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Plädoyer für eine neue Asyl-und Ausländerpolitik | APuZ 9/1992 | bpb.de

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APuZ 9/1992 Artikel 1 Asylgewährung als Rechtsproblem Plädoyer für eine neue Asyl-und Ausländerpolitik Vom Nationalstaat zur offenen Republik Zu den Voraussetzungen der politischen Integration von Einwanderung Migration aus Osteuropa und dem Maghreb Zur Lage der Nicht-Deutschen in Deutschland

Plädoyer für eine neue Asyl-und Ausländerpolitik

Rudolf Wassermann

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Anschläge auf Asylbewerber, die sich in Deutschland wie ein Flächenbrand ausgebreitet haben, gaben Anlaß zu Kampagnen gegen Ausländerhaß. Der Beitrag beurteilt'deren Sinn und Nutzen skeptisch, weil sie „die Deutschen“ pauschal mit einem Vorurteil belegen, das nur auf eine sehr geringe Minderheit zutrifft. Die Regel ist kein haßerfülltes Gegeneinander von Deutschen und Ausländem, sondern ein friedliches Neben-und Miteinander. Die Deutschen sind weder ausländerfeindlich noch ausländerfreundlich; sie verhalten sich zu Ausländem keineswegs ablehnender als andere Völker. Sorge, ja Unmut bereitet allerdings der Mißbrauch des Grundrechts auf Asyl durch Ströme von Menschen, die nicht verfolgt werden, sondern aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland leben wollen. Wenn versucht wird, von dem sich in der Asyl-und Ausländerpolitik offenbarenden Politikversagen durch Kampagnen abzulenken, die die Bevölkerung als rückständig, vorurteilsbefangen und rassistisch erklären, dann treibt man die Menschen erst in die Arme rechtsextremistischer Parteien. Als Antwort auf die Herausforderung durch die neuen Völkerwanderungen plädiert der Beitrag für politische Kurskorrekturen in Gestalt einer Mehrfachstrategie: Einmal muß das Asylrecht seiner Funktion gemäß auf echte Fälle von Verfolgung beschränkt werden. Zum anderen tut eine Einwanderungspolitik des geregelten Zuzugs not, die alljährlich bestimmte Kontingente und Quoten zur Aufnahme von Ausländem festsetzt (unter Einschluß der politischen Flüchtlinge). Langfristige Strategien, die auf die kulturelle Autonomie von Minderheiten und die Angleichung der Lebensverhältnisse in den Heimatländern durch wirtschaftliche und finanzielle Hilfen zielen, sind wichtig, können aber wirksame Sofortmaßnahmen nicht ersetzen, durch die das verlorene Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit des demokratischen Parteienstaates zurückgewonnen werden muß.

I. Zum Problem

Anschläge auf Asylantenwohnheime, Asylbewerber und andere Ausländer haben sich im letzten Herbst in Deutschland wie ein Flächenbrand ausgebreitet. Den Anfang machte am 25. September 1991 der Angriff von Skinheads auf ein Ausländerwohnheim in Hoyerswerda. Als die Skinheads „Ausländer raus“ schrien, erscholl Beifall aus der zuschauenden Menge. Vier Tage später, als Tausende in Hoyerswerda gegen Fremdenfeindlichkeit demonstrierten, kam es zu Schlägereien. In der folgenden Zeit flogen Brandsätze in Ausländerwohnheime, gingen Fenster und Türen zu Bruch, wurden Asylbewerber mit Schreckschußpistolen beschossen und erlitten bei Brandanschlägen oder Totschlagsversuchen schwere Verletzungen

Einzeln betrachtet sind diese Anschläge nichts weiter als Fälle für die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft. In ihrer Häufigkeit stellen sie jedoch eine Herausforderung für Staat und Gesellschaft dar, auf die eine deutliche Antwort gegeben werden muß. Zweifel an der Fähigkeit, auf die Ereignisse angemessen politisch zu reagieren, drängen sich allerdings auf, wenn man die bisherigen Antwortversuche betrachtet.

II. Kein Ausländerhaß in Deutschland

Man kann voraussetzen, daß Polizei und Justiz gegen die Gewalttäter mit aller Schärfe vorgehen werden. Verharmlosungen wie beim Linksterrorismus darf es nicht geben. Die bisher ergangenen Entscheidungen lassen denn auch erkennen, daß der Rechtsstaat seine Stärke diesmal nicht für, sondern gegen die Gewalttäter beweisen wird. Wie aber steht es mit der Politik?

Neu sind die Probleme der Asyl-und Ausländer-politik nicht. Seit vielen Jahren werden sie jedoch zerredet statt gelöst, und der Unwillen darüber nahm in der Bevölkerung mit den steigenden Zuwanderungszahlen zu. Hätte man da nicht die ersten Anzeichen von Gewalt endlich zum Anlaß nehmen müssen, um ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, das der Problematik auf beiden Seiten gerecht wurde? Statt dessen kam es zu einer öffentlichen Kampagne gegen Ausländerhaß und Fremdenfeindlichkeit, die den Eindruck vermittelte, die Gewalttaten gegen Asylbewerber und andere Ausländer seien Ausdruck eines im deutschen Volkscharakter verborgenen Rassismus, der nach längerer Latenz nun wieder offen ausgebrochen sei. Erstaunlich war, daß damit den Gewalttätern die Ehre erwiesen wurde, Repräsentanten des gesellschaftlichen Bewußtseins zu sein, während sie in Wahrheit krasse Außenseiter am Rande des gesellschaftlichen Spektrums sind. Darüber hinaus wurde der Eindruck erweckt, als ob die Deutschen borniert und unbelehrbar seien, voll von Mentalitätsbeständen des Dritten Reiches.

Es ist wohl ein hoffnungsloses Unterfangen, der Selbstbezichtigungsmanie von Menschen entgegenzutreten, die die unseligen Erfahrungen der deutschen Geschichte traumatisch nacherleben und die „Sühne für Auschwitz“ zum Selbsthaß steigern. Wer jedes Nationalgefühl für identisch mit dem Nazismus hält, erliegt einer selektiven, die Realität verhüllenden Wahrnehmung

Zudem darf die politische Instrumentalisierung nicht übersehen werden, die der Begriff „Ausländerhaß“ gegenwärtig erfährt. Rainer Zitelmann hat darauf aufmerksam gemacht, daß „Ausländerhaß“ zum Kampfbegriff geworden ist, der vielen, die die Wiedervereinigung und der Zusammen-bruch der kommunistischen Systeme in ein Stimmungstief gestürzt hatten, Gelegenheit gibt, aus diesem wieder herauszukommen. In einer Art von umgekehrtem Rassismus werden „die Deutschen“ -über die man spricht, als ob man nicht dazu gehörte -als faschistisch bezeichnet, während man sich selbst davon abhebt. Ute Knight und Wolfgang Kowalsky haben in ihrem jüngst erschienenen Buch zur Ausländerfrage dazu bemerkt: „Analog zum Antifaschismus hat sich... so etwas wie ein Anti-Ausländerfeindlichkeits-Bonus, ein Pro-Ausländer-Gütesiegel herausgebildet; den Protagonisten leuchtet der Heiligenschein um ihr Haupt.“

In Politik und Öffentlichkeit erzeugt das Reizwort „Ausländerhaß“ durchaus die von manchen erstrebten Wirkungen. Die PR-Kampagne gegen „Ausländerhaß“, die pauschal selbst von den Regierenden im Bund und in den Ländern -mit allerdings unterschiedlicher Intensität -unterstützt wird, ist ein deutlicher Beleg dafür. Da die Gefahr besteht, daß sich das selbstgemachte Vorurteil von den ausländerfeindlichen, von Fremdenhaß erfüllten Deutschen in der Öffentlichkeit festsetzt, ist es nötig, die Dinge zurechtzurücken, bevor es zu spät ist.

Tatsache ist, daß es nur wenige Deutsche gibt, bei denen von Ausländerhaß und -feindlichkeit die Rede sein kann. Die Regel ist kein haßerfülltes Gegeneinander von Deutschen und Ausländem, sondern ein friedliches Neben-und Miteinander. Man braucht nur in einen der vollgedrängten Züge nach Süden zu steigen, in denen Deutsche und Ausländer eng beieinander sitzen, um darüber belehrt zu werden. Dem Türken oder Serben z. B., der um Feuer für eine Zigarette bittet, reicht der Deutsche bereitwillig und freundlich sein Streichholz oder Feuerzeug. Keiner nimmt Anstoß an dem lauten Treiben, das die kinderreiche Familie vom Balkan im vollbesetzten Wagen oder Abteil entfaltet. Und wieviele Deutsche arbeiten nicht mit Menschen aller Länder -Türken und Jugoslawen an der Spitze -reibungslos im Arbeitsteam eng zusammen? Hier die Zahlen: Deutschland hat fünfeinhalb Millionen Ausländer -darunter 1612000 Türken -und zwei Millionen Zuwanderer, die als deutsche Volkszugehörige gelten, aufgenommen. Es lag nach Angaben der United Nations High Commission for Refugees (UNHCR) 1989 bei der Aufnahme von Flüchtlingen auf dem ersten Platz (noch vor den Vereinigten Staaten und Frankreich). Von den Asylbewerbern in Westeuropa hat allein die Bundesrepublik 44 Prozent aufgenommen (Frankreich 16, Schweden 10, die Schweiz 7 und die Niederlande Prozent). Für Hessen hat das dortige Statistische Landesamt ausgerechnet, daß die Zahl der Ausländer 1990 um 9, 1 Prozent auf mehr als 612000 gestiegen ist. Jeder zehnte hessische Einwohner ist Ausländer, in sieben hessischen Städten beträgt der Ausländeranteil mehr als 20, in Frankfurt am Main 24, 3 Prozent. Ein Land, das sich in dieser Weise Ausländern öffnet, ist nicht fremdenfeindlich, es verdient vielmehr Anerkennung und keinen Tadel. Die Ausländerfeindlichkeit der Deutschen ist ein Mythos 5.

Damit soll nicht etwa behauptet werden, die Bundesrepublik Deutschland sei ein dezidiert ausländerfreundliches Land. Wer dem Mythos der Ausländerfeindlichkeit den Gegenmythos der Ausländerfreundlichkeit entgegensetzt, zeigt damit nur, daß er in Konstrukten und Polarisierungen denkt, die dem, Parteienkampf im Parteienstaat entsprechen, aber in der Realität nicht zu finden sind. Der einen Lagermentalität wird die andere entgegengesetzt. Aus solcher Polarisierung herauszukommen, ist aber notwendig: Deutschland und die Deutschen sind weder ausländerfreundlich noch ausländerfeindlich Insbesondere aber sind die Deutschen nicht fremdenfeindlicher als etwa die Franzosen oder Amerikaner. Man pflegt Legenden, wenn man dies behauptet.

III. Mißbrauch des Grundrechts auf Asyl

Man würde sich allerdings ebenfalls einer einseitigen Sichtweise befleißigen, wenn man leugnen wollte, daß in Deutschland Sorge, ja Unmut in bezug auf die Ausländerfrage und deren Behandlung durch Politik und ihre Verwaltung herrschen. Die übergroße Mehrheit unseres Volkes weiß, daß die deutsche Wirtschaft Ausländer braucht, um ihre Produktivität zu sichern. Unwillen erregt aber die permanente Hilflosigkeit, die der Staat gegenüber dem hunderttausendfachen Mißbrauch des Asyl-grundrechts durch Asylbewerber an den Tag legt. Nur ein sehr geringer Teil der Asylbewerber wird in ihren Heimatländern politisch verfolgt. Über 90 Prozent sind Wirtschafts-oder Armutsflücht-linge, die in Deutschland leben wollen, weil sie hoffen, daß es ihnen hier besser ergehen wird als in ihren Heimatländern. Das Motiv ist verständlich. Rechtlich gesehen sind sie jedoch -man verzeihe um der begrifflichen Klarheit willen das harte Wort -Asylbetrüger: Sie spiegeln, was ihre politische Verfolgung angeht, Tatsachen vor, die nicht der Wahrheit entsprechen, und sie tun das, um den deutschen Staat zu veranlassen, ihnen den Status des politischen Flüchtlings zuzuerkennen, mit dem das Recht, sich in Deutschland niederzulassen, sowie finanzielle Vorteile verbunden sind. Da die Flüchtlinge -unterstützt von Organisationen und Rechtsanwälten, die sich darauf spezialisiert haben-alle Rechtsmittel ausnutzen, dauert es lange, bis selbst in klarliegenden Fällen rechtskräftige Entscheidungen vorliegen, und auch dann ist nicht gesagt, daß die abgelehnten Asylbewerber Deutschland verlassen.

Dem geltenden Recht zufolge müßten zwar alle Flüchtlinge, deren Asylgesuch rechtskräftig abgelehnt ist und die auch keine Bleibegründe nach der Genfer Flüchtlingskonvention geltend machen können, in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Tatsächlich geschieht dies aber nur in vergleichsweise wenigen Fällen. Selbst wenn Straftäter nach der Verbüßung ihrer Strafe repatriiert werden sollen, finden sich immer wieder Gruppen, die dagegen vorgehen. So wurden z. B. abgelehnte Bewerber aus den Flugzeugen herausgeholt, die sie in ihre Heimat bringen sollten. Das Ergebnis dieser Aktionen besteht nun darin, daß Fluglinien, um solchen Ärgernissen zu entgehen, sich weigern, abgelehnte Asylbewerber zurück in ihre Heimat zu bringen.

Kann es wundernehmen, daß diese Lage in der Bevölkerung immer mehr als Skandal empfunden wird? Eine kürzlich angestellte Hochrechnung, die hier wiedergegeben sei, macht die Dimension sichtbar, um die es sich handelt Unterstellt man ein Anhalten der Zuwanderung -gegenwärtig kommt die Hälfte aller Asylbewerber in Europa nach Deutschland -, so wären bis Ende Dezember 240000 Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Davon müßten bei gleichbleibender Abschiebungspraxis 7200 das Land wieder verlassen; 218000, die rechtskräftig abgelehnt worden wären, würden hierbleiben. In fünf Jahren wären das über eine Million Menschen.

Das sind besorgniserregende Zahlen. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wenden sich weder gegen die Asylgewährung an politisch Verfolgte noch gegen den geregelten Zuzug anderer Ausländer. Was sie empört, ist der dauernde, sich ständig ausweitende Mißbrauch eines Grundrechts -bei dessen Entstehung nicht entfernt an die Möglichkeit des Eintritts einer solchen Situation gedacht worden war -und die anhaltende Duldung dieses Mißbrauchs. Der Staat verlangt von den Bürgerinnen und Bürgern, daß sie die Gesetze befolgen. Wo dies nicht der Fall ist, setzt er seine Zwangsmittel ein. Warum, so wird gefragt, ist das anders, wenn es sich um Asylbewerber handelt?

Besonders in den neuen Ländern fehlt dafür jedes Verständnis. Es kann natürlich nicht überraschen, daß sich das gesellschaftliche Bewußtsein in diesen Ländern längst nicht so bereitwillig den Ausländem öffnet, wie das in der alten Bundesrepublik der Fall ist. Für die Menschen in den neuen Ländern ist das Leben mit Ausländem eine ganz neue Erfahrung. Trotz der von oben verordneten „Völkerfreundschaft“ hatten die Menschen in der DDR mit Ausländem kaum Kontakt. Man hätte daher die Bürgerinnen und Bürger im östlichen Teil des vereinten Deutschlands behutsam auf das vorbereiten müssen, was in bezug auf die Asylbewerber von ihnen erwartet wurde. Als sie nach den Vorfällen in Hoyerswerda wegen des Beifalls, mit dem Herumstehende die Aktionen gegen das Asylantenwohnheim begleitet hatten, als Rassisten beschimpft wurden, sahen sie darin die Überheblichkeit von Menschen, deren Wohlstandsniveau sie den eigentlichen Problemen des Zusammenlebens mit Ausländem enthebt. Und mahnend machte der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe darauf aufmerksam, daß die Mißhandlung von Asylbewerbern kein spezifisches Ostproblem sei; schließlich sei der erste im Saarland umgebracht worden

IV. Die Politik ist gefordert

Bei der Asyl-und Ausländerproblematik hat die Politik zwei Optionen: Man kann sich für eine Politik der überparteilichen Zusammenarbeit entscheiden oder für eine solche des Streitens, bei der es darauf ankommt, dem Gegner die Verantwortung für das Nichtzustandekommen der Problemlösung aufzubürden, also den „Schwarzen Peter“ zuzuschieben. In der Regel gehört es zum politischen Spiel, daß die Opposition keinen Vorschlag der Regierung annehmen kann, ohne sich selbst in den Augen der Wähler zu schaden. Umgekehrt gilt das gleiche: Die regierende Partei oder Parteienkoalition hütet sich davor, auf Vorschläge der Opposition einzugehen, weil sie fürchtet, dann Wähler an die Opposition zu verlieren. Es gibt aber Situationen, in denen Probleme nur durch überparteiliche Zusammenarbeit gelöst werden können. Kommt es dazu nicht, dann hat den Schaden nicht eine einzelne Partei, sondern das politische System insgessamt, weil diesem das Vertrauen entzogen wird.

Es war daher ein richtiger Gedanke des Bundeskanzlers, die großen Parteien zu einem Gespräch einzuladen, bei dem ein Konsens wenigstens in der Asylfrage erzielt werden sollte. Die Ergebnisse, die im Kanzleramt beim „Asylgipfel“ am Oktober 1991 erzielt wurden 10, waren jedoch nur mager. Ein Berg kreißte, um ein Mäuslein zu gebären; so lautet die heute nahezu einhellige Meinung. Wenige Tage nach dem Gespräch im Kanzleramt setzte denn auch Ernüchterung ein. Die CDU/CSU-Fraktion kündigte an, zusätzlich zu den vereinbarten Maßnahmen im Bundestag den Antrag auf Änderung des Asyl-Artikels 16 des Grundgesetzes einzubringen. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag geben dem jedoch keine Chance. Es ist angesichts des Widerstandes von SPD und FDP nicht möglich, die für Verfassungsänderungen erforderliche Zweidrittel-Mehrheit zustande zu bringen.

Bei genauer, unvoreingenommener Betrachtung besteht andererseits kein Anlaß, die Vereinbarungen beim „Asylgipfel“ in Bausch und Bogen für ungeeignet zu erklären. Die dort beschlossene Unterbringung der Asylbewerber in Sammellagem dient nicht nur der Beschleunigung der Verfahren, sondern auch der Entlastung vieler Gemeinden von dem Zwang, Ausländer unterzubringen, was zur Beruhigung der Situation in den betroffenen Gemeinden führen wird. Die Maßnahme kann zugleich der Sicherheit der Asylbewerber zugute kommen. Die Polizei ist bei dezentraler Unterbringung der Flüchtlinge überfordert, wenn sie überall dort Schutz gewähren soll, wo sich Asylbewerber befinden. Wesentlich leichter ist die Aufgabe zu bewältigen, wenn die Asylbewerber zentral zusammengefaßt werden, etwa in leerstehenden Kasernen.

Zweifel bestehen allerdings an der Realisierung der Vereinbarungen. Gleich nach ihrem Bekanntwerden wurden nicht nur unzutreffende, aber öffentlichkeitswirksame Vergleiche mit Konzentrationslagern der NS-Zeit gezogen, sondern man muß auch damit rechnen, daß militante Protest-gruppen die Verlegung in Sammelunterkünfte als Anlaß für Aktionen nehmen, zumal wenn die Sammelunterkünfte in den neuen Bundesländern gelegen sind. Einen Vorgeschmack gaben die Vorfälle im Oktober und November 1991, die mit den Namen Greifswald, Neumünster und Norderstedt verbunden sind.

Hartnäckig wehrten sich Asylbewerber in Schleswig-Holstein gegen ihre Verlegung in eine Sammelunterkunft in Greifswald, weil sie dort ihre Sicherheit nicht für gewährleistet hielten. Das Hin und Her um diese Asylbewerber die zunächst nach Greifswald gebracht wurden, von dort spektakulär zurückkehrten, dann wiederum nach Greifswald fuhren, um erneut zurückzukehren, zeigte, wie geschickt bestimmte Gruppen der linken Szene es verstehen, die von Rechtsextremisten geschaffene Situation auszunutzen, indem sie einerseits als „Unterstützer“ bei Asylbewerbern Ängste schüren, andererseits aber in unheiliger Allianz mit Rechtsextremisten Krawalle und Widerstand inszenieren, um diese Ängste als begründet erscheinen zu lassen. Die zuständigen Minister in Kiel und Schwerin wollten in dieser Sache standhaft bleiben, weil sie erkannten, wohin es führt, wenn man den Asylbewerbern das Recht einräumt, ihren Verweilort selbst zu bestimmen. Es wurde aber deutlich, wie schwer es ist, eine einheitliche Linie durchzuhalten, wenn die Asylbewerber und ihre „Retter“ Unterstützung durch evangelische Kirchengemeinden erhalten. Das Zurückweichen vor lautstarkem Protest ist offensichtlich in einem solchen Maße üblich geworden, daß es großer Energie bedarf, um diesem zu widerstehen.

V. Entmythologisierung des Asylrechts

Als wenig realistisch erscheinen auch die weiteren im Kanzleramt getroffenen Vereinbarungen über die Beschleunigung des Asylverfahrens. Die beabsichtigte Verkürzung der Asylverfahren scheitert schon an fehlendem Personal. Eine Verstärkung würde einen haushaltsmäßigen Aufwand bedingen, den zu erbringen die Länder kaum bereit sein werden. Zudem erfordert die vorgesehene Straffung der gerichtlichen Verfahren Gesetzesänderungen, ebenso das vom „Asylgipfel“ gleichfalls beschlossene Programm flankierender Maßnahmen, das von der Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die erkennungsdienstliche Behandlung von Asylbewerbern bis zur Einschränkung der Geltendmachung der örtlichen Zuständigkeit der Entscheidungsinstanzen reicht. Nicht zu unterschätzen ist die taktische Kreativität der Asyl-Anwälte. Die Prüfung aber, ob und inwieweit die Zurückweisung von offensichtlich unberechtigten Asylbewerbern schon an der Grenze und die Ablehnung von Asylanträgen bei Vor-aufenthalt in oder Durchreise durch sichere Drittstaaten zulässig sind, wird ohnehin ergeben, wie begrenzt der gesetzgeberische Spielraum nach der derzeitigen Rechtslage ist.

An der Notwendigkeit, das Asyl-Grundrecht zu entmythologisieren, führt daher kein Weg vorbei. Das gilt um so mehr, als die Rechtsangleichung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft dazu zwingen wird, von dem deutschen Sonderweg im Asylrecht Abschied zu nehmen Der Vorstoß der Bundesregierung, der EG die Kompetenz in Asylrechtsfragen zu übertragen, ist zwar gescheitert. An der Notwendigkeit der Harmonisierung des europäischen Asylrechts ändert dies jedoch nichts.

Die Bundesregierung hat es lange versäumt -mit der Folge, daß in der Öffentlichkeit sich die Extreme wechselseitig hochschaukeln konnten -, im einzelnen darzulegen, welche Maßnahmen sie zur Eindämmung des Stroms der Asylbewerber treffen will So schien es oft, als ob die CDU/CSU-Fraktion eine nicht genau definierbare Ermächtigung erhalten wollte, wenn es ihr nicht überhaupt nur um das „Schwarze-Peter-Spiel“ ging, von dem oben die Rede war. Das Thema ist indessen zu ernst, als daß man es lediglich dazu benutzen könnte, um die politischen Kontrahenten als politikunfähig vorzuführen.

Die Gegner der Grundgesetzänderung müssen ihrerseits die Denkverbote aufheben, die mit der Tabuisierung des Asylgrundrechts bislang verbunden waren. Keine Verfassungsnorm ist Selbstzweck. Jedes Grundrecht, auch das Asyl-grundrecht, bedarf der rationalen Rechtfertigung. Die NS-Ära ist eine Zeit, die im gesellschaftlichen Bewußtsein nie vergehen darf. Die Erinnerung an Auschwitz und die Notwendigkeit, sie wachzuhalten, liefern jedoch keine hinreichenden Gründe, um das Asylrecht so mißbrauchen zu lassen, wie es derzeit in der Bundesrepublik geschieht.

VI. Politikversagen fördert Rechtsextremismus

Es ist richtig, wenn darauf hingewiesen wird, daß kulturelle und soziale Probleme bei der Ausländerproblematik eine Rolle spielen. Um Beispiele zu nennen: Seit den dreißiger Jahren waren in Deutschland keine herumziehenden Zigeuner, wie die Sinti und Roma seinerzeit genannt wurden, mehr anzutreffen. Jetzt sind sie, aus dem europäischen Südosten kommend, in großer Zahl wieder aufgetaucht, und ihre Kinder werden zum organisierten Betteln auf den Straßen und Bahnhöfen oder gar zum Diebstahl angehalten -ein Kindesmißbrauch schlimmer Art, der eigentlich die Jugendämter beschäftigen müßte. Kann man da überrascht sein, wenn dies in Ost und West weniger als folkloristische Bereicherung denn als Belästigung empfunden wird, ganz abgesehen von dem Verdruß, den die Stadtverordneten mit den Sinti und Roma haben, wenn sie sich in ihren Städten oder in deren Nähe niederlassen. Es dürfte genügen, an die Reaktionen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen zu erinnern.

Auch der starke Anteil von Ausländern an bestimmten Kriminalitätsformen -vor allem der zunehmenden Bandenkriminalität -sollte nicht als irrelevant abgetan werden. In Berlin sorgen vor allem die Polen für Beunruhigung, dazu die meist aus Ausländern bestehenden kriminellen Organisationen, die hier ähnlich wie in Frankfurt am Main als Dealer am Rauschgifthandel maßgeblich beteiligt sind. Für Hessen hat der Direktor des Landeskriminalamts festgestellt, daß Ausländer -gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung -an der Kriminalität im Vergleich zu den Deutschen ungefähr doppelt so stark beteiligt sind. Das gesamte Bundesgebiet erfaßt die Polizeistatistik des Bundeskriminalamts. Danach waren bei 26, 7 Prozent der Straftaten im Jahre 1990 Nichtdeutsche der Tat verdächtig. Bei Mord und Totschlag waren Ausländer mit 27, 6 Prozent beteiligt, bei Vergewaltigungen mit 32, 6, bei Raub mit 35, 5, bei Urkundenfälschungen mit 50, 7, bei Schmuggel und Handel mit Drogen zu 32, 5 Prozent. Auch wenn zu bedenken ist, daß Tatverdacht keineswegs stets zu gerichtlicher Verurteilung führt, sind dies Zahlen, die nicht einfach vom Tisch gewischt oder als multikulturelle Besonderheit in Kauf genommen werden können. (Wie stark persönliche Betroffenheit die Einstellung zu Ausländern beeinflußt, läßt sich beobachten, wenn die Kinder von Eltern, die sich bis dahin als betont ausländerfreundlich verstanden haben, in Schulen geraten, die überwiegend Ausländer als Schüler haben. Dann sorgen sich die Eltern über das niedrige Niveau in solchen Schulklassen und schicken ihre Kinder alsbald auf Schulen, die von weniger oder gar keinen Ausländern besucht werden.

Ein weiterer Faktor sind die Kosten, die der Aufenthalt der illegal Zugewanderten verursacht. Man hat ausgerechnet, daß die Länder und Gemeinden derzeit acht Mrd. DM an Sozialhilfe und anderen Mitteln für Menschen ausgeben, die sich zum größten Teil unberechtigt in Deutschland aufhalten Das ist eine Menge Geld selbst für einen wohlhabenden Staat, in dem jedoch die Finanzierungsengpässe in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen sowie die Staatsschulden insgesamt z. T. bereits die Grenze des Verantwortlichen überschritten haben. Seit der Wiedervereinigung müssen alle Deutschen die Gürtel enger schnallen. Die Notwendigkeit, viele Milliarden in den Aufbau der neuen Bundes-länder zu stecken, wird anstandslos akzeptiert. Ebensowenig werden die Erfüllung der gegenüber der Sowjetunion eingegangenen Verpflichtungen oder die Hilfeleistungen an osteuropäische Länder in Frage gestellt. Der Steuerzahler kann jedoch nicht verstehen, weshalb er viele Jahre lang für den Unterhalt solcher Ausländer aufkommen soll, die mangels politischer Verfolgung weder einen Anspruch auf Asyl haben noch unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen.

Zur Demokratie gehört, daß die Sorgen der Regierten von den Regierenden ernst genommen werden. Geschieht das nicht, so hat das im Volk Enttäuschung, Verdrossenheit und Unwillen über Politik und Politiker zur Folge; des weiteren muß den Menschen glaubhaft erklärt werden, warum sie die Belastungen auf sich nehmen müssen. Fehlt es auch daran, weil überzeugende Argumente nicht zur Verfügung stehen, kann sich die Verdrossenheit bis zum Aufbegehren steigern.

Macht man sich dies klar, so wird einsichtig, wie verfehlt es ist, wenn die von vielen wahrgenommenen ungelösten Probleme der Asyl-und Ausländerpolitik in einen angeblichen „Ausländerhaß“ umgedeutet werden und Volksbeschimpfung an die Stelle rationaler Argumentation tritt. Wer die große Mehrheit des Volkes für rückständig, vorurteilsbefangen und sogar rassistisch erklärt, anstatt sich mit den Gründen für den Unmut auseinander-zusetzen, treibt die Bevölkerung, die sich zu Unrecht abgekanzelt fühlt, geradewegs in die Arme solcher Parteien, die versprechen, hier einen Wandel zu schaffen.

In Österreich profitieren davon Haider und die FPÖ, in Frankrich Le Pen und seine Partei. In Deutschland überwiegt (noch) die Neigung, der sich von den Sorgen der Bürger abhebenden politischen Klasse einen „Denkzettel“ zu verpassen -sei es durch Stimmverzicht, sei es im Wege der Protestwahl. Die Zunahme des Stimmengewichts rechtsradikaler Parteien und Gruppen sollte jedoch zu denken geben.

VII. Geregelte Immigration als Antwort auf die Wanderungsbewegung

Die Asylproblematik ist nur ein Segment der Ausländerpolitik. Daß sie gelöst wird, ist -so, wie die Dinge liegen -jedoch die Voraussetzung für Fort-B schritte in der Ausländerpolitik. Solange das Asylrecht als Vehikel für unkontrollierte Einwanderung mißbraucht werden kann, belastet dies die Ausländerpolitik. Das ändert sich jedoch, wenn das Asylgrundrecht, wie hier vorgeschlagen, auf seine Zweckbestimmung zurückgeführt wird und nur noch tatsächlich Verfolgte in Deutschland Asyl erhalten. Dann kann eine vernünftige Einwanderungspolitik zum Zuge kommen, an der es bislang fehlt.

Alle Prognosen über die erwartete große Wanderungswelle aus Ost-und Südeuropa leiden darunter, daß sie hypothetisch sind. Die Angaben über Zahlen, die auf Schätzungen beruhen, schwanken derart, daß man sie nur mit Vorsicht betrachten kann. Keine Zweifel können jedoch darüber bestehen, daß die Herausforderung dramatisch sein wird. Deutschland trägt die Hauptlast des Wanderungsdruckes aus Mittel-und Osteuropa einschließlich der zerfallenden Sowjetunion. Will man die Ursachen aufspüren, so ist Differenzierung angebracht.

Zu einem erheblichen Teil beruht der Wanderungsdruck auf der Unterdrückung nationaler Minderheiten. Von den etwa 450000 Flüchtlingen aus den Republiken der ehemaligen Sowjetunion kamen etwa 145 000 in kurzer Zeit nach Deutschland mit weiteren Hunderttausenden ist zu rechnen. Insgesamt leben drei Millionen Deutsche in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sowie Mittel-und Osteuropas. Die neue Freizügigkeit bietet den Minderheiten den Ausweg der Flucht in die alte Heimat, aus der ihre Vorfahren einst ausgewandert sind. Die Bundesrepublik Deutschland bemüht sich mit Nachdruck um Gewährleistung der Pflege von Sprache und Kultur der deutschen Minderheiten. Auf die individuellen Menschenrechte konzentriert, hat die außerordentliche Ministerkonferenz des Europarates am 24725. Januar 1991 dem Volksgruppenproblem noch nicht die erforderliche Beachtung geschenkt. Erfreulicherweise ist es jedoch gelungen, in den mit Polen ausgehandelten Nachbarschaftsvertrag beispielhafte Schutzklauseln für Minderheiten aufzunehmen. Das Ziel sollte ein kodifiziertes gesamteuropäisches Volksgruppenrecht sein. Wenn sich in dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag beide Teile verpflichtet haben die Minderheiten und gleichgestellte Gruppen als Brücken zwischen den Völkern zu behandeln, so ist dies ein beachtlicher Schritt nach vorn. Es ist allerdings darauf zu achten, daß die Rechte der Minderheiten nicht nur auf dem Papier stehen, sondern in die Realität umgesetzt werden.

Was hier für die deutschen Minderheiten gesagt ist, gilt für alle Minderheiten. Die Staaten Europas werden nicht zur inneren Befriedung kommen, wenn sie nicht den in ihren Grenzen lebenden nationalen Minderheiten die Pflege von Sprache und Volkstum erlauben und ihnen kulturelle und politische Autonomie gewähren.

Von noch größerer Bedeutung für die neue Völkerwanderung dürfte aber die Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse sein, vor allem die Armut. Die darin begründete Fluchtbewegung, die weltweiten Maßstab hat, kann nur gestoppt werden, wenn es gelingt, die Lebensverhältnisse in den Herkunftsländern mit Mitteln der Wirtschaftshilfe zu verbessern. Denn nur dann ziehen die Flüchtlinge ein Leben daheim dem ungewissen Schicksal in der Fremde vor, wenn ihnen die Überzeugung oder wenigstens Hoffnung vermittelt werden kann, daß es im eigenen Land wirtschaftlich bergauf geht.

Es ist das Kennzeichen beider Strategien, daß sie langfristig angelegt sind und keine schnellen Erfolge versprechen. Die Problematik ist jedoch so bedrängend, daß man keineswegs allein auf Wirkungen setzen darf, die erst in weiter Zukunft eintreten können. Eine Abstimmung zwischen den Staaten Europas über hic et nunc zu treffende Maßnahmen ist unumgänglich, wobei das Ziel die Entwicklung eines gesamteuropäischen Einwanderungskonzepts sein sollte. Das Schengener Abkommen von 1985 sieht den Abbau der Grenzen zwischen den Unterzeichnerstaaten bereits mit dem Inkrafttreten des Gemeinsamen Marktes zu Beginn des kommenden Jahres vor. Da die damit einhergehende Verschärfung der Außengrenzen durch Grenzkontrollen kaum geeignet ist, den Zustrom von Immigranten zu unterbinden, wird die Entwicklung eines europäischen Einwanderungskonzeptes noch dringlicher, als dies ohnehin bereits der Fall ist.

Allein mit Schlagwörtern wie „Das Boot ist voll!“ zu operieren, macht wenig Sinn. Es ist illusorisch zu glauben, daß eine Abschottung Deutschlands vor den Flüchtlingsströmen auf Dauer möglich ist. Solange noch Zeit dafür verbleibt, sollte vielmehr an einem Konzept gearbeitet werden, daß das Unvermeidliche nicht nur als Faktum anerkennt, sondern den Zuzug der Immigranten für beide Seiten vorteilhaft macht. Das bedeutet die Favorisierung eines Konzepts, das sich nicht gegen die Einwan19 derung sperrt, aber sie begrenzenden Regelungen unterwirft. Eine solche Kontingentierung oder Quotierung wird sogar in den traditionellen Einwanderungsländern USA, Kanada und Australien praktiziert. Ihre Einführung in Deutschland sollte um so leichter fallen, als sich die Anzeichen mehren, daß die Zeit der Glaubenskriege in der Ausländerpolitik vorbei ist und endlich die Probleme selbst in den Blick genommen werden.

Richard von Weizsäcker hatte Unrecht, als er verlangte, das brisante Thema der Asyl-und Immigrationspolitik aus Wahlkämpfen herauszuhalten. Die Asyl-und Ausländerpolitik gehört zu den politisehen Themen, die unser Land und seine Bewohner vor allen anderen beschäftigen. Wozu aber braucht man Wahlkämpfe, wenn die Parteien, die um die Stimme des Wählers werben, darauf verzichten sollen, selbst in solchen wichtigen Fragen, von deren Beantwortung Gegenwart und Zukunft abhängen, Position zu beziehen? Der Bürger kann eindeutige Auskünfte verlangen, bevor er seine Stimme abgibt. Zustimmung verdient der Bundespräsident jedoch für sein Eintreten für eine Einwanderungspolitik, deren Perspektiven durch Kontingentierung und Quotierung festgelegt werden Eine solche Politik, die die Beseitigung des Asylmißbrauchs voraussetzt, widerspricht zwar dem bis zur Ermüdung wiederholten Stereotyp, wonach die Bundesrepublik kein Einwanderungsland ist. Dessen Gebrauch aber ist längst ideologisch geworden und sollte deshalb vernünftigen Problemlösungen nicht länger im Wege stehen

Der Zuzug deutschstämmiger Ausländer könnte und müßte bei einer solchen Ausländerpolitik der Kontingentierung ebenso unterworfen werden wie sich eine Anrechnung der Flüchtlinge, die als politisch Verfolgte anerkannt worden sind, auf die Quote des kommenden Jahres empfiehlt Im Moment sind dies allerdings sekundäre Fragen. Um die Ausländerpolitik aus ihrer Sackgasse herauszuführen, ist entscheidend, daß der derzeitige, sich jeder politischen Kontrolle entziehende Wild-wuchs durch eine geregelte Immigration ersetzt wird. Nur auf diesem Wege kann in der Asyl-und Ausländerproblematik die Krankheit überwunden werden, die als Politikversagen infolge mangelnder Entschlußkraft zu definieren ist.

Resümierend kann festgestellt werden, daß Kampagnen gegen Ausländerhaß das Problem nicht aus der Welt schaffen; sie sind sogar kontraproduktiv, wenn sie als pauschale Verunglimpfung eines Volkes in Erscheinung treten, das beachtliche Leistungen zur Ausländerintegration erbracht hat, das aber bezweifelt, daß die Duldung des Asylmißbrauchs eine zureichende politische Antwort auf die Herausforderung durch die im Gang befindliehe Völkerwanderung ist. Noch haben die Parteien der Mitte in Deutschland eine Chance, das verlorengegangene Vertrauen durch rasche, problemlösende Politik wiederzugewinnen. Bald jedoch könnte es dafür zu spät sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Nach Mitteilung von Innenstaatssekretär Hans Neusei vor dem Innenausschuß des Bundestages wurden bis Ende September 1991 bereits rund 500 Anschläge auf Asylbewerber und deren Unterkünfte registriert, vgl. Frankfurter Rundschau vom 10. Oktober 1991, S. 4.

  2. Vgl. dazu und zum Folgenden die Angaben bei Ute Knight/Wolfgang Kowalsky, Deutschland nur den Ausländem? Die Ausländerfrage in Deutschland, Frankreich und den USA, Erlangen-Bonn-Wien 1991, S. 55 ff.

  3. Vgl. Rainer Zitelmann, Wir sind doch gar nicht so schlimm, in: Rheinischer Merkur vom 22. November 1991, S. 6.

  4. U. Knight/W. Kowalsky (Anm. 2), S. 24.

  5. Vgl. U. Knigth/W. Kowalsky (Anm. 2), S. 12.

  6. Vgl. ebd., S. 50ff. Nach einer ZDF-Umfrage im Oktober 1991 finden es 60 Prozent normal, mit Ausländem zusammenzuleben. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 4. November 1991, S. 3.

  7. Es wird oft übersehen, daß abgelehnten Asylbewerbern vielfach der Abschiebungsschutz des Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention zugute kommt, weil im Herkunftsland Leben oder Freiheit wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bedroht sein würde. Die Rechtsprechung gewährt darüber hinaus häufig Schutz vor Abschiebung, wenn im Heimatland Menschenwürde, Freiheit, Leben oder körperliche Unversehrtheit bedroht sind.

  8. Vgl. Hans-Jürgen Leersch, Asyldiskussion -und kein Ende?, in: Das Parlament vom 25. Oktober 1991, S. 3.

  9. Die Quote der ausländerbezogenen Brandanschläge liegt nach den Feststellungen des Bundeskriminalamts in den neuen Ländern, bezogen auf die Einwohnerzahlen, nur wenig höher als in den alten Ländern; vgl. FAZ vom 15. November 1991, S. 5.

  10. Vgl.den Wortlaut des gemeinsamen Papiers, in: FAZ vom 11. Oktober 1991, S. 2.

  11. Vgl.den Bericht von Karsten Plog in: Der Tagesspiegel vom 10. November 1991, S. 3.

  12. Dazu der Vizepräsident der EG-Kommission Martin Bangemann, Der Feind des Guten ist das Gutgemeinte, in: Frankfurter Rundschau vom 18. Oktober 1991, S. 6.

  13. Die Tagung der Staats-und Regierungschefs der EG am 28. und 29. Juni 1991 in Luxemburg hatte sich im Bereich der Einwanderung und des Asylrechts mit den Zielen einverstanden erklärt, die den von Bundeskanzler Kohl vorgetragenen deutschen Vorschlägen zugrunde lagen; vgl. Bulletin des Presse-und Informationsamts der Bundesregierung Nr. 78, S. 627f. Die seitherige Entwicklung läßt keinen Zweifel, daß anstelle einer gemeinschaftlichen Politik weiterhin eine Harmonisierung der Flüchtlingspolitik auf dem Wege zwischenstaatlicher Zusammenarbeit betrieben werden muß; vgl. Michael Stabenow, Auf dem alten Pfade der zwischenstaatlichen Politik? Die EG und die Flut der Flüchtlinge, in: FAZ vom 9. November 1991, S. 5.

  14. Vgl. das Interview mit Wolfgang Schäuble, in: Die WELT vom 2. September 1991, S. 5.

  15. Vgl. H. Leersch (Anm. 8).

  16. Vgl. Jasper von Altenbockum, Die Flucht vor dem Unbekannten, in: FAZ vom 9. November 1991, S. 5.

  17. Vgl. Bulletin des Presse-und Informationsamts der Bundesregierung Nr. 68, S. 542, 544 (Art. 20 ff.des Vertrages).

  18. Vgl. Richard von Weizsäcker in einem ZDF-Interview, in: „Bonn direkt“ vom 10. November 1991. Inzwischen hat sich auch Willy Brandt in einem Interview für Quoten ausgesprochen, in: Die WELT vom 18. November 1991, S. 4.

  19. Vgl. Ulrich Reitz, Einwanderungsland: Das langsame Ende eines Tabus, in: Die WELT vom 18. November 1991, S. 2.

  20. Für die Feststellung von Aussiedlerquoten setzt sich auch Hans-Dieter Schwind ein; vgl.dessen Interview, in: Neue Osnabrücker Zeitung vom 12. Oktober 1991, S. 2.

  21. Vgl. U. Reitz (Anm. 19).

Weitere Inhalte

Rudolf Wassermann, Dr. jur., geb. 1925; Oberlandesgerichtspräsident a. D.; studierte Rechtswissenschaft, Philosophie und Soziologie in Halle (Saale) und an der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Politisch motivierte Gewalt in der modernen Gesellschaft, Hannover 1989; Die Zuschauerdemokratie, München 1989; Auch die Justiz kann aus der Geschichte nicht aussteigen, Baden-Baden 1990; Ein epochaler Umbruch -Probleme der Wiedervereinigung, Asendorf 1991.