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Mit TikTok lernen?

Marcus Bösch

/ 6 Minuten zu lesen

(© Adobe-Stock/Prostock-studio )

TikTok wird zunehmend als Lern- und Bildungsplattform ernst genommen. Die Entwicklung von entsprechenden Formaten steht jedoch am Anfang. Im Folgenden soll ein erster Überblick gegeben werden. Dieser hat nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Nach einer Einführung in die Thematik, fokussiert sich das Kapitel auf die beiden Bereiche Erinnerungskultur und TikTok als Medium für politische Meinungsbildung.

„Guten Morgen, ein Samstag bei mir im Labor startet so“, erzählt Amelie Reigl in einem ihrer über 1500 TikTok Videos. Es heißt „Der Alltag einer Wissenschaftlerin“. Knapp 430.000 Menschen haben den TikTok Account @dieWissenschaftlerin abonniert. Die Videos der 28-jährigen Biologin wurden 11,4 Million mal geliked und sind preisgekrönt . „Erst mal Frühstück, danach noch ein paar Paper lesen“, sagt Reigl in dem Video, die dann mit ihrem Roller erst ins Fitnessstudio fährt, um dann später im Labor zu arbeiten. Reigl promoviert zum Thema „Künstliche menschliche Haut zu generieren, um Tierversuche zu reduzieren“. In den Videos der Wissenschaftlerin geht es aber vor allem darum, wie man Wissenschaft im 21. Jahrhundert kommuniziert: Was bedeutet es, eine Wissenschaftlerin zu sein, wie sieht der Alltag aus und wie beeinflusst Wissenschaft unser Leben? Eines ihrer Videos, in dem sie aus wissenschaftlicher Sicht die stoffliche Zusammensetzung eines Kleids des amerikanischen Models Bella Hadid erklärt, wird mehr als drei Millionen mal angeschaut .

„Mein Account erreicht Menschen, die sich nicht aktiv über wissenschaftliche Themen informieren“, sagt Reigl , die mit ihrem im März 2020 gestarteten Account zu den deutschsprachigen TikTok-Vorreiterinnen im Bildungskontext gehört. Denn der offizielle Startschuss für deutschsprachige Bildungsinhalte auf TikTok findet erst drei Monate später statt. Am 18. Juni 2020 veröffentlicht TikTok eine Pressemitteilung und kündigt an, europaweit 13 Millionen Euro, davon rund 4,5 Millionen in Deutschland, investieren zu wollen. Auf der TikTok Website heißt es: „Vom Fachwissen von Mediziner/-innen, Sexualpädagog/-innen und Lehrer/-innen über Life Hacks, Motivationstipps oder Kochideen – um Lerninhalte dieser Art zu fördern, arbeitet TikTok mit mehreren Hundert Creator/-innen, Pädagog/-innen, Expert/-innen und gemeinnützigen Organisationen zusammen.“ Das Programm trägt den Namen #LernenMitTikTok und orientiert sich an dem wenige Wochen vorher gelaunchten US-Projekt #LearnOnTikTok, finanziert aus einem $50 Millionen umfassenden Creative Learning Fund. Verschiedenste Lerninhalte gab es auf der Plattform schon vorher, TikTok will nun aber „ein Ökosystem des Lernens“ schaffen. Videos mit dem Hashtag #LearnwithTikTok wurden bis heute 23,4 Milliarden mal angeschaut. Das deutsche Äquivalent #LernenmitTikTok kommt auf 16,7 Milliarden Ansichten (Views). Das Programm wird bereits ein Jahr später wieder beendet, darauf weist die Forschungsprofessorin für Digitale Medien und Performance in der Sozialen Arbeit an der FH Potsdam Judith Ackermann hin. Sie forscht zu TikTok und ist selbst als Bildungsinfluencerin auf der Plattform aktiv.

TikToks Einsatz für Wissenschaft und Bildung lässt sich laut Tobias Gralke vom Blog 54Books „vor allem als geschickte Wachstumsstrategie verstehen.“ Sie korrespondiere mit dem verbreiteten Ideal des niedrigschwelligen, lebenslangen Lernens sowie mit der veränderten öffentlichen Wahrnehmung von Wissenschaft im Zuge der ökologischen Krise und der Pandemie. Der Erfolg des Programms habe viel damit zu tun, dass es auf TikTok bereits länger eine selbstorganisierte Kultur der Wissenschaftskommunikation gegeben habe. Unter dem Hashtag #Science (66,7 Milliarden Views) findet sich eine Vielfalt von wissenschaftlichen Themen unterschiedlichster Creator/-innen. „Vernacular Science“ (Umgangssprachliche Wissenschaft) nennen Zeng, Schäfer und Allgaier diese TikTok-spezifische Wissenschaftsbegeisterung. Dabei gehe es weniger um einen Gegensatz zur akademischen Wissensproduktion, als vielmehr um vernetzte kulturelle Praktiken, die die Grenzen zwischen Amateur- und Profi-Wissenschaft aufweichen. Die niedrigschwelligen Angebote funktionierten ohne institutionelle Anbindung und erforderten kaum technische Kompetenz, würden aber eigene Probleme wie mangelnde Objektivität, den Informationsgehalt, die Glaubwürdigkeit, Kontrolle, Transparenz sowie Verwendung zweifelhafter Quellen bergen. Ackermann konstatiert ein „Spannungsfeld zwischen einem generellen Misstrauen Influencer/innen gegenüber und einem gesteigerten Vertrauen, was Personen gegenüber ausgesprochen wird, die man besonders mag, oder deren Quellen man schon mal überprüft hat.“

Neben dem plattformeigenen Hashtag #LernenmitTikTok haben sich eine Vielzahl Formate zu unterschiedlichsten Bildungsthemen mit entsprechenden Hashtags auf TikTok etabliert. Diese folgen häufig der Systematik #eineMinuteThemaXY oder #ThemaXYTikTok oder #ThemaXYTok. Der Bildungsbereich und entsprechende Akteur/innen auf TikTok entwickeln sich seit wenigen Jahren. Zu beachten ist, dass sich diese Entwicklung erst ganz am Anfang befindet. So fand beispielsweise die erste deutschsprachige wissenschaftliche Fachtagung zu TikTok erst im März 2023 statt . Hier wurden Praxisbeispiele und erste theoretische Auseinandersetzungen mit zum Beispiel interaktiver Wissenschaftskommunikation zur Energiewende auf TikTok oder vergangenheitsbezogenen Diskursen auf TikTok vorgestellt und diskutiert. Auch der Stand der Forschungsliteratur zum Thema Lern- und Bildungskontext beschränkt sich bislang auf einige wenige Untersuchungen, unter anderem zu den Themen Sexualerziehung auf TikTok , der Integration von TikTok in die Hochschulbildung und der Nützlichkeit von TikTok als Lehrmittel .

Auch ein TikTok-Leitfaden der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt weist darauf hin, dass zum Beispiel die politische Bildung auf TikTok „immer noch in den Kinderschuhen steckt“. Beobachten lässt sich hier ein Nebeneinander individueller Creator/-innen wie beispielsweise Grundschullehrer Niko Kappe , Sprachwissenschaftler Simon Meier-Vieracker oder der Politikwissenschaftlerin und Journalistin Nina Poppel und etablierten Akteur/innen wie Stiftungen, NGOs und Bildungsträgern . Die TikTok Videos lassen sich dem Edutainment zuordnen, also einer Mischung aus education (Bildung) und entertainment (Unterhaltung), um TikTok durch einerseits lehrreiche, andererseits unterhaltsame Aufklärung positiv nutzbar zu machen. Im Folgenden sollen die beiden thematischen Bereiche Erinnerungskultur und TikTok im Kontext politischer Meinungsbildung näher betrachtet werden.

Weitere Inhalte

Marcus Bösch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HAW Hamburg und forscht zu TikTok, politischer Kommunikation und Desinformation. Er veröffentlicht den wöchentlichen Newsletter Externer Link: Understanding TikTok.