Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Das Wahljahr 1994 und die Strategie der PDS | APuZ 1/1994 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 1/1994 Artikel 1 Ende oder Wende. Was wird aus der CDU? Zurück zur Mitte: Die SPD zu Beginn des Superwahljahres 1994 Die F. D. P. am Scheideweg Die CSU vor einem schwierigen Spagat Das Wahljahr 1994 und die Strategie der PDS Bündnis 90/Die Grünen: Oppositions-oder Regierungspartei?

Das Wahljahr 1994 und die Strategie der PDS

Patrick Moreau

/ 17 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die wirtschaftliche Krise in den neuen Bundesländern hat es der PDS ermöglicht, regional ihre Wählerschaft zu stabilisieren. Ihr politisches Scheitern im Westen beraubt sie nahezu jeglicher Chance, bei den Bundestagswahlen 1994 die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Die Partei hofft, ihre Defizite in den alten Bundesländern durch den Gewinn dreier Direktmandate im Osten ausgleichen zu können. Der Großteil der Parteikräfte hat sich inzwischen auf der Kommunal-und Landesebene engagiert, auf welcher die PDS mehrere hundert Mandate erreichen und zumindest in vier Landtage einziehen dürfte. Deutet sich durch das gute Abschneiden bei der Kommunalwahl in Brandenburg eine Trendwende für die PDS in bezug auf die Bundestagswahl 1994 an?

In Anbetracht des jetzt beginnenden Superwahljahrs 1994 kann eine Analyse des gegenwärtigen Zustandes der PDS sicherlich hilfreich sein, um die Kräfteverhältnisse der konkurrierenden politischen Parteien im vereinten Deutschland abzuschätzen. Seit mehreren Monaten gibt die PDS Erklärungen zu ihrer „wachsenden Akzeptanz“ ab. Die Partei ist sich bewußt, daß es in diesem Jahr um ihre Existenz geht: Sollte sie den Einzug in den neuen Bundestag verfehlen, so würde sie auf den Status einer Regionalpartei herabsinken, die zu mehr oder weniger bedeutungslosen Rückzugsgefechten verdammt wäre.

Um das eigene Überleben um jeden Preis zu sichern, hat die PDS die Felder ihrer politischen Aktivitäten erheblich ausgeweitet: Als aktuelle Beispiele können die Gerechtigkeitskomitees, die Antifaschismuskampagnen sowie die fortgesetzten Versuche zur Unterwanderung des DGB angeführt werden. Die Meinungsumfragen zum beabsichtigten Wahlverhalten sowie die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Brandenburg bestätigen, daß dieser politische Aktivismus sich in den neuen Bundesländern auszahlt. Hier hat die Partei ihre Wählerschaft stabilisieren können.

Die PDS ist heute die einzige linksextreme politische Organisation, die innerhalb des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland eine Rolle spielen könnte. Nach Aussage der Meinungsforschungsinstitute ist die PDS nicht weit davon entfernt, bundesweit vier Prozent zu erreichen (in den neuen Bundesländern kann die PDS mit 10 bis 15 Prozent der Stimmen rechnen, in den alten hingegen nur mit höchstens zwei). Die zweite, nicht zu unterschätzende Stärke der PDS besteht in ihrer Anziehungskraft für linksradikale Gruppen im Westen. Immer mehr Anhänger des linksextremen Spektrums von den dogmatischen K-Gruppen bis zu den Sympathisanten der anarchistischen Autonomen Szene arbeiten mit der PDS zusammen. Dementsprechend schwer fällt es derzeit der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), ihre schwache Gefolgschaft (ungefähr 6000 Mitglieder) vor dem Sog der PDS zu bewahren, zumal die DKP sich in einem Zerfallsprozeß befindet.

Die Beharrungsfähigkeit der PDS ergibt sich aus dem allgemeinen politischen Kontext. Denn das politische System Deutschlands ist in eine Phase vielschichtiger Krisen eingetreten, die zugleich wirtschaftlicher, sozialer und politischer Natur sind. Das unerwartete Ausmaß der Krise des „westdeutschen Kapitalismus“ gibt der PDS eine politisch wirksame Waffe an die Hand und verstärkt ihre subversiven politischen Aktivitäten. Im täglichen politischen Kampf denkt und handelt die PDS, insbesondere ihre Führung und der hauptamtliche Apparat, wie eine modernisierte kommunistische Partei westlicher Prägung. Sie hat vieles von den Theorien, Anpassungs-und Tarnungsstrategien der italienischen und französischen kommunistischen Parteien übernommen. Diese Feststellung führt uns zu den wahren Gründen der heutigen Entwicklung und erklärt sowohl den besonderen Stil der Gerechtigkeitskomitees als auch die Formen des sogenannten „antifaschistischen“ Kampfes der PDS sowie die Versuche zur Unterwanderung des DGB.

Um den wirklichen Zustand der PDS zu erfassen, muß man über die von den Meinungsforschungsinstituten gelieferten Daten hinausgehen. Eine Analyse der Partei und ihres Mitgliederbestandes rechtfertigt die These, trotz der jüngsten Wahl-erfolge eher von einer strukturellen Krise dieser Partei zu sprechen: Besonders beeindruckend war der Zusammenbruch der PDS auf der Ebene der Landesverbände der neuen Bundesländer. Der jetzige Parteivorsitzende Lothar Bisky gab beispielsweise im Juni 1991 bekannt, daß sein Landesverband Brandenburg nur noch 36000 Mitglieder zähle, obwohl im Dezember 1990 noch 46000 Mitglieder registriert waren. Im März 1993 zählte dieser Landesverband nur noch 22684 Mitglieder.

Diese Entwicklung vollzog sich innerhalb aller Landesverbände und betraf selbst den Berliner Verband, der für die organisatorischen Aktivitäten der Partei auf Bundesebene von zentraler Bedeutung ist (im Oktober 1991 waren 34621 Mitglieder registriert, im März 1993 nurmehr 25 806).

Angesichts dieser Tatsachen entschloß sich die PDS, eine Reihe soziologischer Untersuchungen durchführen zu lassen, deren erklärtes Ziel es war, Strategien gegen das Ausbluten und den Alterungsprozeß ihrer Mitgliedschaft zu entwickeln.

Die Untersuchungsergebnisse sind eindeutig:

95 Prozent der PDS-Anhänger sind ehemalige SED-Mitglieder, und nur fünf Prozent waren parteilos bzw. Mitglieder einer sogenannten Block-partei gewesen. Daraus ergibt sich, daß die Parteiseit Februar 1990 praktisch keine neuen Mitglieder hat gewinnen können. Außerdem hat die PDS einen erheblichen Alterungsprozeß durchgemacht, da nur noch acht Prozent der Mitglieder unter 30 Jahre alt sind und die über 55jährigen eine absolute Mehrheit stellen. Auch die sozioprofessionelle Zusammensetzung der Mitgliederschaft ist sehr bezeichnend: 1993 waren über 50 Prozent der Mitglieder ehemalige Staats-und Wirtschaftsfunktionäre, Angehörige der bewaffneten Organe (Armee und Stasi) und hauptamtliche Funktionäre der SED. Eines der weiteren soziologischen Merkmale der PDS ist ferner die Überrepräsentation der ehemaligen intellektuellen Elite der DDR: Zirka 20 Prozent der Mitglieder sind Künstler, Intellektuelle, Lehrer oder Wissenschaftler.

Auf der Ebene der Theorie betonten viele Mitglieder, daß sie sich insbesondere zu den kommunistischen Wurzeln und Traditionen der Partei bekennen. Das Überleben dieses SED-Erbes in den Verhaltensstrukturen der PDS-Anhänger war angesichts der Altersstruktur oder der einseitig orientierten kommunistischen Parteipräferenz der Eltern der Befragten voraussehbar. Die Untersuchung der Bündnisfähigkeit der Anhänger zeigte, daß die meisten der PDS-Mitglieder sich an erster Stelle als Kommunisten verstehen, nur wenig Sympathie für die „Bürgerbewegungen“ oder andere „Chaotenhaufen“ hegen und noch weniger Verständnisbereitschaft für die Sozialdemokratie aufbringen können.

In seiner Rücktrittserklärung als Parteivorsitzender im Januar 1993 beschrieb Gregor Gysi die größte Gruppe seiner Anhängerschaft wie folgt: „Es gibt eine Gruppe von Genossinnen und Genossen in der PDS, die großen Wert darauf legen, durch ihre Mitgliedschaft und ihre politischen Aktivitäten eine Bestätigung ihres bisherigen Lebens, ihrer Biographien zu erfahren... Indem sie ihr Leben verteidigen, verteidigen sie gewollt oder ungewollt häufig zugleich eine Geschichte, die in diesem Umfang Verteidigung nicht verdient. Ihr programmatischer Ansatz ist meist ein nicht nur marxistischer, sondern auch ein marxistisch-leninistischer (einschließlich der höchst zweifelhaften Momente), weil auch dies zur Bestätigung ihrer Biographien erforderlich ist.“

Die Übereinstimmung der angeführten Tatsachen beweist, daß die Partei sich in einem kritischen Zustand befindet, der durch eine demographische, eine politische und eine psychologische Krise bedingt ist. Denn auch bei der DDR-Nostalgie handelt es sich nicht um eine vorübergehende Mode-erscheinung; vielmehr ist sie ein Beleg dafür, daß es der PDS nicht gelang, die eigene Geschichte zu bewältigen.

Eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts des der PDS nahestehenden ISDA vom Juni 1993 zeigt, daß die SED-Nostalgie als ein psychologisches Phänomen zu interpretieren ist, das einen großen Teil der Bevölkerung in den neuen Bundesländern betrifft. Zur Frage: „Bejahen Sie im großen und ganzen die politische Entwicklung im geeinten Deutschland?“ ergab sich folgendes Meinungsbild: Im Mai 1990 lag die Akzeptanz der Währungsunion und der Einheit noch deutlich über 70 Prozent, 1991 waren es nur noch 60 Prozent. Im Jahr 1993 akzeptierte insgesamt nur noch die Hälfte der Befragten den Verlauf des Einigungsprozesses. In der Anhängerschaft der PDS hingegen gibt es kaum jemanden, der die politische Entwicklung uneingeschränkt bejaht (zwei Prozent); 14 Prozent akzeptieren sie überwiegend, bei nahezu der Hälfte überwiegt die Ablehnung, und ein weiteres Drittel lehnt sie ganz ab.

Wenn man den Begriff der bedingungslosen Ablehnung des politischen und wirtschaftlichen Systems, das durch die Wiedervereinigung eingeführt worden ist, näher betrachtet, erkennt man, daß ungefähr 13 Prozent der PDS-Sympathisanten sich im Juni 1993 in der Situation eines „inneren Exils“ befanden und somit dem neuen Deutschland gegenüber eine Verweigerungshaltung einnahmen. Wollte man die Behauptung aufrechterhalten, daß die PDS ernsthaft versuche, sich zu erneuern und sich in Richtung Demokratie weiter zu entwickeln, so zeigt die Dominanz dieses reaktionären Verhaltens, daß das Erbe der SED schwer wiegt. Damit bleiben diejenigen Anhänger der PDS chancenlos, die sich ehrlich um die Demokratie und die Veränderung der Partei bemühen. In ihrer Mehrheit bleibt die PDS wohl das, als was das Neue Forum sie charakterisierte: die Partei der Ewiggestrigen.

Um die Organisation zu stabilisieren, sah sich die PDS-Führung, die über den wahren Zustand ihrer Anhängerschaft immer Bescheid wußte, gezwungen, sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Daher bot es sich an, die PDS als „sozialistische Basispartei“ zu tarnen. Der Preis dieser Überlebenssicherung war ein verstärkter ideologischer Pragmatismus, eine Reihe von Strukturveränderungen, der Abbau des Parteiapparates, die Kalt-stellung aller durch die DDR-Vergangenheit zu stark kompromittierten Kader sowie der Ausschluß ideologischer Positionen und Persönlichkeiten, die allzu stark an die Zeit des SED-Regimes erinnerten.

Der demokratische Zentralismus leninistischer Prägung wurde nach der Wende durch die wendige „Diktatur“ eines allmächtigen Präsidiums abgelöst. Die Popularität von Hans Modrow undGregor Gysi, den einzigen Integrationspersönlichkeiten der Partei, garantierte zunächst die Akzeptanz des neuen Machtzentrums. Um die Troika Gregor Gysi, Hans Modrow und ab 1991 Andre Brie formierte sich eine neue PDS-Elite, die hauptsächlich junge Mitglieder und begeisterungsfähige Sympathisanten vereinigte und die die Kontrolle über die neuen Führungsstrukturen der Partei übernehmen sollte: die Arbeitsgemeinschaften beim Parteivorstand.

Laut Beschluß des Parteivorstandes vom 16. Februar 1991 sollte sich seine gesamte Arbeit „von den politischen Aufgaben ableiten und auf die Bereiche der politischen Praxis konzentrieren, in denen sich Konfliktpotentiale bündeln, politische Bewegungen vorhanden sind, -entstehen oder entstehen können, und die die außerparlamentarische und parlamentarische Arbeit der PDS auszeichnen sollen“. Mit der Bildung von Arbeitsgemeinschaften wurden die Bereiche hervorgehoben, in denen es eine Anhäufung von Konfliktpotentialen gab und wo parlamentarischer und/oder außerparlamentarischer „Widerstand“ zu erwarten war.

Erklärtes Ziel des PDS-Parteivorstandes war es, in diesen Arbeitsgemeinschaften strategische Fragen anzugehen: Kampf an allen Fronten gegen den Kapitalismus, Unterwanderung der Gewerkschaften, Beeinflussung der Umweltbewegungen, Annäherung an die Kirchen, „Verwertung der Reste“ der Friedensbewegung, Verankerung der PDS im Westen der Bundesrepublik, Sicherung und Ausbau der Basis in den östlichen Bundesländern. Obwohl auf der höchsten Führungsebene die Arbeitsund andere Interessengemeinschaften anscheinend gut funktionieren, sind deren Erfolge auf lokaler Ebene für die PDS nicht besonders ermutigend, wie aus den vorhandenen Unterlagen hervorgeht.

Die Organisationsreformen wurden von der Überlegung geleitet, welchen Platz programmatische Überlegungen im Parteileben einnehmen sollten. Der ideologische Monolithismus der Vergangenheit wurde durch sich oft widersprechende Ansätze, die kein umfassendes und endgültiges Programm darstellten, ersetzt, z. B. durch das Aufgreifen des Umweltschutzes, das Engagement bezüglich der Frauenfrage und der neuen sozialen Bewegungen. Eine theoretische Neuerung verdient es aber besonders, näher untersucht zu werden: die Rolle der Intellektuellen, die von Gramsci und seiner Theorie der Subversion der „zivilen Gesellschaft“ übernommen wurde. Die PDS versuchte dieses Konzept der italienischen Kommunisten für sich fruchtbar zu machen, mit dem es jenen gelungen war, eine große, moderne, unmittelbar mit der Gesellschaft verbundene kommunistische Partei zu werden. Zu der für das Überleben der PDS notwendigen Anpassungsstrategie lieferte Gramsci somit die Methodologie und eine eschatologische Vision.

Ziel der PDS ist es, auf allen Gebieten der zivilen Gesellschaft die Konfliktzonen auszumachen und in jedem einzelnen Spannungsfeld den Beteiligten eine auf sie bezogene Botschaft zu vermitteln, um damit den Konflikt zu schüren. Kernpunkt der PDS-Taktik ist somit der Widerstand gegen den sozialen Konsens, wo immer er möglich ist. Das Zentrum in diesem Stellungskrieg bleibt somit der kulturelle Bereich, Kommandoposten für Werte und Ideen, nicht jedoch der ökonomische, auf den die PDS keinerlei Einfluß hat. Auf der Ebene der Intellektuellen (der Intellektuellen, die in den neuen Bundesländern der Partei verbunden blieben, aber auch aller anderen, die durch die Wiedervereinigung zur Randgruppe geworden waren) erlebt die PDS, inspiriert von Gramscis Theorie und Politik, einen ideologischen Pseudo-Aufschwung. Diese nicht an die Arbeiterklasse, sondern an ein ganzes Volk gebundene intellektuelle Avantgarde hat ihre „Termitenarbeit“ aufgenommen und erfüllt objektiv eine „Klassenfunktion“, indem sie sich zum Wortführer für die benachteiligten Gruppen in den Ländern der ehemaligen DDR macht. Die Intellektuellen nehmen eine zweifache Funktion wahr: die Verteidigung der Identität und Kultur der DDR-Bevölkerung, der die PDS eine „ideologische Homogenität“ vermitteln möchte, und die Schaffung eines kollektiven Bewußtseins, das zur Organisation des Widerstands gegen den Kapitalismus nötig ist.

Die Mutation der Organisationsprinzipien und die Aneignung von neuen semantischen Feldern, die von den Grünen oder den westdeutschen Linken ausgeliehen wurden, bewirkten die Wandlung der PDS zu einer modernen kommunistischen Partei, die in ihre Strategie den Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus" miteingebaut hat. Es scheint, daß die PDS eine typische Partei des post-kommunistischen Zeitalters ist, da sie die Vorstellung eines endgültigen Sieges des Kapitalismus gegen eine bestimmte geschichtliche Form des Sozialismus akzeptiert und all ihre Kräfte auf die Notwendigkeit einer destruktiven Opposition gegen die Marktwirtschaft konzentriert. Bildlich gesprochen tarnt sich die Partei mit dem Mäntelchen eines Kreuzzuges zur Errettung der Menschheit vor den globalen Gefahren, insbesondere der Gefahr des ökologischen Zusammenbruchs.

Da diese Einstellung auf den Erhalt einer kommunistischen Identität hinausläuft, impliziert sie eine Offensive der PDS-Führung gegen die Sozialdemokratie, um einer klaren Abgrenzung Genüge zu tun. Die Doppelschneidigkeit dieser Feind-23schäft gegenüber der Sozialdemokratie wurde auch von Gysi in seinem Abschiedsbrief erwähnt: „Die Mitglieder einer zweiten von mir festgestellten Gruppe lassen sich nach meiner Einschätzung in erster Linie davon leiten, daß sie in der politischen Klasse der Bundesrepublik Deutschland Akzeptanz suchen. Sie versuchen, sich partiell entsprechend den Erwartungen dieser politischen Klasse zu verhalten... In ihren programmatischen Vorstellungen versuchen sie, eine breite Akzeptanz zu finden, und gehen deshalb über sozialdemokratische Ansätze nicht hinaus. Das gilt entsprechend für die konkreten Politikansätze, die sich wenig von denen der ersten Gruppe unterscheiden. Würde diese Gruppe in der PDS dominieren, wäre tatsächlich eine Akzeptanz in der politischen Klasse partiell erreichbar, gerade auch im Verhältnis zur SPD. Das Problem bestünde allerdings darin, daß dann die Partei überflüssig werden würde, sie könnte keine eigene Rolle spielen und letztlich auch kein eigenes Profil entwickeln.“

Die Gysi-Bisky-Brie-Führung der PDS träumt davon, die Rolle einer ideologischen Muse und eines organisatorischen Motors in der Rettungsaktion der Menschheit vor den Übeln des Kapitalismus zu spielen; hierbei bedient sie sich der „Gerechtigkeitskomitees“ und der „Antifaschismuskampagnen“. Man entdeckt und setzt wieder auf die klassische kommunistische Unterwanderungsstrategie, die es darauf anlegt, die Bürgerinitiativen und die Neuen Sozialen Bewegungen zu manipulieren. Parallel dazu und auf genau die gleiche klassische Art versucht die PDS, im gewerkschaftlichen Bereich Fuß zu fassen, um Streiks anzuregen oder zu provozieren. Sie wendet eine auf Spannung abzielende Strategie in den neuen Bundesländern an und akzeptiert hierbei auch die Möglichkeit eines Rückgriffs auf ungesetzliche Aktionen.

In diesem Zusammenhang sind die gegenwärtigen Aktivitäten von Gregor Gysi besonders aufschlußreich: Er hat im Jahre 1993 oft an gewerkschaftlichen Tagungen teilgenommen und organisierte mit der gesamten PDS Unterstützungsaktionen zugunsten der „Kalikumpel“. Die Unterlagen der AG Gewerkschaftspolitik sowie der Anstieg der Aktivitäten der PDS-Kader in gewerkschaftlichen Bereichen zeigen, daß die PDS danach strebt, ihren Einfluß in der Arbeitswelt sowohl im Osten als auch im Westen massiv auszudehnen.

Innerhalb der PDS übernehmen unterschiedliche Flügel diese verschiedenen subversiven Aufgaben. Sehr beunruhigend sind die Bemühungen der sogenannten Aktivisten, im Rahmen von „Antifaschismuskampagnen“ nach Verbündeten im linksextremen Lager zu suchen, beispielsweise bei den Autonomen (insbesondere in Berlin, Brandenburg, aber auch in Niedersachsen). Die PDS-Landesverbände in den alten Bundesländern arbeiten auf lokaler Ebene mit dem Bund Westdeutscher Kommunisten, dem MLPD und dem Arbeiter-bund für den Wiederaufbau der KPD zusammen. Was die „Bruderpartei par excellence", die DKP, anbelangt, so muß hier auf die Kommunistische Plattform der PDS, die auf zirka 5 000 Anhänger zählen kann, verwiesen werden. Dieser kommunistische Flügel verlangt, daß die Partei besondere Beziehungen zur DKP aufbaut; er verteidigt die Idee eines engen Bündnisses zwischen der PDS und der DKP.

Gysi meint dazu: „Den Mitgliedern einer dritten Gruppe in der PDS geht es auch um Akzeptanz, allerdings nicht in der politischen Klasse der Bundesrepublik Deutschland, sondern bei anderen Linken, bei Autonomen und... bei verschiedenen Aktivistinnen und Aktivisten der Bürgerbewegungen ... Hinsichtlich der konkreten Politik sind ihre Forderungen tatsächlich radikal, das heißt an die Wurzeln gehend. Diese Gruppe grenzt sich in diesen Forderungen am deutlichsten von sozialdemokratischen Positionen ab... Die Mitglieder dieser Gruppe sind zweifellos besonders selbstbewußt ... Partiell verhalten sich die Mitglieder dieser Gruppe wie Anhänger einer Avantgarde-theorie ..."

Die PDS-Führung entschied sich für zwei strategische Neuerungen, die es den verschiedenen Partei-flügeln erlauben sollen, sich zugunsten einer gemeinsamen Offensive gegen das herrschende politische System zusammenzufinden.

Als erstes sind die Gerechtigkeitskomitees zu nennen. Sie stellen eine praktische Umsetzung der „Anwendungslehren“ von Gramsci dar und greifen auf die ganze Palette der üblichen kommunistischen Unterwanderungs-und Desinformationstechniken zurück. Ihr Gründungsdatum wurde sehr umsichtig im Hinblick auf einen politischen Überraschungseffekt und auf Werbewirksamkeit gewählt. Politisch gesehen hatten der Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Regierung und die Legitimitätskrise der demokratischen Parteien in den neuen Bundesländern im Frühsommer 1992 einen Höchststand erreicht.

Dieser Hintergrund war für die Operation „Gerechtigkeitskomitees“ besonders wirkungsvoll. Psychologisch gesehen herrschte bei der Führung und Basis der PDS nach dem Wahlerfolg in Berlin am 24. Mai 1992 eine euphorische Stimmung. Dieser Erfolg erweist sich aber als sehr zweifelhaft, wenn man sich nicht nur mit den relativierten Gesamtprozentzahlen der erhaltenen Stimmen beschäftigt. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, daß die PDS in absoluten Zahlen wieder Wäh-ler eingebüßt hatte. Nichtsdestoweniger gelang es der Partei zum ersten Mal in ihrer Geschichte, sich zu stabilisieren und den Trend „nach unten“ zu stoppen. Die Gründung der Gerechtigkeitskomitees während des Sommerlochs 1992 sicherte dem Ereignis zudem die ungeteilte Aufmerksamkeit der Medien.

Bei dem seit April 1992 vorbereiteten gemeinsamen Unternehmen gelangen Diestel und Gysi drei besonders geschickte Schachzüge: Zum einen bekennen sich die Gerechtigkeitskomitees zur „Überparteilichkeit“ und Unabhängigkeit; außerdem ist die Wahl des Namens äußerst gelungen. Schließlich erweist sich auch das gesamtdeutsche Profil des Unterfangens als vorteilhaft (die Gruppe der 68 Unterzeichner des Aufrufes setzt sich aus einer politischen Kerntruppe, Sportlern, Künstlern und Schriftstellern zusammen, die aus den neuen und aus den alten Bundesländern stammen). Die PDS hob mehrmals die Tatsache hervor, daß sie in den Komitees nur von zwei Persönlichkeiten vertreten werde (Gregor Gysi und Lothar Byski, dem heutigen Vorsitzenden der PDS) und daß der Schwerpunkt bei den berühmt-berüchtigten „Unabhängigen“ zu suchen sei.

Es würde zuviel Zeit und Raum in Anspruch nehmen, auf die Vergangenheit jedes einzelnen dieser sogenannten Unabhängigen einzugehen; um dennoch einen Eindruck davon zu gewinnen, wer eigentlich zu den Gründungsinitiatoren gehörte, soll kurz das Neue Forum zu Wort kommen: „Alte DKPler wie Hannes Wader und Franz-Josef Degenhardt, denen die Interessen der DDR-Bevölkerung bis 1989 gleichgültig waren, ..., der DDR-Führung nahestehende Professoren wie Jürgen Kuczynski und Hans Mottek, die als Wirtschaftswissenschaftler die realsozialistische Ökonomie gerechtfertigt haben, die Oberkirchenrätin Christa Lewek, eine Zeitlang Sekretärin des CDU-Chefs Otto Nuschke, die sich auf das Behindern der kirchlichen Opposition und westlicher Korrespondenten verstanden hat, Heinrich Fink, der als Mitglied der Christlichen Friedenskonferenz gegen die DDR-Friedensbewegung gearbeitet hat...“ Die angebliche Vorzeigefigur Diestel charakterisiert das Neue Forum wie folgt: „Peter-Michael Diestel, der als letzter Innenminister der DDR aktiv die Offenlegung der Stasi-Vergangenheit behindert und das sanfte Hinüberrutschen für so manchen Nutznießer der alten Macht bewerkstelligt hat...“ Mit diesen eindeutigen politischen Charakterisierungen könnte man beliebig weiter fortfahren.

Weiterhin erscheint uns die Vorgehensweise der Komitees sehr aufschlußreich. Einerseits sind in bestimmten Fällen deren Mitglieder zu 99 Prozent auch Anhänger der PDS, andererseits wird der Einfluß der PDS durch die klassischen Überwachungstechniken des Apparats auf lokaler Ebene sichergestellt. Im Fall Leipzig kann man von Juli bis September 1992 beobachten, daß eine Anzahl von ehemaligen Anhängern der Bürger-bewegung oder der SED-PDS wieder in die Politik zurückkehren und sich den Komitees anschließen. Bald begreifen sie aber, daß die organisatorische Arbeit von hauptamtlichen Mitarbeitern oder PDS-Rentnern erledigt wird, daß die Flugblätter und andere Informationsblätter in den Räumen der Partei gedruckt werden und daß deswegen an eine Kritik der PDS, insbesondere an ihrer auf die Bundestagswahlen 1994 ausgerichteten Realpolitik, nicht zu denken ist. Realiter gibt es immer wieder Anlässe zur möglichen Kritik an oder Auseinandersetzung mit der PDS: Ich denke da z. B. an den Fall des Chefideologen der Partei, Andre Brie, dessen Vergangenheit als Informeller Mitarbeiter der Stasi unlängst aufgedeckt wurde.

Die Lage im Westen ist noch eindeutiger: In den Gerechtigkeitskomitees, von denen nur noch drei aktiv sind (Hamburg, Bremen und Frankfurt), findet man Mitglieder linksextremer Splittergruppen, der DKP, Anhänger des früheren Reformflügels dieser Partei, die sich nicht der PDS angeschlossen hatten, und Anhänger der PDS. Die Welt ist in dieser Umgebung klein, jeder kennt jeden, und dies häufig schon seit Jahrzehnten; dies führte dazu, daß die Arbeit der Komitees beinahe von Anfang an von den persönlichen Animositäten ihrer Mitglieder blockiert wurde, wie dies bereits bei der Aktion „Linke Liste PDS“ zu den Bundestagswahlen 1990 der Fall gewesen war. Gegenwärtig existieren auf dem Papier bundesweit ungefähr 70 Komitees mit zirka 5 500 Mitgliedern, von denen nur weniger als die Hälfte wirklich aktiv sind. Was hat sich Gysi von diesem Schachzug versprochen? Eine Antwort findet sich beim Treffen der Führungsspitzen der DKP und PDS, das Anfang Juli 1992 in Berlin stattfand. Gemäß persönlicher Aussage Gysis war das Ziel der Gespräche die Überwindung der eigenen Isolierung und Ausgrenzung. Die Komitees sollen Übergangsstrukturen anbieten, die all jenen Kräften den Widerstand in Form einer Volksfront oder Ost-APO ermöglichen sollten, die dem Aufbau im Osten nach westdeutschem Vorbild feindlich gegenüberstehen. 1994 könnten diese Komitees eventuell zur Keimzelle einer Koalitionspartei oder Listenverbindung werden; vielleicht wird dies für die PDS der einzige Ausweg, um ihren parlamentarischen Vertretungsanspruch zu retten. Für das Verständnis der PDS erscheint es uns durchaus aufschlußreich, daß der erste Partner, der bezüglich dieser neuen Wahl-strategie konsultiert wurde, die von den Stalinisten alter Schule beherrschten Überbleibsel der DKP waren.

Anläßlich der 2. Tagung des 3. Parteitages, die am 26. und 27. Juni 1993 in Berlin stattfand, wurde die Lage weiter abgeklärt. Die PDS wird wieder die Strategie der sogenannten offenen Wahllisten anwenden, die solche Kandidaten aufnehmen sollen, die sich nicht eindeutig zu einer parteilichen Zugehörigkeit bekennen. Gegenwärtig scheint uns klar, daß die PDS-Listen im Westen auf Mitglieder der K-Gruppen zurückgreifen werden (auf den Bund Westdeutscher Kommunisten beispielsweise, der sich in einigen Ländern zugunsten der PDS aufgelöst hatte und zu einer Arbeitsgemeinschaft innerhalb der Partei geworden war, auf den Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD...). Der Bruch mit der DKP ist inzwischen besiegelt, da die PDS-Führung davon überzeugt ist, daß die Zeit für die Beschleunigung ihres Niedergangs reif sei; sie möchte deren Mitglieder im Westen in die PDS eingliedern, um somit die Anhängerschaft seiner Partei aufzustocken. Die Gerechtigkeitskomitees sind die Nutznießer dieser Strategie und werden hauptsächlich im Osten, aber auch im Westen den zukünftigen Kandidaten der „Linken Listen“ eine „ehrenhafte“ Struktur anbieten.

Eine Tatsache kann als Fazit unserer Gespräche mit PDS-Verantwortlichen hervorgehoben werden: Derzeit glaubt die Führung der Partei nicht mehr daran, daß ihre Ergebnisse bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und zum Bundestag über der Fünf-Prozent-Marke Hegen werden. Die Partei hofft jedoch, drei Direktmandate erringen zu können, um sich so den Einzug in den Bundestag zu sichern. Das Hauptziel der PDS ist, bei den künftigen Landtagswahlen ihre parlamentarischen Vertretungen in mindestens vier der fünf neuen Bundesländer erhalten bzw. ausbauen zu können. Diese Aktion kann jedoch nur gelingen, wenn sich der Einfluß der PDS auf kommunaler Ebene stabilisiert bzw. erweitert und es ihr gelingt, ihre Bürgermeisterkandidaten durchzubringen (man spricht von zirka 500). Die Parteiführung hat verstanden, daß ihr Überleben von den Gemeinde-undLandtagswahlen abhängt, und sie unternimmt auf diesen Ebenen große Anstrengungen, um Erfolge zu erringen.

Bei der Antifaschismuskampagne der PDS sollte man zwei Phasen unterscheiden. Die erste Phase endete im März 1993 mit dem Rücktritt der stellvertretenden Vorsitzenden der Partei, Christine Ostrowski. In den Jahren 1991 und 1992 war sich die Partei über das Gewicht, das dem Antifa-Kampf zuerkannt werden sollte, noch nicht schlüssig. Man kann für jene Zeit von einer Art Mischung aus „klassischen“, von der Komintern der dreißiger Jahre übernommenen Antifa-Verhaltensweisen sowie von subversiven Strategien bestimmten Überlegungen ausgehen.

Beispielsweise hat die PDS-Führung den Angriffen der Autonomen auf Bundespräsident Richard von Weizsäcker diskret Beifall gezollt und diese Ausschreitungen nicht verurteilt. Einerseits kann man beobachten, daß sich immer mehr PDS-Anhänger auf die Seite der Linksextremen stellen, wenn es darum geht, die Ordnungsmacht oder die politischen Instanzen als „Verteidiger der Faschisten“ zu diffamieren. Andererseits läßt sich feststellen, daß die PDS in den neuen Bundesländern sich lange weigerte, dem Aufkommen von Rassismus eine deutliche Absage zu erteilen. Sie vermied es auch, eine Auflösung der lokalen Nazigruppen zu verlangen. Diesen Gruppen gehören übrigens oft frühere FDJ-Kader oder Söhne und Töchter von ehemaligen SED-Funktionären an. Ab März 1993 -der zweiten Phase -änderte die PDS ihre Einstellung und beschloß, eine Führungsrolle im „AntifaKampf“ anzustreben. Die PDS hat aus diesem Grund öffentlich erklärt, daß sie mit allen Mitteln (auch nichtpolitischen) zukünftige „faschistische Aktivitäten“ verhindern will. Ihr politisches Ziel hierbei scheint nicht zuletzt die Destabilisierung des demokratischen Systems zu sein. Damit nähert sie sich denselben demokratiezerstörenden Traditionen, wie sie schon die KPD vor 1933 -damals im Auftrag Moskaus -exekutierte, indem sie indirekt wie direkt dem Rechtsextremismus Vorschub leistete.

Fussnoten

Weitere Inhalte