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Funktionsweise – Wie funktioniert TikTok? | Lernen mit – und über – TikTok | bpb.de

Lernen mit – und über – TikTok TikTok im Überblick TikTok im Überblick Was ist TikTok? Nutzer/-innen – Wer nutzt TikTok? Funktionsweise – Wie funktioniert TikTok? Inhalte und Themen – Wofür kann man TikTok nutzen? TikTok in Lern- und Bildungskontexten Mit TikTok lernen? Vergangenheitsbezogene Diskurse – Erinnern, aber wie? Digitale politische Bildung mit TikTok TikTok und die öffentliche Debatte Blut, Hustensaft-Hähnchen und die Porzellan-Challenge Falsche Informationen, Kriegspropaganda und wie man sie erkennt Todeslisten, Hatefluencer/-innen und rechtsextreme Mobilisierung auf der Plattform Spähsoftware, Zensur und Sperrdebatte Quellen Ergänzende Lektüreempfehlung

Funktionsweise – Wie funktioniert TikTok?

Marcus Bösch

/ 13 Minuten zu lesen

(© Adobe-Stock/Gorodenkoff)

Nach dem Öffnen der App wird unmittelbar ein vertikales Video im Vollbild abgespielt, das nach Videoende immer wieder automatisch an den Anfang springt. Nutzer/-innen befinden sich direkt mitten im Geschehen. Sie können das Video nach oben wischen und ein weiteres Video anschauen. Sie können aber auch mit dem Video interagieren, indem sie das Video „liken“, also den „Gefällt mir“-Knopf antippen, es kommentieren, als Lesezeichen speichern oder das Video teilen – dies ist sowohl mit anderen Nutzer/-innen, als auch auf anderen Plattformen möglich. Im unteren Drittel des Bildschirms finden sich Angaben zum Account des abgespielten Videos. Dieser lässt sich per Antippen besuchen, falls Nutzer/-innen alle Videos der Creator/-in sehen wollen. Ergänzend im unteren Drittel zu finden ist die sogenannte Caption, also der Videobegleittext der Text, Hashtags und Emojis beinhalten kann und darunter die Angabe zum verwendeten Sound im Video. Wird dieser angetippt, befinden sich Nutzer/-innen auf der Sound-Übersichtsseite, wo alle Videos gelistet sind, die den gleichen Sound verwenden. Dieser kann jetzt direkt ebenfalls zur Produktion angetippt werden („Use this sound“), zudem können Nutzer/-innen durch alle Videos mit dem gleichen Sound durchblättern. Es entsteht so eine Art selbst gemixtes Musikvideo. Zurück zum Ursprungsvideo: Während dies läuft, lesen viele Nutzer/-innen die Kommentare, die sich beim Antippen als neue Ebene über das Video legen. Die Oberfläche von TikTok kennt zwei Modi: „Follow“ („Folge ich”) und „For you“ („Für dich“), kurz FYP. Diese lassen sich ganz oben auf dem Bildschirm wechseln. Während der erstgenannte Modus Videos der Creator/-innen anzeigt, denen man aktiv folgt – vergleichbar mit gängigen sozialen Medien –, bietet die Option „Für dich“ einen algorithmisch und individuell angepassten Stream von Videos – das Herzstück von TikTok. Wie genau der algorithmisch kuratierte Stream von Videos entsteht, wird von ByteDance nicht vollends transparent gemacht. Letztlich handelt es sich um ein datenbasiertes Empfehlungssystem . Klar ist: Der Algorithmus lernt mit jeder Sekunde dazu, die eine Nutzer/-in auf TikTok verbringt, und ist dabei auf ein Ziel hin optimiert. Die Nutzer/-innen sollen möglichst lange in der App gehalten werden. Unter dem wachsenden Druck eines drohenden Verbots in den USA hat TikTok im Sommer 2020 zumindest grobe Anhaltspunkte dafür veröffentlicht, welche Faktoren den Erfolg von Videos im „For-you“-Feed begünstigen. Demnach spielen Interaktionen eine zentrale Rolle – also welche Videos geliket, geteilt, bis zu Ende geschaut und kommentiert werden, wem gefolgt wird und welche Trends oder Sounds besonders interessieren. Einberechnet werden auch Merkmale des Videos selbst sowie weitere Faktoren wie der Standort. Dies funktioniert offenbar sehr gut, erfreut sich die Plattform doch genau deswegen großer Beliebtheit und wurde inzwischen von der Konkurrenz aus dem Silicon Valley kopiert, siehe Instagram Reels und YouTube Shorts. Nutzer/-innen berichten, dass die Auswahl der Videos auf der persönlichen „For You“-Seite erschreckend gut sei und die persönlichen Vorlieben genau abdecke . Ob dies nun wirklich an einem besonderen Empfehlungssystem oder nicht doch vielmehr an der reinen Menge der bereitgestellten Daten durch den Konsum von zahllosen Videos geschieht, ist abschließend nicht eindeutig zu beurteilen. Eine wachsende Anzahl von Artikeln und ersten Studien sollen belegen, dass die individuelle Empfehlung von Videos bei so genannten psychisch labilen Nutzer/-innen zu Verstärkungseffekten und Depressionen führen kann. Seit März 2023 lassen sich die Einstellungen der eigenen FYP zurücksetzen: „Wir verstehen, dass es Zeiten gibt, in denen sich die Empfehlungen der Leute nicht mehr relevant anfühlen oder genug thematische Abwechslung bieten. Aus diesem Grund führen wir eine Möglichkeit ein, die Feed-Empfehlungen zu aktualisieren“, schreibt TikTok. Neben den beiden skizzierten Nutzungs-Modi lässt sich TikTok auch über die Suchfunktion erschließen. Diese wird in einigen Presseberichten bereits als mögliche Ablösung und das Ende von Google bewertet . Offenbar nutzen zunehmend mehr Nutzer/-innen TikTok als Suchmaschine, genau wie YouTube. Nach der Eingabe eines Suchbegriffs das sich hinter dem Lupensymbol oben rechts auf der Startseite befindet, lassen sich die Ergebnisse in Top Videos, Alle Videos, Nutzer/-innen, Sounds, Live-Übertragungen, Orte und Hashtags einteilen. Vor allem die Suche nach Hashtags erweist sich als guter Einstiegspunkt in verschiedene Unterthemen der App.

Für die Anfertigung von Videos bietet TikTok verschiedene Zugänge. So lassen sich Videos in der App anfertigen, als auch fertig produzierte Videos in die App laden. Das Filmen von Videos erfolgt über einen zentralen Aufnahmeknopf. Dieser lässt sich beliebig oft drücken, um direkt Videos bestehend aus mehreren Segmenten anzufertigen. Die App bietet zahlreiche Filter und Effekte, die je nach Funktion während oder nach dem Filmen angewendet werden können. Durch die technische Leistungsfähigkeit moderner Smartphones sind hier Effekte und Filter möglich, die vor wenigen Jahren noch undenkbar waren. So lässt sich beispielsweise ein so genannter Green Screen Filter einsetzen, der den Hintergrund einer Person ausschneidet. Dieser kann nun durch ein Bild oder Video ersetzt werden. Dank Gesichtserkennung lassen sich bisweilen irritierende Gesichtsfilter anwenden, die auf das echte Gesicht augmentiert werden. Daneben gibt es zahlreiche Möglichkeiten Videos mit mehreren Lagen Text, Zeichnungen, Stickern, Emojis oder interaktiven Abfragen anzureichern und eine umfangreiche Sound-Bibliothek.

TikTok bietet jedoch noch weitere Möglichkeiten. So erlaubt die sogenannte Duett-Funktion mittels Splitscreen eine kreative Auseinandersetzung mit vorhandenen Inhalten. Diese Funktion wird genutzt, um beispielsweise kurze Reaktionsvideos zu filmen, bei denen Nutzer/-innen ihre Reaktion beim Anschauen eines anderen Videos filmen. Das fertige Duett zeigt nun beide Nutzer/-innen neben- oder übereinander. Die Duett-Funktion kann von allen Nutzer/-innen beliebig oft angewendet werden. Dies hat in der Vergangenheit zu sehr kreativen visuellen und musikalischen Erzählsträngen geführt, den so genannten „Duet Chains“.

So entstand unter anderem ein kurzes Musical , das verschiedenste Akteur/-innen in einem fiktionalen Supermarktsetting durch Gesangs- und Schauspielleistungen immer weiter gesponnen haben, bis sich die immer kleiner werdenden geteilten Bildschirme auf dem Smartphonebildschirm in die Unkenntlichkeit verabschiedeten. Eine weitere TikTok-eigene Funktionalität ist das sogenannte „Stitch Video“. Hier können Nutzer:innen auf sehr einfache Weise einige Sekunden eines bereits vorhandenen Videos verwenden, um eine eigene Fortsetzung, Antwort oder Kommentierung zu ergänzen. Dies führt zu einer sehr niedrigschwelligen Inhaltsproduktion, werden hier quasi Ausgangsmaterial und Arbeitsauftrag direkt miteinander verknüpft.

Neben der quasi technischen Bedienbarkeit der App, sind es aber vielmehr die bisweilen flüchtigen Codes, Gestaltungsmerkmale und Content-Charakteristika, die TikTok zu einem spannenden, aber auf Anhieb auch schwer zugänglichen Ort machen. Symptomatisch für die Plattform sind bestimmte wiederkehrende, wenn auch nicht zwingende Gestaltungselemente, die der Autor zusammen mit der Journalistin Chris Köver in einer Publikation aus dem Jahr 2020 untersucht hat . Im Weiteren erfolgt eine aktualisierte und erweiterte Übersicht zu den Begriffen: High Density, Layered Storytelling, Realness, Memes und Vibe.

Der Begriff High Density geht auf den ehemaligen Techcrunch-Journalisten Josh Constine zurück . Der beschreibt in einem Newsletter die so genannte Content Density (Inhaltsdichte) und definiert sie „als den Unterhaltungswert eines Inhalts geteilt durch seine Länge – wie viele Oohs, Ahhs, Huhs oder Hahas gibt es pro Sekunde.“ Constine vergleicht die Ausprägung erfolgreicher TikTok Videos mit den Gestaltungselementen der Instagram Story. Während die Story auf mehrere lineare 15-sekündige Slides, bestehend aus Bild oder Video setzt, sind TikTok Videos meist schneller produzierte Multi-Clip Videos. Diese führen nach Constine zu Micro-Entertainment, kurzer Unterhaltung, die vor allem aufgrund des TikTok-Algorithmus nicht von Freund/-innen und Bekannten kommt, sondern von der ungleich größeren Menge interessanter toller Menschen auf dem Planeten. Statt eines begrenzten Unterhaltungsangebots des eigenen Social Graph, stellt Constine das größere, bessere, unterhaltsamere und meist deutlich schnellere Angebot bei TikTok in den Vordergrund: Warum sich durch langweilige Stories auf der Suche nach Unterhaltung tippen, wenn TikTok ein kondensiertes und kurzweiliges Erlebnis bietet, so sein Fazit. In der Tat scheint das schneller anmutende Multi-Clip Video die Story als zentrales Gestaltungselement im Bereich Bild und Video abzulösen. Daraufhin deuten die TikTok-Kopien Instagram Reels und YouTube Shorts. Zusammengefasst lässt sich festhalten: Gute TikTok Videos starten direkt mit einer Pointe oder einem audiovisuellen Effekt, sie sind abwechslungsreich in der Gestaltung, bestehen aus vielen Einzelelementen, ziehen die Aufmerksamkeit der Nutzer/-innen konstant auf sich, überraschen und gehen nahtlos in den zweiten Loop über. Layered Storytelling bedeutet, dass mehrere Gestaltungsebenen gleichzeitig eingesetzt werden. Statt nur ein schlichtes Video zu posten, wird dies durch Effekte, Filter, Text, Zeichnungen, Audio, etc. zu einem Gesamtkunstwerk. Die Technik dahinter mutet zunächst wenig aufregend an. Schließlich handelt es sich bei einer Fußballübertragung im Fernsehen, bei der der Strafraum ergänzend zum Videobild digital visualisiert wird, bereits um die Technik, die hier angewendet wird. Layered Storytelling ist auch auf anderen Plattformen wie beispielsweise Instagram üblich. Auf ein Bild oder ein Video wird ergänzend ein GIF, ein Text oder ein Emoji hinzugefügt. Die technischen Möglichkeiten der Filter und Effekte bei TikTok führen zu aufwendig und verwirrend komponierten Produkten, bei denen die Grenze zwischen den Ebenen verwischt und unkenntlich wird. So nutzt das TikTok Team der Washington Post beispielsweise mehrere Green-Screen-Ebenen übereinander.

TikTok-Account der Washington Post (zuletzt abgerufen am 23.6.2023) (© Externer Link: @washingtonpost)

Diese ermöglichen es, dass eine Person die Rollen von zwei, drei, vier oder mehr Personen spielt. In der technischen Umsetzung wird dafür zunächst ein Video mit digitalem Hintergrund angefertigt. Dieses Video wird dann beim Dreh ebenfalls als Hintergrund digital eingefügt und so weiter . Dieses Spiel lässt sich mit freigestellten digitalen Objekten und Zeichnungen und weiteren Ebenen bis ins Absurde treiben. Der TikTok Account des NPR Podcasts Planet Money ist ein gutes Beispiel für eine aus einem Verwirrspiel unzähliger Ebenen entstehenden einzigartigen Ästhetik . In Ebenen übereinander stapeln lassen sich nicht nur visuelle Elemente. Die Dekonstruktion und neue Kombination aus Audio- und Videospuren hat zu neuen Erzählspielarten geführt. So nutzen beispielsweise Aktivist/-innen das auf TikTok verbreitete Format eines Tutorials, um während des Auftragens von Make-up über politische Sachverhalte aufzuklären. Der so genannte Make-up Activism spielt mit der Aufmerksamkeitsökonomie der Plattform. Meist junge Frauen wenden sich direkt an ihr Publikum, berichten über ihre Make-up Routine, um nach wenige Sätzen umzuschwenken, um im gleichen Duktus beispielsweise über die Verfolgung von politischen Minderheiten zu berichten. Dies sei eine „großartige Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu ziehen und Botschaften zu verbreiten…eine nicht bedrohliche und nicht aggressive Art, mit allen Arten von Menschen zu sprechen“, wie es eine Aktivist/-in beschreibt .

Realness bezeichnet die Glaubwürdigkeit eines veröffentlichten Beitrags. Gemeint ist hier nicht Faktizität, sondern vielmehr Authentizität. Auch dies ein Konstrukt, das sich wissenschaftlich schwer fassen lässt , in der Praxis aber meistens sofort einleuchtet und in der Frage mündet: Glaube ich der Person auf dem Bildschirm oder nicht? Vor allem Politiker/-innen haben sich lange Zeit schwergetan, ihre politischen Botschaften nicht im gewohnten Kontext, sondern performativ in einem Kurzvideo für die Plattform TikTok darzustellen. Exemplarisch sei hier das so genannte Tornado-Challenge Video der SPD-Bundestagsfraktion erwähnt. Während SPD-Abgeordnete Derya Türk-Nachbaur auf TikTok Details zum Entlastungspaket der Bundesregierung erläutert, versucht sich ihr Genosse Falko Mohrs an der „Tornado-Challenge“ bei der es darum geht eine Getränkeflasche in Kreisbewegungen wie bei einem Tornado in einem Zug auszutrinken. Die gesamte Situation wirkt gestellt und beide Protagonist/-innen fühlen sich offenbar unwohl. Das ist nicht real, sondern cringe. Das Jugendwort des Jahres 2021 bedeutet so viel wie „zusammenzucken“ oder „erschaudern“. Umgangssprachlich wird das Wort als Ausdruck für Fremdschämen benutzt. Was hier nicht gelingt, ist die so genannte „credibility-via-relatability“ die Guinaudeau et al. in einem Paper anschaulich beschreiben. Beide Politiker/-innen im Video sind nicht real. Für Creator/-innen bedeutet dies, dass Nutzer/-innen sehr genau darauf achten, ob sie es mit gefühlt authentischen Inhalten und Akteur/-innen zu tun haben. Statt einer Überinszenierung, die sich beispielsweise auf Instagram beobachten lässt , ist bei TikTok eine Mischung aus Einzigartigkeit bei gleichzeitiger Glaubwürdigkeit und Nahbarkeit gefragt. Dabei kann selbst die Marke des Mineralwassers auf dem Tisch eines Creators in einem Video mit politischem Inhalt ähnliche Relevanz bekommen wie der Inhalt. Denn „these televisual stimuli do, however, communicate the social position of the creator“ wie Guinaudeau et al. schreiben. Wie es besser geht, zeigt der jüngste deutsche Abgeordnete im Europäischen Parlament Malte Gallée . Seine Videos wirken häufig wie spontane Video-Telefonate mit den Nutzer/-innen, leicht verwackelt, spontan und authentisch. Ohne Überinszenierung richtet der Abgeordnete seine Worte an „die Leute“ und fühlt sich dabei offenbar wohl vor der Kamera.

Memes sind seit vielen Jahren ein bedeutender Teil der Netzkultur. Meme leitet sich von altgriechisch μίμημα – mīmēma – „nachgeahmte Dinge“ ab. In seinem 1976 erschienenen Buch „Das egoistische Gen“ prägte Richard Dawkins den englischen Begriff meme, um das Verbreiten kultureller Informationen zu beschreiben. Meist handelt es sich dabei um einen kleinen Medieninhalt, der über das Internet verbreitet wird – ähnlich einem Bild mit einer kurzen, prägnanten Aussage. Dieser ist in der Regel humoristisch und aufheiternd, manchmal auch satirisch und gesellschaftskritisch. Memes sind temporär, spielerisch und fluide. Sie verändern sich und haben „ihren“ Moment. Einerseits erlaubt es die Verwendung bzw. das Referenzieren auf ein gerade relevantes Meme, Nutzer/-innen sich zu positionieren und kulturelles Kapital anzureichern, andererseits entlarvt die Verwendung eines Memes, das seinen hype cycle bereits durchlaufen hat, sie als Außenstehende/-n. Exemplarisch lässt sich dies auch an der Verwendung unterschiedlicher Emojis verdeutlichen. So warnt Jeremy Burge in einem Blogpost auf der Seite Emojipedia davor, das lachend-weinende Gesichtsemoji zu verwenden, schließlich entlarve es sogenannte Boomer, hier verstanden als Menschen jenseits der 35. Alternativ wird bei der Zielgruppe unter 35 der Totenkopf verwendet. Memes sind nicht TikTok spezifisch, dennoch hat die sound-getriebene Plattform eine neue Form des Memes, nämlich das Audio-Meme , hervorgebracht. Soundschnipsel werden hier audiovisuelle mit Bedeutung aufgeladen und verbreiten sich über die „Use This Sound“-Funktion. Ein deutsches Beispiel ist „Excuse me, wir haben 2022“ . Der Satz, gesprochen von der TikTok-Nutzerin Linneasky in einem ihrer Videos, hat sich im Jahr 2022 verselbstständigt und memetisch verbreitet. Er wurde remixt, in unterschiedlichen Kontexten verwendet, unter anderem von einem TikTok Nutzer, der eine Anleitung veröffentlichte, wie man den Sound als Hup-Ton eines Teslas konfigurieren kann. Audio-Memes wurden nach der russischen Invasion 2022 sowohl von russischer als auch ukrainischer Seite auf TikTok für politische Propaganda verwendet. Der Autor und Kulturkritiker Kyle Chayka beschreibt in einem Artikel für The New Yorker im April 2021 die Relevanz und Bedeutung des so genannten Vibes im Kontext TikTok . Im Zeitalter sozialer Medien bedeutet Vibe, laut Chayka, so etwas wie einen Moment audiovisueller Eloquenz. Was ein Haiku für die Sprache ist, ist ein Vibe für die Sinneswahrnehmung: eine prägnante Montage aus Bild, Ton und Bewegung. Und diese Momente audiovisueller Eloquenz, so Chayka, sind das, „was wir in den sozialen Medien suchen“. Neben die Erzählung, das so genannte Storytelling und die Persönlichkeit der präsentierenden Person, tritt die Vermittlung eines bestimmten Gefühls. Dies lässt sich bisweilen nur sehr wortreich erklären, aber audiovisuell einfacher darstellen, beispielsweise der Geruch von staubigem Asphalt nach einem kurzen Sommerregenguss am Nachmittag auf dem Fahrrad und dazu das perfekte Lied auf dem Walkman, etc. Diese kurzen fragmentarisch bleibenden audiovisuellen Momente funktionieren auf TikTok sehr gut, eingeworfen in den endlosen Strom von Videos, bieten sie einen wertvollen Moment des Innehaltens: ein emotionaler Mehrwert der ganz ohne umschließendes Narrativ auskommt .

Weitere Inhalte

Marcus Bösch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HAW Hamburg und forscht zu TikTok, politischer Kommunikation und Desinformation. Er veröffentlicht den wöchentlichen Newsletter Externer Link: Understanding TikTok.