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Generationengerechtigkeit | Rente | bpb.de

Rente Editorial Alterssicherung in Deutschland Einkommen und Armut im Alter Arbeit und Alter(n). Wie ein längeres Erwerbsleben möglich werden kann Der lange Schatten der Demografie. Handlungsfelder einer Rentenreform in Deutschland Rentensysteme im Umbau. Herausforderungen und Reformwege der Alterssicherung in Europa Generationengerechtigkeit. Genese und Dimensionen eines Begriffs

Generationengerechtigkeit Genese und Dimensionen eines Begriffs

Jörg Tremmel

/ 13 Minuten zu lesen

"Generationengerechtigkeit" ist im Zusammenhang mit Reformen des Sozialversicherungssystems ein häufig genutztes Schlagwort. Welche philosophischen Theorien und Konzepte sich dahinter verbergen, spielt meist eine untergeordnete Rolle in der öffentlichen Debatte.

"Generationengerechtigkeit" ist im Zusammenhang mit Reformen des Sozialversicherungssystems ein häufig genutztes Schlagwort. Mit diesem positiv besetzten Begriff wird versucht, ganz verschiedene Ziele argumentativ zu rechtfertigen – von der Sicherung des Lebensstandards der älteren Generation bis zum Ausbau der Kapitaldeckung der Alterssicherung. Welche philosophischen Theorien und Konzepte sich dahinter verbergen, spielt meist eine untergeordnete Rolle in der öffentlichen Debatte. Dieser Beitrag führt in die Genese und die Dimensionen des Begriffs ein, bevor mit Blick auf die Rentenpolitik skizziert wird, welche politischen Maßnahmen sinnvoller Weise als "generationengerecht" bezeichnet werden können und welche nicht.

Debatten in der Philosophie

Eine vollständige philosophische Theorie der Gerechtigkeit zwischen den Generationen hat zu klären, wer von wem wie viel von was erhalten soll. In der exponentiell wachsenden Literatur zu Generationengerechtigkeit sind alle diese W-Fragen umstritten.

Nicht strittig ist allerdings, dass sich Fragen der Generationengerechtigkeit, also der intergenerationellen Gerechtigkeit, immer zwischen Personengruppen stellen, die zu unterschiedlichen Zeiten geboren sind. Gerechtigkeit innerhalb einer wie auch immer definierten Generation ist nicht Gegenstand der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. In diesem anderen, intragenerationellen Bereich sind etwa Fragen der Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen (Geschlechtergerechtigkeit), Einkommensstarken und Einkommensschwachen (soziale Gerechtigkeit) oder Menschen verschiedener Herkunft angesiedelt. Gerechtigkeit zwischen den Generationen ist ein davon abzugrenzendes Feld, auch wenn es Wechselwirkungen zu Fragen der intragenerationellen Gerechtigkeit gibt.

Umstritten ist bereits die scheinbar eindeutige Frage, wer die beteiligten Akteure sind, denn der Begriff "Generation" ist mehrdeutig. Forschung zu familialen Generationen nimmt das Gegensatzpaar Kinder/Eltern in den Blick und stellt Analysen überwiegend auf der Mikroebene an. Dagegen bezieht sich die chronologische beziehungsweise demografische Bedeutung des Generationenbegriffs auf das Geburtsjahr beziehungsweise die Zugehörigkeit zu einer Alterskohorte. Hier wiederum können zwei unterschiedliche Gegensatzpaare in den Blick genommen werden: jung/alt oder heutig/zukünftig. Je nach Art des Generationenvergleichs ergeben sich unterschiedliche Fragestellungen.

Auch die Frage, wie viel eine Generation einer anderen hinterlassen sollte, ist umstritten. Aus philosophischer Sicht ist hier zunächst eine Vorklärung nötig: Sind wir der Nachwelt überhaupt etwas schuldig? Im Wesentlichen gibt es drei Gegenargumente gegen jedwede Verpflichtungen: erstens das Nicht-Identitäts-Problem, das besagt, dass die jeweils Lebenden keine Verpflichtungen gegenüber künftig Lebenden haben, weil die Existenz Letzterer von den Entscheidungen Ersterer abhängt. Konkret könne etwa eine nachlässige Klimaschutzpolitik oder eine ausufernde Schuldenpolitik der früher Lebenden nicht von den heute Lebenden kritisiert werden, denn bei einer anderen Politik hätten sich andere Menschen als ihre Eltern getroffen und gepaart, es wären also genetisch andere Kinder entstanden. Solange die heute Lebenden lebenswerte Leben führen, seien deren Vorwürfe gegen ihre Vorfahren unberechtigt. Bei dieser Debatte wird oft übersehen: Das Nicht-Identitäts-Problem stellt sich nur, wenn man bestimmte epistemische Vorannahmen über Kausalität teilt. In derzeitigen Diskussionen über generationengerechte Rentenpolitik spielt es zu Recht keine Rolle.

Zweitens die These der reichen Zukunft, die gemeinhin lautet, dass die materiellen Problemlösungsmöglichkeiten kommender Generationen größer sein werden als die der heutigen und daher Verschiebungen von finanziellen oder ökologischen Lasten in die Zukunft legitim sind. Da das Los der früher und der heute Lebenden insgesamt schwerer war beziehungsweise ist als das der künftig Lebenden, sei es nicht ungerecht, von Letzteren mehr zu verlangen. Diese Rechtfertigung einer Diskontierung künftiger Schäden kann mit Blick auf die Menschheitsgeschichte speziell seit der Neuzeit eine gewisse empirische Evidenz beanspruchen. Im Anthropozän ist jedoch ein solcher Fortschrittsoptimismus zweifelhaft geworden: Zum einen ist klärungsbedürftig, was "Fortschritt" überhaupt sein soll; zum anderen wissen wir nicht, ob die Geschwindigkeit technologischer Innovationen in der Zukunft so sein wird wie in der Vergangenheit. Jede optimistische Zukunftsprognose ist also unsicher. Die Generationenethik sagt nicht, wie es kommen wird, sondern nur, was wir aus ethischen Gründen tun sollten.

Drittens das Problem der unklaren Interessen und Präferenzen künftiger Generationen, das sich auf die zwangsläufige Nicht-Auskunftsfähigkeit ungeborener Menschen bezieht. Auch dieser Einwand schließt moralische Verpflichtungen gegenüber der Nachwelt nicht aus. So argumentieren etwa Vertreter von bedürfnisorientierten Ansätzen, dass es nicht konkret um den Nutzen, die Präferenzen, die Interessen oder die Wünsche Ungeborener gehe, sondern schlicht um die Grundbedürfnisse aller Menschen – früher, heutig und künftig Lebender. Diese sind zu allen Zeiten identisch. Damit verliert das Unsicherheitsproblem erheblich an Bedeutung.

Wenn also Pflichten gegenüber kommenden Generationen bestehen, stellt sich die Anschlussfrage, welches Ausmaß diese Pflichten haben. Meistens werden in der Literatur komparative Standards zusammen mit der Formulierung "mindestens genauso gut" verwendet, aber auch der Ausdruck "besser als" wird gebraucht. So formuliert etwa der Philosoph James Woodward: "Jede Generation sollte für nachrückende Generationen eine Bandbreite an Ressourcen und Chancen hinterlassen, die mindestens gleich groß ist wie die Bandbreite der eigenen Ressourcen und Chancen." Bei seinem Kollegen Otfried Höffe ist zu lesen: "Verantwortungsvolle Eltern hinterlassen ihren Kindern ein Erbe, das möglichst größer ausfällt, als sie es von ihren Eltern übernommen haben." Bezogen auf die Makroebene schreibt Karl Marx: "Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen." Der Ökonom Richard Hauser formuliert: "Jede Generation sollte an die nachfolgende einen positiven Nettotransfer leisten, der höher ist als jener, den sie von ihrer Vorgängergeneration empfangen hat."

Welches ist aber das intrinsisch wertvolle Gut, das im Generationenvergleich erhalten beziehungsweise weitergegeben werden sollte? Als alternative Antworten auf diese Frage werden in der Literatur unter anderem "Fähigkeiten", "subjektiver Nutzen", "Grad der Bedürfniserfüllung", "Lebensgestaltungschancen", "Güter", "Land", "Wohlstand", "Lebensstandard" oder "Konsumniveau pro Kopf" genannt. In Bezug auf die Alterssicherung sind alle Bezugsgrößen monetärer Natur. Es geht also um Geld.

Generationengerechtigkeit und Alterssicherung

Bei der Übertragung des philosophischen Konzepts der Generationengerechtigkeit in den Kontext der Alterssicherung stellt sich die Frage, was mit "Generation" gemeint ist. Chronologische Generationen werden hier gleichgesetzt mit "Kohorten", und zwar nicht nur im Sinne von Geburtskohorten, sondern auch im Sinne von Jahrgangskollektiven, die durch alle Lebensstadien schreiten. Die Jahrgangskollektive werden im allgemeinen Sprachgebrauch wiederum zu drei Generationen aggregiert: die noch nicht Erwerbstätigen, die Erwerbstätigen und die Generation im Ruhestand.

Es sind nun Vergleiche zwischen unterschiedlich alten Kohorten zu einem bestimmten Zeitpunkt oder zwischen gleichaltrigen Kohorten zu unterschiedlichen Zeitpunkten möglich. Beim ersten, direkten Vergleich stellt man etwa den Prozentsatz der 0- bis 17-Jährigen und der 65- bis 80-Jährigen, die 2022 in Einkommensarmut leben, einander gegenüber; beim zweiten, indirekten Vergleich beispielsweise den Prozentsatz von einkommensarmen 0- bis 17-Jährigen in den Jahren 1992 und 2022. Es kann also sein, dass die heutige junge Generation bei den beiden beschriebenen Generationenvergleichen einmal besser und einmal schlechter dasteht als die Generation, mit der sie verglichen wird.

Wer jetzt jung ist, wird später alt sein, und wer heute alt ist, war früher jung. Wenn wir Ressourcenanteile über das ganze Leben hinweg berücksichtigen, dann kann ein Vorteil während eines bestimmten zeitlichen Lebensabschnitts eine Last während einer anderen Phase kompensieren. Um Aussagen darüber zu treffen, was generationengerecht beziehungsweise generationenungerecht ist, sollten also die Gesamtlebensverläufe von zwei Generationenkohorten verglichen werden.

Damit lässt sich in Bezug auf die Rente eine wichtige Erkenntnis festhalten: Es ist nicht generationenungerecht, wenn eine Generation A hohe Beitragssätze bezahlt – solange sie später, im Rentenalter, auch hohe Renten erhält. Es ist nicht generationenungerecht, wenn eine Generation B niedrige Renten erhält – solange sie früher, als sie die aktive Generation war, auch niedrige Beitragssätze bezahlt hat. Generationenungerecht ist es im Rentensystem allerdings, wenn eine Generation hohe Beitragssätze bezahlen muss, aber später nur niedrige Renten erhält, wohingegen eine andere Generation niedrige Beitragssätze bezahlen durfte und trotzdem im Alter hohe Renten erhält. Das Maß ist immer das Beitrags-Leistungs-Verhältnis, also die Rendite, und eine generationengerechte Rentenpolitik darf hier keine eklatanten Unterschiede zulassen.

Der Generationenvertrag

Muss also der Staat dafür sorgen, dass jede Generation eine gleichermaßen hohe Rendite erhält? Diese Forderung würde ignorieren, dass sich Zeiten ändern können. Schon jetzt erlebt Deutschland einen demografischen Übergang, der durch eine Kombination aus niedriger Geburtenrate und steigender Lebenserwartung gekennzeichnet ist. Diese Veränderung des Bevölkerungsaufbaus untergräbt das gesetzliche Umlageverfahren, das in Form des sogenannten Generationenvertrags organisiert ist.

Um die grundlegenden Zusammenhänge verständlich zu machen, soll kurz beschrieben werden, wie der Generationenvertrag in einem nicht-monetären Kontext aussähe: In einer Zeit vor dem Sozialstaat brechen die Mitglieder dreier Generationen einer Dorfgemeinschaft auf. Zehn Kinder begleiten zehn ihrer Eltern und zehn ihrer Großeltern auf eine rituelle Reise, die mit dem freiwilligen Tod der Großeltern enden soll. Die Kinder bekommen Mitleid mit ihren Großeltern und überreden ihre Eltern, das Versprechen abzugeben, sich um die alten Großeltern bis zu deren natürlichem Tod zu kümmern – im Austausch für das Versprechen der Kinder, das gleiche für ihre Eltern zu tun, wenn deren Zeit kommt. Bei diesem Beispiel würde die mittlere Generation vermutlich getrost auf das Versprechen eingehen. Wenn aber nun die losziehende Gruppe aus zehn Großeltern, acht Eltern und fünf Kindern bestünde? Dann müsste sich die mittlere Generation wohl überlegen, ob die Zusage der Kinder-Generation überhaupt erfüllbar sein kann. Das Beispiel ist drastisch, macht aber deutlich, dass jeder Generationenvertrag empfindlich auf demografische Veränderungen reagiert.

In Deutschland wird sich das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenbeziehern langfristig stark verändern. Kurzfristig jedoch, das ist unstrittig, ist in Deutschland die Situation günstig. Denn derzeit ist die Zahl der Beitragszahler aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge der "Baby-Boomer" hoch, während die Zahl der Rentenempfänger gering ist. Erst wenn die zahlenmäßig starken Jahrgänge – der größte davon ist die 1964 geborene Kohorte – ins Renteneintrittsalter kommen, drehen sich die Verhältnisse um. Im deutschen Umlageverfahren kann es dennoch besser laufen als in der beispielhaften Dorfgemeinschaft – zum einen aufgrund der kontinuierlichen Gesundheitsverbesserung großer Teile der Bevölkerung, die zu einem immer weiteren Hinausschieben des Ruhestands führen kann, zum anderen wegen des Produktivitätszuwachses.

Der medizinische Fortschritt hat in den vergangenen Jahrzehnten dafür gesorgt, dass die jeweiligen Neurentner-Kohorten länger gesund bleiben als die Jahrgänge vor ihnen. Vor allem zwischen dem 65. und dem 80. Lebensjahr gibt es einen neuen, spektakulären Zugewinn an Gesundheit. Dies könnte theoretisch dazu führen, dass die Menschen länger berufsaktiv bleiben, praktisch geschieht das aber nur eingeschränkt: Seit dem Jahr 2000 hat sich zwar die Zahl der erwerbstätigen 55- bis 64-Jährigen von gut einem Drittel auf über zwei Drittel der Altersgruppe verdoppelt. Aber während in den 1980er Jahren die Deutschen 14 Prozent ihrer Lebenszeit in Rente verbrachten, sind es momentan schon 21 Prozent. Zum Zeitpunkt des Renteneintritts hat man also nicht "ein Leben lang gearbeitet", sondern vielmehr noch einen Großteil des Lebens vor sich.

Das Umlageverfahren lebt davon, dass das Verhältnis der Zahl der "Arbeitsjahre" und der "Ruhestandsjahre" nicht aus dem Takt gerät. In Deutschland wird seit 2012 das Eintrittsalter für die Regelaltersrente schrittweise heraufgesetzt, bis 2032 auf 67 Jahre. Das hilft dem Generationenvertrag gleich in zweifacher Hinsicht: Die Rentenversicherung hat für jeden Versicherten für eine längere Zeit Beitragseinnahmen und für eine kürzere Zeit Rentenausgaben. Eine Erhöhung der Regelaltersgrenze ist generationengerecht, bei der älteren Generation jedoch unbeliebt.

Der zweite Faktor, der die demografiebedingten Probleme des Generationenvertrags zumindest in der Theorie lindern kann, ist der Produktivitätsfortschritt. Wir sind diesem Argument in abgewandelter Form bereits in Form der These der "reichen Zukunft" begegnet. Tatsächlich haben Produktivitätszuwächse einen großen Einfluss auf die Finanzierbarkeit des Sozialstaates. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Arbeitsproduktivität pro Erwerbstätigem in Deutschland im Einklang mit dem Wirtschaftswachstum in der Regel zugenommen. Ein Naturgesetz ist das allerdings nicht, wie nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt hat. Wir wissen nicht, wie sich die Produktivität in der Zukunft entwickeln wird. Deswegen wäre es fahrlässig, mit diesem Argument den demografiebedingten Anpassungsbedarf des Generationenvertrags klein zu reden. Auch gleichbleibend hohe Produktivitätszuwächse ändern nichts daran, dass es im Umlageverfahren bei einem inhomogenen Bevölkerungsaufbau allein aufgrund der Demografie eine ungleiche Rendite für verschiedene Kohorten geben wird.

Für eine geteilte Belastung

Um die Jahrtausendwende wurde der Anpassungsbedarf des Generationenvertrags vor dem Hintergrund der demografischen Herausforderung intensiv öffentlich diskutiert. Vor allem unter der rot-grünen Bundesregierung erfolgten grundlegende Umbauten des Rentensystems. Diese bewegten sich einerseits innerhalb der Logik des Umlagesystems, wie insbesondere die Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors in der Rentenanpassungsformel 2004/05, der letztlich eine Lastenteilung zwischen Jung und Alt vorsah. Andererseits läuteten sie auch einen Systemwechsel hin zu einem teilweise kapitalgedeckten Rentensystem ein, wie ihn 2001/02 die Einführung einer staatlich geförderten kapitalgedeckten Zusatzversorgung ("Riester-Rente") bedeutete, um das sinkende Rentenniveau aufzufangen.

Ein vollständiger Umstieg auf ein Kapitaldeckungsverfahren wäre im Hinblick auf Generationengerechtigkeit problematisch, da er in einer Übergangsphase zu einer Doppelbelastung der mittleren Generation führen würde: Die heute im Erwerbsleben stehende Generation müsste gleichzeitig die umlagefinanzierten laufenden Renten der heutigen Rentner stemmen und ihre eigene, künftige Rente im Kapitaldeckungsverfahren ansparen. Und im Falle einer vollständig kapitalgedeckten Altersversorgung der Bevölkerung hängt die Höhe der Renten von den Entwicklungen an den Aktien- und Anleihemärkten ab, sodass diese durch politische Akteure nicht intergenerational beeinflusst und geglättet werden kann. Es kommt also zu Gewinner- und Verliererkohorten. Es sind Modelle entwickelt worden, um dies auszugleichen, jedoch kommt es auch hier zu einer Doppelbelastung bestimmter Kohorten.

Der Grundgedanke des Nachhaltigkeitsfaktors ist hingegen bestechend: Wenn die Gesellschaft altert, dann müssen die Belastungen innerhalb des Umlageverfahrens zwischen Jüngeren und Älteren geteilt werden. Die Arbeitnehmer müssen mehr als bisher an Beiträgen zahlen, die Rentenempfänger erhalten weniger Zuwächse, als vorher versprochen. Im Vergleich zu einer alleinigen Fixierung der Rentenhöhe, die auf Kosten der Beitragszahler ginge, und zu einer alleinigen Fixierung der Beitragssätze, die auf Kosten der Rentner ginge, hat dieser Mittelweg zwischen einer einnahmeorientierten Ausgabenpolitik und einer ausgabenorientierten Einnahmepolitik den Vorteil, dass sich die Belastung gleichmäßig auf beide Generationen verteilt und keine unfair behandelt wird, da der Status quo der Einkommensverteilung im Lebensverlauf beibehalten wird.

Diese Logik wurde von den Rentenreformen in den 2000er Jahren prinzipiell anerkannt. Allerdings ist eine generationengerechte Rentenpolitik umso schwerer durchzuhalten, je älter eine Gesellschaft wird. Bei der Bundestagswahl 2021 waren nur noch 15 Prozent der Wahlberechtigten unter 30, aber ein Drittel über 60 Jahre alt. Das hat zur Folge, dass die rentenpolitischen Interessen der älteren Generation schwerer wiegen. Das zeigt sich etwa an der 2014 erfolgten Einführung der Rente mit 63 für langjährig Versicherte, die dazu geführt hat, dass heute bereits ein Drittel aller Versicherten vorzeitig abschlagsfrei in Rente gehen, und vor allem an der Aussetzung des Nachhaltigkeitsfaktors im Zuge einer Veränderung der Rentenformel zugunsten der Älteren mit dem Rentenpaket 2018, das das Prinzip eines Mindestrentenniveaus verabsolutiert.

Die Dominanz der Interessen der Ruheständler ist in der deutschen Rentenpolitik derzeit unverkennbar. Wie könnte der Reformeifer der Parlamentarier trotzdem gestärkt werden? Dem in der Ökonomie und den Sozialwissenschaften wohlbekannten Principal-Agent-Theorem zufolge hängt die Qualität von Maßnahmen immer auch von der eigenen Betroffenheit der Entscheidungsträger ab. Von daher ist es problematisch, dass die Mitglieder der Legislative durch das System der Abgeordnetenpensionen von den notwendigen demografiebedingten Anpassungsprozessen, die fast die ganze Bevölkerung treffen werden, ausgenommen sind. Die Änderung dieses Zustands wäre der erste Schritt hin zu einer Erwerbstätigenversicherung, die wir aus Gerechtigkeitsgründen dringend brauchen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Lukas Meyer, Intergenerational Justice, 3.4.2003. Externer Link: http://plato.stanford.edu/entries/justice-intergenerational.

  2. Vgl. etwa Derek Parfit, Energy Policy and the Further Future, in: Stephan Gardiner (Hrsg.), Climate Ethics. Essential Readings, Oxford 2010, S. 112–121.

  3. Vgl. Jörg Tremmel, The Dispute About the Climate Non-Identity Problem – Looked Upon From the Paradigm Perspective, in: Intergenerational Justice Review 2/2019, S. 50ff.; ders., Eine Theorie der Generationengerechtigkeit, Münster 2012.

  4. Vgl. Bjørn Lomborg, The Skeptical Environmentalist: Measuring the Real State of the World, Cambridge 2001.

  5. Vgl. mit weiteren Nachweisen Tremmel 2012 (Anm. 3), S. 119–212.

  6. Alle Quellen für den nachfolgenden Absatz finden sich in Jörg Tremmel, Gerechtigkeit zwischen den Generationen, in: Gottfried Schweiger/Johannes Drerup (Hrsg.), Handbuch Philosophie der Kindheit, Stuttgart 2019, S. 371–379.

  7. Für eine Übersicht, siehe Edward Page, Intergenerational Justice of What?, in: Environmental Politics 16/2007, S. 453–469.

  8. Vgl. Dennis McKerlie, Justice Between the Young and the Old, Oxford 2013; Tremmel 2012 (Anm. 3), S. 36–63. Ähnlich Stefan Liebig/Percy Scheller, Gerechtigkeit zwischen den Generationen, in: Berliner Journal für Soziologie 3/2017, S. 301–321.

  9. Vgl. Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2001, Bundestagsdrucksache 14/7639, 23.11.2001, S. 131–134; Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (SRzG), Rente und Pensionen. Positionspapier, Stuttgart 2020, S. 2f. Zu methodischen Fragen der Renditeberechnung vgl. Stefan Eitenmüller, Die Rentabilität der gesetzlichen Rentenversicherung, in: Deutsche Rentenversicherung 1996/12, S. 184–198; Jürgen Faik, Die Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung – Theorie und Empirie, 24.4.2008, Externer Link: https://opus-hslb.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/284/file/Anlage_3.pdf.

  10. Vgl. Thomas Lindh/Bo Malmberg/Joakim Palme, Generations at War or Sustainable Social Policy in Ageing Societies?, in: Journal of Political Philosophy 4/2005, S. 470–489.

  11. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes beträgt die "fernere Lebenserwartung" der 65-jährigen Männer derzeit 17,9 Jahre, die der Frauen 21,1 Jahre. Vgl. Statistisches Bundesamt, Sterbetafel 2018/2020, Externer Link: http://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/_Querschnitt/DemografischerWandel/DemLebenserwartung.html.

  12. Vgl. Alexander Hagelüken, Lasst uns länger arbeiten!, München 2019.

  13. Vgl. Klaus Opfermann, Rentenfinanzierung durch Produktivitätsfortschritt, in: Gunnar Schwarting (Hrsg.), Demografischer Wandel: Herausforderungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Baden-Baden 2018, S. 101–148.

  14. Vgl. etwa Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (Hrsg.), Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme, Berlin 2003; Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (Hrsg.), Generationengerechtigkeit – Inhalt, Bedeutung und Konsequenzen für die Alterssicherung, Berlin 2004.

  15. Vgl. Oskar Goecke, Sicherheit und Fairness. Das kollektive Sparmodell für die Altersvorsorge, in: Klaus Hurrelmann/Heribert Karch/Christian Traxler (Hrsg.), Jugend, Vorsorge, Finanzen. MetallRente Studie 2019, Weinheim 2019, S. 126–136.

  16. Ausführlich dazu SRzG (Anm. 9).

  17. Vgl. Gøsta Esping Andersen/John Myles, Sustainable and Equitable Retirement in a Life Course Perspective, in: Gordon Clark/Alicia Munnell/Michael Orszag (Hrsg.), Oxford Handbook of Pensions and Retirement Income, Oxford 2006, S. 839–858, hier S. 845.

  18. Vgl. Jörg Tremmel/Sarna Röser, Langfristig gedachte Rentenpolitik, in: Hurrelmann/Karch/Traxler (Anm. 15), S. 100–109.

  19. Vgl. Felix Welti, Abgeordnete in die Sozialversicherung?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 2/2000, 254ff.

  20. Vgl. Jörg Tremmel, Der Eigenvorsorgebeitrag als Alternative zur beamtenrechtsähnlichen Versorgung für Abgeordnete, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 2/2019, S. 327–350.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Jörg Tremmel für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist außerplanmäßiger Professor am Institut für Politikwissenschaft der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
E-Mail Link: joerg.tremmel@uni-tuebingen.de