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Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. 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Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? 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Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. 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Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Ukraine-Analysen Nr. 296

Oleg Nivievskyi Dmytro Goriunov Anna Nagurney

/ 9 Minuten zu lesen

Die von Russland verursachten Kriegsschäden in der Ukraine belaufen sich inzwischen auf 155 Mrd. US-Dollar. Der Wiederaufbau wird zur enormen Herausforderung.

Wiederaufbau eines Mehrfamilienhauses in Saporischschja durch die Agentur für Wiederaufbau. Bereits 6-7 Mrd. US-Dollar sind in den Wiederaufbau geflossen. (© picture-alliance, abaca | Smoliyenko Dmytro/Ukrinform)

Zusammenfassung

2014 begann Russland seine Invasion in die Ukraine in kleinerem Rahmen, bevor im Februar 2022 die großangelegte Invasion folgte. Ein Ende des Kriegs ist nicht in Sicht und sein Preis ist schon jetzt riesig. Fast 20 Prozent des ukrainischen Territoriums sind besetzt, der Gesamtschaden an der Infrastruktur ist fast so hoch wie das ukrainische Bruttoinlandprodukt (BIP). Wirtschaftliche Verluste und infrastrukturelle Schäden sind zweieinhalbmal so hoch wie das ukrainische BIP von 2023. Trotz des andauernden Kriegs ist die Ukraine bereits mit dem Wiederaufbau beschäftigt und hat es bislang geschafft, etwa 4,5 Prozent der beschädigten Infrastruktur wiederherzustellen. Wiederaufbau und wirtschaftliche Erholung erfordern eine gemeinsame Koordination der Ukraine und ihrer Partner:innen und Geldgeber:innen. Eine große Herausforderung wird sein, die Balance zwischen dringlichen Wiederaufbaubedarfen und einem nachhaltigeren Entwicklungspfad zu finden, der mit den EU-Beitrittsverpflichtungen und -Nachhaltigkeitszielen im Einklang steht.

Einleitung

Seit ihrer Unabhängigkeit im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion 1991 hat die Ukraine vier große wirtschaftliche Schocks erlebt (siehe Grafik 1): Mitte der 1990er Jahre gab es eine schwere Wirtschaftskrise infolge des Übergangs von der Plan- zur Marktwirtschaft. Der nächste Schock war die globale Finanzkrise von 2007/08, ein dritter die erste Invasion Russlands in die Ukraine 2014 mit der Annexion der Krim und der teilweisen Besetzung des Donbas. Der größte Schock folgte allerdings auf die großangelegte russische Invasion der Ukraine vom 24. Februar 2022.

Grafik 1: Reales BIP-Wachstum der Ukraine (in %)

Der Krieg dauert bis heute an, ist aber in weiten Teilen festgefahren (Externer Link: The Economist, 2023). Der Preis des andauernden Kriegs ist immens. Knapp 20 Prozent des ukrainischen Territoriums wurden besetzt. Das ukrainische BIP ist 2022 um fast 30 Prozent gesunken, die Gesamtschäden an Infrastruktur (155 Milliarden US-Dollar) waren fast genauso hoch wie das BIP selbst. Die Zahl der seit Kriegsbeginn getöteten oder verwundeten russischen Soldaten liegt laut US-Geheimdienst (Externer Link: Forbes, 2023) bei etwa 315.000 und laut offiziellen ukrainischen Angaben bei knapp 425.000 (Externer Link: Ministry of Defense of Ukraine, 2024). Auf ukrainischer Seite beträgt die Zahl der militärischen Opfer laut Präsident Selenskyj 31.000 getötete Soldat:innen, andere sprechen hingegen von beinahe 200.000 (Externer Link: NYT, 2023). Mehr als 10.500 Zivilist:innen wurden getötet, mehr als doppelt so viele verwundet (Externer Link: UN, 2024). Über 10 Millionen Ukrainer:innen haben ihr Zuhause verlassen, 6,45 Millionen von ihnen haben sich in anderen europäischen Ländern niedergelassen (Externer Link: UNHCR, 2024). In diesem Text stellen wir die Folgen der durch den Krieg verursachten Schäden und Verluste in der Ukraine vor, basierend auf einem fortlaufenden Monitoring der Folgen der russischen Invasion für die ukrainische Wirtschaft. Außerdem diskutieren wir die Perspektiven des Wiederaufbaus in der Ukraine, der bereits begonnen hat.

Enorme Schäden und erhebliche Verluste

Der dokumentierte Gesamtschaden, der der ukrainischen Wirtschaft durch die großangelegte russische Invasion direkt zugefügt wurde, liegt im Januar 2024 bei 155 Milliarden US-Dollar (Wiederbeschaffungswert). Glücklicherweise verlangsamt sich der Schadensanstieg seit Frühjahr 2023. Das Ausmaß der Schäden entspricht in etwa dem momentanen BIP der Ukraine – und ist damit für die Ukraine allein nicht tragbar (Grafik 2). Details der Schadensberechnung sowie Daten und exakte Methoden sind auf der Website des Projekts Externer Link: "Russia will pay" der Kyiv School of Economics einsehbar.

Grafik 2: Kriegsschäden im Verhältnis zum BIP

Am größten sind die Schäden in den ukrainischen Oblasten im Osten und Süden, wo die stärksten Kampfhandlungen stattgefunden haben (Grafik 3). Die größte Kategorie nach Gesamtschaden ist der Wohnsektor (Grafik 4). Insgesamt wurden infolge von Kriegshandlungen mehr als 250.000 Wohneinheiten zerstört oder beschädigt: mehr als 222.000 Privathäuser, 27.000 Mehrfamilienwohnhäuser und 526 Wohnheime. Am stärksten waren von dieser Zerstörung von Gebäudebestand die Regionen Donezk, Kyjiw, Luhansk, Charkiw, Mykolajiw, Tschernihiw, Cherson und Saporischschja betroffen.

Grafik 3: Regionale Verteilung der Schäden, in Mio. USD

Die zweitgrößte Schadenskategorie ist die Infrastruktur. Seit Beginn des großangelegten Kriegs wurden insgesamt 18 Flughäfen, mindestens 350 Brücken und Überführungen und über 25.000 Kilometer Autobahnen und Straßen zerstört. Die Schäden am Industriesektor belaufen sich auf 13 Milliarden US-Dollar oder 22 Prozent des vor dem Krieg in diesem Sektor akkumulierten Kapitals. Mindestens 426 große und mittlere private und staatliche Unternehmen wurden beschädigt oder zerstört. Besonders stark getroffen ist der Bergbau- und Metallsektor, in dem einige große Unternehmen in Mariupol, Saporischschja und Awdijiwka einen Großteil ihrer Vermögenswerte verloren haben (Externer Link: Ashapova, 2023).

Grafik 4: Gesamtschäden an der ukrainischen Infrastruktur nach Sektor (Mrd. USD, Stand Januar 2024)

Die nächstgrößte Schadenskategorie ist die Landwirtschaft. Die gesamten landwirtschaftlichen Schäden betragen geschätzt 8,7 Milliarden US-Dollar oder 30 Prozent des vor dem Krieg in der ukrainischen Landwirtschaft akkumulierten Kapitals. Die größte Kategorie innerhalb der landwirtschaftlichen Schäden sind landwirtschaftliche Maschinen, auf die etwas mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Schäden entfallen (Interner Link: Nivievskyi und Neyter, 2024).

Ein weiteres großes Thema ist die Zerstörung von Land durch Minen und Rückstände militärischer Operationen. Die Ukraine ist derzeit das am stärksten verminte Land Europas. Geschätzt 16 Millionen Hektar Land sind vermint – über ein Viertel der Gesamtfläche der Ukraine. Etwa 11,2 dieser 16 Millionen Hektar sind landwirtschaftliche Nutzflächen. Zum Vergleich: Das entspricht der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche Deutschlands (Interner Link: Nivievskyi und Neyter, 2024).

Mit Schäden in Höhe von 3,1 Milliarden US-Dollar ist auch der Bildungssektor deutlich betroffen. Die Zahl der beschädigten und zerstörten Bildungseinrichtungen liegt über 3.500 und setzt sich zusammen aus mehr als 1.700 weiterführenden Schulen, über 1.000 Grundschulen und 586 Hochschulen. Nach Angaben regionaler Militärverwaltungen gibt es die meisten zerstörten und beschädigten Bildungseinrichtungen in den Regionen Donezk, Charkiw, Cherson, Mykolajiw, Saporischschja und Kyjiw.

Die Schäden im Gesundheitssektor sind genauso hoch wie die des Bildungssektors: 3,1 Milliarden US-Dollar. 1.223 medizinische Einrichtungen wurden beschädigt oder zerstört, darunter 384 Krankenhäuser und 352 Apotheken.

Diese Schäden enthalten noch nicht die wirtschaftlichen Verluste, allgemein gesprochen also das Einkommen, das der Ukraine durch den Krieg entgangen ist (etwa durch Unterbrechungen von Wirtschaftsströmen und Produktion, sinkende Erzeugerpreise und / oder steigende Produktionskosten etc.). Die letzten gemessenen Verluste betragen rund 290 Milliarden US-Dollar (Stand Februar 2023), die Wiederaufbau- und Markterholungsbedarfe werden auf 486 Milliarden US-Dollar geschätzt (Externer Link: World Bank, 2024). Diese Dimension ist riesig, sie beläuft sich auf mehr als das 2,5-fache des ukrainischen BIPs von 2023 – für die Wiederaufbau- und Markterholungsmaßnahmen sind daher ganz offensichtlich gemeinsame Anstrengungen und eine gemeinsame Koordination der Ukraine und ihrer Partner:innen und Geldgeber:innen nötig. Diese Anstrengungen könnten durch die Reserven der russischen Zentralbank unterstützt werden, die momentan im Westen eingefroren sind und unbeweglich gehalten werden. Es handelt sich dabei um etwa 300 Milliarden Euro, die laut Euroclear durch Nettoverzinsung 2023 bereits 5,5 Milliarden Euro Einnahmen generiert haben (Externer Link: Euroclear, 2024). Dieses Geld kann womöglich für den Wiederaufbau und die Markterholung der Ukraine verwendet werden, wobei dafür erst rechtliche Mechanismen und Modalitäten entwickelt und eingeführt werden müssten (Externer Link: FP, 2023).

Außerdem sind für Wiederaufbau und Markterholung starke Reformanstrengungen und der politische Wille der Ukraine nötig, das Investitionsklima zu verbessern und private Investitionen zu ermöglichen. Diese sind nicht nur für den Wiederaufbau, sondern auch für die langfristige wirtschaftliche Entwicklung des Landes unabdingbar (Externer Link: Wessel and Asdourian, 2022). Der Umfang dieses Unterfangens ist tatsächlich riesig. Geschätzt werden kann er beispielsweise anhand einer "Priority Reforms List", die in einem Dokument enthalten ist, das die USA der Geldgeber-Koordinationsplattform in Brüssel vom Oktober 2023 zur Verfügung gestellt haben (Externer Link: US Embassy in Ukraine, 2023). Diese Externer Link: Liste der wichtigsten Reformen enthält auch einen Zeitplan, dessen Fokus unter anderem auf dem Funktionieren der staatseigenen Unternehmen sowie der Antikorruptionsbehörden und -infrastruktur, einem Neustart des Justizsystems, einer vereinfachte Arbeitsweise des Verteidigungsministeriums sowie aller Exekutivorgane und auf der weiteren Liberalisierung der Strom- und Gaspreise liegt.

Der Stand der Wiederaufbaumaßnahmen

Ein Großteil der beschriebenen Schäden ist systemrelevant, so dass sie noch zu Kriegszeiten teilweise oder komplett behoben werden mussten bzw. müssen. Eine Infrastruktur zur Dokumentation der Wiederaufbau- und Markterholungsmaßnahmen und -projekte ist derzeit erst im Entstehen begriffen. Bislang gibt es dafür zwei Plattformen, Externer Link: DREAM (Digital Restoration EcoSystem for Accountable Management) und Externer Link: BRP (Big Recovery Portal). DREAM ist eine umfangreiche Datenbank, die auf eine gemeinsame Anstrengung von staatlichen Stellen wie der Staatlichen Agentur für Wiederaufbau und Entwicklung der Infrastruktur der Ukraine (die dem Ministerium für Gemeinden, Territorien und Infrastrukturentwicklung untersteht), dem Zusammenschluss Externer Link: RISE aus lokalen und internationalen NGOs und internationalen Partnern, etwa Großbritannien, USAID, GIZ und anderen, zurückgeht. Diese Anstrengungen zeigen – neben einigen anderen Dingen – den Willen, sämtliche Wiederaufbau- und Markterholungsmaßnahmen durch Transparenz und Vertrauen in die Ukraine zu stärken und die Korruptionsrisiken zu senken. Die Befüllung der Datenbanken bedeutet für diese Plattformen allerdings noch viel Arbeit. Eine kurze Überprüfung anhand der vorliegenden Informationen der verschiedenen Beteiligten (zum Beispiel Präsentationen von Ministerien, Agenturen etc.) erlaubt den Schluss, dass die momentan bei DREAM und BRP vorhandenen Datenbanken bei weitem nicht vollständig sind, obwohl sie mit dem Anspruch befüllt werden, sämtliche momentan laufenden Wiederaufbau- und Markterholungsprojekte zu erfassen. Die DREAM-Daten umfassen beispielsweise insgesamt etwa 1.000 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 1,1 Milliarden US-Dollar (Externer Link: KI, 2024). Nach unseren Schätzungen wurden bislang sechs bis sieben Milliarden US-Dollar (4,5 Prozent der Gesamtschäden) für den Wiederaufbau aufgewendet, unter anderem in den Bereichen Wohnen, öffentliche Versorgung, Verkehrs- und Externer Link: Energieinfrastruktur sowie Bildung (500 von 3.793 Objekten wurden teilweise oder komplett wiederaufgebaut – Externer Link: BRP, 2024) und Gesundheit (857 von 1.692 Objekten wurden teilweise oder komplett wiederaufgebaut). Ein spezieller Fokus liegt auf der Minenräumung, da etwa 16 Millionen Hektar potenziell vermint sind. Fünf Millionen Hektar wurden 2023 bereits untersucht und wo nötig entmint, weitere vier Millionen Hektar sollen 2024 entmint werden (Externer Link: BRP, 2024). Finanziert wurde der Wiederaufbau durch staatliche Gelder und Gebermittel, wobei sich die genannten Beträge für die einzelnen Sektoren und Projekte auf Mittelbindungen beziehen und nicht unbedingt tatsächlich ausgezahlte Beträge sind.

Hinzu kommt, dass auch der Privatsektor in den Wiederaufbau investiert. So gibt es Berichte über einige Unternehmen, die Schäden erlitten und ihre Aktivitäten bereits wieder aufgenommen haben. Dazu zählen sogar schwer beschädigte Anlagen (wie die Retroville-Mall in Kyiv, die ganz zu Beginn der Invasion von einer Rakete getroffen wurde; Externer Link: NYT, 2022). Aus Sicherheits- und anderen Gründen stehen diese Daten jedoch nicht zur Verfügung.

Balance zwischen akuten Bedürfnissen und einer nachhaltigeren Zukunft

Trotz des Kriegs treibt die Ukraine ihre europäischen Ambitionen weiter voran. Mit der Erfüllung etlicher Bedingungen hat sie ihre Hausaufgaben erledigt und im Dezember 2023 nahm der Europäische Rat dann schließlich auch Beitrittsverhandlungen auf (Externer Link: EC, 2024a). Im Februar 2024 einigten sich die EU-Regierungschefs auf eine "Ukraine-Fazilität", über die die Ukraine bis 2027 bis zu 50 Milliarden Euro als regelmäßige und planbare finanzielle Unterstützung erhält (Externer Link: EC, 2024b). Die (Nachkriegs-)Wiederaufbau- und Markterholungsmaßnahmen müssen also eng mit dem EU-Beitrittsprozess und dem EU-Acquis abgestimmt werden, wobei dieser Prozess schon vor langer Zeit angelaufen ist. Besonders an Fahrt aufgenommen hat er nach der Revolution der Würde, die ausbrach, weil die damalige ukrainische Führung plötzlich nicht mehr bereit war, ein Assoziationsabkommen mit der EU zu unterzeichnen und sich stattdessen Russland zuwendete. Offiziell begann der EU-Pfad der Ukraine mit Visaliberalisierung sowie dem Inkrafttreten des Assoziierungsabkommen und der Vertieften und umfassenden Freihandelszone mit der EU im Jahr 2017 (Externer Link: EC, 2024a).

Die Ukraine wird eine Balance zwischen ihren unmittelbaren Bedürfnissen und einem nachhaltigeren Entwicklungspfad finden müssen (Externer Link: Bjerde, 2023). Einerseits bringt der Beitrittsprozess der Ukraine zur EU enorme Herausforderungen mit sich, wenn es darum geht, die institutionelle Steuerung des Landes zu verbessern, um es an den EU-Besitzstand anzugleichen, klimagerechte bzw. -mindernde oder "grüne" Modalitäten in die Wiederaufbau- und Sanierungsbemühungen zu integrieren und kohlenstoffneutrale Entwicklungsziele zu erreichen. Dabei gilt es, "grün" und klimasmart vorzugehen beziehungsweise bei den Markterholungs- und Wiederaufbaumaßnahmen Klimaschutzaspekte zu berücksichtigen, um die Entwicklungsziele der CO2-Neutralität zu erreichen (Externer Link: Bjerde, 2023). Dies wird zwar mit Kosten verbunden sein, aber den Weg für eine weitere nachhaltige Entwicklung ebnen. Außerdem wird die Ukraine dabei Unterstützung erhalten, unter anderem von der EU. Diese hat dafür bereits das Capacity-Building-Programm New European Bauhaus für den Wiederaufbau der Ukraine auf den Weg gebracht, das nachhaltige Wiederaufbaulösungen im Sinne des Externer Link: European Green Deal ermöglichen soll. Und weil noch weitere Unterstützung durch andere Stellen nötig sein wird, werden Geldgeber:innen wie die Weltbank und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ihre Hilfe voraussichtlich mit der EU koordinieren (Externer Link: von Cramon-Taubadel and Nivievskyi, 2023). Der Fokus auf Nachhaltigkeit bei den Wiederaufbau- und Markterholungsmaßnahmen wird dadurch noch stärker werden. Andererseits werden die dringlichen Wiederaufbaubedarfe nicht unbedingt mit den auf die Zukunft ausgerichteten Nachhaltigkeitszielen vereinbar sein – und dies ist nicht als problematisch anzusehen, denn das Überleben des Landes steht auf dem Spiel und alle verfügbaren Ressourcen müssen eingesetzt werden, um die heute existierende Aggression zu stoppen, anstatt potenzielle Probleme von morgen zu lösen.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Oleg Nivievskyi ist Außerordentlicher Professor und Dekan des Aufbaustudiengangs Wirtschaftswissenschaften an der Kyiv School of Economics (KSE). Außerdem ist er ehrenamtlicher wissenschaftlicher Mitarbeiter der School of Economics an der University of Queensland (Australien). Er hat über 18 Jahre internationale Erfahrung in der anwendungsorientierten Forschung zu agrarischen Lebensmitteln, Absatzmärkten und Wertschöpfungsketten sowie zu ländlicher Entwicklung und Verkehrswirtschaft. Außerdem gehören Raumwirtschaft, Ökonometrie und Produktivitätsanalyse zu seinen Forschungsinteressen.

Dmytro Goriunov ist einer der Leiter des »Russia will pay«-Projekts am KSE-Institut. Dmytro ist Experte für die Kalkulation von Schäden, Verlusten und Bedarfen in der Folge katastrophaler Ereignisse. Seine erste Forschung dieser Art war die Kalkulation der ukrainischen Verluste durch die Annexion der Krim. Heute ist er Teil des Teams, das die Schäden, Verluste und Bedarfe kalkuliert, die durch die großangelegte russische Invasion seit dem Februar 2022 entstanden sind. Das Team kalkuliert regelmäßig, veröffentlicht seine Updates und nimmt an internationalen Bemühungen von Weltbank, IFC, UNDP und UNIDO teil.

Prof. Dr. Anna Nagurney ist Eugene M. Isenberg Chair für Integrative Studien und Direktorin des Virtual Center for Supernetworks an der Isenberg School of Management der Universität von Massachusetts Amherst. Außerdem ist sie Co-Vorsitzende des Vorstands der Kyiv School of Economics. Sie ist Mitglied etlicher Fachgesellschaften und Expertin für Lieferketten, unter anderem solcher für verderbliche Waren wie Lebensmittel und Gesundheitsprodukte, sowie für verschiedene Netzwerksysteme wie Transport und andere kritische Infrastruktur.