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Bedeutung und Instrumentalisierung des Subsidiaritätsprinzips für den europäischen Integrationsprozeß | APuZ 21-22/1999 | bpb.de

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APuZ 21-22/1999 Ausländerrecht: Europäische Entwicklung und deutsches Recht Die Reform der EU-Beihilfenkontrolle und ihre Auswirkungen auf die regionale Wirtschaftsförderung Bedeutung und Instrumentalisierung des Subsidiaritätsprinzips für den europäischen Integrationsprozeß

Bedeutung und Instrumentalisierung des Subsidiaritätsprinzips für den europäischen Integrationsprozeß

Wolfram Hilz

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Zusammenfassung

Die bewußt und notwendigerweise ergebnisoffene Zielsetzung des Integrationsprozesses zu einem, wie es in der Präambel des EWG-Vertrags heißt, „immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker“ beginnt mit den nicht in Frage stehenden Bestandsrechten der die EU konstituierenden Nationalstaaten zu kollidieren. Die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für den europäischen Integrationsprozeß resultiert dabei sowohl aus seiner Verankerung in den Gemeinschaftsverträgen und den daran anknüpfenden Auslegungsmöglichkeiten als auch aus der Diskussion um Sinn oder Unsinn der Verankerung dieses Grundsatzes sowie seinen vielgestaltigen Instrumentalisierungsversuchen. Die meisten europapolitischen Akteure haben inzwischen eingesehen, daß nicht alle Ziele mit der „Allzweckwaffe“ Subsidiarität erreicht werden können. Weder eine umfangreiche Renationalisierung von Entscheidungskompetenzen noch die Vergemeinschaftung von Aufgaben unter Berufung auf die größere Effizienz von Gemeinschaftsmaßnahmen lassen sich mit diesem Grundsatz durchsetzen. Auch die stärkere Regionalisierung der EU-Mitgliedsländer kann nicht einfach unter Berufung auf die notwendige Subsidiarität erzwungen werden.

Die europäische Gemeinschaft hat seit der Initiierung des Binnenmarktprojektes Mitte der achtziger Jahre eine unglaubliche ökonomische und politische Dynamik entfaltet, in deren Sog immer weitere nationale Kompetenzen auf „Brüssel“ übergingen. Das hat zwangsläufig zu Spannungen mit den EU-Mitgliedstaaten geführt, die die Kompetenzverlagerungen zwar beschlossen haben, den fortschreitenden Verlust an nationaler Souveränität und Eigenständigkeit jedoch nur schwer ertragen können. Hinzu kommt, daß sich seit den achtziger Jahren in vielen EG-Staaten eine intensive Dezentralisierungsdiskussion entwickelt hat, durch die der Druck auf die nationalen Akteure zusätzlich gewachsen ist. Die Bestrebungen zur Föderalisierung oder Regionalisierung in den meisten Mitgliedstaaten korrespondierten , dabei mit der gemeinschaftsweiten Unsicherheit über Inhalt und Ziel des Integrationsprozesses. Kann in dieser Situation ein Grundsatz aus der katholischen Soziallehre, der für die meisten Europäer immer noch unbekannt ist, für die mächtigste Wirtschaftsgemeinschaft der Welt, die sich anschickt nach der Einführung einer einheitlichen europäischen Währung die „Herkules-Aufgabe“ der Osterweiterung der EU anzugehen, überhaupt von Bedeutung sein?

Die „Konjunktur“, die das Subsidiaritätsprinzip im letzten Jahrzehnt auf europäischer Bühne erlebt hat, als es manchen sogar als „magische Formel“, „Rettungsanker“ oder gar „Zauberformel“ für die EU galt, spricht dafür. Es gibt heute fast keine offizielle Verlautbarung zu Europa mehr, in der das Wort Subsidiarität fehlt. Welche unterschiedlichen und konträren Interpretationen des Grundsatzes dabei möglich sind, soll ein Blick auf die Auseinandersetzung um die Verankerung und Auslegung eines Subsidiaritätsartikels im EU-Rahmen zeigen. Welche Bedeutung das Subsidiaritätsprinzip, ausgehend von dessen Kerngehalt, für das Kompetenzgefüge, die Handlungsfähigkeit und die legitimatorische Ordnung der EU hat, kann schließlich Hinweise geben, inwiefern dieser Grundsatz für den europäischen Integrationsprozeß am Ende des 20. Jahrhunderts relevant ist.

I. Kerngehalt des Subsidiaritätsprinzips und europäische Integration

Obgleich als Bezugspunkt für den Inhalt des Subsidiaritätsprinzips meistens die Sozialenzyklika „Quadragesimo anno“ von Papst Pius XI. aus dem Jahr 1931 genannt wird liegen die Ursprünge des Grundsatzes sehr viel weiter in der Ideengeschichte zurück. So wie manche europapolitische Akteure versuchen, den Subsidiaritätsgedanken und die ihm innewohnenden Elemente im ausgehenden 20. Jahrhundert für die supranationale Kooperationsform der EU nutzbar zu machen, haben seit der Antike Philosophen und Theoretiker Überlegungen angestellt, wie eine „gute“ staatliche Ordnung aussehen sollte Dabei steht die größtmögliche Entfaltung des Individuums und die Bewahrung der Eigenverantwortlichkeit kleiner gesellschaftlicher Einheiten im Mittelpunkt. Bei der Daseinsgestaltung sollen übergeordnete gesellschaftliche oder staatliche Ebenen zur Erfüllung von Aufgaben zunächst nur subsidiär, d. h. unterstützend, eingreifen Erst wenn kleinere Einheiten mit der Aufgabenerfüllung trotz Unterstützung überfordert sind, soll diese auf übergeordneten (staatlichen) Ebenen erledigt werden.

Für Gesellschafts-oder Staatsordnungen -egal ob national oder supranational -ergibt sich aus dem Subsidiaritätsprinzip eine kompetenzverteilende Wirkung, die kleineren Einheiten einen Vorrang bei der Aufgabenerfüllung einräumt, solange sie dazu in der Lage sind. Dadurch wird innerhalb einer föderativen Ordnung ihre Eigenständigkeit geschützt und eine möglichst bürgernahe Entscheidung sichergestellt. Kompetenzübertragungen auf übergeordnete Ebenen sind demnach nur zulässig, wenn dies von der Sache her notwendig und begründbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn die untergeordnete Einheit eine Aufgabe trotz Unterstützung nicht erledigen kann. Die am „Erforderlichkeitskriterium“ orientierte Handlungsprärogative für die „bürgernäheren“ staatlichen Ebenen, die eine „Schutzschildfunktion“ für diese hat, gilt auch, wenn daraus Effektivitätsverluste und höhere Kosten resultieren. Angesichts der Herausforderungen an den modernen Staat ist dies jedoch schwer zu rechtfertigen

Die Frage nach der „richtigen“ Kompetenzallokation wird noch komplizierter, wenn nachgeordnete Ebenen am Entscheidungsprozeß der nächsthöheren Ebene mitwirken können. Durch diese „Politikverflechtung“ wird die dem Subsidiaritätsprinzip zugrunde liegende Annahme, daß immer nur eine Ebene für eine bestimmte Aufgabe entscheidungsbefugt und verantwortlich ist, aufgehoben. Es wird eine weitere Option, die der Kodezision, eingeführt, wie sie etwa in der föderativen Ordnung der Bundesrepublik existiert Neben der Kompetenzverteilung kann das Subsidiaritätsprinzip auch die Kompetenzausibung beeinflussen. Die übergeordneten Ebenen sollen ihre Kompetenzen nur dann tatsächlich wahrnehmen, wenn dies von der Sache her gerechtfertigt ist und eine Aufgabe nicht auch durch eine nachrangige Ebene erfüllt werden kann. Das Problem der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips nach diesen Kriterien im staatlichen und damit im Rechtsbereich besteht darin, daß die Kompetenzen einzelner staatlicher Ebenen in der Regel festgeschrieben sind. Kompetenzverteilende Wirkung kann der Grundsatz folglich nur im vorkonstitutionellen Raum und bei Grundsatzrevisionen entfalten. Innerhalb existierender Rechtsordnungen kann er demnach nur die Kompetenzausübung beeinflussen.

Die funktionalen Triebkräfte der europäischen Integration, die vielfach nur den kleinsten gemeinsamen Nenner fortschreiben, laufen zur Rationalitätsorientierung des Subsidiaritätsgrundsatzes völlig konträr. Beispielsweise ist die unter Subsidiaritätserwägungen sinnvolle Vergemeinschaftung zentraler Bereiche wie der Außen-und Sicherheitspolitik bis heute politisch nicht konsensfähig. Dagegen wäre die funktional erreichte Vergemeinschaftung beispielsweise der Agrarpolitik aus der Perspektive des Subsidiaritätsgedankens auf europäischer Ebene nicht zu rechtfertigen. Kurzum, in der politischen Praxis Europas herrschen andere Gesetze als in der Welt der Sozialphilosophie. Ist folglich die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips für den europäischen Integrationsprozeß ungeeignet? Nicht generell. Es kommt jedoch entscheidend darauf an, wofür und wie der Grundsatz herangezogen wird.

II. Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im EU-Vertrag

1. Divergierende Zielsetzungen und Instrumentalisierungsversuche Die Bestrebungen zur Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips in die Gemeinschaftsverträge gingen im wesentlichen von den nationalen Regierungen Großbritanniens, Deutschlands, den deutschen Ländern sowie der EG-Kommission und dem Europäischen Parlament aus. Die Chance zur Durchsetzung ihrer mit dem Subsidiaritätsprinzip verbundenen, divergierenden Vorstellungen bot sich diesen europapolitischen Akteuren im Vorfeld und während der im Dezember 1990 einberufenen Regierungskonferenz zur Politischen Union. Die Bundesregierung wollte, angetrieben durch die Länderforderungen nach Erhaltung ihrer Rest-kompetenzen und größerer europapolitischer Mitbestimmung, das Subsidiaritätsprinzip als Element einer föderativen europäischen Grundordnung festschreiben. Die britische Regierung lehnte jegliche föderative Ordnung für die Gemeinschaft ab und sah im Subsidiaritätsprinzip ein wirksames Mittel, den nach ihrer Ansicht exzessiven Vergemeinschaftungsdrang der Kommission zu stoppen und sogar Kompetenzen auf die nationale Ebene zurückzuverlagern. Während der Regierungskonferenz 1990/91 waren beide Regierungen trotzunterschiedlicher Zielsetzungen die treibende Kraft zur Aufnahme einer Subsidiaritätsklausel in den EG-Vertrag Beim deutsch-britischen Bündnis zur Verankerung des Subsidiaritätsprinzips handelt es sich um eine der seltsamsten Sachkoalitionen in der europäischen Integrationsgeschichte. Die beiden in Subsidiaritätsfragen am engagiertesten auftretenden Regierungen verfolgten dabei ganz unterschiedliche Ziele.

Die übrigen Regierungen standen den Forderungen nach einem Subsidiaritätsartikel größtenteils indifferent oder skeptisch gegenüber, da sie keine klaren Vorstellungen vom Sinn des Prinzips hatten. Während von französischer Seite die Nennung in der Präambel als völlig ausreichend betrachtet wurde, warnte eine Gruppe von „Netto-Empfängerländern", bestehend aus Spanien, Irland, Griechenland und Portugal, vor einer Instrumentalisierung einer Subsidiaritätsregelung zur Behinderung weiterer Integration im Sinne Großbritanniens. Statt dessen forderten diese EG-Mitglieder als Konsequenz der Subsidiarität eine Ausweitung der Hilfsleistungen der Gemeinschaft für größere wirtschaftliche und soziale Kohäsion

Die dritte treibende Kraft war die Kommission, die sich unter Jacques Delors ebenfalls für die Aufnahme einer Subsidiaritätsklausel in die Gemeinschaftsverträge stark machte -allerdings aus nochmals anderen Beweggründen. Die Gemeinschaft sollte -gemäß dem Effizienzgrundsatz -all diejenigen Aufgaben erledigen, die sie besser als die Mitgliedstaaten erfüllen konnte. Kommissionspräsident Delors sah im Subsidiaritätsprinzip ein Mittel, um weitere Kompetenzen für die Gemeinschaft zu gewinnen und die Position der EU-Institutionen im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten zu stärken. Denen warf er sogar vor, „daß das Subsidiaritätsprinzip nur als Feigenblatt für den fehlenden Willen dient, bereits eingegangene Verpflichtungen in die Tat umzusetzen“

Für das Europäische Parlament bzw. die Europa-parlamentarier stand zunächst auch die Hoffnung im Vordergrund, durch eine effizienzorientierte Subsidiaritätsklausel und die Ausweitung der Gemeinschaftstätigkeit eigene Mitwirkungsrechte im Rechtsetzungsprozeß dazuzugewinnen

Hinzu kamen als vierte Kraft die Regionen. Sie verfolgten in verschiedenen Gruppierungen und Initiativen" mit der Forderung nach einer am Erforderlichkeitskriterium orientierten europäischen Subsidiaritätsregelung, in Kombination mit einer eigenen Repräsentation auf EG-Ebene sowie dem Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), ihre Aufwertung innerhalb des europäischen Integrationsprozesses. Die Regionen brachten ihre Forderungen unter Führung der deutschen Länder durch mehrere Konferenzen unter dem Motto „Europa der Regionen“ zum Ausdruck. Paradox an der Argumentation der deutschen Länder ist die Tatsache, daß sie eine subsidiäre europäische Kompetenzordnung nach dem Vorbild des deutschen Föderalismus forderten, dessen „Unitarisierung“ sie innenpolitisch kritisierten Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Länder die europäische Subsidiaritätsdiskussion über eine sinnvolle und notwendige Zuständigkeitsverteilung vordringlich dazu nutzen wollten, um innenpolitisch Entscheidungskompetenzen zurückzugewinnen Diese unvereinbaren Instrumentalisierungsversuche fanden auch in der Form und Verständlichkeit der gemeinschaftlichen Subsidiaritätsregelung ihren Niederschlag. 2. Unklarheiten der Maastrichter Subsidiaritätsregelung Als allgemeinverbindlicher Grundsatz wurde die Subsidiarität in die Präambel des Vertrages über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 aufgenommen. In ihr nahmen sich die Mitglieder vor, „den Prozeß der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas, in der die Entscheidungen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden, weiterzuführen“ Diese Formulierung enthält die Andeutungen, daß durch das Subsidiaritätsprinzip zum einen größere Bürgernähe erreicht werde und zum anderen Entscheidungen möglichst auf der nationalen oder sogar subnationalen Ebene getroffen werden sollen. Dabei entsteht der Eindruck, die Regionen würden als Entscheidungsebene in den Integrationsprozeß einbezogen Dies ist jedoch nicht der Fall. Auch indirekt trifft diese Vermutung nicht zu, da die Gemeinschaft keinen Einfluß auf die innerstaatliche Kompetenzverteilung nimmt.

Die zentrale Norm des revidierten EG-Vertrages zur Subsidiarität ist der neu aufgenommene Art. 3 b. Die Einfügung im Abschnitt „Grundsätze“, am Anfang des Vertrages, unterstreicht die Bedeutung der für den gesamten Vertrag verbindlichen Regelung, die wie folgt lautet:

„(1) Die Gemeinschaft wird innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig.

(2 ) In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.

(3 ) Die Maßnahmen der Gemeinschaft gehen nicht über das für die Erreichung der Ziele dieses Vertrages erforderliche Maß hinaus.“

Der erste Absatz betont nochmals explizit den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, der bereits in Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EWG-Vertrag enthalten war Das Subsidiaritätsprinzip kann somit die der Gemeinschaft übertragenen Kompetenzen nicht in Frage stellen und entfaltet somit auch keine kompetenzverteilende Wirkung. Der Kerngedanke des Prinzips, der sich auf die vernünftige Verteilung von Kompetenzen, je nach den Fähigkeiten der einzelnen Ebenen, bezieht, wurde damit ausgeblendet! Von den Funktionen des Subsidiaritätsprinzips wurde lediglich die der Kompetenzausübungsregel verwirklicht.

Der zweite Absatz enthält das Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinne und ist anzuwenden, wenn keine ausschließliche Gemeinschaftskompetenz vorliegt. Die Formulierung des Art. 3 b ist insofern problematisch, als hierdurch die Unterscheidung zwischen ausschließlichen und nicht-ausschließlichen Zuständigkeiten der Gemeinschaft eingeführt wird, die es sonst nirgends im EG-Vertrag gibt. Dieser Kompetenzbegriff läuft insofern ins Leere, als kein System enumerativer Kompetenzverteilung in Form eines (positiven oder negativen) Kompetenzkatalogs für die EG existiert Zwar gibt es einen Kernbestand an EG-Zuständigkeiten, der sowohl durch die politische Praxis als auch aufgrund von EuGH-Entscheidungen weitgehend unbestritten ist. Es sind die gemeinsame Handelspolitik, die Festlegung des Zolltarifs und des materiellen Zollrechts, die Erhaltung der Fischereiressourcen und neuerdings die Währungspolitik Darüber hinaus reklamiert die Kommis-sion die ausschließliche Gemeinschaftskompetenz u. a. für die Vollendung des Binnenmarktes, die allgemeinen Wettbewerbsregeln sowie einen Großteil der Verkehrspolitik, was jedoch höchst umstritten ist

Nachdem kein umfassender Konsens über die Bereiche ausschließlicher Gemeinschaftskompetenz vorliegt, ist auch die Reichweite des Anwendungsbereichs der Subsidiaritätsklausel umstritten. Weitere Unklarheit besteht über die Abwägung zwischen Effektivitäts-und Erforderlichkeitskriterium, die beide in Abs. 2 aufgenommen wurden. Ein Tätigwerden der Gemeinschaftsorgane soll demnach möglich sein, wenn die Mitgliedstaaten eine Aufgabe nicht erfüllen können und die Gemeinschaft gleichzeitig dazu besser in der Lage ist. Wie dies vorab geklärt werden soll, bleibt aber unklar.

Die verwirrende Kompetenzregelung mußte geradezu Konflikte zwischen nationaler und EU-Ebene über den Anwendungsbereich der Subsidiaritätsklausel des Art. 3 b provozieren. Ein weiterer Grund, warum die Subsidiaritätsklausel des Maastrichter Vertrages Raum für politische Spekulationen und Instrumentalisierungsversuche bot, war ihre unklare rechtliche Kontrolle. Grundsätzlich ist der EuGH für die Überprüfung aller Vertrags-inhalte zuständig. Die gerichtliche Überprüfung einer Gemeinschaftsmaßnahme auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 3 b war dadurch gegeben. Dem EuGH wurden jedoch keine justitiablen Maßstäbe an die Hand gegeben, nach denen er den umstrittenen Artikel zukünftig auslegen sollte. Damit war absehbar, daß bei Streitfällen eine Einzelfallprüfung erfolgen mußte, ob ein Gemeinschaftshandeln gerechtfertigt ist. Die Kritik richtete sich v. a. gegen das Abwälzen der Interpretationslast und damit der Verantwortung für letztlich politische und nicht rechtliche Fragen auf den Gerichtshof

III. Ringen um die „richtige“ Subsidiaritätsinterpretation und das Subsidiaritätskonzept von Edinburgh

Die aufgezeigten Probleme führten dazu, daß sich eine intensive Diskussion zwischen nationalen Regierungen und Vertretern der EG-Institutionen über die „richtige“ Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf EG-Ebene entwickelte. Während des schwierigen Ratifizierungsprozesses des Maastrichter Vertrages waren es wieder die Regierungen Kohl und Major, die die öffentlichkeitswirksame Diskussion um die „richtige“ Anwendung der Subsidiaritätsregelung des EU-Vertrages entscheidend prägten. Die britische Regierung, die im zweiten Halbjahr 1992 auch die EG-Präsidentschaft innehatte, nutzte die nach dem negativen dänischen Referendum vom 2. Juni 1992 schlagartig um sich greifende integrationsskeptische Stimmung für ihre nationalen Ziele aus. Auf einem eigens dafür einberufenen Sondergipfel des Europäischen Rates am 16. Oktober 1992 in Birmingham wurde das Subsidiaritätsprinzip kurzerhand zum „Grundsatz der Bürgernähe“ umgewidmet und zum Schutzschild gegen Brüsseler Regulierungswut gekürt. Der europapolitisch aufgeschreckten Öffentlichkeit wurde der bis dahin weitgehend unbekannte Grundsatz als das Allheilmittel gegen bürgerferne europäische Bürokratie und die schleichende Entmachtung der Nationalstaaten „verkauft“. Mit der Stilisierung zum „Rettungsanker“ für den Maastrichter EU-Vertrag setzte sich die britische Regierung und ihr integrationshemmendes Subsidiaritätsverständnis durch, zumal dies von den Regierungen Frankreichs und Deutschlands weitgehend mitgetragen wurde

Gegen diese einseitige, aber wirkungsvolle Auslegung der EU-Subsidiaritätsklausel konnten sich auch die anderen Akteure kaum wehren, obwohl die Kommission -v. a. unterstützt durch die Regierungen Spaniens, Griechenlands, Irlands und der Benelux-Staaten -eine allzu integrationshemmende Interpretation des umstrittenen Grundsatzes zu verhindern versuchte Bei der Tagung des Europäischen Rates im Dezember 1992 in Edinburgh einigten sich die nationalen Regierungen und die Kommission nach monatelangen, kontro-versen Diskussionen über die Auslegung des Art. 3 b schließlich auf ein „Gesamtkonzept für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und des Artikels 3 b. . .“ Hierin stellten sie fest, daß das Prinzip dazu beiträgt, „daß die nationale Identität der Mitgliedstaaten gewahrt und ihre Befugnisse erhalten bleiben. Es bezweckt, daß Beschlüsse im Rahmen der Europäischen Union so bürgernah wie möglich gefaßt werden .“ Die Teilnehmer betonten auch, daß eine einseitige Auslegung des Grundsatzes nicht angemessen sei: „Die Subsidiarität ist ein dynamischer Grundsatz, der im Licht der Vertragsziele angewandt werden sollte. Sie gestattet eine Ausweitung der Tätigkeit der Gemeinschaft, wenn die Umstände es verlangen, und umgekehrt auch deren Beschränkung oder Ausstattung, wenn sie nicht mehr gerechtfertigt ist.“ Neben einem jährlich an das Parlament und den Rat zu übermittelnden „Subsidiaritätsbericht“ muß die Kommission -als zentrale Verpflichtung -jedem neuen Vorschlag eine Subsidiaritätsbewertung beifügen, die Rat und Parlament zu überprüfen und gegebenenfalls zu beanstanden haben

Die Regierungen Deutschlands und Großbritanniens setzten mit diesem Konzept ihre Vorstellung von einer Subsidiaritätsinterpretation durch, die es der Kommission erheblich erschwerte, den Vorrang der Gemeinschaftsebene bei der Erfüllung einer Aufgabe zu begründen. Die Kommission bekräftigte ihren Willen, Gemeinschaftsinitiativen auf das Notwendigste zu beschränken, indem sie bereits in Edinburgh eine erste, vorläufige Liste mit geplanten Gemeinschaftsrechtsakten vorlegte, die sie entweder komplett zurückzuziehen oder zumindest in weniger regelungsintensiver Form umzusetzen beabsichtigte, weil sie nicht ausreichend gerechtfertigt schienen. Außerdem kündigte sie an, Vorschläge, die zu viele Detailvorschriften enthielten, zu überarbeiten und Harmonisierungspläne technischer Vorschriften zugunsten einer gegenseitigen Anerkennung zurückzustellen Die Kommission wandte also die Erforderlichkeits-(Art. 3 b Abs. 2 ) und die Proportionalitätsprüfung (Art. 3 b Abs. 3) auch rückwirkend an. Damit hatte sie gegenüber den Skeptikern demonstriert, daß sie zu einer kritischen Selbstprüfung ihrer Initiativen, unter Anwendung eines als „Übermaßbremse“ funktionierenden Subsidiaritätsprinzips, bereit war.

IV. Weitere Instrumentalisierungsversuche des Subsidiaritätsprinzips vor und nach Amsterdam

Mit der Einigung auf das Subsidiaritätskonzept von Edinburgh existierte eine Kompromißformel, mit der die Verfechter einer integrationsbremsenden Auslegung des Prinzips leben konnten und die Gemeinschaftsinstitutionen leben mußten. Im Zusammenhang mit der Regierungskonferenz, die auf dem Amsterdamer Gipfel im Juni 1997 abgeschlossen wurde, stand das Subsidiaritätsprinzip noch einmal im europäischen Rampenlicht. Seine Konkretisierung wurde von vielen Regierungen als wichtige Aufgabe der Regierungskonferenz genannt und fand in fast allen Stellungnahmen zur Weiterentwicklung der EU Berücksichtigung

Die einzige europapolitische Akteursgruppe, die sich vehement für eine Änderung des Art. 3 b EG-Vertrag und der daran anknüpfenden Praxis aussprach, waren die Länder und Regionen, repräsentiert durch den Ausschuß der Regionen. Die Forderungen bezogen sich in erster Linie auf die Nennung der regionalen und lokalen Ebene im Art. 3 b, die klare Abgrenzung der Zuständigkeiten durch Kompetenzlisten sowie eine weitere Aufwertung des Ausschusses der Regionen

Zwar fand das Ansinnen zur noch konsequenteren Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips die grundsätzliche Unterstützung durch die Regierungen Deutschlands und Österreichs Es gab jedoch nicht die von den Regionalvertretern erhoffte „Koalition der Föderalisten“, d. h.derjenigen Mitgliedstaaten, die bereits fortgeschrittene föderative Strukturen entwickelt haben.

Die belgische Regierung, als Vertreter eines föderalisierten Bundesstaates, betonte einerseits die zentrale Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für das Verhältnis zwischen EU, Zentralstaat und Regionen, sie lehnte anderseits aber eine Änderung des Subsidiaritätsartikels in ihrer Stellungnahme zur Regierungskonferenz explizit ab. Auch gegen einen Kompetenzkatalog sprach sie sich aus, da er ihrer Meinung nach dem dynamischen und evolutiven Charakter des Integrationsprozesses zuwiderlief

Die spanische Regierung wurde in ihrer Stellungnahme sogar noch deutlicher, als sie vor der schädlichen Wirkung einer weiteren Instrumentalisierung des Art. 3 b warnte: „Die Subsidiarität darf keinesfalls zu einer Waffe werden, mit der die Befugnisse, die bereits auf die Union übergegangen sind, beschnitten werden.“ Die meisten Regierungen sprachen sich gegen weitere Veränderungen des Art. 3 b und damit gegen den Versuch einer klareren Kompetenzabgrenzung im europäischen Mehrebenensystem aus.

Der Kompetenzsog der Kommission war gestoppt, ohne daß die regionale Ebene europaweit davon profitiert hätte. Für eine weitere „Fesselung“ der Kommission, die Schwächung der Gemeinschaftsebene und eine substantielle Aufwertung der Regionen gab es keine Mehrheit. Insofern trafen die geringfügigen Änderungen durch die Aufnahme des Edinburgher Subsidiaritätskonzeptes als „Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ in den Amsterdamer Vertrag auf allgemeine Zustimmung.

Den vorerst letzten Versuch, das Subsidiaritätsprinzip in einer breiteren europäischen Öffentlichkeit zu diskutieren, stellte der gemeinsame Brief von Helmut Kohl und Jacques Chirac zum EU-Gipfel von Cardiff im Juni 1998 dar. Hierin forderten die beiden Autoren eine noch striktere Beachtung des Subsidiaritätsprinzips innerhalb der EU und verwehrten sich explizit gegen „die Zielsetzung europäischer Politik ..., einen europäischen Zentralstaat, das heißt ein zentralistisch aufgebautes Europa zu begründen“ Sogar ein EU-Sondergipfel im Oktober 1998 sollte die Thematik erneut behandeln

V. Auswirkungen des Subsidiaritätsprinzips auf den Integrationsprozeß

1. Veränderungen im Verhältnis der EU-Institutionen zu den Mitgliedstaaten?

Da es in der föderativen Ordnung der EU keine klar gezogenen Zuständigkeitsgrenzen gibt, versuchen die Gemeinschaftsorgane und die Mitglieds-länder seit jeher in einer Art kontinuierlichem Machtkampf, das Verhältnis zwischen Eigenständigkeit der Union und Sicherung nationaler (Rest-) Souveränität zu ihren Gunsten zu beeinflussen Entsprechend der schwankenden Integrationsbzw. Vergemeinschaftungsbereitschaft sind Veränderungen in der Gemeinschaftsordnung etwas ganz Normales; sie sind notwendiger Ausdruck des Prozeßcharakters der europäischen Integration. Es stellt sich somit die Frage, inwiefern das Subsidiaritätsprinzip sich hierauf ausgewirkt hat. Die Gemeinschaftsorgane waren nach Art. 190 EG-Vertrag auch bisher schon verpflichtet, Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen mit Gründen zu versehen und die rechtliche Grundlage dafür anzugeben. Mit der Einführung des Art. 3 b und der Diskussion um das Subsidiaritätsprinzip hat sich der Begründungszwang v. a. für die Kommission und ihre Vorschläge erheblich vergrößert. Neben den Gründen für eine vorgeschlagene Gemeinschaftsmaßnahme sind die nachvollziehbaren Erwägungen für ihre Notwendigkeit nach Art. 3 b Abs. 2 darzulegen. Dies trifft zwar nur auf die Bereiche zu, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen. Aufgrund der Unsicherheit bei der Abgrenzung der Kompetenzen ist die Subsidiaritätsprüfung aber zur Routine bei fast allen Gemeinschaftsmaßnahmen geworden. Offiziell lautet die Kommissionsformel zur Wirkung des Subsidiaritätsprinzips für die EU „Weniger, aber besser handeln“. Begründungen hinsichtlich der Notwendigkeit und Zulässigkeit einer Gemeinschaftsmaßnahme unter Subsidiaritätsgesichtspunkten sind zur Normalität geworden, da die Dienststellen der Kommission dazu angehalten wurden, alle Entwürfe einem „Subsidiaritäts-und Verhältnismäßigkeitstest“ zu unterziehen.

Die nationalen Regierungen wachen mit Argusaugen darüber, daß die Entwürfe und beschlossenen EG-Maßnahmen ausreichende Begründungen enthalten und die Kommission keine ungerechtfertigten Initiativen startet Kommissionspräsident Santer hat jedoch angesichts der Kohl-Chirac-Initiative vom Juni 1998 deutlich gemacht, daß das Subsidiaritätsprinzip nicht dazu führen dürfe, daß jegliche Initiativen auf Gemeinschaftsebene unterbleiben Eine weitere Konsequenz aus der heftigen europäischen Subsidiaritätsdiskussion ist die „freiwillige Selbstbeschränkung“ der Kommission bei der Wahl der Gemeinschaftsmaßnahmen. Unter Bezugnahme auf den größeren Gestaltungsspielraum für die EU-Mitglieder bei der Ausformung und der besseren Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsgedanken gilt die Richtlinie, die zwar hinsichtlich ihrer Zielsetzung, nicht aber in bezug auf das zu wählende Mittel verbindlich ist, als die vorzuziehende Maßnahme. Gerade die EU-Kommission versucht angesichts der massiven Vorwürfe der europäischen Überregulierung durch das Abgehen vom Instrument der Verordnung, die unmittelbar in jedem Mitgliedsland gilt, Vertrauen zurückzugewinnen. Die bisherige Diskussion um die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips in der EU hat unmißverständlich klargemacht, daß die Zeit der dynamischen Integration durch Ausnutzung der Spielräume durch die Kommission beendet ist. Das Ergebnis der Detaildebatten, das im Subsidiaritätskonzept von Edinburgh, dem interinstitutionellen Abkommen zwischen Kommission, Rat und Parlament und schließlich im Subsidiaritätsprotokoll des Amsterdamer Vertrages zum Ausdruck kommt, schreibt faktisch ein Vetorecht jedes Mitgliedstaates gegen eine vertragsimmanente Kompetenzerweiterung der Gemeinschaft fest. Damit gewinnt das intergouvernementale Prinzip ein klares Übergewicht gegenüber dem supranationalen. Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in den europäischen Verträgen und die anschließende Diskussion markieren somit den Wendepunkt von der Duldung einer immanenten Evolution der Gemeinschaft zur Dominanz nationaler Entscheidungsvorbehalte

Die Stärkung des intergouvernementalen Prinzips erfolgte -aus der Sicht der meisten Regierungen -aus der Notwendigkeit heraus, den skeptisch gewordenen Bürgern zu demonstrieren, daß die schleichenden Kompetenzverluste an „Brüssel“ der Vergangenheit angehören und nationale Interessen wieder stärker gewichtet werden. Zwar können die Mitgliedstaaten nicht, wie bis zur Lancierung des Binnenmarktprogramms vielfach praktiziert, die existierenden Gemeinschaftspolitiken blockieren. Aber die Berufung auf Art. 3 b mit der Behauptung, daß nationale Zuständigkeiten durch eine Gemeinschaftsmaßnahme erheblich tangiert würden, kann eine dynamische Weiterentwicklung des acquis communautaire seit Maastricht behindern Die drängende Frage, wie die in einem Mehrebenensystem eng miteinander ver-flochtenen Gesellschaften Westeuropas die komplexen Herausforderungen bewältigen können, blieb beim gemeinschaftlichen Subsidiaritätsstreit unbeantwortet -sie wurde nicht einmal gestellt

Die Zahl der neuen Kommissionsvorschläge, die entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vielfach nur noch aus Rahmenvorschriften bestehen, ist von 61 im Jahr 1990 über 48 im Jahr 1993 auf 25 Vorschläge 1995 -u. a. „binnenmarktbedingt“ -stark zurückgegangen. Zugleich setzte die Kommission ihre 1992 in Edinburgh begonnene Politik fort und zog eine Vielzahl an schon existierenden Vorschlägen für Gemeinschaftsmaßnahmen an den Rat zurück. Damit signalisiert die Kommission ihre Bereitschaft, maß-zuhalten und ihre Aktivitäten auf das absolut Notwendige zu beschränken. Mit der Arbeit an einem Programm zur Vereinfachung des bestehenden Rechts geht sie sogar über die geforderten Schritte hinaus.

Neben der quantitativen Zurückhaltung der Kommission mit Vorschlägen hat sich aufgrund des Subsidiaritätsgedankens auch die Art der Informationspolitik über geplante Vorhaben geändert. Dabei spielt die vorherige Konsultation eine wichtige Rolle. Noch bevor die Kommission einen Vorschlag an den Rat leitet, erfolgt einerseits eine „offene Konsultation“ über die Veröffentlichung von „Grünbüchern“ und „Weißbüchern“ zu den geplanten Regelungsmaterien, die sich an die interessierte Öffentlichkeit, Parteien und Verbände richtet. Andererseits werden gezielte Konsultationen der Mitgliedstaaten und zuständiger Kreise durchgeführt, um Bedenken noch vor der Übermittlung eines Vorschlages an den Rat ausräumen zu können oder bei erheblichen Widerständen weitere Initiativen zu unterlassen.

Durch Vorabkonsultationen öffnete die Kommission den gemeinschaftsinternen Meinungsbildungsprozeß entsprechend den Forderungen nach mehr Offenheit und Transparenz. Daß die Arbeit der Kommission durch nationale (Subsidiaritäts-) Vorbehalte im Jahr 1993 auf 25 Vorschläge 1995 -u. a. „binnenmarktbedingt“ -stark zurückgegangen. Zugleich setzte die Kommission ihre 1992 in Edinburgh begonnene Politik fort und zog eine Vielzahl an schon existierenden Vorschlägen für Gemeinschaftsmaßnahmen an den Rat zurück. Damit signalisiert die Kommission ihre Bereitschaft, maß-zuhalten und ihre Aktivitäten auf das absolut Notwendige zu beschränken. Mit der Arbeit an einem Programm zur Vereinfachung des bestehenden Rechts geht sie sogar über die geforderten Schritte hinaus.

Neben der quantitativen Zurückhaltung der Kommission mit Vorschlägen hat sich aufgrund des Subsidiaritätsgedankens auch die Art der Informationspolitik über geplante Vorhaben geändert. Dabei spielt die vorherige Konsultation eine wichtige Rolle. Noch bevor die Kommission einen Vorschlag an den Rat leitet, erfolgt einerseits eine „offene Konsultation“ über die Veröffentlichung von „Grünbüchern“ und „Weißbüchern“ zu den geplanten Regelungsmaterien, die sich an die interessierte Öffentlichkeit, Parteien und Verbände richtet. Andererseits werden gezielte Konsultationen der Mitgliedstaaten und zuständiger Kreise durchgeführt, um Bedenken noch vor der Übermittlung eines Vorschlages an den Rat ausräumen zu können oder bei erheblichen Widerständen weitere Initiativen zu unterlassen.

Durch Vorabkonsultationen öffnete die Kommission den gemeinschaftsinternen Meinungsbildungsprozeß entsprechend den Forderungen nach mehr Offenheit und Transparenz. Daß die Arbeit der Kommission durch nationale (Subsidiaritäts-) Vorbehalte frühzeitig beeinflußt werden kann, beeinträchtigt ihre Unabhängigkeit, entspricht aber den realen Machtverhältnissen in der EU 44. 2. Föderalisierung bzw. Regionalisierung der EU? Die Europäische Union hat mit ihrer Kompetenzverteilung auf verschiedene Ebenen de facto eine föderative Ordnung 45. In die klassischen föderalistischen Kategorien des Staatenbundes oder Bundesstaates läßt sich die EU jedoch schlecht einordnen, da es sich um eine völlig eigenständige Integrationsform handelt. Sie ist mehr als ein schlichter Staatenbund, aber auch kein föderativer Staat. Bei der Einordnung in die Skala föderalistischer Spielarten bringt auch die Wortschöpfung des „Staatenverbundes“, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seinem Maastricht-Urteil vom 12. Oktober 1993 46 vollzogen hat, nichts Neues.

Zwar sind Länder, Regionen und autonome Gemeinschaften heute europaweit als eine wichtige Handlungseinheit im Zusammenspiel mit Nationalstaaten und EU unbestritten 47. Dieser wachsenden Bedeutung subnationaler Einheiten zollten die EU-Mitglieder mit der Institutionalisierung des Konsultativgremiums „Ausschuß der Regionen“ durch Art. 198a-c EG-Vertrag auch ihren Tribut. Mit der sowohl während der Regierungskonferenz 1990/91 als auch 1996/97 unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip geäußerten Forderung nach einer obligatorischen Beteiligung regionaler Akteure am gemeinschaftlichen Entscheidungsfindungsprozeß konnten die Regionen sich jedoch nicht durchsetzen 48. Hierfür gibt es handfeste Gründe: 1. Rechtlich betrachtet, kennt die Gemeinschaft nur die Nationalstaaten als Ansprechpartner; die Staatsstrukturen jedes Mitgliedslandes sind für die Gemeinschaft unerheblich. 2. Die Gemeinschaft besitzt keine Zuständigkeiten für die Beeinflussung des Verhältnisses der Mitgliedstaaten zu ihren nachgeordneten Gebietskörperschaften -weder im Hinblick auf innerstaatliche Belange noch auf die außenpolitischen Kompetenzen. 3. Die Mitgliedstaaten müßten sich zu Recht wehren, würden europäische Regelungen geschaffen, die ihre verfassungsmäßigen Strukturen beeinflussen würden. 4. In den EU-Mitgliedsländern gibt es keine miteinander vergleichbaren, rechtlich gleichberechtigten Regionen Würde die Gemeinschaft den ungleichen subnationalen Einheiten trotzdem eine europäische Rechtspersönlichkeit zugestehen, müßten sich deutsche, belgische, spanische oder österreichische Regionalrepräsentanten dagegen zur Wehr setzen. Die demokratisch legitimierten, innerstaatlich mit eigenen Rechten ausgestatteten Gebietskörperschaften föderaler Länder würden mit regionalen Verwaltungseinheiten aus zentralisierten Mitgliedstaaten -wie in Großbritannien oder Dänemark -rechtlich gleichgestellt. Letztere sind zur Interessenvertretung „ihrer“ Region aber weder legitimiert noch ermächtigt. 3. Ein Schritt zu mehr Legitimität und Bürger-nähe der EU?

Die Initiativen zur Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips in die Gemeinschaftsverträge und die Konkretisierungsdiskussion seit 1992 wurden u. a. durch die Behauptung gerechtfertigt, dadurch könne die Gemeinschaft den Bedürfnissen nach bürgernahen und demokratisch legitimierten Entscheidungen besser entsprechen. Es stellt sich die Frage, ob die gemeinschaftliche Subsidiaritätsklausel an dem offensichtlichen Demokratie-und Legitimationsdefizit der Gemeinschaftsentscheidungen etwas ändern konnte. Bemängelt wird sowohl die unzureichende demokratische Legitimation der Gemeinschaftsorgane als auch die schwache demokratische Kontrolle des Entscheidungsprozesses. Dieser Mangel an Legitimation ist das Ergebnis der Vergemeinschaftung von Souveränitätsrechten ohne die gleichzeitige demokratische Verantwortlichkeit und Verantwortbarkeit für Entscheidungen Während der Ministerrat über die nationalen Parlamente indirekt demokratisch kontrolliert und legitimiert ist und das Europäische Parlament über die Wahlen, scheint die Kommission nur sich selbst verantwortlich zu sein

Auch die generelle Undurchsichtigkeit des Willensbildungs-und Entscheidungsprozesses im „institutioneilen Bermudadreieck“ Kommission -Parlament -Rat stellt ein demokratisches Manko dar. Desweiteren fehlen diejenigen Elemente, die den Politikbildungsprozeß nach westlichen Demokratievorstellungen darüber hinaus ausmachen: ein dichtes Gefüge organisatorisch verfestigter oder situativ variabler Partizipationsstrukturen, in denen die „Vielfalt der Interessen, der Meinungen, der Werthaltungen einer pluralistischen Gesellschaft“ ausreichend zur Geltung kommen kann.

Die Einführung des Subsidiaritätsprinzips ändert an dieser mangelhaften demokratischen Ordnung zunächst nichts. Seine breite Beachtung und Umsetzung kann jedoch indirekt demokratisierend und legitimierend wirken, sofern es dabei nicht um die schlichte Umsetzung der Subsidiaritätsregelung des Art. 3 b geht, sondern um die umfassende Beachtung des Subsidiaritätsgedankens. Das Subsidiaritätsprinzip wirkt demokratisierend auf staatliche Ordnungen, da es eine größtmögliche Zuständigkeitsverteilung auf nachrangige Ebenen empfiehlt, die den Entscheidungsbetroffenen möglichst nahe stehen. Die Entscheidungen dieser Ebenen kann der interessierte Bürger eher beeinflussen als diejenigen übergeordneter staatlicher Einheiten. Eine die einzelnen Entscheidungsebenen legitimierende Wirkung entfaltet das Subsidiaritätsprinzip jedoch nicht. Es wirkt nur demokratisierend auf das Gesamtsystem hoheitlicher Entscheidungen

Eine wirksame, wenn auch nicht unproblematische Maßnahme zum Abbau des Demokratiedefizits wäre der verstärkte Einsatz von Referenden, die nicht nur hinsichtlich der Integrationspolitik vermehrt gefordert werden Als ebenfalls geeigne-terer Schritt zur Linderung -keinesfalls jedoch zur Beseitigung -des Demokratiedefizits als das Subsidiaritätsprinzip ist die stärkere Beachtung der wiederholt angesprochenen Grundsätze der Offenheit und Transparenz zu bewerten. Gerade die geheime Entscheidungspraxis und die verwirrenden Beschlußfassungsverfahren innerhalb und zwischen den Gemeinschaftsorganen sowie die Struktur der Union symbolisieren das Demokratiedefizit der Gemeinschaft. Durch die bereits viel-beschworene, aber kaum verbesserte Offenheit und Transparenz könnte viel für ein besseres Verständnis der in „Brüssel“ betriebenen Politik bei den Bürgern getan werden. Dies wäre auch ein Teil der bisher nicht praktizierten „Bürgernähe“! Somit bleibt „Bürgernähe eher bloße Beschwörungsformel“, die in Verbindung mit dem Subsidiaritätsprinzip „eine salbungsvolle Titulierung erhält“

Der Prämisse möglichst bürgernaher Entscheidungen, die dem Subsidiaritätsprinzip innewohnt, zu entsprechen, liegt ohnehin eher in der Verantwortung der einzelnen Staaten als der Gemeinschaft. Durch Dezentralisierung ihrer innerstaatlichen Kompetenzordnungen können sie den größten Beitrag zu mehr Bürgernähe leisten. Im EU-Rahmen muß deswegen die sachgemäße Zuordnung von Kompetenzen entscheidend bleiben

VI. Bewertung und Ausblick

Das Subsidiaritätsprinzip ist kein Allheilmittel für die EU, aber auch keine bloße Worthülse. Für die immer wieder geforderte grundlegende Reform der EU-Kompetenzordnung konnte der Grundsatz bisher keine Wirkung entfalten. Dies hängt sowohl mit den vielfachen Instrumentalisierungsversuchen als auch mit der unzureichenden Auseinandersetzung mit dem Gehalt des Grundsatzes zusammen. Als trennscharfe Regel bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ist der Grundsatz jedenfalls ungeeignet.

In der integrationspolitisch kritischen Phase seit dem Maastrichter Gipfel hat das Subsidiaritätsprinzip dazu beigetragen, das Bewußtsein aller Akteure dafür zu schärfen, daß es weder im allgemeinen Interesse liegen kann, alles Mögliche -im wörtlichen Sinn -gemeinschaftlich zu regeln, noch die Kommission in ihren Aktivitäten generell zu beschneiden sowie eine grundsätzliche Renationalisierung der Zuständigkeiten einzuleiten. Trotzdem wird die EU-Kommission durch die strengen Auflagen des Edinburgher Subsidiaritätskonzeptes, das in Amsterdam Vertragsrang erhielt, in ihrer Dynamik stark gebremst. Die deutsche Regierung, als großer Mentor des Integrationsprozesses, spielte zusammen mit der Regierung Major eine „Geburtshelferrolle“ für eine Subsidiaritätsregelung, die die Kommission zwingt, die Notwendigkeit aller Gemeinschaftsmaßnahmen detailliert zu begründen und im Zweifelsfall eher untätig zu bleiben.

Die Instrumentalisierungsversuche haben auch gezeigt, daß das Subsidiaritätsprinzip nicht leisten kann, was die „Herren der Verträge“ -also die Mitgliedstaaten, vertreten durch ihre Regierungen -nicht durchsetzen wollen. Beispielsweise ist die Aufwertung der regionalen Ebene im europäischen Mehrebenensystem und im EU-Entscheidungsgefüge nur durch eine entsprechende politische Grundsatzentscheidung möglich. Bisher war dies jedoch nicht konsensfähig. Auch das bemängelte Demokratiedefizit der EU kann nur durch klarere Entscheidungsverfahren, größere Transparenz und effektive demokratische Kontrollen abgebaut werden. Eine stärkere Beachtung des Subsidiaritätsprinzips kann nur insofern einen Beitrag dazu leisten, als Entscheidungen soweit wie möglich innerhalb der als demokratisch eingestuften Verfahren der Mitgliedstaaten getroffen werden. Die übergeordnete Frage der „guten Ordnung“, zu deren Beantwortung das Subsidiaritätsprinzip einen wichtigen Beitrag leisten kann, wurde bisher noch gar nicht gestellt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Quadragesimo anno (1931), in: Texte zur katholischen Soziallehre, Kevelaer 19774, S. 120 f.

  2. Vgl. hierzu Wolfram Hilz, Subsidiaritätsprinzip und EU-Gemeinschaftsordnung. Anspruch und Wirklichkeit am Beispiel des Maastricht-Prozesses, Opladen 1998, S. 27 ff.

  3. Das Wort Subsidiarität kommt vom lateinischen Wort „subsidium“, das als „unterstützende Hilfe“ oder als „hilfreicher Beistand“ bezeichnet wird. Vgl. Oswald von Nell-Breuning. Baugesetze der Gesellschaft. Solidarität und Subsidiarität, durchges. Neuausgabe, Freiburg u. a. 1990, S. 11.

  4. Dem „Erforderlichkeits-“ wird deshalb das „Effektivitätskriterium“ gegenübergestellt. Dabei wird ein Handlungsvorrang der höheren Ebene bereits dann angenommen, wenn eine Aufgabe -unabhängig von der Leistungsfähigkeit untergeordneter Einheiten -auf der übergeordneten Ebene besser erfüllt werden kann. Mit dem Subsidiaritätsgrundsatz, wie er in der katholischen Soziallehre propagiert wird, hat eine derartige Interpretation allerdings kaum mehr etwas gemein. Vgl. hierzu auch Vlad Constantinesco, Subsidiarität: Zentrales Verfassungsprinzip für die Politische Union, in: Integration, 13 (1991) 4, S. 165 ff.; Matthias Jestaedt, Die Relativität des Subsidiaritätsprinzips, in: Rupert Scholz (Hrsg.), Deutschland auf dem Weg in die Europäische Union: Wieviel Eurozentralismus -wieviel Subsidiarität?, Köln 1994, S. 114 f.; Clemens Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, Köln 1992, S. 15 ff.

  5. Zur Problematik der „Politikverflechtung“ vgl. Peter Bohley, Chancen und Gefährdungen des Föderalismus, in: Kurt Bohr (Hrsg.), Föderalismus. Demokratische Struktur für Deutschland und Europa, München 1992. S. 31 ff.; Fritz W. Scharpf, Die Politikverflechtungsfalle. Europäische Integration und deutscher Föderalismus im Vergleich, in: Politische Vierteljahresschrift, 26 (1985) 4, S. 323 ff.; Rainer-Olaf Schultze, Statt Subsidiarität und Entscheidungsautonomie -Politikverflechtung und kein Ende: Der deutsche. Föderalismus nach der Vereinigung, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 4 (1993) 2, S. 247 f. -

  6. Vgl. W. Hilz (Anm. 2), S. 103 ff.

  7. Vgl. Alberto Gil Ibanez, Spain and European Political Union, in: Finn Laursen/Sophie Vanhoonacker (Hrsg.), The Intergovernmental Conference on Political Union. Institutional Reforms, New Policies and International Identity of the European Community, Maastricht 1992, S. 108 ff.; Christa van Wijnbergen, Ireland and European Political Union, in: ebd., S. 133.

  8. Jacques Delors, Das Subsidiaritätsprinzip (Beitrag zum Kolloquium des Europäischen Instituts für öffentliche Verwaltung in Maastricht am 21. 3. 1991), in: ders.. Das neue Europa, München 1993, S. 164.

  9. Vgl. W. Hilz (Anm. 2), S. 89 ff.; Pierre Pescatore, Europa-taugliches Subsidiaritätsprinzip? Ein Irrweg der Unionspolitik, in: Neue Zürcher Zeitung vom 15. 10. 1991.

  10. Zu Motiven und vielfältigen Formen interregionaler Zusammenarbeit in Europa vgl. Rudolf Hrbek/Sabine Weyand, Betrifft: Das Europa der Regionen: Fakten, Probleme, Perspektiven, München 1994, S. 43 ff.

  11. Die Konferenz, an der Vertreter von 36 Ländern, Regionen und autonomen Gemeinschaften aus 9 Ländern teilnahmen, tagte erstmals am 18. /19. 10. 1989 in München. Auf vier weiteren Treffen in den Jahren 1990 bis 1992 demonstrierten die Teilnehmer die Ernsthaftigkeit ihrer Forderungen. Die bereits seit 1985 existierende „Vereinigung der Regionen Europas“ (VRE) schloß sich der Position der Konferenz „Europa der Regionen“ an. Vgl. Entschließung der Teilnehmer der Konferenz „Europa der Regionen“ am 19. 10. 1989 in München, in: Franz H. U. Borkenhagen/Christian Bruns-Klöss/Gerhard Memminger/Otti Stein (Hrsg.), Die deutschen Länder in Europa. Politische Union und Wirtschafts-und Währungsunion, Baden-Baden 1992, S. 251; Joan Vallve i Ribera, „Europa der Regionen“: Zur Bedeutung der Zusammenarbeit von Bundesländern und Regionen im europäischen Integrationsprozeß, in: Bernhard Vogel/Gunther H. Oettinger (Hrsg.), Föderalismus in der Bewährung. Die deutschen Länder vor der Herausforderung fortschreitender EG-Integration, Köln 1992, S. 127 f.

  12. Zur Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips in der Kompetenzordnung der Bundesrepublik und zum deutschen Föderalismus siehe u. a. Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders. /Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV: Finanzverfassung -Bundesstaatliche Ordnung, Heidelberg 1990, S. 653; Ursula Münch, Entwicklung und Perspektiven des deutschen Föderalismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 13/99, S. 3-11; Stefan Ulrich Pieper, Subsidiarität. Ein Beitrag zur Begrenzung der Gemeinschaftskompetenzen, Köln u. a. 1994, S. 78 ff.

  13. Im Hinblick auf die Zustimmungserfordernis der Länder im bevorstehenden Ratifizierungsverfahren war die Bundesregierung trotzdem gezwungen, die Länderpositionen in die Regierungskonferenz miteinzubringen. Vgl. Helmut Dockter, Die innerstaatliche Ratifikation. Mitwirkungsmöglichkeiten der dritten Ebene, in: E H. U. Borkenhagen/Chr. Bruns-Klöss/G. Memminger/O. Stein (Anm. 11), S. 161 ff. Zur Ausweitung der Mitentscheidungsrechte der Länder durch den neuen Art. 23 GG vgl. u. a. Peter Badura, Der Bundesstaat Deutschland im Prozeß der europäischen Integration. Vortrag vor dem Europa-Institut der Universität des Saarlandes am 29. 6. 1993, Saarbrücken 1993, S. 6 ff.

  14. Diese Formulierung wird fast identisch noch einmal in Art. A Abs. 2 EUV wiederholt. Art. B EUV besagt, daß die „Ziele der Union ... unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips, wie es in Artikel 3 b des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft bestimmt ist“, zu verwirklichen sind.

  15. Vgl. hierzu Christian Calliess, Das gemeinschaftsrechtliche Subsidiaritätsprinzip (Art. 3 b EGV) als „Grundsatz der größtmöglichen Berücksichtigung der Regionen“, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 12 (1996) 4, S. 132.

  16. Vgl. Hans-Peter Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrages, Berlin 1991, S. 20 ff.; Helmut Lecheier. Das Subsidiaritätsprinzip. Strukturprinzip einer europäischen Union, Berlin 1993, S. 99.

  17. Anders als in Art. 70 ff. GG der Bundesrepublik wird im EG-Vertrag nicht weiter erläutert, um welche Politikbereiche es sich dabei handelt. Vgl. Hermann-Josef Blanke, Normativer Gehalt und Justitiabilität des Subsidiaritätsprinzips nach Art. 3 b EGV, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union. Bedeutung und Wirkung für ausgewählte Politikbereiche. Baden-Baden 1995, S. 100 f.; Jörn Pipkorn, Das Subsidiaritätsprinzip im Vertrag über die Europäische Union -rechtliche Bedeutung und gerichtliche Überprüfbarkeit, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 3 (1992) 22, S. 699.

  18. Vgl. Günter Hirsch, Die Auswirkungen des Subsidiaritätsprinzips auf die Rechtsetzungsbefugnis der Europäischen Gemeinschaften. Vortrag vor dem Europa-Institut der Universität des Saarlandes am 9. 5. 1995, Saarbrücken 1995, S. 8f.

  19. In der Literatur taucht deshalb auch der aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannte Begriff „konkurrierende“ Kompetenzen auf. Gemeint sind die Politikfelder, in denen sowohl die Gemeinschaft als auch die Mitgliedsländer nicht klar voneinander abgegrenzte Zuständigkeiten besitzen. Vgl. hierzu Reimer von Borries, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union, in: Europarecht, 29 (1994) 3, S. 273 ff.; Wernhard Möschei, Zum Subsidiaritätsprinzip im Vertrag von Maastricht, in: Neue Juristische Wochenschrift, 46 (1993) 47, S. 3026.

  20. Vgl. Lord Mackenzie-Stuart, Subsidiarity -A Busted Flush?, in: Deidre Curtin/David O’Keeffe (Hrsg.), Constitutional Adjudication in European Community and National Law. Essays for the Hon. Mr. Justice T. F. O’Higgins, Dublin 1992, S. 21; Thomas Bruha, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Gemeinschaft, in: Alois Riklin/Gerard Batliner (Hrsg.), Subsidiarität. Ein interdisziplinäres Symposium, Vaduz 1994, S. 400.

  21. Vgl. Schlußfolgerungen der Sondertagung des Europäischen Rates der Staats-und Regierungschefs am 16. Oktober 1992 in Birmingham, in: Europa-Archiv, 47 (1992) 21, D 611 ff.

  22. Vgl. Kommission der E. G., Das Subsidiaritätsprinzip. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, SEK (92) 1990 endg. vom 27. 10. 1992.

  23. Vgl. Schlußfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates der Staats-und Regierungschefs am 11. und 12. Dezember 1992 in Edinburgh (Auszug), in: Europa-Archiv, 48 (1993) 1, Anlage l, D 7ff.

  24. Ebd., Anlage 1, D 7.

  25. Ebd., Anlage 1, D 8.

  26. Diese Überprüfung der „erfolgreichen Anwendung des Subsidiaritätsprinzips“ sollte gemäß einer „Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission über die Verfahren zur Anwendung des Subsidiaritätsprinzips“ erfolgen, die die Organe am 25. 10. 1993 unterzeichneten. Vgl. Europa Dokumente vom 4. 11. 1993 (Nr. 1857), S. 3f.

  27. Vgl. Schlußfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates (Anm. 23), Anlage 2, D 12 ff. Das gleiche kündigte die Kommission auch für die Überprüfung des bestehenden Gemeinschaftsrechts an, das sie entschlacken und vereinfachen wollte.

  28. Vgl. Martin Große Hüttmann, Das Subsidiaritätsprinzip in der EU. Eine Dokumentation, mit einer Einführung zum Bedeutungsgehalt und zur Rezeption dieses Prinzips, Tübingen 1996.

  29. Zu den Überlegungen, die Zuständigkeiten innerhalb des Mehrebenensystems der Europäischen Union durch Kompetenzkataloge abzugrenzen, vgl. Christian Kirchner, Competence Catalogues and the Principle of Subsidiarity in a European Constitution, in: Constitutional Political Economy, 8(1997) 1, S. 71 ff.

  30. Vgl. Stellungnahme des Ausschusses der Regionen über die „Revision des Vertrags über die Europäische Union“ vom 21. 4. 1995 -Entschließung, in: Mathias Jopp/Otto Schmuck (Hrsg.), Die Reform der Europäischen Union: Analysen -Positionen -Dokumente zur Regierungskonferenz 1996/97, Bonn 1996, S. 138f.

  31. Vgl. Regierungserklärung, abgegeben von Bundeskanzler Helmut Kohl vor dem Deutschen Bundestag am 7. 12. 1995: „Aktuelle Fragen der Europapolitik“, in: M. Jopp/O. Schmuck, ebd., S. 148 f.; „Regierungskonferenz 1996 -Österreichische Grundsatzpositionen“, Wien vom 26. 3. 1996, in: ebd., S. 211.

  32. Vgl. Christian Franck, La Belgique, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Die Reform der Europäischen Union: Positionen und Perspektiven anläßlich der Regierungskonferenz, Baden-Baden 1997, S. 46.

  33. Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten des Königreichs Spanien, „Regierungskonferenz -Diskussionsgrundlagen der spanischen Regierung“; Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union, Mai 1995, Dok. SN 1709/95, in: M. Jopp/O. Schmuck (Anm. 30), S. 194.

  34. Vgl. Vertrag von Amsterdam: Text und Konsolidierte Fassungen des EG-und EU-Vertrags, mit einer Einführung von Angela Bardenhewer. Baden-Baden 1997, S. 133 ff.; Melanie Piepenschneider, Der Vertrag von Amsterdam. Analyse und Bewertung. Sankt Augustin 19972, S. 42 ff.

  35. Brief des deutschen Bundeskanzlers und des französischen Staatspräsidenten, Helmut Kohl und Jacques Chirac, an den Vorsitzenden des Europäischen Rates, den britischen Premierminister Tony Blair, veröffentlicht am 9. 6. 1998 in Bonn, in: Internationale Politik, 53 (1998) 9, S. 90. Siehe auch Erklärung der Bundesregierung zum Europäischen Rat in Cardiff, abgegeben von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl vor dem Deutschen Bundestag am 18. 6. 1998, in: Bulletin des Presse-und Informationsamts der Bundesregierung, Nr. 44 . vorn 22. 6. 1998, S. 581 f.

  36. Nach der Abwahl Helmut Kohls als Bundeskanzler kam es nicht dazu. Der EU-Gipfel am 24725. 10. 1998 in Pörtschach widmete sich v. a.den Herausforderungen der EU-Osterweiterung. Vgl. Das Parlament vom 6713. 11. 1998.

  37. Vgl. Marcell von Donat, Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union aus der Perspektive der Europäischen Kommission, in: Rudolf Hrbek (Hrsg.), Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union. Bedeutung und Wirkung für ausgewählte Politikbereiche, Baden-Baden 1995, S. 9.

  38. In der Bundesrepublik geben sowohl Bundesregierung als auch Bundesrat jährlich eine Stellungnahme zur Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips in der EU ab, in der sie ihre Kritik und deren Wirkung zusammenfassen. Vgl. Jürgen Kühling, Subsidiaritätsbericht 1997 der Bundesregierung, in: Zeitschrift für Gesetzgebung, 13 (1998) 3, S. 271 ff.

  39. Vgl. Interview mit EU-Kommissionspräsident Jacques Santer, in: Das Parlament vom 30. 10. 1998.

  40. Vgl. Sir Leon Brittan, Subsidiarity in the Constitution of the European Community, in: Europe Documents vom 18. 6. 1992 (No. 1786), S. 3; anders aber Joachim Starbatty, Die Administration: Was und wie bestimmt „Brüssel“ tatsächlich? Wege gegen bürokratische Ausuferung, in: Rupert Scholz (Hrsg.), Deutschland auf dem Weg in die Europäische Union: Wieviel Eurozentralismus -wieviel Subsidiarität?, Köln 1994, S. 48.

  41. In einem eindrucksvollen Bild bringt dies Joseph Weiler (Fin de Siecle Europe, in: Renaud Dehousse [Hrsg. ], Europe after Maastricht: an ever closer Union?, München 1994, S. 213) zum Ausdruck: „Maastricht has thrown out the supranational water without waiting for the baby to get in the bath.“

  42. Vgl. Armin von Bogdandy, Supranationale Union als neuer Herrschaftstypus: Entstaatlichung und Vergemeinschaftung in staatstheoretischer Perspektive, in: Integration, 16 (1993) 4, S. 216f.; Markus Jachtenfuchs/Beate Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, Opladen 1996.

  43. Zu den Problemen und Lösungsansätzen vgl. Daniel Bell, The World in 2013, in: Dialogue, 3 (1988), zit. in: R. -O. Schultze (Anm. 5), S. 226; Centre for European Policy Research (Hrsg.), Making sense of subsidiarity, London 1993.

  44. Der Ausschuß der Regionen (AdR) hatte als reines Konsultationsorgan nicht die Stellung und Kompetenzen bekommen, die die deutschen Länder und anderen Regionen sich erhofft hatten. Gleichzeitig waren die deutschen Ländervertreter über die praktisch nicht vorhandene „Schlagkraft“ des AdR als europäische Repräsentanz der „dritten Ebene“ ernüchtert, die jedoch angesichts der politischen Ungleichgewichtigkeit der „Regionen“ nicht überraschen konnte. Siehe hierzu auch Kurt Scheiter/Joachim Wuermeling, Europa der Regionen. Eine Idee gewinnt Gestalt, München 1995, S. 97 ff.

  45. Vgl. Christian Engel, Regionen in der EG: rechtliche Vielfalt und integrationspolitische Rollensuche. Gutachten im Auftrag der Staats-und Senatskanzleien der Länder, Bonn 1993.

  46. Zu den Defiziten und Gegenmaßnahmen vgl. Edgar Grande, Demokratische Legitimation und europäische Integration, in: Leviathan, 24 (1996) 3. S. 339 ff.; Andreas Maurer, Demokratie in der Europäischen Union nach Amsterdam, in: Internationale Politik und Gesellschaft, (1997) 4, S. 425 ff.

  47. Daran ändert auch der indirekt durch das Europäische Parlament (EP) erstmals im März 1999 erzwungene Rücktritt der EU-Kommission nichts. Der gescheiterte Mißtrauensantrag des EP vom Januar 1999 hat gezeigt, daß das Instrumentarium zur Kontrolle der Kommission des „alles oder nichts“ schlecht dosiert ist.

  48. Vgl. Peter Graf Kielmannsegg, Integration und Demokratie, in: M. Jachtenfuchs/B. Kohler-Koch (Anm. 42), S. 57ff.

  49. Zu Referendumsforderungen sowie generellen Einsatzmöglichkeiten siehe Heidrun Abromeit, Ein Vorschlag zur Demokratisierung des europäischen Entscheidungssystems, in: Politische Vierteljahresschrift, 39 (1998) 1. S. 80 ff.; Wolfgang Luthardt, European Integration and Referendums: Analytical Considerations and Empirical Evidence, in: Alan W. Cafruny/Glenda G. Rosenthal (Hrsg.), The State of the European Community, Vol. 2: The Maastricht Debates and Beyond, Boulder, Col. 1993, S. 65 f.

  50. Emanuel Richter, Superstaat Europa oder Ende der Integration? Die Europäische Union aus der Perspektive der neuen Kleinteiligkeit, in: Gerhard Lehmbruch (Hrsg.), Einigung und Zerfall: Deutschland und Europa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, Opladen 1995, S. 171.

  51. Vgl. Jürgen Schwarze, Kompetenzverteilung in der Europäischen Union und föderales Gleichgewicht. Zu den Forderungen der deutschen Bundesländer im Hinblick auf die Regierungskonferenz 1996, in: Deutsches Verwaltungsblatt, HO (1995) 23, S. 1266.

Weitere Inhalte

Wolfram Hilz, Dr. phiL, geb. 1966; Studium der Politischen Wissenschaft, der Geschichte und des Öffentlichen Rechts in München: wissenschaftlicher Assistent für internationale Politik an der TU Chemnitz. Veröffentlichungen u. a.: Subsidiaritätsprinzip und EU-Gemeinschaftsordnung. Anspruch und Wirklichkeit am Beispiel des Maastricht-Prozesses, Opladen 1998; Sicherheitspolitische Kooperation zwischen Deutschland, Polen und der Tschechischen Republik, in: Beate Neuss/Peter Jurczek/Wolfram Hilz (Hrsg.), Grenzübergreifende Kooperation im östlichen Mitteleuropa, Tübingen 1998.