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Nr. 28 | APuZ 20/1963 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 20/1963 Friedensbestrebungen und Revolutionierungsversuche. IV. Bethmann Hollwegs Kriegszielpolitik V. .. und die Septemberdenkschrift VI. Sonderfrieden mit Frankreich? VII. Eine Führungskrise VIII. Kronprinz Wilhelm, Tirpitz und der Kanzler Anhang. Nr 22 Nr. 23 Nr. 24 Nr. 25 Nr. 26 Nr. 27 Nr. 27 a Nr. 28 Nr. 29

Nr. 28

Bundesarchiv Koblenz Nachlaß Haeften, H 08— 35/3 Bethmann Hollweg an den Chef des Militärkabinetts Generaloberst v. Lyncker (Abschrift) unterbrach mich der Kaiser, aufspringend und heftig gestikulierend im Zimmer aui und ab gehend, „der General von Falkenhayn ist ein ganz ausgezeichneter Mann; der Feldmarschall sieht nur Hirngespinste; der Oberst v. Marschall hat mir da Dinge von ihm erzählt, danach scheint er selber nicht zu wissen, was er will; er habe dem Oberst v. Marschall den Eindruck eines ganz verbrauchten, hinfälligen, alten Mannes gemacht." „Jawohl" fiel ich ihm ins Wort „diese anhaltenden Kämpfe haben den Feldmarschall allerdings körperlich und seelisch sehr mitgenommen; vorher sei er viel frischer, sogar staunenswert frisch gewesen."

„Die Vorwürfe, die der Feldmarschall gegen den General von Falkenhayn wegen dessen Führung der Operation erhöbe," fuhr S. M. fort, „seien gänzlich unbegründet; der Feldmarschall habe ihm, dem Kaiser, über verfehlte Operationen an der Aisne geschrieben und als ihn der Oberst von Marschall deswegen zur Rede gestellt habe, habe er gar nichts zu sagen gewußt, was an diesen Operationen verfehlt gewesen sei. Er könne ihm auch keinen geeigneten Nachfolger für den General von Falkenhayn angeben . . . die Wiederberufung des Generals von Moltke sei nach dem, was vorgefallen, ausgeschlossen . . . nach acht Tagen werde der General von Moltke von neuem zusammenbrechen — genau wie damals nach den Ereignissen an der Marne und das sei böse gewesen." [Haeften verteidigt den Rückzug von der Marne und besonders das erneute Frontmachen hinter der Aisne und das Verschieben der Korps nach dem rechten Flügel als Verdienste Moltkes. ] „Nein, das habe ich angeordnet" entgegnete S. M. heftig, „ich habe befohlen, daß die Armeen hinter der Aisne wieder Front machten und nicht bis hinter die Marne zurückgingen. Nein, nein, die Rückberufung des Generals v. Moltke ist ganz ausgeschlossen; ich will auch nicht dem General Joffre den Triumph lassen, daß ich mir alle paar Wochen einen neuen Generalstabschef nehme. Der General von Falkenhayn bleibt in seiner Stellung ..." [Haeften weist den Kaiser auf das mangelnde Vertrauen der Armee hin. Der Kaiser erklärt dagegen, der Grund sei, daß die Armee Falkenhayn noch nicht kenne. „Er ist ein ganz hervorragender General." Haeften wechselt das Thema und schneidet die Frage an, ob man nicht jetzt eine große und volle Entscheidung im Osten herbeiführen solle. ] Darauf entgegnete der Kaiser: „Ach was, glauben Sie doch nicht, daß das möglich ist — die Russen werden ausweichen und wir machen einen Luftstoß." Ich sagte, ich habe längere Zeit gegen die Russen im Felde gestanden; ich kennte sie: „Sie reißen ungeschlagen nicht aus; sie halten stand, sie verkriechen sich höchstens in die Erde. Wir müssen und werden einen vollen und ganzen Erfolg gegen sie erringen, wenn wir genügend Kräfte einsetzen." — „Nein — ich glaube höchstens an einen Teilerfolg", fiel mir der Kaiser ins Wort, „die Russen sind nicht so dumm; sie haben während des Krieges gelernt und werden sich kein zweites Tannenberg bereiten lassen."

[Darauf verzichtet Haeften auf eine weitere Erörterung dieses Themas und wendet sich dem gespannten Verhältnis von Falkenhayn und Hindenburg zu. ] Jetzt wurde S. M. heftig. „Der Feldmarschall und General Ludendorff sehen nichts wie Hirngespinste. General von Falkenhayn habe nichts getan, was ihnen Veranlassung zu Reibereien mit ihm geben könne. Der Feldmarschall habe da gegenüber dem Oberst von Marschall Äußerungen getan, wonach General von Falkenhayn ihn bei Seiner Majestät verdächtigt habe, etwas wie eine Wallensteinrolle zu spielen. Das sei heller Unsinn.“ Ich erwiderte, der Generalfeldmarschall sei jedes persönlichen Ehrgeizes bar; er lebe und arbeite nur für die Sache und nach dem Krieg werde er — nach seinen eigenen Worten mir gegenüber — der erste sein, der sich bescheiden in die Stille zurückzöge; er trachte nicht nach persönlichem Ruhm. Unwillig erwiderte S. M.: „Er hat schon reichlich Ruhm", dann, mir plötzlich den Rücken zukehrend sagte er: " Na, nun machen Sie aber, daß Sie herauskommen; sonst wird mir das Essen kalt." Ich verließ das Zimmer.

Diese Unterredung hatte drei betrübende Tatsachen ergeben:

Fussnoten

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