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Die Widerstandskämpfer im Zuchthaus Brandenburg-Görden 1933— 1945 | APuZ 18/1980 | bpb.de

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APuZ 18/1980 Artikel 1 Die Widerstandskämpfer im Zuchthaus Brandenburg-Görden 1933— 1945 Antifaschistische Arbeit Der lange Weg nach Brandenburg-Görden Der gläserne Sarg Erinnerungen an das Zuchthaus Brandenburg in den Jahren 1938— 1940 Schulalltag im Dritten Reich Fallstudie über ein Göttinger Gymnasium

Die Widerstandskämpfer im Zuchthaus Brandenburg-Görden 1933— 1945

Alfred Schaefer: Einleitung

/ 11 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der deutsche Widerstand, der in der DDR fast ausschließlich der moskautreuen KPD zugerechnet wird, wies in Wirklichkeit ein vielfältiges Spektrum auf. Viele kleine oder neu entstandene Gruppen wurden ebenso bedeutsam wie die Überreste der nun verbotenen Massenparteien der Weimarer Republik, überhaupt trat die Parteizugehörigkeit des einzelnen zurück hinter die allgemeine Solidarität im Kampf um die Wiederherstellung der Menschenrechte. Der durch Aufrechterhaltung oppositioneller Organisationen und Herstellung von Aufklärungsmaterial in der Illegalität geführte Kampf endete nicht mit der Verhaftung des „Hochverräters“, sondern fand im Gestapoverhör und in der Gerichtsverhandlung seinen Höhepunkt. Er wurde im Zuchthaus fortgesetzt. Für Berlin-Brandenburg war die „moderne" Strafanstalt Brandenburg-Görden zuständig, wohin aber auch Verurteilte aus allen Teilen des Reiches „verbracht" wurden. Die bürokratische Ordnung des staatlichen Strafvollzuges unterschied sich zwar von dem regellosen Terror des Konzentrationslagers, doch konnte jederzeit die Gestapo in diese Ordnung eingreifen, um einen Insassen unter Druck zu setzen und ihn nach Verbüßung der Strafe einem Konzentrationslager zu „überstellen“. Daß die unter schweren Haftbedingungen geführten politischen Diskussionen von einer KPD-Zentrale linientreu geleitet wurden, ist eine der Legenden, an denen das in der DDR erschienene Buch „Gesprengte Fesseln" reich ist. Es ist auch reich an Auslassungen. So werden die Widerstandsakte der oppositionellen Kommunisten Uhlmann und Havemann verschwiegen, ebenso die des Gewerkschaftlers Edu Wald und die des von der Schwarzen Front herkommenden Antifaschisten Bodo Gerstenberg. Ihre Berichte werden hier zum erstenmal veröffentlicht. Vor allem aber wird vieler fast vergessener, zum Tode Verurteilter, gedacht, der Märtyrer, deren Leben in der „Henkergarage" des Zuchthauses Brandenburg-Görden unter dem Fallbeil endete. Das Gedenken an die Opfer ist ein Stück Einheit der gespaltenen Nation.

Der Zusammenbruch der Weimarer Republik und die Errichtung der Hitler-Diktatur sind von der deutschen Geschichtsschreibung gründlich behandelt worden — allerdings mit stark unterschiedlichen Akzentsetzungen in der Bundesrepublik Deutschland auf der einen und in der Deutschen Demokratischen Repu-blik auf der anderen Seite. Es sind gleichsam zwei entgegengesetzte Erinnerungskomplexe, in denen das Schicksal des Reiches sich erhal-ten hat. Gleiches gilt auch für die Erinnerung an die in politischen Prozessen Verurteilten, deren eigene Zeugnisse bisher nicht sehr bekannt geworden sind. Von der DDR-Geschichtsschreibung werden diese Widerstandskämpfer entweder umstandslos der SED zugerechnet oder totgeschwiegen. In der Bundesrepublik hingegen hat sich das öffentliche Interesse bisher vor allem auf die Verschwörung des Grafen Stauffenberg konzentriert. So gerieten die Gefangenen, die Jahre in den Zuchthäusern zubringen mußten und Gefährten der Hingerichteten waren, fast in Vergessenheit. Eine Darstellung der Situation der politischen Gefangenen im Zuchthaus Brandenburg-Görden in den Jahren 1933— 1945 ist also an der Zeit.

Die Verurteilten sind nicht nur einer Partei zuzurechnen. Das vielfältige politische Spek-

trum der Weimarer Republik prägte die Her-

kunft und Tätigkeit der Antifaschisten. Einigkeit herrschte aber über das Ziel: Beseitigung der Hitler-Diktatur und Wiederherstellung der Grundrechte, die der Reichspräsident von Hindenburg in der ihm von Hitler vorgelegten Notverordnung „zum Schutz von Volk und Reich" am 28. Februar 1933 aufgehoben hatte. Diese Notverordnung blieb bis Mai 1945 in Kraft. Ein großer Teil der Widerstandskämpfer St auf der „Rechtsgrundlage" dieser Verordnung hingerichtet worden.

Das politische Spektrum der Weimarer Republik war durch die Vielzahl der Parteien, die sich um Reichstagsmandate bewarben, unübersichtlich geworden und klärte sich erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Stand eine kommunistische Gruppierung wie die 1928 sich gegen die stalinistische Linie der KPD richtende KPO oder die ihr nahestehende trotzkistische Organisation für die Öffentlichkeit im Schatten der Millionenpartei der Moskau-treuen Kommunisten unter Thälmann und Ulbricht und stand die 1931 aus dem linken Flügel der SPD hervorgegangene SAP im Schatten der großen Sozialdemokratischen Partei unter Otto Wels, so glich der gegen alle Antifaschisten gleicherweise gerichtete Terror die Größenunterschiede aus. Jetzt wurde die neu-formierte Gruppe „Neu-Beginnen” ebenso wichtig wie die ehemaligen parlamentarischen Parteien. Beispielgebend für viele andere formulierte „Neu-Beginnen” als ihr unmittelbares politisches Kampfziel „die Niederringung des faschistischen Staatssystems und seine Ersetzung durch die breitesten Freiheitsrechte der Volksmassen in einem demokratischen Regime" • Diese Gruppe hat große Opfer gebracht, sie hat mehr als 30 Hinrichtungen und hohe Zuchthausstrafen hinnehmen müssen. Ihr nahe standen die „Sozialistische Front” in Hannover und der „Rote Stoßtrupp" in Berlin. Die Bewahrung der Rechte des einzelnen auch im Sozialismus war das Anliegen des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes ISK, der sich auf die Ethik des Philosophen Leonard Nelson berief. Viele ISK-Anhänger kamen ins Zuchthaus; ihr Leiter Philippson endete in Auschwitz.

Auch in der NS-Bewegung hatte es sozialistische Tendenzen gegeben, die 1930 die Abspaltung des von Otto Strasser geführten Flügels bewirkten; die daraus hervorgegangene „Schwarze Front” wurde von der Gestapo nicht weniger verfolgt als die Kommunisten. In Strassers Programm stand (nach Mitteilung seines engen Mitarbeiters Herbert Blank an den Verfasser im Zuchthaus Brandenburg-Görden) die Gleichrangigkeit aller Funktio-Die Anregung zu einer Veröffentlichung von '^tlingsberichten wurde von Walter ^^werdtfeger gegeben, der selber mehrere : ^repolitischer Häftling im Zuchthaus Bran--nburg-Görden war. nen vom Betriebsleiter bis zum Werkmeister in einer vollsozialisierten Industrie, die mit der Sowjetunion kooperieren sollte. Das moralische Vorbild war der preußische Offizier.

Im kirchlichen Widerstand ging es letztlich darum, die Zehn Gebote und die Bergpredigt wieder in Geltung zu setzen. In bürgerlichen Kreisen war das oppositionelle Bestreben eher auf den Wert der Persönlichkeit als auf kollektive Rechte konzentriert.

Nach der Katastrophe, zu der die stalinistische Orientierung der KPD massiv beigetragen hatte, und nach der Flucht Ulbrichts und Piecks nach Prag, Paris, Moskau, von wo aus sie undurchführbare Parolen zum offenen Widerstand ausgaben, mag es verwunderlich erscheinen, daß viele Kommunisten, besonders junge Menschen, der Partei die Treue hielten. Aber sie setzten die KPD nicht mit Ulbricht und Pieck gleich, sondern mit den Märtyrergestalten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Gerade junge Menschen waren bereit, deren Schicksal auf sich zu nehmen. Ein starker Idealismus prägte die Vorkämpfer einer materialistischen Weltanschauung. Ein Gestapo-Bericht nennt sie „Menschen, die bereit sind, alles, aber auch alles für ihre Idee zu tun, auch lieber Selbstmord zu begehen, als Aussagen zu machen"

II.

Die bedeutende Rolle, die die von der KPD-Führung als „Verräter" gebrandmarkte KPO in der Organisation des betrieblichen Widerstandes spielte, geht aus dem Bericht Walter Uhlmanns über seine antifaschistische Tätigkeit hervor (vgl. unten, S. 7— 15). Wie es ihm als einzigem der in Brandenburg Inhaftierten gelang, die Verbindung zu der letzten noch funktionierenden kommunistischen Organisation, der Saefkow-Gruppe in Berlin, herzustellen, wird ebenfalls dargelegt. Die grauenhafte Art und Weise der Hinrichtungen kann Uhlmann auch bezeugen. Den Weg eines Gewerkschaftlers ins Zuchthaus beschreibt Edu Wald. Bodo Gerstenberg gibt den Erlebnisbericht eines jungen Idealisten, der von der Strasserbewegung ausging, um im Marxismus die Lösung der Weltfragen zu suchen, für die es keine endgültige Antwort gibt. In diese Zeugnisse spielen viele andere Schicksale hinein, die sich im Kampf gegen die Unmenschlichkeit erfüllten.

Die Verurteilung des Widerstandskämpfers erfolgte auf Grund des Paragraphen für Vorbereitung zum Hochverrat (in einigen Fällen auch für Landesverrat). Zur Verbüßung der Strafe stand im Bezirk Berlin-Brandenburg hauptsächlich das Zuchthaus Brandenburg-Görden zur Verfügung. Es erhielt im Krieg seinen schreckenerregenden Ruf durch die Hinrichtungen, die bis in die letzten Tage des Dritten Reiches dort stattfanden.

Das Zuchthaus unterstand der Strafvollzugs-behörde, also der staatlichen Bürokratie, nicht der SS, die die Gestapo kontrollierte und die Konzentrationslager leitete. Der einzelne Häftling konnte demnach ein. gewisses Maß an bürokratischer Ordnung erwarten, das sich vom Terror der Konzentrationslager beträchtlich unterschied. Aber der Zweck der Strafhaft war, ihn moralisch und physisch zu brechen. „Eine Strafe antreten, heißt ein Übel auf sich zu nehmen", versicherte der Direktor des Zuchthauses Brandenburg, Schwerdtfeger, den Eingelieferten. Das „Übel“, bürokratisch administriert, bestand in einer rigiden Aufrechterhaltung der Disziplin, Arbeit bei minimaler oder gar keiner Entlohnung, Unterdrückung jeglicher Initiative, Zusammensperren mit Kriminellen aller Sparten, Ungewißheit, ob nach Verbüßung der im Urteil verkündeten Strafe auch tatsächlich die Entlassung oder die Über-stellung an ein Konzentrationslager folgen würde, überhaupt konnte die bürokratische Ordnung, dieser gewissermaßen letzte Rest an rechtsstaatlicher Ordnung, jederzeit durch die Gestapo durchbrochen werden, indem sie einen Gefangenen zur Vernehmung anforderte, von neuem unter Druck setzte oder ihn bei seiner Entlassung am Tor in Empfang nahm, um nach Belieben mit ihm zu verfahren.

Der Widerstand der Antifaschisten aus den verschiedensten politischen Lagern endete nicht mit der Verhaftung, sondern erreichte in der Gestapovernehmung seinen Höhepunkt; er endete auch nicht mit der Einlieferung, sondern wurde im Zuchthaus unter anderen Bedingungen fortgesetzt. Vor allem kam es darauf an, den Strafzweck zunichte zu machen und die eigene moralische und physische Integrität um der besseren Zukunft willen zu bewahren. Der zum Tode verurteilte Herman» Danz (39 Jahre alt) schrieb wenige Stunden vor seiner Hinrichtung in Brandenburg-Görden „Ich sterbe am Ende der alten Zeit, damit die anderen die neue beginnen können.“ Georg Großkurth (40 Jahre alt) schrieb an seine Frau „Denke daran, daß wir für eine bessere Zukunft starben, für ein Leben ohne Menschen haß. Ich habe die Menschen sehr geliebt." Der Widerstandskämpfer lebte und starb für Menschlichkeit, nicht für Parteiparolen.

Die Selbstbehauptung des einzelnen forderte engen Kontakt mit anderen. Spontan half man sich bei jeder Gelegenheit Die der Arbeiterbewegung seit je eigentümliche Solidarität bewährte sich gemeinsam mit der Humanität des bürgerlichen Antifaschismus. Diese zwischenmenschlichen Beziehungen versucht die SED heute für die kommunistische Parteiorganisation im Zuchthaus in Anspruch zu nehmen, so als ob nicht die Werte Solidarität und Humanität weit älter wären als die KPD. Auch die politischen Diskussionen entstanden je nach Anlaß spontan und waren nicht von einer politischen „Zentrale" gelenkt, wie das im Militär-verlag der DDR erschienene Buch „Gesprengte Fesseln" glauben machen will, das den Untertitel trägt: „Ein Bericht über den antifaschistischen Widerstand und die Geschichte der illegalen Parteiorganisation der KPD im Zuchthaus Brandenburg-Görden von 1933 bis 1945".

Von dieser Parteiorganisation, „die im wesentlichen alle Genossen in den vier Gebäudekomplexen des Zuchthauses erfaßte" (wie Professor Paterna in dem genannten Buch behauptet seien „in den Werkstätten gemeinsame Sabotageakte unternommen worden", über die allerdings kein Beleg existiert. War schon in der Freiheit Sabotage der Kriegsproduktion so gut wie unmöglich, so erst recht im Zuchthaus, dessen Insassen unter ständiger Beobachtung standen. Wollten die Genossen in den Werkstätten ihre wertvolle Gemeinschaft erhalten, dann mußten sie selbstverständlich brauch-

bare Produkte herstellen. Der zum Tode verurteilte Robert Havemann blieb nur am Leben, solange er wehrwirtschaftliche Forschungen 'n seinem Labor leistete, dessen Bestehen für die Information der Gefangenen in der höchst kritischen Endphase lebenswichtig war.

Die geringe Wirksamkeit der illegalen Partei-

organisation, deren Ziel „die Entwaffnung der Beamten und die Bewaffnung der Genossen 1 für die Befreiung der politischen Gefangenen"

sollte stellt sich in der völligen Ohn-sein dar, die letzten 28 Hinrichtungen am Tacht 20, April 1945 zu verhindern, sieben Tage vor der Befreiung Die vom Oberlehrer Reichel Vorgeschlagene „Demontage des Fallbeils ließ -------------sich auch technisch nicht mehr rechtzeitig bewerkstelligen"

Durch den Werkmeister Schwichtenberg, einen Sozialdemokraten, „hatte die Parteigruppe ... Verbindungen ... aus dem Zuchthaus heraus zur Brandenburger illegalen Parteiorganisation der KPD und SPD" heißt es in „Gesprengte Fesseln". Verschwiegen wird der Kontakt, den der KPO-Mann Uhlmann zur Saefkow-Gruppe unter Lebensgefahr aus dem Zuchthaus heraus anknüpfte, das er als Beifahrer verlassen konnte; er wird genau so totgeschwiegen wie die Widerstandstätigkeit Professor Havemanns, der sein auf Widerruf geschontes Leben riskierte, um in seinem Labor in-und ausländische Sender abzuhören und die Genossen über die sich nähernde Front zu informieren.

In der letzten Phase der Kämpfe drohte die Gefahr, daß der Strafanstaltsdirektor Thümmler das Zuchthaus der SS übergeben würde; diese hätte dort ebenso „aufgeräumt", wie sie das im Zuchthaus Sonnenburg getan hat. Daher war der engste Zusammenhalt der politischen Gefangenen zur Selbstverteidigung geboten. Niemand, der auf einem Außenkommando zur Flucht Gelegenheit hatte, sollte davon Gebrauch machen. Danach richteten sich alle Gefangenen — bis auf Erich Honecker und seinen Freund Hanke.

Nicht nur das Buch „Gesprengte Fesseln", sondern auch die Biographie „Erich Honecker — Skizze seines politischen Lebens" haben zwar über den kameradschaftlichen Kalfaktor und seine gute Führung einiges zu berichten, jedoch nichts über die März/April-Tage 1945. über diese Zeit liegt jedoch der Bericht von Walter Uhlmann vor Danach flüchteten Honecker und Hanke am 6. März 1945 von ihrem Außenkommando in Berlin, wo sie Dachdeckerarbeiten leisteten und im Gefängnis Barnimstraße über Nacht stationiert waren. Nach Aussagen von Hanke konnte sich Honecker nach seiner Flucht nicht bis zum Kriegsende in Berlin halten und meldete sich bei seinem Arbeitskommando zurück. Er entging auf diese Weise der Gestapo, der die Flucht gemeldet worden war und die ihn im Falle seiner Verhaftung mit Sicherheit liquidiert hätte. Sein Leben verdankte er dem Lei-ter des Arbeitskommandos, Hilfswachtmeister Seraphim, der, als ob nichts geschehen wäre, das ganze Kommando nach Brandenburg-Görden zurückführte. Seraphim wollte sich nach der Befreiung auf einer Veranstaltung in Brandenburg mit Honecker in Verbindung setzen, der sich jedoch von Seraphim nicht sprechen ließ, obwohl dieser die Referenz Honeckers dringend gebraucht hätte, um in dem von den Russen durchgeführten administrativen Verfahren gegen Zuchthausbeamte glimpflich davon kommen zu können.

Die gleiche Gefühllosigkeit bewies Waldemar Schmidt, einst ein kameradschaftlicher Haft-genosse, dann Polizeipräsident von Berlin. Der Journalist Walter Hammer, auch er ein Mit-häftling, hatte nach der Befreiung in sorgfältiger Arbeit die Einrichtung einer Gedenkstätte in Görden (mit aufschlußreichen Dokumenten über die Zeit von 1933— 1945) vorbereitet. Diese Tätigkeit wurde Mitte 1950 von der SED gestoppt; die Partei beabsichtigte die Wieder-belegung des Zuchthauses und wollte sogar die Guillotine in Reserve halten. Schmidt reagierte auf die Bemühungen Walter Hammers, die Hinrichtungsgarage sowie drei Zellen der Todeskandidaten zu einer Gedenkstätte auszugestalten, kurz und bündig: „Das Panoptikum wird zugemauert!"

Die letzten kritischen Tage der politischen Gefangenen im April 1945 und das danach ausbrechende Chaos sind von Georg Walter und Edu Wald dokumentiert worden Bemerkenswert ist, daß sich beim Nahen der Sowjet-Armee die übelsten Beamten entfernten, während die korrekten, die ein gutes Gewissen hatten, blieben, um mit den politischen Gefangenen gemeinsam die Ordnung aufrechtzuerhalten. Von diesen Beamten wurden die meisten in „Kriegsgefangenschaft" genommen und abtransportiert. Viele sollen nie zurückgekehrt sein

III.

Die ideelle Position der Widerstandskämpfer ist verhältnismäßig „einfach" zu beschreiben: Es ging um die Wiederherstellung der Menschenrechte. Die politischen Gefangenen verschiedener Richtungen, die sich während der Jahre immer näher gekommen waren, sahen naturgemäß in einer geeinten Arbeiterschaft die wichtigste Voraussetzung für eine künftige Freiheit. In der Tat war der Anteil der Arbeiter am Widerstand bemerkenswert. Nach einer Aufstellung von Walter Hammer gab es unter den 1 800 Opfern, die in der Henker-Garage von Brandenburg-Görden ihr Leben ließen, 768 Arbeiter und Handwerker, 363 Techniker und Ingenieure, 51 Wissenschaftler, 49 Künstler und 22 Schüler und Studenten. Angesichts der während der Haftjahre sich festigenden Einheit aller politischen Gefangenen dürfen nicht die schweren Erschütterungen vergessen werden, die Stalins Schauprozesse gegen alte Revolutionäre verursachten. Die tiefe ideologische Krise, die der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 bei den Kommunisten bewirkte, kann selbst das Buch „Gesprengte Fesseln" nicht ganz verschweigen

Die ideologische Einstellung der Widerstandskämpfer war „unkompliziert", wenn man sie mit den politischen Wirrnissen bei der Auflösung der Weimarer Republik oder mit den sich rasch bildenden Komplikationen im von den Besatzungsmächten geteilten Deutschland vergleicht. Der Kalte Krieg, in den die Bundesrepublik wie die DDR voll einbezogen wurden, tat ein übriges, um das Thema der politischen Gefangenen der Diktatur für das jeweilige eigene System zu beanspruchen. In der Bundesrepublik glaubte man überdies, die Angelegenheit mit dem Entschädigungsgesetzeswerk geregelt zu haben; in der DDR wurde der Widerstand hinter Zuchthausmauern ein Teil der Legende der allgegenwärtigen, unbesiegbaren KPD, die in der SED aufging. Diese von den Sowjetbehörden dekretierte Partei behauptet auch heute noch, allein das Vermächtnis der Widerstandskämpfer zu erfüllen. Doch die Einheit der Arbeiterklasse sollte nach den leidvollen Erfahrungen der politischen Gefangenen in voller Wahrung der Menschenrechte, besonders der Meinungsfreiheit und Freizügigkeit, vollzogen werden.

Aller derzeitige politische Streit muß jedoch letztlich vor den Berichten über die zum Tode Verurteilten verstummen. In einer Zeit, in der man vornehmlich auf ökonomische Erfolge glaubt stolz sein zu können, sollten die nicht schweigen, deren Stolz sich darin gründet, mit diesen Märtyrern die Haft geteilt zu haben Wenn auch der Widerstand innerhalb und außerhalb des Zuchthauses das NS-Regine nicht stürzen konnte, so ist er dennoch von eminent politischer Bedeutung. Durch diesen Widerstand hat nicht zuletzt die Bundesrepublik ihre moralische und historische Legitimation erhalten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Miles, Neu Beginnen! Karlsbad 1933.

  2. Gestapobericht Hamburg, 27. 10. 1934, in: E. Aleff, Das Dritte Reich, Hannover 1973, S. 91.

  3. M. Frenzel/W. Thiele/A Mannbar, Gesprengte esseln, Berlin (Ost) 1976.

  4. Ebd. S. 11.

  5. Ebd. S. 12.

  6. Ebd. S. 73, 95, 325.

  7. Ebd. S. 326.

  8. Ebd. S. 207/8.

  9. Berlin (Ost) 1978.

  10. Ebd. S. 37.

  11. Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Juni 1977.

  12. W. Hammer im NWDR am 30. 8. 1950.

  13. Unveröffentlichte Berichte.

  14. Bericht von Edu Wald.

  15. Gesprengte Fesseln, a. a. O., S. 278 ff.

Weitere Inhalte

Alfred Schaefer, Dr. phil., geb. 1907; 1935 Verurteilung wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu fünf Jahren Zuchthaus; in der Berliner Erwachsenenbildung tätig. Veröffentlichungen: David Hume — Philosophie und Politik, Meisenheim 1963; Macht und Protest, Meisenheim 1968; Die alten und die jungen Moralisten, München 1971; Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften; ständige Mitarbeit am Philosophischen Literaturanzeiger.