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Die USA und Asien | APuZ 27/1992 | bpb.de

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APuZ 27/1992 Die USA und Asien Die asiatisch-pazifische Region im Umbruch Der Friedensprozeß in Kambodscha und die Neugestaltung der Beziehungen zwischen China und Indochina Wahlen und Regierungswechsel auf den Philippinen. Die politische Wettbewerbsgesellschaft in der Ära nach Marcos Diktatur oder Demokratie? Powerplay in Bangkok

Die USA und Asien

Emst-Otto Czempiel

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Ende des Ost-West-Konflikts und der Zusammenbruch der Sowjetunion haben in Asien größere Probleme hinterlassen als in Europa, weil keine multilateralen Organisationen wie die NATO, die KSZE oder gar die EG als ordnungspolitische Instrumente zur Verfügung stehen. Vielmehr gleitet der riesige pazifische Raum in die Großmachtrivalität zwischen Indien, China, Rußland und Japan zurück, die sich bereits andeutet. Ein ordnender Einfluß könnte von den Vereinigten Staaten kommen, die dabei vor allem auf ihre militärische Übermacht, darüber hinaus aber auf den Bilateralismus als Gestaltungsprinzip ihrer Beziehungen zu den Pazifikstaaten setzen.

Der Verfasser ist dem Japanisch-Deutschen Zentrum in Berlin dankbar, das ihm ausgedehnte Feld-forschungen in Japan ermöglicht hat.

Dringender noch als Europa braucht Asien eine neue politische Architektur. Das Ende des Ost-West-Konflikts hat zumindest in Westeuropa eine außerordentlich stabile Struktur hinterlassen. Die NATO garantiert die militärische Sicherheit, die Europäische Gemeinschaft und der Europäische Wirtschaftsraum erzeugen und vergrößern den wirtschaftlichen Wohlstand. Für Gesamteuropa steht die KSZE seit ihrer Transformation 1990 bereit; die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen den ehemaligen Gegnern erfolgt seit Ende 1991 im NATO-Kooperationsrat. Diese Organisationen sind nicht identisch mit der neuen politischen Architektur des Subkontinents, können aber als tragfähige Fundamente einer europäischen Neuordnung benutzt werden.

In Asien besteht nichts Vergleichbares. Die riesige Region verlor mit dem Ost-West-Konflikt das einzige ordnende Prozeßmuster. War es auch nie so stark und tiefgreifend ausgebildet wie in Europa, so hatte es doch auch in Asien den beiden Flügel-mächten die dominierende, und den kleineren Staaten die kooperierende Funktion zugewiesen. Der Konflikt hatte in diesem Sinne auch das asiatische System geordnet, dort aber keinerlei Strukturen hinterlassen, die für eine Neuordnung verwendet werden könnten. Der amerikanisch-japanische Sicherheitsvertrag von 1960 kann nicht mit der NATO, ASEAN, ebenso nicht mit der Europäischen Gemeinschaft konkurrieren. Das Ende des Ost-West-Konflikts hinterläßt in Asien ein Konglomerat von Staaten, deren Beziehungen untereinander eine neue Figur aufweisen werden und deswegen ein neues Interaktionsmuster ausbilden müssen. Den Vereinigten Staaten kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie hatten bisher die antikommunistischen Staaten der Region hegemonial geführt. Sie profitieren vom Zerfall der Sowjetunion, können aber das dadurch geschaffene Machtvakuum nicht mehr auffüllen. Sie sind die stärkste Militärmacht im pazifischen Raum, haben aber mit dem Konfliktende den Hebel verloren, mit dem sich diese militärische Potenz in politischen Einfluß umwandeln ließ. Die USA müssen ihre Politik also umstellen und anpassen. Wie das künftige Staatensystem in Asien aussieht, wird stark von den Entscheidungen Washingtons bestimmt werden.

I. Neue Machtfiguren in Asien

Militärausgaben Quelle: The Military Balance 1991-1992, S. 214.

Das Ende des Ost-West-Konflikts, die Auflösung der Sowjetunion und das Erlöschen des Kommunismus als alternativer Herrschaftsorganisation haben das asiatische Subsystem dreifach beeinflußt. Das Ende des Ost-West-Konflikts hob die Teilung Asiens in Anhänger der USA und der Sowjetunion auf, neutralisierte den damit verbundenen Einfluß der beiden Supermächte und profilierte die Eigenständigkeit der regionalen Mächte. An die Stelle der Bipolarität trat die Polyarchie.

Die Auflösung der Sowjetunion beseitigte die von ihr ausgehende militärische Bedrohung der asiatischen Staaten. An ihre Stelle trat ein Machtvakuum. Dadurch veränderte sich die Bedeutung des Sachbereichs der Sicherheit. Er wurde einerseits drastisch reduziert und gab seinen bisherigen Vorrang an den Sachbereich der wirtschaftlichen Wohlfahrt ab, der auf absehbare Zeit das asiatische System dominieren wird. Mit der Frage, wer das von der Sowjetunion hinterlassene militärische Machtvakuum auffüllen wird, bleibt der Sachbereich der Sicherheit aber andererseits latent sensibel.

Der Sachbereich der Herrschaft hat sich ebenfalls verändert. Die faktische Eliminierung des Kommunismus als lebensfähige oder gar attraktive Alternative hat der westlichen liberalen Herrschaftsordnung einen demonstrativen Sieg beschert, aber deren weitere Durchsetzung nicht automatisch gesichert. Die Verfestigung des Demokratisierungsprozesses in den asiatischen Ländern rückt damit ebenso in den Vordergrund der politischen Prozesse Asiens wie die Verbesserung der wirtschaftlichen Wohlfahrt.

Für die neue Figur der Machtverteilung in Asien bildet die Auflösung der Sowjetunion das entscheidende Ereignis. Obwohl Rußland sich im Besitz der meisten Nuklearwaffen der alten Sowjetunion befindet, will, wird und kann es deren Erbe nicht antreten. Das militärische Machtpotential der Sowjetunion existiert nicht mehr und kann auf abseh3 bare Zeit nicht wiederhergestellt werden, so daß an seiner Stelle ein entsprechend großes Vakuum eingetreten ist.

Fast zeitgleich mit der Auflösung der Sowjetunion am 13. Dezember 1991 stimmte einer ihrer strammsten Proselyten, Nordkorea, dem Friedensvertrag mit Südkorea zu. Auch diese Auflösungserscheinung war noch von Gorbatschow eingeleitet worden, der am 30. September 1990 die diplomatischen Beziehungen zu Südkorea aufgenommen und damit Nordkorea eindeutig über die Folgen des beendeten Konflikts mit dem Westen informiert hatte. Präsident Bush half nach, indem er in seinen Beschluß vom 27. September 1991, das amerikanische taktische Nuklearwaffenprogramm zu reduzieren, auch die landgestützten taktischen Nuklearwaffen in Südkorea miteinbezog. Er erfüllte damit stillschweigend eine Bedingung, die Nordkorea vor die Zustimmung zur internationalen Inspektion seiner Nukleararsenale gesetzt hatte.

Aber auch die asiatischen Klienten der Vereinigten Staaten bekamen die Folgen der Auflösung der Sowjetunion zu spüren. Hatte Pakistan schon nach dem Ende des Afghanistan-Konflikts an geopolitischer Bedeutung für die USA eingebüßt, so verlor es sie gänzlich, nachdem sich die Sowjetunion zum Partner der USA gewandelt und schließlich ganz aufgelöst hatte. Auch als Gegengewicht zu Indien wurde Pakistan nicht mehr gebraucht, nachdem sich Delhi wieder zum Westen zurückgewandt hatte. Um so störender sahen in diesem Licht die innenpolitischen Verhältnisse Pakistans nach der Entlassung der als liberal geltenden Ministerpräsidentin Bhutto und nach ihrer Wahlniederlage im Oktober 1990 aus. Im Budget des amerikanischen Kongresses für das Haushaltsjahr 1991 war keine Auslandshilfe für Pakistan mehr vorgesehen.

Selbst die drei kleineren Alliierten der Vereinigten Staaten -Südkorea, die Philippinen und Thailand -hatten einen militärischen Bedeutungsverlust zu registrieren. Ohne das Ende des Ost-West-Konflikts und, vor allem, den Zerfall der Sowjetunion hätten die USA weder die Luftwaffenbasis Clark so leichtherzig aufgegeben noch die Kündigung des Vertrages über die Marinebasis Subic Bay durch Manila so widerstandslos hingenommen. Der Rückzug der amerikanischen Truppen aus Südkorea wurde zwar ausgesetzt, bis das nordkoreanische Nuklearpotential zerstört sein würde; danach wird er weitergehen, gebremst durch die Wünsche Südkoreas und die Sorgen Japans. Da die USA in Thailand keine Soldaten, sondern lediglich Waffen und Kriegsmaterial stationiert haben, löste das Ende der Sowjetunion dort keine Politikänderung aus. Dennoch registriert Washington mit Besorgnis, daß die Hoffnung Präsident Bushs, Thailand werde mit den Wahlen vom März 1992 zu einer verfassungsmäßigen Regierung zurückkehren, nur nominal in Erfüllung gegangen ist.

Größere Machtverschiebungen verursachte das Ende der Sowjetunion natürlich im Verhältnis der USA zu den regionalen Vormächten. China verlor erheblich an geopolitischer Bedeutung, weil es für die Gestaltung der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen nicht mehr gebraucht wird. Die Triade Washington-Moskau-Beijing, mit der Kissinger und Nixon 1972 die bis dahin wirkende bipolare Großstruktur der Weltpolitik ersetzt hatten, ist zerbrochen. Beijing reagierte auf die Machteinbuße mit dem Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag und zum Missile Technology Control Regime. Es nahm auch, ohne jegliche Bedingungen, diplomatische Beziehungen zu Israel auf. Jenseits dieser Frontbegradigung aber bewahrte sich die Volksrepublik ein großes Maß an Handlungsfreiheit. Sie widerstand recht erfolgreich dem starken Druck, den der amerikanische Kongreß im Zusammenhang mit der Gewährung der Meistbegünstigung auf die Menschenrechtspolitik Chinas auszuüben versuchte sie verweigerte sogar zwei führenden amerikanischen Senatoren die Einreisevisa für Tibet. Daß sie die im Nuklear-und Raketenbereich eingegangenen Verpflichtungen auch wirklich ein-hält, ist mehr als zweifelhaft; China pflegt in dieser Hinsicht die „schöpferische Zweideutigkeit“, deren sich auch die USA gegenüber China so erfolgreich bedient hatten

Indem die Bush-Administration diese Politik der Volksrepublik akzeptiert -wenn auch nicht schweigend -läßt sie erkennen, daß sie die alte Politik gegenüber der Volksrepublik fortzusetzen versucht. Sie zieht keine Folgerungen daraus, daß sich die Machtkonstellation in Asien verändert und der Untergang des Warschauer Paktes und der Sowjetunion demonstriert hat, daß die Sicherheit des Westens letztlich auf der Demokratisierung des Gegners und nicht auf den Kanonen der Verteidigungsallianz beruht. Washington wirft weder einen Blick in die Vergangenheit noch in die Zukunft. Mit 1, 2 Mrd. Menschen ist China aktuell eine Groß-und potentiell eine Supermacht, deren Handlungsfreiheit durch das Ende des Ost-West-Konflikts erheblich gesteigert werden wird. Sein Verhältnis zu Indien und Japan wird die Zukunft des asiatischen Subsystems bestimmen. Wenn sich die Bush-Administration in dieser Lage auf die unter ganz anderen Umständen entwickelte Realpolitik Kissingers zurückzieht, wird sie sich an der Politikgestaltung in Asien nicht mehr erfolgreich beteiligen.

Die amerikanisch-indischen Beziehungen sehen scheinbar besser aus. Nach dem Verlust der Sowjetunion als Orientierungspunkt, Waffenlieferant und politischer Quasi-Alliierter mußte auch Delhi seine Politik ändern. Es gab die Position des starken Neutralen auf -zumal die Politik der Bündnis-freiheit nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ihre Rationalität ohnehin verloren hatte -und nahm die Westorientierung aus der Zeit vor 1972 wieder auf. Ministerpräsident Rao begann die Wirtschaft zu liberalisieren und zu entbürokratisieren, den strammen Sozialismus der Gandhi-Ära durch mehr Demokratisierung zu ersetzen. Washington begrüßte die Rückkehr Indiens, empfing das Land aber in dem die Realpolitik kennzeichnenden Sachbereich: dem der Sicherheit. 1986 hatte schon Verteidigungsminister Weinberger Indien besucht; 1992 setzten beide Verteidigungsministerien einen Leitungsausschuß ein, der die „Basis für eine langfristige Beziehung zwischen den Armeen“ erstellen sollte. Mit mehr als 800 Mio. Einwohnern und der viertstärksten Militärmaschinerie der Welt ist Indien die zweite Groß-und Supermacht Asiens. Sie wie den verlorenen Sohn mit offenen Armen zu empfangen, war sicher eine richtige Reaktion Washingtons. Ob der militärische Arm dazu ausreicht, muß sich erst noch zeigen.

Im amerikanisch-japanischen Verhältnis wurde durch das Ende des Kalten Krieges eher die Position der USA verändert. Ihre militärische Schutzfunktion gegenüber dem Inselstaat ist jetzt entbehrlich geworden. Japan, wirtschaftlich eine Supermacht, militärisch eine bedeutende Großmacht, braucht in Zukunft die amerikanischen Truppen nicht mehr zum Schutz, sondern zum politischen Bonitätsausweis gegenüber den Nachbarn. Die amerikanisch-japanischen Beziehungen bleiben in dem freundschaftlichen Zustand, der seit dem Bündnisvertrag von 1960 herrscht. Jedenfalls beabsichtigen die USA, dieses Muster zu erhalten. Sie pflegen weiterhin die militärische Zusammenarbeit, drängen auf eine Symmetrierung der Handelsbeziehungen und sehen im übrigen, wie die Tokio-Deklaration von 1992 ausweist, keinen Anlaß, auf das Ende der sowjetischen Bedrohung spezifisch zu reagieren.

Im Überblick ergibt sich, daß die Vereinigten Staaten auf die durch das Ende der Sowjetunion hervorgerufenen Positionsveränderungen schnell und positiv reagieren, die ihnen unterliegenden Strukturveränderungen des asiatischen Systems aber offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen haben. Dabei spielen gerade diese Veränderungen in der Realpolitik, der sich Bush und Baker verpflichtet fühlen, notorisch eine große Rolle.

Im Realismus, der theoretisch anspruchsvollen Verarbeitung realpolitischer Praxis, bilden die Machtfiguren und die ihnen zugrundeliegende Struktur des internationalen Systems die einzigen relevanten Gewaltanlässe Diese These ist wegen ihrer Eindimensionalität nicht richtig, sie ist aber in sich nicht falsch. Die anarchische Struktur des internationalen Systems ist die Ursache des Sicherheitsdilemmas und insofern verantwortlich für die Entstehung vieler, wenn nicht der meisten Kriege Die Machtverteilung bildet ein wichtiges Derivat dieser Struktur.

Der Ost-West-Konflikt hatte in seiner bipolarisierenden Tendenz das Sicherheitsdilemma innerhalb der beiden Lager relativiert; im Verhältnis zwischen ihnen hatte es sich bereits zum offenen Konflikt zugespitzt. Nachdem die Sowjetunion durch ihr Aufrüstungsprogramm Mitte der siebziger Jahre die strategische Parität mit den Vereinigten Staaten erreicht und damit die bis dahin herrschende Symmetrie der Asymmetrien zu ihren Gunsten beseitigt hatte, existierte zwischen Ost und West ein militärisches Gleichgewicht. So problematisch dieser Begriff und vor allem die von ihm so gern abgeleiteten Strategieempfehlungen waren, so weist er deutlich aus, daß die Sowjetunion in ihrer militärischen Ebenbürtigkeit die zweite große militärische Supermacht gewesen ist. Entsprechend groß ist das Vakuum, das sie hinterläßt. Die Machtfiguren des asiatischen Systems haben sich damit aus einer gleichgewichtigen, bipolaren in eine polyarchische und durch das vom Ende der Sowjetunion verursachte Machtvakuum höchst ungleichgewichtige Figur verwandelt. Das müßte von den Vereinigten Staaten, wollen sie unter diesen Bedingungen ihre Führungsrolle behalten, berücksichtigt werden.

II. Die Zukunft der Sicherheit

Streitkräftepotential Quelle: The Military Balance 1991-1992, S. 214. Quelle: The Military Balance 1985-1986, S. 172. Angaben in 1 000 Menschen.

Die moderne politologische Theorie rezipiert die Einsichten des Realismus, aber nicht deren Eindimensionalität und schon gar nicht deren erneute Trivialisierung durch die Realpolitik. Verlauf und Ende des Ost-West-Konflikts haben nachdrücklich bewiesen, daß Militärallianzen zwar Verteidigung ermöglichen, nicht aber Sicherheit bewirken können. Sicherheit verstanden als verläßliche und dauerhafte Absenz jeglicher militärischer Bedrohung ist dann gegeben, wenn alle Staaten eines internationalen Systems demokratisch verfaßt und in einer internationalen Organisation zusammengeschlossen sind Damit sind zwar nur zwei der insgesamt fünf Gewaltursachen im internationalen System beseitigt, es sind aber die beiden wichtigsten. Die Zusammenarbeit in einer internationalen Organisation reduziert das Sicherheitsdilemma; das demokratische Herrschaftssystem eliminiert alle endogenen Gewaltursachen. Wer verhindern will, daß das asiatische Subsystem nach dem Ende des Kalten Krieges neuen Gewaltkonflikten zu-treibt, muß also eine Doppelstrategie befolgen. Er muß die Demokratisierung aller Herrschaftssysteme betreiben und das Sicherheitsdilemma dämpfen, vorzugsweise mit Hilfe einer internationalen Organisation.

Vergleicht man die Asienpolitik der USA mit diesem Sollwert, so zeigt sich, daß die Bush-Administration die Bedeutung der Demokratisierung richtig erkannt, aber politisch nicht umgesetzt hat; daß sie die Einrichtung internationaler Organisationen wegen ihrer Vorliebe für den Bilateralismus strikt abgelehnt und in der politischen Praxis die Erzeugung von Sicherheit nach wie vor ihrer eigenen militärischen Stärke und erst danach militärischen Verteidigungsbündnissen anvertraut hat.

Auf der deklaratorischen Ebene rangiert die Demokratisierungsstrategie zwar nicht an oberster, wohl aber an oberer Stelle. Die Bush-Administration vertraut auf die „Macht der demokratischen Idee“ sie weiß, daß der Schlüssel zur Stabilität in Asien „nicht in den Waffen, sondern in den Stimmzetteln steckt“ In der Anordnung der Schlüssel innerhalb der amerikanischen Strategie befindet sich der der Demokratisierung auf Platz drei. Die Liberalisierung des Handels und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheit gehen ihr voraus In der praktischen Politik aber rangiert sie sehr viel weiter unten. Auf der operativen Ebene sind keine Ereignisse anzutreffen, die auf eine aktive Demokratisierungsstrategie schließen lassen. Außenminister Baker ließ sich bei seiner Chinareise im November 1991 von den Chinesen lediglich über deren Menschenrechtsverletzungen unterrichten Präsident Bush vertraute seine Demokratisierungshoffnungen ausschließlich dem Handel an.

Als der Kongreß, wie regelmäßig seit 1980, auch 1992 die Gewährung der Meistbegünstigung für China an die Bedingung der Verbesserung der Menschenrechtssituation dort knüpfen wollte, belegte der Präsident diese Auflagen mit seinem Veto. Während Bush noch im letzten Jahr der Präsidentschaft Gorbatschows zögerte, das 1974 vom Kongreß wegen der sowjetischen Emigrationsbeschränkungen gegen Moskau verhängte Handels-und Kreditverbot aufzuheben, lehnte er diese Strategie gegenüber China ab. Seiner klaren Einsicht, daß Amerika „vor der Herausforderung, die Demokratie in China aufzubauen, nicht zurückweichen darf“, sind Taten bisher nicht gefolgt. Statt dessen wies Außenminister Baker in seiner die Tokio-Deklaration vorbereitenden Rede in Tokio am November 1991 Japan darauf hin, daß es sich durch die Förderung der Demokratisierung in Burma, China und Indochina und der Sowjetunion die Sporen einer Weltführungsmacht erwerben könnte 11.

Die zweite Strategie, die Errichtung internationaler Organisationen zum Abbau oder doch wenigsten zur Verringerung des Sicherheitsdilemmas, haben die Vereinigten Staaten rundweg abgelehnt. Außenminister Baker verglich die amerikanische Asienpolitik mit einem Fächer, dessen einzelne Rippen in den USA zusammenlaufen und sie mit jedem Staat der Region bilateral verbinden. Er lehnte jeden „über Gebühr strukturierten Ansatz“ ab und bevorzugte statt dessen eindeutig das „flexible construct“ des Bilateralismus Von dieser strikten Präferenz ausgenommen war lediglich APEC, die im November 1989 auf eine australi-sehe Initiative hin beschlossene Asia-Pacific Economic Cooperation, in der die ASEAN-Staaten, Australien, Neuseeland, Japan, Südkorea und die Vereinigten Staaten sowie Kanada Zusammenarbeiten. Als die ASEAN-Staaten auf ihrer vierten Gipfelkonferenz im Januar 1992 die Absicht besprachen, auch sicherheitspolitisch enger zusammenzuarbeiten, intervenierte Washington. Es konnte auch dem Vorschlag nichts abgewinnen, Japan organisatorisch mit den ASEAN-Staaten zu verbinden, um damit Anreiz oder Notwendigkeit japanischer Alleingänge zu beseitigen.

Im Sachbereich der Sicherheit bevorzugen die Vereinigten Staaten den Bilateralismus als Strategie und die militärische Macht als Instrument. Mit dieser Kombination und dem darin enthaltenen Verzicht auf die Strategie der Demokratisierung und auf das Instrument der internationalen Organisation können die Vereinigten Staaten dem Entstehen neuer gewaltsamer Konflikte in Asien kaum vorbeugen. Machtdivergenzen werden wieder entstehen, und das Sicherheitsdilemma wird dadurch verstärkt werden. Japan, China oder Indien könnten das vom Ende der Sowjetunion hinterlassene Machtvakuum auffüllen. Vor allem Japan wird sich dazu gedrängt fühlen, und zwar um so mehr, je größer das Vakuum durch die unvermeidliche Verminderung der amerikanischen Militärpräsenz im Pazifik werden wird. Die Beziehungen zu Japan stellen sich damit als die schwierigsten und auch die wichtigsten dar, die die Vereinigten Staaten unter den Einschränkungen des von ihnen bevorzugten Bilateralismus zu gestalten haben.

Auch akute Aufgaben wie die Verhinderung der Verbreitung von Massenvemichtungsmitteln lassen sich in der multipolaren Situation Asiens bilateral nicht leicht lösen. Es fehlen die Hebel, die der Konflikt mit der Sowjetunion und die Schutzfunktion über die kleineren Staaten den USA zur Verfügung gestellt hatten. Zwar profitiert auch die amerikanische Handlungsfreiheit von der Auflösung solcher Bindungen. Pakistan, das als Bundesgenosse nicht mehr gebraucht wird, kann jetzt durch Hilfeentzug für seine Nuklearpolitik bestraft werden. Allerdings kann es nicht zur Änderung dieser Politik bewogen werden; auch Indien nicht, das sich strikt weigert, den Plan einer nuklearwaffenfreien Zone in Südasien zu akzeptieren. Nordkorea hat sich zwar bereit erklärt, die Kontrollen der IAEA zuzulassen; eine Garantie für den Verzicht auf die Herstellung von Massenvernichtungswaffen liegt nicht darin, wie das Beispiel Irak gezeigt hat

Um so weniger werden die Vereinigten Staaten nach dem Ende des Kalten Krieges imstande sein, den Atomwaffenverzicht der Pazifikanrainer bilateral durchzusetzen. Wenn überhaupt, wird sich der Nuklearwaffenverzicht nur im multilateralen Verbund erreichen lassen, als Verabredung aller Staaten einer Region, nach dem Muster des Vertrages von Tlatelolco in Lateinamerika und dem von Rarotonga im Südpazifik. Auf ihrer vierten Gipfelkonferenz im Januar 1992 in Singapur haben die Staatschefs der ASEAN-Staaten nicht nur an der Idee festgehalten, die 1971 verabredete Zone of Peace, Freedom and Neutrality (ZOPFAN) zu verwirklichen, sondern auch daran, eine South-East Asian Nuclear Weapon Free Zone (SEANWFZ) ins Auge zu fassen.

Weder das eine noch das andere wird leichtfallen. ZOPFAN ist durch die Kambodscha-Lösung einerseits möglich, andererseits hinfällig geworden; zunächst einmal steht der Beitritt Indochinas zum Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit in Südostasien von 1976 an. Keiner der ASEAN-Staaten verfügt über Nuklearwaffen; keiner aber will sich einem möglichen Nukleardiktat Chinas aussetzen. Alle ASEAN-Staaten kennen die Empfindlichkeit der USA in dieser Frage. Washington hat das -sehr weich gefaßte -Protokoll von Rarotonga nicht unterschrieben und lieber den Verteidigungsvertrag mit seinem alten Alliierten Neuseeland gekündigt, als dessen Verlangen nachzugeben, über die Anwesenheit von Nuklearwaffen auf amerikanischen Schiffen informiert zu werden.

Die ASEAN-Staatschefs haben in Singapur auf die „veränderten Umstände“ hingewiesen, also auf das Ende des Ost-West-Konflikts. Mit dem Abzug ihrer Nuklearwaffen aus Südkorea und mit der von Präsident Bush verkündeten Beseitigung aller, auch der seegestützten nuklearen Mittelstreckenraketen haben die Vereinigten Staaten beträchtliche Schritte nach vorn getan. Es läge in ihrem Interesse, daß Südostasien auf Nuklearwaffen verzichtete. Der Gedanke ließe sich von dort nach Südasien verpflanzen. Freilich müßten die USA ihn aktiv fördern, müßten, um von solchen regionalen Verabredungen nicht ausgeschlossen zu werden, an ihnen (wie in Europa an der KSZE) teilnehmen, also das „flexible construct" des Bilateralismus aufgeben oder doch ergänzen. Eine Bereitschaft dazu ist im Frühjahr 1992 nicht zu erkennen.

Von einer anderen Seite werden die Defizite des klassischen Bilateralismus im Verhältnis der USA zu Japan beleuchtet. Hier geht es nicht nur um dessen Einbau in eine multilaterale Struktur, sondern auch um eine Aufwertung Japans durch die Institutionalisierung der Beziehungen zwischen Tokio und Washington. Mit ihrem Fehlen läßt sich erklären, warum die amerikanisch-japanischen Beziehungen, die, sachlich gesehen, ebenso eng wie gut sind, von den Politikern beider Seiten 1992 so kritisch betrachtet werden.

Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit der Vereinigten Staaten mit Japan hat seit dem Vertrag von 1960 mehrere Phasen durchlaufen, ist aber auch zu Beginn der neunziger Jahre gut und eng Der Artikel V dieses Vertrages bot Japan konventionellen und nuklearen Schutz, Artikel VI den USA Stationierungsrechte und Basen für ihre Truppen auf japanischem Boden an. Die dafür anfallenden Kosten wurden immer schon teilweise, seit dem 20. Dezember 1990 in voller Höhe von Japan getragen. Es zeigte sich auch großzügig bei der Auslegung des Einsatzes amerikanischer Truppen von Japan aus. Dafür wurde Japan geschützt und konnte seine im berühmten Artikel IX niedergelegte und von der amerikanischen Öffentlichkeit bis heute honorierte Absage an die militärische Gewalt, die Unterhaltung eines stehenden Heeres und das Kriegsführungsrecht der Staaten beibehalten. Zwar legte sich Japan doch eine Wehrmacht zu, hielt sie aber bis 1980 unter dem verschämten Titel der Selbstverteidigungskräfte einigermaßen unter Kontrolle. Diese Selbstbeschränkung wurde gesprengt, als Präsident Reagan Japan aufforderte, die Begrenzung des Rüstungsbudgets auf maximal ein Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) aufzugeben und die Verteidigung im Umkreis von 1000 Seemeilen zu übernehmen. Mit einem Rüstungsbudget von 4, 3 Billionen Yen im Jahre 1991 blieb Japan nur noch hinter den Vereinigten Staaten zurück. Dabei entdeckte die japanische Industrie erneut ihr Interesse an der Rüstungsproduktion, auf die inzwischen 26 bis 28 Prozent des Verteidigungsbudgets entfallen Große Unternehmen wie Mitsubishi Heavy Industries oder Kawasaki Heavy Industries beziehen ihre Gewinne schon zu einem Viertel aus dem Rüstungsgeschäft.

Japan verfügt 1992 über das größte Rüstungsbudget in Asien. Die Folge ist ein Wandel der Bedrohungsperzeption der Pazifikstaaten und ein Funktionswandel der amerikanischen Truppen auf Japan. Nachdem die Sowjetunion als Bedrohungs-faktor nicht mehr existiert und die Militärmacht Chinas an der geringen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes ihre enge Grenze findet, wächst in Asien die Sorge vor einer erneuten militärischen Dominanz Japans. Sie wird auch in den Vereinigten Staaten geteilt, die es sich inzwischen zu einem neuen Ziel gemacht haben, wenigstens die Entwicklung einer japanischen Power-Projection-Fähigkeit zu verhindern Der amerikanisch-japanische Streit um den Bau des Jägers FSX zeigte den Vereinigten Staaten, daß Japan auch auf dem Gebiet der Militärtechnologie längst führend und ein potentieller Rivale auf dem Gebiet der Waffenverkäufe geworden war

In den Augen der USA, Asiens, aber auch Japans selbst hatte sich damit die Funktion der amerikanischen Truppen auf japanischem Boden drastisch verändert. Sie dient seitdem dem Inselreich nicht mehr als Schutz vor einer auswärtigen Bedrohung, sondern als Ausweis politischer Bonität. Sie verleiht dem Wort Japans, daß es nicht wieder eine größere Militärmacht werden will, internationale Glaubwürdigkeit und erleichtert es damit den Nachbarn Japans, dessen große politische und wirtschaftliche Bedeutung zu akzeptieren Nicht zuletzt deswegen hat Japan die gesamten Stationierungskosten dieser Truppen übernommen, so daß es für die Vereinigten Staaten billiger geworden ist, Schiffe, Flugzeuge und Soldaten in Japan zu stationieren als im Heimatland.

Dennoch ist eine Verminderung der amerikanischen Militärpräsenz in Japan absehbar. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts -und nach dem Ende des Wahljahres 1992 -wird das amerikanische Engagement im Pazifik, wie der Stellvertretende Außenminister Zoellick im Februar 1992 sagte, zwar erhalten bleiben, aber verringert werden In diesem Fall wird das japanische Militär-potential, selbst wenn es nicht vergrößert wird, eine größere Bedeutung erlangen. Gleichzeitig beginnt das Sicherheitsdilemma zu wirken. Die asiatischen Nachbarn Japans werden sich auf dessen vergrößerte militärische Potenz einstellen, was wiederum Japan veranlassen wird, die Rüstungsanstrengungen zu erhöhen, um auf alle Eventualitäten gefaßt zu sein.

Die Beziehungen Japans zu seinen asiatischen Nachbarn sind nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wieder so sensibel wie früher. Japan wird das durch den Rückzug der amerikanischen Truppen sich öffnende Vakuum zu schließen und gegenüber China auch das Rüstungspotential der Sowjetunion zu ersetzen versuchen. Wirtschaftlich und technologisch ist es dazu, darin sind sich alle Fachleute einig, mühelos in der Lage Es könnte mit geringem Aufwand auch Nuklearwaffen und die dazugehörigen Trägersysteme herstellen.

Eine solche Entwicklung wird von Japan nicht beabsichtigt, schon gar nicht von seiner Öffentlichkeit. Sie ist nach wie vor eher pazifistisch eingestellt, wenngleich sie sich nach dem Golfkrieg etwas mehr zur Mitte hin verlagert hat Der Rückkehr zur militärisehen Machtpolitik steht auch der hohe Grad der Demokratisierung in Japan entgegen, der aufgrund des Generationswechsels und des von der amerikanischen Politik aus Gründen des wirtschaftlichen Wettbewerbs eingeforderten, den Lebensstandard anhebenden Demokratisierungsschubs eingetreten ist. Dennoch ist der aus dem veränderten Machtgefüge Asiens herrührende Aufrüstungssog außerordentlich stark. Soll Japan ihm widerstehen, müßte es darin vor allem von den Vereinigten Staaten unterstützt werden.

Aber die USA, wo jetzt wenigstens ein Entscheidungsträger eingesteht, daß es falsch war, Japan zu höherer Aufrüstung zu veranlassen sind, wie die Tokio-Deklaration ausweist, im Begriff, einen zweiten Fehler zu begehen. Statt das Land, das längst eine wirtschaftliche Supermacht und nun auch eine militärische Großmacht geworden ist, wie ihresgleichen zu behandeln, treten die USA ihm gegenüber noch immer in der alten Rolle des Hegemon auf. Bush verschob nicht nur dreimal seinen Ankunftstermin in Tokio, er wählte dann schließlich dafür den Jahrestag des Todes Kaiser Hirohitos, an dem Japan trauert, und verwandelte einseitig den angekündigten Staatsbesuch in eine wirtschaftliche Werbekampagne, die zunehmend zum Bittgang geriet.

Statt so viele Fehler anzuhäufen, hätten die Vereinigten Staaten Japan spätestens bei diesem Staatsbesuch die Partnerschaft anbieten müssen, ausgedrückt in akzeptierter Gleichrangigkeit und dem Vorschlag, die Beziehungen auf dieser Basis zu institutionalisieren. Regelmäßige Gipfel-, Minister-und Expertentreffen hätten dazu gehört, vielleicht sogar eine Parlamentarierversammlung. Vergleichbares hatten die Vereinigten Staaten und die Europäische Gemeinschaft eineinhalb Jahre zuvor für ihre Beziehungen verabredet. Statt dessen brachte Bush nach Tokio lediglich die wiederholte Aufforderung zur „globalen Partnerschaft“ mit, ohne sie institutionell zu substantiieren.

Dabei ist Japan längst zum globalen Partner der USA geworden. Seit 1988 hat es die USA als größten Gläubiger der Welt abgelöst. Nach Großbritannien ist Japan der größte Investor in den USA. Japanische Käufe amerikanischer Schuldverschreibungen hielten in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre den Staatshaushalt der USA über Wasser. In der globalen Auslandshilfe hat Japan die Vereinigten Staaten eingeholt, 1989 sogar überholt Im asiatisch-pazifischen Raum vergibt Japan inzwischen zweimal soviel Auslandshilfe wie die Vereinigten Staaten, wovon vor allem China, Indonesien und die Philippinen profitieren. Nimmt man noch die japanischen Investitionen in diesem Raum hinzu, so ist Japan dort längst zum aktiveren Partner der USA geworden. Im Finanzwesen ist es die bedeutendste Weltmacht überhaupt, im Handel folgt es den USA dicht auf den Fersen. Amerikanischen Wünschen folgend, hat sich die japanische Auslandshilfe aber auch über Asien hinaus erstreckt. Es ist für 29 Länder, die Hälfte davon außerhalb Asiens, der wichtigste Spender.

Beim Gipfeltreffen in Tokio ist nichts verabredet worden, was der Formel der Partnerschaft einen politisch meßbaren Inhalt gegeben hätte. Das dort erwähnte Japan-U. S. Security Committee war schon 1960 eingerichtet worden und beschränkt sich auf Verteidigungsangelegenheiten. Daß auf amerikanischer Seite jetzt nicht nur der Botschafter und sein Personal, sondern auch die Ressortminister teilnehmen, war schon 1990 verabredet worden. In Tokio ist nichts hinzugekommen. Das machte für die Japaner den Unterschied zur amerikanisch-westeuropäischen Erklärung von 1990, mit der Außenminister Baker die Tokio-Deklaration ausdrücklich verglichen hatte, um so deutlicher.

Während die Europäische Gemeinschaft durch die Institutionalisierung der Begegnungen zwischen den beiden Präsidenten symbolisch auf den gleichen Rang wie die USA gehoben wurde, blieb -per Nichterwähnung -im amerikanisch-japanischen Verhältnis alles beim alten. Dieser Unterschied zwischen Europa und Japan ist in Tokio deutlich registriert worden, zumal das japanische Selbstbewußtsein im gleichen Tempo wie das japanische Machtpotential gewachsen ist. Die Differenz zwischen der japanischen Selbsteinschätzung und der Behandlung Japans durch die USA ist bis zur Bruchlinie ausgedehnt worden. Auf ihr beruhen die verbalen Spannungen zwischen den beiden Ländern. Sie werden sich erst beruhigen, wenn die Vereinigten Staaten die überfällige Anpassung an die veränderten Machtverhältnisse vollzogen haben und Japan nicht mehr wie den freundlichen Klienten früherer Tage, sondern wie die ausschlaggebende Groß-und Supermacht Asiens behandeln. Dann würde sich auch der amerikanische Einfluß in Japan wieder erhöhen. Bevölkerung und Eliten bringen den USA nach wie vor Freundschaft und Hochachtung entgegen, der amerikanische „way of life“ bildet das Ideal aller Generationen in Japan. Das gilt auch für die politische Klasse. Quer durch alle Schichten aber zieht sich „der wachsende Wunsch nach Respekt“

Gingen die USA darauf ein, würden sie die militärische Kooperation, die sich auf das Nebeneinander in einer klassischen Allianz beschränkt, in ein Bündnis nach Maßgabe der NATO verändern, wodurch sich die gegenwärtigen wie die zukünftigen Probleme bedeutend vermindern ließen. In einer gleichberechtigten Struktur würden die Vereinigten Staaten erheblich größeren Einfluß auf Japans Politik gewinnen und ihn auch behalten, wenn sie ihre Truppen deutlich verringerten. Andererseits würde die Bündnisbeziehung zwischen Amerika und Japan für die asiatischen Nachbarn eine glaubwürdige Versicherung japanischer Zurückhaltung darstellen. Weil politisch institutionalisiert, würde diese Garantie sehr viel wirksamer sein als die bloße Präsenz amerikanischer Truppen auf japanischem Boden. In einem soliden amerikanisch-japanischen Bündnis mit integrierter militärischer und institutionalisierter politischer Struktur ließe sich auch verhindern, daß in Asien das Sicherheitsdilemma erneut entsteht. Das amerikanisch-japanische Bündnis würde dann in Asien ebenso als Stabilitätsanker dienen wie das amerikanisch-westeuropäische im atlantischen Bereich.

Statt dessen bleiben die Vereinigten Staaten jedoch beim konventionellen Bilateralismus. Die Achse Washington-Tokio ist zwar eine wichtige, aber eben nur eine im Fächer der amerikanischen Asienpolitik. Die Beschreibung dieser Politik durch Außenminister Baker in Tokio ließ nicht einmal erkennen, daß Japan einen wichtigen, geschweige denn einen herausgehobenen Platz darin einnimmt. Die USA wollen sich die Flexibilität des Bilateralismus erhalten, mit der sie offenbar hoffen, auch das Gewicht Tokios austarieren zu können. Sie wollen die Rolle des Hegemon, die sie während des Kalten Krieges im nichtkommunistischen Teil Asiens spielten, gegen die Rolle des „Balancers“ eintauschen, der mit‘seinem Gewicht und dessen Verschiebung für das Gleichgewicht in Asien sorgt. So lassen es jedenfalls die Szenarien erkennen, die im Frühjahr 1992 im Pentagon kursierten.

Washingtons Fixierung auf den Bilateralismus hat auch die -ohnehin nur schwachen -Anregungen zur Bildung einer regionalen Sicherheitsorganisation zu Fall gebracht. Japan selbst hatte 1991 die Idee entwickelt, daß die ASEAN-Staaten einen Ausschuß für Sicherheitsfragen einrichten sollten, der mit Nichtmitgliedern über gemeinsame Sicherheitsprobleme beraten sollte. Aus den ASEAN-Staaten kam, wie erwähnt, der Vorschlag, Japan direkt einzubinden, um einen zukünftigen Alleingang entbehrlich zu machen. Washington reagierte strikt negativ auf diese Vorschläge und verhinderte ebenso auch das von Malaysia geförderte Projekt eines East Asia Economic Caucus (EAEC), weil ihm zwar Japan, nicht aber die USA angehören würden. Die Schlußformel des vierten Gipfeltreffens der ASEAN-Staaten im Bereich der Sicherheit blieb denn auch entsprechend vage Sie erwähnte nicht einmal die Perspektive einer regionalen Sicherheitsorganisation, sondern betonte die sicherheitspolitische Zusammenarbeit der ASEAN-Staaten mit den Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft. Die kollektiven Möglichkeiten, den zukünftigen Folgen veränderter Machtfiguren in Asien vorzubeugen, wurden in Washington nicht genutzt, wahrscheinlich nicht einmal erkannt. Die kurzfristigen Vorteile des Bilateralismus bestimmen das außenpolitische Kalkül.

Im Sachbereich der Wirtschaft wird der Bilateralismus als Strategie bereits getestet. Die Vereinigten Staaten, deren Handelsbilanz mit Japan seit Jahren drastisch negativ ist, versuchen sowohl die Binnen-wie die Außenwirtschaftspolitik Japans in bilateralen Verhandlungen zu ändern. Zweifellos sind die USA wirtschaftlich stark genug, um sich in Einzelverhandlungen mit jedem ihrer Konkurrenten durchsetzen zu können. Ein Welthandel aber, der dann aus der Summe der bilateral oder der zwischen den im Entstehen begriffenen Handels-blöcken vereinbarten Beschränkungen bestehen würde, wäre weder dem Wachstum der amerikanischen noch dem der Weltwirtschaft dienlich. Die USA waren sich 1943 dessen voll bewußt, als sie das Freihandelssystem für die Nachkriegs-Weltwirtschaft konzipierten und von 1943 an institutionalisierten. Interessanterweise schreckten sie auch 1947 vor der Verwirklichung der von ihnen selbst konzipierten Welthandelsorganisation zurück. Sie wäre damals das richtige, multilaterale Regelwerk für die sich entwickelnde Weltwirtschaft gewesen. Sie ist es auch heute. Die damalige Ersatzlösung, das GATT, hat im Rahmen seiner Möglichkeiten brauchbare Arbeit geleistet; es kann aber eine Welthandelsorganisation nicht ersetzen.

Im Vorfeld einer solchen Entwicklung können regionale Handelsorganisationen insofern gute Dienste leisten, als sie den Bilateralismus in einen multilateralen Rahmen einbetten und auf diese Weise verhindern, daß er zum Partikularismus wird. Die Asia Pacific Economic Cooperation (APEC) könnte die Gemeinsamkeit dokumentieren und institutionalisieren, die vordem durch die gemeinsame Frontstellung gegen die Sowjetunion und den Kommunismus erzeugt worden war. Gegenwärtig ist APEC nur ein loser Verbund von Beratungsausschüssen der teilnehmenden Staaten. Als solcher ist er schon wichtig genug, vor allem weil er die Vereinigten Staaten, Japan und die südostasiatischen Länder in einer Organisation zusammenfaßt. Dadurch wird Japan eingebunden und den USA die Gelegenheit gegeben, die strukturellen Ungleichgewichte zwischen den davon Betroffenen selbst zur Diskussion zu stellen und zu regeln. Über den Multilateralismus könnten die Vereinigten Staaten ihren Einfluß potenzieren. Damit würde die Bildung eines separaten, von Japan geführten ostasiatischen Handelsblocks, der auf der Gipfelkonferenz der ASEAN-Staaten im Januar 1992 in Gestalt des EAEC schon andiskutiert wurde, endgültig gebannt.

Eine asiatische Handelsorganisation könnte die regionale Organisation flankieren, die sich auf dem Sachbereich der Sicherheit empfiehlt. In beiden Sachbereichen würde die institutionalisierte Kooperation die gemeinschaftliche Grundlage abgeben, die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, der sie zwangsläufig hergestellt hatte, erst wieder erzeugt werden muß. Das mag schwierig und in manchen Fällen und zwischen manchen Ländern nur andeutungsweise möglich sein. Jeder Grad des Multilateralismus aber ist besser als der Bilateralismus, der die sicherheits-und wirtschaftspolitischen Probleme, die jetzt zwischen den Pazifik-Anrainern sich zu formieren beginnen, auf Dauer nicht zu lösen vermag.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Kim Dae Jung, The Once and Future Korea, in: Foreign Policy, 86 (1992), S. 40ff.

  2. Vgl. Roger W. Sullivan, Discarding the China Card, in: ebd., S. 3ff.

  3. Ebd., S. 7.

  4. Vgl. Kenneth N. Waltz, Theory of International Politics, Reading, Mass., 1979.

  5. Vgl. John H. Herz, Idealist Internationalism and the Security Dilemma, in: World Politics, 12 (1960) 2, S. 157ff.; Robert Jervis, Cooperation Under the Security Dilemma, ebd., 30(1978) 2, S. 167ff.

  6. Vgl. Emst-Otto Czempiel, Gleichgewicht oder Symmetrie?, in: Jahrbuch für Politik, 1 (1991) 1, S. 127ff.; Randall L. Schweller, Domestic Structure and Preventive War: Are Democracies More Pacific?, in: World Politics, 44 (1992) 2, S. 235 ff.

  7. Präsident Bush in seiner Rede vor der Yale-Universität am 28. 5. 1991, in: U. S. Policy Information and Texts (USPIT), 77 vom 31. 5. 1991, S. 31.

  8. Präsident Bush vor der Asia Sciety in New York am 13. 11. 1991, in: USPIT, 153 vom 15. 11. 1991, S. 6.

  9. Vgl. ebd., S. 7.

  10. Vgl. USPIT, 154 vom 18. 11. 1991, S. 28.

  11. Außenminister James A. Baker, The U. S. and Japan: Global Partners in a Pacific Community. Address to the Japan Institute for International Affairs vom 11. 11. 1991. Vgl.ders., America in Asia: Emerging Architecture for a Pacific community, in: Foreign Affairs, 70 (1991/92) 5, S. 1-18; dieser Beitrag ist in großen Teilen mit seiner Rede in Tokio identisch.

  12. Ebd., S. 2.

  13. Vgl. Harald Müller, Das nukleare Nichtverbreitungsregime im Wandel. Konsequenzen aus einem stürmischen Jahr, in: Europa-Archiv, 47 (1992) 2, S. 51 ff.

  14. Vgl. Sheila Smith, The U. S. -Japan Alliance in 1991: Cold-War Dynamics and Postwar Legacies, in: Japan Review of International Affairs, Special Issue 1991, S. 63ff.

  15. Vgl. R. J. Samuels, Reinventing Security: Japan Since Meiji, in: Daedalus, Herbst 1991, S. 47ff.

  16. Vgl. Andrew Dougherty (ed.), Japan 2000. Rochester Institute of Technology 1991, S. 145. Die Studie wurde im Auftrag der CIA erstellt.

  17. Vgl. Steven K. Vogel, Japan’s Defense Industry, in: United States Congress 101/2, Joint Economic Committee: Japan’s Economic Challenge. Study Papers, Washington, Oktober 1990, S. 389.

  18. So der frühere stellvertretende japanische Außenminister, zit. in: Roger W. Bowen, Japan’s Foreign Policy, in: PS: Political Science and Politics, XXI (1992) 1, S. 68.

  19. Vgl. USPIT, 22 vom 19. 2. 1992, S. 14.

  20. Vgl. Jeffrey T. Bergner, The New Superpowers. Germany, Japan, the U. S., and the New World Order, New York 1991.

  21. Vgl. Emst-Otto Czempiel, The United States, Japan, and Asia. New Constellations but Old Politics, PRIF-Report, Frankfurt 1992, S. 50 ff.

  22. Vgl. Richard Holbrooke, Japan and the United States: Ending the Unequal Partnership, in: Foreign Affairs, 70 (1991/92) 5, S. 47ff. Holbrooke war von 1977 bis 1981 Assistant Secretary of State für Angelegenheiten in Ostasien und im Pazifik.

  23. Vgl. Keizai Koho Center, Japan 1992, An International Comparison, Tokio 1991, S. 54; Larry Q. Nowels, Japan’s Foreign Aid Program, Adjusting to the Role of the World’s Leading Donor, in: United States Congress 101/2, Japan’s Economic Challenge (Anm. 18), S. 397ff.; Juichi Inada, Japan’s Aid Diplomacy: Economic, Political, or Strategie?, in: Kathleen Newland (ed.), The International Relations of Japan, Houndmills 1990, S. lOOff.

  24. Barry Hillenbrand, in: Time International vom 10. 2. 1992, S. 11.

  25. Text in: The Japan Times vom 29. 1. 1992, S. 5.

Weitere Inhalte

Ernst-Otto Czempiel, geb. 1927; seit 1970 Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität Frankfurt und Forschungsgruppenleiter an der Hessischen Stiftung Friedens-und Konflikt-forschung, Frankfurt/M. Veröffentlichungen u. a.: Machtprobe. Die USA und die Sowjetunion in den achtziger Jahren, München 1989; Weltpolitik im Umbruch. Das internationale System nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, München 19922.