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Schauprozesse und Parteisäuberungen in Osteuropa nach 1945 | APuZ 37-38/1996 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 37-38/1996 Der Volksaufstand in Ungarn 1956. Eine Nation wehrt sich gegen die sowjetische Diktatur Stalinistischer Terror. Genese und Praxis der kommunistischen Gewaltherrschaft in der Sowjetunion 1917-1953 Sowjetische Hegemonie und Kommunismus in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg Schauprozesse und Parteisäuberungen in Osteuropa nach 1945

Schauprozesse und Parteisäuberungen in Osteuropa nach 1945

Ulrich Mahlert

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Zusammenfassung

Innerparteiliche Säuberungen und politische Schauprozesse zählten zu den zentralen Terror-und Herrschaftsinstrumenten in den kommunistischen Diktaturen der Vor-und Nachkriegszeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten diese Maßnahmen sowohl außenpolitische wie innenpolitische Dimensionen. Stalin bediente sich dieser Instrumente, um die „Sowjetisierung“ Osteuropas voranzutreiben. Innenpolitisch beschleunigten die Schauprozesse und Parteisäuberungen den Transformationsprozeß der heterogenen Arbeiterparteien der Nachkriegszeit zu totalitären kommunistischen „Parteien Neuen Typs“. Im Verlauf dieses äußerst gewaltsamen Transformationsprozesses liquidierten die aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten kommunistischen Parteiführer konkurrierende Gruppen innerhalb des Parteiapparates. In bezug auf die Mitgliedschaft der Parteien hatten die Säuberungen vier wesentliche Funktionen zu erfüllen: Parteireinigung, Kaderentwicklung, Mitgliedererziehung und Mitgliedermobilisierung. Auf diese-Weise sollten die -zumeist ideologisch verursachten -Funktionsdefizite in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft der frühen „Volksdemokratien“ überwunden werden. Die „Hexenjagd“ riß Anfang der fünfziger Jahre immer weitere Kreise der Partei in ihren Strudel. Erst mit Stalins Tod. im Frühjahr 1953, ebbte dieser Prozeß der Selbstzerstörung ab.

Wie in allen Diktaturen zählten politische Verfolgungen auch in kommunistischen Staaten zu den zentralen Herrschaftsinstrumenten. Die innerparteilichen Säuberungen im Stalinismus waren jedoch eine Besonderheit. Sie stellten bereits zwei Jahrzehnte nach der Oktoberrevolution eine feste Größe in der kommunistischen Parteipraxis dar. Zwischen den dreißiger und fünfziger Jahren weiteten sie sich zur größten Kommunistenverfolgung in der Geschichte dieser politischen Bewegung aus.

Der Gebrauch des Begriffes „Säuberung“ im Sinne eines mehr oder minder systematischen Ausschlusses politisch Unerwünschter aus einer Partei, Organisation oder dem Staatsapparat ist im Westen erst seit dem entsprechenden Vorgehen Stalins in der Sowjetunion der dreißiger Jahre üblich. Er wird seither auch auf die gleichgerichteten politischen Prozesse im sowjetischen Machtbereich nach 1945 angewandt Ursprünglich verstand man in der kommunistischen Parteitheorie unter einer Parteisäuberung die in unregelmäßigen Abständen erfolgende Bereinigung der Mitglieder-kartei durch das Streichen passiver Anhänger und den Ausschluß von Karrieristen, der Korruption Verdächtigten etc. Die erste Parteisäuberung fand 1921 in der Kommunistischen Partei Rußlands statt. Seit der Oktoberrevolution hatte sich deren Mitgliederzahl mehr als verdreifacht. Im Rahmen dieser Kontrolle trennte sich die Partei von rund einem Fünftel ihrer Mitglieder

Dominierten zunächst noch „unpolitische“ Ausschlußgründe, rückten bald tatsächliche oder vermeintliche Abweichungen von der Parteilinie in den Vordergrund. Mit dem seit 1920 aufgebauten Netz von Parteikontrollkommissionen entledigte sich die Parteiführung in den zwanziger Jahren der linken und rechten parteiinternen Opposition

Nachdem Stalin Anfang der dreißiger Jahre seine Vorherrschaft in der Partei ausgebaut hatte, erlangten die Säuberungen eine neue, tödliche Dimension. Zwischen 1934 und 1938 ließ der Diktator einen Großteil der alten Parteielite liquidieren. Dabei bildeten die drei großen Schauprozesse, die zwischen 1936 und 1938 gegen die einstige Führungsgarde stattfanden, nur die Spitze des Eisbergs. Zwischen 1933 und 1939 ging die Zahl der KPdSU-Mitglieder von 3. 5 Millionen auf 1, 6 Millionen zurück. Ungezählte sowjetische Bürger wurden in diesem Zeitraum hingerichtet oder verloren in den Arbeitslagern ihr Leben Der Terror richtete sich auch gegen ausländische Kommunisten, die im „Vaterland aller Werktätigen“ vor dem Nationalsozialismus und Faschismus Zuflucht gesucht hatten Mit dem von ihm entfesselten Terror vermochte es Stalin, sowohl in der Sowjetunion als auch in der internationalen kommunistischen Bewegung seine Alleinherrschaft durchzusetzen.

Beginn des Kalten Krieges: Vom Konsens zur Konfrontation

Die osteuropäischen Staaten sahen sich nach dem Zweiten Weltkrieg drei politischen Säuberungswellen ausgesetzt. In der unmittelbaren Nachkriegszeit fand zunächst die „Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration“ statt. Diese erste Phase ging bald in eine gegen die traditionellen Funktionseliten instrumentalisierte politische Säuberung über. Sie erleichterte es den kommunistischen Parteien, ein Gesellschaftsmodell nach sowjetischem Vorbild zu etablieren Die dritte Phase der Säuberungen betraf die kommunistischen Parteien selbst. Sie soll hier erörtert werden Nach außen kulminierte sie in den Schauprozessen gegen hohe Parteifunktionäre, die ab September 1949 die kommunistische Welt erschütterten

Die Sowjetunion war im Gefolge des Zweiten Weltkrieges zur Weltmacht aufgestiegen. Der Siegeszug des Kommunismus schien unaufhaltsam. Zunächst mit Billigung der westlichen Kriegsalliierten errichtete Moskau in Osteuropa einen Gürtel befreundeter Staaten. Dort hielten Kommunisten von Beginn an starke Positionen inne. Die einst militanten Gegner einer als „bürgerlich“ denunzierten Demokratie schienen ihre politischen Ziele auf parlamentarischem Wege verwirklichen zu wollen. Doch der politische Frühling in Osteuropa sollte nicht lange währen. Zwei Jahre nach Kriegsende hatte sich die Anti-Hitler-Koalition überlebt. Ein kaum noch kaschierbarer Riß trennte die einstigen Verbündeten. Falsche Erwartungen und Fehleinschätzungen hatten zu dem wechselseitigen Vorwurf geführt, die jeweils andere Seite verfolge eine expansive Außenpolitik.

Im März 1947 proklamierten die USA die Truman-Doktrin. Sie sicherte jenen Völkern Beistand zu, „die sich der Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch Druck von außen widersetzen“. Schließlich erfolgte drei Monate später die Ankündigung des Marshallplanes. Die sowjetische Außenpolitik reagierte mit einem abrupten Kurswechsel, der in der Herausbildung des Ostblocks und schließlich im Kalten Krieg mündete. Im Herbst 1947 verkündete Andrej Shdanow die Zwei-Lager-Theorie. Der zufolge habe sich in der Welt ein „imperialistisches“ und „antidemokrati­ sches“ Lager unter der Führung der USA sowie ein „antiimperialistisches“ und „demokratisches“ mit der Sowjetunion an der Spitze herausgebildet

Doch eine Interpretation, welche die von der Sowjetunion seit Sommer 1947 forcierte Blockbildung im wesentlichen als eine Reaktion auf eine offensivere Politik der Westmächte versteht, würde zu kurz greifen. Kaum ein Jahrzehnt war seit dem „großen Terror“ vergangen, mit dem sich Stalin nicht nur jeglicher parteiinterner Rivalen entledigte, sondern auch die internationale kommunistische Bewegung endgültig gleichzuschalten trachtete. Da mehrten sich die Anzeichen, daß die „Bruderparteien“ nach wie vor nicht ohne weiteres gewillt waren, sich -bei aller prinzipieller Übereinstimmung -dem Moskauer Zentrum bedingungslos unterzuordnen Stalin selbst war es, der diesen Tendenzen ideologisch Vorschub geleistet hatte. Mit seiner Billigung waren alle kommunistischen Parteien nach Kriegsende unter der Losung der „besonderen Wege zum Sozialismus“ angetreten. Angesichts der neuen alten Sorge der Sowjetunion, von ihr feindlich gesonnenen Mächten umgeben zu sein, die zudem über ein Atombombenmonopol verfügten, erschien dem Kreml die Gleichschaltung des eigenen Herrschaftsbereichs geboten.

Blockbildung: Vom Kominform zum Stalin-Tito-Konflikt

Die Gründung des Kommunistischen Informationsbüros (Kominform) im polnischen Szklarska Poreba im September 1947 leitete die politisch-ideologische Blockbildung ein. Der Zusammenschluß kommunistischer Parteien unter der Führung der KPdSU sollte dem Moskauer Führungsanspruch sowohl außerhalb als auch innerhalb des kommunistischen Lagers den Nimbus der Übereinstimmung mit der kommunistischen Weltbewegung verleihen. Gleichzeitig gab er das Signal zur Beschleunigung jenes Transformationsprozesses in Osteuropa, der die Grundlage für den Aufbau der -euphemistisch wie pleonastisch als „Volksdemokratien“ bezeichneten -kommunistischen Diktaturen schuf. In dessen Verlauf erfolgten die Säuberung und Gleichschaltung der nichtsozialistischen Regierungsparteien, die Auflösung der Oppositionsparteien sowie die endgültige Zerschlagung der Sozialdemokratie. Zwischen Sommer 1947 und Frühjahr 1948 erfolgte teilweise staatsstreichartig die kommunistische Machtübernahme. Zur gleichen Zeit begann mit der Einführung der Planwirtschaft die ökonomische Einbindung der osteuropäischen Staaten in den Machtbereich der Sowjetunion. Ein vor allem im Verlauf des Jahres 1948 geknüpftes Netz von bilateralen Verträgen dokumentierte die Herausbildung des Ostblocks auch staatsrechtlich

Das Bild des monolithischen kommunistischen Blocks, den die osteuropäischen Staaten nach außen hin zu formen begannen, war jedoch trügerisch. Es bekam einen jähen Riß, als das Kominform-Büro im Juni 1948 die jugoslawischen Kommunisten öffentlich der Abweichung bezichtigte. Die von Stalin initiierte Attacke war als exemplarische Abrechnung mit jeglicher Tendenz zu nationaler Selbstbehauptung innerhalb der kommunistischen Bewegung gedacht. Dies schien angesichts der „Schwankungen“ einiger osteuropäischer Staaten in der Frage der von Moskau diktierten Ablehnung des Marschallplanes im Vorjahr dringend geboten. Auch hatten die selbstbewußten Hegemoniebestrebungen Jugoslawiens auf dem Balkan das Mißtrauen Stalins erregt. Als sich die jugoslawische Parteiführung der Kominform-Resolution nicht unterordnete, eskalierte die Auseinandersetzung. Aggressiv und eilfertig verurteilten die osteuropäischen „Bruderparteien“ Tito. Dennoch drohte der Sowjetunion ein Autoritätsverlust, denn das Schisma gefährdete auch die ideologische Hegemonie der Führungsmacht. Schließlich schickte sich Tito an, den Sozialismus in Jugoslawien ohne sowjetische Hilfe aufzubauen. Moskau mußte die „antititoistische“ Kampagne daher mehr und mehr verschärfen. Der bereits im Sommer 1948 propagierte Verrat Titos am Sozialismus, welcher offenkundig nicht stattfand, mußte nachträglich konstruiert werden

Die „Partei Neuen Typs“

Die Truman-Doktrin und der Marshallplan bildeten für den Prozeß der osteuropäischen Blockbildung die äußere Zäsur. Der von Stalin inszenierte Konflikt mit Tito sollte sich als die entscheidende innere Zäsur für die Gleichschaltung der osteuropäischen Staatsparteien erweisen. Die Moskauer Führung widerrief die Theorie von der Existenz nationaler Sonderwege zum Sozialismus. Das sowjetische Modell wurde für allein gültig erklärt. Dies hatte für die kommunistischen Parteien Ost-europas weitreichende Konsequenzen.

Im Verlauf des Jahres 1948 war die zwangsweise Einschmelzung der sozialdemokratischen in die kommunistischen Parteien erfolgt, die allein in der SBZ bereits 1946 vollzogen worden war. Spätestens jetzt hatten sich diese Parteien an der Basis sowohl in sozialer als auch in ideologischer Hinsicht zu heterogenen sozialistischen Massen-parteien entwickelt. Dies entsprach so gar nicht dem Ideal einer marxistisch-leninistischen Kampfpartei. Unmittelbar nach Kriegsende hatten die kommunistischen Parteien zur Erringung und -zumindest ansatzweisen -Legitimation ihrer beherrschenden Stellung möglichst viele Mitglieder benötigt. Dabei konnte das „ideologische Niveau“ der Parteien mit deren rasantem organisatorischen Wachstum nicht Schritt halten. Für eine Einparteienherrschaft nach sowjetischem Vorbild bedurfte es jedoch einer streng zentralisierten Partei, deren Mitglieder mit militärischer Disziplin jeden Parteiauftrag bedingungslos erfüllten. So wurde die Transformation der osteuropäischen Staatsparteien zu „Parteien Neuen Typs“ (nach dem Vorbild der KPdSU) eine wesentliche Voraussetzung für die Sowjetisierung Osteuropas.

In den „Parteien Neuen Typs“ konzentrierte sich die politische Macht im Politbüro und im Sekretariat des Zentralkomitees. Der „demokratische Zentralismus“ wurde offiziell zur Grundlage des Parteiaufbaus erhoben, und die Einführung des „Nomenklatursystems“ institutionalisierte die bereits praktizierte Besetzung der Parteifunktionen von oben nach unten. Das „Fraktionsverbot“ würgte die innerparteiliche Diskussion ab. Die auf allen Ebenen neu eingerichteten Parteikontrollkommissionen organisierten den Kampf gegen den „Sozialdemokratismus“, den „Titoismus“ oder „Nationalismus“ in der Mitgliedschaft. Sie suchten und fanden „ungeeignete“ und „unwürdige“ Mitglieder, „Agenten“ und „Saboteure“, die aus der Partei ausgeschlossen und nicht selten dem „Schwert und Schild“ der Partei, dem Staatssicherheitsdienst, überantwortet wurden.

Die Schauprozesse und ihre Opfer

Der Stalin-Tito-Konflikt verlieh diesem Transformationsprozeß zusätzliche Militanz: Er gipfelte abermals in der Verhaftung hoher Parteifunktionäre. Die sowjetischen Schauprozesse der dreißiger Jahre erlebten im September 1949 in Ungarn und drei Monate später in Bulgarien eine Neuauflage. In den Moskauer Prozessen saß letztlich der im Exil lebende Trotzki auf der Anklagebank. Die Nachkriegsprozesse gegen den ungarischen Innenminister und Mitglied des Politbüros, Läszlö Rajk, und gegen den bis dahin zweiten Mann in der bulgarischen KP, Traitschko Kostow, richteten sich im Grunde gegen Tito. Stets „bewiesen“ die Angeklagten, daß weder Trotzki noch Tito je Kommunisten waren. Aus Tito wurde in den Geständnissen der gefolterten Parteiführer ein „anglo-amerikanischer“ Agent und „Faschist“ Die Aussagen „dokumentierten“ zudem eine großangelegte „titoistische Verschwörung“ und Unterwanderung der kommunistischen Bewegung. Dieser Vorstellung leistete nicht zuletzt die vermutlich auch aus der eigenen politischen Praxis abgeleitete Unterwanderungsparanoia Vorschub, die in Stalins „Kurzem Lehrgang“ ihren Ausdruck fand: „Festungen werden am leichtesten von innen genommen. Um den Sieg zu erringen, muß man vor allem die Partei der Arbeiterklasse, ihren führenden Stab von Kapitulanten, von Deserteuren, von Streikbrechern, von Verrätern säubern.“ Die Opfer in den Moskauer Prozessen hatten zumindest in der Vergangenheit eine von Stalin abweichende politische Haltung repräsentiert. Demgegenüber waren Rajk und Genossen keine Bucharins oder Sinowjews der Nachkriegszeit. Der Zeitzeuge und Historiker Georg Hermann Hodos warnt davor, den Angeklagten „titoistische Neigungen“ anzudichten oder sie als dezidierte „Nationalkommunisten“ zu stilisieren. Dies sei nicht nur eine völlige Verkennung ihrer Persönlichkeit und ihrer politischen Rolle. Zudem drohe auch ein falscher Analogieschluß zu den dreißiger Jahren, „der, zu Ende gedacht, zu einer perversen Rechtfertigung der Henker führt: Die Opfer waren verdächtig, sich Stalin widersetzen zu wollen, also mußten sie rechtzeitig liquidiert werden.“ Dennoch kann man nicht von einer gänzli--chen Beliebigkeit der Opferauswahl sprechen. Dies würde den Blick auf die in den osteuropäischen Parteien damals noch bestehenden Kräfte-konstellationen verstellen.

Zweifellos gab es Ende der vierziger Jahre in diesen Parteien Strömungen, die für ein Minimum an nationaler Selbstbestimmung gegenüber der Sowjetunion eintraten. Unabhängig davon, ob die angeklagten Parteiführer der Schauprozesse des Jahres 1949 diese Strömungen repräsentierten oder nicht: Die Signale waren unmißverständlich. Die Schauprozesse waren nicht auf die justitielle Ahndung eines tatsächlichen Straftatbestandes ausgerichtet; sie hatten vielmehr politisch-taktische Funktionen. Somit spielten die Kategorien Schuld oder Unschuld keine Rolle. Prinzipiell konnte jeder hohe Parteiführer als Angeklagter in dem geplanten Kreuzzug instrumentalisiert werden. Die Opfer mußten lediglich gleichsam als Spitze einer unterstellten Verschwörung -in der Parteihierarchie oben angesiedelt sein. Aus „pädagogischen“ Gesichtspunkten erschien es zweckmäßig, daß die Angeklagten innerhalb der Partei über Prestige verfügten.

Diese Kriterien trafen häufig auf sogenannte „Heimkommunisten“ in der Parteiführung zu. Sie hatten gegen die nationalsozialistischen Okkupanten gekämpft, und nicht wenige betrachteten sie als Gegengewicht zu den sowjetischen Remigranten. Die Logik der vermeintlichen Spionagetätigkeit Titos und die Unterwanderungsfurcht erweiterten den Kreis der Verdächtigen. Rasch rückten die Westemigranten und dabei insbesondere jene Genossen, die in den dreißiger Jahren in den Internationalen Brigaden für die Spanische Republik gekämpft hatten, ins Visier der sowjetischen „Berater“. Diese sorgten für die Vorbereitung und den Vollzug der Prozesse entsprechend den Moskauer Vorstellungen. Wie eine ansteckende tödliche Krankheit wirkte die Fiktion des amerikanischen Superagenten Noel H. Field. Der Amerikaner hatte als Beauftragter einer kirchlichen Hilfsorganisation kommunistische Exilanten unterstützt. Jetzt galten alle diejenigen als amerikanische Agenten, die im Verlauf ihres Exils mit Field in Berührung gekommen waren Eine weitere Opfergruppe bildeten ehemalige Abweichler, die nach 1945 in die kommunistischen Parteien zurückgefunden hatten.

Parteisäuberungen als Mittel zum Zweck ideologischer Gleichschaltung

Ende der vierziger Jahre hatten die kommunistischen Parteien Osteuropas in ihrem Herrschaftsbereich alle staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaltstellen besetzt. Trotzdem waren weder die regionalen Machthaber noch die sowjetische Führungsmacht mit dem Fortgang des sozio-ökonomischen Transformationsprozesses in diesen Staaten gänzlich zufrieden. Insbesondere die Produktivität der sich entwickelnden Planwirtschaften hinkte den Erwartungen hinterher. In der ideologischen Vorstellungswelt der kommunistischen Parteiführer hatten systemimmanente oder -bedingte Defizite keinen Platz, denn die aus der Sowjetunion importierten Methoden waren sakrosankt. So schien der Schlüssel zur Überwindung aller Funktionsdefizite in der Optimierung der Parteiarbeit zu liegen.

Hermann Matern, Leiter der Zentralen Parteikontrollkommission der SED, formulierte dementsprechend im Herbst 1949 die Erwartungen seiner Parteiführung: „Es ist doch gar kein Zweifel, Genossen, wenn die ganze Parteimitgliedschaft, wenn jedes einzelne Parteimitglied, dort, wo es steht, arbeitet und wirkt, Tag für Tag in der Masse der arbeitenden Bevölkerung. . . die Politik der Partei vertreten .. . würde .... daß wir dann ein anderes Verhältnis in der Bevölkerung hätten, daß dann die Partei einen viel größeren Einfluß hätte und daß die Erziehung der Bevölkerung zur neuen demokratischen Ordnung wesentlich weiter wäre, als das der Fall ist.“ Noch nahm sich die heterogene Parteibasis nämlich das Recht heraus, „die“ Politik der Partei vor Ort selbst zu interpretieren. Und solange dem linken „Sektierer“ in der einen Gemeinde die sozialistische Umgestaltung viel zu langsam vonstatten ging und der „rechte“ Sozialdemokrat in der anderen das Demokratiepostulat für bare Münze nahm, war es mit dem einheitlichen Auftreten der Parteimassen nicht weit her.

Mit Hilfe umfassender Parteiüberprüfungen sollte dieser Zustand überwunden und der 1947/48 eingeleiteten Transformation der osteuropäischen Parteien zu „Parteien Neuen Typs“ zum Durchbruch verhelfen werden. Die Überprüfungen hatten dabei vier wesentliche Funktionen zu erfüllen: Die Parteireinigung, die Kaderentwicklung, die Mitgliedererziehung und die Mitgliedermobilisierung. Die Parteireinigung des Funktionärskorps zielte darauf ab, die „führende Rolle“ der von Moskau protegierten Fraktion innerhalb der Parteiführung sicherzustellen. Daher erfolgte die Funktionsenthebung oder der Ausschluß von Mitgliedern, die aufgrund biographischer Merkmale als „unzuverlässig“ eingestuft wurden (ehemalige Mitglieder von Splittergruppen, Westemigranten, Spanien-kämpfer, Überlebende der deutschen Konzentrationslager und Zuchthäuser etc.). Im Hinblick auf das Gros der Mitgliedschaft stellte das große „Reinemachen“ fünf Jahre nach Kriegsende auch eine nachgeholte Überprüfung jener Mitglieder dar, die in den ersten Jahren unkontrolliert in die Partei geströmt waren. Jetzt wurden „klassen-fremde Elemente“ und „Karrieristen“ aus der Partei ausgeschlossen sowie passive Mitglieder bzw. „Karteileichen“ gestrichen. Allgemeines Ziel war es, den Anteil der Arbeiter innerhalb der Partei zu erhöhen.

Die Überprüfungen wurden zum Ausgangspunkt einer planmäßigen Kaderarbeit, die vorher mangels entsprechender Unterlagen mehr als dürftig war. Die Überprüfungskommissionen hatten die Aufgabe, verborgene „Talente“ zu entdecken und personelle Fehlbesetzungen zu korrigieren. Im Dienste der Kaderentwicklung wurden die Mitglieder der Überprüfungskommissionen gezielt aus der „einfachen“ Parteimitgliedschaft rekrutiert. Sie sollten nach Abschluß der Parteiüberprüfung mit verantwortlichen Parteiaufträgen betraut werden. Im Verlauf der Transformation zur „Partei Neuen Typs“ sollte ein neues Funktionärskorps ohne politische Vergangenheit und daraus wurzelnde Loyalitäten geschaffen werden. Dementsprechend kam der ideologischen Erziehung der Mitgliedschaft im Sinne der jeweils gültigen ideologischen Lesart große Bedeutung zu. Das „freiwillige Selbststudium“ der Klassiker des Marxismus-Leninismus-Stalinismus hatte in den Jahren zuvor wenig gefruchtet. In den inquisitorischen Verhören wurde nicht nur ein bedingungsloses Bekenntnis zur Sowjetunion und zur aktuellen Parteilinie verlangt. Mit dem Kampf gegen „Sozialdemokratismus“, „Liberalismus“ und „Versöhnlertum“ sollten die Reste bürgerlich-demokratischer Wertvorstellungen und Normen, die dem propagierten Klassenkampf im Wege standen, überwunden werden.

Letztlich waren alle hier geschilderten Maßnahmen darauf ausgerichtet, die Parteimitgliedschaft in ihrer Gesamtheit für die Verwirklichung der Parteiziele zu mobilisieren. Es galt, den als gesetzmäßig determiniert betrachteten Übergang der kapitalistischen Gesellschaftsformation zur sozialistischen zu beschleunigen

„Die Partei hat immer recht“

Insbesondere dieses Ziel, die Mitgliedschaft nach den Vorstellungen der Parteiführung umzuformen, soll hier ausführlicher thematisiert werden. In Abwandlung einer Überlegung Hannah Arendts formuliert, diente der von den Prozessen ausgehende Terror dazu, die eigene Anhängerschaft so zu organisieren, als gäbe es sie gar nicht im Plural, sondern nur im Singular; als gäbe es nur einen gigantischen Kommunisten auf der Erde, dessen Bewegungen in den Marsch eines automatisch notwendigen, von Moskau vorgegebenen und ideologisch verbrämten Geschichtsprozesses einfallen

Der Glaube an die Anschuldigungen wurde zum Prüfstein. An ihm schieden sich die Gläubigen von den Ungläubigen. Die Masse der Mitglieder war erst in der Nachkriegszeit der kommunistischen Partei beigetreten. Für sie hatte die Agitation, welche die Prozesse begleitete, eine bewußtseinsverändernde Aufgabe: In zahllosen Versammlungen mußten sie ihren Haß auf Tito und ihre Liebe zu Stalin bekunden. Irgendwann war das Stadium erreicht, „wo dem Wort die Handlung folgte, der Überzeugung das Engagement“

Kaum weniger einschneidend mußten sich die Unterwerfungsrituale auf jene Kommunisten auswirken, die bereits viele Jahre in der Bewegung standen und das Rückgrat der Partei bildeten. In der Zeit des Widerstandes und des Exils sowie des politischen Aufbruchs während der ersten Nachkriegsjahre hatten sie über einen größeren Handlungsspielraum und mehr Selbständigkeit verfügt.

Die Absurdität der in den Schauprozessen vorgebrachten Anschuldigungen ließ ihr Vertrauen in die Partei mit ihren Erfahrungen kollidieren, die sie in den vorausgegangenen Jahren gesammelt hatten. Zählten Rajk und Kostow nicht zu den Heroen des antifaschistischen Widerstands? Hatten nicht die aus dem westlichen Exil heimgekehrten, bis dahin untadeligen Genossen von der uneigennützigen Hilfe erzählt, die sie von Noel Field erfahren hatten? Und wie konnte Tito, der mit seinen Partisanen so erfolgreich gegen die nationalsozialistischen Besatzer gekämpft hatte, ein Faschist und englischer Spion sein?

Bela Szäsz, selbst ein Opfer des Rajk-Prozesses, hat in seiner Autobiographie den dadurch in Gang gesetzten Bewußtseinswandel mit dem aus dem 11. Jahrhundert stammenden ontologischen Gottesbeweis von Anselmus von Canterbury verglichen. Dieser hatte aus der subjektiven Idee eines Gottes auf dessen objektive Existenz, also aus dem Glauben auf die Wirklichkeit geschlossen: Credo ut intelligam -ich glaube, um es zu begreifen. So sahen sich die gläubigen Kommunisten dazu veranlaßt, die im Rajk-Prozeß aufgestellten Behauptungen als objektive Wirklichkeit anzunehmen und versuchten allenfalls, „diesen ontologischen Gedankengang -vielleicht unter der Wirkung unseres als rationalistisch bezeichneten Jahrhunderts -mit ihren eigenen Erfahrungen zu ergänzen und zu rechtfertigen“ Hier kam die der kommunistischen Dialektik eigene Aufteilung jeder Handlung und jeder Tatsache in eine objektive und in eine -zu vernachlässigende -subjektive Seite zu Hilfe. Field hatte „objektiv“ zugegeben, ein Spion zu sein. So verfügte jeder, der mit ihm in Verbindung gestanden hatte, „objektiv“ über Spionagekontakte -unabhängig davon, ob er dies zum damaligen Zeitpunkt „subjektiv“ gewußt haben mochte. Und hatten erst nachgeordnete kommunistische Funktionäre Geständnisse unterzeichnet, in denen sie ihre Schuld für die unterschiedlichsten Verbrechen gegen den Staat und die Partei bekannten -war dann nicht deren Vorgesetzter Genosse damit ebenfalls „objektiv schuldig“?

Jene Genossen, die einen Teil der Geständnisse trotz aller Propaganda für unwahrscheinlich oder aus eigener Kenntnis für falsch hielten, „glaubten und vertrauten subjektiv wenigstens der pragmatischen Weisheit der Partei und glaubten daher auch an die objektive Schuld Rajks und seiner Mitange-klagten“ Aus ihrer Sicht war es der Partei unmöglich. Unschuldige zu opfern. Die Frage, ob Rajk wegen tatsächlicher Verbrechen oder aufgrund einer augenblicklichen politischen Zweckmäßigkeit verurteilt wurde, hielten sie für sekundär. Hannah Arendt beschrieb diesen Bewußtseinsprozeß als die ideologiegeleitete „Emanzipation des Denkens von erfahrener und erfahrbarer Wirklichkeit“ -wobei es sich in diesem Prozeß weder um Bewußtsein, noch um Emanzipation und erst recht nicht um Denken handelte, sondern um erzwungene, blinde Ideologiegläubigkeit.

Wer diese Anpassung schließlich innerlich vollzogen hatte, wurde selbst Teil des Mechanismus der Säuberungen, wurde von der gleichen Paranoia erfaßt, die überall Agenten und Saboteure sah. Im nächsten Schritt machte man sich im eigenen Wirkungskreis als Protagonist der Inquisition mitschuldig, was sich für die späteren Entstalinisierungsbemühungen als Hypothek erweisen sollte. Bei Altkommunisten aktualisierten die Säuberungsprozesse parteispezifische Verhaltensweisen, die in den Jahren zuvor möglicherweise abgeschwächt worden waren. Bei Neumitgliedern hatten sie jenes Parteibewußtsein abrupt zu schaffen, in dem man diese zur sofortigen bedingungs-wie kritiklosen Anpassung zwang. Beide Bemühungen zielten letztlich auf die völlige Entmündigung der kommunistischen Parteigänger ab.

In dieser psychisch-politischen Konditionierung lag schließlich auch der Schlüssel zum reibungslosen Ablauf der Schauprozesse, die allein auf den Geständnissen der Angeklagten beruhten, denn objektive „Beweise“ gab es nicht. Die monatelange Folter und der Psychoterror aus Drohungen und Versprechungen hätten allein wohl kaum ausgereicht, die haft-und widerstandserprobten Kommunisten zu brechen. Der KP-Funktionär Artur London hatte 1952 mit dem einstigen tschechischen Generalsekretär der Partei, Rudolf Slänsky, und zwölf weiteren Parteiführern auf der Anklagebank gesessen. Er beschrieb später die psychische Situation, der seine Kameraden und er sich ausgesetzt sahen: „In unserem Leben als politische Kämpfer hat uns die Praxis der Selbstkritik, unser Streben nach Vollkommenheit daran gewöhnt, in uns selbst die Verantwortung für Unzulänglichkeiten, Fehler und Mißerfolge zu suchen. Wir waren in dieser Disziplin ausgebildet worden und ahnten nicht, daß die stalinistischen Methoden -das, was man später Personenkult nennen würde -schließ-lieh in uns eine unbewußte Religiosität erwecken würde. Wenn wir jedoch schon in der Freiheit so reagierten, gegenüber der zum Gott erhobenen Partei diese Art verschwommenen Schuldgefühls empfanden, wie konnten wir uns unter dem Schock, daß eine Partei eine Verhaftung angeordnet, ihr Vorsitzender sie bestätigt hatte und diese sowjetischen Berater sie sogar noch guthießen, ihrem Griff entziehen?“

Und so folgten viele Säuberungsopfer jenem entweder tödlich oder mit langen Haftstrafen endenden „Parteiauftrag“, den der ehemalige stellvertretende KPD-Vorsitzende und Abgeordnete des 1. Deutschen Bundestages, Kurt Müller, der 1950 von der SED nach Berlin bestellt und vom MfS verhaftet worden war, folgendermaßen beschrieb: „Was waren nun die gewünschten Aussagen'? Das offenbarte sich bereits bei meiner zweiten Vernehmung'durch Mielke. Mielke erklärte mir bei dieser Vernehmung'ganz offen: , Sie sind doch ein politischer Mensch und müssen begreifen, daß wir in Deutschland einen großen Prozeß zur Erziehung der Partei und der Massen brauchen. In diesem Prozeß werden Sie der Hauptangeklagte sein.'Er fügte hinzu: , Wir brauchen einen Prozeß wie den Rajk-Prozeß in Budapest.'“

In den engsten Zirkeln der Macht konnte man kaum Illusionen über den kriminellen Charakter der Prozesse hegen. Als in Prag 1952 der Schauprozeß gegen Slänsky inszeniert wurde, äußerte sich der Minister für Staatssicherheit der DDR, Wilhelm Zaisser, lapidar: „Nu was, ich kenne Slänsky und ich glaube das alles nicht, aber wenn Gottwald das braucht, bin ich damit einverstanden.“

Hexenjagd

Die Säuberungen entwickelten rasch eine eigene Dynamik. Epidemisch rissen Denunziationen immer mehr Parteimitglieder in den Abgrund. Sowohl die Sorge, selbst ins Visier der sowjetischen „Berater“ geraten zu können, als auch die Möglichkeit, politische Rivalen auszuschalten, ließen die meisten osteuropäischen Parteiführer zu willigen Exekutoren der Forderungen Stalins und seines Geheimdienstchefs Lawrenti Berija werden.

Es gab jedoch offenbar auch einige Abweichungen von dieser Norm. So soll in Rumänien die Moskau-Remigrantin und Vertraute Stalins, Ana Pauker, den in weiten Teilen der rumänischen Bevölkerung populären Kommunisten und Justizminister im ersten Nachkriegskabinett, Lucretiu Patrascanu, vor einem Schauprozeß bewahrt haben. Patrascanu war bereits 1948 auf Betreiben des rumänischen Generalsekretärs Gheorghe Gheorghiu-Dej verhaftet worden. Als es diesem im Herbst 1952 gelang, Ana Pauker und ihre Anhänger in der Partei auszuschalten, hatte Patrascanu seine „Verbrechen“ nach wie vor nicht gestanden. Nachdem mit dem Tod Stalins im Frühjahr 1953 die Inszenierung eines Schauprozesses obsolet geworden war, ließ Gheorghiu-Dej seinen einstigen Konkurrenten 1954 nach einem Geheimprozeß in aller Stille hinrichten

In Polen rettete eine „stille Verschwörung der Verzögerungstaktik“ (Hodos) in der Parteiführung und dem von ihr kontrollierten Sicherheitsdienst den vorherigen Generalsekretär der Partei, Wladislaw Gomulka, vor dem Schicksal Rajks und Kostows. Zu tief saß hier noch die Erinnerung an die stalinistische Säuberung der dreißiger Jahre. Damals waren die polnischen KP-Funktionäre fast vollständig liquidiert und die Partei aufgelöst worden. Um den Preis einer Opferung der zweiten und dritten Garnitur von kommunistischen Funktionären gelang es der Warschauer Parteiführung, den großen Prozeß solange hinauszuzögern, bis sich das Problem mit Stalins Tod selbst löste

Einen Sonderfall stellte schließlich die DDR dar. Auch hier liefen die Vorbereitungen für einen Schauprozeß. In dessen Fadenkreuz gerieten zunächst u. a.der bereits erwähnte Kurt Müller und der im August 1950 verhaftete Chefredakteur des Deutschlandsenders, Leo Bauer. Ob nun die Häftlinge zu spät „gestanden“ haben und/oder Stalin aufgrund seiner deutschlandpolitischen Interessen mit der Inszenierung eines deutschen Schauprozesses aus taktischen Gründen zögerte, ist nach wie vor unklar Fest steht, daß Ulbricht es vermochte, seine einflußreichsten Konkurrenten in der Parteiführung -darunter Paul Merker und Franz Dahlem -in die Mühlen der Parteiinquisition zu stürzen und so seine beherrschende Stellung in der Parteispitze stetig auszubauen.

Wenn erst die Maschinerie der Parteikontrollkommission in Gang gesetzt worden war, riskierte jeder Untersuchungsbeamte, der auch nur die Unschuld eines Opfers in Erwägung zog, als Gesinnungsgenosse des Parteifeindes „entlarvt“ zu werden. Jedem Parteifunktionär, der in seinem Zuständigkeitsbereich keine „titoistische Wühlarbeit“ enttarnen wollte, drohte der Vorwurf mangelhafter Wachsamkeit -wenn nicht gar der Verdacht, selbst ein Agent oder Saboteur zu sein.

Diese Eigendynamik gab dem Terror der Säuberungen einen -zynisch formuliert -gleichermaßen rationalen wie irrationalen Charakter: Rational insofern, als sie den beabsichtigten Intentionen zunächst gerecht zu werden schienen. Irrationalen Charakter bekamen die Säuberungen, als sie trotz des eminenten Kadermangels ganze Gruppen erfahrener Funktionäre dauerhaft aus der Partei-und Staatsarbeit auszuschalten drohten. Die Möglichkeit, daß Parteiüberprüfungen die fehlende innerparteiliche Demokratie -und damit die interne Kritik-und Kontrollmöglichkeit -zumindest funktional teilweise ersetzten und dafür hätten sorgen können, daß inkompetente oder korrupte Funktionäre in regelmäßigen Abständen ihrer Funktionen enthoben wurden, spielte längst keine Rolle mehr. In einem bis dahin außerhalb der Sowjetunion ungekannten Amoklauf drohten die Säuberungen immer weitere Kreise der Partei in ihren Strudel zu reißen.

Zwischen 1948/49 und 1954 verloren die polnische kommunistische Partei rund ein Zehntel, die deutsche Partei ein Drittel und die tschechische Partei fast die Hälfte ihrer Mitglieder. Die Mitgliederzahl der ungarischen Staatspartei, die zum Zeitpunkt ihres Zusammenschlusses mit den Sozialdemokraten im Jahre 1948 1, 1 Millionen Mitglieder gezählt hatte, reduzierte sich bis Januar 1950 auf 829 000 Genossen Insbesondere Funktionsträger sahen sich in den frühen fünfziger Jahren ständigen Säuberungswellen ausgesetzt. Beispielsweise wechselten die Mitglieder der SED-Kreissekretariate zwischen den Parteiwahlen 1949 und Herbst 1951 im Durchschnitt zwei-bis dreimal. Ersatz wurde ohne demokratische Legitimation vom Gremium selbst bzw. von der nächsthöheren Parteiinstanz bestellt. So stellte man etwa bei der Parteiüberprüfung 1951 fest, daß in 29 sächsischen Kreisen 58, 6 Prozent der ersten und 76 Prozent der zweiten Kreis-sekretäre kooptiert worden waren Zwischen 1953 und 1954 waren schließlich 42 Prozent aller Kreisleitungsfunktionäre ausgewechselt worden, davon 71 Prozent der 1. und 2. Sekretäre sowie 53, 6 Prozent der Sekretariatsmitglieder

Antisemitismus

Der Prozeß gegen Slänsky und dreizehn weitere ranghohe Parteifunktionäre in Prag Ende 1952 kündigte eine weitere Säuberungswelle an. Die Wahl der Opfer mußte jene kommunistischen Parteiführer beunruhigen, die sich bislang vor einer Verfolgung relativ sicher geglaubt hatten. Das Verfahren durchbrach nicht nur das bis dahin weitgehend gültige Prinzip, welches prominente Moskauer Remigranten von den Säuberungen ausnahm. Mit Slänsky kam ein Kommunist in die Mühlen des Terrors, der in den Jahren zuvor als Vertrauensmann Stalins gegolten hatte. Ferner war er als der zweite Mann in Staat und Partei während der ersten Phase des Terrors in der Tschechoslowakei ein williges Werkzeug Berijas gewesen

Stalin scheute sich auch nicht davor, den nicht nur in Osteuropa latent vorhandenen Antisemitismus außen-wie innenpolitisch zu instrumentalisieren. Noch 1948 war Stalin als Pate des neuen Staates Israel aufgetreten. Doch seine anfangs gehegte Hoffnung, auf diese Weise die Auflösung des britischen Weltreiches zu beschleunigen und einen Brückenkopf im Nahen Osten zu gewinnen, hatte sich bald zerschlagen. Als der Partei-und Staats-führer schließlich daranging, die Bevölkerung mit nationalistischer Propaganda und Fremdenfeindlichkeit gegen ausländische Einflüsse abzuschotten, boten sich die jüdischen Bürger mit ihrem weitgespannten internationalen Zusammenhalt als Zielscheibe der als Kampf gegen den „Kosmopolitismus“ kaschierten Fremdenfeindlichkeit an

Prag wurde zum Signal für offen antisemitische, nach offizieller Lesart „antizionistische“ Säube­ rungen im Ostblock. 11 der 14 tschechischen Angeklagten waren Juden. In Rumänien wurde die einstige Stalinvertraute und Moskauremigrantin Ana Pauker zur Unperson. In Polen erfolgte die Verhaftung von 14 hohen kommunistischen Offizieren jüdischer Abstammung, in Ungarn führte die „Entlarvung zionistischer Agenten“ zur Verhaftung des jüdischen Rundfunkdirektors und ZK-Mitglieds Istvän Szirmai sowie Dutzender weiterer jüdischer Kommunisten Selbst in Ostdeutschland schreckte die Führungsriege um Ulbricht nicht davor zurück, die wenigen Überlebenden des Holocaust zu bedrängen, welche im Lande verblieben waren und sich nicht selten für die SED engagierten. In den jüdischen Gemeinden fahndete man mit Hausdurchsuchungen nach belastenden Schriftstücken, um die „Lehren des Slänsky-Prozesses“ zu untermauern Es erfolgten eine Reihe von Verhaftungen, deren prominentestes Opfer das einstige Politbüromitglied Paul Merker war. Obzwar kein Jude, bestand Merkers „Verbrechen“ darin, sich wiederholt für die Wiedergutmachung der von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen an den Juden auch in der SBZ/DDR eingesetzt zu haben Mit der Aufdeckung der sogenannten „Ärzteverschwörung“ in der Sowjetunion erfuhr der politische Antisemitismus seinen Höhepunkt. Es war der Tod Stalins im Frühjahr 1953, der den Prozeß der Selbstzerstörung abebben ließ. Die als Folge des Slänsky-Prozesses in allen osteuropäischen Staaten zu verzeichnenden neuen Schauprozeßvorbereitungen wurden abgebrochen. Doch selbst im folgenden Jahr, als Ungarn bereits die Opfer des Rajk-Prozesses rehabilitierte, sollten in der CSSR und in Rumänien Folgeprozesse stattfinden, denen weitere Kommunisten zum Opfer fielen. Noch im März 1955 fand in Ostberlin ein Geheimprozeß gegen Paul Merker statt Hier wie dort bemühten sich die Profiteure der Säuberungen, sich der Zeugen zu entledigen. Wo Hinrichtungen nicht mehr opportun erschienen, sollten die Verhaftungen durch Geheimprozesse nachträglich „legitimiert“ werden. Es bedurfte der von Chruschtschow eingeleiteten Entstalinisierung im Jahre 1956, um der Ära des parteiinternen Terrors im Kommunismus ein Ende zu bereiten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Madeleine G. Ballestrem, Säuberungen, in: Sowietsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, Band V, Freiburg -Basel -Wien 1972, Sp. 799 ff.

  2. Vgl. Leonard Schapiro, Die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Frankfurt/M. 1962 (Sonderdruck für die Bundeszentrale für Heimatdienst), S. 252 ff.

  3. Vgl. Robert Vincent Daniels, Das Gewissen der Revolution. Kommunistische Opposition in Sowjetrußland, Köln -Berlin 1962.

  4. Vgl. dazu das überarbeitete Standardwerk von Robert Conquest, The great terror. A reassessment, London 1990 (1. Auflage 1968). Die Forschungsarbeiten u. a. von Conquest waren in den achtziger Jahren einer Revision unterzogen worden, vgl. z. B. J. Arch Getty, Origins of the great purges. The soviel communist Party reconsidered. 1933-1938, Cambridge, Mass. 1985. Eine kritische Bewertung der unterschiedlichen Erklärungsansätze findet sich bei Achim Siegel. Die Dynamik des Terrors im Stalinismus. Ein strukturtheoretischer Erklärungsversuch, Pfaffenweiler 1992.

  5. Das Schicksal der deutschen Emigration schildert anschaulich Hermann Weber, „Weiße Flecken“ in der Geschichte. Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung. Berlin 19902.

  6. Vgl. Politische Säuberungen in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, hrsg. von Klaus-Dietmar Henke und Hans Woher, München 1991.

  7. Der Autor arbeitet im Rahmen des von der VW-Stiftung geförderten und von Prof. Dr. Hermann Weber geleiteten internationalen Forschungsprojektes „Intentionen, Methoden und Dimensionen innerparteilicher Säuberungen im kommunistischen Herrschaftssystem“ über die SED-Partei-säuberungen in den vierziger und fünfziger Jahren.

  8. Vgl. Georg Hermann Hodos, Schauprozesse. Stalinistische Säuberungen in Osteuropa 1948-1954, Berlin (Ost) 1990 (1. Auflage, Frankfurt/M. -New York 1988); Wolfgang Maderthaner/Hans Schafranek/Berthold Unfried (Hrsg.), „Ich habe den Tod verdient“. Schauprozesse und politische Verfolgung in Mittel-und Osteuropa 1945-1956, Wien 1991; Kommunisten verfolgen Kommunisten. Stalinistischer Terror und . Säuberungen'in den kommunistischen Parteien Europas seit den dreißiger Jahren, hrsg. von Hermann Weber und Dietrich Staritz in Verbindung mit Siegfried Bahne und Richard Lorenz, Berlin 1993.

  9. Vgl. Wilfried Loth, Die Teilung der Welt 1941-1955, 7., überarb. Aufl., München 1989, S. 156ff.

  10. Die -erfolgreichen -Bemühungen der Sowjetunion, die osteuropäischen Staatsparteien gleichzuschalten, dokumentiert -auf der Grundlage bislang unbekannter sowjetischer Quellen -die italienisch-russische Edition der Kominform-Protokolle: The cominform. Minutes of the Three Conferences 1947/1948/1949, edited by Giuliano Procacci, Mailand 1994. Die folgenden Abschnitte über die Kominform-Gründung und den Stalin-Tito-Konflikt stützen sich auf die in der Edition veröffentlichten Einleitungskapitel von Grant Adibekov, Anna Di Biagio, Leonid Gibianskii und Silvio Pons.

  11. Vgl. Franois Fejtö, Die Geschichte der Volksdemokratien, Band 1: Die Ära Stalin 1945-1953, 2., erw. Neuauflage, Frankfurt/M. 1988, S. 201 ff., 216 ff.

  12. Vgl. ebd., S. 234 ff., 267 ff.

  13. Vgl. ebd., S. 273 ff.

  14. Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) Kurzer Lehrgang, Berlin 1945, S. 436. Zur Verschwörungsparanoia in der politischen Kultur der Sowjetunion vgl. Gabor T. Rittersporn, The omnipresent conspiracy: On soviel imagery of politics and social relations in the 1930s, in: J. Arch Getty/Roberta T. Manning (Hrsg.), Stalinist Terror. New perspectives, Cambridge, Mass. 1993, S. 99 ff.

  15. G. H. Hodos (Anm. 8), S. 13.

  16. Vgl. Wolfgang Kießling, Partner im „Narrenparadies“. Der Freundeskreis um Noel Field und Paul Merker, Berlin 1994.

  17. Protokoll der Zonenkonferenz der Zentralen Parteikontrollkommission am 3. und 4. September 1949 in Halle; SAPMO, BArch. -DY 30: IV 2/4/436, Bl. 26

  18. Vgl. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt/M. 1955, S, 683.

  19. Vgl. ebd.

  20. F. Fejtö (Anm. 11), S. 278.

  21. Bela Szäsz, Freiwillige für den Galgen. Die Geschichte eines Schauprozesses, Leipzig 1991, S. 206.

  22. Vgl. Artur London, Ich gestehe. Der Prozeß um Rudolf Slansky, Berlin 1991, S. 117.

  23. B. Szäsz (Anm. 21), S. 207.

  24. H. Arendt (Anm. 18), S. 688.

  25. A. London (Anm. 22), S. 117.

  26. Kurt Müller, Ein historisches Dokument aus dem Jahre 1956. Brief an den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/90, S. 19.

  27. Helmut MUller-Enbergs, Der Fall Rudolf Herrnstadt. Tauwetterpolitik vor dem 17. Juni, Berlin 1991, S. 163.

  28. Vgl. Robert Levy, Did Ana Pauker prevent a „Rajk Trial“ in Romania?, in: EEPS. East European Polilics and Societies, 9 (1995) 1, S. 143 ff.

  29. Vgl. G. H. Hodos (Anm. 8), S. 209 ff.

  30. Vgl. Hermann Weber, Schauprozeß-Vorbereitungen in der DDR, in: Kommunisten verfolgen Kommunisten (Anm. 8), S. 436 ff.

  31. Vgl. Jan Foitzik, Die stalinistischen „Säuberungen“ in den ostmitteleuropäischen kommunistischen Parteien. Ein vergleichender Überblick, in: Kommunisten verfolgen Kommunisten (Anm. 8), S. 408 ff.; Jörg K. Hoensch, Geschichte Ungarns 1867-1983, Stuttgart 1984, S. 177, 183.

  32. Vgl. Bericht über die Ergebnisse der Überprüfung der Parteimitglieder und Kandidaten, in: Neues Deutschland vom 28. Oktober 1951, S. 3.

  33. Vgl. Rudi Grützner/Luise Zentner/Traudel Pitsch, Was lehren uns die Berichte über Kaderentwicklung?, in: Neuer Weg, (1954) 11, S. 34 ff.

  34. Vgl. G. H. Hodos (Anm. 8), S. 126 ff.

  35. Vgl. Louis Rapoport, Hammer, Sichel, Davidstern. Judenverfolgung in der Sowjetunion, Berlin 1992, S. 119 ff.

  36. Vgl. G. H. Hodos (Anm. 8), S. 113, 166, 232.

  37. Vgl. Helmut Eschwege, Fremd unter meinesgleichen. Erinnerungen eines Dresdner Juden, Berlin 1991, S. 68 ff.

  38. Vgl. W. Kießling (Anm. 16), S. 163 ff. sowie Jeffrey Herf, Antisemitismus in der SED. Geheime Dokumente zum Fall Paul Merker aus SED-und MfS-Archiven, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 42 (1994) 4, S. 635 ff.

  39. Vgl. W. Kießling (Anm. 16), S. 337.

Weitere Inhalte

Ulrich Mählert, Dr. phil., geb. 1968; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsschwerpunkt DDR-Geschichte im Arbeitsbereich IV des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung, Universität Mannheim; Redakteur von „Aktuelles aus der DDR-Forschung“ (erscheint dreimal jährlich in der Zeitschrift Deutschland Archiv). Veröffentlichungen u. a.: Die Freie Deutsche Jugend 1945-1949. Von den „Antifaschistischen Jugendausschüssen“ zur SED-Massenorganisation: Die Erfassung der Jugend in der Sowjetischen Besatzungszone, Paderborn 1995; (zus. mit Gerd-Rüdiger Stephan) Blaue Hemden -Rote Fahnen. Die Geschichte der Freien Deutschen Jugend, Leverkusen 1996; (seit 1996 Mithrsg.) Jahrbuch für Historische Kommunismus-forschung, Berlin 1993 ff.