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Nr. 26 | APuZ 20/1963 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 20/1963 Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche. IV. Bethmann Hollwegs Kriegszielpolitik V. .. und die Septemberdenkschrift VI. Sonderfrieden mit Frankreich? VII. Eine Führungskrise VIII. Kronprinz Wilhelm, Tirpitz und der Kanzler Anhang. Nr 22 Nr. 23 Nr. 24 Nr. 25 Nr. 26 Nr. 27 Nr. 27 a Nr. 28 Nr. 29

Nr. 26

Bundesarchiv Koblenz Nachlaß Haeften, HA 08 — 35/3 Aufzeichnung Bethmann-Hollwegs für Unterstaatssekretär Wahnschaffe (Abschrift)

Am oder 3. dieses Monats habe ich S. M. die Bedenken der Amter-Kumulation vorgetragen, die um so größer seien, als General von Falkenhayn in der öffentlichen Meinung, in den nachdenklichen politischen Kreisen 1) und, wie ich bestimmt weiß, in einem großen Teile der Armee kein übergroßes Vertrauen besitze. Das allgemeine Augenmerk richte sich für den Chef des Generalstabes auf den General Ludendorff, der lange Jahre Chef der Operationsabteilung im Gr. Generalstab gewesen sei und jetzt glänzende Proben seines Können abgelegt habe.

S. M. hielt die Trennung der Ämter, auf die er auch vom Kronprinzen und General von Knobelsdorf aufmerksam gemacht worden ist, für empfehlenswert, erklärte aber, von der Mißstimmung gegen General von Falkenhayn nichts zu wissen. Dieser genieße vielmehr sein volles Vertrauen. Ludendorff würde er niemals zum Chef nehmen. Der sei ein zweifelhafter, von persönlichem Ehrgeiz zerfressener Charakter. Was habe er auch Großes geleistet? Er habe ihm, dem Kaiser, gewisse strategische Operationen vorgeschlagen. Die seien dann von S. M. »genehmigt und befohlen" worden. (Sic III).

S. M. hat darauf die Sache mit Plessen und Lyncker besprochen. Plessens, der kein Freund von Falkenhayn ist, glaubte ich sicher zu sein. Er hat aber anscheinend versagt 1). Lyncker, dem sein Herr und Gebieter Marschall Falkenhayn erfunden hat, habe erklärt, daß, falls S. M. die Ernennung eines besonderen Kriegsministers beföhle, dafür der General Wild von Hohenborn in Frage käme.

Mit dieser Lösung der Frage wäre nichts gewonnen worden. Falkenhayn bliebe Chef und er und Lyncker würden es durchsetzen, daß Wild, der von Falkenhayn ganz abhängig ist, hier im Gr. Hauptquartier verbliebe. Die Trennung wäre nur scheinbar, die Kumulation de facto aufrechterhalten.

Bei dieser Lage habe ich die Sache einstweilen ajourniert. Eine Handhabe dazu bot die vom Kaiser, Plessen und Lyncker bestrittene Behauptung Falkenhayns, daß er an die Übernahme der Heeresleitung, wenn auch nicht scharf formuliert, so doch erkennbar und von S. M. akzeptiert, die Bedingungen geknüpft habe, Kriegsminister zu bleiben. (Es ist wohl möglich, daß dabei, wie behauptet wird, auch finanzielle Rücksichten mitgesprochen haben.)

Es wird sich jetzt fragen, ob das Mißtrauen der Armee in Falkenhayn sich so verdichtet, daß es von berufener, militärischer Seite an das Kaiserliche Ohr dringt. Ob aber dann Ludendorff gewählt wird, erscheint mir, trotz der Schnelligkeit Allerhöchsten Stimmungswechsels, fraglich. Beseler wird von Lyncker perhorreszirt, scheint übrigens auch bei Hindenburg nicht sehr goutiert zu werden. Lyncker spricht evtl, von Gallwitz, der mir von anderer militärischer Seite allerdings als vortrefflich aber als selbstquälerischer Skeptiker geschildert wird. Vielleicht Below. Der Kronprinz scheint Knobelsdorf en vue bringen zu wollen, der ein vortrefflicher Chef des Stabes zu sein scheint. Ob aber auch ein Chef des Generalstabes? Uber F.sehe ich noch nicht klar. Ein großer Mann ist er nicht. Ein tüchtiger wohl zweifellos. Seine bisherigen Taten kann man nur fachmännisch und auf Grund genauester Kenntnis der Einzelvorgänge kritisieren. Auch ist nachträgliche Kritik leicht. Mir scheint, die Kriegsgeschichte wird einst dahin urteilen, daß er die Initiative immer dem Gegner überlassen habe, infolgedessen selbst immer um einen Tag zu spät gekommen ist und den Moment nicht rechtzeitig erfaßt habe, wo die Entscheidung vom Westen auf den Osten überging. Dazu mögen die Charakterfehler des persönlichen Ehrgeizes und infolgedessen mangelnden sachlichen Ernstes treten, die allerdings bei dem Vorhandensein zweier Kriegsschauplätze besonders gefährlich sind. Auch hat er, wie ich glaube, keine großen Mitarbeiter.

Die Mißstimmung der Armee gegen ihn beruht zweifellos auf mehr oder weniger bewußten Empfindungen dieser Art. Dazu tritt im Westen Ypern, an dem übrigens die A. O. Ks. mit Schuld haben sollen, und allgemeine Unzufriedenheit mit langandauernder Inaktivität. (Diese Unzufriedenheit ist erklärlich, aber meo voto unberechtigt Lediglich durch Defensive und mit möglichst geringen Verlusten müssen wir das belgisch-französische Faustpfand zu halten suchen, alle sonstigen Kräfte aber im Osten einsetzen.) Im Osten scheint mir aber denn doch Ludendorff'sche Intrige mit im Spiele zu sein. Persönlich machte mir der Mann keinen ganz pupillarischen Eindruck. Auch sein telefonisches Drängen, von dem Sie mir neulich berichteten, gefällt mir nicht.

Die unmittelbare Absetzung F. kann ich nicht erzwingen. So überzeugt von seiner Unzulänglichkeit bin ich nicht. Auch könnte ich die Verantwortung nur übernehmen, wenn mir begründete. militärische Urteile zur Seite stehen. Und die fehlen mir Ich habe, wie ich ganz vertraulich vermerke, Moltke um seine Ansicht gebeten. Plessen zieht bei den Generalkommandos mündlich Erkundigungen ein.

Tritt Wechsel — und Ämtertrennung ein — Falkenhayn dankt dann wahrscheinlich für beide Ämter und geht an die Front — so wird doch, wie ich überzeugt bin.der Kriegsminister unter allen Umständen im Hauptquartier und damit die Hauptarbeit beim stellvertretenden Kriegsminister in Berlin bleiben. Die Unzuträglichkeiten in Berlin, von denen Sie berichten, müßten also auch fernerhin von Letzterem beglichen werden Wenigstens sehe ich einstweilen nicht, wie sonst Besserung eintreten soll. Hier würde doch, wie auch schon jetzt, Oberst Scheuch die Sache zu machen haben. Eventuell bitte ich aber noch um Äußerung hierzu. v. B[ethmann] Hfollweg] 7. 1. 15

Fussnoten

Fußnoten

  1. Schreibmaschinenabschrift. Nach Vermerk Haeftens am 27. April 1936 hergestellt. Original wahrscheinlich aus dem — jetzt verbrannten — Privatarchiv Bethmanns in Hohenfinow.

  2. Vermerk Haeftens vom 27. April 1936: „das stimmt nicht; Plessen hat dem Kaiser ehrlich seine Meinung gesagt." Vgl. hierzu den Brief Moltkes an General . . . (gleich Plessen) vom 12. Jan. 1915, abgedr, Moltke, Erinnerungen, Briefe, Dokumente (1922), S. 407 ff.

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