte Problemlösungen erörtert und neue Ansätze entwikkelt. Dem dringend erforderlichen Wissenstransfer dient auch eine Aktion des BDI zur Vermittlung von Hospitanten aus Industrieunternehmen der neuen in die alten Bundesländer. Bisher konnten bereits für 75 Personen Plätze bereit gestellt werden, an denen sie die Praxis des Umweltschutzes jeweils für eine Woche studieren können.

Aufbau einer leistungsfähigen Forschungsund Bildungsinfrastruktur Der zum Teil mehrjährige technologische Rückstand der Strukturen in Forschung und Entwicklung (FuE) in der früheren DDR und die unsichere Wirtschaftslage erschweren die Aufrechterhaltung der FuE-Kapazitäten in den Unternehmen aus eigener Kraft. Deshalb ist die Ausschöpfung aller Kooperationsmöglichkeiten unerläßlich. Die aus den . ehemaligen Kombinaten ausgegliederten, rechtlich selbständigen Forschungsinstitute, die sogenannten Forschungs-GmbHs, bilden einen wichtigen Teil der Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern. Die Arbeitsgemeinschaft Industrieller Forschungsvereinigungen (AIF) hat soeben eine Broschüre über diese Einrichtungen vorgelegt, die die notwendige Transparenz bietet, zu den gewünschten Kooperationen anregt und damit die Überlebensfähigkeit dieser Institute stärkt. Darüber hinaus liegen vorrangige Aufgaben in der Qualifizierung des FuE-Personals, dem Aufbau eines Technologietransfernetzes und der Einführung effizienter Organisationsstrukturen. Im Bereich der beruflichen Bildung gilt es schließlich, die neuen Bundesländer beim Aufbau eines leistungsfähigen dualen Ausbildungssystems nachhaltig zu unterstützen.

Immer wieder klagen die Unternehmen über die vielerorts noch nicht hinreichend vorhandene öffentliche Verwaltung. Wer eine Bauinvestition plant, benötigt nicht nur ein bebaubares Grundstück, sondern auch Rechtssicherheit gebende Genehmigungen. Das Vorhandensein von Verwaltungsbehörden sagt noch wenig über deren personelle und materielle Ausstattung aus. Häufig fehlt es schon an den notwendigen Formularen. Zwar gilt das Recht der (alten) Bundesrepublik, doch es mangelt an der praktischen Anwendung. Für die Wirtschaft ist besonders wichtig, daß im Wirtschaftsrecht geschulte Richter eingestellt und daß die Handels-und Arbeitsgerichtsbarkeit vorrangig ausgebaut werden. Es gilt nun, noch umfassender als bisher, die Unterstützung aus den alten Bundesländern beim Aufbau der Verwaltungen zu organisieren, auch unter Beteiligung der Wirtschaft.

Ein Investitionshemmnis besonderer Art ist die große Unsicherheit über die Eigentumsrechte im Beitrittsgebiet. Die Rückgabe der zwischen 1945 und 1949 enteigneten Grundstücke ist durch den Einigungsvertrag ausgeschlossen. Bestätigt das Bundesverfassungsgericht den Ausschluß der Rückgabe enteigneter Grundstücke aus der Zeit der sowjetischen Militärherrschaft, so ist der Deutsche Bundestag zur schnellen Regelung der Ausgleichsleistungen — die in geeigneten Fällen auch Rückerstattungen vorsehen sollten — aufgefordert. Entscheidet das Gericht gegen die Regelung im Einigungsvertrag, ist der Handlungsdruck noch größer. Die Rückgabe späterer Enteignungen ist im Prinzip zwar zugestanden, doch fehlt es noch an praktikablen Handreichungen an die Behörden. Besonders wichtig ist es, die Grundbuch-und Liegenschaftsämter funktionstüchtig zu machen. Auch dies bedarf umfassender Hilfen aus den alten Bundesländern.

V. Tätigkeit der Treuhandanstalt

Die weitere wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern hängt eng zusammen mit der erfolgreichen Tätigkeit der Treuhandanstalt, der Zentrale in Berlin und ihren 15 Niederlassungen. Inzwischen wurden von den ca. 8 000 betreuten Unternehmen etwa 6 000 mit jeweils weniger als 1 500 Beschäftigten in die Zuständigkeit der Niederlassungen übergeben. Gleichzeitig haben der personelle Aufbau und die materielle Ausstattung spürbare Verbesserungen der Arbeitsabläufe gebracht. Damit wird sie dem gesetzlich vorgegebenen Ziel, „das ihr übertragene bisherige volkseigene Vermögen zu privatisieren und zu verwerten“, noch besser gerecht werden können. Trotz aller Kritik in vielen Einzelfragen ist anzuerkennen, daß die Treuhandanstalt dabei unter schwierigsten Bedingungen eine bislang beispiellose Aufgabe zu bewältigen hat.

Gegenwärtig finden über 1 000 Privatisierungsverhandlungen bei der Treuhand statt, die sich teilweise auch nur auf einzelne Betriebsteile beziehen. Bis Ende 1990 wurden allein durch die Zentrale 141 Unternehmen privatisiert; im Januar 1991 wurde die Privatisierung weiterer 50 größerer Unternehmen bekanntgegeben. Es bleibt zu hoffen, daß dieser Prozeß sich weiter beschleunigt. Die Treuhandanstalt wird in Kürze einen Katalog der von ihr betreuten Unternehmen vorlegen. Die weit überwiegende Zahl dieser Firmen wird bis dahin auch detaillierte Sanierungs-und Umstrukturierungskonzepte erarbeitet haben.

Die Unternehmen der Treuhand bestehen zum großen Teil noch in dem Zuschnitt, den sie in der sozialistischen Planwirtschaft der DDR erhalten haben. In der Regel sind sie aus einer Vielzahl teilweise sehr heterogener Bereiche zusammengesetzt, für einen Komplettverkauf zu groß und nicht attraktiv genug. Der vor kurzem vom Bundeskabinett verabschiedete Entwurf eines Gesetzes über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen trägt den praktischen Erfordernissen Rechnung. Durch die reale Aufteilung großer Wirtschaftseinheiten im Wege der bislang nach dem deutschen Gesellschaftsrecht nicht möglichen Universalsukzession kann die Privatisierung demnächst erheblich erleichtert und gefördert werden.

Viele Anfragen an die Wirtschaftsverbände beziehen sich auf meist komplizierte Einzelfälle. Auch das Berliner Büro des BDI geht vielen Problemfällen im Zusammenwirken mit der Treuhandanstalt nach. Dabei nimmt die Reprivatisierung ehemals enteigneter Unternehmen einen breiten Raum ein. Neben den Anträgen früherer Eigentümer auf Rückübereignung von etwa 17 000 Betrieben, die 1972 verstaatlicht wurden, liegen noch etwa eine Million Anträge auf Rückerstattung von Grundstücken vor. Das Gesetz über offene Vermögensfragen und das Gesetz über besondere Investitionen regeln zwar die Reprivatisierungsprozesse, doch hat es bei der praktischen Umsetzung dieser Gesetzeswerke erhebliche Probleme gegeben, denen mit dem inzwischen vom Bundeskabinett verabschiedeten Gesetz zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen entgegengewirkt werden soll. Von besonderer Bedeutung ist, daß der gütlichen Einigung der beteiligten Parteien Vorrang vor einem staatlichen Verfahren — einem Schieds-oder einem Gerichtsverfahren — gegeben werden soll. Damit können vor allem Investitionen beschleunigt werden, was in der gegenwärtigen Wirtschaftslage besonders vordringlich ist.

Der BDI hat wiederholt darauf hingewiesen, daß die zu leistende Aufbauarbeit keine „Familienangelegenheit“ der Deutschen sein kann. Die wirtschaftlichen Probleme, aber auch die Chancen sind so groß, daß deren Bewältigung bzw. Wahrnehmung durch die Volkswirtschaft eines Landes allein kaum möglich ist. Nach anfänglichem Zögern haben sich inzwischen bereits viele ausländische Unternehmen engagiert. Interessenten kommen aus allen EG-Staaten, insbesondere aus Frankreich und Großbritannien; aus dem übrigen europäischen Bereich sind schweizer Unternehmen besonders aktiv. Aber auch amerikanische und japanische Unternehmen haben die neuen Bundesländer als Absatz-, Investitions-und Produktionsstandorte entdeckt. Die Auslandsbüros des BDI in Washington, Tokio, London und Brüssel stehen als Ansprechpartner zur Verfügung; das Interesse und die Nachfrage nach Informationen und Seminaren über die wirtschaftliche Situation sowie über Investitionsmöglichkeiten in den neuen Bundesländern sind groß.

VI. Perspektiven des wirtschaftlichen Aufbaus

Der strukturelle Anpassungsprozeß in den neuen Bundesländern ist offenbar viel einschneidender, als dies noch vor einigen Monaten erwartet werden konnte. Hervorzuheben ist, daß die Ursache hierfür keineswegs in einer mangelnden Investitionsbereitschaft der westdeutschen Unternehmen liegt. Die Investitionstätigkeit ist vielmehr inzwischen auf breiter Basis in Gang gekommen. Den Unternehmen in den neuen Bundesländern fehlen allerdings in weitaus größerem Maße als bisher angenommen vermarktungsfähige Produkte. Der technologische Rückstand ist zum Teil beträchtlich. Teilweise deutlich höhere Energiekosten als in den alten Bundesländern belasten den Standort zusäatzlich. Hinzu kommt das Wegbrechen des früheren RGW-Marktes. Nach eigenen Schätzungen des BDI können die Direktinvestitionen westdeutscher Unternehmen in die neuen Bundesländer im laufenden Jahr deutlich über den vom Ifo-Institut geschätzten 10 Mrd. DM liegen. Positive Signale sind aus einigen Branchen bereits zu vermelden. Vor allem die Elektroindustrie zeigt einen Aufwärtstrend. In der Bauindustrie wirkt der zu vollziehende große Produktivitätssprung zurückhaltend auf die Beschäftigungsentwicklung. Gerade für die Bauindustrie sind daher Fortschritte bei der Privatisierung und Deregulierung, vor allem vereinfachte Planfeststellungsverfahren, notwendig, um als konjunkturbelebender Faktor schnell wirksam werden zu können. BDI-Präsident Weiss forderte in diesem Zusammenhang besondere Schritte, beispielsweise Parlamentsbeschlüsse bei wichtigen Projekten anstatt eines langwierigen Planungs-und Genehmigungsverfahrens. Die schlechte Finanzlage der neuen Länder und Gemeinden erschwert allerdings noch die Vergabe öffentlicher Aufträge. Zudem treten weitere praktische Schwierigkeiten auf: Es muß ein Mittelweg gefunden werden zwischen einer wünschenswert zügigen Auftragsvergabe und einem wettbewerbswirtschaftlichen Gebaren, d. h. einer korrekten Anwendung der zu beachtenden Regelwerke. Für die Industriebetriebe in den neuen Bundesländern ist nach wie vor der deutsch-sowjetische Handel von besonderem Gewicht. Manche Unternehmen haben bisher 60 bis 80 Prozent ihrer Produktion mit RGW-Ländern kontrahiert. Mit der Umstellung der Zahlungen von Transfer-Rubel auf Devisen ist ein „Fadenriß“ der Handelsströme zu befürchten. In die Suche nach praktikablen Lösungen ist insbesondere der Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft eingebunden. Neben notwendigen politischen Entscheidungen u. a. über die Absicherung der Exportgeschäfte für deutsche Unternehmer sind auch langfristige Lieferverpflichtungen abzuwickeln. Ein unkontrollierbares Wegbrechen der RGW-Lieferungen hätte für zahlreiche Unternehmen existenzbedrohende Folgen und könnte zu strukturellen Verwerfungen führen. Deshalb ist schnelles und umsichtiges Handeln erforderlich.

Die eingeleiteten Konzepte der regionalen Wirtschaftsförderung erweisen sich zunehmend als tragfähig. Der BDI hat stets betont, daß den neuen Bundesländern durch diese Maßnahmen ein Präferenzvorsprung gesichert werden muß. Deshalb ist es nur folgerichtig, parallel dazu die Förderung der Zonenrand-und Berlinförderung abzubauen. Darüber hinaus hat die Wirtschaft stets ihre Bereitschaft unterstrichen, beim notwendigen Subventionsabbau mitzuwirken.

Zur Deckung der Kosten in den neuen Bundesländern ist vorrangig, daß die bisher noch nicht ausgeschöpften Finanzierungsmittel in die Gesamtrechnung eingestellt werden. Zudem ist eine sparsame Haushaltsführung auf allen staatlichen Ebenen unerläßlich. Daneben ist auf eine beschleunigte Einbeziehung der neuen Bundesländer in den Finanz-ausgleich hinzuwirken. Trotz allem darf die von der Bundesregierung vorgesehene Unternehmenssteuerreform angesichts des näherrückenden europäischen Binnenmarktes nicht aus den Augen verloren werden.

Die Wirtschaft in den neuen Bundesländern durch-schreitet ein tiefes Tal. Für die Beschäftigten bedeutet dies häufig eine völlige Neuorientierung. Damit der Abbau von Arbeitsplätzen nicht in lang-andauernder Arbeitslosigkeit endet, muß vor allem die Qualifizierung ausgeweitet werden. Es ist deshalb positiv zu werten, daß die Kurzarbeiter-Sonderregelung mit einem verstärkten Anreiz zur Umschulung und Weiterbildung verzahnt wird. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen greifen derzeit allerdings nur unzureichend. Ursachen hierfür sind vor allem die Verwaltungsschwächen bei den Kommunen als den Trägern der Maßnahmen. Ein substanzieller Abbau von Arbeitslosigkeit kann von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ohnehin nicht erwartet werden. Dagegen ist die Gefahr der Verdrängung gerade von kleineren Unternehmen groß.

Die Tarifpartner gestalten durch ihre Entscheidungen den Anpassungsprozeß in den neuen Bundesländern erheblich mit. Die von den Gewerkschaften gerade in den letzten Wochen geforderten schnellen Erhöhungen der Löhne und ihre stufenweise Angleichung an das westdeutsche Niveau weisen in die falsche Richtung. Wenn die Lohnentwicklung dem zu erwartenden Produktivitätsanstieg noch weiter vorauseilt, werden sich die Beschäftigungsprobleme eher verschärfen. Notwendig ist vielmehr eine größere Spreizung der Löhne und Gehälter nach Leistung, Branchen und Tarifgebieten.

Die Arbeit des BDI ist darauf gerichtet, möglichst schnell in den neuen Bundesländern rentable Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Dies erfordert umfangreiche privatwirtschaftliche Investitionen. Durch den Einsatz modernster Technologien werden den Unternehmen somit Wettbewerbsvorsprünge zuwachsen. Eine spürbare Angleichung der Lebensbedingungen wird schließlich die Folge sein. Das Engagement hierfür ist ein Engagement im Sinne des Gemeinwohls.

Fussnoten

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Jürgen Bauer. Dr. sc. agr., Diplom-Kaufmann, geb. 1951; Leiter des Büros Berlin des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) e. V.