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Der lange Weg nach Brandenburg-Görden | APuZ 18/1980 | bpb.de

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APuZ 18/1980 Artikel 1 Die Widerstandskämpfer im Zuchthaus Brandenburg-Görden 1933— 1945 Antifaschistische Arbeit Der lange Weg nach Brandenburg-Görden Der gläserne Sarg Erinnerungen an das Zuchthaus Brandenburg in den Jahren 1938— 1940 Schulalltag im Dritten Reich Fallstudie über ein Göttinger Gymnasium

Der lange Weg nach Brandenburg-Görden

Edu Wald

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Er begann spätestens 1927/28; ich war Redakteur (seit 1926) an der kommunistischen Tageszeitung in Hannover, zuständig für Betriebs-und Gewerkschaftsfragen. Unter dem Druck Stalins und im Zusammenhang mit der strikten Unterordnung der einzelnen Sektionen der Kommunistischen Internationale und der wachsenden Stalinisierung in der Sowjetunion setzte in der relativ starken KPD ein Prozeß ein, der eine völlige Wendung der kommunistischen Politik in Deutschland zur Folge hatte. „Bolschewisierung" lauteten Parole und Aufgabe am Anfang. Die Bildung der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) — praktisch die Bildung eigener Gewerkschaften —, die Aufstellung kommunistischer Listen zu den Betriebsrätewahlen (Spalterlisten), die Denunzierung der SPD als „Sozialfaschisten", der gemeinsame Volksentscheid mit der NSDAP gegen die sozialdemokratische Preußenregierung — das waren die deutlichsten Etappen dieser Wendung. Sie half den Nazis und dezimierte den Einfluß der KPD in den Gewerkschaften. Die KPD wurde mehr und mehr zur Partei der Erwerbslosen. Nur mühsam verdeckt durch eine Politik der revolutionären Phrasen wurde klar, daß Stalin eine Machtübernahme durch Hitler in Deutschland in sein Konzept aufgenommen hatte.

Am Beginn dieser Entwicklung wandten sich stark oppositionelle Kräfte gegen die Stalinisierung. „Zuckerbrot und Peitsche" gegen diese Gruppen waren die Mittel der innerparteilichen Durchsetzung dieser neuen Politik. Die KPD in Hannover führte seit ihrer Gründung das Dasein einer Sekte. Wie in anderen Städten mit größeren Altstädten (Kassel, Köln, Hamburg usw.) stellte das Lumpenproletariat einen erheblichen Teil der Mitgliedschaft. Der Einfluß der KPD auf die qualifizierten Facharbeiter war gering, also auch auf die Gewerkschaften. In ihrer besten Zeit (1922— 1924) hatte die KPD nur in den Betrieben mit ungelernten Arbeitern (vor allem in der Gummiindustrie) beachtlichen Einfluß. Nirgendwo gab es so viel innerparteiliche Auseinandersetzungen, die nicht selten auch tätlich ausgetragen wurden; so 1925 bei dem Versuch, Parteihaus und Druckerei zu besetzen. Als es zu einer Schlägerei kam, griff die Polizei ein.

Kein Wunder also, daß Auflage und Einfluß der Zeitung gering waren und sie ständig in die inneren Auseinandersetzungen hineingezogen wurde. Das war nach 1927 immer häufiger der Fall. Ein Ausweichen wurde unmöglich, wenn ich mich nicht gegen alle Überzeugungen unterordnen und gleichschalten lassen wollte. Zwar konnte man durch fraktionellen Zusammenschluß und Widerstand Maßregelungen hinausschieben, jedoch wurde ich 1929 entlassen.

Nun mußte eine Reihe wichtiger Entscheidungen getroffen werden. Von wohlwollenden Freunden wurden hauptamtliche Beschäftigungen in kommunistischen Nebenorganisationen angeboten, z. B. in Tarnorganisationen, die von dem agilen kommunistischen Propagandachef Willy Münzerberg geleitet wurden. Dieser, gelernter Schuhmacher aus Thüringen, machte eine steile Karriere in der kommunistischen Jugendbewegung und ihrer internationalen Organisation. Er war ein Organisationsgenie, wurde zum populärsten Kommunisten in den 20er Jahren und besaß einen faszinierenden Einfluß auf Intellektuelle, auf Künstler, Wissenschaftler usw. Er verstand es, sich weitgehend aus den Fraktionskämpfen in der KPD herauszuhalten, gründete und kontrollierte zahlreiche parteipolitisch neutrale Zeitungen und Zeitschriften mit hohen Auflagen; seiner Initiative waren internationale Organisationen und Kongresse zu verdanken. Später fiel auch Münzenberg der stalinistischen Feme zum Opfer. Man fand ihn eines Tages erhängt in einem Walde in Frankreich. Die mir gemachten Angebote setzten aber mein Schweigen voraus und liefen de facto auf meine Gleichschaltung hinaus. Ich lehnte sie deshalb ab, ging „stempeln“ und kam 1930 als ungelernter Fabrikarbeiter in einer Druckfarbenfabrik unter.

Meine politischen Freunde und ich standen vor der Frage, ob man einen Ausschluß aus der Kommunistischen Partei in Kauf nehmen sollte. Die Konsequenz, wäre ein Anschluß an eine der sich bildenden kleinen Organisationen zwischen KPD und SPD, wie KPO („KommuniB stische Partei-Opposition") oder „Sozialistische Arbeiterpartei" (SAP) gewesen. Nach langen Beratungen entschied die innerparteiliche Fraktion, der ich mich angeschlossen hatte, die „Versöhnler" genannt wurde, nach Möglichkeit innerhalb der KPD zu verbleiben und dort der verhängnisvollen politischen Entwicklung entgegenzuwirken. (Der Name „Versöhnler", der diffamieren sollte, stammte aus den Jahren der Fraktionskämpfe in der russischen Arbeiterbewegung; es waren zeitweilig recht starke Gruppen, die sich um eine Über-windung der Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki bemühten.) Maßgebend für den Beschluß war der Umstand, daß die KPD nach wie vor eine Massenorganisation war, die man dem Stalinismus nicht überlassen dürfe. Auch wenn diese Hoffnung sich später als Illusion herausstellte, glaubten wir doch, daß sich die KPD mit ihrer millionenstarken Wählerschaft noch zu einer Verteidigung der bedrohten Demokratie entschließen würde.

Auch zeigte sich recht bald, daß die erwähnten Organisationen — KPO, SAP, ISK (Internationaler Sozialistischer Kampfbund) — die gegen die Nazis kämpfenden Kräfte zersplittern und das Dasein von Sekten führen mußten. Die freundschaftlichen Beziehungen zu ihnen wurden dadurch jedoch nicht beeinträchtigt.

Eine solche Haltung setzte aber voraus, daß man sich zu einer straff organisierten Fraktion zusammenschloß, die unter den gegebenen Umständen nur streng konspirativ tätig werden konnte. Das war ein Umstand, der nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 den „Versöhnler" -Gruppen als Folge ihrer mannigfaltigen Erfahrungen sehr zugute kommen sollte. Die offizielle KPD hingegen traf die Verurteilung zur Illegalität wie ein Keulenschlag. In der Druckfarbenfabrik wurde ich nach kurzer Zeit Vertrauensmann der Gewerkschaft; die gewerkschaftliche Aktivität im Be-Web nahm zu; es gab keine politischen Auseinandersetzungen. Alle Versuche, eine RGO-Gruppe im Betrieb zu bilden, wurden rücksichtslos unterbunden. 1933 übernahm ich die Kandidatur des Fabrikarbeiterverbandes für die Position des Betriebsratsvorsitzenden.

Auch die Nazis hatten keinen Einfluß in der ausgenommen bei den Angestellten. Von außen nahm der Druck auf die Betriebsleitung zu; es wurde mit dem Entzug von Aufträgen gedroht.

Der 1. Mai 1933 sollte als „Show" der „Deutschen Arbeitsfront" (DAF) aufgezogen werden, im Betrieb wurde beschlossen, sich nicht am offiziellen Aufmarsch und auch nicht an dem „Maiappell" im Betrieb zu beteiligen. Statt dessen wollten wir uns in dem hannoverschen Stadtwald „Eilenriede" zu einer illegalen Maifeier treffen. Weil sich in keinem anderen hannoverschen Betrieb nennenswerter Widerstand zeigte, verloren ältere Kollegen, die um den Arbeitsplatz fürchten mußten, den Mut. Die Mehrheit der Belegschaft aber blieb standhaft, und die Maifeier in der Eilenriede fand statt. So bildete sich im Betrieb ein fester Kern, der bis 1935/36 zusammenhielt, als durch den Verrat eines Gestapo-Spitzels ein großer Teil unserer Leute verhaftet wurde.

Am 2. Mai 1933 wurde ich fristlos entlassen. Die Belegschaft protestierte und wollte die Arbeit niederlegen. Dieses unbesonnene Verhalten konnte jedoch vermieden werden. Wenige Tage später wollte man mich verhaften. Ich konnte flüchten und mußte in die Illegalität gehen. Meine Freunde und ich gründeten dann in Hannover das „Komitee für proletarische Einheit"; auf seinem Höhepunkt hatte das Komitee mehrere Hundert Mitglieder: Kommunisten, Sozialdemokraten, ehemalige Mitglieder von Arbeitersportorganisationen, parteilose Arbeiter und auch eine stattliche Anzahl von Ingenieuren, Lehrern — sogenannte Intellektuelle. In monatlichen Abständen wurde eine illegale Zeitung herausgegeben, die trotz aller Verfolgungsmaßnahmen der Gestapo bis Ende 1935 erscheinen konnte. Sie diente auch dem Zusammenhalt der Organisation. Vor und nach 1933 kam es auch zu einer Zusammenarbeit mit anderen Widerständlern, so auch mit Otto Brenner, dem späteren Vorsitzenden der IG Metall in der Bundesrepublik Deutschland. Die Fahndungen der Gestapo nach mir — ständig kam es zu Hausdurchsuchungen bei Freunden — beunruhigten die Organisation sehr, so daß ich mich Anfang 1934 nach Hamburg absetzte; die „Versöhnler" -Gruppe in der Hansestadt bot mir dazu die Möglichkeit. Ende 1934 ging ich dann nach Berlin, kurz bevor ich durch die Unvorsichtigkeiten einiger Freunde in Hamburg verhaftet werden sollte.

In Berlin übernahm ich die Funktion eines „Reichssekretärs" der „Versöhnlerfraktion". Spenden aus dem In-und Ausland ermöglichten eine solche Tätigkeit, die dem Zusammenhalt der Gruppen und ihrer Informierung diente. In Berlin mußten die Kontakte zu den Betrieben (Siemens, AEG, Osram, Ullstein usw.) aufrechterhalten werden. Ende 1935 glaubten einige Freunde an die Möglichkeit einer An-17 näherung an die offizielle illegale KPD. Das war der Anfang vom Ende. Die KPD wurde intensiv von der Gestapo bespitzelt. Seit Januar 1933 galt für die Gruppe der „Versöhnler" der Grundsatz, unter keinen Umständen mit illegalen Gruppen und Leitungen der KPD zusammenzuarbeiten. Ende 1936 waren alle führenden „Versöhnler“ verhaftet oder in der Emigration. Ich wurde im Mai 1936 irrtümlich verhaftet. Ein Glück war dies insofern, als ich dadurch die Chance erhielt, alle Freunde, mit denen ich in der Illegalität zusammengearbeitet hatte, abzudecken und im Prozeß vor dem Volksgerichtshof in Berlin allein zu bleiben; 14

Monate Untersuchungshaft waren so leichter zu ertragen. Das Urteil erging im Juli 1937; daß es nur „Pensum“, d. h. 15 Jahre Zuchthaus lauten konnte, war von vornherein klar und keine Überraschung.

So führte der Weg über die Prinz-Albrecht-Straße (Gestapohauptquartier), das „ColumbiaHaus“ (Gestapo-Gefängnis), die Strafanstalt Moabit, die Gestapo in Hannover und in Hamburg, die Gefängnisse Tegel und Plötzensee nach Brandenburg. Ich war ohne Illusionen, aber keineswegs niedergeschlagen, sondern bereit zur Übernahme neuer Aufgaben.

Fussnoten

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Edu Wald, geb. 1905 in Kiel, gestorben 1978; Gärtnerlehre; mit 19 Jahren Eintritt in die KPD; 1926— 1929 Redakteur an der hannoverschen KPD-Zeitung; wegen Opposition gegen die ultralinke Politik der Partei 1929 entlassen; dann Fabrikarbeiter; 1948 Austritt aus der KPD Westdeutschlands; ab 1950 Redakteur beim DGB.