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Die CSU vor einem schwierigen Spagat | APuZ 1/1994 | bpb.de

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APuZ 1/1994 Artikel 1 Ende oder Wende. Was wird aus der CDU? Zurück zur Mitte: Die SPD zu Beginn des Superwahljahres 1994 Die F. D. P. am Scheideweg Die CSU vor einem schwierigen Spagat Das Wahljahr 1994 und die Strategie der PDS Bündnis 90/Die Grünen: Oppositions-oder Regierungspartei?

Die CSU vor einem schwierigen Spagat

Peter Fahrenholz

/ 12 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die CSU ist seit der deutschen Einheit in ihrer klassischen Doppelrolle bedroht. Weil ihr bundespolitisches Gewicht im größer gewordenen Deutschland abgenommen hat, droht sie zur reinen Regionalpartei abzusinken. Der Versuch, den bundespolitischen Einfluß auszudehnen, ist gescheitert. Bei den Wahlen des Jahres 1994 steht die CSU vor einer schweren Aufgabe. Sie muß bei der Europawahl mit einem Denkzettel rechnen und anschließend bei der Landtagswahl versuchen, ihre absolute Mehrheit zu verteidigen. Die Landtagswahl ist für die CSU weit wichtiger als die anschließende Bundestagswahl, denn an der Bewahrung der Alleinherrschaft in Bayern hängt die Identität der Partei.

Wohl selten hat ein kurzer Satz so sehr den Nerv der CSU getroffen wie die Feststellung eines Kommentators nach der deutschen Wiedervereinigung: Deutschland ist größer geworden, Bayern nicht. Für die CSU war damit das Kardinal-problem der Einheit auf einen knappen Nenner gebracht: Ihre Doppelrolle als Regionalpartei einerseits und als Bundespartei andererseits war auf einmal gefährdet. Jahrzehntelang hat sie diese Doppelrolle erfolgreich gespielt. Mit der bayerischen Hausmacht einer üppigen absoluten Mehrheit im Rücken hat sich die CSU entweder als Speerspitze der Opposition geriert, wie in den Zeiten der sozialliberalen Koalition, oder sie besaß eine Sperrminorität in der Regierung, die ständige Rücksichtnahme auf manche bayerischen Sonderwünsche erforderte.

Seit der deutschen Einheit ist es damit vorbei. Die CSU im größer gewordenen Deutschland lebt seither in der Gefahr, zu einer Regionalpartei abzusinken, weil ihr bundespolitischer Einfluß rein numerisch geschmälert ist. Alois Glück, der Fraktionschef im Münchner Landtag, hat dieses Dilemma in einem Strategiepapier vor zwei Jahren mit einem Schuß Wehmut offen beim Namen genannt: „Es ist eine gewisse Tragik der Geschichte, daß die Partei, die am Ziel der Wiedervereinigung am konsequentesten festgehalten hat, von dieser geschichtlichen Veränderung am meisten betroffen ist.“

Bei den Wahlen vor vier Jahren hat die CSU das schon deutlich zu spüren bekommen. Zwar hat sie ihre Heimatbastion Bayern bei der Landtagswahl 1990 erneut mit absoluter Mehrheit verteidigen können, aber in Bonn sind die bayerischen Unionschristen seither nur mehr das fünfte Rad am Wagen. In der Koalition hätten CDU und F. D. P. notfalls auch ohne die CSU eine Mehrheit im Parlament. Das Druck-und Drohpotential der Bayern ist damit entscheidend geschmälert.

I. Der gescheiterte Versuch einer bundesweiten Ausbreitung

Glaubt man Schilderungen aus der CSU, so hat es vor der Einheitswahl 1990 für einen kurzen Moment die Chance gegeben, den bundespolitischen Einfluß der Partei durch eine begrenzte Ausweitung zu wahren. Bundeskanzler Helmut Kohl sei, der Anziehungskraft der einstigen Blockpartei CDU im Osten unsicher, bereit gewesen, die Ausdehnung der CSU auf Sachsen und Thüringen zu dulden, um eine Mehrheit seiner bürgerlichen Koalition zu sichern. Ob das den Tatsachen entspricht oder eine, politische Legende ist, werden später einmal die Historiker untersuchen. Auf jeden Fall kam es nicht dazu.

Statt dessen hat die CSU Geburtshilfe für ein Kunstprodukt geleistet. Die „Deutsche Soziale Union“ (DSU) sollte gewissermaßen als unbelastete Neugründung bürgerliche Wähler im Osten binden und gleichzeitig als CSU-Filiale unter anderem Namen firmieren. Das Experiment stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Nicht nur, daß das CSU-Mündel bei den Landtagswahlen in den neuen Ländern nur mickrige Ergebnisse erzielte. Zum Leidwesen der Münchner Mutter entwickelte der schwachbrüstige Zögling schon bald Expansionsgelüste nach Westen sowie einen starken Drall in eindeutig rechtsradikale Gefilde. Für die CSU war das Experiment ein teurer Fehlschlag. Deshalb flackerte nach der Bundestagswahl 1990 immer wieder die Diskussion auf, unter eigener Flagge die bundesweite Ausdehnung der CSU zu wagen und damit den legendären Kreuther Trennungsbeschluß aus dem Jahr 1976 wieder aufleben zu lassen. Vor allem der populistisch begabte Münchner CSU-Bezirkschef Peter Gauweiler gehörte zu den Verfechtern einer bundesweiten CSU, auch der heutige Ministerpräsident Edmund Stoiber kokettierte eine Zeitlang mit dem Gedanken an eine Ausdehnung.

CSU-Chef Theo Waigel und Fraktionschef Alois Glück stemmten sich vehement und mit guten Argumenten gegen solche Planspiele. Bei einer Ausdehnung hätte die CSU im Parteienspektrum nur rechts von der CDU einen Platz gefunden, eine populistische Rechtspartei nach dem Strickmuster der österreichischen FPÖ von Jörg Haider. Gäuweiler wäre das vermutlich ganz recht gewesen.

Umgekehrt wäre die CDU nach Bayern einmarschiert und hätte die liberalen Teile der CSU aufgesogen. „Die Ausdehnung führt faktisch zur Spaltung der Partei“, schrieb Glück in seinem Strategiepapier von 1991.

Endgültig waten alle Träume von einer bundesweiten CSU ausgeträumt, als Helmut Kohl der CSU bei einem Gipfeltreffen im Mai 1991 im ehemaligen Kloster Irsee kräftig die Leviten las. In einerdenkwürdigen Sitzung machte Kohl damals unmißverständlich klar, wer der Chef im Unionshaus ist; die Expansionisten mit Gauweiler an der Spitze schwiegen kleinlaut.

Seither ist klar: Eine bundesweite Ausdehnung der CSU, ob unter fremdem oder unter eigenem Namen, ist endgültig und wohl für alle Zeiten gescheitert. Die CSU muß sich damit abfinden, daß sie ihren bundespolitischen Anspruch allein mit ihrem bayerischen Potential bestreiten muß. Eine Aufgabe, die immer schwerer wird, je mehr die Bindungswirkung der traditionellen Volksparteien zerfällt. Parteistrategisch bedeutet das für die CSU eine Konzentration aller Kräfte auf die Landtagswahl im Herbst 1994. Dieser Wahl, so zeichnet sich gegenwärtig schon ganz klar ab, werden alle anderen Ziele untergeordnet.

II. Der Machtkampf in der CSU und seine Folgen

Für die CSU war die erste Hälfte des vergangenen Jahres ein einziger Alptraum. Die quälende Diskussion um den Rücktritt von Ministerpräsident Max Streibl und der in der Parteigeschichte beispiellose Machtkampf um seine Nachfolge zwischen CSU-Chef Theo Waigel und seinem Vize Edmund Stoiber haben die Partei über Monate politisch gelähmt. In dem erbitterten Gerangel brachen lange verdrängte Konflikte auf.

Nach dem Tod von Franz Josef Strauß 1988 war in der auf Harmonie und Geschlossenheit getrimmten CSU Streibl ohne jede Diskussion zum neuen Regierungschef gekürt worden. Der Exponent des klerikal-konservativen Flügels hatte kühl und machtbewußt die Chance beim Schopf ergriffen und war als Stellvertreter sozusagen automatisch in die Staatskanzlei eingerückt. Ebenfalls ohne größere Diskussion wurde Theo Waigel neuer Parteichef. Voller Stolz auf sich selbst feierte die CSU den reibungslosen Wachwechsel als Beweis für ihre innere Harmonie und Geschlossenheit.

Ein Traum-Duo waren der mißtrauische Streibl und der schwerblütige Waigel allerdings von Anfang an nicht. Vornehmlich von Streibls Umgebung wurden gezielte Nadelstiche gegen den Tandem-partner geführt, was in Bayern als „Nase-vorn“ -Spiel in die politischen Annalen eingegangen ist. Dennoch ging zunächst alles gut. Der seriös wirkende, silberlockige• Streibl schien die Ideal-besetzung als Landesvater, der Kinderköpfe tätschelt und Weinköniginnen die Wange streichelt. 1990 holte die CSU mit Streibl an der Spitze bei der Landtagswahl erneut die absolute Mehrheit.

Doch schon bald zeigte sich, daß Streibl mit seinem reichlich biederen, festgefügten, konservativen Weltbild nicht die richtige Wahl war. Streibls Vorbild war nicht Strauß, sondern dessen Vorgänger Alfons Goppel, ein milder Patriarch, unter dessen Regentschaft die CSU 1974 mit 62 Prozent ein nie mehr erreichtes Wahlergebnis erzielte. Doch abgesehen von den persönlichen Schwächen Streibls, der nie die Volkstümlichkeit Goppels ausstrahlte:'die Zeiten waren nicht danach. Während sich Streibls politische Vorstellungen darin erschöpften, daß am besten alles so bleiben solle, wie es war, zogen auch im Boom-Land Bayern finstere Wolken am ökonomischen Horizont auf. Streibl wirkte als Ministerpräsident phantasielos und überfordert.

Die sogenannte „Amigo-Affäre“ um Gratisreisen auf Unternehmerkosten war nur der berühmte letzte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Schon zuvor leistete sich Streibl eine unendliche Kette von Pannen und Peinlichkeiten, die die CSU um ihre Wahlchancen für 1994 fürchten ließ. Mal warnte er vor Berlin als Hauptstadt, weil dann die Chaoten aus Kreuzberg das Sagen hätten, mal erregte die Meldung Aufsehen, Streibls Staatskanzlei lasse den möglichen Austritt Bayerns aus der Bundesrepublik prüfen. Streibl ging gegen kritische Journalisten vor, lobte den harten Polizeieinsatz beim Münchner Weltwirtschaftsgipfel als „bayerische Art“ und fehlte bei der spektakulären Münchner Lichterkette gegen Fremdenhaß, weil er lieber einen Weihnachtsmarkt in der Provinz einweihte.

Der Unwillen in der CSU über ihren Regierungschef war schon vor der „Amigo-Affäre“ mit Händen zu greifen. Längst war im Schatten Streibls und Waigels, und auch unbeachtet von den meisten Medien außerhalb Bayerns, Innenminister und Parteivize Edmund Stoiber zum starken Mann der CSU herangewachsen. Schon seit langem hatte sich Stoiber vom politischen Hardliner und persönlichen Minenhund von Strauß zur politischen Allzweckwaffe der CSU gemausert. Stoiber, der Mitte der achtziger Jahre einmal beinahe aus dem CSU-Voistand gewählt worden wäre, so unbeliebt war er, hatte seine Position als Leiter der Grundsatzkommission genutzt, um sich an der Basis der CSU eine feste Verankerung zu schaffen. Während der mehrjährigen Diskussion um das im letzten Herbst verabschiedete neue Grundsatzprogramm reiste er unablässig übers Land und nahm an unzähligen Parteiveranstaltungen teil. Während Theo Waigel, gebunden durch sein strapaziöses Bonner Amt, irgendwo in der Welt unterwegs war, füllte Stoiber die Wirtshaussäle zwischen Aschaffenburg und Garmisch und vermittelte dem Parteivolk das Bild, stets präsent zu sein und ein offenes Ohr zu haben.Außerdem avancierte Stoiber mit seiner Arbeitswut zum Liebling der Landtagsfraktion. Außerhalb Bayerns wird gerne übersehen, daß in der CSU die Landtagsfraktion das machtpolitische Rückgrat ist. Hier sitzen die meisten Kreisvorsitzenden der Partei, die meisten von ihnen direkt gewählte Abgeordnete mit ständiger Rückkopplung zur Partei-basis in ihrer jeweiligen Heimatregion. Es war die Landtagsfraktion, die seinerzeit den Alleingang von Franz Josef Strauß beim Flugbenzin stoppte; die Bonner CSU-Abgeordneten hatten den unvermittelbaren Plan bereits passieren lassen.

Das alles hätte Stoiber freilich nichts genützt, wenn Waigel rechtzeitig die Zügel in die Hand genommen und den Sturz Streibls selber gemanagt hätte. Statt dessen ließ Waigel die Dinge viele Wochen treiben und entschloß sich zu spät, selber Anspruch auf die Nachfolge Streibls zu erheben. Da waren in München aber die Karten schon längst anders gemischt.

Es gehört zu den groben Fehleinschätzungen, den Machtkampf zwischen Stoiber und Waigel, den Stoiber schließlich gewann, als Rechts-Links-Konflikt in der CSU zu sehen. Einerseits ist Stoiber nicht der Exponent des rechten Flügels, als der er von vielen vor allem außerhalb Bayerns immer noch hingestellt wird. Im Gegenteil, in den letzten Jahren hat Stoiber viele Akzente gesetzt, die im herkömmlichen Schema eher als links gelten müßten. Zum Beispiel seine Vorstöße zur Verbesserung des Mieterschutzes. Andererseits ist Waigel auch nicht der milde Liberale. In allen politischen Streitfragen hat Waigel immer die harte CSU-Linie verfochten. In ihrer politischen Ausrichtung unterscheiden sich Waigel und Stoiber nur wenig. Ein Richtungsstreit war der Münchner Machtkampf nicht.

Stoiber war als ehrgeiziger Landespolitiker eher der Mann der Parteibasis, während Waigel der Kandidat des Parteiestablishments war. Außerdem war das Duell zwischen den beiden völlig unterschiedlichen Männern auch Ausdruck unterdrückter persönlicher und politischer Spannungen in der CSU. In der Ära Strauß hatten Waigel und Stoiber grundverschiedene Rollen. Stoiber heizte im Auftrag von Strauß jeden Konflikt mit Bonn an, Waigel mußte als Chef der CSU-Landesgruppe dann versuchen, die Wogen bei Kanzler Kohl und der CDU zu glätten. Alte Spannungen aus diesem Rollenkonflikt schlugen auch beim Kampf um die Streibl-Nachfolge wieder durch. Ohnedies sind die Beziehungen in der Führungsetage der CSU, allen Harmoniebeteuerungen zum Trotz, hochkompliziert. Gegenseitige Spannungen und Eifersüchteleien haben die Lösung der Streibl-Krise zur quälenden Hängepartie werden lassen.

Für die CSU war es die schwerste Krise ihrer Geschichte; Waigel war nach der deprimierenden Niederlage nahe dran, alles hinzuwerfen. Das hätte das Auseinanderbrechen der Partei bedeuten können. Mittlerweile ist Waigel als Parteichef wieder gefestigt; auf dem Parteitag der CSU im letzten Herbst wurde er mit großer Mehrheit wiedergewählt. Bislang verläuft die Zusammenarbeit zwischen Stoiber und Waigel ohne größere Störungen, wenngleich das latente Mißtrauen spürbar bleibt. Fraktionschef Alois Glück vertritt gar die These, daß die Krise die Chance für einen Neuanfang der CSU biete, weil endlich lange vorhandene, aber meist unterdrückte Querelen bereinigt worden seien.

III. Der Wahlmarathon -für die CSU /ein schwerer Parcours

Für die CSU ist das Wahljahr 1994 ein riskanter Hindernislauf, mit dem breiten Wassergraben gleich am Anfang: der Europawahl. Hier gibt es keine Direktmandate, die CSU muß sich mit ihren bayerischen Stimmen über die bundesweite Fünf-Prozent-Hürde hangeln. Dazu bräuchte sie, je nach Wahlbeteiligung, zwischen 38 und 43 Prozent. Das könnte knapp werden, denn auch beim letzten Mal kam die CSU bei der Europawahl -für viele Wähler eine günstige Gelegenheit für einen Denkzettel -nur auf 45 Prozent. Den Sprung ins Europaparlament zu verpassen wäre für die CSU indessen ein Menetekel für die Landtags-und Bundestagswahl im Herbst.

Um die Unzufriedenen im eigenen Lager von einer Protestwahl oder schlichter Wahlenthaltung abzuhalten, hat Ministerpräsident Stoiber eine riskante Wende in der Europapolitik eingeleitet und ein langsameres Tempo bei der Integration verlangt. Die europakritischen Töne des Ministerpräsidenten helfen zwar, den rechten Rand zu festigen, bergen aber die Gefahr, die CSU in die Ecke der generellen Europagegner zu bugsieren; kein Güte-siegel angesichts der Abhängigkeit auch der bayerischen Exportindustrie vom europäischen Markt.

Hauptprüfstein für die politische Zukunft der CSU ist jedoch die Landtagswahl in Bayern. Sie ist für die CSU weit wichtiger als die kurz darauf folgende Bundestagswahl. Die Identität der CSU wird von ein paar Abgeordnetenmandaten für den Bundestag oder, im Falle eines Wahlsieges, von ein paar Kabinettsposten mehr oder weniger nur wenig bestimmt. Sie hängt entscheidend an der Frage, ob es der Partei gelingt, ihre absolute Mehrheit in Bayern zu behaupten. Einen Machtverlustin Bonn würden die meisten verschmerzen, ein Machtverlust in München würde die Partei bis ins Mark erschüttern. „Das wäre ganz sicher eine tiefe Zäsur, und es würde eine Zeitlang dauern, bis die Partei ihr inneres Gleichgewicht wiedergefunden hat“, gibt Fraktionschef Glück unumwunden zu.

Der energische Neuanfang unter Stoibers Regentschaft hat die demoskopischen Zahlen für die CSU wieder emporschnellen lassen, die unter Streibl schon unter die 40-Prozent-Marke gefallen waren. Aber die Zeiten haben sich geändert, auch für die CSU. Der Verfall der Volksparteien bedroht besonders die Partei, deren politische Überlebensgarantie die Alleinherrschaft in ihrem Stammland ist. Stoiber scheint das erkannt zu haben. In seiner Rede auf dem letzten Parteitag forderte er eine durchgreifende Öffnung der Partei für Kräfte und Impulse von außen. „Entweder die Volksparteien kümmern sich mehr um das Volk, oder sie sind am Ende“, heißt es in Stoibers Redemanuskript.

An der Parteibasis trifft der Wille zur politischen Erneuerung auf Resonanz. Ohnehin hat sich in der CSU in den letzten Jahren ein beinahe sensationeller Wandel vollzogen. Waren die Delegierten auf Parteitagen früher meist ergebene Claqueure zur Huldigung der Herren auf dem Vorstandspodium, bestimmen heute kontroverse Diskussionen das Bild. Hinsichtlich ihres demokratischen Innen-lebens ist die CSU heute viel interessanter und lebendiger als ihre größere Schwester CDU.

Im Parteiestablishment hingegen wird der Wandel vielfach eher hingenommen als mitgetragen. Im Funktionärskörper gibt es starke Kräfte, die alles beim alten lassen möchten und sich an die Erfolgs-rezepte der siebziger Jahre klammern, als alles noch so schön einfach für die CSU war. Als Stoiber seinen Kabinettskollegen eine Reihe von lieb-gewonnenen Privilegien und Nebentätigkeiten kappte, waren die kommunalen Mandatsträger der Partei nur murrend bereit, dem guten Beispiel wenigstens ein Stück weit zu folgen.

Hinzu kommt, daß eine ganze Reihe von Altlasten aus der Ära von Franz Josef Strauß auftauchen. So befaßt sich ein Untersuchungsausschuß des Land-tages mit der Steueraffäre eines ehemaligen Strauß-Freundes. Vor allem der Clan der ehemaligen Strauß-Getreuen, angeführt vom Chefredakteur des „Bayernkuriers“, Wilfried Scharnagl, wacht voller Sorge und Mißtrauen darüber, daß ihr Idol durch die plötzliche Akzeptanz strengerer moralischer Normen auch in der Politik nicht nachträglich in ein schiefes Licht gerät.

Die politischen Gegner der CSU rüsten für das Superwahljahr zu einer neuen Offensive. Vor allem die SPD, 1990 im Rausch der Einheitswahlen in Bayern ohne Chance und auf den historischen Tiefstand von 26 Prozent zurückgefallen, hofft auf günstigere Umstände. Mit der populären Spitzenkandidatin Renate Schmidt und dem ehemaligen Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter peilen die Sozialdemokraten einen gehörigen Sprung nach vorne an. Allerdings ist die SPD so weit abgeschlagen, daß ein Machtwechsel aus eigener Kraft kaum gelingen kann.

Unkalkulierbarer und auch bedrohlicher als mögliche Zugewinne der SPD ist für die CSU die ständig wachsende Zahl der Unzufriedenen, die entweder gar nicht zur Wahl gehen oder eine radikale Protestwahl im Sinn haben. Die Chancen der Republikaner sind dabei vom Bundestrend abhängig. Ist er günstig, sind ihre Aussichten in Bayern besonders rosig. Denn nach wie vor ist Bayern das Stammland der Republikaner. Sie sind 1983 schließlich als Abspaltung von der CSU entstanden, aus Protest gegen den von Franz Josef Strauß eingefädelten Milliardenkredit an die DDR.

Wenn die CSU durch Zuwächse bei SPD und GRÜNEN sowie durch einen massiven Einbruch der Republikaner in ihr Wählerreservoir um ihre absolute Mehrheit gebracht wird, droht der Partei ein Dilemma. Stoiber und auch Fraktionschef Glück sind frühzeitig und seither immer wieder allen Spekulationen über ein mögliches Bündnis mit den Republikanern entgegengetreten. „Das wäre noch viel schlimmer als eine Ausdehnung, die CSU wäre damit eine rechte Partei, wir würden international am Pranger stehen“, hat Stoiber vor Monaten gesagt.

Allen Teilen der CSU ist das aber nicht so klar. So mußte etwa der zurückgetretene Streibl von Stoiber massiv auf einen Abgrenzungskurs gedrängt werden. Vor allem der konservative Flügel der CSU sieht in den Republikanern im Grunde Fleisch vom gleichen Fleisch und würde bei einem Verlust der absoluten Mehrheit nicht so ohne weiteres einsehen, warum dann möglicherweise eine Große Koalition mit den immer bekämpften Sozialdemokraten die einzige Alternative sein soll.

Die CSU steht im Superwahljahr 1994 angesichts der schwindenden politischen Bindungskraft der klassischen Volksparteien vor schwierigen Herausforderungen. Ihre weitere politische Zukunft hängt vor allem von den Landtagswahlen in Bayern ab. Hier muß sie die absolute Mehrheit verteidigen. Gelingt es der CSU, ihre Alleinherrschaft in Bayern zu behaupten, kann sie sich mit dem noch relativ jungen Stoiber an der Spitze vermutlich auf längere Jahre etablieren und damit wohl auch ihr -allerdings geschrumpftes -bundes-politisches Gewicht wahren.

Fussnoten

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