Kompetenzorientierung und konzeptuelles Deutungswissen: (K)ein neuer Königsweg für politische Bildung? | Politische Bildung | bpb.de

Kompetenzorientierung und konzeptuelles Deutungswissen: (K)ein neuer Königsweg für politische Bildung?

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Kompetenzen sind das Schlagwort der Stunde. Die Bildungspolitik hat sich im Anschluss an die Empfehlungen der Klieme-Expertise auf die Fahnen geschrieben, Kompetenzmodelle und Bildungsstandards zu entwickeln. Was aber verbirgt sich hinter diesem Begriff? Ob und wie unterscheidet sich diese neue Form der Kompetenzorientierung von der Lernzielorientierung? Inwiefern kann eine valide Messung der Kompetenzentwicklung überhaupt gelingen? Dies sind Fragen, die in der Didaktik der politischen Bildung kontrovers diskutiert werden.

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(Wikimedia, Patrick Kenel) Lizenz: cc by-sa/4.0/deed.de

Die Ergebnisse internationaler Schulleistungsstudien wie PISA und TIMSS haben zu Beginn des Jahrtausends zum sogenannten „Pisa-Schock“ geführt: Deutsche Schülerinnen und Schüler erreichten bei der Lösung der Testaufgaben nur Mittelmaß! Die deutschen Schulen, von denen man immer angenommen hatte, dass sie im internationalen Vergleich besonders gut dastehen, wurden plötzlich kritisch betrachtet. Das Zauberwort, das für die geboten erscheinende Neuorientierung schulischer Bildung in den Fokus rückte, war die Kompetenzorientierung.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) gab eine Expertise in Auftrag, die 2003 unter dem Titel „Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“ publiziert wurde und heute meist nach ihrem Hauptautor Eckhard Klieme als „Klieme-Expertise“ bezeichnet wird (Klieme 2009). Diese Expertise avancierte sehr schnell zu einer Art „Bibel“ der neuen Kompetenzorientierung. Dabei ist der Begriff „Kompetenz“ nicht neu. In Anlehnung an Heinrich Roth – der in seiner erstmals 1971 erschienenen „Pädagogischen Anthropologie“, Mündigkeit als Sachkompetenz, Sozialkompetenz und Selbstkompetenz definierte – hatte sich der Kompetenzbegriff in der beruflichen Bildung schon in den 1970er Jahren durchgesetzt. Kompetenzen wurden von Roth primär als überfachliche Fähigkeiten verstanden, die Selbstbestimmung ermöglichen (Roth 1976, S. 180). Die Autorin und die Autoren der Klieme-Expertise grenzen sich von diesem Kompetenzbegriff aus der Berufspädagogik ab. Sie definieren Kompetenzen als „Leistungsdispositionen in bestimmten Fächern oder ‚Domänen‘“ (Klieme 2003, S. 22). Für die Entwicklung von Bildungsstandards gehe es deshalb darum, „Grunddimensionen der Lernentwicklung in einem Gegenstandsbereich (einer „Domäne“, wie Wissenspsychologen sagen, einem Lernbereich oder einem Fach) zu identifizieren. Kompetenzen spiegeln die grundlegenden Handlungsanforderungen, denen Schülerinnen und Schüler in der Domäne ausgesetzt sind“ (Klieme 2003, S. 22). Zur Auflösung der Fußnote[1]

Kompetenzorientierung oder Lernzielorientierung?

Ob und wie sich diese neue Form der Kompetenzorientierung für das Unterrichtsfach Politische Bildung von der Lernzielorientierung unterscheidet, die in den 1970er bis 1990er Jahren propagiert wurde, wird unterschiedlich bewertet. Das zeigen auch die beiden Podcast-Interviews mit Tilman Grammes und Monika Oberle deutlich (s.u.). Zur Auflösung der Fußnote[2] Einigkeit besteht unter Didaktikerinnen und Didaktikern darin, dass bereits durch die Formulierung von Lernzielen versucht wurde, die Ergebnisse von Lernprozessen im Unterricht als Messlatte für guten Unterricht zu betrachten: Auch Lernziele orientieren sich am „Output“ des Lernprozesses, wie Monika Oberle im Podcast formuliert.

Interner Link: Die Rolle von Konzepten in der politischen Bildung. Audio-Interview mit Prof. Dr. Monika Oberle (zum Podcast mit Projektinformationen in der Mediathek)

Die Rolle von Konzepten in der politischen Bildung. Interview mit Prof. Dr. Monika Oberle

Die Rolle von Konzepten in der politischen Bildung. Interview mit Prof. Dr. Monika Oberle

Podcasts zu Kontroversen in der Politikdidaktik

Tilman Grammes sieht deshalb keine wesentliche Differenz zwischen der Kompetenzorientierung und der Lernzielorientierung. Kompetenzorientierung ziele auf die Vermittlung von solchem Wissen und Können, das die Lernenden im Idealfall auch als Erwachsene noch abrufen könnten, wenn sie es brauchten. Eine sinnvolle Umsetzung der Lernzielorientierung habe diesen Anspruch aber auch schon in den 1970er Jahren im Blick gehabt. Nach seiner Auffassung unterscheiden sich Kompetenzorientierung und Lernzielorientierung deshalb nur semantisch.

Interner Link: Die Rolle von Konzepten in der politischen Bildung. Audio-Interview mit Prof. Dr. Tilman Grammes (zum Podcast mit Projektinformationen in der Mediathek)

Die Rolle von Konzepten in der politischen Bildung. Interview mit Prof. Dr. Tilman Grammes

Die Rolle von Konzepten in der politischen Bildung. Interview mit Prof. Dr. Tilman Grammes

Podcasts zu Kontroversen in der Politikdidaktik

Hingegen konstatiert Monika Oberle, dass Kompetenzorientierung – über die Kompetenzdimension des Fachwissens hinaus – ausdrücklicher als die Lernzielorientierung auch andere Dimensionen wie die politische Urteils- und Handlungskompetenz in den Blick nimmt. Zur Auflösung der Fußnote[3]

Zudem argumentiert Monika Oberle, Kompetenzorientierung sei insgesamt „langfristiger und kumulativer gedacht“ als die Lernzielorientierung. Bei der Kompetenzorientierung gehe es weniger um konkrete Ziele, die in einer Unterrichtsstunde oder Unterrichtseinheit erworben werden könnten, als vielmehr um grundlegende Fähigkeiten, die die Bewältigung „unvorhersehbarer Aufgaben und Anforderungen“ ermögliche (s. Podcast Oberle). Für die einzelnen Unterrichtsstunden müssten trotzdem im Zusammenhang mit dem konkreten Unterrichtsinhalt Teilkompetenzen im Sinne von konkreten Zielen festgelegt werden. Das stimmt dann wieder mit den Aussagen von Tilman Grammes überein.

Kompetenzorientierung geht also insofern über die Lernzielorientierung hinaus, als dass die Lernziele für die Einzelstunden immer auch dadurch legitimiert werden müssen, welchen Beitrag sie zu einer langfristigen Kompetenzentwicklung leisten. Gute Lernzielorientierung, wie Tilman Grammes sie annimmt, mag das vielleicht schon im Blick gehabt haben. Im Zuge der Kompetenzdebatte wurde die Bedeutung des längerfristigen, kumulativen Aufbaus von Kompetenzen aber stärker in den Mittelpunkt gestellt.

Die Entwicklung von Kompetenzmodellen

Unabhängig davon, ob man den Unterschied zwischen Kompetenzen und Lernzielen für marginal oder erheblich hält: Die Bildungspolitik hat sich im Anschluss an die Empfehlungen der Klieme-Expertise auf die Fahnen geschrieben, Kompetenzmodelle und Bildungsstandards zu entwickeln.

Die KMK hat zunächst für die Fächer Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch Bildungsstandards in Auftrag gegeben. Bildungsstandards sind hier Kompetenzmodelle, die ausweisen, welche Stufe einer Kompetenz die Lernenden nach bestimmten Abschnitten des Bildungsprozesses – also beispielsweise nach der Grundschule, nach der Mittelstufe, nach dem Abitur oder Berufsabschluss – erreicht haben sollen. Dabei sollten die Bildungsstandards so formuliert sein, dass sich die Kompetenzentwicklung der Lernenden messen lässt. Genau genommen geht es dabei nicht um die Messung der latenten Verfügbarkeit einer Kompetenz selbst, sondern um die Messung der „Performanz“ – also das in der spezifischen Domäne beobachtbare Verhalten, an dem sich die Kompetenz zeigt.

Auch für die Politische Bildung wurden zwei Kompetenzmodelle entwickelt: Günter Behrmann, Tilman Grammes und Sibylle Reinhardt (2004) definierten in ihrer Expertise für die KMK fünf Kompetenzdimensionen für die politische Bildung, die auch von Tilman Grammes im Podcast (s.o.) angesprochen werden: 1. Perspektivenübernahme/Rollenübernahme, 2. Konfliktfähigkeit, 3. sozialwissenschaftliches Analysieren, 4. politische Urteilsfähigkeit sowie 5. Partizipationsfähigkeit/Demokratische Handlungskompetenz.

Weitere Verbreitung in der Bildungspolitik zur politischen Bildung haben die im gleichen Jahr vorgelegten Bildungsstandards der Externer Link: Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE) gefunden. Dies liegt zum einen vermutlich daran, dass sie sich stärker an dem Format orientiert haben, das die KMK für die Bildungsstandards der Hauptfächer vorgegeben hatte, und zum anderen ist dieses Modell ein Gemeinschaftsprodukt zahlreicher Politikdidaktiker/-innen, das ausdrücklich als Modell der führenden Fachgesellschaft GPJE verabschiedet wurde. In diesem Modell werden drei Kompetenzdimensionen unterschieden: politische Urteilsfähigkeit, politische Handlungsfähigkeit und methodische Fähigkeiten.

Das Fachwissen, verstanden als konzeptuelles Deutungswissen, wird im GPJE-Modell ausdrücklich nur als Voraussetzung für die drei anderen Kompetenzdimensionen betrachtet und nicht als eigene Kompetenzdimension. Das Modell weist außerdem gestufte Bildungsstandards für das Ende der Primarstufe, den mittleren Bildungsabschluss, das Ende der gymnasialen Oberstufe sowie das Ende des beruflichen Bildungswesens aus und schlägt Aufgabenbeispiele zur Überprüfung der Kompetenzentwicklung vor.

Das Modell der GPJE ist in reiner oder abgewandelter Form in die Lehrpläne vieler Bundesländer eingegangen. Es hat aber auch viel Kritik hervorgerufen – insbesondere, weil die Bildungsstandards nicht ausreichend operationalisiert worden seien, um Kompetenzentwicklung messen zu können.

In den Folgejahren wurden weitere Modelle entwickelt, sowohl in der Wissenschaft (z. B. Henkenborg 2012) als auch als bildungspolitisch motivierte Modelle in den Lehrplänen verschiedener Bundesländer. Zur Auflösung der Fußnote[4]

Das Modell, das am stärksten versucht, Kompetenzentwicklung messbar zu machen, und auf das quantitative politikdidaktische Studien zur Messung politischer Kompetenz in Deutschland überwiegend zurückgreifen, ist das Modell Politikkompetenz von Joachim Detjen u. a. (2012). Zur Auflösung der Fußnote[5]

Dieses Modell unterscheidet die Kompetenzdimensionen Fachwissen, Politische Urteilsfähigkeit, Politische Handlungsfähigkeit, Politische Einstellung und Motivation.

Teil des Modells ist das Wissensmodell „Konzepte der Politik“ (Weißeno u.a. 2010), das „Ordnung“, „Entscheidung“ und „Gemeinwohl“ als die drei zentralen Basiskonzepte ausweist. Den Basiskonzepten werden 30 Fachkonzepte zuordnet, die für das Unterrichtsfach Politische Bildung zentral seien. In der Debatte über die unterschiedlichen Kompetenzmodelle war es vor allem die Dimension des Fachwissens, um die innerhalb der Didaktik der politischen Bildung heftig gestritten wurde. Da dieser Text die Kontroversen in der Fachdidaktik in den Blick nimmt, steht die Kompetenzdimension des Fachwissens im Folgenden im Vordergrund.

Konzepte und konzeptuelles Deutungslernen

Anders als zur Zeit der Entwicklung des Kompetenzmodells der GPJE ist heute allgemein anerkannt, dass auch das Fachwissen eine eigenständige Kompetenzdimension ist. Allerdings geht es dabei nicht um Faktenwissen, sondern um das sogenannte „konzeptuelle Deutungswissen“.

Konzepte sind dabei Begriffe, einschließlich der mit diesen verbundenen Vorstellungen und Wertungen, die individuell unterschiedlich ausfallen können. So liegt etwa für den in der politischen Bildung wichtigen Begriff der „Solidarität“ nahe, dass eine Politikerin der FDP darunter etwas anderes versteht als ein Politiker der Linkspartei, ein Aktivist einer internationalen NGO etwas anderes als eine CDU-Politikerin, die von der katholischen Soziallehre geprägt ist. Würden diese vier Personen über Solidarität sprechen, könnte es leicht passieren, dass sie aneinander vorbeireden, auch wenn sie – oder gerade weil sie – alle den gleichen Begriff benutzen: Sie alle haben unterschiedliche Konzepte von Solidarität, mit denen sie Sachverhalte, in denen Solidarität eine Rolle spielt, bewerten. Zur Auflösung der Fußnote[6]

Konzeptuelles Deutungswissen zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass die einzelnen Konzepte untereinander vernetzt sind. „Konzeptuelles politisches Wissen umfasst systematisch zusammenhängende Informationen aus der Domäne Politik“, heißt es im Modell „Konzepte der Politik“ (Weißeno u.a. 2010, S. 19).

Modell Basis- und Fachkonzepte der Politik

Modell "Basis- und Fachkonzepte der Politik" (© Wochenschau Verlag)

Unter Didaktikern und Didaktikerinnen war dieses Modell Gegenstand kontroverser Diskussionen. Dabei ging es aber nicht prinzipiell um die Annahme, dass Fachwissen als konzeptuelles Deutungswissen verstanden werden sollte. Ausgangspunkt war vielmehr die Kritik, dass mit der Entwicklung des Modells der Versuch unternommen werde, Kompetenzen der politischen Bildung auf das Fachwissen zu reduzieren, um so der bildungspolitischen Forderung nach der Formulierung messbarer Kompetenzen Genüge zu tun. Die Autorin und die Autoren des Modells haben dem entgegengehalten, dass die Operationalisierung von politischem Deutungswissen in Form von Basis- und Fachkonzepten nur der erste Schritt zur Entwicklung umfassender Kompetenzmodelle sei. Mit dem Modell „Politikkompetenz“ (Detjen u.a. 2012) haben sie entsprechend ein breiteres Kompetenzmodell vorgelegt, in welches das Modell „Konzepte der Politik“ integriert ist. Umstritten in Bezug auf das Modell „Konzepte der Politik“ war aber nicht nur die Frage, ob man der bildungspolitischen Forderung, Modelle zu formulieren, die Kompetenzen messbar machen, nachkommen sollte, sondern vor allem auch folgende Aspekte:

- Welche Rolle sollte das Begriffslernen im Unterricht spielen (auch im Zusammenhang mit der Förderung politischer Urteils- und Handlungsfähigkeit)?

- Dürfen Konzepte von Schülerinnen und Schülern als „Fehlkonzepte“ bezeichnen werden, die es zu korrigieren gilt? Oder sollte man stattdessen lediglich von „Präkonzepten“ sprechen, die weiter aus-differenziert werden müssen? Oder sollten Schülerkonzepte und wissenschaftliche Konzepte sogar als gleichberechtigt betrachten werden?

- Wie sollen die für die politische Bildung relevanten Konzepte bestimmt werden und welche Rolle sollen die Fachwissenschaften dabei spielen?

- Welche Konzepte sollen als zentrale Basis- und Fachkonzepte im Zentrum des Unterrichts stehen? (Diese Frage steht im Zusammenhang mit der Diskussion, ob im Unterrichtsfach Politische Bildung die Politik den Kern darstellen sollte oder ob wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen auch unabhängig von politischen Entscheidungen thematisiert werden sollten. Siehe dazu den Beitrag Interner Link: „Sozialwissenschaftliche Bildung oder Politik als Kern?“

im Dossier.)

Eine Gruppe von acht Autorinnen und Autoren hat im Rahmen der Kontroverse nicht nur zahlreiche Einwände vorgebracht, sondern auch ein anderes Modell mit dem Titel „Konzepte der politischen Bildung“ vorgelegt, das vor allem den Anspruch erhebt, sich nicht ausschließlich auf die Politikwissenschaft zu fokussieren, sondern einen „multiperspektivischen sozialwissenschaftlichen Zugriff auf das Phänomen des Politischen“ zu repräsentieren (Autorengruppe Fachdidaktik 2011b, S. 163). Den drei Basiskonzepten „Ordnung“, „Entscheidung“ und „Gemeinwohl“ aus dem Modell „Konzepte der Politik“ stellen sie sechs Basiskonzepte gegenüber: „System“, „Wandel“, „Macht“, „Grundorientierungen“, „Akteure“ und „Bedürfnisse“ wozu sie 43 Fachkonzepte benennen. Zur Auflösung der Fußnote[7]

Modell Konzepte der politischen Bildung

Modell "Konzepte der politischen Bildung" (© Wochenschau Verlag)

Auch wenn die meisten Punkte der Kontroverse, die sich insbesondere am Modell „Konzepte der Politik“, seiner lerntheoretischen Begründung und didaktischen Einbettung entzündet hat, nicht inhaltlich geklärt wurden, sind die Diskussionen mittlerweile abgeebbt. In den beiden Podcast-Interviews mit Tilman Grammes, der zur Autorengruppe der Kritiker gehörte, und Monika Oberle, die sich in ihren Forschungen auf das Modell „Konzepte der Politik“ bezieht, zeigen sich viele Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Frage, wie konzeptuelles Lernen in der politischen Bildung gelingen kann: Anders als beispielsweise in der Mathematik kennen Schülerinnen und Schüler die meisten Begriffe, die im Fach Politische Bildung eine Rolle spielen: neben Solidarität sind das Werte wie Freiheit oder Gerechtigkeit, daneben auch Begriffe wie Demokratie, Markt, Recht, Ordnung, Entscheidung, Macht, Interessen und Konflikt. Wenn sie die Begriffe kennen, bedeutet dies meist auch, dass sie sich darunter etwas vorstellen können – und dass sie individuell unterschiedliche Konzepte haben.

Dabei dominieren in diesen Schülerkonzepten, wie Monika Oberle argumentiert, „Alltagssprache und […] subjektive Theorien, die gesichertes wissenschaftliches Wissen wenig mit einbeziehen. Das heißt sie sind weniger elaboriert und differenziert und sie enthalten auch Fehlvorstellungen“. Das ist eine sehr kritische Sicht auf Schülerkonzepte, die nicht alle Politikdidaktiker und Politikdidaktikerinnen teilen. Ein kleiner gemeinsamer Nenner liegt allerdings darin, dass auch die Kritiker/-innen des Modells „Konzepte der Politik“ davon ausgehen, politische Bildung sollte die Schülerinnen und Schüler in der Weiterentwicklung ihrer subjektiven Konzepte unterstützen (vgl. Autorengruppe Fachdidaktik 2011b, S. 168).

Dafür müssen Schülerkonzepte zunächst im Unterricht offengelegt werden. Das geschieht klassischer Weise zu Beginn der Beschäftigung mit einem neuen Thema: „Das beginnt bei Brainstorming, beim Morgenkreis, bei einer Mindmap, bei einer Streitlinie. Das sind alles Verfahren, um erstmal zwischen den Schülern zu veröffentlichen: wer steht wo?“ sagt Tilman Grammes im Interview (s.o.). Die Wege, wie Schülerinnen und Schüler dann im folgenden Unterricht ihre eigenen Konzepte erweitern und vernetzen, können durchaus unterschiedlich sein, ohne sich jedoch zu widersprechen. Konsens besteht zunächst darin, dass der Unterricht zumindest insofern „wissenschaftsorientiert“ sein muss, als „an keiner Stelle des Unterrichts wissentlich etwas gelehrt wird, was vor dem Hintergrund dessen, was man sozialwissenschaftlich aufgeklärt weiß, ersichtlich falsch ist“. Konsens besteht aber auch darin, wie Monika Oberle argumentiert, dass es nicht darum gehen kann, gegenwärtige wissenschaftliche Konzepte im Sinne einer „fertigen Wahrheit über die Welt“ zu erlernen – denn auch wissenschaftlich Konzepte sind veränderlich und werden teilweise durchaus kontrovers diskutiert (s. Podcasts oben).

Umstritten war in der Diskussion um das konzeptuelle Deutungslernen nicht zuletzt auch, welche Rolle das Erlernen von Begriffen spielt. Hier zeigen sich auch in den Podcasts noch immer deutliche Unterschiede: Monika Oberle plädiert durchaus vehement dafür, dass es Schülerinnen und Schülern im Unterricht ermöglicht wird, „die wissenschaftlichen Konzepte kennen zu lernen und sie in die Alltagsvorstellungen zu integrieren, um so die Welt besser zu verstehen und sich auch mit anderen entsprechend differenziert austauschen zu können“. Demgegenüber sieht Tilman Grammes die primäre Aufgabe des Unterrichts darin, „auf der Ebene von Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Prozessen überhaupt erst mal eine Erweiterung von Umgangserfahrungen zu machen“ und Jugendlichen dafür den Kontakt mit Politikerinnen und Politikern zu ermöglichen.

Folgendes lässt sich zur Auseinandersetzung um Basis- und Fachkonzepte resümieren: Manche Missverständnisse sind mittlerweile aufgeklärt und an vielen Stellen ist durchaus Konsens erkennbar. Trotzdem bleibt vieles kontrovers: Vor allem zur Auswahl der Konzepte im Zusammenhang mit dem Zuschnitt des Faches, zur Art des Bezuges der Fachdidaktik auf die Fachwissenschaft, zur Möglichkeit der quantitativen Messung des konzeptuellen Verständnisses, zur Bewertung vorhandener Schülerkonzepte sowie zum Stellenwert des Begriffslernens für Bildungsprozesse und zur Gestaltung von Lernprozessen bestehen weiterhin unterschiedliche Positionen in der Didaktik der politischen Bildung.

Fussnoten

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