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Von den besten Nichtregierungsorganisationen im Süden lernen | APuZ 43/1997 | bpb.de

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APuZ 43/1997 Legitimität und Kompatibilität in der entwicklungspolitischen Praxis Demokratischer und besser?. Der Beitrag von Nichtregierungsorganisationen zur Demokratisierung internationaler Politik und zur Lösung globaler Probleme Nichtregierungsorganisationen und ihre Legitimität Internationale Demokratisierungshilfe Von den besten Nichtregierungsorganisationen im Süden lernen

Von den besten Nichtregierungsorganisationen im Süden lernen

Peter Moßmann

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Sind Nichtregierungsorganisationen (NROs) die Retter der Demokratie? Wer wie NROs dem schwachen Staat im Süden Mittel streitig macht und ihm zustehende Aufgaben übernimmt, schwächt den Staat und kann dadurch der Demokratie schaden. Der Staat muß selbst effektiv genug sein, um Kontrolle auszuüben und demjenigen Schutz zu gewähren, der des Schutzes bedarf. Der demokratische Staat ist in seinem Tun und in seiner Mittelverwendung öffentlich kontrollierbar. Dies gilt nicht in gleichem Maße für NROs. Vor allem mit Spenden können sie relativ flexibel umgehen. Um welche NRO-Typen es sich handelt, wessen Interessen sie wirklich vertreten, verrät erst der Einzelfall. Trotz der Kritik am zwielichtigen Verhalten vieler NROs kann der Norden viel von den besten im Süden lernen. Mit ihnen ist Partnerschaft vorteilhaft. Wo der Staat noch nicht präsent ist, können NROs die Initiative, z. B. für eine Regional-und Stadtentwicklung, ergreifen (Zaire). In Kolumbien gründete die „Soziale Stiftung“ schon vor Jahrzehnten eine Sparkasse für Arme und 13 weitere Unternehmen, wie Leasing-Gesellschaften und Versicherungen. Eine soziale Bewegung aus NROs, kritischen Wissenschaftlern, reformwilligen Abgeordneten und Vertretern des Staats schuf in Kolumbien mit einer Gesetzesinitiative die Grundlage für eine territoriale Neugliederung des Staatsgebiets und der Verwaltung. Mit einer solchen integral-rationalen Raumordnung ist ein Modell geschaffen worden, das geeignet ist, mehr zu erreichen als eine bloße politische Dezentralisierung.

I. Einführung

Sind Nichtregierungsorganisationen (NROs) die Retter der Demokratie? Wer wie NROs dem schwachen Staat im Süden Mittel streitig macht und ihm zustehende Aufgaben übernimmt, schwächt den Staat und kann dadurch der Demokratie schaden. Zur Demokratie gehören u. a. Öffentlichkeit, frei artikulierbare Kritik und Kontrolle. Dies lassen NROs bei sich nur begrenzt zu. Der Staat muß selbst effektiv genug sein, um Kontrolle auszuüben und demjenigen Schutz gewähren zu können, der des Schutzes bedarf. Der demokratische Staat unterliegt in seinem Tun und in seiner Mittelverwendung öffentlicher Kontrolle. Im Gegensatz dazu können NROs auch in demokratischen Gesellschaften über ihre Mittel weitestgehend selbständig verfügen; dies gilt insbesondere für das Spendenaufkommen. Allianzen aus NROs in Nord und Süd -zweier sogenannter „Partner“ -können sich demokratiegefährdend auswirken: Sie verstellen dem Volk nicht selten die Selbstorganisation. Die Klärung öffentlicher Belange erfordert besonders in Phasen des Umbruchs zeitraubende Diskussionsprozesse. Ausländische NROs, die unter dem Druck des „Mittelabflußzwangs“ stehen, haben keine Zeit abzuwarten, bis sich das öffentliche Meinungsbild in kulturimmanenten Verfahren klärt und eigene Lösungswege mit hausgemachten Mitteln gefunden werden.

Schädlich kann sich auch die Rolle entsandter Experten auswirken: Ihre relativ kurzen Arbeitsverträge von zwei oder drei Jahren setzen sie gegenüber ihren Zentralen in Übersee unter zusätzlichen Erfolgs-und Zeitdruck. Diese Rahmenbedingungen wirken lähmend auf demokratische Bewegungen und Selbstorganisation. Nur die allerbesten NROs im Süden sind standfest und flexibel genug, um ihren (zahlreichen) Gebern im Norden Grenzen zu setzen. Von ihnen kann viel gelernt werden. In jedem Einzelfall wäre zu fragen, um welchen NRO-Typ es sich handelt und welche Interessen er wirklich vertritt.

Vor diesem Hintergrund verfolgt dieser Beitrag drei Ziele: 1. Das in der Literatur dominierend positive Bild von NROs soll mit einer Kritik an Begriff und Image erwidert werden, um sie in ein realistischeres Licht zu rücken. 2. An drei Länderbeispielen (Zaire/Demokratische Republik Kongo, Peru, Kolumbien) soll gezeigt werden, wie nichtstaatliche Initiativen ihre eigene Politik umsetzen, die Wirtschaft dynamisieren, Macht und Ressourcen konfliktminimierend per Gesetzesinitiative umverteilen, Staatstätigkeiten ergänzen, den Staat teilweise ersetzen oder ihn zum Handeln anhalten. Es wird davon ausgegangen, daß auch Entscheidungsträger im Norden daraus lernen können. 3. Es werden thesenartig einige Vorschläge formuliert, wie im Süden Armutsreduzierung unter Mitentscheidung lokaler Gruppen auch in Selbsthilfe und kostensparend mit Aussicht auf nachhaltige Wirkungen umgesetzt werden kann.

Um die Eigenartigkeit der Fälle -Zaire und Kolumbien -möglichst nicht durch eine eigene Wortwahl akademisch zu verfälschen oder umzuinterpretieren, wird eine knappe Selbstdarstellung versucht. Es soll dadurch die Problemsicht der Beraterin in Zaire, des Kooperationspartners in der Inter-American Foundation bzw.des General-sekretärs der Parlamentskommission zur territorialen Neueinteilung Kolumbiens erhalten bleiben.

II. Das „idealisierte“ NRO-Bild

Pauschal über „die NROs“ zu schreiben, wie es üblich ist, trägt nicht gerade zur Erhellung ihrer Rolle bei. Vielmehr muß -jede einzelne NRO getrennt (nach Mitglieder-struktur, Interessen, Programmen, spezifischen Zwängen, Finanzierung und Kooperationspartnern) betrachtet und bewertet werden; -es mehr noch auf die vernetzte Zusammenarbeit mit anderen Trägern ankommen -ob es sich dabei um eine NRO, einen staatlichen, privaten, kirchlichen, universitären, oppositionellen oder indigenen handelt, hängt vom lokalen Bedürfnis und den jeweiligen institutioneilen Ressourcen ab;-das Gesamtgesellschaftlich-Prozeßhafte, die Gegenbewegung, der Versuch von Korrekturen an Ursachen bisheriger „Entwicklungsblockaden“ und dürfen nicht nur einzelne Projekte betrachtet werden; Der schnelle Erfolg eines im Norden leicht zu definierenden und administrativ zu implantierenden Projekts kann Gefahr laufen, die beabsichtigten Wirkungen aus dem gesamtgesellschaftlichen und gesamtkulturellen Kontext zu lösen, wodurch potentiell gewaltsame und störende Einflüsse entstehen können.

Verlockungen, Reize und Verführungen aus immer noch üppigen Töpfen vieler Geber können die Eigenständigkeit, Kreativität und innergesellschaftliche Souveränität vor Ort behindern. Um zu wissen, „wes Geistes Kind“ eine NRO ist, bedarf es der Einzelfallanalyse einschließlich der Kenntnis der Kooperationspartner und des Entscheidungsspielraums, der gegeben oder (durch die Konditionalität) der der Zusammenarbeit verbaut ist.

Auch in der Bewertung der NROs muß in jedem Einzelfall genau hingesehen werden, um welche Organisation es sich handelt Aufgaben des Staates zu übernehmen, wie dies NROs weltweit tun, kann schwerwiegende Folgen haben. Sie entziehen nicht nur dem Staat die Mittel für Aufgaben (Kontrolle, Koordination, Schutz etc.), die er primär erfüllen muß, sondern sind im Gegensatz zum Staat auch nach außen hin niemandem verantwortlich. Der Staat unterliegt öffentlicher Kontrolle. Dies ist bei NROs nicht regelmäßig der Fall. Sie können tun, was sie wollen -auch zum Teil mit ihren Mitteln, insbesondere den Spenden. Dies gilt gleichermaßen für NROs im Norden wie im Süden. Es können Allianzen entstehen, die nicht immer im Interesse der jeweiligen Völker und Armen und auch nicht unbedingt demokratiefördernd sind. Das beiderseitige institutioneile Eigeninteresse -und die NRO-Nähe zu manchen Regierungen -ist oft viel zu dominierend und vorrangig vor wirklicher Armutsbekämpfung.

Welchem Typus die jeweilige NRO angehört, erkennen wir an der gesellschaftlichen Funktion, der Mitglieder-und Interessenstruktur sowie an den Programmen, die sie durchführt. Es gibt unter­ schiedliche Formen und Inhalte der NRO-Arbeit, die zu verschiedenen Typen führen: -Zum Typus der NROs, der im Rahmen der Globalisierung immer wichtiger geworden ist, gehören diejenigen Institute bzw. Zentren, die Klein(st) -und Mittelunternehmer (KMU) unterstützen durch Aus-und Fortbildung, Beratung und Betreuung; sie werden hier Lobby-NROs genannt. In manchen Ländern werden sie mit dem KMU-Sektor immer mehr zur tragenden Säule der wirtschaftlichen Dynamik (Peru), der Armutsreduzierung, und mittel-bis langfristig tragen sie zur Schaffung einer Mittelschicht bei. Außerdem dienen sie der Exportförderung in Gesellschaften, in denen man sich der neu eingetretenen internationalen Konkurrenz bewußt ist. Chile ist ein solches Beispiel, wo Kleinstbetriebe (Profos) von staatlichen Programmen (CORFO, FOSIS etc.) zusammengeschlossen werden, um besser im Gemeinsamen Markt MERCOSUR bestehen zu können. -Eine andere einflußreiche Gruppe von NROs bilden die sogenannten „Quangos“ (Quasi-NonGovernmental Organizations). Sie handeln für den Staat und werben Mittel ein, die der Staat als solcher nicht erhält. Rotkreuzgesellschaften gehören zu ihnen, auch politische Stiftungen. -Ferner gibt es Netzwerke, die koordinieren, planen und beraten. Sie fertigen Forschungsarbeiten an und nehmen Außenkontakte zur Regierung oder internationalen Gebern wahr. Eine ihrer zentralen Funktionen ist der Schutz schwacher Initiativen. Sie sind unerläßlich für den NRO-Typ, der eng mit Basisgruppen zusammenarbeitet, sie schult, berät, Mittel für sie einwirbt und diese zu verwalten hilft. -Selbstorganisationen der Indio-, Frauen-, Bauern-und Ökologie-oder Menschenrechtsbewegungen sind ebenfalls relativ schwach und klar von anderen Typen zu unterscheiden. -Gewerkschaften, vor allem Basisgewerkschaften, stellen einen weiteren Typus dar, der heute mancherorts in Lateinamerika „sindicatos“ für Klein-produzenten bildet und sich dem Lobby-Typ annähert. -Manche NROs agieren wie Consultingfirmen. Dieser Typus plant, evaluiert und berät auf der Grundlage wertvoller Ortskenntnisse.

III. Die Rolle der Basisarbeit

1. Zaire: Vom Chaos zur Ordnung?

Unter Basisarbeit verstehen wir hier eine stringente Entwicklungsstrategie „von unten nach oben und außen“

Salua Nour skizziert in ihrem Augenzeugenbericht lokale Eigenanstrengungen mit ergänzender internationaler Kooperation Ziel der Zusammenarbeit ist es, die schwache, noch unstrukturierte Basis zu unterstützen.

Ausgangspunkt ist das Zaire der frühen neunziger Jahre: 80 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten, 90 Prozent der Agrarprodukte verrotten auf den Dörfern, da nur zehn Prozent der Straßen befahrbar und Märkte zusammengebrochen sind. Jegliche Form von Organisation fehlte außerhalb des inneren Herrschaftszirkels um die Clique Mobutus. Die atomisierte Bevölkerung ist jeder nationalen Machtspitze gegenüber machtlos -auch gegenüber der neuen Regierung der Demokratischen Republik Kongo. Dieser Zustand der Ohnmacht des Volkes gilt zumindest so lange, wie es kein institutionell strukturiertes, in Kommunen und Regionen verankertes und in der Hauptstadt repräsentiertes Gegengewicht bilden kann. Die seit der Öffnung um 1990 gebildeten 400 Parteien und 9 000 NROs schufen noch keine effektive alliierte Gegenmacht. Daher ist eine Kooperation zwischen effizienten staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen ein zentraler Versuch, das Chaos zu überwinden -ungeachtet einer neuen Staatsspitze.

Als Grundvoraussetzung für die Überwindung des Chaos sieht Nour „politisches Bewußtsein und gesellschaftliche Organisationsfähigkeit bei einer kritischen Masse von handlungsfähigen Akteuren“ Eine erste Vorbedingung ist eine Mobilisierung der Bevölkerung, ihre Partizipation bei Planung, Durchführung und Modifikation öffentlicher Vorhaben. Eine institutionell untermauerte Selbsthilfe, Rehabilitierung und Stärkung des privaten Sektors können den erforderlichen Wandel vorbereiten. Eine zweite Vorbedingung hieße, mit der Alimentierung „parasitärer Strukturen außerhalb des Staatssektors“ zu brechen, also auch innerhalb der NROs.

Die internationale Finanzierung für NROs wurde nach 1990 begonnen, nachdem der Staat Mobutus durch den Wegfall der kommunistischen Gefahr in der Region die westliche Unterstützung verloren hatte: Die Zuwendungen an zahllose NRO-Gruppen hatten primär Konsumzwecken gedient. Die Organisationen besaßen keine Überlebenschancen ohne die Hilfe von außen.

Eine solide Grundlage für den Aufbau sieht Nour nicht in Einzelprojekten des informellen Sektors sowie sozialen und karitativen Einrichtungen. Einige Auswahlkriterien für zu unterstützende Gruppen wären: -handlungsfähige Interessen-und Aktionsgruppen;

-wirtschaftliche, nicht vorwiegend soziale Lösungen;

-Wiederherstellung zerstörter Marktmechanismen;

-Nutzung lokaler Ressourcen und angepaßter Technologie statt primärer Hilfe aus dem Ausland.

Günstige Kredite und Garantie-Fonds für den privaten Sektor lösen die Praxis der Subventionen und Schenkungen ab. Kredite sollen nicht an einzelne Kleinunternehmer oder NROs, sondern nur an Kleinunternehmer-oder NRO-Gruppen vergeben werden. Sie sollen bereits Konzepte zur Erschließung lokaler Märkte und Ressourcen ausgearbeitet haben. Außerdem ist an die Kreditvergabe die bereits begonnene Umsetzung des Konzepts geknüpft

Die oben skizzierte Auffassung führte zur Förderung des „Verbunds nicht konfessioneller ökonomisch orientierter NROs“ (Federation des ONG lai'ques ä vocation economique du Zaire; FOLE-ZA) und des „Dachverbands für Klein-und Mittelunternehmen“ (Confederation des PME zairoises, COPEMEZA). Nour beriet diese Gruppen zunächst über die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS), ab 1994 über die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Sammlungsbestrebungen in Verbänden mit sich selbst finanzierenden Programmen für NRO-und KMU-Gruppen sollen aus vernetzten Unternehmen und beratenden, schulenden bzw. koordinierenden NROs eine Lobby schaffen. Aus Lobby-Gruppen können langfristig Institutionen erwachsen, die politisch aktiv werden. Vereinzelte Betriebe oder NROs zu fördern stünde diesem Ziel entgegen. Als Service-Organisationen erbringen diese Verbände ihren Mitgliedern Dienstleistungen und werden dafür bezahlt. Spenden oder Mitgliedsbeiträge erübrigen sich daher.

Das Überleben des Verbands ist über Mitgliedsbeiträge nicht zu sichern. Dies bedeutet, daß das Service-Angebot den Bedürfnissen der Mitglieder entsprechen muß, damit sie die Dienstleistungen im Eigeninteresse anfordern und bezahlen können. Verbandsstrukturen entstanden in dieser Phase in Zaire nicht „von oben“ oder von der Hauptstadt aus. Regionale und sektorale Zusammenschlüsse wählen Koordinatoren und Delegierte. Die für Planung und Kontrolle Gewählten arbeiten ehrenamtlich. Bezahlt werden nur Techniker für Auftragsarbeit der Mitglieder. Im Falle von Ineffizienz ist die Entlassung bzw. die Abwahl ein probates Mittel gegen (auch NRO-übliche) Selbstbedienung.

FOLEZA organisiert seine Arbeit regional und sektoral: In Kinshasa schlossen sich 300 NROs zu Basiszellen (mit 10-15 NROs) zusammen. Sie widmen sich der Produktion und dem Vertrieb von Nahrungsmitteln, der kommunalen Müllentsorgung und der Sicherheit. In den Regionen Bas-Zaire, Bandundu, Kasai-Oriental und -Occidental werden fünf große Programme umgesetzt. Ein Teil des Startkapitals sind Kredite. Danach müssen sich die Programme selbst finanzieren. Es handelt sich um -den „Aktionsplan zur Versorgung urbaner Zentren“ mit Nahrungsmitteln. Kredite werden in Form von Packmaterial und für den Kauf von Treibstoff gewährt. FOLEZA kann Produkte unter dem Marktpreis verkaufen und erreicht Produzenten in abgelegenen Gebieten. -die „Straßenbewegung“. Sie entwickelte ein Straßenbau-und -Wartungsprogramm für NROs. Finanziert wird es aus Benutzergebühren und durch Steuererlaß. -den Umweltschutz (marktwirtschaftliche Müll-entsorgung und Erosionsschutz), für den Bewohner bezahlen müssen, oder sie arbeiten mit bzw. stellen Arbeitsmaterial für den Erosionschutz zur Verfügung. -die „Kommunale Sicherheit“ für den Nachbarschaftsschutz und die Sicherheit in der Stadt. -das Programm „ökonomische Kultur“. Es fördert Kampagnen (Menschenrechte, Gesundheit) oder hilft Wahlen vorbereiten.

Branchenspezifische Untergliederungen (z. B.der Verband zairischer Unternehmerinnen) fördern die Lobby-Arbeit im Eigeninteresse. Sie dürften geeignet sein, mittel-bis langfristig mitzuhelfen, fehlende Institutionen im wirtschaftsdemokratisch-interessengruppenspezifischen und später auch im politischen Sinn aufzubauen.

Offen bleibt bei der Darstellung Nours noch die Rolle des Staates, auch wenn er zeitweise oder in manchen Regionen kaum präsent ist. Sowohl über die FNS als auch über die GTZ sind offizielle Kanäle der Kooperation und der Abstimmung mit dem Staat bzw. von ihm tolerierten Partnern üblich.

2. Gamarra/Peru: marktbeherrschende Selbsthilfe durch Kleinunternehmer-Konsortien

Im Textilsektor entstand ein Unternehmenszusammenschluß ehemaliger Bewohner der Hochanden, die in die an der Küste gelegene Hauptstadt Lima gezogen waren. Seit altersher besaßen ihre Familien traditionelles Know-how und stellten Bekleidung für den Eigenbedarf und den lokalen Markt her. Armut, Überschwemmungen und Dürre, denen die Campesinos und ihre Tiere nicht standhalten konnten, und seit den frühen achtziger Jahren der Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und dem „Leuchtenden Pfad“, hatten Migranten aus dem Hochland vertrieben. Sie suchten Aufnahme und Arbeit bei Familienangehörigen oder ehemaligen Nachbarn ihrer Heimatdörfer, die sich in Lima im Stadtteil La Victoria niedergelassen hatten, wo Gamarra seinen Standort hat. Ab Mitte der achtziger Jahre schlossen sich als Reaktion auf die Wirtschaftskrise und die Mißwirtschaft der Regierung Alan Garcia Textilunternehmer (häufig Familienbetriebe) verstärkt zusammen

Gamarra erstreckt sich auf über zirka 30 Hektar Land. Die Gesamtheit der Unternehmen setzt sich zusammen aus: Zulieferern für Textilien, für Produktionsmittel, wie Material und Reparaturteile, für Maschinen, für Betriebsausstattung, Manufakturbetrieben aller Größen (von „microempresas“ des informellen Sektors, über Klein-, Mittel-und Großunternehmen) und Betrieben des Groß-und Kleinhandels. Laut einer u. a. von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen Studie über neue Formen von Assoziationen im Unternehmersektor Lateinamerikas schlossen sich in Gamarra 6 800 Unternehmen des Textilsektors zusammen Von diesen Unternehmen sind 80 Prozent in Gebäuden (galerias de comercio) mit zwischen vier und zwölf Stockwerken untergebracht. Viele von ihnen haben nur einen Raum, der zum Flur hin geöffnet ist, wo Unternehmer, Schneider, Händler und Käufer sich wie auf dem Markt begegnen. Eine nicht zu übersehende Zahl von Straßenhändlern besetzen Gehwege und Straßen in Gamarra und hoffen, bald die Miete in den Gebäuden bezahlen zu können.

Die Unternehmensgruppe in den „galerias“ setzt sich wie folgt zusammen: 50 mittelgroße Unternehmen und 450 Kleinunternehmen des Textilsektor, 1 500 kleinste Schneidereien, 4 100 Verkaufs-stände für Betriebsmittel und Reparaturteile etc., 700 Büros von Geldverleihern, Kreditinstitutionen zur Förderung des Verkaufs von Maschinen, Material und Servicebüros für Immobilien.

Dieses Industriekonsortium erzielt insgesamt den höchsten Handelsumsatz der peruanischen Industrie. Man vermutet, daß es jährlich zirka 600 Mio. US-Dollar sind. Tatsächlich muß man jedoch davon ausgehen, daß das genaue Handelsvolumen, das auf dem Binnenmarkt und im Export umgesetzt wird, nicht bekannt ist, wie der Verfasser durch Interviews im August 1996 feststellen konnte Man kennt auch nicht den genauen Bestimmungsort der Exportware. Ein Teil der Produkte verläßt als Schmuggelware das Land und wird in Ecuador, Kolumbien und Venezuela vertrieben. Steuern werden nur bezahlt auf der Grundlage einer Quittung je „unidad“ (Verpackungseinheit). Wie viele davon vertrieben werden, wird nicht belegt. Dokumente für potentielle Steuerfahnder werden nicht hinterlassen. Die Grundhaltung drückte ein Präsident einer Unternehmenskammer wie folgt aus: „Der Staat gibt uns nichts, folglich suchen wir auch keine Unterstützung.“ Es herrscht völlige Unternehmer-freiheit bis hin zur erfolgreichen Verteidigung gegen asiatische Dumpingwaren.

In keinem der anderen fünf besuchten Andenländer berichtete man von relativ erfolgreichen Gegenstrategien. Sie bestehen darin, schnellstens die Waren der Konkurrenz zu kopieren und sie neben den traditionellen Produkten anzubieten. Beim Verlassen der Büros des oben zitierten Kammerpräsidenten, der 100 Mitgliedsunternehmen vertritt, zeigte er auf dem Gehweg die Stelle, an der er bis vor vier Jahren als Straßenhändler gearbeitet hatte. Inzwischen bemüht er sich durch Beratung der Partnerinstitution der Konrad-Adenauer-Stiftung, dem Centro de Investigaciones Sociales, Econömicas y Tecnolögicas (CINSEYT), eine öffentliche, allen Kammermitgliedern zugäng-liehe INTERNET-Kabine für seine Mitgliedsunternehmen einzurichten.

Insgesamt gibt es rund 100 Konsortien dieser Art in den verschiedenen Regionen Perus. Sie spezialisieren sich jeweils auf einen Sektor, wie z. B. Schuhe und Lederwaren, Metall-und einfachste Elektrowaren etc. Ramön Ponce charakterisiert diese Betriebe folgendermaßen: „Sie erfuhren eine erstaunliche Produktivitätssteigerung, begannen fast alle auf dem Subsistenzniveau und erzielen eine nationale Durchschnittsproduktivität. Obwohl sie noch über eine bemerkenswerte Entwicklungskapazität verfügen, ist diese auf internationalen Märkten noch nicht spürbar geworden.“

Die vorherrschenden Schwierigkeiten dieser sich massenhaft zusammenschließenden Unternehmer bestehen vorläufig noch in: -der ungenügenden Qualifikation sowohl der Manager/Unternehmer als auch ihrer Facharbeiter; -Qualitätsmängeln, um auf dem Markt besser bestehen zu können; -dem schnellen Wandel auf dem Weltmarkt; -der noch nicht geleisteten „nicht-traditionellen Unternehmensführung“, die ein standortgerechtes Muster an „Reengineering für Selbsthilfe-Konsortien“ benötigt.

Dazu gehört auch der Abbau von weit verbreiteten Ängsten vor Betriebszusammenschlüssen. Vor allem in Venezuela sind sie besonders ausgeprägt, wo der Erdölreichtum eine verheerende Mischung aus Lethargie und Nicht-Entwicklung (vor allem unternehmerischer Risikofreudigkeit) hinterlassen hat.

Erfolgsberichte könnten in Kursen Ängste abbauen helfen. Benötigt wird generell eine aktualisierte, modernisierte und diesem Unternehmens-typ bzw.den Konglomeraten und ihren spezifischen soziokulturellen Bedingungen angepaßte Beratung mit entsprechendem Schulungsmaterial.

3. Überregional vernetzte Selbsthilfe: Kolumbien

Die Inter-American Foundation (IAF) Die seit 1970 in Lateinamerika engagierte Interamerican Foundation unterstützt vor allem Initiativen an der Basis (grassroots). Die IAF hatte erfahren, daß „die lokale Bevölkerung, wenn sie über minimale Ressourcen verfügt, aber sich weitgehend auf ihre Eigeninitiative und harte Arbeit stützt, ein höheres Niveau an sozialem, wirtschaftlichem und kulturellem Wohlergehen erzielt“

Gerade vor dem Hintergrund des unter Angelsachsen diskutierten „Scaling up and down“ des NRO-Einflusses stellt sich die Frage, wie und ob der „Grassroots“ -Ansatz auch regional und national wirksam werden kann. Die Antwort hierauf ist in Zeiten der Etatkürzungen für soziale Entwicklungsmaßnahmen eine doppelte Herausforderung. Als wahres IAF-Kapital wird nicht das jährliche Budget betrachtet, sondern die seit 1970 gepflegten Partnerschaften, Beziehungen, Organisationen und Netzwerke, die mit der IAF bemüht sind, Armut zu reduzieren und demokratische Institutionen aufzubauen und zu stärken. IAF antwortet auf die Herausforderung mit einer Strategie, in der die Einsicht fortwirkt, daß strukturelle Armut nur zu überwinden ist durch umfassende Allianzen mit der lokalen Bevölkerung, ihren Organisationen, dem Staat, dem Privatsektor und der NRO-Gemeinschaft. Zu diesem Zweck ging die Stiftung eine Kooperation mit kolumbianischen Netzwerken ein.

Die Fundaciön Social (FS) als Kooperationspartner der IAF Die Fundaciön Social, von einem Jesuiten 1911 gegründet, begann mit dem „Arbeiterzirkel von Bogota“ bereits die soziale und wirtschaftliche Unterstützung der Armen, als es außerhalb der Brauerei Bavaria in Kolumbien noch so gut wie keine Lohnarbeiter im modernen industriewirtschaftlichen Sinn gab. Die FS nahm die Arbeit mit der landesweit bekannten Sparkasse für Arme (Caja Social de Ahorros) auf. Sie verfolgt das doppelte Ziel der Spareinlagen für Arbeiter und der Finanzierung sozialer Entwicklung. Mit den Profiten aus den Spareinlagen und dem Kreditgeschäft schuf die „Caja Social“ ein eigenständiges Instrument zur Finanzierung von Selbsthilfeinitiativen auf Gemeindeebene. Wichtig ist die Unabhängigkeit dieser Initiativen von der Regierung und jeglichen anderen Quellen. Die Stiftung bewahrte sich diese Eigenständigkeit bis heute. Ihr Ziel ist die Eliminierung der strukturellen Ursachen von Armut und die Transformation der kolumbianischen Gesellschaft. Die Programme der FS gehen von der Prämisse aus, daß strukturbedingte Armut durch fundamentale Ungleichheit verursacht wird, denn sie verhindert Partizipation großer Bevölke-rungsgruppen in der Gesellschaft und schließt sie vom Marktgeschehen aus.

Die Stiftung hat ihre eigenen profitorientierten Unternehmen mit einem Gesamtkapital von 1, 75 Mrd. US-Dollar (Stand: Dezember 1994). Die zehn aus den Gewinnen finanzierten sozialen Programme bedienen 2, 5 Mio. Nutznießer in ganz Kolumbien. Die Unternehmen erstrecken sich über folgende Sektoren: Finanzwesen (Leasing, [Lebens-]Versicherungen), Bauunternehmen, Gesundheit, Erholung und Kommunikation. Die Gesellschaften, besonders jene im Finanzsektor, sind wettbewerbsstark und expansiv. Sie widersprechen dem Vorbehalt, Finanzdienstleistungen für niedere Einkommensgruppen könnten keine Gewinne erzielen

Geschäftstüchtigkeit und soziales Engagement verbinden sich in den zehn landesweiten Programmen, die finanziert werden aus dem Gewinn der 14 Stiftungsunternehmen. Die Gewinne werden auf folgende fünf Programme verteilt: integrierte Gemeindeentwicklung, Eirikommensförderung, Recycling und Umwelt, Erziehung und Kommunikation. Sie sind armutsorientiert und verfolgen mit einem ganzheitlichen Ansatz langfristige Wirkungen. Jedes Programm verfolgt die vier Ziele: soziale Harmonie, Stärkung autonomer demokratischer Gemeindeorganisationen, eine höhere Lebensqualität und eine umfassende Partizipation der Armen in allen Gemeindeangelegenheiten. Das unternehmerische Know-how wird Kleinunternehmern (der Schuh-und Bekleidungsindustrie sowie der Möbelherstellung und Metallverarbeitung) vermittelt. Außerdem wird ihre Interessenvertretung (Lobby-Arbeit) in Kammern, Verbänden und sogenannten „sindicatos“ der Kleinunternehmer gefördert. Das Programa Integral Comunitario (PIC) gibt es in Bogota, Ibague, Medellin, La Florida (Narino).

Zur Förderung der nachhaltigen Wirkung und der Ausdehnung der Programme über den lokalen „Grassroots“ -Ansatz hinaus kooperiert die IAF mit Industriestiftungen wie der Fundaciön Corona (Bogota), die ähnliche Programme regional und national fördern. Auch die Fundaciön Carvajal (Cali) finanziert seit den siebziger Jahren soziale Programme in Armenvierteln (Alphabetisierung, Kleinstunternehmer) und führt die Universitäten in Programmen der „extensiön universitaria“ hin zur Praxis und Aufbauarbeit in Siedlungen der Randgruppen.

Rationale Raumordnung zur Umverteilung von Ressourcen und Macht: Beispiel Kolumbien Bereits 1908 gab es in Kolumbien eine Bewegung zur Raumordnung und besseren Verteilung staatlicher Ressourcen. Es handelte sich um eine Bewegung gegen die Verfassung von 1886, die versuchte, die durch die Verfassung erleichterte Unterdrükkung lokaler Bedürfnisse und Politikansätze rückgängig zu machen. Die Verfassung hatte mit ihrer Zentralisierung das ganze Land den in Bogota angesiedelten Institutionen unterworfen. Von ihnen aus war Kolumbien regiert worden Diesem genuin zentralistischen Strukturmuster des „Regie-rens ohne Wissen“ wirkt die Verfassung von 1991 entgegen.

Gerade Kolumbien verfügt über eine Fülle sozialer Bewegungen und hunderter NROs, die verstärkt durch Intellektuelle, Studenten und Universitätsprofessoren ihren Ideenreichtum zu einer besonderen Ressource machen. Ihre Rolle fällt auf im Prozeß der Verfassungsgebung von 1991 und in der von der Verfassung geschaffenen Kommission für Raumordnung (Comisiön de Ordenamiento Territorial-(COT), der drei Jahre für Studien und Empfehlungen eingeräumt worden waren. Damit kamen Wissenschaftler in den Genuß der Entscheidungsvorbereitung mit dem Ziel des gesellschaftlichen Strukturwandels, nachdem sie jahrzehntelang mit Grundlagenstudien die Reform vorbereitet hatten. Der COT-Generalsekretär Orlando Fals Borda wertet eine gut geplante und entsprechend durchgeführte Raumordnung als Wandel, der zu einer entsprechenden Umverteilung von Macht und Reichtum führen wird. Vorausgesetzt wird vom Gesetzgeber ein Glaube an das eigene Volk und seine Fähigkeit zu einer territorialen Reorganisation. Die neue Verfassung wünscht sie, die COT bereitete das Gesetzesprojekt vor, das „Ley de Ordenamiento Territorial“.

Konsequent angewandt, führt es zu einer rationaleren Raumordnung, beugt Rivalitäten und internen Konflikten vor und stellt sich den weltweiten Herausforderungen. Inmitten der bürgerkriegsgeschüttelten Gesellschaft entstand ein Projekt des latent stets vorhandenen Ethos der Nicht-Gewalt, das in der Geschichte wie im politischen Alltag Kolumbiens trotz dominanter Violencia-Strukturen (Parteienkonflikte, Guerrilla, Drogen, Schmuggel, bewaffnete Banden, Alltagskriminalität) vorhanden war und ist.

Die soziale, klassenübergreifende Bewegung der „divisiön territorial“ ist eine politische Gegenbewegung gegen die Zentralisierung in Bogota und in den Departamentshauptstädten, die die Ressourcen monopolisiert hatten. Der Gesetzentwurf sieht neuzugründende territoriale" Einheiten vor, die sich an soziogeographischen und wirtschaftlichen Einheiten orientieren und Siedler wie auch ihre Siedlungen respektieren, womit Indio-Kulturen gerettet werden könnten. Zeitlich festgelegte Grenzen berücksichtigen den dynamischen Wandel in der Siedlungsstruktur wie die sich verändernden Bedürfnisse.

Die zentrale Herausforderung ist die Regionalisierung: Sie strebt einen anderen Territorialstaat an, der besser strukturiert und integriert ist. Die Planer sehen das Land damit eher befähigt, sich der lateinamerika-und weltweiten Herausforderung zu stellen. Stillschweigend plant der Gesetzesentwurf ein Eliminieren interner Konflikte. Die anstehenden Veränderungen rufen allerdings regelmäßig ängstliche Kolumbianer auf den Plan, die das Gegenteil befürchten: Violencia (Gewalt).

Der politisch-administrative Aspekt des „ordenamiento territorial“ bezieht sich auf die Organisation der öffentlichen Gewalten in bezug auf die Territorien, eine Ordnung, verstanden als Regel-werk zur Aufteilung des nationalen Territoriums in regierbare Einheiten -vor allem in Regionen bzw. Departamentos und Munizipien. Eine geographisch reorganisierte Arbeitsteilung führt zu einer neuen politisch-administrativen Grenzziehung der Verwaltungseinheiten und Untereinheiten.

Das „ordenamiento territorial“ wird verstanden als eine konzertierte Aktion zur Lenkung der Transformation, Besiedlung und des Gebrauchs von Naturräumen, um ihre sozioökonomische Entwicklung zu fördern, indem die Bedürfnisse und Interessen der Bevölkerung, die Möglichkeiten des fraglichen Territoriums und die Harmonie mit der Umwelt berücksichtigt werden Eine rationale, integrierte Raumordnung ist der räumliche Ausdruck einer Wirtschafts-, Sozial-, Kultur-und Umweltpolitik einer jeden Gesellschaft. Sie gilt in Kolumbien gleichzeitig als eine wissenschaftliche Disziplin, ein administratives Procedere und als eine prozeßhafte politische Aktion. Dieser holistische, auf politische Dezentralisierung zielende Ansatz scheint in Kolumbien weiter entwickelt zu sein als in einer Reihe anderer Länder. Er erfolgt im Selbstverständnis der kolumbianischen Planer als eine interdisziplinäre wissenschaftliche Praxis auf der Grundlage einer Entwicklungsstrategie und ausgeglichenen Regionalordnung.

Drei Komponenten bestimmen diese Art „ordenamiento territorial“: politisch-administrative, umweltbezogene und geopolitische. In diesem Verständnis ist „eine Region ... im wesentlichen ein soziogeographischer Raum mit physischen Elementen und menschlichen, die ihr Einheit verleihen und sie von anderen unterscheiden: mehr als die Homogenität ist es die Integration jener Elemente, die die Existenz einer Region bestimmt“

Diese Art von integral-rationaler Raumordnung gilt in der Kommission als eine Antwort aus dem Süden -nach 50 Jahren gescheiterter Entwicklungspolitik -, Schluß zu machen mit der Tradition des 1949 vom US-Präsidenten Truman ausgerufenen „Point Four Program“, das die Diskrepanz zwischen Arm und Reich immer größer werden ließ. Es wird versucht, „eine andere polit-ökonomische Philosophie der Aktion“ zu etablieren. In kolumbianischen NROs (wie ROSCA, Punta de Lanza etc.) begann man seit den siebziger Jahren, ein Procedere der Partizipation und des Respekts vor dem Wissen des Volkes einzuführen und anzuwenden, das die offiziellen Entwicklungspolitiken tendenziell verdrängt.

Eine Voraussetzung für Fortschritt im Sinne der Armutsreduzierung ist der Bruch mit einer anachronistisch (euro-nordamerikanischen) Entwicklungsphilosophie, die bislang relativ blind angewandt wurde und abgelöst wird von einer „authentisch partizipativen“ auf allen Ebenen. Staatsapparate dürfen dabei nicht mehr als ein Ansprechpartner sein. Souveränität ist in diesem Sinn primär innergesellschaftlich zu sehen, wie es sie über Jahrhunderte gegeben hat. Im oben skizzierten holistischen Entwicklungsverständnis der pluralistisch besetzten Verfassungsgebenden Versammlung heißt dies konkret: „Im Gebrauch natürlicher Ressourcen werden vorsichtig Praktiken zu entwickeln sein, die das regionale Gleichgewicht fördern -in Abstimmung und gegenseitigem Respekt zwischen den Bewohnern, die Regionen bilden.“

Die Anhänger einer weniger friedlichen politischen Kultur bedürften durchaus des Gegendrucks von außen, um zu einer Reorganisation veranlaßt zu werden. Dementsprechend fänden hier vom Norden in Kolumbien finanzierte Maßnahmen zur Dezentralisierung einen geeigneten Ansatz und potentiellen Modellfall. Bei entsprechender „Geburtshilfe“ und durchaus etwas friedenschaffendem Druck von außen kann das Projekt nach bereits erfolgter Gesetzesvorlage dazu beitragen, weltweit Konzepte der politischen Dezentralisierung zu verbessern. Auch andernorts wäre Regionalisierung im hier skizzierten Sinn untrennbarer Teil einer Umverteilung von Macht und Ressourcen. Wenn diese Lektion im Norden verstanden wird, dann kann dem entsprechenden Mitteleinsatz für Dezentralisierung eine nachhaltigere Richtung verliehen werden. Im Land des permanenten Bürgerkriegs gibt es auch dies: Eliten und Sprecher des Volkes aller Rassen und Klassen, die Schicht-und klassenübergreifend nicht korrupt sind und konsequent für inneren und äußeren Frieden stehen. Es sind Vertreter einer politischen Kultur, die Euro-Nordamerikanern, geplagt vom „Mittelabflußzwang“ im Planungs-und Implementierungsprozeß der Entwicklungszusammenarbeit (EZA), zu ebenbürtigen Partnern geworden sind.

IV. Fazit

Es wurde versucht, darzulegen, zu welchen außerordentlichen Aufbauleistungen NROs am Rande von Armenvierteln mit begrenzten Mitteln imstande sind. Selbsthilfe und unternehmerische Risikobereitschaft einerseits und koordiniertes, alliiertes Handeln über mehrere Gesellschaftssektoren und Institutionen hinweg sind in der Lage, die Wirtschaft zu dynamisieren und den Staat einer Strukturreform zu unterziehen, so daß er in der Lage ist, Ressourcen und Macht umzuverteilen.

Eine stärkere Flexibilität und Bereitschaft, vom Süden zu lernen, könnte durchaus die Nachhaltigkeit von Entwicklungsmaßnahmen verbessern und dennoch Kosten senken. Solange dieser Wandel zu mehr Eigenverantwortlichkeit nicht eintritt, dürfte bei vielen Nord-NROs zu befürchten sein, was Robert Chambers in einer Evaluierung für die Liga der Rotkreuz-und Rothalbmondgesellschaften nach der Afrika-Aktion Mitte der achtziger Jahre festgestellt hat: „... wäre die Liga besser vorbereitet gewesen in ihrer Politik, Organisation, ihrem Procedere und der Professionalität, wären viel mehr Menschenleben gerettet und viel Leid abgewendet worden.“

Eine Schlüsselaufgabe der NROs besteht in ihrem Beitrag, eine „neue Ökonomie“ einführen zu helfen. In der konventionellen Ökonomie stehen Geld und nicht die Menschen an erster Stelle. Daten dieser Ökonomie wie Pro-Kopf-Einkommen und Bruttosozialprodukt (BSP) führen in die Irre. Diese Instrumente sind untauglich, Fortschritt zu messen, wie den oben dargestellten institutioneilen Reichtum, Kreativität und Unternehmergeist. Ein effektives Management menschlicher und natürlicher Ressourcen, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit sind ebenso ausschlaggebend wie gutes Unternehmensmanagement und nachhaltige ökonomische Entwicklung. Im Kontext einer humaneren Ökonomie, in der „Menschen etwas bedeuten“ (R. Schumacher), gilt es, daß sich NROs verstärkt gegen einen fundamentalen Fehler wenden: Die herrschende Entwicklungsökonomie konzentriert sich zu sehr auf die Mittel zum Zweck und achtet den Zweck gering. Menschen sind keine Nebenprodukte der „ökonomischen Maschine“.

Was also tun in einer kapitaldominierten Wirtschaft und Gesellschaft, in der seit Jahren beklagt wird, es gäbe zu wenig Mittel? Folgende Vorschläge sollen zur Behebung der Misere beitragen: -Zuhören und Lernen -von jenen, die ihre Gesellschaft und Umwelt im Süden besser verstehen als wir. Auch von Analphabeten können Planer lernen -europäische Ökologen z. B. von Indios, die seit langem wissen, wie Naturräume im tropischen Regenwald zu schützen sind oder wie in Erdbebengebieten erdbebensicher gebaut wird, und zwar kostengünstig. -Wo Lebensräume gefährdet sind, ist die skizzierte integral-rationale Raumordnung ein nachahmenswertes Instrumentarium -effektiver in der Umverteilung von Macht und Ressourcen als die bisher international finanzierten Konzepte der Dezentralisierung oder Dekonzentration. -Politik wird gemacht über Koalitionen. Die EZA ist keine Ausnahme. Für NROs heißt dies, mehr Partner suchen, sich ankoppeln an einen gesellschaftlichen Prozeß und ihre Anliegen öffentlich bekanntmachen. -Wo Mittel knapp werden, kann trotzdem eine nachhaltigere EZA umgesetzt werden. Eine Voraussetzung ist eine Partnerschaft, die auf der Bereitschaft beruht, voneinander zu lernen, sich gegenseitig ernst zu nehmen. -Die Forderung, der Haushalt des BMZ müsse 0, 7 Prozent des BSP erreichen, ist unrealistisch. Bei der vorherrschenden Umsetzung der Politik (primär von Staat zu Staat oder von NRO zu NRO ohne ausreichende Kontrollen) würde ein größeres Mittelvolumen die Armut auch nicht mehr reduzieren. Eine andere Politik mit neuen Akzenten (z. B. mehr kommunale Entwicklung und kommunale KMU innerhalb einer neuen, integral-rationalen Raumordnung) kann mit weniger Mitteln mehr erreichen. Zusätzlich könnte in einer Studienkommission mit jenen Ländern, die wie Dänemark, Norwegen und Schweden 0, 7 Prozent des BSP ausgeben, evaluiert werden, wie koordinierter vorgegangen werden kann. Die Niederlande bieten Erfahrungen an in der Direktfinanzierung von NROs im Süden unter Umgehung des Staates, die nachahmenswert sein könnten. Nach drei bis fünf Jahren der Reflexion könnte man dann zu einer Korrektur kommen. -Zwischenzeitlich kann der BMZ-Haushalt und das Personal von BMZ und GTZ um ein Drittel gekürzt werden. Nicht die bewilligte Mittel-summe entscheidet über Nachhaltigkeit, sondern die stringent angewandte Partizipation, die es bisher mehr auf dem Papier gibt als in der Praxis. Wenn Marktmechanismen durch Ausschreibungsverfahren eingeführt würden, ließen sich zusätzlich Mittel einsparen, ohne die Ziele zu gefährden. Eine zentrale Voraussetzung für mehr Nachhaltigkeit trotz geringerer Mittel wäre ein erfahrener BMZ-Referent in jeder deutschen Botschaft. Er könnte alle Projekte überblicken und mit einem Team wechselnder lokaler Gutachter und wenig Mitteln vor Ort besser koordinieren. -50 bis 60 Evaluierungen (Stichproben) des BMZ pro Jahr und zeitweise lediglich vier Mitarbeiter im BMZ-Inspektionsreferat reichen als Kontrolle nicht aus. Bekanntlich lohnt es sich nicht, an Evaluierungsmitteln zu sparen. Wo einige tausend Mark eingespart werden für Prüfung, besteht die Gefahr, daß Millionen „in den Sand gesetzt“ werden, weil nicht rechtzeitig gegengesteuert oder ein Projekt geschlossen werden kann. Daher sollte die Praxis der Weltbank übernommen werden, jedes einzelne Projekt extern evaluieren zu lassen. Ein zentrales Evaluierungsinstitut ist nicht empfehlenswert, da es ohnehin schon zu viele schädliche institutioneile Eigeninteressen aller Beteiligten gibt, die das Erreichen der Projektziele erschweren und auch dadurch mögliche Armutsreduzierung blockieren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zur jahrhundertelangen Tradition dieses Denkens: H. Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. 1: Die Grundlagen, Frankfurt a. M. 1970, S. 421 ff.

  2. Vgl. zu diesem Dilemma der Kooperation: G. Cremer, „Das kommt ja sowieso nicht an!“ Zum Problem des Mißbrauchs in der Katastrophenhilfe, in: R. Hanisch/P. Moßmann (Hrsg.), Katastrophen und ihre Bewältigung in den Ländern des Südens, Deutsches Übersee-Institut, Hamburg 1996, S. 163-182.

  3. Vgl. F. Nuscheler, Lern-und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, Bonn 19913, Kap. 20. Vgl. auch R. Hanisch/R. Wegner (Hrsg.), Nichtregierungsorganisationen und Entwicklung. Auf dem Weg zu mehr Realismus, Deutsches ÜberseeInstitut, Hamburg 1994.

  4. Vgl. dazu P. Moßmann, Voraussetzungen, Philosophie und Praxis der Selbsthilfe in der Dritten Welt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46/91, S. 32-38.

  5. Vgl. S. Nour, Zaire -Die Überwindung des Chaos durch Basisarbeit, in: E + Z, 36 (1995) 11, S. 292-295. Der Begriff Basisarbeit wird hier von Nour nicht weiter definiert.

  6. Vgl. ebd.

  7. Ebd.

  8. Ebd.

  9. Vgl. ebd., S. 292 f.

  10. Vgl. C. R. Ponce Monteza, Gamarra-Formaciön. Estructura y Perspectivas, Lima 1994, S. 30 ff.

  11. Vgl.ders., La asociatividad y la cooperaciön publico-privada en Gamarra, in: CEPAL/Friedrich-Ebert-Stiftung/SERCAL (Hrsg.), Nuevo rol de la asociatividad empresarial en el fomento productivo. Memoria del Seminario Internacional, 25-26 Oct.de 1995, Santiago de Chile 1995.

  12. Im Rahmen einer Serienevaluierung im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung.

  13. C. R. Ponce Monteza (Anm. 10), S. 155.

  14. S. D. Pierce, Grassroots Development and the Issue of Scale: A Colombian Case, in: Grassroots Development, 19 (1995) 2, S. 29.

  15. Vgl. dazu P. Uvin, Scaling up the grass roots and scaling down the summit: the relations between Third World nongovernmental organizations and the United Nations, in: Third World Quarterly, 16 (1995) 3, S. 496-512.

  16. Vgl. zum Überblick die Liste der 13 und seit 1995 der 14 Unternehmen, in: Grassroots Development, 19 (1995) 2, S. 31.

  17. Die Banco Sol gibt in Bolivien Kredite an Straßenhändler und andere Kleinstunternehmer und soll unter allen bolivianischen Banken die höchsten Gewinne erzielen. Interview mit Silverio Märquez Tavera in Santa Cruz de la Sierra. Vgl. auch den Bericht des Direktors der Banco Sol auf einer Fachtagung: PROFOM-CAPIA-GTZ, FORO: Credito-Pequena Industria. Realidad y Proyeciön, Santa Cruz, Junio 8-9, 1995.

  18. Vgl. O. Fals Borda, Region e Historia. Elementes sobre ordenamiento y equilibrio regional en Colombia, IEPRI-TM Editores, Bogota 1996, S. 3.

  19. Vgl. einige der Grundlagenstudien: M. Fornaguera/E. Guhl, Colombia: ordenaeiön del territorio, Universidad Nacional, Departamento de Sociologia, Bogota 1969; E. Guhl, Colombia: Bosquejo de su Geografia Tropical, Band 2, Bogota 1976; O. Fals Borda, Mompox y Loba, Historia Doble de la Costa, Bogota 1980; ders., Resistencia en el San Jorge, Bogota 1984; CINEP y El Colombiano, Colombia, pais de regiones, El Colombiano, Bogota -Medellin 1993-1994.

  20. Vgl. O. Fals Borda (Anm. 18), S. 26.

  21. Ebd., S. 28.

  22. Ebd., S. 33.

  23. Ebd.

  24. Ebd.

  25. Institute of Development Studies, IDS-Report No. 1, 30 September 1986, S. 3.

Weitere Inhalte

Peter Moßmann, Dr. rer. soc., geb. 1945; 1972 bis 1977 Entwicklungstätigkeit in Kolumbien; Dozenten-und Forschungstätigkeiten in Bogota (Pontiflcia Universidad Javeriana), an den Universitäten Konstanz, Hamburg, Göttingen, Gießen und an der FU Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Migration, Staat, Agrarkonflikte, Saarbrücken 1979; Bauernbewegungen, Frankfurt/M. -New York 1980; Katastrophenvorbeugung, Bonn 1987; Selbsthilfe, Bonn 19912 sowie Paderborn 1994; Föderalismus, Hamburg 1994; (Hrsg. zus. mit R. Hanisch) Katastrophen und ihre Bewältigung in den Ländern des Südens, Hamburg 1996.