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Über das Schweigen reden Diktaturerfahrung und Literatur „Die verschiedenen Sprachen (Idiome) des Schweigens“ (Peter Weiss) <fussnote> Peter Weiss, Notizbücher 1971-1980, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1981, S. 73. </fussnote> | APuZ 13/1998 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 13/1998 Über das Schweigen reden Diktaturerfahrung und Literatur „Die verschiedenen Sprachen (Idiome) des Schweigens“ (Peter Weiss) Peter Weiss, Notizbücher 1971-1980, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1981, S. 73. Buchproduktion und Leserinteressen in Westdeutschland seit 1945 Lektüren im „Leseland“ vor und nach der Wende Gebremstes Leben, Groteske und Elegie Zur Literatur in den neuen Bundesländern seit der Wende

Über das Schweigen reden Diktaturerfahrung und Literatur „Die verschiedenen Sprachen (Idiome) des Schweigens“ (Peter Weiss) <fussnote> Peter Weiss, Notizbücher 1971-1980, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1981, S. 73. </fussnote>

Irma Hanke

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Zusammenfassung

In Diktaturen sind unterschiedliche Formen des Schweigens, des Verschweigens und des Verstummens wesentliche Bestandteile der menschlichen wie der politischen Kommunikation. Es zählt zu den wichtigen Leistungen der Literatur in totalitären oder posttotalitären Gesellschaften, an diese verschiedenen Idiome des Schweigens wie auch an das Verschwiegene zu erinnern und es dem Vergessen zu entreißen. Der Beitrag greift beispielhaft die intensiven Auseinandersetzungen mit diesem Thema bei Autoren der Nachkriegszeit auf. Ausgehend von existentiellen Grunderfahrungen im KZ, wie sie Imre Kertesz und Primo Levi beschreiben, geht er auf Darstellungen von Alexander Solschenizyn und Peter Weiss, von Uwe Johnson und Christa Wolf ein. Sie fügen sich ein in eine Phänomenologie des Schweigens im „Jahrhundert der Extreme“.

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I. Grenzerfahrungen: Von der Notwendigkeit der Sprache

Im „Roman eines Schicksallosen“ schildert Imre Kertesz, wie ein Jugendlicher, fast noch ein Kind, während des Krieges Schritt für Schritt in die Maschinerie des totalitären Systems gerät -in das Arbeitslager, nach Auschwitz und schließlich nach Buchenwald. Stufenweise vollzieht sich der Prozeß des Verlusts menschlicher Würde, die Loslösung aus jener „Normalität“, die dem Jungen noch geläufig ist, in der er erzogen wurde. So berichtet er von dem Bemühen, ein „guter’ Häftling zu sein -natürlich brachte es Nutzen, wenn man Anweisungen sorgfältig befolgte, zumindest ersparte es Scherereien. Aber da war noch mehr. Eine Arbeit gut zu tun, wäre den Häftlingen durchaus ein Bedürfnis gewesen, hätte es nur jemals eine Reaktion, die sich nicht nur in Geschrei und Prügel äußerte, bei den Befehlenden gegeben. „Ich behaupte: da stimmte etwas nicht, da war ein Fehler im Getriebe, ein Versäumnis, ein Versagen. Schon irgendein Wort, irgendein Zeichen, ein Aufblitzen der Anerkennung, nur hin und wieder ein Funken davon: mir jedenfalls hätte das mehr genützt . . . Wer hätte nicht heimlich das Bedürfnis nach ein klein wenig Freundlichkeit, und mit einsichtigen Worten kämen wir weiter, fand ich. "

Was er zunächst nicht begreift, ist dies: In einer Welt, in der die Menschen zu bloßem Material werden, gelten die Konventionen des Miteinander-Sprechens nicht mehr. Für das Lagerpersonal stellt er kein „Gegenüber“ mehr da. Aus selbst rudimentären sozialen Beziehungen ist er ausgeschlossen.

Sprache wird reduziert auf einzelne Befehle -weh dem, der sie nicht versteht.

Primo Levi hat in seinem späten Bericht aus dem Jahre 1986 „Die Untergegangenen und die Geretteten“ in einem zentralen Kapitel den gleichen Sachverhalt erwähnt: „Der Gebrauch des Wortes zur Vermittlung eines Gedankens, dieser notwendige Mechanismus, der hinreicht, um den Menschen zum Menschen zu machen, war unüblich geworden. Das war ein Hinweis: Menschen waren wir für die anderen keine mehr; für uns gab es, wie für Kühe oder Maultiere, keinen grundlegenden Unterschied zwischen Gebrüll und Faustschlag.“ Er erinnert daran, daß in Mauthausen der Gummiknüppel „Dolmetscher“ genannt wurde, den alle verstanden. In dieser Situation war ein rudimentä res Verstehen der Anweisungen der Deutschen, die Aneignung eines auch nur geringfügigen Wortschatzes, lebenswichtig. Der Autor selbst zahlte mit seinen äußerst karg bemessenen Brotrationen für eine Einführung in die Lagersprache: Man befindet sich ... in einem leeren Raum und erfährt am eigenen Leib, daß Verständigung Information nach sich zieht und daß man ohne Information nicht leben kann. " Der größte Teil der Gefangenen, die des Deutschen nicht mächtig waren, sei innerhalb der ersten zwei Wochen nach der Ankunft gestorben.

Der Autor schließt aus diesen Erfahrungen, daß die These, wonach das Gespräch der Einzelnen nur das existentielle Schweigen überdecke, oberflächlich sei: „Abgesehen von einigen Fällen pathologischer Unfähigkeit kann und muß man kommunizieren. Es ist eine nutzbringende und unaufwendige Art, etwas zum Frieden anderer und der eigenen Person beizutragen, weil das Schweigen, das Nichtvorhandensein von Zeichen, seiner-seits ein Zeichen ist, allerdings ein doppeldeutiges, und Doppeldeutigkeit ruft Unruhe und Argwohn hervor. Die Behauptung, man könne nicht kommunizieren, ist falsch: man kann es immer. Die Verweigerung der Kommunikation stellt eine Schuld dar. "

Kertesz und Levi beschreiben Grenzsituationen -solche allerdings, die für unser Jahrhundert prägend waren: die Sprache als Mittel des Überlebens und zugleich die totale Verhinderung von Kommunikation. Was Sprache bedeutet, wie sie ausschließt, wie sie integriert, wie sie eine Beziehung unter Gleichen herstellt, wie sie Zusammenleben erst möglich macht, wie sie zum Lebens-Mittel wird: hier wurde es erfahren, wenn auch ex negative. Gerade das Fehlen der sprachlichen Beziehung weist auf die Grundlagen der Zivilität hin, die unter totalitärer Herrschaft zerstört wurden.

Literatur erinnert an diese lebenswichtigen Zusammenhänge. Das Sprechenkönnen, das Sich-mitteilen, vollends die unverstellte Rede wurde unterbunden, war jedoch unerläßlich für die Unterworfenen im System totaler, isolierender Herrschaft. Aber noch heute fällt das Sprechen, die literarische Vergegenwärtigung des damals Erlebten, schwer. Nicht von ungefähr sind -nach der unmittelbaren Berichtsliteratur der ersten Jahre -die meisten Bücher, die sich jenen Zeiten nochmals zuwenden, erst Jahrzehnte später erschienen. Eine lange Zeit der Aphasie, des Vergessenwollens, des Verstummens, um zu überleben ging der Erinnerung voraus. Spät erst setzte der Versuch ein, die Dimensionen des damals Geschehenen zu verstehen -zumindest nachzuzeichnen, was damals geschah.

Einer Pflicht unterwirft sich der Autor, der sich mit seinen Erfahrungen in Auschwitz und Buchenwald auseinandersetzt, denn er spricht auch im Gedenken an jene, die nicht überlebten oder die ihrem Leiden keinen Ausdruck geben konnten. Im nachhinein fordert Levi von den damaligen Deutschen, die dem Zug der KZ-Häftlinge unbeteiligt zuschauten, nicht den großen Widerstand, aber die kleine Geste der Menschlichkeit gegenüber den Betroffenen. Sie hätte dieses System nicht so gnadenlos erscheinen lassen. Er erwähnt die stummgebliebenen Augenzeugen, „die, obwohl sie nicht glaubten, gleichwohl geschwiegen und nicht einmal den bescheidenen Mut aufgebracht hatten, uns in die Augen zu sehen, uns ein Stück Brot zuzuwerfen, uns ein mitfühlendes Wort zuzuflüstern“

Wir stoßen hier auf die auffallende Verkoppelung des Nachdenkens über Sprechen und Schweigen, über Verschweigen und Verstummen in der Literatur, die sich mit den Erscheinungsformen totalitärer oder posttotalitärer Herrschaft befaßt. Über das Verschwiegene zu sprechen, an das Verstummen zu erinnern -dies erweist sich als eine politisch wie literarisch notwendige Aufgabe. Ohnehin stellte Literatur unter den Bedingungen der Diktatur allein durch ihren sorgfältigen Umgang mit dem Wort eine kritische Instanz dar, indem sie leere Worthülsen vermied und versuchte, eine lebendige Sprache, die sich frei von den Phrasen der öffentlichen Reden hielt, als Basis der Kommunikation aufrechtzuerhalten

In der Auseinandersetzung der Literatur mit den politischen Verhältnissen vermischen sich mehrere Motive: das Aufdecken der verschwiegenen Wahrheiten einer Herrschaftsform, die sich durch nichts als das Auslegungsmonopol über eine Ideologie rechtfertigt, sowie die Herrschaft der Zensur in allen diesen Systemen; als eine spezifische Arkanpraxis des Politischen lebte sie vor allem in sozialistischen Systemen fort Vor allem aber gilt es, für jene Opfer zu sprechen, die in diesen Ordnungen sonst der Auslöschung, dem totalen Vergessen anheimgefallen wären.

Im folgenden soll dem anhand einiger charakteristischer Beispiele nachgegangen werden. Gefragt wird nicht -wie im deutschen Literaturstreit -nach der Legitimität einer „Gesinnungsästhetik“, sondern nach den Schreibantrieben, die jenseits der politischen Meinungskämpfe in die Literatur eingingen und die Auseinandersetzung mit Sprache und Nicht-Sprechenkönnen, mit Verstummen, Verschweigen und Lüge in der Literatur bestimmten

II. Sprechen über das öffentlich Verschwiegene: Erinnerung an die Opfer

Die Sprachregelungen der mit der Ideologie und Praxis des totalitären Sozialismus verbundenen politischen Systeme -mit deren spezifischen Utopien und ihren furchtbaren Verwerfungen -waren eng, die Retuschen der historischen Wirklichkeit umfassend. Literatur mußte sich unter großen Mühen gegen die herrschenden Denkverbote und Zensurregeln durchsetzen; sie war Zwängen ausgesetzt, die sich durchaus auf Realisationsformen und Aussagemöglichkeiten der Literatur auswirkten. Besonders eindrucksvoll läßt sich dies verfolgen an einem Werk, das den Niedergang der Verheißungen des Sozialismus widerspiegelt: Alexander Solschenizyns „Archipel GULAG“. Hier begann ein Schriftsteller, die von ihm zusammengetragenen authentischen Materialien zu bearbeiten, und er begriff das als literarischen Auftrag, dem er viele Jahre seines Lebens gewidmet hat. Er schrieb -nicht ohne Pathos -gegen die „grausame und feige Geheimnistuerei, aufdie alles Elend unseres Landes zurückgeht. Wir haben nicht nur Angst, offen zu äußern, zu schreiben und den Freunden zu erzählen, was wir denken und wie die Dinge sich verhalten -wir haben sogar Angst, uns dem Papier anzuvertrauen, denn immer noch schwebt das Beil über unseren Nacken und kann jeden Augenblick niedersausen.“ u Solschenizyn selbst nennt dieses dokumentarische Werk, dem genaue Recherchen unter den Bedingungen einer scharfen Zensur zugrunde liegen, „Versuch einer künstlerischen Bewältigung“. Er hat nicht nur Fakten für einen Bericht über Geschichte und Ausdehnung des sowjetischen Lagersystems bis 1956 zusammengetragen, sondern ihnen eine Form gegeben. Es ist die Sprache der Literatur, die dem Verdrängten und Vergessenen Ausdruck verleiht, die „aufbewahrt für alle Zeit“.

Die Verarbeitung selbsterlebter Lagererfahrungen hat er ausgebaut zu einer grundsätzlichen Recherche, die das Schicksal der Wlassow-Armee ebenso einbezieht wie den Bau des Weißmeer-Kanals, den Untergang der Kulaken oder das Schicksal der Kinder und der Frauen jener Männer, die in den Lagern umkamen. Das wird beschrieben pathetisch, drastisch, mit galligem Witz und zuweilen in poetischen Bildern, die sich einprägen. Seine Untersuchung weist auf die Verbrechen hin, die durch das herrschende System begangen wurden, ohne daß über sie geredet werden durfte. Sie führt die Leiden der Häftlinge und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen vor Augen -die Verkehrung der moralischen Werte im Lager, das Krebsgeschwür, das diese Lagerordnung für die gesamte Sowjetunion darstellte: Totalitarismus als eine Krankheit der Gesellschaft. Und immer wieder bezieht sie sich auf die Leiden der Einzelnen -was ihnen widerfuhr, wie sie sich mit dem ihnen Widerfahrenen auseinandersetzten: mit Starrsinn und beharrlichem Widerstand, mit Anpassungsbereitschaft, mit Verzweiflung, mit nicht zu erstickender Fröhlichkeit und Hoffnung auf bessere Zeiten danach. Indem er beschreibt, was er erlebt hat und was ihm berichtet wurde, fordert er ein ganzes System mitsamt der ihm zugrundeliegenden Ideologie heraus: „Das Wort eines Schriftstellers, das nicht von Tat spricht und Tat bewirkt, wozu ist es gut? Es ist nicht mehr als nächtliches Hundegebell im Dorf. "

Mit seinen Werken stellt er sich im übrigen bewußt in eine Tradition der russischen Literatur, die gezwungen war, in den Untergrund zu gehen. Das hat er in „Die Eiche und das Kalb“ geschildert, der Entstehungsgeschichte des „Archipel

GULAG: „Ohne Zögern nahm ich das Los des zeitgenössischen russischen Schriftstellers auf mich, dem es um die Wahrheit geht: nur zu schreiben, damit das alles unvergessen bleibt und die Nachkommen es einmal erfahren. Solange ich lebe, darf ich mir nicht vorstellen, nicht einmal davon träumen, gedruckt zu werden. "

Solschenizyn hat an seinem Werk intensiv, ja verbissen gearbeitet: neun Jahre, von 1958 bis 1967. Zum Sammeln des Materials kam im Hinblick auf die Geheimpolizei das Auswendiglernen ganzer Passagen, das Experimentieren mit Mikroverfilmungen, das Suchen diverser Verstecke für Teile des Manuskripts, von dem er noch zur Zeit seiner Veröffentlichung sagte, er habe es niemals im Zusammenhang, als Ganzes, vor sich gehabt. Er versuchte, Erfahrungen zur Sprache zu bringen in der Hoffnung, daß andere Autoren des Samisdat -der Untergrundliteratur -Vergleichbares leisten würden; beseelt von einer selbstverständlichen* Heilserwartung, die sich auf die Vision eines neuen Rußland richtete. Im herrschenden System dagegen erschien nur noch die Lüge als einzige ungefährliche Daseinsform Dieses Gespinst der Lüge galt es zu zerreißen. Schreiben wurde zur Auseinandersetzung mit einem System, das er als teuflisch ansah. Auch nach 1956, nach der offiziellen Aufhebung stalinistischer Lagerjustiz, attestierte er ihm weiterhin absolute Rechtlosigkeit Dem damals vorherrschenden offiziellen Jubelbild eines strahlenden Sozialismus hat er daher eine Anti-Geschichte entgegengesetzt: Nicht eine unterdrückte Klasse beschreibt er, sondern -in alter russischer Tradition -ein leidendes Volk.

III. Sprechen über die öffentlich Vergessenen: Erinnerung an den Widerstand

„Politik und Schreiben ist für mich eins“, hat auch Peter Weiss gesagt Er meint das in einem sehr radikalen Sinn. Wie Solschenizyn schreibt er gegen ein Krebsgeschwür an -weniger gegen das des totalen Staates als gegen das „Krebsgeschwür des Kapitalismus“ „Die Ästhetik des Widerstands“, von der hier die Rede sein soll, entstand während der siebziger Jahre. Der Vietnam-Krieg, beendet 1975, und die Fortdauer des Kalten Krieges bestimmten das politische Bewußtsein der damaligen Intelligenz. Die Position von Peter Weiss -des 1934 über England nach Schweden emigrierten Deutschen jüdischer Herkunft, Mitglied der schwedischen KP -ist eindeutig, soweit es um aktuelle Stellungnahmen geht. Er ist Demokrat, mit distanzierter Haltung gegenüber dem „realen Sozialismus“ der DDR; auf die sozialistische Grundeinstellung ihrer Bürger hofft er gleichwohl. Vorbehalte hegt er auch gegenüber der Bundesrepublik, zu deren anerkannten Schriftstellern er zählt, wenn auch eher als Außenseiter. Nach den kulturellen Verbindungslinien zwischen beiden deutschen Staaten sucht er: „. .. da war eine gemeinsame Kultur, die ist nicht auseinanderzubrechen . . . Zwei deutsche Staaten, hervorgewachsen aus gleichen Traditionen, jetzt (diametral) entgegengesetzter Politik unterstellt. "

Daß es für einen Mann, der im Exil geblieben ist, der von sich sagt, daß Auschwitz die Ortschaft sei, „für die ich bestimmt war und der ich entkam“ dabei keineswegs um vorschnelle Versöhnung, eher um ein Ausloten der Tiefe der geschichtlich verhärteten Widersprüche gehen kann, liegt auf der Hand.

Auch Weiss beschreibt als Jugenderfahrung (in seinem Aufsatz „Laokoon oder Über die Grenzen der Sprache“) die grundsätzliche Verstörung durch Ausgeschlossenwerden aus einer Sprachwelt: „Er, von dem hier die Rede ist und dessen Gedanken von Anfang an mit dieser Sprache verbunden waren, gerät zu denen, die von der Sprache plötzlich als Fremdkörper bezeichnet werden. Wenn er sich aufsich selbst berufen will, werden seine Worte für ungültig erklärt. Diejenigen, die er seine Freunde nannte, nehmen seine Worte nicht mehr auf.“ Der Verbannung aus der Sprache und der Emigration folgte der Versuch des Malers Weiss, sich in Bildern auszudrücken, der ihm jedoch nicht ausreicht: „Bilder begnügen sich mit dem Schmerz. Worte wollen vom Bestandteil des Schmerzes wissen.“ Sprache, selbst unvollkommen, ist lebensnotwendig: „Außerhalb einer Sprache zu sein, bedeutete Sterben.“ Und so bleibt die Suche nach Ausdruck: „ Wir mögen den Halt an Worten verlieren, die letzten Andeutungen von Bildern mögen verschwinden, doch die Vorgänge, die uns nach Worten suchen machen, die Bilder in uns hervorrufen wollen, sind immer in unsrer Welt enthalten. Wir befinden uns noch zwischen ihnen, solange wir atmen, stammelnd, lallend, gestikulierend, schreiend, stöhnend, verstummend, dann wieder die Lippen bewegend, radebrechend in allen Zungen. "

Es ist eine Geschichte der Qualen, der Zerrissenheit und der Schmerzen, von der Weiss in seiner Romantrilogie berichtet. Seine politischen Haltungen gehen in diesen „Bildungsroman“ nur vermittelt ein: als Versuch, in der Geschichte des Scheiterns von Mitgliedern einer deutschen kommunistischen Widerstandsgruppe -deren Geschicke er in Berlin, im spanischen Bürgerkrieg, im Exil in Frankreich und in Schweden sowie wieder in Deutschland verfolgt -in vielfachen Brechungen zugleich jene des Scheiterns einer universalen Bewegung, eines ewigen Kampfes der Klassen nachzuzeichnen. Parallel dazu wird dieser Kampf nochmals in der Darstellung großer Werke der bildenden Kunst gespiegelt, mit denen sich der Ich-Erzähler und seine Freunde ebenso intensiv auseinandersetzen wie mit dem Entwurf eines Dramas zur schwedischen Geschichte, das Bert Brecht, dem sie begegnen, im Exil plant. „Ästhetik des Widerstands“ bedeutet, daß der Widerstand der jungen Arbeiter, der hier geschildert wird, seine Ausformung erhält in der Emanzipation durch aktive Kunstaneignung. Die Verbindung künstlerischer Erkenntnis mit politischen und sozialen Einsichten soll die ursprüngliche Beziehung zwischen beiden wiederherstellen: „Die tatsächl. polit. Wahrheit ist auch eine künstlerische Wahrheit -werden nur getrennt voneinander durch ideolog. Verhärtungen“, kommentiert er in seinem Tagebuch Künstlerische Wahrheit darf daher nie zwangsweise einer unvollkommenen politischen Wahrheit angepaßt werden. Kultur bezeichnet für Weiss nicht den Überbau, sondern die Basis menschlicher Tätigkeit ihre Entdeckerfreude, Phantasie, ihre Erfindungsgabe und Kraft der Individuation gilt es zu erobern und zu bewahren - und zwar mit höchstem Anspruch. Dieser muß insbesondere jenen vermittelt werden, die bislang durch ihre Klassenlage davon ausgeschlossen waren.

Zugleich führt der Weg des Widerstands in die Zerrissenheit und Vereinsamung des doppelten Kampfes: in die Auseinandersetzung mit den Greueln des Stalinismus -„Der Weg zum Kommunismus ist getränkt von Tränen, durchhallt von Stöhnen und Geschrei“ -und in den Kampf auf Leben und Tod mit dem übermächtigen Faschismus. Nur wenige der Geschilderten überleben ihn, mühevoll. Daß man der Wirklichkeit nur noch gewachsen sei, wenn man nichts mehr erhoffe, denn mit Hoffnungen lasse sich dieses Leben nicht mehr ertragen, heißt es an einer Stelle im Roman Und dennoch schließt er mit dem Verweis auf mögliche Zukunft: „Immer wieder, wenn ich versuchen würde, etwas von der Zeit, die mit dem Mai fünfundvierzig beendet wurde, zu schildern, würden sich mir die Folgen aufdrängen. Über die Erfahrungen, die durchsetzt waren von Tod, würde sich die grell kolorierte, längst wieder von Folter, Brandschatzung und Mord gefüllte Zukunft legen. Immer wieder würde es sein, als sollten alle früheren Hoffnungen zunichte gemacht werden von den später verlorengegangnen Vorsätzen. Und wenn es auch nicht so werden würde, wie wir es erhofft hatten, so änderte dies doch an den Hoffnungen nichts. "

Was von der „Ästhetik des Widerstands“ im Gedächtnis bleibt, sind weniger die allgemeinen Erwägungen zur politischen Situation, wohl aber ihre Verknüpfung mit den Geschicken der vielen Einzelnen, die mit ihren politischen Analysen und Entscheidungen in die Geschehnisse eingebunden waren, ihre Verstrickung in Schuld und ihre Qualen angesichts der Unlösbarkeit ihrer Konflikte. Trotz aller Gefährdungen, denen sie ausgesetzt waren, erscheinen sie -mit Ausnahme der Mutter des Erzählers, die in Schweigen versinkt -kaum je nur als Leidende, sondern als bewußt Handelnde. Sie sind gewohnt, sich mit ihrer Situation argumentierend und nach Entscheidungen suchend, auch nach unerbittlichen Entscheidungen, auseinanderzusetzen, immer bereit, die eigene Person zurückzustellen: „Eigentlich waren sie stumm gewesen, im Verschwiegnen hatten ihre Handlungen stattgefunden, nur im Schlafkonnten sie manchmal aufsehrein, um sich, noch nicht wach, die Hand vor den Mund zu legen, sie, die die Wirklichkeit, in der wir lebten, und damit auch die Gegenwart, aus der heraus ich einmal schreiben würde, verändert und geprägt hatten, waren nicht einmal im Besitz ihrer Namen gewesen. Mit Chiffren, Decknamen hatten sie sich verborgen. Wenn ich beschreiben würde, was mir widerfahren war unter ihnen, würden sie dieses Schattenhafte behalten. Mit dem Schreiben würde ich versuchen, sie mir vertraut zu machen. Doch etwas Unheimliches würden sie behalten, vor einigen würde ich nie die Furcht loswerden, die sie in mir geweckt hatten, denn sie hätten mich an die Wand stellen können. "

Auch Weiss schreibt gegen das Vergessen an, eine Literatur der Erinnerung. Mit Solschenizyn -dessen naturalistische Schreibweise er ablehnt -verbindet ihn doch die Beziehung auf das Authentische, das die Autoren, wie er gelegentlich notiert, fortwährend mit phantastischer Kraft überwältige: „Wozu sollten wir noch Romane schreiben, etwas erfinden, irgendetwas ausdenken können, wenn ringsum Ungeheuerliches im Entstehn begriffen ist, sich ständig entpuppt, schreckliche Gestalt annimmt, sich verwandelt, plötzlich auch wilde Hoffnungen weckt, diese dann durch überraschende Einbrüche wieder zerschlägt. " Doch diese Authentizität ist anderer Art als die Solschenizyns. Die Übermacht des Politischen in seiner Widersprüchlichkeit zwingt zu einer präzisen, quasidokumentarischen Auseinandersetzung mit der Realität. Der Autor besucht alle Orte des Geschehens, interviewt Beteiligte, liest Memoiren -aber er filtert die Vorgänge in der Wahrnehmung des fiktiven Erzählers. Zum Schluß weiß er nicht mehr zu trennen zwischen Erdachtem und direkt Erfahrenem, wobei sich Erfundenes und Erfahrenes in allen Personen mischen. Nur auf diese Weise läßt sich jene Epoche der Ambivalenz und der Kontroversen darstellen: „Man kam der Wahrheit am nächsten, wenn man den bestehenden Zwiespalt in die Analyse des Sachverhalts einbezog.

Die außerordentliche Dichte des Textes, seine ständige Historisierung und Metaphorisierung die vielfältigen literarischen und künstlerischen Bezüge erheben den Roman von Peter Weiss zum Memorial des Widerstands, der tödlichen Konflikte der Unterlegenen, der Würde ihrer Kämpfe.

IV. Mutmaßungen über die deutsche Vergangenheit: Uwe Johnson

Von der „Katze Erinnerung, dem Gewesenen hinterher schon durch die Verspätung der Worte, nicht wie es war, bloß was ich davon finden konnte“, spricht Uwe Johnson in seiner nachgelassenen Erzählung „Heute neunzig Jahr“ einer Art Parallelgeschichte zu dem großen Roman. Sein Hauptwerk, die „Jahrestage“, beschreibt ein Jahr im Leben der Gesine Cresspahl, der aus Mecklenburg über Düsseldorf nach New York gegangenen Bankangestellten und Übersetzerin. Im Auftrag ihrer Bank bereitet sie sich auf eine Reise nach Prag vor, in der Hoffnung auf einen doch noch möglichen freiheitlichen Sozialismus. Die Aufzeichnungen enden am 20. August 1968. In täglicher Auseinandersetzung mit dem, was um sie her geschieht, entsteht ein aus vielen Splittern zusam-mengesetztes, kaleidoskopartig sich verschiebendes Bild der eigenen Vergangenheit. Zu diesem Aufarbeitungsprozeß zählen die Erlebnisse des Alltags in ihrer engeren Nachbarschaft, am Riverside Drive; das aktuelle politische Geschehen wird einbezogen durch die regelmäßige Lektüre der „New York Times“, es wird verarbeitet in Gesprächen mit der elfjährigen Tochter Marie, der sie zwischendurch von der eigenen Herkunft wie von der ihres Vaters berichtet. Erinnerungen werden wach im Umgang mit Freunden und nicht zuletzt in Dialogen mit den Toten.

Ausgehend von der erlebten Nachkriegszeit im sowjetischen Besatzungsgebiet und in den ersten Jahren nach der Staatsgründung gehen ihre Gedanken und Fragen insbesondere den widersprüchlichen Erfahrungen das Vaters während der Weimarer Zeit und des Dritten Reiches nach. Heinrich Cresspahl arbeitete zuzeiten in England und kehrte, obgleich ein eher linker Sozialdemokrat, seiner Frau zuliebe nach Mecklenburg zurück. Seine Frau Lisbeth, religiös, länger schon in tiefe Depressionen verfallen, legte, als in der Pogromnacht vom 9. November 1938 ein jüdisches Kind getötet wurde, Feuer in der Werkstatt ihres Mannes und verbrannte sich selbst. Gesine hat ein traumatisches Verhältnis zu ihrer Mutter -wegen der Verlusterfahrung ihres Selbstmords, wegen der Erinnerung, daß die Mutter in religiösem Wahn fast einmal den Tod des eigenen Kindes zugelassen hätte.

Gerade an diesem Verhältnis zur Mutter wird deutlich, daß die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sich nicht nur auf einer argumentativen Ebene vollziehen kann. Gesine ist das Kind eines Vaters, „der von der planmäßigen Ermordung der Juden gewußt hat“, zugleich ist sie betroffen als Angehörige einer nationalen Gruppe, „die eine andere Gruppe abgeschlachtet hat in zu großer Zahl“ Sie erlebt die Folgen, denn sie geht in New York mit Überlebenden des Holocaust um. Ihre unmittelbare Anschauung jedoch (wie jene des gleichaltrigen Uwe Johnson) bezieht sich zwar auf einige eindringliche Erinnerungen an die Jahre von Krieg und Vorkrieg, aber im wesentlichen auf die Unrechtserfahrungen im Mecklenburg der Zeit vor und nach 1945, die sie als Konsequenz früherer Geschichte anzusehen lernt. Es sind nicht nur die großen Ungerechtigkeiten wie etwa die Behandlung Heinrich Cresspahls in einem sowjetischen Lager, die der Autor festhält, die Willkür, die Prozesse. Er beobachtet im Alltag die Verhaltenswei-sen, die sie fördern: „ Vor wem ist der Ekel größer, vor dem, der die Feigheit leistet, oder vor denen, die sie verlangen?“ Es gibt Lehrer, die wissen, „daß der Schüler lügt beim Aufsagen von Lügen, die er von niemandem weiß als von ihnen selber, und eine Eins schreiben sie ihm an, und der Schüler sieht ihnen zu dabei“ Im Roman heißt es dazu, als Gesine ihre Berufswahl erklärt, daß ihr das Verlangen nach dem Lehrerberuf ausgetrieben worden sei „auf der sozialistischen Oberschule von Gneez-Vor einer Klasse stehen mit dem Wissen, etwas zu verschweigen, von den Schülern des Lügens verdächtigt; mir wollte ich es ersparen. "

Es ist, als ob der Versuch, festzuhalten, was damals geschah, unweigerlich zu einer konzentrischen Ausweitung der Fragen, zu einem intensiveren Nachforschen führt. Immer wieder kommt es zu neuen Beleuchtungen des Vergangenen durch den Blick von außerhalb und den Dialog mit anderen. Das Leben mit der Vergangenheit bleibt unabgeschlossen; sie kann nicht „bewältigt“ werden.

Johnson hat in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen das Kapitel über die Erfahrungen des Kindes mit der Zeit Hitlers und Stalins geschlossen mit dem Bemerken, Zuhörer könnten folgern, hier sei jemand im psychologischen Sinne fixiert auf zwei Personen der Zeitgeschichte: „Allerdings meint er, vornehmlich sie hätten ihm vorgeführt, wie man Sprache falsch benutzen kann, sogar mit dem Vorsatz zu betrügen. Wenn das ein Verein war, wollte er da austreten. " Sein „Austritt“ wird deutlich in einem spezifischen Umgang mit der Realität, geprägt durch intellektuelle Redlichkeit; Redlichkeit des Autors auch gegenüber seinen Figuren, denen er ein Eigenleben zubilligt. Sorgfältig wird der Vorgang der Erinnerung selbst ans Licht gehoben: als Rekonstruktion einer längst vergessenen Geschichte, „bis alle ihre Leute, ihre Handlungen, ihre Lebensorte, ihre Geschwindigkeiten, ihre Wetterlagen unaufhörlich miteinander zu tun bekommen“ Nicht um Sicherheiten geht es dabei, sondern um Mutmaßungen, um weiterführende Ermittlungen, die gegen die „ Verjährung des Gedächtnisses“ gerichtet sind. Dazu hat Johnson akribisch Material zusammengetragen -nachzuprüfen insbesondere in den Abschnitten zur Alltagsgeschichte der frühen Nachkriegszeit

Johnson berichtet von einer „Vergangenheit, die nicht vergehen will“: Er berichtet von ihr als alltäglicher Erfahrung, wie sie in einer mecklenburgischen Kleinstadt gewonnen werden konnte, und setzt sie der rückblickenden Kritik aus. Selbst die Hoffnungen späterer Zeiten werden in die Kritik einbezogen -denn der Autor, aus politischer Überzeugung Sozialist, kennt schon die Ereignisse von Prag.

V. Das Aussprechen der tödlichen Wahrheit: „Kassandra“

Zu der Zeit, als Johnson an den „Jahrestagen“ arbeitete, veröffentlichte Christa Wolf ein Buch, das von ihrer Reise in die eigene Vergangenheit berichtete: „Kindheitsmuster“ (1979). Auch hier, in mehrfachen Brechungen, finden wir die Reflexion über den lähmenden Erinnerungsverlust, der die Prägungen der frühen Jahre -die „Kindheitsmuster“ -überdeckt Sie ist dem Prozeß der Verdrängung sehr sorgfältig nachgegangen, wobei die Erfahrungen der eigenen Gesellschaft, auf die er sich auch bezieht, eingeflochten werden. Diese deutlichen, dennoch quasi beiläufig angesprochenen Hinweise kennzeichnen das gesamte Buch. Gefühle, so notiert sie dort gelegentlich, die man sich verbieten müsse, nähmen auch benachbarte Gefühle mit sich. Die Unmittelbarkeit der Empfindungen werde zerstört. „Zu genau weißt du, was dir schwerfallen darf, was nicht. Was du wissen darfst, was nicht. Worüber zu reden ist und in welchem Ton. Und worüber auf immer zu schweigen. " Die Sehnsucht nach einer Zeit, „in der man offen und frei über alles werde reden und schreiben können“ durchzieht den Text; sie kann als ein Leitmotiv auch ihrer künftigen Werke angesehen werden.

Die Erzählung „Kassandra“ erschien 1983, gemeinsam mit den Frankfurter Poetik-Vorlesungen, in denen Wolf die theoretischen Überlegungen zum Text gewissermaßen ausgegliedert hatte. Ihr politischer Anlaß: die Kriegsängste zur Zeit der Hochrüstungsdebatte; eine Situation, in der man als Bestes eine Patt-Situation, ein Stillhalte-Abkommen erhoffen könne. Unter diesen Bedingungen sei der Status quo die wünschbare Lösung, daher innerhalb der beiden deutschen Staaten Veränderung am wenigsten denkbar. „ Es gibt keinen Spielraum für Veränderungen. Es gibt keine revolutionäre Situation. "

Im allgemeinen Klima der Ängste und der Massenhysterie registriert sie Unbehagen, Sinn-Verlust und verbrauchte Institutionen. Die Autorin sucht Abstand zur Gegenwart. So wendet sie sich dem Mythos zu und versucht eine neue Lesart des alten Stoffes der Ilias, beginnend mit einer radikalen Verfluchung des strahlenden Helden Achill durch Kassandra: „Achill das Vieh“ In der Figur der untergehenden Priesterin sucht sie die Spuren einer anderen, einer matristischen Kultur, die durch die Griechen unterdrückt wurde. Nicht das Denken in Alternativen, die Trennung in Wahrheit und Lüge, Freund oder Feind galt hier, sondern die Einfühlung in „das andere, das sie zwischen ihren scharfen Unterscheidungen zerquetschen, das Dritte, das es nach ihrer Meinung überhaupt nicht gibt, das lächelnde Lebendige, das imstande ist, sich immer wieder aus sich selbst hervorzubringen, das Ungetrennte, Geist im Leben, Leben im Geist“

Von Kassandra wissen wir aus der antiken Sage, daß sie den Untergang Troias verkündete, aber für wahnsinnig erklärt wurde. Wolf bezieht sich in ihrer Darstellung auf die in der Orestie des Aischylos geschilderte Situation der Ankunft der gefangenen Priesterin Kassandra in Mykene, unmittelbar vor der Ermordung des Agamemnon und Kassandras. In einem großen inneren Monolog erinnert sich die Priesterin in diesen letzten Lebensminuten noch einmal an die Erfahrungen, die mit ihr vergehen werden. Den Beruf der Priesterin hat sie anders als erwartet ausgefüllt; denn die Gesichter, von denen sie überwältigt wurde, hatten nichts mehr mit rituellen Orakelsprüchen zu tun. „Sie sieht die Zukunft, weil sie den Mut hat, die wirklichen Verhältnisse der Gegenwart zu sehen. " Das führte zur Loslösung aus den bisherigen Bindungen. Wegen ihres „Wahrheitsagen“ wurde sie zunächst für wahnsinnig erklärt, dann ins Gefängnis geworfen -von ihrem eigenen Vater. Am Ende wird sie zur Beute der Eroberer Troias, vor deren Eindringen sie vergeblich warnte.

Christa Wolfs Darstellung ging eine eingehende Beschäftigung mit der griechischen und vorgriechischen Mythenwelt voraus. Der Mythos ermöglicht Distanz -zugleich Neudeutungen, das Nachdenken über Alternativwelten. „Den Mythos lesen lernen“, notiert sie in den Vorlesungen, „ist ein Abenteuer eigener Art; eine allmähliche eigne Verwandlung setzt diese Kunst voraus, eine Bereitschaft, der scheinbar leichten Verknüpfung von phantastischen Tatsachen, von dem Bedürfnis der jeweiligen Gruppe angepaßten Überlieferungen, Wünschen und Hoffnungen, Erfahrungen und Techniken der Magie -kurz, einem anderen Inhalt des Begriffes , Wirklichkeit‘ sich hinzugeben.“

Kern ihrer Neulektüre stellt ihre Fortschritts-und Technik-Kritik dar, entwickelt am Beispiel des entfremdeten Wahnsystems beim Rüstungs-„Fortschritt“: dieses sei einem vorrangig männlichen

Selbstbild entsprungen. „Würde nicht , das Denken', hätten Frauen seit über 2 000 Jahren an ihm mitgedacht, heute ein andres Leben führen?“

Der vielschichtige Text lädt zu allegorischer Interpretation ein, entzieht sich ihm jedoch durch die kunstvolle Verknüpfung mehrerer Erfahrungsund Bedeutungsebenen. Parallel zur Geschichte der Emanzipation der Priesterin Kassandra enthält er unter anderem eine Strukturgeschichte der Kriegsentstehung und des moralischen Zerfallsprozesses einer Gesellschaft, die sich vom Vorrang kriegerischen Denkens nicht mehr lösen kann. In die Erzählung gehen sowohl Erinnerungen der Autorin an eigene „Kindheitsmuster“ wie Erfahrungen der Gegenwart ein. Daß der Text als ein „historischer“ gelesen werden konnte, ermöglichte seine Veröffentlichung, wenn auch unter harscher Kritik der Vertreter des offiziellen Denkens

Wolf beschreibt sehr eindringlich den Aufbau eines Lügen-und Spitzelsystems in einem Herrschaftszusammenhang, dessen Angehörige sich vordem weitgehend frei äußern konnten. Die Königstochter Kassandra -gewohnt, daß ihre Fragen ernst genommen werden -stößt plötzlich auf Mauern des Schweigens, bedingt durch Angst. Mißliebiges darf nicht mehr berichtet werden. Damit beraubt sich die Gesellschaft ihrer Erfahrungsmöglichkeiten: „Ich lernte, indem ich die Arten zu schweigen beobachtete. Viel später erst lernte ich selbst das Schweigen, eine nützliche Waffe.“

Als sie später in einem kleinen Trupp gefangen an den Bürgern von Troia vorbeigeführt wird, bemerkt man sie nicht: „Einfach nicht sehen -war einfach, sah ich.“ Denn inzwischen hat ein Offizier der Palastwache, Eumelos, die Regulierung des Sicherheitssystems übernommen (übrigens einer der wenigen, der überleben wird): „ Und die Griechen würden ihn gebrauchen. Wohin wir immer kämen, dieser wär schon da. Und würde über uns hinweggehn.“ Kontrollen und Wachen werden eingerichtet, wichtiger noch ist das perfekte Nachrichtenmanagement, das nun einsetzt: Das zerfallende Herrschaftssystem wird nur noch durch Mythen, Rituale und das Netz der Staatssicherheit zusammengehalten. Zwänge zu Verhandlungen mit den Griechen werden mythologisch überhöht. Schon die dreimalige Aussendung von Schiffen, obgleich letztlich erfolglos, war bei der Rückkehr jedesmal als Sieg gefeiert worden, insbesondere als das letzte Schiff Helena heimbrachte. In „Tagund Nachtsitzungen“ war an der Siegesnachricht gearbeitet worden, bis die Trennung der Nachricht vom Ereignis perfekt war, bis sie schließlich „gehämmert, glatt wie eine Lanze“ dem Volk präsentiert wurde, und sie verfehlte ihre Wirkung nicht: „Jubelnd lief das Volk durch die Straßen. Ich sah eine Nachricht zur Wahrheit werden. " Von dieser Nachricht ist später nicht mehr die Rede. Sie war nötig, die Kriegsbegeisterung zu schüren. Denn in Wahrheit gibt es Helena gar nicht.

Als Kassandra später noch einmal ihren Vater auf die Realität der Helena anspricht, wirft er sie hinaus -sie, die immer noch dachte: „Was wahr ist, wahr zu nennen, und was unwahr, falsch: das mindeste, so dachte ich, und hätte unseren Kampf weit besser unterstützt als jede Lüge oder Halbwahrheit. Denn es ging doch nicht an, so dachte ich, den ganzen Krieg und unser ganzes Leben -denn war der Krieg nicht unser Leben -auf den Zufall einer Lüge aufzubaun . . . Wir mußten uns doch bloß auf unsere troische Tradition besinnen. Wie war die aber? Worin bestand die doch? Bis ich begriff: In Helena, die wir erfanden, verteidigten wir alles, was wir nicht mehr hatten. Was wir aber, je mehr es schwand, für um so wirklicher erklären mußten. So daß aus Worten, Gesten, Zeremonien und Schweigen ein andres Troia, eine Geisterstadt erstand, in der wir häuslich leben und uns wohlfühlen sollten. War ich es denn alleine, die dies sah. " Die Autorin beschreibt Troia schon als eine Stadt der Toten, bevor das Ende kommt. Die Angleichung an den Feind, der siegen wird, hat längst stattgefunden. Eine Wertordnung, auf die Troia sich mit Recht berufen könnte, gibt es nicht mehr; sie ist durch Lügen zerstört worden.

Christa Wolfs Buch ist bei seinem Erscheinen auf große Resonanz gestoßen. Abgesehen von der Analyse der ideologischen Gefährdungen einer Vorkriegssituation sprach gerade die spezifische Form psychologischer Mythisierung viele Leser in Ost wie in West an, die sich jeweils vielfältige Interpretations-und Identifikationsmöglichkeiten zurechtlegten. Liest man genauer, ist die Verteilung der Bewertungen jedoch eindeutig. Auf der einen Seite die anerkannte Ordnung des alten Troia: das „alte Wahre“, das verloren geht, wenn auch die Autorin selbst Troia als „Modell für eine Art von Utopie“ betrachtet hat Als möglicher Ausweg erscheint jene untergehende Alternativ-welt, in die Männer wie Anchises und Aineias zwar einbezogen sind, die sie aber verlassen zugunsten einer (unserer) Zukunft, an der Kassandra nicht teilhaben will. Die Welt der Griechen gilt demgegenüber als das schlechthin Böse -der Angleichungsprozeß zwischen den Feinden wird nicht als ein beiderseitiger gesehen, sondern erweist sich im wachsenden Verfall der Sitten der Troier, die ihrem durch die Brutalität des Gegners bewirkten Untergang entgegentreiben.

Christa Wolf vermeidet sorgfältig, Kassandra zu heroisieren. Ihre Qualitäten beruhen darauf, daß sie fähig ist, ihre Gefühle zu artikulieren und sich mit ihrer Angst auseinanderzusetzen -anders als der griechische Priester Panthoos, der nach Troia ging, oder der Seher Kalchas, der zu den Griechen überwechselte. Eindeutig zeigt die Autorin allerdings, daß die eigene Gesellschaftsordnung auf Lüge aufgebaut ist. Sie thematisiert das Verstummen der Bürger, das Verschweigen der Wahrheit durch die Herrschenden -und die wachsende Trostlosigkeit sowie den Substanzverlust einer auf Vortäuschungen beruhenden Gesellschaft, in der es eine schöne Helena, um die der ganze Krieg geführt wurde, niemals gegeben hat

VI. Sprechen und Schweigen, Lügen, Verschweigen und Verstummen

Die Werke, von denen bislang die Rede war, wurden sämtlich während eines relativ kurzen Zeitraums (zwischen 1970 und 1986) publiziert, einzig der „Archipel GULAG“ entstand früher. Sie wurden geschrieben aus unterschiedlichem Anlaß: Imre Kertesz und Primo Levi blickten zurück auf die „undechiffrierbare Hölle“ der NS-Konzentrationslager. Alexander Solschenizyn versuchte, in Gegnerschaft zu dem Herrschaftssystem, in dem er lebte, und unter den Bedingungen härtester Zensur auf dessen verschwiegene Opfer hinzuweisen und Gerechtigkeit für sie einzufordern. Peter Weiss erinnerte an den Widerstand der Arbeiterbewegung und an ihre Tragik: die Zwiespältigkeit ihrer Entscheidungssituationen und die Verzweiflung der „Namenlosen“. Uwe Johnson setzte sich rückblickend mit den unauslotbaren Widersprüchen deutscher Geschichte auseinander. Christa Wolf versuchte eine Aufarbeitung der Konflikte der eigenen Gegenwart im Mythos. Zwei der Autoren, Weiss und Johnson, haben im selbstgewählten Exil gelebt. Solschenizyn hingegen arbeitete als Samisdatschriftsteller im eigenen Land und wurde ausgewiesen. Prozesse einer tiefen inneren Entfremdung verzeichnet auch der Text von Wolf. Levi betrachtete sich sein gesamtes Leben hindurch aufgrund seiner Erfahrungen als Ausgeschlossener, so auch Kertesz.

Sie kommen aus unterschiedlichen Ländern und unterschiedlichen Erfahrungszusammenhängen, sie äußern sich in unterschiedlichen literarischen Formen -gemeinsam ist ihnen eine erhöhte moralische Reagibilität aufgrund ihrer Verletzungen durch die Diktaturerfahrung, mehrfach durch die doppelte Diktaturerfahrung. Gemeinsam ist ihnen auch das Verhältnis zu dem Lügensystem, mit dem sich auseinanderzusetzen sie gezwungen waren, sowie ihr Leiden an dem Geflecht von Halbwahr-heiten und Verschwiegenem, das noch die Außen-stehenden, die „Zuschauer“, zu Komplizen der Diktatur machte und seine Opfer der Vergessenheit anheimfällen ließ. Gemeinsam ist allen Texten schließlich der Blick für die unterschiedlichen, systembedingten Formen des Schweigens als einer spezifischen Art der Kommunikation. Eine existentielle Erfahrung, die von den anderen isoliert, bewirkt das Verstummen jener, die „das Haupt der Medusa erblickten“ (Levi). Daneben gibt es das Schweigen der Herrschaftsunterworfenen aus Angst, aus Anpassungsbereitschaft, schließlich das Schweigen als bewußte Verweigerung der Kommunikation mit den Opfern. Berichtet wird aber auch vom Schweigen als direkter Resistenz gegenüber den Zumutungen der Machthaber, vom Schweigen als Verweigerung der Kollaboration bis hin zum aktiven Widerstand. Schließlich kann das Schweigen sich im Verstummen kundtun -als letzter Form der passiven Resistenz und der Übernahme der Opferrolle, typischerweise durch Frauen (Für die Seite der Herrschenden wird eine andere Praxis beschrieben: Hier ist das Schweigen ein Bestandteil des Machthabens, ausgeübt über das ideologische System. Verschwiegen werden die Grundlagen der Gewaltherrschaft, auf denen es beruht. Verschwiegen werden die Existenz, vollends die Leiden der Opfer; geschwiegen wird über die offenkundigen Lügen der Ideologie, die Formen der Anpassung, die sie erzeugt, und das Wissen um die durch sie erweckten falschen Hoffnungen. Und im nachhinein wird geschwiegen über das Beteiligtsein, das zur Einbindung selbst der Opfer in das System von Lüge und Gewalt führte -gerade dies ein Thema von Kertesz und Levi.

Eine solche Phänomenologie des Schweigens als Bestandteil einer zutiefst gestörten Kommunikation zählt zu den Erfahrungen, an die im gewalttätigen „Jahrhundert der Extreme“ in dieser Form nur die Literatur erinnert. Sie allein ist fähig, die Leiden und Hoffnungen, die Erwartungen und das Fühlen der Einzelnen wahrzunehmen und sie in das Gedächtnis der Völker zu überführen: als Anklage, als Erinnerung, als Versuch zu verstehen, aber nicht zu vergessen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Imre Kertesz, Roman eines Schicksallosen, Reinbek 1996, S. 161.

  2. Primo Levi, Die Untergegangenen und die Geretteten, München 1993, S. 93.

  3. Ebd., S. 95.

  4. Ebd., S. 91. Hier setzt Levi sich augenscheinlich mit den zu dieser Zeit aktuellen Dekonstruktivismus-Debatten der französischen Philosophen auseinander, die den verfälschenden Charakter jeglicher Sprache betont hatten.

  5. Das ist ein Motiv vieler kürzlich veröffentlichter Erinnerungen; vgl. u. a. Jean Amery, Die Tortur, in: Merkur, 50 (1996), S. 504-515; Ruth Klüger, Weiter leben. Eine Jugend, Göttingen 1994; Jorge Semprun, Schreiben oder Leben, Frankfurt a. M. 1995.

  6. P. Levi, Die Untergegangenen ... (Anm. 3) S. 177.

  7. Das weitgehende Fehlen von Montageelementen, von spielerischem Umgang mit den Versatzstücken der öffentlichen Sprache erklärt den oft „konservativen“ Duktus von Texten, die unter den Bedingungen der Diktatur entstanden.

  8. Vgl. Peter Christian Ludz, Mechanismen der Herrschaftssicherung, München 1980.

  9. Zweifellos herrschen Redeverbote und Schweigeverhalten auch in demokratischen Systemen, vor allem dort, wo Sicherheitserwägungen Vorrang gewinnen. Sie können aber niemals die gleiche existentielle Bedeutung einnehmen, weil und solange es andere Verhaltensoptionen gibt, die institutionell offengehalten werden. Die Gefahr demokratischer Systeme liegt eher in der universellen Geschwätzigkeit, die sie provozieren.

  10. Alexander Solschenizyn, Der Archipel GULAG, 3 Bde., Reinbek 1971, S. 7.

  11. Ebd., Bd. 3, S. 465. Die Fortsetzung des Zitats, ein kleiner, in Klammern gesetzter Kommentar, lautet: „Diese Überlegung möchte ich unsern Modernisten widmen: Denn so ist unser Volk gewohnt, Literatur zu verstehen. Und wird nicht so bald bereit sein, sie anders zu verstehen. Wozu sollte es auch?“

  12. Alexander Solschenizyn, Die Eiche und das Kalb, Reinbek 1978, S. 10.

  13. Vgl. Archipel GULAG, Bd. 2, S. 585.

  14. Vgl. ebd., Bd. 3, S. 525.

  15. P. Weiss (Anm. 1), S. 57.

  16. Ebd., S. 428.

  17. Ebd., S. 645.

  18. Peter Weiss, Rapporte, Frankfurt a. M. 1968, S. 114.

  19. Ebd., S. 174.

  20. Ebd., S. 183.

  21. Ebd.

  22. So Alfons Söllner im lesenswerten Schlußkapitel „Peter Weiss und die Deutschen“ seines Buches: „Vollendung: Die . Ästhetik des Widerstands*, gelesen von einem Politikwissenschaftler“, Opladen 1988. Aus der außerordentlich umfangreichen Literatur zu Peter Weiss (und Uwe Johnson) sei in diesem Zusammenhang hingewiesen auf Klaus Briegleb, Widerstand als tätige Erinnerung. Uwe Johnson und Peter Weiss, in: Das Argument, 34 (1992), S. 205-208; Robert Cohen, Peter Weiss in seiner Zeit, Stuttgart 1992; Michael Hof-mann, Das Gedächtnis des NS-Faschismus in Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstands“ und Uwe Johnsons „Jahrestagen“, in: Peter-Weiss-Jahrbuch, Bd. 4, hrsg. von Martin Rector und Jochen Vogt, Opladen 1995, S. 54-77.

  23. P. Weiss (Anm. 1), S. 87.

  24. Vgl. ebd., S. 185.

  25. Ebd., S. 87.

  26. Vgl. Peter Weiss, Die Ästhetik des Widerstands, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1981, Bd. 3, S. 131.

  27. Ebd., Bd. 3, S. 265.

  28. Ebd.

  29. Ders. (Anm. 1), S. 59.

  30. Ebd., S. 177.

  31. Vgl. M. Hofmann (Anm. 23), S. 56.

  32. Uwe Johnson, Heute neunzig Jahr. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Norbert Mecklenburg, Frankfurt a. M. 1986, S. 7.

  33. Ders., Jahrestage. Aus dem Leben der Gesine Cresspahl, 4 Bde., Frankfurt a. M. 1983, S. 232.

  34. Uwe Johnson, Begleitumstände. Frankfurter Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1980, S. 49.

  35. Ders., Jahrestage, S. 1858.

  36. Ders. (Anm. 35), S. 54.

  37. Ebd., S. 137.

  38. Vgl. u. a. Horst Turk, Gewärtigen oder Erinnern? Zum Experiment der Jahrestage, in: Johnson-Jahrbuch, Bd. 2, hrsg. von Ulrich Fries und Holger Helbig, Göttingen 1995; Norbert

  39. Christa Wolf, Kindheitsmuster, Darmstadt -Neuwied 1979, S. 255.

  40. Ebd., S. 333.

  41. Christa Wolf, Voraussetzungen einer Erzählung: Kassandra. Frankfurter Poetik-Vorlesungen, Darmstadt -Neuwied 1983. S. 96.

  42. Dies., Kassandra, Darmstadt -Neuwied 1983, S. 91.

  43. Ebd., S. 121.

  44. Ebd. (Anm. 42), S. 96.

  45. Ebd., S. 57.

  46. Ebd., S. 145.

  47. Der Parteiphilosoph Wilhelm Girnus monierte in einem Grundsatzartikel nicht nur Einzelheiten von Wolfs Umgang mit dem griechischen Mythos, sondern warf ihr naiven Feminismus und Aufgeben des marxistischen Geschichtsverständnisses samt der eindeutigen Freund-Feind-Beziehungen im weltweiten Klassenkampf vor. Er fand jedoch erstaunlich beherzte Kritiker, die der Autorin zur Seite sprangen; vgl. Wilhelm Girnus, Wer baute das siebentorige Theben?, in: Sinn und Form, 35 (1983), S. 439-447; die Zuschriften ebd., S. 1087-1096.

  48. Chr. Wolf, Kassandra (Anm. 43), S. 55.

  49. Ebd„ S. 96.

  50. Ebd., S. 154.

  51. Ebd., S. 77.

  52. Ebd., S. 97.

  53. Chr. Wolf, Voraussetzungen ... (Anm. 42), S. 83.

  54. Auch hierin zeigt sich natürlich ein Aspekt feministischer Kritik: Das Volk begeistert sich für eine (von Männern ent-worfene) Illusion, die zukunftsbestimmend wird durch das, was sie bewirkt; die nach Wolf real mögliche und volksnahe Gegenwelt der Frauen um Kassandra bleibt den Höhlen bei Troia vorbehalten und geht unter. Nur läßt die Feststellung, es sei für eine niemals existierende Wahrheit gekämpft worden, auch viele andere Deutungen zu; sie haben in der DDR, mündlichen Berichten zufolge, in jener Zeit zu intensiven Diskussionen in kleinen Zirkeln geführt.

  55. Primo Levi (Anm. 3), S. 59.

  56. So gezeigt in der Gestalt der Mutter bei Peter Weiss, der Lisbeth Cresspahl bei Uwe Johnson.

  57. Vgl. Eric Hobsbawm, Das Jahrhundert der Extreme, München 1995.

Weitere Inhalte

Irma Hanke, Dr. phil., geb. 1932; bis 1996 Professorin für Politikwissenschaft am Institut für Sozial-wissenschaften der TU München. Veröffentlichungen u. a.: Alltag und Politik. Zur politischen Kultur einer unpolitischen Gesellschaft, Opladen 1987; Die „Dritte Republik“: Wandel durch Integration? Lernhemmnisse und Lernprozesse in der „alten“ Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 41/92; Sozialstruktur und Gesellschaftspolitik und ihre geistig-seelischen Folgen, in: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Bd. III, 2, hrsg. vom Deutschen Bundestag, Baden-Baden -Frankfurt a. M. 1995; Deutsche Traditionen. Notizen zur Kulturpolitik der DDR, in: Rückblicke auf die DDR, Festschrift für Ilse Spittmann-Rühle, hrsg. von Gisela Helwig, Köln 1995.