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Die asiatisch-pazifische Region im Umbruch | APuZ 27/1992 | bpb.de

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APuZ 27/1992 Die USA und Asien Die asiatisch-pazifische Region im Umbruch Der Friedensprozeß in Kambodscha und die Neugestaltung der Beziehungen zwischen China und Indochina Wahlen und Regierungswechsel auf den Philippinen. Die politische Wettbewerbsgesellschaft in der Ära nach Marcos Diktatur oder Demokratie? Powerplay in Bangkok

Die asiatisch-pazifische Region im Umbruch

Peter J. Opitz

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nicht nur in Europa, sondern auch in der asiatisch-pazifischen Region hat die Auflösung des Ost-West-Konflikts die Situation tiefgreifend verändert. Der Beitrag versucht, eine Bilanz der derzeitigen Situation zu ziehen. Nach einer Darstellung der wichtigsten Entwicklungstendenzen vom Beginn der fünfziger Jahre bis zum Gipfel von Malta erfolgt ein Überblick über die Problemlagen und die Machtkonstellation in der Region nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

I. Einleitung

In den vergangenen vier Jahren hat sich die strategische und politische Situation in Europa schneller verändert als in den vier Jahrzehnten zuvor. Mit der von Michail Gorbatschow eingeleiteten Politik der Perestroika wurde ein Prozeß in Gang gesetzt, der zuerst eine Entspannung im Ost-West-Konflikt einleitete, sodann im Schutz und Schatten dieser Entspannung friedliche, demokratische Revolutionen in den meisten Staaten Ost-und Mitteleuropas ermöglichte, den Verfall des Warschauer Paktes und des COMECON beschleunigte und somit den Rückzug der Roten Armee in Gang setzte. Inzwischen ist die Sowjetunion infolge der schweren politischen und wirtschaftlichen Krise, in die sie im Gefolge dieser Veränderungen geraten war, auseinandergebrochen. Auch wenn es gelang, die Mehrzahl der Nachfolgestaaten in eine „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“ (GUS) einzubinden, ist doch fraglich, ob dieses Gebilde Bestand und Zukunft hat. Schon zeigen sich wachsende Desintegrationserscheinungen.

Für Europa ergibt sich durch diese Entwicklungen die Chance, daß der seit 1945 politisch, militärisch und wirtschaftlich gespaltene Kontinent allmählich wieder zusammenwächst und die mittel-und osteuropäischen Staaten in den westeuropäischen Integrationsprozeß einbezogen werden. Damit eröffnet sich die Perspektive auf ein Europa, das international wieder ein ernstzunehmender Faktor neben den anderen Machtgruppen wäre. Doch es ist nur eine „Chance“ -die Entwicklungen könnten auch ganz anders verlaufen: krisenhafter und unglücklicher für den Westen und den Osten. Nicht nur könnte der Integrationsprozeß in Westeuropa wieder ins Stocken geraten, auch die Entwicklungen im Osten steuern keineswegs unvermeidlich in Richtung auf Demokratie und Marktwirtschaft. Die demokratischen Kräfte mögen derzeit dominieren, doch eine genauere Analyse zeigt, daß sie schwach sind und nicht nur gefährdet durch weiterbestehende Seilschaften aus der Zeit der alten kommunistischen Systeme, sondern auch durch das Wiederaufleben prädemokratischer Stimmungen und Potentiale. Das gilt für die meisten Länder Osteuropas. Über den Entwicklungen in Europa wird gelegentlich -zumindest in Europa selbst -übersehen, daß auch in anderen Regionen der Welt Umbrüche von nicht minder tiefgreifender weltpolitischer Brisanz und Relevanz -äuch in bezug auf Europa -stattfinden. Insbesondere die asiatisch-pazifische Region steht vor großen Veränderungen. Auch sie hatte der Ost-West-Konflikt schon früh erfaßt, wobei es hier nicht bei einem Kalten Krieg blieb, sondern eine Vielzahl heißer Konflikte ausbrach, die die Welt gelegentlich bis an den Rand eines dritten Weltkrieges führten. Anders als in Europa, wo trotz der Entspannungspolitik der siebziger Jahre die Fronten bis tief in die achtziger Jahre hinein stabil blieben, setzten in Asien jedoch schon sehr früh Prozesse ein, die zu einer allmählichen Auflösung der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen bipolaren Machtstruktur führten.

II. Von der Containment-Politik zum Gipfel von Malta

1. Die Beziehungen zwischen Washington, Peking und Moskau Eine erste grundlegende Veränderung der regionalen Konfliktstruktur am westlichen Rand des Pazifiks hatte schon Ende der fünfziger Jahre eingesetzt: Der Ost-West-Konflikt wurde durch einen Ost-Ost-Konflikt zwischen Moskau und Peking ergänzt und überlagert. Dieser verschärfte sich allmählich und führte bis Ende der sechziger Jahre die beiden kommunistischen Supermächte Sowjetunion und die VR China in eine gefährliche Konfrontation und an den Rand eines Krieges. Die Rivalität zwischen Moskau und Peking entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer eigenständigen Konfliktstruktur von erheblicher Bedeutung für ganz Ost-und Südostasien, die insbesondere auf die kleineren Staaten der Region -Nordkorea, Nordvietnam und die Mongolische Volksrepublik -ausstrahlte.

Eine zweite grundlegende Veränderung bahnte sich zu Beginn der siebziger Jahre an: War der sino-sowjetische Konflikt bis dahin ohne größere Auswirkungen auf den Ost-West-Konflikt geblieben, so setzte nun -parallel zur Entspannungspolitik zwischen Moskau und Washington in Europa -ein Annäherungsprozeß zwischen den USA und der chinesischen Volksrepublik ein, der die strategische Situation -vor allem in der ostasiatischen Region -zum Nachteil Moskaus veränderte.

Eine der wichtigsten Ursachen für die amerikanische Öffnung gegenüber China war der unbefriedigende Verlauf des Vietnamkrieges und der wachsende Widerstand der amerikanischen Öffentlichkeit gegen das kostspielige und verlustreiche Engagement in Südostasien. Um letzterer den Wind aus den Segeln zu nehmen, aber auch um die menschlichen und finanziellen Kosten des Krieges zu senken, hatte Präsident Nixon -der nicht zuletzt aufgrund seines Versprechens eines „ehrenvollen Rückzugs aus Vietnam“ ins Amt gewählt worden war -eine Doppelstrategie eingeleitet: Den einen Strang markierte die „Nixon-Doktrin“, die eine Verlagerung der Lasten und Kosten des Krieges auf die asiatischen Verbündeten sowie einen Rückzug der amerikanischen Truppen aus der Hauptkampflinie vorsah. Ein Rückzug der USA aus Asien war damit jedoch nicht intendiert. Diese Doktrin, so bestätigte Nixon später in seinen Memoiren, „war keine Formel für den Abzug Amerikas aus Asien, sondern sollte vielmehr eine gesunde Grundlage dafür schaffen, daß Amerika blieb und weiterhin eine verantwortungsvolle Rolle spielte, indem es sowohl die nicht-kommunistischen Staaten und die Neutralen wie auch Unsere asiatischen Verbündeten dabei unterstützte, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen.“

Den anderen Strang der Strategie bildeten Bemühungen Washingtons, Hanoi von seinen beiden Hauptverbündeten Moskau und Peking zu entfernen und so zu isolieren. Diesem Zweck diente eine zweifach angelegte Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion und der VR China. Darüber hinaus versuchte diese Politik, den sino-sowjetisehen Konflikt für die eigenen Interessen auszubeuten und beide kommunistischen Großmächte zu Zugeständnissen gegenüber Washington zwecks Verhinderung einer amerikanisch-sowjetischen bzw. einer amerikanisch-chinesischen Annäherung zu veranlassen. Auch der Aufstieg Chinas zu einer Atommacht -Peking hatte 1964 erfolgreich die erste Atom-und 1968 die erste Wasserstoffbombe gezündet -dürfte bei der Entscheidung, die Isolierung Chinas zu beenden, eine Rolle gespielt haben.

Auf chinesischer Seite lagen dem Eingehen auf die amerikanischen Avancen ebenfalls mehrere Motive zugrunde: Vor allem erhofften sich Mao Tsetung und Chou En-lai Schutz vor einem militärischen Überfall Moskaus und einer gewaltsamen Wiedereingliederung Chinas in den sowjetischen Machtbereich, aus dem man sich gerade emanzipiert hatte. Nicht zuletzt die Auseinandersetzung am Ussuri sowie Gerüchte über einen sowjetischen Atomschlag gegen die chinesischen Atomversuchszentren hatten solche Befürchtungen genährt. Hinzu kam die Erwartung, durch eine Annäherung an Washington die internationale Isolierung durchbrechen zu können und dadurch’Zugang zu westlicher Hilfe vor allem bei der Sanierung der chinesischen Wirtschaft zu gewinnen. Ob man in Peking zudem einem Scheitern Hanois bei seiner Wiedervereinigungspolitik und einer Vertiefung der Teilung Vietnams positive Seiten abgewann, ist schwer zu beurteilen. Allerdings hatten diesbezügliche Anschuldigungen der vietnamesischen Führung eine gewisse Plausibilität: Ein geteiltes Vietnam schwächte Hanoi und blockierte die beabsichtigte Einigung Indochinas unter vietnamesischer Führung, die eine Schwächung des chinesischen Einflusses in Indochina zur Folge gehabt hätte

Antrieb erhielt die amerikanisch-chinesische Annäherung durch die Entwicklungen in Südostasien in den folgenden Jahren -sie bilden die dritte Veränderung. Dort konnte die Sowjetunion einen doppelten Erfolg verzeichnen: zunächst gegenüber den USA, die sich nach einem politisch wie wirtschaftlich kostspieligen Krieg gegen das massiv von Moskau unterstützte Nordvietnam aus Indochina zurückzogen, mit der Folge, daß bald darauf die prowestlichen Regierungen in Südvietnam, Laos und Kambodscha vor ihren kommunistischen Gegnern kapitulierten; sodann gegenüber China, das mit zunehmender Entfremdung zu Vietnam, das sich durch die amerikanisch-chinesische Annäherung von Peking verraten fühlte, seit 1975 in Indochina ebenfalls an Boden verlor. Dagegen verstärkte sich in Hanoi der Einfluß Moskaus und fand schließlich im sowjetisch-vietnamesischen Freundschaftsvertrag vom November 1978 seinen formellen Ausdruck. Mit der Vertreibung der pro-chinesischen roten Khmer durch vietnamesische Truppen und der Einsetzung einer von Vietnam gestützten und kontrollierten Regierung in Phnom Penh im Dezember 1978 hatte Moskau die strategischen Einbußen, die es in Ost-und Nordostasien hatte hinnehmen müssen, ein wenig kompensiert

Für den Westen, insbesondere für die USA, waren die Auswirkungen der Entwicklungen in Indochina ambivalent: Einerseits brachte die verstärkte strategische Kooperation mit China Entlastung, da sich Peking vor allem durch die Entwicklungen an seiner südlichen Peripherie bedroht fühlte. Nun übernahm China die Hauptlast bei der Eindämmung der sowjetisch-vietnamesischen Expansion mit dem Ziel der Sprengung dieser Allianz Das betraf zum einen Indochina selbst, wo China zunächst durch eine militärische „Strafexpedition“ gegen Vietnam eingriff -vordergründig um den Rückzug der Roten Khmer zu decken und diese militärisch zu entlasten, vor allem aber in der Absicht, sich als regionale Ordnungsmacht zu profilieren. Während der militärische Erfolg dieses Unternehmens begrenzt war und zumindest keinen Abzug der vietnamesischen Interventionstruppen aus Kambodscha herbeiführte, verfehlte der Hauptzweck seine Wirkung nicht: Peking begann die USA, die nach dem Debakel der vergangenen Jahre zu einem direkten militärischen Eingreifen in der Region politisch nicht mehr bereit waren, als Ordnungsmacht abzulösen. In diese Richtung wirkten auch die diplomatischen Bemühungen der chinesischen Führung, den kambodschanischen Widerstand gegen Vietnam zu stärken -militärisch durch die Lieferung von Ausrüstungsgütern und Wirtschaftshilfe, diplomatisch durch die Vermittlung einer „Dreierkoalition“ der anti-vietnamesischen Kräfte unter der nominellen Führung von Prinz Sihanouk.

Das Engagement Pekings legte zum anderen die Basis für den Aufbau einer informellen Sicherheitspartnerschaft mit den ASEAN-Staaten, die die Sorge Chinas über die Expansion Vietnams und die wachsende militärische Präsenz der Sowjetunion in der Region teilten. Der Annäherungsprozeß zwischen der ASEAN-Gruppe und China wurde dadurch erleichtert, daß Peking auch in wichtigen bilateralen Fragen -Unterstützung der kommunistischen Bewegungen in den ASEAN-Ländern, doppelte Staatsbürgerschaft der Auslandschinesen -Entgegenkommen signalisierte und sich zunehmend positiv gegenüber dem ASEAN-Konzept, das diese Gruppe als eine eigenständige regionale Gruppierung verstanden wissen wollte, äußerte Am deutlichsten spiegelten sich die diplomatischen Positionsgewinne Pekings -und die entsprechenden Positionsverluste der USA -in der Politik Thailands, das sich durch die Expansion Vietnams in Kambodscha und die von Hanoi nun offen angestrebte indochinesische Föderation von allen ASEAN-Staaten am stärksten bedroht fühlte.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Bangkok zu einem der wichtigsten Verbündeten der USA in der Region aufgestiegen: Thailand war Mitglied der SEATO, hatte den USA strategisch wichtige Basen eingeräumt und sich sogar mit eigenen Truppen in Vietnam engagiert; als Gegenleistung hatte es zwischen 1950 und 1972 elf Mrd. US-Dollar Militärhilfe erhalten. Angesichts des militärischen Rückzugs der USA aus Indochina und der Tatenlosigkeit, mit der Washington die kommunistische Machtübernahme in Südvietnam, Kambodscha und Laos hinnahm, leitete Bangkok eine außenpolitische Wende ein 2. Der Aufstieg Japans zur wirtschaftlichen Supermacht Die bislang angesprochenen Prozesse veränderten vor allem die Ost-West-und die Ost-Ost-Beziehungen. Eine weitere Entwicklung, die das West-West-Verhältnis in der Region betraf, gewann in den siebziger Jahren an Dynamik. In ihrem Zentrum stand Japan, das sich von seiner Niederlage im Zweiten Weltkrieg erholt hatte und nun im Begriff war, seine ehemals führende Stellung in der Region zumindest auf wirtschaftlichem Gebiet zurückzugewinnen. Seit Mitte der fünfziger Jahre hatte sich die japanische Wirtschaft rapide entwikkelt; in den sechziger Jahren betrugen die durchschnittlichen Zuwachsraten sechs Prozent. Günstige außenwirtschaftliche Rahmenbedingungen hatten daran ebenso Anteil wie eine starke Binnennachfrage, gute strukturelle Ausgangsbedingungen, eine voraussehende Industriepolitik des Staates, ein hohes Arbeitsethos und eine hohe Sparquote der japanischen Bevölkerung. Letztere trug wesentlich dazu bei, der japanischen Wirtschaft das notwendige Kapital für die Investitionen zuzuführen

Zwei Ereignisse zu Beginn der siebziger Jahre bremsten den Höhenflug der japanischen Wirtschaft ein wenig: die Ersetzung des bisherigen Systems fester Wechselkurse durch flexible Wechselkurse im Jahre 1971 sowie die Vervierfachung der Erdölpreise durch die OPEC im Jahre 1973. So-wohl die mit ersterem verbundene Verteuerung des Yen wie auch die durch die Ölkrise rapide gestiegenen Energiekosten beeinträchtigten kurzfristig die Konkurrenzfähigkeit der japanischen Wirtschaft. Eine restriktive Einkommenspolitik sowie ein schneller Umstieg auf energiesparende Industrien führten jedoch zu einer raschen Anpassung an die veränderten Rahmenbedingungen und somit zu einer Überwindung der Krise. Wachsende Produktivität der Wirtschaft, ein hohes Qualitätsniveau der erzeugten Produkte, ständige Produktinnovationen und aggressive Marktstrategien trugen dazu bei, daß die japanischen Exporte schnell wieder anstiegen

Im Gegensatz dazu erfuhr die bisherige Vormachtstellung der USA wegen der hohen Belastungen durch den Indochinakrieg, Wirtschaftsund Militärhilfe an verbündete Staaten und die Energiekrise schwere Rückschläge. Während infolge der klugen Strukturanpassungspolitik die zweite Energiekrise 1979/80 auf die japanische Wirtschaft nur wenig Auswirkungen hatte und der Anteil Japans am Welthandel auch in den achtziger Jahren kontinuierlich anstieg, traf die Krise die amerikanische Wirtschaft mit voller Härte. Sie führte zu einer Rezession und zu einer weiteren Zunahme der Handelsbilanzdefizite. Die von Präsident Reagan befürwortete Wirtschaftspolitik, die auf der Theorie der „supply-side-economics“ aufbaute, bescherte der amerikanischen Wirtschaft zwar vorübergehend einen Aufschwung, trug aber nicht dazu bei, die Probleme des amerikanischen Wirtschafts-und Gesellschaftssystems durch eine konzentrierte Sozial-oder allgemeine Binnenwirtschaftspolitik entgegenzuwirken. Die Haushalts-und Währungspolitik, die außenpolitischen Vorgaben und rüstungspolitischen Projekten untergeordnet war, beschleunigte gleichzeitig das Wachstum des sogenannten „twin dificit“ -sowohl die Haushalts-als auch die Handels-und Zahlungsbilanz blieben defizitär.

Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die amerikanische Hegemonialstellung im asiatisch-pazifischen Raum waren ambivalent: Einerseits stärkte der Aufstieg Japans als wichtigster Verbündeter der USA die Position des Westens in der Region gegenüber den kommunistischen Staaten. Andererseits geriet das expandierende Japan nun zunehmend in wirtschaftliche Rivalität zu den USA. Aus einer Position der wirtschaftlichen Konkurrenz in einigen wichtigen Wirtschaftszweigen entwickelte sich die japanische Volkswirtschaft seit Mitte der siebziger Jahre zu einer auf immer mehr Wirtschaftsbereiche übergreifenden Konkurrenz für die USA, deren Marktanteile in der asiatisch-pazifischen Region deutlich zurückgingen. Ein Echo fand diese Entwicklung auch in einer umfassenden inneramerikanischen Diskussion, in der führende Wissenschaftler den Niedergang der USA als Weltmacht diagnostizierten und den Vereinigten Staaten ein Schicksal prognostizierten, wie es andere Großreiche zuvor erlitten hatten. Obwohl sich die Vertreter der „School of Decline“ in ihrer Analyse nicht direkt auf die Entwicklungen im pazifischen Bereich bezogen, betrachteten sie diese doch als ein wichtiges Symptom des allgemeinen amerikanischen Niedergangs.

Parallel zur expansiven Exportpolitik und der -seit den sechziger Jahren flankierenden -Entwicklungshilfe intensivierte Japan seine Auslandsinvestitionen. Betrugen die japanischen Direktinvestitionen im Jahre 1975 noch 16 Mrd. US-Dollar, so waren sie zehn Jahre später schon bei über 80 Mrd. US-Dollar angelangt, um bis 1990 auf 310 Mrd. US-Dollar weiter anzusteigen. Anfang der achtziger Jahre war Japan zum größten Kapitalexporteur der Welt geworden. Davon entfielen 47 519 Mio. US-Dollar auf Länder in Asien. Der gleiche Trend zeichnete sich auch bei der bilateralen Entwicklungshilfe ab, die von nur 1424 Mio. US-Dollar im Jahre 1977 Ende der achtziger Jahre die 10 Mrd. -US-Dollar-Marke überschritten hatte; auch hier betrug der auf Asien entfallende Anteil mehr als zwei Drittel.

Die wirtschaftliche Expansion Japans beschränkte sich aber nicht auf die Länder im westlichen Bereich des Pazifiks, sondern betraf -ablesbar an wachsenden Überschüssen im amerikanisch-japanischen Handel sowie zunehmenden japanischen Investitionen auf Hawaii und in den westlichen Bundesstaaten -die USA selbst. Auch hier war die Reaktion gespalten. Während einerseits der Zufluß japanischen Kapitals zur Deckung der durch die Reagan-Administration verursachten Haushalts-und Leistungsbilanzdefizite hochwillkommen war, induzierte das wachsende japanische Übergewicht in den USA andererseits starke antijapanische Ressentiments. Der Chor jener begann zu wachsen, die in Japan weniger den wichtigsten Verbündeten in Asien sahen als vielmehr den gefährlichsten Rivalen.

Nicht minder ambivalent für die Stellung der USA erwies sich der wirtschaftliche Aufstieg der soge-nannten „vier kleinen Tiger“ -Taiwan, Hongkong, Südkorea und Singapur -, die erfolgreich das japanische Beispiel kopiert und ebenfalls schlagkräftige Exportindustrien aufgebaut hatten. Während einerseits mit ihnen wirtschaftlich und politisch stabile, mit den USA in vieler Hinsicht freundschaftlich verbundene Staaten entstanden, entwickelten sie sich andererseits in zahlreichen Bereichen ebenfalls zu ernsthaften Konkurrenten der amerikanischen Wirtschaft.

Insgesamt gesehen hatte infolge der skizzierten Entwicklungen das wirtschaftliche Gewicht der asiatisch-pazifischen Region in der Welt seit den sechziger Jahren ständig zugenommen: Von nur 5, 5 Prozent am Welt-Bruttosozialprodukt stieg der Anteil der Region bis 1980 auf 16 Prozent, um 1990 schließlich 23, 1 Prozent zu erreichen.

Zu Beginn der achtziger Jahre hatte sich somit die ursprüngliche bipolare Macht-und Konfliktstruktur in der Region signifikant verändert: Parallel zur Erosion der amerikanischen Hegemonialstellung war es zum Aufstieg zweier regionaler Mächte gekommen, die sich mit den USA die Aufgabe der Eindämmung des sowjetischen Einflusses teilten: Während Japan wesentlich zur wirtschaftlichen Stabilisierung und Dynamisierung der Region beitrug, sicherte die VR China durch militärische und politische Hilfe die Länder Südostasiens gegen den wachsenden Einfluß der Sowjetunion und Vietnams in der Region ab. An die Stelle der einstigen bipolaren Machtstruktur war ein „strategisches Viereck“ getreten, in dem Washington, Tokio und Peking durch eine informelle Allianz gegen Moskau miteinander verbunden waren. Wichtige Voraussetzungen dafür waren durch den chinesisch-japanischen Friedens-und Freundschaftsvertrag vom August 1978 und die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen Washington und Peking Anfang 1979 geschaffen worden. 3. Außenpolitische Auswirkungen der Reformpolitik der Sowjetunion und Chinas Tendenzen zu einer weiteren Auflösung der regionalen Konfliktstruktur -und gleichzeitig zu einer grundlegenden Veränderung der strategischen Lage -setzten Ende der siebziger Jahre ein und bestimmten sehr wesentlich die Entwicklung des ganzen folgenden Jahrzehnts. Ursache war eine tiefgreifende Veränderung der Politik der beiden kommunistischen Großmächte Sowjetunion und VR China mit dem Ziel, grundlegende wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturdefizite zu korrigieren.

Es war zunächst die chinesische Führung, die bald nach dem Tode Mao Tse-tungs und der Entmachtung des maoistischen Parteiflügels die Weichen für eine Reformpolitik stellte Der Schwerpunkt dieser unter dem Begriff „Vier Modernisierungen“ stehenden Politik lag auf der Reform der Wirtschaft Chinas. Durch eine Zurücknahme planwirtschaftlicher Elemente, die vorsichtige Liberalisierung einzelner Wirtschaftsbereiche und eine weitere Öffnung zum Westen sollte die von den Macht-und Linienkämpfen der vergangenen Jahrzehnte ruinierte Wirtschaft grundlegend saniert werden. Um eine Konzentration der knappen Ressourcen auf diese Aufgabe zu ermöglichen und gleichzeitig neue Mittel zu mobilisieren, erhielt die chinesische Außenpolitik den Auftrag, für ein friedliches und kooperatives Umfeld Sorge zu tragen. Die notwendige Glaubwürdigkeit sollte ein Wechsel der außenpolitischen Prinzipien verschaffen. Zu diesem Zweck wurden die Prinzipien der „Weltrevolution“ und des „proletarischen Internationalismus“, die in der Vergangenheit die Außenpolitik und die politische Rhetorik Chinas bestimmt hatten, durch die Prinzipien der „friedlichen Koexistenz“ ersetzt.

Zentrale Komponente der außenpolitischen Kurs-korrektur Pekings war eine Entspannung der Beziehungen zur Sowjetunion, die sowohl Ressourcen für die Modernisierungspolitik freisetzen wie auch die Position Pekings im „strategischen Dreieck“ mit Moskau und Washington verbessern sollte „Unabhängigkeit“ wurde deshalb ein weiteres wichtiges Prinzip der neuen Außenpolitik. Als Preis für die auch von Moskau gewünschte Normalisierung forderte Peking die Beseitigung jener „drei Hindernisse“, in denen sich nach chinesischer Auffassung eine aggressive Haltung Moskaus gegenüber China zeigte: den Abbau der starken sowjetischen militärischen Präsenz an der sinosowjetischen und an der mongolisch-chinesischen Grenze; den Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan und schließlich die Absage an die Expansionspolitik Vietnams in Kambodscha. Im Ergebnis bedeutete die Erfüllung dieser Forderung die Beendigung der sowjetischen Einkreisung Chinas.

Es war eine für China glückliche Koinzidenz, daß im März 1985 mit Michail Gorbatschow auch in der Sowjetunion ein Politiker an die Hebel der Macht gelangte, der die schweren Strukturprobleme, die die Sowjetunion lähmten, nicht nur erkannte, sondern der sich -ähnlich wie sechs Jahre zuvor Teng Hsiao-ping -daran machte, die wirtschaftlich und technisch gegenüber der westlichen Welt immer stärker zurückfallende und damit in ihrem politischen und militärischen Status als „Supermacht“ gefährdete Sowjetunion durch einen grundlegenden „Umbau“ des sozialistischen Systems zu sanieren. Auch hier sollte den nötigen Spielraum ein „neues Denken“ in der Außenpolitik schaffen. Im atlantischen wie auch im asiatisch-pazifischen Bereich ergriff Gorbatschow die Initiative. In beiden Regionen setzte der angestrebte Aufbau kooperativer Beziehungen sowie die Mobilisierung von Wirtschaftshilfe glaubwürdige Korrekturen der Expansionspolitik der Breschnew-Ära voraus. In der asiatisch-pazifischen Region war von Gorbatschow dreierlei gefordert: 1. Konstruktive Schritte zur Lösung jener regionalen Konflikte, in die die Sowjetunion direkt oder indirekt verwickelt war; 2. Abbau der militärischen Präsenz sowie eine Verringerung des Bedrohungspotentials in der Region; 3. Initiativen zum Aufbau kooperativer, bilateraler und multilateraler Beziehungen zu den Staaten der Region

Insgesamt ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die Liquidierung des Ost-West-Konflikts auch an der asiatischen Peripherie sowie um die Beendigung des sino-sowjetischen Konfliktes.

Die positiven Folgen dieser Politik bahnten schnell den Weg für eine Entspannung mit einer Reihe von Staaten der Region. Wie in Europa, so stellte damit auch in der asiatisch-pazifischen Region das Jahr 1989 eine Zäsur dar -hier allerdings nicht in Form von friedlichen Revolutionen und System-wechseln, sondern durch die formelle Beilegung einer Reihe langjähriger Konflikte. So kam es im Februar 1989 anläßlich der Begräbnisfeierlichkeiten des japanischen Kaisers Hirohito zur Einigung über die Wiederaufnahme der seit 1967 suspendierten diplomatischen Beziehungen zwischen Indonesien und China, im Mai zum Pekinger Gipfel und damit zur Normalisierung der sino-sowjetisehen Beziehungen und im September schließlich zum Abzug des vietnamesischen Expeditionskorps aus dem benachbarten Kambodscha. Den Höhepunkt bildete Anfang Dezember der Malta-Gipfel, auf dem Präsident Bush und Michail Gorbatschow das Ende des Kalten Krieges verkündeten -ein Ereignis, das auch für die asiatisch-pazifische Region von großer Bedeutung war.

III. Perspektiven in einer Periode des Übergangs

Der Zustand von Ruhe und Harmonie, der mit den Veränderungen und Aussöhnungen von 1989 in der asiatisch-pazifischen Region eingetreten war, war jedoch keineswegs gleichbedeutend mit Stillstand und Stabilität. Unruhe und Instabilität gingen zunächst vor allem von jener Reformpolitik der beiden kommunistischen Großmächte aus, die in den achtziger Jahren wesentlich zur Befriedung der Region beigetragen hatte. Denn weder in der Sowjetunion noch in der VR China vollzog sich der Reformprozeß so problem-und reibungslos, wie es sich seine Initiatoren erhofft hatten. In beiden Staaten kam es vielmehr zu schweren Erschütterungen, die bis heute anhalten und über deren Auswirkungen und Ausgang noch nichts Endgültiges ausgesagt werden kann. 1. Sowjetunion Das galt und gilt zunächst und vor allem für die Sowjetunion, in der die Politik des „Umbaus“ Anfang der neunziger Jahre endgültig scheiterte. Nachdem es zuvor schon zu einer schweren Erschütterung des politischen Systems und seiner ideologischen Grundlagen gekommen war -die in der Aufgabe des Gewaltmonopols der KPdSU ihren symbolischen Ausdruck fand -, zerfiel nach Streichung der Breschnew-Doktrin und der Beseitigung der „drei Hindernisse“ in kurzer Zeit das sowjetische Imperium sowohl in Mittel-und Osteuropa als auch in Asien. Den Höhepunkt dieses äußeren und inneren Desintegrationsprozesses bildeten schließlich der Rücktritt Gorbatschows, das Verbot der KPdSU und die formelle Auflösung der Sowjetunion.

Wie in Europa, so hatte das Ende der zweiten „Supermacht“ auch im asiatisch-pazifischen Bereich erhebliche direkte und indirekte Auswirkungen. So ist das militärische Potential der einstigen Sowjetunion im Pazifik zwar auch weiterhin präsent und intakt, doch hat aufgrund des politischen Um-bruchs die Bedrohung, die früher davon ausging, signifikant nachgelassen. Das ist von erheblicher Bedeutung zum eine für jene Länder, die sich -wie China, Japan und die USA -früher von der Sowjetunion bedroht sahen und deren strategische Kooperation nicht zuletzt eine Folge dieser Bedrohung war; es betrifft aber noch unmittelbarer die ehemaligen Verbündeten Moskaus -die Äußere Mongolei, Nordkorea und Vietnam -, die sich nun in ihrer Politik neu orientieren müssen. Destabilisierende Auswirkungen von derzeit noch nicht abschätzbarer Tragweite hat der Zerfall der Sowjetunion in Zentralasien, wo in den nun unabhängig gewordenen Republiken der ehemaligen Sowjetunion nicht nur ethnische Gegensätze aufbrechen, sondern wo sich -unterstützt vom Iran und der Türkei -auch nationalistische, panislamische und pantürkische Bewegungen auf dem Vormarsch befinden Mit dem Fall des kommunistischen Regimes in Afghanistan dürften sowohl der expansive Druck des islamischen Fundamentalismus als auch die ethnischen Rivalitäten in der Region weiter zunehmen und immer stärker auf die von islamischen Völkern besiedelten Gebiete in Westchina übergreifen. 2. China Dabei stellt die Unruhe unter den moslemischen Minoritäten in Xinjiang, aber auch in der Inneren Mongolei und in Tibet so lange kein die territoriale Einheit Chinas bedrohendes Problem dar, wie die Führung in Peking geeint ist und ihre Politik von der Mehrheit der Bevölkerung getragen wird. Daß dies nur bedingt der Fall ist, daß vielmehr auch in China der wirtschaftliche und politische Umbau auf schwierige Probleme gestoßen ist, zeigten die Ereignisse im Juni 1989 und die bis heute andauernden Linienkämpfe zwischen Konservativen und Reformern, die auf dem für den Herbst 1992 angesetzten 14. Parteitag einem neuen Höhepunkt zu-treiben. Obwohl die internen und externen Rahmenbedingungen der chinesischen Reformpolitik erheblich günstiger sind als die der früheren Sowjetunion, sind auch hier Konstellationen vorstellbar, die zu einem Scheitern führen könnten. Ein Teil der chinesischen Führung ist sich dieser Bedrohung bewußt, wie die jüngsten Äußerungen Teng Hsiao-pings zeigten. Die im Falle eines Scheiterns eintretenden Destabilisierungen wären für Asien noch gravierender als die Folgen des Zerfalls der Sowjetunion für Europa. Gelingt es dagegen der Pekinger Führung, durch einen tragfähigen Kompromiß eine Verschärfung der Machtkämpfe zu vermeiden und zugleich den Reformprozeß zu vertiefen, so dürfte das politische und militärische Gewicht Chinas in der Region weiter zunehmen.

Unabhängig davon stellen sich für Peking außen-politisch derzeit drei Aufgaben: Erstens geht es darum, die kleineren sozialistischen Staaten Asiens stärker an China zu binden, was durch das Ende der Sowjetunion und den Zerfall der sozialistischen Regime in Europa leichter geworden ist. Die Erfolge auf diesem Wege sind bereits unübersehbar. Wie der erfolgreiche Abschluß der Pariser Kambodscha-Friedenskonferenz im Oktober 1991, vor allem aber der sich daran anschließende Peking-Besuch des Generalsekretärs der KP Vietnams Do Muoi und des vietnamesischen Premiers Vo Van Kiet im November 1991 dokumentierten, ist inzwischen nicht nur die Normalisierung des Verhältnisses zu Vietnam gelungen. Auch die Beziehungen zu Nordkorea, dem anderen sozialistischen Vorposten in Asien, sind stabil, wie der Besuch von Präsident Kim Il-sung im Oktober 1991 in Peking bewies. So unterstützt die chinesische Führung auch die Formel des nordkoreanischen Präsidenten, Korea auf der Grundlage „Eine Nation, ein Staat, zwei Systeme und zwei Regierungen“ in einer Form von Föderation wiederzuvereinigen. Diese Formel kommt Peking durchaus gelegen: Sie bewahrt den Status quo auf der koreanischen Halbinsel, sichert das sozialistische Regime im Norden und läßt sich zudem mit guten Beziehungen zu Seoul vereinbaren. Vor allem aber bringt es China in eine Position, in der es die beiden koreanischen Staaten gegeneinander ausspielen kann

Komplizierter ist die zweite Aufgabe -der weitere Ausbau der Beziehungen zu den nichtkommunistischen Ländern der Region, insbesondere zu den ASEAN-Staaten. Ursache dafür sind zum einen der Fortfall der sowjetischen und der vietnamesischen Bedrohung, wodurch der Wert Chinas als Schutzmacht gesunken ist, zum anderen die noch ungelösten territorialen Probleme im Südchinesischen Meer und der zügige Ausbau der chinesischen Marine Während die chinesische Führung bislang wenig tat, um der Sorge vor einer Dominanz Chinas durch den Aufbau kooperativer Sicherheitsstrukturen rechtzeitig entgegenzuwirken, signalisierten Reisen chinesischer Spitzenpolitiker in die ASEAN-Staaten das Bemühen um eine Vertiefung des guten Verhältnisses zu der Gemeinschaft.

Die Beziehungen zu Tokio stellen denn auch für die chinesische Diplomatie die dritte und komplizierteste Aufgabe dar. In Einklang sind vornehmlich zwei miteinander im Widerspruch stehende Aufgaben zu bringen: Einerseits muß Peking dafür sorgen, daß das wirtschaftliche Engagement Japans in China anhält; als größter Investor und Handelspartner, aber auch als wichtiger Geber von Entwicklungshilfe ist Japan für den Erfolg der „Modernisierungspolitik“ von vitaler Bedeutung. Andererseits muß die chinesische Führung sorgfältig darauf achten, daß China durch ein politisch aktives und militärisch erstarktes Japan nicht zur Seite gedrängt wird. Eine solche Gefahr erwächst aus der immer deutlicher werdenden Tendenz Tokios, sich nicht mehr nur mit wirtschaftlicher Dominanz zu begnügen, sondern -regional wie international -auch politisch eine größere Rolle anzustreben. Sie ergibt sich aber auch aufgrund des Rückgangs der strategischen Bedeutung Chinas. Ein strategischer Gewichtsverlust hatte sich schon beim Ende des Kalten Krieges abgezeichnet; er hat sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fortgesetzt, und er könnte sich im Falle eines Zerfalls Rußlands noch weiter vertiefen. Ein von der sowjetischen Bedrohung endgültig befreites Japan könnte dann versucht sein, parallel zu seiner wirtschaftlichen Expansion in Südostasien, sein Gewicht nun auch stärker in Richtung auf die Mongolei und eine unabhängig gewordene Sibirische Republik zu verlagern.

Peking reagiert auf diese Situation mit einer Doppelstrategie: Es bemüht sich einerseits, mit einer Form von Umarmungstaktik Japan zu einer weiteren Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu veranlassen -wobei derzeit noch die Frage privater Wiedergutmachungsforderungen an Japan hochgespielt wird. Und es versucht andererseits, durch Erinnerung an den japanischen Militarismus den regionalen Widerstand gegen eine Aufrüstung Japans zu mobilisieren und diese damit einzudämmen sowie gleichzeitig durch eine Modernisierung der eigenen Armee Gegengewichte zu schaffen

Die Unübersichtlichkeit der zukünftigen Entwicklung in der Region ergibt sich nicht nur aus der ungewissen Zukunft des Umbaus und des Um-bruchs in den GUS-Staaten und der VR China. Auch die beiden westlichen Großmächte in der Region -Japan und die USA -befinden sich in einer Phase der strategischen Neuorientierung, über deren Richtung und Verlauf derzeit allerdings noch sehr wenig ausgesagt werden kann. 3. Japan Das gilt insbesondere für Japan, das sich unübersehbar -in der Region und in der Welt -eine neue Rolle sucht, die sowohl seinem wirtschaftlichen Gewicht angemessen ist, als auch der veränderten strategischen Lage nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, der Beendigung der sowjetischen Bedrohung und der Erosion der amerikanischen Position gerecht wird. Angesichts des Mißtrauens der Nachbarn gegen ein stärkeres militärisches und politisches Profil des Inselstaates -aber auch beträchtlicher Vorbehalte in Japan selbst -ist die Beschaffenheit dieser neuen Rolle nur schwer bestimmbar. Unbestritten ist lediglich, daß sich auch die neue Rolle -unbeschadet der erheblichen Friktionen im Verhältnis zu Washington im wirtschaftlichen Bereich -in absehbarer Zukunft im Rahmen des amerikanisch-japanischen Bündnisses gestalten muß. Nur durch eine solche Einbindung Japans können die Besorgnisse der asiatischen Nachbarn gemildert werden. Japan befindet sich damit in Asien, wie das vereinigte Deutschland in Europa, noch immer tief im Schatten seiner Vergangenheit. Allerdings wurde zu Recht bemerkt, daß der amerikanisch-japanische Sicherheitsvertrag im letzten Jahrzehnt seinen Charakter verändert hat, daß sich nämlich die „Patronage-KlientelBeziehung“ aus den Zeiten der kommunistischen Bedrohung deutlich zu einem „Bündnis zwischen Gleichen“ entwickelt, die sich ausgewogen Pflichten (Wirtschaftshilfe) und zwangsläufig auch Rechte (Entscheidungen in sicherheitspolitischen Fragen) teilen Es liegt allerdings in der Natur eines solchen neuen Bündnisses, daß es darauf Rücksicht nehmen muß, daß sich der politische Bewegungsspielraum Japans ausgeweitet hat.

Diese gewachsene Eigenständigkeit Japans zeigte sich deutlich im Umgang mit China nach dem Juni 1989, beim Militärputsch in Thailand im Februar 1991 und im Hinblick auf Vietnam. Vorausgesetzt, die Regierung in Tokio agiert geschickt, so könnte Japan immer stärker in eine Mittler-Position zwischen den kleineren Staaten Asiens und den USA hineinwachsen, wobei allerdings die Zeit für eine Unterstützung der japanischen Ambitionen, ständiges Mitglied des Sicherheitsrates zu werden, noch nicht reif ist. Gegen eine solche Aufwertung dürfte sich insbesondere Peking sperren, dessen eigene politische Rolle in Asien dadurch geschmälert würde. Andererseits muß aber auch die chinesische Führung, will sie nicht ihren Kredit in Tokio aufs Spiel setzen, Japan eine größere Rolle in der Region zugestehen -vor allem wenn Japan sie für eine Position der Befriedung und Stabilisierung nutzt. Eine solche Position hat die japanische Führung sehr erfolgreich bei der Vermittlung einer friedlichen Lösung in Kambodscha gespielt, und auch die angekündigte Bereitschaft, sich intensiv beim Wiederaufbau Kambodschas zu engagieren, weist in diese Richtung. Nicht kontrovers war auch das Bestreben Tokios, Hanois Zustimmung für eine politische Lösung in Kambodscha zu gewinnen und darüber hinaus die vietnamesische Führung zu einer konstruktiven Haltung in der Region zu bewegen. Das Bemühen Japans um Hanoi ist insofern wichtig, als Vietnam -ungeachtet der sich seit November 1991 vollziehenden Normalisierung zu China -nach Wegen suchen wird, einer Integration in eine chinesische Hegemonialordnung zu entgehen. Behilflich können ihm hierbei, nach Fortfall der sowjetischen Rückendeckung, vor allem Japan und die USA sein.

Keinen Widerstand dürfte schließlich das Bemühen Tokios um eine engere Sicherheitspartnerschaft mit den ASEAN-Staaten auslösen; deren Stabilität ist für Japan und die USA gleichermaßen von vitaler Bedeutung. Das gilt für Initiativen zur wirtschaftlichen Stabilisierung der ASEAN-Staaten -wie dies im Fall des „Mini-Marshall-Plans“ für die Philippinen geschehen ist es gilt aber auch für technische Hilfe an ASEAN-Staaten beim Aufbau ihrer Sicherheitsstrukturen Ein weiteres Beispiel für die zunehmend politische Bedeutung Japans ist seine Politik gegenüber dem Regime in Nordkorea, das es aus seiner Isolierung zu lösen und ebenfalls für eine verantwortliche und berechenbare Politik zu gewinnen versucht. 4. Usa Auf der Suche nach einer neuen Rolle in der Region befindet sich auch Washington. Denn die Rolle der unangefochtenen Hegemonialmacht, die die USA nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges über mehrere Jahrzehnte -erfolgreich -spielten, ist inzwischen weitgehend obsolet geworden und muß umgeschrieben werden. Das gilt für den wirtschaftlichen Part, wo mit dem Aufstieg Japans und der „vier kleinen Drachen“ wirtschaftlich starke und stabile Gesellschaften entstanden sind, die einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Region übernommen haben. Es gilt noch mehr für den militärischen Part, wo sich nach dem Untergang der Sowjetunion und der Aufgabe des Ziels der Weltrevolution durch die VR China die kommunistische Bedrohung weitgehend aufgelöst hat. Bezeichnenderweise sind große Teile des Anfang der fünfziger Jahre kunstvoll errichteten bi-und multilateralen Bündnissystems, das die Containmentpolitik gegen das Vordringen des Kommunismus militärisch begleitete, schon in den beiden vergangenen Jahrzehnten zusammengebrochen; andere, wie der amerikanisch-japanische Sicherheitsvertrag und das Verteidigungsabkommen mit Südkorea haben viel von ihrer ursprünglichen Funktion verloren und müssen neu überdacht und den Entwicklungen angepaßt werden.

Eine grundlegende Neukonzeption der amerikanischen Asien-und Pazifikpolitik, die der veränderten Situation in der Welt und insbesondere der Region Rechnung trägt, wurde in den vergangenen Jahren wiederholt angemahnt, ist bislang aber noch nicht in Sicht. Während sich ein Abbau und eine Umstrukturierung der militärischen Präsenz im westlichen Pazifik empfehlen, spricht gegen einen vollständigen Rückzug der USA die Befürchtung, daß das dadurch entstehende militärische Vakuum die regionalen Mächte veranlassen könnte, nun selbst für ihre Sicherheit zu sorgen;

eine verstärkte Aufrüstung und eine noch größere Beschleunigung des ohnehin schon feststellbaren Rüstungswettlaufs wären die absehbaren Folgen.

Das wird auch von den meisten Regierungen in der Region so gesehen -auch von der in Peking, die sich deshalb für eine schrittweise, insgesamt aber eher langsame Reduzierung der amerikanischen Truppen ausspricht. Für sie alle sind die USA als Garant ihrer Sicherheit und eines regionalen Gleichgewichts unverzichtbar, zumal es bislang -abgesehen von der ASEAN -keine multilaterale Organisation gibt, die -vergleichbar der KSZE in Europa -den Rahmen für Rüstungskontrollen abgibt oder aber bei Streitfällen vermittelnd tätig werden könnte. Und da bei den meisten Regierungen -wie ihre Reaktionen auf den wiederholt von Gorbatschow in die Diskussion geworfenen Vorschlag zur Bildung eines kollektiven Rüstungssystems zeigten -wenig Neigung zur Schaffung solcher Strukturen kollektiver Rüstung besteht, dürfte die Pax Americana auch für den Rest dieses Jahrhunderts nicht strittig sein -zumal derzeit keine andere Macht in der Region in Sicht ist, die in der Lage wäre, die Rolle eines Herausforderers oder gar neuen Hegemons zu übernehmen. Das gilt für Rußland und China, die selbst bei erfolgreicher Durchführung ihrer Reformpolitik auf absehbare Zeit weder wirtschaftlich noch militärisch die Kraft haben werden, eine solche Führungsrolle zu übernehmen. Es gilt letztlich aber auch für jene Macht, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke immer wieder als hegemonialer Hauptrivale der USA angeführt wird und sich gelegentlich selbst in dieser Rolle zu sehen scheint: Japan. Angesichts der Begrenztheit des japanischen Territoriums, der Knappheit an Rohstoffen, der militärischen Verwundbarkeit und der Abhängigkeit von auswärtigen Märkten fehlen Japan wesentliche Voraussetzungen für eine solche Rolle. Hinzu kommt, daß Japans politischer und militärischer Spielraum aufgrund seiner militärischen Vergangenheit stark eingeengt ist und daß sich gegen eine drohende japanische Übermacht schnell Koalitionen der andeB ren Staaten in der Region bilden würden, gegen die sich Tokio kaum durchsetzen könnte. Wenn die amerikanische Hegemonialstellung auch in der nächsten Zukunft bestehen bleibt, so hat sich doch im Vergleich zur Vergangenheit eines geändert: Die Stellung der USA beruht heute weniger auf der eigenen Macht und Stärke als auf der relativen Schwäche und Verwundbarkeit ihrer potentiellen Rivalen. Beides kann sich ändern; die amerikanische Macht kann, kommt es nicht zu grundlegenden Reformen, weiter erodieren, und die Stärke der Rivalen kann allmählich zunehmen. Damit würde die derzeitige Phase relativer Ruhe zu Ende gehen und die asiatisch-pazifische Region würde erneut in eine Ära der Spannungen und der offenen Rivalität eintreten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Richard Nixon, Memoirs, New York 1978, S. 395.

  2. Vgl. Weißbuch. Die Wahrheit über die vietnamesischchinesischen Beziehungen in den letzten 30 Jahren, Außenministerium der sozialistischen Republik Vietnam, Hanoi 1979.

  3. Vgl. Gerhard Will, Vietnam 1975-1979: Von Krieg zu Krieg, Hamburg 1987.

  4. Vgl. Peter J. Opitz, Die chinesische Indochinapolitik seit 1975, unter besonderer Berücksichtigung des Indochina-Konflikts, in: Ders. (Hrsg.), Frieden für Kambodscha? Entwicklungen im Indochina-Konflikt seit 1975, Frankfurt/M. u. a. 1991, S. 148-191; Renate Strassner, Der Kambodscha-Konflikt von 1986-1990 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle Vietnams, Münster -Hamburg 1991.

  5. Vgl. Khaw Guat Hoon, An Analysis of Chinas’ Attitudes toward ASEAN, 1967-1976, (Institute of Southeast Asian Studies, Singapore), September 1977.

  6. Vgl. Edith Schipper, Spannungsfeld Südostasien. Die Konstellation der Beziehungen zwischen der Volksrepublik China, Kambodscha und Thailand in den Jahren 1975-1982, Frankfurt/M. u. a. 1986.

  7. Vgl. Wolfgang Klenner, Grundzüge der wirtschaftlichen Entwicklung und der Wirtschaftspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Ulrich Menzel (Hrsg.), Im Schatten des Siegers: Japan, Bd. 3, Frankfurt/M. 1989; Kirie Okimoto, The Political Economy of Japan, Vol. 1 und 2, Stanford 1988.

  8. Vgl. Ronald Dore, Flexible Rigidities, Industrial Policy and Structural Adjustment in the Japanese Economy 1970-1980, London 1986.

  9. Vgl. Peter J. Opitz, Gezeitenwechsel in China. Die Modernisierung der chinesischen Außenpolitik, Osnabrück 1991.

  10. Vgl. Gerald Segal, China and the Great Power Triangle, in: The China Quarterly, 83 (1980), S. 490ff.; Dieter Heinzig, Die Volksrepublik China zwischen den Supermächten 1949-1985. Die Genese eines strategischen Dreiecks, in: Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BlOst), 49/1985.

  11. Vgl. Rajan Menon, New Thinking and Northeast Asian Security, in: Problems of Communism, March/June 1989, S. 1-29.

  12. Vgl. Gulnar Kendirbaeva, Islam und Politik in den orientalischen Staaten des GUS, in: Berichte des Bundesintitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BlOst), 17/1992.

  13. Vgl. Park Dobok, Beijing’s Attitüde towards the Question of Korean Unification, in: East Asian Review, IV (1992) 1, S. 36-44.

  14. Vgl. You Ji/You Xu, In Search of Blue Water Power: The PLA Navy’s Maritime Strategies in the 1990s, in: The Pacific Review, (1991) 4, S. 137-149.

  15. Vgl. Li Deshun, Globales Machtgefüge im Übergang, in: Beijing Rundschau, 47/1991, S. 7-9.

  16. Vgl. Manfred Pohl, Japan als regionale Großmacht. Die ASEAN-Reise Kaifu Toshikas, in: Südostasien Aktuell, Juli 1991, S. 327.

  17. Vgl. Sueo Sudo, Japan and the Security of Southeast Asia, in: The Pacific Review, (1991) 4, S. 333-344.

Weitere Inhalte

Peter J. Opitz, Dr. phil., geb. 1937; Studium der Politischen Wissenschaft, Sinologie und Philosophie; seit 1977 Professor für Politische Wissenschaft am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München. Veröffentlichungen u. a.: Weltprobleme -Herausforderungen an der Schwelle zum Dritten Jahrtausend, München 1990; Frieden für Kambodscha?, Frankfurt/M. 1991; Gezeitenwechsel in China. Die Modernisierung der chinesischen Außenpolitik, Hannover 1991.