Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Frauen in der RAF | Die Geschichte der RAF | bpb.de

Geschichte der RAF Einleitung Hintergrund Die 68er-Bewegung APO und Studentenproteste Rudi Dutschke Der Weg in den Untergrund Die Rote Armee Fraktion Definition von Terrorismus Was bedeutet RAF? Mythen der RAF Baader-Meinhof international? Sympathisanten Reaktionen des Staates RAF und die Medien Frauen in der RAF RAF und Rechtsstaat Chronologie der RAF Die erste Generation Prozess von Stammheim Die zweite Generation Staatliches Handeln Die dritte Generation Das Ende der RAF Die Opfer der RAF RAF und ihre Opfer Die Opfer der RAF Die Namen der Toten Die RAF heute Politische Aufarbeitung Gnade vor Recht? RAF in der Popkultur RAF im Kino Literatur Redaktion

Frauen in der RAF

Gisela Diewald-Kerkmann

/ 8 Minuten zu lesen

Die RAF war eine auffallend weibliche Terrorgruppe. Der Anteil der Frauen unter den gesuchten RAF-Terroristen lag zeitweise bei 60 Prozent. Im bpb-Interview erklärt die Historikerin Gisela Diewald-Kerkmann das Phänomen "Frauen und Terrorismus".

Der Frauenanteil in der RAF betrug zeitweise 60 Prozent. (© AP)

Wenn man sich die Fahndungsplakate ansieht, mit denen nach RAF-Terroristen gesucht wurde, fällt auf, dass sehr viele Bilder von Frauen darunter sind. Täuscht der Eindruck oder war die RAF eine auffallend "weibliche" Terrorgruppe?

Gerade die Fahndungsaufrufe dokumentieren, in welchem Maße Frauen der Mitgliedschaft in einer "kriminellen Vereinigung gemäß § 129 StGB und anderer Straftaten verdächtig" gesucht wurden. Beispielsweise fahndete das Bundeskriminalamt nach dem Anschlag auf den Generalbundesanwalt Siegfried Buback, der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto und der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer im Jahre 1977 nach 16 "dringend gesuchten Terroristen". Hierunter befanden sich zehn Frauen. Eine Untersuchung von Fahndungsaufrufen und Fahndungsplakaten, Ziel- und Interpolfahndungen des Bundeskriminalamtes ergab, dass von 112 steckbrieflich gesuchten "anarchistischen" bzw. "terroristischen Gewalttätern" der RAF und der Bewegung 2. Juni 54 Frauen waren. Ihr Anteil betrug somit knapp 48 Prozent.

Das Bundeskriminalamt selbst ging nach einer Analyse von 40 Lebensläufen von – im Jahre 1977 – mit Haftbefehl gesuchten Täterinnen und Täter noch weiter. Die Auswertung hatte erbracht, dass sich unter den 40 Gesuchten 24 Frauen befanden und ihr Anteil mit 60 Prozent überdurchschnittlich hoch war. Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1979 wurde festgestellt, dass etwa 20 Personen, allein davon zwei Drittel Frauen, zum engsten Kreis der RAF-Kommandos gerechnet wurden. Diesen Frauen traute man die Bereitschaft zu schwersten Anschlägen zu.

Welche Aufgaben übernahmen die Frauen innerhalb der RAF?

Schon im Jahre 1976 hatte der Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Josef Horchem, konstatiert: "Die RAF und andere Gruppen, die das Konzept des bewaffneten Kampfes übernommen haben, zeigen eine personelle Zusammensetzung, für die es kein Beispiel gibt. Frauen wirken nicht nur als Helfer, Informanten, Kundschafter, sondern als aktive Kämpfer." Tatsächlich nahmen die weiblichen Mitglieder innerhalb der RAF führende Positionen ein. Die theoretische Begründung des Untergrundkampfes, "Das Konzept Stadtguerilla", verfasste im April 1971 die Journalistin Ulrike Meinhof. Als "Verwalterin der Bandenkasse" galt Gudrun Ensslin, die laut BKA noch aus der Haft heraus einen Informationsstand und einen Einblick in Zusammenhänge offenbarte, wie ihn "eben nur der Kopf der Bande gehabt haben konnte". Der spätere "Kopf" der RAF war wiederum eine Frau, nämlich Brigitte Mohnhaupt nach ihrer Entlassung im Jahre 1977.

Ist die Bedeutung der Frauen innerhalb der RAF mit der von Frauen in anderen internationalen Terrorgruppen vergleichbar?

Wenn man beispielsweise Italien, USA oder Japan betrachtet, kann diese Frage bejaht werden. In den siebziger Jahren entschieden sich nicht nur in der Bundesrepublik Frauen für den bewaffneten Kampf. Vielmehr war es ein internationales Phänomen. Ein Vergleich macht deutlich, dass ähnliche Entwicklungen auch für andere Länder festgestellt werden können: Beispielsweise in Italien die Frauen der Roten Brigaden. Hier können exemplarisch Susanna Ronconi und Margherita Cagol genannt werden. Oder in den USA die "Weatherwomen": Als Beispiele können hier Susan Stern oder Bernadine Dohrn genannt werden. Sie hatten beide ein Studium absolviert, bevor sie sich der Gruppe anschlossen. Herauszustellen ist, dass Bernadine Dohrn einer der führenden theoretischen Köpfe der Gruppe war. 1942 geboren, Studium der Rechtswissenschaft, trat sie 1968 dem amerikanischen SDS bei. Dort war sie in der Funktion als Rechtsberaterin tätig, bevor sie sich für den bewaffneten Kampf entschied.

Bereits in den 1970er Jahren suchte die Presse nach Erklärungen für den hohen Frauenanteil innerhalb der RAF. Die Ergebnisse sahen dann in etwa so aus: den Terroristinnen wurden lesbische Neigungen nachgesagt, das Benutzen von Schusswaffen zum Beleg der abgelehnten Weiblichkeit. Was irritiert uns so sehr an der Tatsache, dass auch Frauen "zur Waffe" greifen?

Nicht nur der hohe Frauenanteil in der RAF und in der Bewegung 2. Juni, sondern dass Frauen überhaupt den bewaffneten Kampf aufgenommen respektive dem Staat den Krieg erklärt hatten, löste Unverständnis und Unsicherheit aus. Die Frage, warum gerade intelligente junge Frauen aus guten bürgerlichen Kreisen, vielfach aus der Bildungselite stammend, "Terroristinnen" bzw. so genannte Staatsfeinde werden konnten, zieht sich wie ein roter Faden durch die öffentliche Terrorismusdebatte sowie durch die Ermittlungs- und Strafverfahren. Zur Erklärung wurden vielfach geschlechtsspezifische Faktoren oder psychische Besonderheiten angeführt. Dass hierbei biologische Klischees bedient wurden, dokumentieren exemplarisch Auffassungen wie Frauen seien zum Fanatismus tendierend und zum vernunftmäßigen Handeln nicht in der Lage. Angebliche sexuelle Abweichungen und "Abartigkeiten" der weiblichen Mitglieder wurden herangezogen, ihr Handeln ins Frivole gezogen, sowie Thesen einer sexuellen "Hörigkeit" und die Gleichung vom "Boss" Andreas Baader und "seinen Gespielinnen" aufgestellt.

Oder es wurden in den Biografien der Frauen psychische Auffälligkeiten gesucht, häufig als individuelle psychische Fehlentwicklungen verstanden, und psychoanalytische Interpretationen - etwa eine unerfüllte Liebe zum Vater, die sich in Hass verwandelt - aufgelistet. Als prädisponierende Faktoren für die Anwendung von sozialrevolutionärer Gewalt wurden Konflikte mit dem Elternhaus ausgemacht, wobei die Strategie, alles auf das Individuum zu projizieren, ein traditionelles Verfahren beim Versuch ist, abweichendes Verhalten zu erklären. In der Psyche und im Lebenslauf wurden die Ursachen für gewaltsame Aktionen – wie der frühere Präsident des Bundeskriminalamtes Horst Herold im Jahre 2000 in der Süddeutschen Zeitung schrieb – gesucht: in "Erziehungs- und Ausbildungsmängeln, sozialer Herkunft, ehelicher Fehlanpassung, dem Lebensknick, dem Einfluss von Drogen, Berufsfindungsschwierigkeiten, Kontaktarmut oder einem moralischen Rigorismus". Solche Ansätze fanden dabei häufig nicht mehr heraus "als die ohnehin bekannte Tatsache, dass es sich um gebildete, ursprünglich hoch moralische junge Frauen handelte, die überwiegend der oberen Mittelschicht entstammten".

Selbst wenn individuell-biographische und psychologische Erklärungsmodelle einzelne Zusammenhänge erklären können, werden sie der Komplexität des Themas nicht gerecht. Sie blenden nicht nur den zeithistorischen Kontext oder den prozesshaften Ablauf der Konflikte aus, sondern reduzieren die Teilnahme von Frauen auf psychologische, pathologische und kriminelle Ursachen. Stärker als bisher müssen die Auseinandersetzungen um traditionelle Rollenbilder in den siebziger Jahren sowie die Ansprüche von Frauen auf abweichende Lebenskonzepte und politische Partizipation aufgegriffen werden. Unbestritten durchliefen sie einen Bewusstwerdungsprozess mit der Folge, dass gesellschaftliche Normen, überhaupt die Geschlechterordnung hinterfragt wurden. Dass dieser Prozess durch die erlebte Diskrepanz zwischen theoretisch zugestandenen Rechten sowie realen Möglichkeiten und nicht zuletzt durch die Schubkraft der studentischen Protestbewegung sowie der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung forciert wurde, ist unbestritten.

Welche Rolle spielt die damalige Frauenbewegung? Gab es für die Frauen in der RAF feministische Beweggründe?

Nein, zwar wurden zur Begründung des weiblichen Terrorismus auch die Ziele der sich in den sechziger Jahren neu konstituierenden Frauenbewegung angeführt. Sie seien dafür verantwortlich, dass Frauen sich mit der maskulinen Rolle identifizierten und den bewaffneten Kampf aufnahmen, wobei vor allem die Medien auf die "Emanzipationsthese" verwiesen.

Die RAF-Terroristin Inge Viett (Fahndungsfoto aus dem Jahr 1984): "Es war für uns keine Frage Mann-Frau." (© AP)

Demnach galten die weiblichen Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni als skandalträchtige Frauen, die als "neue Amazonen" und überemanzipierte, rücksichtslose, besonders gewalttätige, sexuell überstimulierte, enthemmte und abartige "Flintenweiber" beschrieben wurden. Nach Auffassung des damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Günther Nollau stellte das Handeln der Terroristinnen einen "Exzeß der Befreiung der Frau" dar. Ähnlich argumentierte der Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes Christian Lochte, wonach die Frau ihre Ebenbürtigkeit am besten beweisen könne, wenn sie noch härter als ein Mann sei. Oder, wie das Bundeskriminalamt im Fall von Gudrun Ensslin formulierte: "Die stärksten unter diesen jungen Frauen, in der Subkultur überkompensieren nun schon aus Notwehr die weibliche Emanzipation, das heißt, auch Gudrun wurde noch männlicher als die Männer, mit denen sie zu tun hatte". Hierin kommen gesellschaftliche Deutungsmuster zum Ausdruck, die die Frauenbewegung für das Phänomen gewaltbereiter Frauen verantwortlich machen.

Aber demgegenüber legen die Selbstdefinitionen der weiblichen Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni den Schluss nahe, dass sie sich nicht in erster Linie als Frauen, sondern als "Revolutionäre" und als "Kämpfer" im bewaffneten Kampf verstanden. Für die meisten Frauen in der RAF schien es bedeutungslos zu sein, dass sie Frauen waren. Exemplarisch erklärte Inge Viett 1997 in einem Interview mit der tageszeitung: "Wir sind alle nicht aus der feministischen Bewegung gekommen (...) Wir haben nicht bewusst so einen Frauenbefreiungsprozess für uns durchleben wollen (...) Wir haben uns einfach entschieden, und wir haben dann gekämpft und dieselben Dinge getan wie die Männer. Es war für uns keine Frage Mann-Frau. Das alte Rollenverständnis hat für uns in der Illegalität keine Rolle gespielt."

Ulrike Meinhof war eine alleinerziehende, berufstätige Mutter - eine ungewöhnliche Rolle in der damaligen Männergesellschaft der frühen 70er Jahre. Als Journalistin beschäftigte sie sich intensiv mit sozialen sowie Frauenfragen. Lässt sich der Weg vom "Protest zum Widerstand" biographisch erklären?

Ulrike Meinhof nach ihrer Festnahme im Jahr 1972: Übertritt zum Terrorismus als "Endphase wachsender Kommunikationsbarrieren". (© AP)

Ja, gerade der Weg von Ulrike Meinhof belegt, dass die Entscheidung für die RAF vielfach die – wie es einmal der Jurist Hans-Dieter Schwind formulierte – "Endphase eskalierender Konflikte und wachsender Kommunikationsbarrieren" markierte. Ulrike Meinhof war Sprecherin des "Anti-Atomtod-Ausschusses" im Jahre 1957, Präsidiumsmitglied des "Ständigen Kongresses aller Gegner der atomaren Aufrüstung in der Bundesrepublik" und Mitglied im Sozialistischen Studentenbund. Ab 1959 prangerte sie als Journalistin und ab 1960 als Chefredakteurin von konkret Missstände in der Gesellschaft an, unterzeichnete 1963 den Aufruf zum "Ostermarsch", demonstrierte gegen den Vietnamkrieg, gegen die Notstandsgesetze und unterstützte mit gesellschaftskritischen Artikeln die studentische Protestbewegung. Tatsächlich spiegelt sich dieser Prozess in ihren Aufsätzen und Polemiken wider.

Den männlichen RAF-Terroristen werden viel eher politische Beweggründe zugesprochen. Bei den RAF-Terroristinnen wird vielmehr nach psychologischen oder biographischen Ursachen geforscht. Trauen Medien und Forschung den Frauen einfach nicht zu, aus denselben Gründen wie Männer terroristische Energien zu entwickeln?

Dass Entscheidungen oder Handlungen - hier der Frauen - die nicht nachvollziehbar oder unverständlich erscheinen, als Ausdruck organischer und psychischer Defekte verstanden werden, ist kein neues Phänomen der siebziger Jahre. So darf nicht unterschätzt werden, dass die weiblichen Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni ein "doppeltes Verbrechen" begingen. Sie verstießen nicht nur gegen Straftatbestände des StGB, sondern auch gegen traditionelle Geschlechterrollen. Bereits die Tatsache, dass Frauen an der studentischen Protestbewegung beteiligt waren und eine Rolle eingenommen hatten, "die ihnen im sonstigen politischen Leben der westdeutschen Demokratie, ob nun in Gewerkschaften, Kirchen, Parlamenten oder gar der Regierung, verwehrt war", löste Unverständnis aus.

Insgesamt dokumentiert ein Vergleich der Wege von weiblichen und männlichen RAF-Mitgliedern in die Illegalität, dass sich die Zugänge kaum unterschieden und - trotz des vielfach behaupteten Zusammenhangs - weder frauenspezifische Zugänge noch "weibliche Besonderheiten" ausgemacht werden können. Die Wege der Frauen, vielfach der Endpunkt eines langen Politisierungsprozesses, waren genauso vielfältig wie die der Männer. Es gab eine vergleichbare Ausgangssituation, vergleichbare politische Konstellationen und Überlegungen, aus denen sich einige Frauen und Männer für terroristische Aktionen entschieden. Tatsächlich scheinen sich die Bedingungen, die Frauen in den Terrorismus führten, nicht von denen der Männern unterschieden zu haben. Umso kritischer sind die in der öffentlichen Debatte vorgebrachten Interpretationen und Erklärungsmuster zu bewerten.

Die Fragen stellte Stephan Trinius für die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb.

Weitere Inhalte

Gisela Diewald-Kerkmann ist promovierte Historikerin und arbeitet als Dozentin an der Universität Bielefeld. Ihre Forschungsschwerpunkte bilden die Geschichte des Nationalsozialismus sowie die Geschichte des Terrorismus in der Bundesrepublik. Seit 2001 arbeitet sie an einem Forschungsprojekt mit dem Thema "Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Frauen wegen politisch motivierter Straftaten 1970-1990".